ISS
EVA-Bericht
3. August 2006
Expedition 13 Flight Engineers Jeff Williams (right) and Thomas Reiter participate in the mission's
second spacewalk on August 3, 2006. Image credit: NASA TV
Piloten der Luftwaffe sind zwar vielseitige Zeitgenossen. Aber wenn sie 2300 Stunden lang 15 verschiedene Typen von Düsenflugzeugen geflogen und dabei den Rang eines Obersten erreicht haben, zudem einen „Pilotenschein“ für Raumkapseln besitzen und neben dem Deutschen auch noch fließend Russisch und Englisch sprechen - dann erwartet man von ihnen nicht unbedingt, daß sie sich als Klempner und Elektriker verdingen. Am Donnerstag hat einer dieser Piloten aber genau das getan, und zwar auf der an Aussicht zweifellos reichsten Baustelle der Welt. In einem klobigen Arbeitsanzug, der an die Kleidung des Reklamemännchens eines Reifenherstellers erinnert, hielt sich der 48 Jahre alte Thomas Reiter mehrere Stunden lang außerhalb der Internationalen Raumstation auf. Dabei brachte er Ventile und Pumpen der Stations-Klimaanlage in Ordnung, installierte einen Scheinwerfer und wechselte eine GPS-Antenne aus.
Sechs Stunden außerhalb der Raumstation
Reiter hält sich seit knapp vier Wochen als erster deutscher Langzeitastronaut an Bord der in etwa 350 Kilometer Höhe fliegenden Raumstation auf. Seine beiden Mitbewohner dort oben sind der russische Kommandant Pawel Winogradow und der amerikanische Bordingenieur Jeff Williams. Als Reiter und Williams am Donnerstag 400 Kilometer über Australien hinaus ins All wollten, wollte die Luke nicht. Minutenlang hantierten die beiden Astronauten - ständig in Funkkontakt mit der Bodenkontrolle in Houston - an der Ausstiegsluke, dann begann der 69. Außenbordeinsatz an der Raumstation.
Um 16.04 Uhr (MESZ) schalteten die beiden die Batterien ihrer Raumanzüge ein. Williams stieg in einem Anzug mit roten Streifen als erster hinaus. Um 16.25 Uhr (MESZ) folgte Reiter, der zur besseren Unterscheidung ganz in Weiß gekleidet war. Dann hangelten sich die beiden Astronauten an der Außenwand der Station entlang und begannen ihre etwa sechs Stunden dauernden Arbeiten außerhalb des Komplexes. Pawel Winogradow verfolgte die Arbeit der Kollegen derweil von der Raumstation aus.
Drittes Newtonsches Gesetz
Obwohl keine Schwerkraft die Astronauten bei ihren Handgriffen behinderte, ging das Lösen von Muttern und das Verlegen von Kabeln längst nicht so flink von der Hand wie auf der Erde. Die beiden schienen sich vielmehr - obwohl sie mit einer Geschwindigkeit von 28000 Kilometern in der Stunde um die Erde rasten und es alle 90 Minuten Tag und Nacht wurde - wie in Zeitlupe zu bewegen. Denn einerseits schränken die unförmigen Raumanzüge die Bewegungsfreiheit ein. Zum anderen macht sich im Weltraum aber das „Dritte Newtonsche Gesetz“ viel stärker bemerkbar als auf dem Erdboden.
Newton hatte im Jahre 1687 herausgefunden, daß jeder mechanischen Kraft eine gleich starke Kraft entgegenwirkt, die in umgekehrter Richtung wirkt. Wer beispielsweise auf der Erde mit einem schweren Schraubenschlüssel eine große Mutter anzieht, stützt sich meist unbewußt mit den Füßen oder Ellenbogen ab, um diese Gegenkraft auszugleichen. Dabei kommt einem auf dem Erdboden die Schwerkraft zu Hilfe: Man kann sich mit seinem Körpergewicht gegen die Newtonsche Kraft stemmen.
Jeder Handgriff erfordert größeren Einsatz
Unter Wasser oder in der Schwerelosigkeit des Weltraums wiegt der Körper aber so gut wie nichts - und die Gegenkraft kann ungehindert wirken. Reiter und Williams hätten sich beispielsweise beim Anziehen von Schrauben und Muttern unweigerlich um sich selbst gedreht, wenn sie sich nicht in eigens konstruierten Fußschlingen hätten festhaken können. Doch trotz dieses festen „Standbeins“ erfordert jeder Handgriff im Weltraum einen viel größeren Einsatz an körperlicher Kraft als auf der Erde.
Dieser Weltraumspaziergang war Reiters dritter Ausflug ins All außerhalb eines Raumschiffes. Während seines Aufenthaltes auf der inzwischen abgestürzten russischen Station „Mir“ zwischen September 1995 und Februar 1996 verbrachte er zweimal jeweils mehrere Stunden an der Außenseite der Station. Dabei wechselte er unter anderem Laborcontainer von der Größe von Schuhkartons aus, die außerhalb der Mir angebracht waren, um die Wirkung von kosmischer Strahlung auf verschiedene Materialien zu untersuchen.
Wegen Katrina und Rita wird im All gespart
Der jüngste Weltraumspaziergang Reiters stand aber unter keinem günstigen Stern. Die amerikanische Weltraumbehörde Nasa leidet nämlich an erheblichem Geldmangel. Die technischen Verbesserungen, die nach der Havarie der Raumfähre Columbia an den verbleibenden drei Raumtransportern vorgenommen wurden, haben bisher mehr als 1,3 Milliarden Dollar verschlungen.
Hinzu kommt, daß einige Nasa-Einrichtungen an der Golfküste der Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr durch die Wirbelstürme Katrina und Rita schwer beschädigt wurden. Da gleichzeitig der Etat der Behörde im amerikanischen Bundeshaushalt stagniert, muß die Nasa Geld sparen. Unter anderem wird deshalb erwogen, die ohnehin minimalen amerikanischen Forschungsbeiträge an Bord der Raumstation vollkommen einzustellen. Dadurch könnte die Behörde 100 Millionen Dollar im Jahr sparen.
Astronauten nur noch Handwerker und Hausmeister
Schon vor zwei Jahren mußten amerikanische Forscher, die sich mit Experimenten an den Flügen zur Raumstation beteiligen wollten, einen Rückschlag hinnehmen. Damals stellte die Nasa nämlich alle wissenschaftlichen Versuche ein, die nicht direkt mit dem Langzeitaufenthalt von Astronauten im Weltraum zu tun hatten. Man ließ also alle anorganischen Experimente wegfallen. Als Begründung hieß es damals, man wolle sich vollkommen auf die von Präsident Bush angekündigte Wiederaufnahme der Flüge zum Mond und zum Mars konzentrieren. Nun soll womöglich auch diese Art der Forschung eingestellt werden. Die Astronauten wären dann mehr denn je lediglich Hausmeister und Handwerker auf der Station.
Von Horst Rademacher, San Francisco
Text: F.A.Z., 04.08.2006, Nr. 179 / Seite 7
Quelle: faz.net
NASA TV
Wikipedia: Internationale Raumstation
Wikipedia: ISS Expedition 13
EVA-Bericht
3. August 2006
Expedition 13 Flight Engineers Jeff Williams (right) and Thomas Reiter participate in the mission's
second spacewalk on August 3, 2006. Image credit: NASA TV
Piloten der Luftwaffe sind zwar vielseitige Zeitgenossen. Aber wenn sie 2300 Stunden lang 15 verschiedene Typen von Düsenflugzeugen geflogen und dabei den Rang eines Obersten erreicht haben, zudem einen „Pilotenschein“ für Raumkapseln besitzen und neben dem Deutschen auch noch fließend Russisch und Englisch sprechen - dann erwartet man von ihnen nicht unbedingt, daß sie sich als Klempner und Elektriker verdingen. Am Donnerstag hat einer dieser Piloten aber genau das getan, und zwar auf der an Aussicht zweifellos reichsten Baustelle der Welt. In einem klobigen Arbeitsanzug, der an die Kleidung des Reklamemännchens eines Reifenherstellers erinnert, hielt sich der 48 Jahre alte Thomas Reiter mehrere Stunden lang außerhalb der Internationalen Raumstation auf. Dabei brachte er Ventile und Pumpen der Stations-Klimaanlage in Ordnung, installierte einen Scheinwerfer und wechselte eine GPS-Antenne aus.
Sechs Stunden außerhalb der Raumstation
Reiter hält sich seit knapp vier Wochen als erster deutscher Langzeitastronaut an Bord der in etwa 350 Kilometer Höhe fliegenden Raumstation auf. Seine beiden Mitbewohner dort oben sind der russische Kommandant Pawel Winogradow und der amerikanische Bordingenieur Jeff Williams. Als Reiter und Williams am Donnerstag 400 Kilometer über Australien hinaus ins All wollten, wollte die Luke nicht. Minutenlang hantierten die beiden Astronauten - ständig in Funkkontakt mit der Bodenkontrolle in Houston - an der Ausstiegsluke, dann begann der 69. Außenbordeinsatz an der Raumstation.
Um 16.04 Uhr (MESZ) schalteten die beiden die Batterien ihrer Raumanzüge ein. Williams stieg in einem Anzug mit roten Streifen als erster hinaus. Um 16.25 Uhr (MESZ) folgte Reiter, der zur besseren Unterscheidung ganz in Weiß gekleidet war. Dann hangelten sich die beiden Astronauten an der Außenwand der Station entlang und begannen ihre etwa sechs Stunden dauernden Arbeiten außerhalb des Komplexes. Pawel Winogradow verfolgte die Arbeit der Kollegen derweil von der Raumstation aus.
Drittes Newtonsches Gesetz
Obwohl keine Schwerkraft die Astronauten bei ihren Handgriffen behinderte, ging das Lösen von Muttern und das Verlegen von Kabeln längst nicht so flink von der Hand wie auf der Erde. Die beiden schienen sich vielmehr - obwohl sie mit einer Geschwindigkeit von 28000 Kilometern in der Stunde um die Erde rasten und es alle 90 Minuten Tag und Nacht wurde - wie in Zeitlupe zu bewegen. Denn einerseits schränken die unförmigen Raumanzüge die Bewegungsfreiheit ein. Zum anderen macht sich im Weltraum aber das „Dritte Newtonsche Gesetz“ viel stärker bemerkbar als auf dem Erdboden.
Newton hatte im Jahre 1687 herausgefunden, daß jeder mechanischen Kraft eine gleich starke Kraft entgegenwirkt, die in umgekehrter Richtung wirkt. Wer beispielsweise auf der Erde mit einem schweren Schraubenschlüssel eine große Mutter anzieht, stützt sich meist unbewußt mit den Füßen oder Ellenbogen ab, um diese Gegenkraft auszugleichen. Dabei kommt einem auf dem Erdboden die Schwerkraft zu Hilfe: Man kann sich mit seinem Körpergewicht gegen die Newtonsche Kraft stemmen.
Jeder Handgriff erfordert größeren Einsatz
Unter Wasser oder in der Schwerelosigkeit des Weltraums wiegt der Körper aber so gut wie nichts - und die Gegenkraft kann ungehindert wirken. Reiter und Williams hätten sich beispielsweise beim Anziehen von Schrauben und Muttern unweigerlich um sich selbst gedreht, wenn sie sich nicht in eigens konstruierten Fußschlingen hätten festhaken können. Doch trotz dieses festen „Standbeins“ erfordert jeder Handgriff im Weltraum einen viel größeren Einsatz an körperlicher Kraft als auf der Erde.
Dieser Weltraumspaziergang war Reiters dritter Ausflug ins All außerhalb eines Raumschiffes. Während seines Aufenthaltes auf der inzwischen abgestürzten russischen Station „Mir“ zwischen September 1995 und Februar 1996 verbrachte er zweimal jeweils mehrere Stunden an der Außenseite der Station. Dabei wechselte er unter anderem Laborcontainer von der Größe von Schuhkartons aus, die außerhalb der Mir angebracht waren, um die Wirkung von kosmischer Strahlung auf verschiedene Materialien zu untersuchen.
Wegen Katrina und Rita wird im All gespart
Der jüngste Weltraumspaziergang Reiters stand aber unter keinem günstigen Stern. Die amerikanische Weltraumbehörde Nasa leidet nämlich an erheblichem Geldmangel. Die technischen Verbesserungen, die nach der Havarie der Raumfähre Columbia an den verbleibenden drei Raumtransportern vorgenommen wurden, haben bisher mehr als 1,3 Milliarden Dollar verschlungen.
Hinzu kommt, daß einige Nasa-Einrichtungen an der Golfküste der Vereinigten Staaten im vergangenen Jahr durch die Wirbelstürme Katrina und Rita schwer beschädigt wurden. Da gleichzeitig der Etat der Behörde im amerikanischen Bundeshaushalt stagniert, muß die Nasa Geld sparen. Unter anderem wird deshalb erwogen, die ohnehin minimalen amerikanischen Forschungsbeiträge an Bord der Raumstation vollkommen einzustellen. Dadurch könnte die Behörde 100 Millionen Dollar im Jahr sparen.
Astronauten nur noch Handwerker und Hausmeister
Schon vor zwei Jahren mußten amerikanische Forscher, die sich mit Experimenten an den Flügen zur Raumstation beteiligen wollten, einen Rückschlag hinnehmen. Damals stellte die Nasa nämlich alle wissenschaftlichen Versuche ein, die nicht direkt mit dem Langzeitaufenthalt von Astronauten im Weltraum zu tun hatten. Man ließ also alle anorganischen Experimente wegfallen. Als Begründung hieß es damals, man wolle sich vollkommen auf die von Präsident Bush angekündigte Wiederaufnahme der Flüge zum Mond und zum Mars konzentrieren. Nun soll womöglich auch diese Art der Forschung eingestellt werden. Die Astronauten wären dann mehr denn je lediglich Hausmeister und Handwerker auf der Station.
Von Horst Rademacher, San Francisco
Text: F.A.Z., 04.08.2006, Nr. 179 / Seite 7
Quelle: faz.net
NASA TV
Wikipedia: Internationale Raumstation
Wikipedia: ISS Expedition 13
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