Zitat von Anvil
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Bei all den Graustufen, die es dazwischen gibt und ob der Tatsache, dass keine der beiden Philosophien ohne massive Probleme durchführbar ist, sehe ich bei den Schreiberlingen im Groben zwei Denkrichtungen:
1. Man ersinnt sich einen Plot mit entsprechender Aussage und schaut, dass man die Charaktere so kreiert, dass sie zu dem Plot passen. In der radikalen Ausführung sind die Charaktere dann lediglich Handlungsträger. Die emotionalen Verzwicklungen der Charaktere sind so gewählt, dass der übergeordnete Plot (und damit die übergeordnete Aussage) deutlich wird.
2. Man kreiert Charaktere und schaut mal, welcher Plot sie am meisten emotional mitnehmen würde. Heißt: Überlegungen zu den Charakteren bestimmen, welche Wendung die Serie als nächstes nimmt.
Ich denke, man erkennt bei LOST ziemlich genau, dass sehr häufig Option 2 gewählt wurde: Man erfand das Setting des Flugzeugabsturzes auf einer Insel und platzierte dort möglichst interessante Charaktere. Anschließend wurden die Wendungen so ersonnen, dass die Charaktere möglichst viele Wandlungen durchmachen konnten, möglichst viel emotionaler Impact da war. Warum war das Flugzeug von Ekos Bruder auf der Insel? Damit Eko es entdecken konnte. Warum war Lockes Vater der echte Sawyer? Damit Sawyer und Locke eine emotionale Szene haben durften. Warum musste die Taste gedrückt werden? Damit die Charaktere darüber streiten konnten, ob sie es tatsächlich muss. Das sind innerhalb des Plots keine befriedigenden Antworten, sicher, aber aus der Warte, dass man schaut, was bei den Charakteren emotionale Konflikte auslösen kann, sind die meisten Wendungen von den Autoren "klug" gewählt. ("Klug" ist hier ganz bewusst in Anführungsstrichelchen, weil die Komponente des emotionalen Mitleidens ganz häufig dann auch wirklich die einzige ist, die bei all den Wendungen funktioniert.)
Insofern gilt tatsächlich: "It's all about the characters". Für diese Art von Schreibe ist halt "It's all about the characters" für mich DER Satz schlechthin. (Das ist wohlgemerkt aber kein grundsätzliches Qualitätsurteil. Wenn man nicht wie in LOST geschehen gleichzeitig aus dem Mystery-Gehalt enorm viel Spannung rausziehen möchte, funktioniert das häufig ganz gut.)
Um an dieser Stelle den Bogen wieder zum Threadthema zu bannen: Bei Nolans Filmen erkenne ich tendenziell doch eher Denkrichtung Nummer 1. Meist stürzt sich Nolan auf ein bis drei Figuren, deren Wandlung er erzählen möchte (in "Inception" ist das die Figur von Leonardo DiCaprio, in "The Dark Knight" sind das Dent, Wayne und mit Abstrichen Gordon), während alle anderen Figuren zu Funktionen innerhalb dieses Plots werden. In "Interstellar" geht er da sogar noch etwas weiter: Er stürzt sich hier quasi auf die gesamte Menschheit. Und praktisch jede Figur stellt einen Kommentar zur Frage "Wo beginnt Menschlichkeit und wo hört sie auf?" dar. Damit werden die Figuren funktionalisiert, was beispielsweise in dem "Liebe"-Monolog deutlich wird. Weil aber zur Menschlichkeit auch die Emotionalität gehört, drückt Nolan noch etwas mehr auf die Tränendrüse.
Zitat von TheMarsToolVolta
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