In der Welt stehl ein kontroverser und interessanter Artikel über den in der Gentechnik berühmten Wissenschaftler James Watson, der 1953 die Struktur der DNA entschlüsselt hat.
Lest selbst:
Quelle: www.welt.de
Lest selbst:
Zitat von welt.de
James Watson zu Methoden und Ethik der Biomedizin: Freigabe der Gentechnik - Dummheit wird behandelbar
Der amerikanische Biologe James Watson (77) hat eine der größten wissenschaftlichen Revolutionen mitausgelöst: Vaterschaftstests, Gentechnik, Klonen - nichts von alldem wäre möglich, ohne die Entdeckung, die Watson 1953 gemeinsam mit seinem Partner Francis Crick gemacht hatte: Das Duo klärte die Struktur der DNA auf, des langen Moleküls, auf dem die Erbinformation gespeichert ist. Watson leitet heute das Cold Spring Harbor Laboratory in New York - und sorgt durch seine provokativen Äußerungen immer wieder für hitzige Debatten. Mit James Watson sprach Jeronimo Teixeira.
Die Welt: Im Jahr 1953 haben Sie mit Francis Crick die Entdeckung der DNA-Struktur bekanntgegeben, auf einer einzigen Seite. Wenn man die Bedeutung dieser Entdeckung bedenkt, dann könnte dieser Text einer der maßvollsten, zurückhaltendsten in der ganzen Wissenschaftsgeschichte sein. Warum diese Bescheidenheit?
James Watson: Weil wir nicht in die Zukunft sehen konnten. Als wir diesen Aufsatz schrieben, glaubten Crick und ich, daß wir zu einem besseren Verständnis der Wirklichkeit beitragen würden. Wir ahnten aber nicht, daß wir dazu beitragen würden, die Wirklichkeit zu verändern. Dieser Prozeß begann erst 20 Jahre später, als Herb Boyer und Stanley Cohen eine Technik erfanden, die es ermöglichte das DNA-Molekül zu manipulieren. Damit haben sie die Ära des genetischen Ingenieurswesens eingeleitet. Ab diesem Punkt haben sich die Ereignisse beschleunigt.
Die Welt: Welche Innovationen können wir in den nächsten Jahren von der Gentechnik erwarten?
Watson: In zehn Jahren werden fast alle Nutzpflanzen genetisch modifiziert sein. In der medizinischen Forschung, wo ich tätig bin, sehe ich insbesondere zwei wichtige Entwicklungen: Bei der Behandlung von Krebs machen wir Fortschritte mit DNA-Biopsien. Mit ihnen können wir den Tumor untersuchen, um zu sehen, welche genetischen Veränderungen da stattgefunden haben. Damit erhalten wir bessere Behandlungen mit Medikamenten, die wirklich die Tumorzellen angreifen, die eine bestimmte Mutation in ihren Genen aufweisen.
Ich habe die Hoffnung, daß in etwa 25 Jahren Krebs nicht mehr als ernsthafte Erkrankung betrachtet wird. Wir werden immer mehr über die Ursachen wissen und sie bekämpfen können. Auf der anderen Seite glaube ich, daß wir bald auch Gene finden werden, die für eine Reihe ernsthafter psychischer Erkrankungen verantwortlich sind, wie beispielsweise Schizophrenie und Autismus.
Die Welt: Sie haben selbst einen Sohn mit mentalen Problemen.
Watson: Ja, aber dazu möchte ich keine Kommentare abgeben. Er ist in der Lage zu lesen und ich möchte nicht, daß er etwas über sich selbst liest.
Die Welt: Hat die Erkrankung Ihres Sohnes Ihr Interesse an diesem Forschungsgebiet ausgelöst?
Watson: Das hatte natürlich einen Einfluß. Aber mein Sohn leidet schon sehr lange an dieser Störung, und ich habe mich erst vor einiger Zeit entschieden, auf diesem Gebiet zu forschen. Während der letzten 40 Jahre habe ich mich mehr der Krebsforschung gewidmet. Lange Zeit hatten wir auch überhaupt keinen Anhaltspunkt, wie man sich den psychischen Störungen wissenschaftlich nähern könnte. Mittlerweile liegen diese Probleme aber durchaus in Reichweite der Genetik, auch wenn noch vieles unklar ist.
Die Welt: Sie haben eine ziemliche Kontroverse ausgelöst, als Sie einmal gesagt haben, daß Dummheit eine Krankheit sei. Können Sie diese These erklären?
Watson: Viele Menschen glauben, daß wir alle gleich seien und daß mit einer guten Erziehung und guten sozialen Bedingungen jeder auf dieselbe Weise lernt. Das ist nicht der Fall. Lernschwierigkeiten sind nicht immer nur ein Produkt der Umweltbedingungen. Manche Menschen werden mit Behinderungen geboren. Es gibt Krankheiten, die mit Infektionen zu tun haben, mit Traumata während der Schwangerschaft, mit schlechten Genen; es kann verschiedene Ursachen geben, die letztlich zum gleichen Resultat führen. Und es ist dann egal, was die Ursache ist. Wenn Ihr Gehirn sich zum Beispiel nicht gut eignet, um Mathematik zu begreifen, dann ist es kein normales Gehirn. Wenn Sie nicht zwei und zwei addieren können und dabei vier erhalten, dann ist etwas nicht in Ordnung.
Die Welt: Welche Hilfe könnte Genforschung Menschen mit mentalen Problemen anbieten?
Watson: Das hängt von der Ursache des Problems ab. Menschen mit einer leichten Dyslexie können lesen, aber Menschen, die an einer schweren Form dieser Störung leiden, werden nie lernen zu lesen. Wenn jemand an Alzheimer leidet und sich sein Gedächtnis auflöst, haben wir kein Problem, dies als Krankheit zu bezeichnen. Dasselbe gilt aber auch für eine Person, die sich nichts merken kann. Das könnte der Grund für die Dummheit mancher Menschen sein: Sie sind vielleicht nicht in der Lage, sich bestimmte Dinge zu merken, einfach aufgrund eines genetischen Defekts. Die Tatsache, daß wir das eine Krankheit nennen, bedeutet nicht, daß wir nichts dagegen tun können. Im Gegenteil es bedeutet, daß wir nach Wegen suchen, um diesen Leuten zu helfen. Und wir machen dabei Fortschritte.
Die Welt: Könnten komplexe Eigenschaften wie etwa die Intelligenz, an der viele Gene mitwirken, eines Tages manipuliert werden?
Watson: Das wissen wir nicht. Intelligenz beruht sicher auf einem Komplex von Genen. Aber man kann sie einbüßen, wenn sich auch nur auf einem der beteiligten Gene ein Defekt befindet. Das ist es, was beispielsweise in dem "fragilen-X-Syndrom" geschieht: Aufgrund eines Defekts in einem Gen, kommt die betroffene Person niemals über die Auffassungsgabe eines fünfjährigen Kindes hinaus. Im Moment gibt es keine Heilung. Vielleicht werden wir eines Tages eine Gentherapie haben, um dieses Problem zu lösen. Aber ich glaube, daß es sehr schwierig sein wird, ein gesundes Gen in das Gehirn von Menschen zu schleusen, die an diesem Syndrom leiden. Was Wissenschaft zur Zeit anbieten kann, ist Prävention. Wir können die Geburt von Kindern mit ernsthaften geistigen Behinderungen verhindern.
Die Welt: Halten Sie es für akzeptabel, Babys abzutreiben, die doch leben könnten, auch wenn sie einige Defizite haben?
Watson: Einige Leute denken, daß Abtreibung unverantwortlich sei. Doch mein Standpunkt ist, daß es unverantwortlich ist, die Geburt eines Kindes zuzulassen, das eine ernste und unheilbare Krankheit hat. Dies verursacht unnötiges Leid. Doch dies ist natürlich eine individuelle Entscheidung, die der schwangeren Frau überlassen bleibt. Jeder handelt nach seinen Werten, und ich möchte anderen nicht das Recht absprechen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Wenn zum Beispiel Ihr ungeborenes Kind ein Down-Syndrom hätte, würden Sie vielleicht fragen, ob es eine Chance gibt, es zu heilen. Als Wissenschaftler werde ich sagen, nein, es gibt heute noch keine Möglichkeit, um dieses Kind zu einem normalen Leben zu verhelfen. Das ist eine wissenschaftliche Tatsache. Doch wie Menschen damit umgehen, ist eine andere Frage. Manche werden das Syndrom als Gottes Willen betrachten. Ich sehe es als biologischen Webfehler: Anstelle von zwei Chromosomen 21 gibt es drei Kopien davon. Und genau das führt zu der Abweichung von der Norm. Ich sehe nicht, warum jemand geboren werden sollte, der ein geringeres, beschränkteres Leben haben wird.
Die Welt: Was ist, wenn wir eines Tages auch diagnostizieren könnten, ob ein Fötus zum Beispiel homosexuell wird? Wären solche Gründe auch akzeptabel für eine Abtreibung?
Watson: Frauen müssen die Freiheit haben, das zu tun, was sie für das Beste für ihre Familie halten. Frauen aus verschiedenen Kulturen und unter verschiedenen Umständen werden da verschiedene Einstellungen haben. Was für die eine richtig ist, muß für die andere nicht gelten. Genetische Entscheidungen sollten von den Müttern getroffen werden, in Abstimmung mit ihren Familien. Da sollte der Staat keinen Einfluß nehmen.
Die Welt: Sehen Sie Bedarf für Restriktionen bei der Genforschung?
Watson: Nein. Ich bin da sehr liberal. Wenn jemand eines Tages entdecken sollte, daß wir ein Gen hinzufügen können, um Kinder intelligenter oder schöner oder gesünder zu machen, dann sehe ich keinen Grund, das nicht zu tun. Ich glaube nicht, daß Leiden irgendeiner Person etwas Gutes tut. Manche Leute sagen: Christus hat gelitten, deshalb müssen auch wir die Erfahrung des Leidens machen. Aber ich kaufe dieses Argument nicht ab. Heute sind wir noch nicht in der Lage, die Menschheit so zu verbessern. Aber wenn wir das eines Tages können, warum nicht? Manche Leute sagen, das würde die Reichen begünstigen, aber das ist ja nicht neu. Die Reichen kaufen sich immer die neuen Technologien, bevor die anderen Leute das auch tun.
Die Welt: Gibt es nicht immer die Gefahr, daß diese Technologien auch von Rassisten genutzt werden, für rassistische Ideologien?
Watson: Alles kann für böse Zwecke genutzt werden, aber das ist kein Grund, den Fortschritt zu stoppen. Es wäre albern, die genetische Forschung einzuschränken, nur weil Rassisten darauf zugreifen können. Eine Epidemie, die durch einen Virus oder Bakterien verursacht wird, ist eine viel größere Bedrohung als der Rassismus; so etwas könnte die Menschheit als solche dezimieren. Vor gar nicht langer Zeit hatten wir die Vogelgrippe in Asien, die dann glücklicherweise kontrolliert werden konnte. Der Schwarze Tod, der vor rund 600 Jahren in Europa wütete und die Bevölkerung ausdünnte, hinterließ eine Rezession, die mehrere Jahrhunderte währte. Was wäre, wenn heute eine neue Infektion die Hälfte der Bevölkerung von Afrika oder Südamerika töten würde? Das wäre schrecklich. Genetik kann uns vor dieser Gefahr schützen, wenn wir eines Tages die Fähigkeit erwerben, die Konstitution der Leute zu verändern, so daß sie zum Beispiel gegen den HI-Virus resistent werden, der die Aids-Erkrankung verursacht.
Die Welt: Sehen Sie einen Grund, weshalb man das Klonen von Menschen verbieten sollte?
Watson: 1972, als mir zum ersten Mal klar wurde, daß es eines Tages möglich sein würde, ein menschliches Lebewesen zu klonen, schrieb ich darüber einen Artikel. Dieser Text kam zu früh, niemand schenkte ihm auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Ich mag die Idee nicht, menschliche Kopien zu produzieren. Sie haben nun gerade einen Hund geklont, aber selbst das ist noch sehr schwierig. Wenn eines Tages die Technik besser beherrschbar wird und die Menschheit hauptsächlich aus Klonen besteht, na gut, das wäre keine Welt, in der ich gern leben würde. Ein einziger Klon wird dagegen nicht die Welt verändern. Das ist doch keine Atombombe. Und ich interessiere mich auch nicht so sehr für Zukunftsspekulationen. Klonen sollte zukünftige Wissenschaftler beschäftigen, die jetzt um die 20 Jahre alt sind. In meinem Alter interessiert mich eine Therapie für die Alzheimerkrankheit weit mehr.
Die Welt: Sie gelten als jemand, der Kontroversen schürt. Ist das wahr?
Watson: Genetik wird immer ein kontroverses Gebiet sein. Denn Menschen mögen die Vorstellung nicht, daß sie durch ihre DNA-Moleküle bestimmt sind. Keine Frau möchte denken, daß sie eben häßlich geboren wurde. "Gut", sagen sie, "wenn ich meine Haare anders trage oder mich besser anziehe." Sie kann all dies tun, natürlich. Aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß einige Frauen im genetischen Würfelspiel einfach mehr Glück gehabt haben. Und wenn es das Gehirn betrifft, ist die Frage sogar noch weitaus delikater: Persönlichkeit, Intelligenz, und all dies, Menschen stellen sich gern vor, daß das Gehirn sehr formbar ist, aber das ist nicht der Fall.
Die Welt: Werden wir eines Tages die Debatte einfach schließen können darüber, was den meisten Einfluß auf unsere Persönlichkeit hat: die Gene oder die Umwelt?
Watson: Nein, diese Diskussion wird uns immer begleiten. Viele Leute beharren noch immer darauf, daß die Art, wie man zu Hause erzogen wurde, mehr Einfluß darauf hat, was man geworden ist, als die eigene Natur. Manche Menschen wollen sogar leugnen, daß es angeborene Unterschiede zwischen Individuen gibt. Sie sagen, wenn jemand ein Defizit habe, dann deshalb, weil er ein Opfer der Armut sei. Ich glaube nicht, daß dies wahr ist. Aber ich verstehe die Motivation: Es ist ganz natürlich, daß wir, wenn etwas falsch ist, zuerst versuchen, die Umwelt zu verändern, um das Problem zu lösen. Die Gene zu verändern, ist wesentlich schwieriger. Genetik und Evolution können grausam sein, und manche Menschen haben einfach Pech bei diesem Spiel gehabt.
Die Welt: Wo stehen Sie bei dieser Kontroverse zwischen Evolution und "intelligentem Design" durch ein höheres Wesen?
Watson: Mehr als ein Jahrhundert nach Darwin, gibt es eine Sackgasse zwischen Wissenschaft und Religion oder zumindest zwischen Wissenschaft und bestimmten Religionen, die sich verfolgt fühlen vom Verlauf der Biologie. Sie mögen das Konzept der Evolution nicht, obwohl es alle Biologen anwenden, weil es längst nicht mehr eine reine Theorie, sondern eine Tatsache ist. Die aktuelle Kontroverse dreht sich um die Frage, ob es weise ist, Schülern das "intelligente Design" in gleicher Weise zu unterrichten wie die Evolutionslehre. Dies vermischt Glauben und Wissenschaft, es vermischt auch Ideen, die experimentell begründet sind mit anderen Ideen, die überhaupt keine Begründung haben. Ich denke nicht, daß dies geschehen sollte.
Copyright by Global Viewpoint
Artikel erschienen am Mo, 12. September 2005
Der amerikanische Biologe James Watson (77) hat eine der größten wissenschaftlichen Revolutionen mitausgelöst: Vaterschaftstests, Gentechnik, Klonen - nichts von alldem wäre möglich, ohne die Entdeckung, die Watson 1953 gemeinsam mit seinem Partner Francis Crick gemacht hatte: Das Duo klärte die Struktur der DNA auf, des langen Moleküls, auf dem die Erbinformation gespeichert ist. Watson leitet heute das Cold Spring Harbor Laboratory in New York - und sorgt durch seine provokativen Äußerungen immer wieder für hitzige Debatten. Mit James Watson sprach Jeronimo Teixeira.
Die Welt: Im Jahr 1953 haben Sie mit Francis Crick die Entdeckung der DNA-Struktur bekanntgegeben, auf einer einzigen Seite. Wenn man die Bedeutung dieser Entdeckung bedenkt, dann könnte dieser Text einer der maßvollsten, zurückhaltendsten in der ganzen Wissenschaftsgeschichte sein. Warum diese Bescheidenheit?
James Watson: Weil wir nicht in die Zukunft sehen konnten. Als wir diesen Aufsatz schrieben, glaubten Crick und ich, daß wir zu einem besseren Verständnis der Wirklichkeit beitragen würden. Wir ahnten aber nicht, daß wir dazu beitragen würden, die Wirklichkeit zu verändern. Dieser Prozeß begann erst 20 Jahre später, als Herb Boyer und Stanley Cohen eine Technik erfanden, die es ermöglichte das DNA-Molekül zu manipulieren. Damit haben sie die Ära des genetischen Ingenieurswesens eingeleitet. Ab diesem Punkt haben sich die Ereignisse beschleunigt.
Die Welt: Welche Innovationen können wir in den nächsten Jahren von der Gentechnik erwarten?
Watson: In zehn Jahren werden fast alle Nutzpflanzen genetisch modifiziert sein. In der medizinischen Forschung, wo ich tätig bin, sehe ich insbesondere zwei wichtige Entwicklungen: Bei der Behandlung von Krebs machen wir Fortschritte mit DNA-Biopsien. Mit ihnen können wir den Tumor untersuchen, um zu sehen, welche genetischen Veränderungen da stattgefunden haben. Damit erhalten wir bessere Behandlungen mit Medikamenten, die wirklich die Tumorzellen angreifen, die eine bestimmte Mutation in ihren Genen aufweisen.
Ich habe die Hoffnung, daß in etwa 25 Jahren Krebs nicht mehr als ernsthafte Erkrankung betrachtet wird. Wir werden immer mehr über die Ursachen wissen und sie bekämpfen können. Auf der anderen Seite glaube ich, daß wir bald auch Gene finden werden, die für eine Reihe ernsthafter psychischer Erkrankungen verantwortlich sind, wie beispielsweise Schizophrenie und Autismus.
Die Welt: Sie haben selbst einen Sohn mit mentalen Problemen.
Watson: Ja, aber dazu möchte ich keine Kommentare abgeben. Er ist in der Lage zu lesen und ich möchte nicht, daß er etwas über sich selbst liest.
Die Welt: Hat die Erkrankung Ihres Sohnes Ihr Interesse an diesem Forschungsgebiet ausgelöst?
Watson: Das hatte natürlich einen Einfluß. Aber mein Sohn leidet schon sehr lange an dieser Störung, und ich habe mich erst vor einiger Zeit entschieden, auf diesem Gebiet zu forschen. Während der letzten 40 Jahre habe ich mich mehr der Krebsforschung gewidmet. Lange Zeit hatten wir auch überhaupt keinen Anhaltspunkt, wie man sich den psychischen Störungen wissenschaftlich nähern könnte. Mittlerweile liegen diese Probleme aber durchaus in Reichweite der Genetik, auch wenn noch vieles unklar ist.
Die Welt: Sie haben eine ziemliche Kontroverse ausgelöst, als Sie einmal gesagt haben, daß Dummheit eine Krankheit sei. Können Sie diese These erklären?
Watson: Viele Menschen glauben, daß wir alle gleich seien und daß mit einer guten Erziehung und guten sozialen Bedingungen jeder auf dieselbe Weise lernt. Das ist nicht der Fall. Lernschwierigkeiten sind nicht immer nur ein Produkt der Umweltbedingungen. Manche Menschen werden mit Behinderungen geboren. Es gibt Krankheiten, die mit Infektionen zu tun haben, mit Traumata während der Schwangerschaft, mit schlechten Genen; es kann verschiedene Ursachen geben, die letztlich zum gleichen Resultat führen. Und es ist dann egal, was die Ursache ist. Wenn Ihr Gehirn sich zum Beispiel nicht gut eignet, um Mathematik zu begreifen, dann ist es kein normales Gehirn. Wenn Sie nicht zwei und zwei addieren können und dabei vier erhalten, dann ist etwas nicht in Ordnung.
Die Welt: Welche Hilfe könnte Genforschung Menschen mit mentalen Problemen anbieten?
Watson: Das hängt von der Ursache des Problems ab. Menschen mit einer leichten Dyslexie können lesen, aber Menschen, die an einer schweren Form dieser Störung leiden, werden nie lernen zu lesen. Wenn jemand an Alzheimer leidet und sich sein Gedächtnis auflöst, haben wir kein Problem, dies als Krankheit zu bezeichnen. Dasselbe gilt aber auch für eine Person, die sich nichts merken kann. Das könnte der Grund für die Dummheit mancher Menschen sein: Sie sind vielleicht nicht in der Lage, sich bestimmte Dinge zu merken, einfach aufgrund eines genetischen Defekts. Die Tatsache, daß wir das eine Krankheit nennen, bedeutet nicht, daß wir nichts dagegen tun können. Im Gegenteil es bedeutet, daß wir nach Wegen suchen, um diesen Leuten zu helfen. Und wir machen dabei Fortschritte.
Die Welt: Könnten komplexe Eigenschaften wie etwa die Intelligenz, an der viele Gene mitwirken, eines Tages manipuliert werden?
Watson: Das wissen wir nicht. Intelligenz beruht sicher auf einem Komplex von Genen. Aber man kann sie einbüßen, wenn sich auch nur auf einem der beteiligten Gene ein Defekt befindet. Das ist es, was beispielsweise in dem "fragilen-X-Syndrom" geschieht: Aufgrund eines Defekts in einem Gen, kommt die betroffene Person niemals über die Auffassungsgabe eines fünfjährigen Kindes hinaus. Im Moment gibt es keine Heilung. Vielleicht werden wir eines Tages eine Gentherapie haben, um dieses Problem zu lösen. Aber ich glaube, daß es sehr schwierig sein wird, ein gesundes Gen in das Gehirn von Menschen zu schleusen, die an diesem Syndrom leiden. Was Wissenschaft zur Zeit anbieten kann, ist Prävention. Wir können die Geburt von Kindern mit ernsthaften geistigen Behinderungen verhindern.
Die Welt: Halten Sie es für akzeptabel, Babys abzutreiben, die doch leben könnten, auch wenn sie einige Defizite haben?
Watson: Einige Leute denken, daß Abtreibung unverantwortlich sei. Doch mein Standpunkt ist, daß es unverantwortlich ist, die Geburt eines Kindes zuzulassen, das eine ernste und unheilbare Krankheit hat. Dies verursacht unnötiges Leid. Doch dies ist natürlich eine individuelle Entscheidung, die der schwangeren Frau überlassen bleibt. Jeder handelt nach seinen Werten, und ich möchte anderen nicht das Recht absprechen, ihre eigenen Entscheidungen zu treffen. Wenn zum Beispiel Ihr ungeborenes Kind ein Down-Syndrom hätte, würden Sie vielleicht fragen, ob es eine Chance gibt, es zu heilen. Als Wissenschaftler werde ich sagen, nein, es gibt heute noch keine Möglichkeit, um dieses Kind zu einem normalen Leben zu verhelfen. Das ist eine wissenschaftliche Tatsache. Doch wie Menschen damit umgehen, ist eine andere Frage. Manche werden das Syndrom als Gottes Willen betrachten. Ich sehe es als biologischen Webfehler: Anstelle von zwei Chromosomen 21 gibt es drei Kopien davon. Und genau das führt zu der Abweichung von der Norm. Ich sehe nicht, warum jemand geboren werden sollte, der ein geringeres, beschränkteres Leben haben wird.
Die Welt: Was ist, wenn wir eines Tages auch diagnostizieren könnten, ob ein Fötus zum Beispiel homosexuell wird? Wären solche Gründe auch akzeptabel für eine Abtreibung?
Watson: Frauen müssen die Freiheit haben, das zu tun, was sie für das Beste für ihre Familie halten. Frauen aus verschiedenen Kulturen und unter verschiedenen Umständen werden da verschiedene Einstellungen haben. Was für die eine richtig ist, muß für die andere nicht gelten. Genetische Entscheidungen sollten von den Müttern getroffen werden, in Abstimmung mit ihren Familien. Da sollte der Staat keinen Einfluß nehmen.
Die Welt: Sehen Sie Bedarf für Restriktionen bei der Genforschung?
Watson: Nein. Ich bin da sehr liberal. Wenn jemand eines Tages entdecken sollte, daß wir ein Gen hinzufügen können, um Kinder intelligenter oder schöner oder gesünder zu machen, dann sehe ich keinen Grund, das nicht zu tun. Ich glaube nicht, daß Leiden irgendeiner Person etwas Gutes tut. Manche Leute sagen: Christus hat gelitten, deshalb müssen auch wir die Erfahrung des Leidens machen. Aber ich kaufe dieses Argument nicht ab. Heute sind wir noch nicht in der Lage, die Menschheit so zu verbessern. Aber wenn wir das eines Tages können, warum nicht? Manche Leute sagen, das würde die Reichen begünstigen, aber das ist ja nicht neu. Die Reichen kaufen sich immer die neuen Technologien, bevor die anderen Leute das auch tun.
Die Welt: Gibt es nicht immer die Gefahr, daß diese Technologien auch von Rassisten genutzt werden, für rassistische Ideologien?
Watson: Alles kann für böse Zwecke genutzt werden, aber das ist kein Grund, den Fortschritt zu stoppen. Es wäre albern, die genetische Forschung einzuschränken, nur weil Rassisten darauf zugreifen können. Eine Epidemie, die durch einen Virus oder Bakterien verursacht wird, ist eine viel größere Bedrohung als der Rassismus; so etwas könnte die Menschheit als solche dezimieren. Vor gar nicht langer Zeit hatten wir die Vogelgrippe in Asien, die dann glücklicherweise kontrolliert werden konnte. Der Schwarze Tod, der vor rund 600 Jahren in Europa wütete und die Bevölkerung ausdünnte, hinterließ eine Rezession, die mehrere Jahrhunderte währte. Was wäre, wenn heute eine neue Infektion die Hälfte der Bevölkerung von Afrika oder Südamerika töten würde? Das wäre schrecklich. Genetik kann uns vor dieser Gefahr schützen, wenn wir eines Tages die Fähigkeit erwerben, die Konstitution der Leute zu verändern, so daß sie zum Beispiel gegen den HI-Virus resistent werden, der die Aids-Erkrankung verursacht.
Die Welt: Sehen Sie einen Grund, weshalb man das Klonen von Menschen verbieten sollte?
Watson: 1972, als mir zum ersten Mal klar wurde, daß es eines Tages möglich sein würde, ein menschliches Lebewesen zu klonen, schrieb ich darüber einen Artikel. Dieser Text kam zu früh, niemand schenkte ihm auch nur die geringste Aufmerksamkeit. Ich mag die Idee nicht, menschliche Kopien zu produzieren. Sie haben nun gerade einen Hund geklont, aber selbst das ist noch sehr schwierig. Wenn eines Tages die Technik besser beherrschbar wird und die Menschheit hauptsächlich aus Klonen besteht, na gut, das wäre keine Welt, in der ich gern leben würde. Ein einziger Klon wird dagegen nicht die Welt verändern. Das ist doch keine Atombombe. Und ich interessiere mich auch nicht so sehr für Zukunftsspekulationen. Klonen sollte zukünftige Wissenschaftler beschäftigen, die jetzt um die 20 Jahre alt sind. In meinem Alter interessiert mich eine Therapie für die Alzheimerkrankheit weit mehr.
Die Welt: Sie gelten als jemand, der Kontroversen schürt. Ist das wahr?
Watson: Genetik wird immer ein kontroverses Gebiet sein. Denn Menschen mögen die Vorstellung nicht, daß sie durch ihre DNA-Moleküle bestimmt sind. Keine Frau möchte denken, daß sie eben häßlich geboren wurde. "Gut", sagen sie, "wenn ich meine Haare anders trage oder mich besser anziehe." Sie kann all dies tun, natürlich. Aber es ist eine unbestreitbare Tatsache, daß einige Frauen im genetischen Würfelspiel einfach mehr Glück gehabt haben. Und wenn es das Gehirn betrifft, ist die Frage sogar noch weitaus delikater: Persönlichkeit, Intelligenz, und all dies, Menschen stellen sich gern vor, daß das Gehirn sehr formbar ist, aber das ist nicht der Fall.
Die Welt: Werden wir eines Tages die Debatte einfach schließen können darüber, was den meisten Einfluß auf unsere Persönlichkeit hat: die Gene oder die Umwelt?
Watson: Nein, diese Diskussion wird uns immer begleiten. Viele Leute beharren noch immer darauf, daß die Art, wie man zu Hause erzogen wurde, mehr Einfluß darauf hat, was man geworden ist, als die eigene Natur. Manche Menschen wollen sogar leugnen, daß es angeborene Unterschiede zwischen Individuen gibt. Sie sagen, wenn jemand ein Defizit habe, dann deshalb, weil er ein Opfer der Armut sei. Ich glaube nicht, daß dies wahr ist. Aber ich verstehe die Motivation: Es ist ganz natürlich, daß wir, wenn etwas falsch ist, zuerst versuchen, die Umwelt zu verändern, um das Problem zu lösen. Die Gene zu verändern, ist wesentlich schwieriger. Genetik und Evolution können grausam sein, und manche Menschen haben einfach Pech bei diesem Spiel gehabt.
Die Welt: Wo stehen Sie bei dieser Kontroverse zwischen Evolution und "intelligentem Design" durch ein höheres Wesen?
Watson: Mehr als ein Jahrhundert nach Darwin, gibt es eine Sackgasse zwischen Wissenschaft und Religion oder zumindest zwischen Wissenschaft und bestimmten Religionen, die sich verfolgt fühlen vom Verlauf der Biologie. Sie mögen das Konzept der Evolution nicht, obwohl es alle Biologen anwenden, weil es längst nicht mehr eine reine Theorie, sondern eine Tatsache ist. Die aktuelle Kontroverse dreht sich um die Frage, ob es weise ist, Schülern das "intelligente Design" in gleicher Weise zu unterrichten wie die Evolutionslehre. Dies vermischt Glauben und Wissenschaft, es vermischt auch Ideen, die experimentell begründet sind mit anderen Ideen, die überhaupt keine Begründung haben. Ich denke nicht, daß dies geschehen sollte.
Copyright by Global Viewpoint
Artikel erschienen am Mo, 12. September 2005
Kommentar