Die meisten Physiker und Astronomen sind heute zwar davon überzeugt, daß unser Kosmos ausschließlich aus "normaler" Materie besteht, doch diese Auffassung basiert eher auf theoretischen Überlegungen denn auf Fakten. Ting jedenfalls läßt sich davon nicht beeindrucken: "Genaue Experimente zerstören Theorien, und dann denken sich die Theoretiker neue Theorien aus. So schreitet die Physik fort!"
Ob es Galaxien aus Antimaterie gibt oder nicht, kann nur per Experiment entschieden werden, so Ting weiter. Rolf Landau, Leiter des Antiwasserstoff-Projekts am Forschungszentrum CERN bei Genf, pflichtet ihm bei: "Es gibt einige Annahmen, deren Gültigkeit man besser experimentell prüft."
Ganz im Gegensatz zu Tings Standpunkt war es jedoch gerade der Glaube an die Theorie, der 1928 den jungen britischen Physiker Paul Dirac zur "Erfindung" der Antimaterie trieb. Als eine von ihm aufgestellte Gleichung zur Beschreibung von Elementarteilchen physikalisch scheinbar unsinnige Ergebnisse lieferte, verwarf er keineswegs seine Formel, sondern vielmehr das bisherige physikalische Weltbild.
Dirac glaubte an die Schönheit der Natur. "Eine mathematisch schöne Theorie ist eher wahr als eine häßliche," lautete sein Credo. Zu jedem Teilchen müsse es, so postulierte er zur Rettung seiner Theorie, ein Pedant mit gleicher Masse aber ansonsten physikalisch entgegengesetzten Eigenschaften geben - zum elektrisch negativ geladenen Elektron etwa ein positiv geladenes Anti-Elektron -, denn "alles andere hätte die Schönheit der Mathematik verdorben."
Diracs beharren darauf, daß von seiner Gleichung erlaubte Teilchen von der Natur nicht verboten sein können, sollte ihm den Nobelpreis einbringen. Denn schon vier Jahre nach seinem gewagten Vorschlag entdeckte der Amerikaner Carl Anderson in der kosmischen Höhenstrahlung tatsächlich Positronen, wie die Anti-Elektronen nun getauft wurden.
Seither wurde Diracs Glaube an die Schönheit der Natur wieder und wieder bestätigt: Zu jedem neuen Teilchen, welches die Physiker in den immer gewaltiger werdenden Anlagen zur Zertrümmerung der kleinsten Materiebausteine aufspürten, fanden sie alsbald auch das dazugehörige Anti-Teilchen.
Ein Manko blieb jedoch bis heute bestehen: Vollständige Atome aus Antiteilchen scheinen in "freier Wildbahn" nicht vorzukommen. Der ganze Kosmos scheint aus normaler Materie zu bestehen, obwohl doch Antimaterie, vollständig aufgebaut aus Anti-Teilchen, ebenso denkbar und von den Gleichungen der Physiker erlaubt wäre.
Tatsächlich gelang es Forschern am CERN zur Jahreswende 1995/96 erstmalig, Anti-Protonen und Positronen zu Anti-Wasserstoffatomen zusammenzufügen. Doch in unserer Welt ist Antimaterie kein langes Leben beschert.
Prallen nämlich Teilchen und Anti-Teilchen aufeinander, so zerstrahlen sie zu purer Energie - ihre gesamte Masse wird in Strahlung umgewandelt. Ein freundschaftlicher Handschlag zwischen Mensch und Anti-Mensch wäre mithin wenig empfehlenswert.
Schon ein Milligramm der Substanz könnte ausreichen, ein Raumschiff zum Mars zu bringen - oder aber eine Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Kein Wunder, daß dieses Energiepotential Begehrlichkeiten weckt. In den achtziger Jahren, auf dem Höhepunkt der Reagan´schen Star-Wars-Pläne, grübelte man im Pentagon über Antimateriewaffen, heute fordert die Nasa ihre Techniker auf, über die Realisierung von Antimaterie-Antrieben nachzudenken.
Doch all das sind Science-Fiction-Träumereien: Selbst innerhalb von zehn Jahren könnten am CERN nur der Millionste Teil eines Milligramms Anti-Wasserstoff produziert werden. "Wir würden Millionen von Jahren brauchen, um vernünftige Mengen Antimaterie zu produzieren - mit Kosten in Trillionenhöhe!" erklärt Rolf Landau.
Auch im Weltall könnten Materie und Antimaterie nur in voneinander getrennten Regionen existieren. Und selbst dann würden die Grenzen zwischen solchen Bereichen sich durch die energiereiche Strahlung verraten, die durch die permanente Vernichtung von aus Galaxien und Anti-Galaxien abströmenden Gasen erzeugt würde.
Von solcher Strahlung fanden die Astronomen bislang jedoch keine Spur, zumindest bis zu Entfernungen von einigen Milliarden Lichtjahren - ein Lichtjahr sind rund zehn Milliarden Kilometer, jene Distanz, die das Licht in einem Jahr zurücklegt - gibt es wohl keine Sternsysteme aus Antimaterie.
Doch sollten, nach den symmetrischen Gleichungen der Physiker, beim Urknall nicht Teilchen und Anti-Teilchen gleichermaßen und zu gleichen Anteilen entstehen? Andererseits: Hätten sich diese dann nicht sofort wieder gegenseitig auslöschen müssen, ein ödes materieloses Universum, angefüllt nur mit Strahlung, zurücklassend?
Der russische Physiker Andrej Sacharov brachte diese Probleme 1967 auf den Punkt: Eine winzige Asymmetrie im Bauplan der Natur müsse in den ersten Sekundenbruchteilen des Urknalls für eine Bevorzugung von normalen Teilchen gesorgt haben.
Eine solche Asymmetrie, die Physiker sprechen von "CP-Verletzung", wurde tatsächlich schon in den fünfziger Jahren beim Zerfall eines unscheinbaren Teilchens namens "Kaon" beobachtet. Doch ob diese winzige Störung der Symmetrie ausreicht, das heutige Übergewicht der Materie zu erklären, wissen die Physiker bislang nicht.
Vielleicht gibt es ja auch, so überlegt Samuel Ting, Regionen, in denen sich die CP-Verletzung entgegengesetzt auswirkt und damit zu einer Bevorzugung nicht der Materie, sondern der Antimaterie führt: "Das Ergebnis wäre ein Kosmos, in denen sich Gebiete aus Materie und Antimaterie abwechseln!"
In diesem Fall müßten sich in der kosmischen Höhenstrahlung, jenem beständigen Sturm von Partikeln, die aus der Tiefe des Kosmos kommend auf die Erdatmosphäre treffen, vereinzelt Atomkerne von Antimaterie finden.
Vom Erdboden aus ist deren Nachweis indes schwierig. In der irdischen Lufthülle zerfallen die eindringenden Partikel in ganze Teilchenschauer, aus denen die Forscher in mühsamer Kleinarbeit auf das ursprüngliche Teilchen zurückschließen müssen.
Daher schlug Ting 1994 vor, einen Antimaterie-Detektor in der Erdumlaufbahn zu stationieren. Seither beteiligten sich über 100 Forscher aus aller Welt an der Entwicklung des Alpha Magnetic Spectrometer (AMS), das in der nächsten Woche erstmalig unter Weltraumbedingungen getestet werden soll.
Im Jahre 2002 soll AMS dann auf der Internationalen Raumstation installiert werden und für zwei bis drei Jahre permanent kosmische Teilchen registrieren und analysieren. Auf 10 Milliarden normale Ereignisse hofft Ting jeweils einen Antimaterie-Kern aufzuspüren - ein Resultat welches, hätte er ihn nicht schon, ihm sicherlich den Physik-Nobelpreis einbringen würde.
Denn der Nachweis schon eines einzigen Kerns von Anti-Sauerstoff oder Anti-Kohlenstoff würde beweisen, daß es Sterne aus Antimaterie gibt, da diese Elemente nur durch Kernfusion in den Millionen von Grad heißen Zentren von Gestirnen entstehen können.
Die 100 Stunden Meßzeit bei dem Testflug in der nächsten Woche sind freilich zu kurz, um bereits auf ein sensationelles Ergebnis zu hoffen. Aber das AMS kann noch mehr: Es soll auch nach Spuren der rätselhaften "Dunklen Materie" fahnden.
Seit langem vermuten die Himmelsforscher, daß nur ein kleiner Teil der Masse des Universums in leuchtenden Sternen und Galaxien vorliegt. Der Löwenanteil, 90 oder gar 99 Prozent der Masse könnten demnach unsichtbare exotische Teilchen sein, die sich nur durch ihre Schwerkraftwirkung bemerkbar machen und so helfen, Sternsysteme und Galaxienhaufen zusammen zu halten.
Für viele Physiker, die den Überlegungen Samuel Tings eher skeptisch gegenüber stehen, ist die Suche nach Dunkler Materie der wichtigste Aspekt des himmlischen Detektors. Doch der Nachweis kosmischer Antimaterie würde zweifellos jedes andere Ergebnis der AMS-Messungen in den Schatten stellen: "Die Kosmologie würde auf den Kopf gestellt," meint der Physiker Steven Weinberg, "wir müßten alles neu überdenken."
Ob es Galaxien aus Antimaterie gibt oder nicht, kann nur per Experiment entschieden werden, so Ting weiter. Rolf Landau, Leiter des Antiwasserstoff-Projekts am Forschungszentrum CERN bei Genf, pflichtet ihm bei: "Es gibt einige Annahmen, deren Gültigkeit man besser experimentell prüft."
Ganz im Gegensatz zu Tings Standpunkt war es jedoch gerade der Glaube an die Theorie, der 1928 den jungen britischen Physiker Paul Dirac zur "Erfindung" der Antimaterie trieb. Als eine von ihm aufgestellte Gleichung zur Beschreibung von Elementarteilchen physikalisch scheinbar unsinnige Ergebnisse lieferte, verwarf er keineswegs seine Formel, sondern vielmehr das bisherige physikalische Weltbild.
Dirac glaubte an die Schönheit der Natur. "Eine mathematisch schöne Theorie ist eher wahr als eine häßliche," lautete sein Credo. Zu jedem Teilchen müsse es, so postulierte er zur Rettung seiner Theorie, ein Pedant mit gleicher Masse aber ansonsten physikalisch entgegengesetzten Eigenschaften geben - zum elektrisch negativ geladenen Elektron etwa ein positiv geladenes Anti-Elektron -, denn "alles andere hätte die Schönheit der Mathematik verdorben."
Diracs beharren darauf, daß von seiner Gleichung erlaubte Teilchen von der Natur nicht verboten sein können, sollte ihm den Nobelpreis einbringen. Denn schon vier Jahre nach seinem gewagten Vorschlag entdeckte der Amerikaner Carl Anderson in der kosmischen Höhenstrahlung tatsächlich Positronen, wie die Anti-Elektronen nun getauft wurden.
Seither wurde Diracs Glaube an die Schönheit der Natur wieder und wieder bestätigt: Zu jedem neuen Teilchen, welches die Physiker in den immer gewaltiger werdenden Anlagen zur Zertrümmerung der kleinsten Materiebausteine aufspürten, fanden sie alsbald auch das dazugehörige Anti-Teilchen.
Ein Manko blieb jedoch bis heute bestehen: Vollständige Atome aus Antiteilchen scheinen in "freier Wildbahn" nicht vorzukommen. Der ganze Kosmos scheint aus normaler Materie zu bestehen, obwohl doch Antimaterie, vollständig aufgebaut aus Anti-Teilchen, ebenso denkbar und von den Gleichungen der Physiker erlaubt wäre.
Tatsächlich gelang es Forschern am CERN zur Jahreswende 1995/96 erstmalig, Anti-Protonen und Positronen zu Anti-Wasserstoffatomen zusammenzufügen. Doch in unserer Welt ist Antimaterie kein langes Leben beschert.
Prallen nämlich Teilchen und Anti-Teilchen aufeinander, so zerstrahlen sie zu purer Energie - ihre gesamte Masse wird in Strahlung umgewandelt. Ein freundschaftlicher Handschlag zwischen Mensch und Anti-Mensch wäre mithin wenig empfehlenswert.
Schon ein Milligramm der Substanz könnte ausreichen, ein Raumschiff zum Mars zu bringen - oder aber eine Stadt dem Erdboden gleichzumachen. Kein Wunder, daß dieses Energiepotential Begehrlichkeiten weckt. In den achtziger Jahren, auf dem Höhepunkt der Reagan´schen Star-Wars-Pläne, grübelte man im Pentagon über Antimateriewaffen, heute fordert die Nasa ihre Techniker auf, über die Realisierung von Antimaterie-Antrieben nachzudenken.
Doch all das sind Science-Fiction-Träumereien: Selbst innerhalb von zehn Jahren könnten am CERN nur der Millionste Teil eines Milligramms Anti-Wasserstoff produziert werden. "Wir würden Millionen von Jahren brauchen, um vernünftige Mengen Antimaterie zu produzieren - mit Kosten in Trillionenhöhe!" erklärt Rolf Landau.
Auch im Weltall könnten Materie und Antimaterie nur in voneinander getrennten Regionen existieren. Und selbst dann würden die Grenzen zwischen solchen Bereichen sich durch die energiereiche Strahlung verraten, die durch die permanente Vernichtung von aus Galaxien und Anti-Galaxien abströmenden Gasen erzeugt würde.
Von solcher Strahlung fanden die Astronomen bislang jedoch keine Spur, zumindest bis zu Entfernungen von einigen Milliarden Lichtjahren - ein Lichtjahr sind rund zehn Milliarden Kilometer, jene Distanz, die das Licht in einem Jahr zurücklegt - gibt es wohl keine Sternsysteme aus Antimaterie.
Doch sollten, nach den symmetrischen Gleichungen der Physiker, beim Urknall nicht Teilchen und Anti-Teilchen gleichermaßen und zu gleichen Anteilen entstehen? Andererseits: Hätten sich diese dann nicht sofort wieder gegenseitig auslöschen müssen, ein ödes materieloses Universum, angefüllt nur mit Strahlung, zurücklassend?
Der russische Physiker Andrej Sacharov brachte diese Probleme 1967 auf den Punkt: Eine winzige Asymmetrie im Bauplan der Natur müsse in den ersten Sekundenbruchteilen des Urknalls für eine Bevorzugung von normalen Teilchen gesorgt haben.
Eine solche Asymmetrie, die Physiker sprechen von "CP-Verletzung", wurde tatsächlich schon in den fünfziger Jahren beim Zerfall eines unscheinbaren Teilchens namens "Kaon" beobachtet. Doch ob diese winzige Störung der Symmetrie ausreicht, das heutige Übergewicht der Materie zu erklären, wissen die Physiker bislang nicht.
Vielleicht gibt es ja auch, so überlegt Samuel Ting, Regionen, in denen sich die CP-Verletzung entgegengesetzt auswirkt und damit zu einer Bevorzugung nicht der Materie, sondern der Antimaterie führt: "Das Ergebnis wäre ein Kosmos, in denen sich Gebiete aus Materie und Antimaterie abwechseln!"
In diesem Fall müßten sich in der kosmischen Höhenstrahlung, jenem beständigen Sturm von Partikeln, die aus der Tiefe des Kosmos kommend auf die Erdatmosphäre treffen, vereinzelt Atomkerne von Antimaterie finden.
Vom Erdboden aus ist deren Nachweis indes schwierig. In der irdischen Lufthülle zerfallen die eindringenden Partikel in ganze Teilchenschauer, aus denen die Forscher in mühsamer Kleinarbeit auf das ursprüngliche Teilchen zurückschließen müssen.
Daher schlug Ting 1994 vor, einen Antimaterie-Detektor in der Erdumlaufbahn zu stationieren. Seither beteiligten sich über 100 Forscher aus aller Welt an der Entwicklung des Alpha Magnetic Spectrometer (AMS), das in der nächsten Woche erstmalig unter Weltraumbedingungen getestet werden soll.
Im Jahre 2002 soll AMS dann auf der Internationalen Raumstation installiert werden und für zwei bis drei Jahre permanent kosmische Teilchen registrieren und analysieren. Auf 10 Milliarden normale Ereignisse hofft Ting jeweils einen Antimaterie-Kern aufzuspüren - ein Resultat welches, hätte er ihn nicht schon, ihm sicherlich den Physik-Nobelpreis einbringen würde.
Denn der Nachweis schon eines einzigen Kerns von Anti-Sauerstoff oder Anti-Kohlenstoff würde beweisen, daß es Sterne aus Antimaterie gibt, da diese Elemente nur durch Kernfusion in den Millionen von Grad heißen Zentren von Gestirnen entstehen können.
Die 100 Stunden Meßzeit bei dem Testflug in der nächsten Woche sind freilich zu kurz, um bereits auf ein sensationelles Ergebnis zu hoffen. Aber das AMS kann noch mehr: Es soll auch nach Spuren der rätselhaften "Dunklen Materie" fahnden.
Seit langem vermuten die Himmelsforscher, daß nur ein kleiner Teil der Masse des Universums in leuchtenden Sternen und Galaxien vorliegt. Der Löwenanteil, 90 oder gar 99 Prozent der Masse könnten demnach unsichtbare exotische Teilchen sein, die sich nur durch ihre Schwerkraftwirkung bemerkbar machen und so helfen, Sternsysteme und Galaxienhaufen zusammen zu halten.
Für viele Physiker, die den Überlegungen Samuel Tings eher skeptisch gegenüber stehen, ist die Suche nach Dunkler Materie der wichtigste Aspekt des himmlischen Detektors. Doch der Nachweis kosmischer Antimaterie würde zweifellos jedes andere Ergebnis der AMS-Messungen in den Schatten stellen: "Die Kosmologie würde auf den Kopf gestellt," meint der Physiker Steven Weinberg, "wir müßten alles neu überdenken."
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