Der folgende Artikel stammt von Jürgen Hanefeld, dem Nahost-Korrespondenten der ARD und des WDR.
Bis vor zwei Wochen war der Mann in seiner Berichterstattung an Neutralität kaum zu überbieten (kann man auch bei anderen Artikeln von ihm nachlesen ). Aber mit den Ereignissen der letzten Tage änderte sich dies und er spricht mir aus der Seele.
"Kämpfe zerstören den Traum einer ganzen Generation. Für Libanesen ist das nicht bloß eine Feststellung. Es ist eine Hiobsbotschaft. Es zerschmettert die Träume und Visionen einer ganzen Generation, für die der Krieg bereits Geschichte war.
Seit Jahren war es immer nur bergauf gegangen! Im Mai 2000 zog sich Israel nach 22 Jahren der Besatzung endlich aus dem Süden des Landes zurück. Der Hoffnungsträger Rafik Hariri leitete als Premierminister die Liberalisierung der Wirtschaft ein. Nach seiner Ermordung ging das halbe Land auf die Straße und erzwang den Abzug der ungeliebten Schutzmacht Syrien sowie demokratische Wahlen.
Die Optimisten haben verlorenDie friedliche Zedern-Revolution wurde gefeiert - von Beirut bis nach Washington. Politiker aller Parteien arbeiteten - wenn auch mühsam - ihr Lastenheft ab. Der letzte große Stolperstein hieß: Entwaffnung der Hisbollah - im Gegenzug Frieden mit Israel. Nicht dieses Jahr, nicht nächstes, aber mit Beharrlichkeit und gutem Willen wird auch das gelingen, sagten die Optimisten. - Sie haben verloren.
Schlimmer, sie sind verraten worden! Denn der Überfall bestätigt die bereits in die Defensive gedrängten pro-syrischen Kräfte, die immer vor der Aggressivität, der "Chuzpe" ihres Nachbarn im Süden gewarnt haben. Vor der Gefahr, dass dem Abzug der syrischen Schutzmacht ein israelischer Militärschlag folgen könnte, ohne Ankündigung, ohne Vorwarnung und fast ohne Gegenwehr. Denn Libanons eigene Streitkräfte verfügen über kein einziges Flugzeug, und seine morsche Luftabwehr bereitet der größten Militärmaschine des Nahen Ostens wahrlich kein Problem.
Pro-syrischen Kräfte werden gestärktDer Angriff auf den in der Tat wehrlosen Libanon stärkt die pro-syrischen Kräfte, er stärkt Syrien und alle Araber, die den Judenstaat ohnehin ausradieren wollen. Er stärkt die Position des Iran gegenüber der arabischen Welt, weil er die von Teheran immer behauptete Gefährlichkeit Israels unter Beweis stellt. Und er stärkt natürlich zuallererst die Hisbollah.
Aber war sie es denn nicht, die "angefangen" hat? Richtig ist: Sie hat am Mittwoch zwei israelische Grenzposten verschleppt. Das ist kriminell. Überraschend aber war es nicht. Seit Wochen geht die israelische Armee mit äußerster Brutalität gegen die Palästinenser im Gaza-Streifen vor, angeblich auch, um einen gefangenen Soldaten zu befreien. Allein Dienstagabend mussten zwei Dutzend Zivilisten deshalb sterben.
Kampf gegen Hisbollah trifft ein ganzes Land. Die schiitische Hisbollah, die mit der im Süden agierenden Hamas ideologisch nicht viel zu tun hat, ist ihr mit ihrer eigenen Soldatenverschleppung beigesprungen. Das war nur eine Frage der Zeit. Zum früher üblichen Gefangenenaustausch aber kam es diesmal nicht. Denn für Israel war das der willkommene Anlass für den offenbar längst detailgenau geplanten Schlag gegen Libanon. Mag sein, dass sie tatsächlich nur die 5000 bis 10.000 Kämpfer der Hisbollah vernichten wollen. Aber sie nehmen dafür in Kauf, wie es der libanesische Premier ausdrückte, ein ganzes Land in Stücke zu schlagen. Dafür den Code-Namen "angemessener Preis" zu wählen, ist an Zynismus nicht zu überbieten.
Zu allem Unglück wird Libanon auch noch im Stich gelassen von - fast - aller Welt, die sich beinahe schon reflexhaft auf Israels Seite schlägt, weil es die amerikanische ist und Araber sowie kein Vertrauen verdienen. Der Mechanismus zeigt sich überdeutlich im Verhalten der Bundesregierung. Wegen der Entführung zweier Grenzposten, die ausgetauscht und keineswegs getötet werden sollen, zettelt Israel einen Krieg an, und Berlin rechtfertigt das mit Israels Recht auf "Selbstverteidigung". Verbietet die Geschichte den Deutschen wirklich jede Form von Kritik an der Regierung Israels, selbst wenn sie sich vor aller Welt als Kriegstreiber erweist? Muss Berlin den gesunden Menschenverstand an Paris delegieren, wo Präsident Chirac die Militäraktion immerhin als weit überzogen rügte?
Regierungen als Vermittler disqualifiziertDie deutsche Haltung, die der amerikanischen nachgeplappert scheint, disqualifiziert beide Regierungen für die Rolle des Vermittlers. Die EU ist nicht einig, die Arabische Liga traditionell handlungsunfähig und die Uno durch das Veto der USA blockiert. Der "Daily Star" aus Beirut titelt am Samstag: "Lebanese Brace for Long War" - die Libanesen machen sich auf einen langen Krieg gefasst."
Mehr kann und will ich dazu nicht sagen.
Bis vor zwei Wochen war der Mann in seiner Berichterstattung an Neutralität kaum zu überbieten (kann man auch bei anderen Artikeln von ihm nachlesen ). Aber mit den Ereignissen der letzten Tage änderte sich dies und er spricht mir aus der Seele.
"Kämpfe zerstören den Traum einer ganzen Generation. Für Libanesen ist das nicht bloß eine Feststellung. Es ist eine Hiobsbotschaft. Es zerschmettert die Träume und Visionen einer ganzen Generation, für die der Krieg bereits Geschichte war.
Seit Jahren war es immer nur bergauf gegangen! Im Mai 2000 zog sich Israel nach 22 Jahren der Besatzung endlich aus dem Süden des Landes zurück. Der Hoffnungsträger Rafik Hariri leitete als Premierminister die Liberalisierung der Wirtschaft ein. Nach seiner Ermordung ging das halbe Land auf die Straße und erzwang den Abzug der ungeliebten Schutzmacht Syrien sowie demokratische Wahlen.
Die Optimisten haben verlorenDie friedliche Zedern-Revolution wurde gefeiert - von Beirut bis nach Washington. Politiker aller Parteien arbeiteten - wenn auch mühsam - ihr Lastenheft ab. Der letzte große Stolperstein hieß: Entwaffnung der Hisbollah - im Gegenzug Frieden mit Israel. Nicht dieses Jahr, nicht nächstes, aber mit Beharrlichkeit und gutem Willen wird auch das gelingen, sagten die Optimisten. - Sie haben verloren.
Schlimmer, sie sind verraten worden! Denn der Überfall bestätigt die bereits in die Defensive gedrängten pro-syrischen Kräfte, die immer vor der Aggressivität, der "Chuzpe" ihres Nachbarn im Süden gewarnt haben. Vor der Gefahr, dass dem Abzug der syrischen Schutzmacht ein israelischer Militärschlag folgen könnte, ohne Ankündigung, ohne Vorwarnung und fast ohne Gegenwehr. Denn Libanons eigene Streitkräfte verfügen über kein einziges Flugzeug, und seine morsche Luftabwehr bereitet der größten Militärmaschine des Nahen Ostens wahrlich kein Problem.
Pro-syrischen Kräfte werden gestärktDer Angriff auf den in der Tat wehrlosen Libanon stärkt die pro-syrischen Kräfte, er stärkt Syrien und alle Araber, die den Judenstaat ohnehin ausradieren wollen. Er stärkt die Position des Iran gegenüber der arabischen Welt, weil er die von Teheran immer behauptete Gefährlichkeit Israels unter Beweis stellt. Und er stärkt natürlich zuallererst die Hisbollah.
Aber war sie es denn nicht, die "angefangen" hat? Richtig ist: Sie hat am Mittwoch zwei israelische Grenzposten verschleppt. Das ist kriminell. Überraschend aber war es nicht. Seit Wochen geht die israelische Armee mit äußerster Brutalität gegen die Palästinenser im Gaza-Streifen vor, angeblich auch, um einen gefangenen Soldaten zu befreien. Allein Dienstagabend mussten zwei Dutzend Zivilisten deshalb sterben.
Kampf gegen Hisbollah trifft ein ganzes Land. Die schiitische Hisbollah, die mit der im Süden agierenden Hamas ideologisch nicht viel zu tun hat, ist ihr mit ihrer eigenen Soldatenverschleppung beigesprungen. Das war nur eine Frage der Zeit. Zum früher üblichen Gefangenenaustausch aber kam es diesmal nicht. Denn für Israel war das der willkommene Anlass für den offenbar längst detailgenau geplanten Schlag gegen Libanon. Mag sein, dass sie tatsächlich nur die 5000 bis 10.000 Kämpfer der Hisbollah vernichten wollen. Aber sie nehmen dafür in Kauf, wie es der libanesische Premier ausdrückte, ein ganzes Land in Stücke zu schlagen. Dafür den Code-Namen "angemessener Preis" zu wählen, ist an Zynismus nicht zu überbieten.
Zu allem Unglück wird Libanon auch noch im Stich gelassen von - fast - aller Welt, die sich beinahe schon reflexhaft auf Israels Seite schlägt, weil es die amerikanische ist und Araber sowie kein Vertrauen verdienen. Der Mechanismus zeigt sich überdeutlich im Verhalten der Bundesregierung. Wegen der Entführung zweier Grenzposten, die ausgetauscht und keineswegs getötet werden sollen, zettelt Israel einen Krieg an, und Berlin rechtfertigt das mit Israels Recht auf "Selbstverteidigung". Verbietet die Geschichte den Deutschen wirklich jede Form von Kritik an der Regierung Israels, selbst wenn sie sich vor aller Welt als Kriegstreiber erweist? Muss Berlin den gesunden Menschenverstand an Paris delegieren, wo Präsident Chirac die Militäraktion immerhin als weit überzogen rügte?
Regierungen als Vermittler disqualifiziertDie deutsche Haltung, die der amerikanischen nachgeplappert scheint, disqualifiziert beide Regierungen für die Rolle des Vermittlers. Die EU ist nicht einig, die Arabische Liga traditionell handlungsunfähig und die Uno durch das Veto der USA blockiert. Der "Daily Star" aus Beirut titelt am Samstag: "Lebanese Brace for Long War" - die Libanesen machen sich auf einen langen Krieg gefasst."
Mehr kann und will ich dazu nicht sagen.
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