Innerhalb des öffentlichen Diskurses ist der Begriff der "Authentizität" sehr positiv konnotiert. Wir finden es beispielsweise gut, wenn jemand authentisch ist, weil wir glauben, dass die Person, sagt, was sie denkt, und sich nicht verstellt oder gar schwindelt. Ich beobachte oft, dass auch im privaten Umfeld häufig Tipps gegeben werden wie z.B. "Sei Du selbst" oder "Sei doch einfach authentisch". Häufig reden so auch gebildete Menschen und selbst Menschen, die professionelle Ratgeber sind (z.B. Psychotherapeuten, Unternehmensberater).
Ich kann solche Aussagen nicht einfach so hinnehmen. Ich möchte dieser Sichtweise argumentativ etwas entgegensetzen.
In unseren Köpfen spuken in jeder Minute tausende Gedankenfetzen durch den Kopf. Im Rahmen von Kommunikation ist es erforderlich, dass diese Gedanken sortiert, gefiltert und geformt werden. Die Sätze, die ich hier schreibe, sind in meinen Gedanken nicht bereits vorhanden, sondern entwickeln sich durch Denkprozesse. Kommunikation funktioniert eben nicht so, dass man alles heraussprudeln lässt, was einem gerade in den Sinn kommt. Beziehungsweise würden wir uns alle gegenseitig überfordern, wenn wir so miteinander kommunizieren würden. Allein deshalb ist die These, wonach jemand sagt, was er denkt, bereits widerlegt.
Nahezu alle Menschen sind domestiziert, das heißt, an ein Leben in Gesellschaften angepasst. Normen und Gesetze schränken unser Handeln ein. Unsere kulturellen Vorlieben werden im Rahmen von Sozialisationsprozessen entwickelt. Durch Werbung werden Bedürfnisse geweckt, die wir vorher nicht hatten. Ohne die gesellschaftliche Prägung würden wir uns ganz anders verhalten (vermutlich deutlich gewalttätiger). Von unserem Selbst bleibt aufgrund der Domestizierung nicht mehr viel übrig. Das meiste, was uns definiert, ist uns nicht angeboren, sondern haben wir erlernt. Kann man Lebewesen, die so weit weg von ihrer natürlichen Programmierung sind, als authentisch bezeichnen?
Für das Gelingen des Zusammenlebens in unserer modernen Gesellschaft ist das Gegenteil von Authentizität ausschlaggebend. Wir schlüpfen in vorgegebene Rollen (z.B. die des Arztes oder des Patienten) und inszenieren damit soziale Interaktionen. Wenn es diese Rollen nicht gäbe, müssten wir in jeder Situation neu verhandeln, welches Verhalten vom jeweils anderen erwartet wird. Der Arzt verhält sich gegenüber dem Patienten nicht authentisch, sondern stellt durch eine bestimmte Form der Inszenierung (z.B. weißer Kittel, emotionale Distanz) sicher, dass das Verhalten des Patienten in eine bestimmte Richtung kanalisiert wird.
Authentisches Verhalten wird gesellschaftlich sanktioniert. Wenn ein Bewerber in Trainingshose zum Vorstellungsgespräch erscheint, wird er vermutlich eine Absage erhalten. Ein Mann, der vorm Traualtar zu seiner Frau sagt "Schauen wir mal, wie lange es hält. Die Scheidungsraten in der BRD sind ja sehr hoch.", muss mit Empörung rechnen. Ein Politiker, der mit dem Slogan "Bleiben wir realistisch. Erfahrungsgemäß kann man als Abgeordneter nicht viel bewegen" antritt, wird nicht gewählt werden, auch wenn der die Wahrheit sagt. Menschen richten ihre Handeln daher aus eigenem Interesse am sozial Erwünschten aus.
Es gibt keine Authentizität, sondern nur eine Inszenierung von Authentizität. D.h. Menschen inszenieren sich trotz der genannten Argumente als natürlich, nahbar oder ehrlich, um Nachteilen zu entgehen oder sich Vorteile zu verschaffen. Den meisten Menschen ist aber gar nicht bewusst, was Authentizität bedeutet. Wenn man Authentizität als positive Eigenschaft einem Menschen zuschreibt, meint man wohl eher so etwas wie Bodenständigkeit, Bescheidenheit oder Jovialität. In seiner beabsichtigten Bedeutung (sagen, was man denkt – tun, was man sagt) könnte Authentizität aber auch z.B. mit unzivilisiertem Verhalten oder Gewalt einhergehen.
Fazit: In den meisten Fällen, wo von Authentizität die Rede ist, sollte man wohl besser mit den Augen rollen. Aus meiner Sicht gibt es in Bezug auf menschliches Verhalten keine wirkliche Authentizität und selbst wenn es so etwas innerhalb sehr enger Spielräume geben könnte, muss es nicht zwangsläufig etwas gutes bedeuten.
Wie seht ihr das? Habe ich Argumente, die meine Thesen untermauern oder widerlegen, übersehen?
Ich kann solche Aussagen nicht einfach so hinnehmen. Ich möchte dieser Sichtweise argumentativ etwas entgegensetzen.
In unseren Köpfen spuken in jeder Minute tausende Gedankenfetzen durch den Kopf. Im Rahmen von Kommunikation ist es erforderlich, dass diese Gedanken sortiert, gefiltert und geformt werden. Die Sätze, die ich hier schreibe, sind in meinen Gedanken nicht bereits vorhanden, sondern entwickeln sich durch Denkprozesse. Kommunikation funktioniert eben nicht so, dass man alles heraussprudeln lässt, was einem gerade in den Sinn kommt. Beziehungsweise würden wir uns alle gegenseitig überfordern, wenn wir so miteinander kommunizieren würden. Allein deshalb ist die These, wonach jemand sagt, was er denkt, bereits widerlegt.
Nahezu alle Menschen sind domestiziert, das heißt, an ein Leben in Gesellschaften angepasst. Normen und Gesetze schränken unser Handeln ein. Unsere kulturellen Vorlieben werden im Rahmen von Sozialisationsprozessen entwickelt. Durch Werbung werden Bedürfnisse geweckt, die wir vorher nicht hatten. Ohne die gesellschaftliche Prägung würden wir uns ganz anders verhalten (vermutlich deutlich gewalttätiger). Von unserem Selbst bleibt aufgrund der Domestizierung nicht mehr viel übrig. Das meiste, was uns definiert, ist uns nicht angeboren, sondern haben wir erlernt. Kann man Lebewesen, die so weit weg von ihrer natürlichen Programmierung sind, als authentisch bezeichnen?
Für das Gelingen des Zusammenlebens in unserer modernen Gesellschaft ist das Gegenteil von Authentizität ausschlaggebend. Wir schlüpfen in vorgegebene Rollen (z.B. die des Arztes oder des Patienten) und inszenieren damit soziale Interaktionen. Wenn es diese Rollen nicht gäbe, müssten wir in jeder Situation neu verhandeln, welches Verhalten vom jeweils anderen erwartet wird. Der Arzt verhält sich gegenüber dem Patienten nicht authentisch, sondern stellt durch eine bestimmte Form der Inszenierung (z.B. weißer Kittel, emotionale Distanz) sicher, dass das Verhalten des Patienten in eine bestimmte Richtung kanalisiert wird.
Authentisches Verhalten wird gesellschaftlich sanktioniert. Wenn ein Bewerber in Trainingshose zum Vorstellungsgespräch erscheint, wird er vermutlich eine Absage erhalten. Ein Mann, der vorm Traualtar zu seiner Frau sagt "Schauen wir mal, wie lange es hält. Die Scheidungsraten in der BRD sind ja sehr hoch.", muss mit Empörung rechnen. Ein Politiker, der mit dem Slogan "Bleiben wir realistisch. Erfahrungsgemäß kann man als Abgeordneter nicht viel bewegen" antritt, wird nicht gewählt werden, auch wenn der die Wahrheit sagt. Menschen richten ihre Handeln daher aus eigenem Interesse am sozial Erwünschten aus.
Es gibt keine Authentizität, sondern nur eine Inszenierung von Authentizität. D.h. Menschen inszenieren sich trotz der genannten Argumente als natürlich, nahbar oder ehrlich, um Nachteilen zu entgehen oder sich Vorteile zu verschaffen. Den meisten Menschen ist aber gar nicht bewusst, was Authentizität bedeutet. Wenn man Authentizität als positive Eigenschaft einem Menschen zuschreibt, meint man wohl eher so etwas wie Bodenständigkeit, Bescheidenheit oder Jovialität. In seiner beabsichtigten Bedeutung (sagen, was man denkt – tun, was man sagt) könnte Authentizität aber auch z.B. mit unzivilisiertem Verhalten oder Gewalt einhergehen.
Fazit: In den meisten Fällen, wo von Authentizität die Rede ist, sollte man wohl besser mit den Augen rollen. Aus meiner Sicht gibt es in Bezug auf menschliches Verhalten keine wirkliche Authentizität und selbst wenn es so etwas innerhalb sehr enger Spielräume geben könnte, muss es nicht zwangsläufig etwas gutes bedeuten.
Wie seht ihr das? Habe ich Argumente, die meine Thesen untermauern oder widerlegen, übersehen?
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