Am 18. September findet in Schottland ein Referendum zur Unabhängigkeit statt.
Ich war letzte Woche für ein paar Tage in Schottland. Gleich nach Überquerung der innerbritischen Grenze (ja, das gibt's) sah man am Straßenrand, auf den Feldern und in vielen Fenstern die blauen "YES" oder die roten "NO, thanks" -Schilder. ( Es scheint, als wären die Gegner der Unabhängigkeit (und Freunde der Engländer) eine Spur höflicher. )
Und so langsam kommt das Thema auch in Deutschland an. Zu Hintergründen, Ablauf und Konsequenzen wird in den gängigen Medien berichtet, zB hier (SZ), hier (SPON), hier (ARD) oder hier (WELT). Ich will das jetzt nicht alles wiederkäuen, dafür gibt es die Rinder auf der Wiese, unterbezahlte Volontäre bei den Zeitungen und User, die wissen, wie man einem Link folgt.
Was jedoch in der allgemeinen Berichterstattung meines Erachtens zu kurz kommt bzw. sogar falsch dargestellt wird, ist eine differenzierte Betrachtung über die Gründe der Unabhängigkeitsbestrebungen. Wer wählt YES und warum wollen diese Leute weg von den Engländern?
Im Allgemeinen ist in den Medien nur von Nationalisten oder Separatisten oder Abspaltungsbefürwortern die Rede. Damit werden alle potentiellen YES-Wähler in einen, zumeist nationalistisch-konservativen, Topf geworfen. Und es drängen sich Vergleiche mit den britischen (aber zumeist englischen) EU-Gegnern auf, die einen Austritt Großbritanniens aus der europäischen Union ("Brexit") fordern und sich in der rechts-konservativen UKIP (UK independance party) sammeln. Aber genau das trifft nicht pauschal zu.
Tatsächlich gibt es in Schottland im wesentlichen zwei Lager von Befürwortern der Unabhängigkeit.
Es gibt einerseits echte Nationalisten (im Sinne von Regionalisten), die auch latent ausländerfeindlich gestimmt sind. Hier ist der Vergleich mit den englischen Nationalisten passend. Diese würden auch im Falle einer Unabhängigkeit einer Mitgliedschaft Schottlands in der EU ablehnend gegenüber stehen sowie die Zahl ausländischer Arbeitnehmer stark begrenzen. Diese Leute finden sich zB im schottischen Ableger der UKIP oder in der Conservative Party (Tories).
Allerdings haben bei den letzten Parlamentswahlen in Schottland die UKIP Ergebnisse im unteren einstelligen Bereich und die Conservatives um die 12% eingefahren.
Und hier liegen die Unterschiede:
Das Hauptlager der Unabhängigkeitsbefürworter sammelt sich zB in der Scottish National Party (SNP). Und diese ist trotz ihres Namens ("National") eher eine links-liberale Partei, die bei der letzten Wahl bequeme 44% der Stimmen erhalten hat. Zusammen mit dem schottischen Ableger der Labour-Partei (26%) hat somit eine Mitte-Links-Koalition das Sagen - zumindest in den wenigen Themen, in denen sie regieren dürfen: u.a. Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft.
Die Bevölkerung Schottlands ist gegenwärtig durchaus mehrheitlich arbeitnehmer-, ausländer- und EU-freundlich eingestellt. Man mag halt nur die Engländer nicht - und das hat Gründe.
Im Jahre 1707 wurden das schottische und das englische Parlament zum britischen Parlament zusammengelegt und somit die Vereinigung vollzogen. Doch erst seit 1999 hat Schottland wieder ein eigenes, regionales Parlament mit begrenzten Rechten. Bis dahin war es quasi eine Provinz, die vom fernen London aus regiert wurde. Von diesen Verhältnissen profitierten vor allem einige wenige Großgrundbesitzer, während die große Masse der armen Bewohner, insbesondere in den Highlands, weiter stark verarmten.
Dazu kam ein Niedergang der britischen, vor allem schottischen Industrie, begünstigt durch Entscheidungen im von englischen Abgeordneten dominierten Parlament. Schottland war seit jeher dünn besiedelt (z.Zt etwa 8% der Bevölkerung, während die Fläche immerhin 32% ausmacht). Entsprechend gering war und ist die Zahl der Abgeordneten im (gesamt-)britischen Parlament. Dies führte dazu, daß schottische Interessen regelmäßig und gezielt benachteiligt wurden, zB bei der Verwertung von Bodenschätzen, in der heutigen Zeit insbesondere auch von Erdöl. Und tatsächlich stellt die Frage des Erdöls eine der Schlüsselfragen bei der finanziellen Realisierung der geplanten Unabhängigkeit dar.
Ende der 1970er Jahre war die schottische Schwerindustrie bereits am Boden, als Maggie Thatcher an die Macht kam und durch ihre erzkonservative Regierung die schottische Wirtschaft weiter gezielt benachteiligte. Ihre streng konservative Steuerpolitik führte letztlich sogar zu Aufständen und ihrem erzwungenen Rücktritt.
All dies und weitere Gründe wie die zunehmende Euro- und Fremdenfeindlichkeit in England (auch gegenüber Schotten) führte letztlich zu einem ausgeprägten Unabhängigkeitsdenken bei vielen Schotten, die ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände legen wollen.
Also: auf zur Unabhängigkeit, kann man da nur hoffen?
So einfach ist es leider nicht. Denn eine Abspaltung Schottlands würde zahlreiche Konsequenzen nach sich ziehen, die nicht nur die Schotten betreffen.
Abgesehen davon, daß Bevölkerungsgruppen in anderen (EU-)Ländern (zB die Katalanen in Spanien) davon inspiriert werden könnten, würde sich auch die Machtverhältnisse im britischen Parlament weiter zugunsten konservativer Kräfte verschieben, da die mehrheitlich nicht-konservativen schottischen Abgeordneten wegfielen. Dies würde einen Austritt (Rest-)Großbritanniens aus der EU zusätzlich begünstigen.
Trotz einer gewissen Sympathie für die Interessen und Gefühle der Schotten muss ich als EU-Bürger, der gerade in Großbritannien (England) lebt, hoffen, daß die Unabhängigkeit nicht erreicht wird.
Die Zukunft der EU könnte davon abhängen.
Was denkt ihr darüber?
Ich war letzte Woche für ein paar Tage in Schottland. Gleich nach Überquerung der innerbritischen Grenze (ja, das gibt's) sah man am Straßenrand, auf den Feldern und in vielen Fenstern die blauen "YES" oder die roten "NO, thanks" -Schilder. ( Es scheint, als wären die Gegner der Unabhängigkeit (und Freunde der Engländer) eine Spur höflicher. )
Und so langsam kommt das Thema auch in Deutschland an. Zu Hintergründen, Ablauf und Konsequenzen wird in den gängigen Medien berichtet, zB hier (SZ), hier (SPON), hier (ARD) oder hier (WELT). Ich will das jetzt nicht alles wiederkäuen, dafür gibt es die Rinder auf der Wiese, unterbezahlte Volontäre bei den Zeitungen und User, die wissen, wie man einem Link folgt.
Was jedoch in der allgemeinen Berichterstattung meines Erachtens zu kurz kommt bzw. sogar falsch dargestellt wird, ist eine differenzierte Betrachtung über die Gründe der Unabhängigkeitsbestrebungen. Wer wählt YES und warum wollen diese Leute weg von den Engländern?
Im Allgemeinen ist in den Medien nur von Nationalisten oder Separatisten oder Abspaltungsbefürwortern die Rede. Damit werden alle potentiellen YES-Wähler in einen, zumeist nationalistisch-konservativen, Topf geworfen. Und es drängen sich Vergleiche mit den britischen (aber zumeist englischen) EU-Gegnern auf, die einen Austritt Großbritanniens aus der europäischen Union ("Brexit") fordern und sich in der rechts-konservativen UKIP (UK independance party) sammeln. Aber genau das trifft nicht pauschal zu.
Tatsächlich gibt es in Schottland im wesentlichen zwei Lager von Befürwortern der Unabhängigkeit.
Es gibt einerseits echte Nationalisten (im Sinne von Regionalisten), die auch latent ausländerfeindlich gestimmt sind. Hier ist der Vergleich mit den englischen Nationalisten passend. Diese würden auch im Falle einer Unabhängigkeit einer Mitgliedschaft Schottlands in der EU ablehnend gegenüber stehen sowie die Zahl ausländischer Arbeitnehmer stark begrenzen. Diese Leute finden sich zB im schottischen Ableger der UKIP oder in der Conservative Party (Tories).
Allerdings haben bei den letzten Parlamentswahlen in Schottland die UKIP Ergebnisse im unteren einstelligen Bereich und die Conservatives um die 12% eingefahren.
Und hier liegen die Unterschiede:
Das Hauptlager der Unabhängigkeitsbefürworter sammelt sich zB in der Scottish National Party (SNP). Und diese ist trotz ihres Namens ("National") eher eine links-liberale Partei, die bei der letzten Wahl bequeme 44% der Stimmen erhalten hat. Zusammen mit dem schottischen Ableger der Labour-Partei (26%) hat somit eine Mitte-Links-Koalition das Sagen - zumindest in den wenigen Themen, in denen sie regieren dürfen: u.a. Bildung, Gesundheit, Landwirtschaft.
Die Bevölkerung Schottlands ist gegenwärtig durchaus mehrheitlich arbeitnehmer-, ausländer- und EU-freundlich eingestellt. Man mag halt nur die Engländer nicht - und das hat Gründe.
Im Jahre 1707 wurden das schottische und das englische Parlament zum britischen Parlament zusammengelegt und somit die Vereinigung vollzogen. Doch erst seit 1999 hat Schottland wieder ein eigenes, regionales Parlament mit begrenzten Rechten. Bis dahin war es quasi eine Provinz, die vom fernen London aus regiert wurde. Von diesen Verhältnissen profitierten vor allem einige wenige Großgrundbesitzer, während die große Masse der armen Bewohner, insbesondere in den Highlands, weiter stark verarmten.
Dazu kam ein Niedergang der britischen, vor allem schottischen Industrie, begünstigt durch Entscheidungen im von englischen Abgeordneten dominierten Parlament. Schottland war seit jeher dünn besiedelt (z.Zt etwa 8% der Bevölkerung, während die Fläche immerhin 32% ausmacht). Entsprechend gering war und ist die Zahl der Abgeordneten im (gesamt-)britischen Parlament. Dies führte dazu, daß schottische Interessen regelmäßig und gezielt benachteiligt wurden, zB bei der Verwertung von Bodenschätzen, in der heutigen Zeit insbesondere auch von Erdöl. Und tatsächlich stellt die Frage des Erdöls eine der Schlüsselfragen bei der finanziellen Realisierung der geplanten Unabhängigkeit dar.
Ende der 1970er Jahre war die schottische Schwerindustrie bereits am Boden, als Maggie Thatcher an die Macht kam und durch ihre erzkonservative Regierung die schottische Wirtschaft weiter gezielt benachteiligte. Ihre streng konservative Steuerpolitik führte letztlich sogar zu Aufständen und ihrem erzwungenen Rücktritt.
All dies und weitere Gründe wie die zunehmende Euro- und Fremdenfeindlichkeit in England (auch gegenüber Schotten) führte letztlich zu einem ausgeprägten Unabhängigkeitsdenken bei vielen Schotten, die ihr Schicksal wieder in die eigenen Hände legen wollen.
Also: auf zur Unabhängigkeit, kann man da nur hoffen?
So einfach ist es leider nicht. Denn eine Abspaltung Schottlands würde zahlreiche Konsequenzen nach sich ziehen, die nicht nur die Schotten betreffen.
Abgesehen davon, daß Bevölkerungsgruppen in anderen (EU-)Ländern (zB die Katalanen in Spanien) davon inspiriert werden könnten, würde sich auch die Machtverhältnisse im britischen Parlament weiter zugunsten konservativer Kräfte verschieben, da die mehrheitlich nicht-konservativen schottischen Abgeordneten wegfielen. Dies würde einen Austritt (Rest-)Großbritanniens aus der EU zusätzlich begünstigen.
Trotz einer gewissen Sympathie für die Interessen und Gefühle der Schotten muss ich als EU-Bürger, der gerade in Großbritannien (England) lebt, hoffen, daß die Unabhängigkeit nicht erreicht wird.
Die Zukunft der EU könnte davon abhängen.
Was denkt ihr darüber?
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