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Gibt es heute noch Klassen?

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    #31
    Kurz meine Meinung zum Thema Klassen.

    Gibt es noch Klassen? Gibt es in unserer Gesellschaft noch Gruppen von Menschen, die aufrund von Besitzverhältnissen an Produktionsmitteln eine fundamental unterschiedliche Rolle im Produktionsprozess spielen?

    Ich wüsste nicht, wie man es verneinen könnte, hier scheint es aber auch keine Unstimmigkeiten zu geben .

    Nun zur Debatte rund um den "Mittelstand".

    In den frühen 20er tendierten grosse Teile der Mittelschichten zu den Arbeiterparteien. 1933 bildeten sie die Basis für die Nazis und machten sich im Endeffekt damit zum Werkzeug für die Durchsetzung der Interessen der Kapitalisten (Zerschlagung der Arbeiterparteien, Eroberungspolitik)
    Das waren keine "Mittelschichten", das war das Kleinbürgertum, also Menschen, die ihre Produktionsmittel selbst besaßen, aber auch maßgelbich selbst in der produktiven Arbeit tätig waren und daraus und nicht nur durch Mehrwertakkumulation teilweise ihren Lebensunterhalt bestritten. Diese Klasse macht heute nur 2-3% der Bevölkerung aus (das sind Ärzte mit eigener Praxis, Anwältinnen mit eigener Kanzlei und Kleinbauern), damals waren es erheblich mehr (so ca. 40%, grob geschätzt).

    Der Grund, warum das Kleinbürgertum in zu Beginn der 20er revolutionär war, war der, dass sie selbst aufgrund der Krise im Kapitalismus keine Zukunft sahen, durch das Großkapital bedroht waren, es klar war, dass sich libarale Ideale wie z.B. im Anarchismus in der imperialistischen Welt nicht bewahrheiten können oder nicht so toll enden und der Sozialismus eine attraktive Alternative war.
    In den 30er waren sie hauptsächlich auf Seiten der Reaktionären, weil sie Angst vor sozialem Abstieg haben und die ArbeiterInnenparteien ihre Chance vertan hatten.

    Der Punkt ist: Die Kleinbürgerlichen handelten aus Klasseninteresse, was die "Mittelschicht" heute nicht tut, weil sie keine Klasse ist. Ihre Position erwächst aus den Privilegien, die ihnen die Kapitalisten zugestehen, weil sie ohne Kollaboration ihr System nicht halten können. Ich würde die Bezeichnung Arbeiteraristokratie wählen.

    Daneben sei gesagt: Eine Arbeiteraristokratie gab es auch in zu Beginn des letzten Jahrhunderts als von den Interessen des Kleinbürgertums unabhängiges Phänomen. Die Privilegisierung von Teilen der ArbeiterInnenklasse, besonders Partei- und Gewerkschaftsmitglieder, trug wesentlich zur Degeneration der 2. Internationalen bei und besiegelte den Verrat der Führungen der Massenparteien in den revolutionären Situationen in Deutschland und Österreich 1918-1919.

    Zur zweiten Debatte, Humankapital als produziertes Produktionsmittel.

    Hier wurde behauptet, dass Proletarier nicht mehr ihre Arbeit sondern ihr Humankapital verkaufen, weil sie seit der Industriellen Revolution viel mehr Bildung für ihre Tätigkeit benötigen. Aber dass die Arbeitskraft einer Arbeiterin produziert werden muss, war schon immer so. Das ist nicht nur Bildung (dieser Faktor hat in den letzten Jahrzehnten immens zugenommen) sondern auch die sogenannte reproduktive Arbeit, die auch in unserer Gesellschaft hauptsächlich von Frauen geleistet wird und das Kochen, Wäsche machen und einen entspannende Lebensraum schaffen umfasst.
    "This country, with its institutions, belongs to the people who inhabit it. Whenever they shall grow weary of the existing government, they can exercise their constitutional right of amending it, or exercise their revolutionary right to overthrow it." - Abraham Lincoln

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      #32
      @Dunderdon: Beschäftigst du dich mit dieser Materie?

      Stimmt, man sollte Mittelstand nicht mit Mittelschicht verwechseln. Passiert mir manchmal.

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        #33
        Klassenunterschiede, fördert schon unsere Gewerkschaften, Tarifgebiet Ost und West. Hier ist die Frage: "Bin ich weniger Wert als mein Kollege aus den Westen?!" Thüringen hat laut Statistik die am höchsten Energiekosten. Warum? Weil wir im Osten weniger Geld bekommen.
        ! Planet Thüringia ein Besuch lohnt sich !
        " Die Götter sind Außerirdische!"
        Mache das Beste aus deiner Vergangenheit!
        Thüringen das Grüne Herz Deutschlands.

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          #34
          Das gehört zwar strenggenommen nicht hierher, aber trotzdem: Auf die Gefahr wie der arrogante Wessi zu klingen - die ostdeutsche Wirtschaft ist auch weniger produktiv. Wie du sicher mitbekommen hast ist der IGM-Streik, der auch im Osten die 35-Stunden-Woche einführen wolle, erbärmlich gescheitert. Sicher sind Anpassung und gleiche Lebensverhältnisse extrem wünschenswert, und ungleicher Lohn für gleiche Arbeit prinzipiell Ungerecht, aber in den anderen vormaligen Ostblock-Ländern verdienen die Menschen noch viel weniger für die gleiche Arbeit - die hatten einfach nicht das Glück "Deutschland zu sein", aber die wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten waren ansonsten recht groß.

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            #35
            Zitat von Jack Crow
            Das gehört zwar strenggenommen nicht hierher, aber trotzdem: Auf die Gefahr wie der arrogante Wessi zu klingen - die ostdeutsche Wirtschaft ist auch weniger produktiv. Wie du sicher mitbekommen hast ist der IGM-Streik, der auch im Osten die 35-Stunden-Woche einführen wolle, erbärmlich gescheitert. Sicher sind Anpassung und gleiche Lebensverhältnisse extrem wünschenswert, und ungleicher Lohn für gleiche Arbeit prinzipiell Ungerecht, aber in den anderen vormaligen Ostblock-Ländern verdienen die Menschen noch viel weniger für die gleiche Arbeit - die hatten einfach nicht das Glück "Deutschland zu sein", aber die wirtschaftlichen Gemeinsamkeiten waren ansonsten recht groß.
            Na ja, du musst jetzt aber bedenken, dass in den anderen Ländern auch die Lebenshaltungskosten eventuell niedriger sind.
            Ich glaube auch, dass wenn die DDR als eigenständiger Staat überlebt hätte, sie auch nicht schlechter dastehen würde als Tschechien oder die Slowakei, die ja eigentlich auf einem recht guten Weg sind. Immerhin war die DDR ja mal das wirtschaftlich stärkste Land im ehemaligen Ostblock. Das mit dem Glück Deutschland zu sein, ist halt so 'ne Sache.
            ...und ich hoffe, dass ich jetzt nicht wie ein undankbarer Ossi klinge.

            Gruß, succo
            Ich blogge über Blogger, die über Blogger bloggen.

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              #36
              Zitat von Dunderdon
              Das waren keine "Mittelschichten", das war das Kleinbürgertum, also Menschen, die ihre Produktionsmittel selbst besaßen, aber auch maßgelbich selbst in der produktiven Arbeit tätig waren und daraus und nicht nur durch Mehrwertakkumulation teilweise ihren Lebensunterhalt bestritten. Diese Klasse macht heute nur 2-3% der Bevölkerung aus (das sind Ärzte mit eigener Praxis, Anwältinnen mit eigener Kanzlei und Kleinbauern), damals waren es erheblich mehr (so ca. 40%, grob geschätzt).
              Als Kleinbürgertum wurde aber auch eine sehr heterogene Mischung aus alten Klassen des Feudalismus bezeichnet, z.B. Handwerker, Bauern. In 'The Nazis, Capitalism and the Workung Class" von Donny Gluckstein, London, 1999 gibt es für die Wahl im Juli 1932 folgende Aufteilung: 48% Arbeiter, 18% "Neue Mittelklasse" und 32% "Alte Mittelklasse". Die soziale Zusammensetzung der Wähler der NSDAP war: 39% Arbeiter, 19% "Neue Mittelklasse" und 42% "Alte Mittelklasse, also überproportional Angehörige der "Alten Mittelklasse" (bei der sozialen Zusammensetzung der NSDAP selbst ist es noch deutlicher). Hier sind mit "Alte Mittelklasse" eben die Reste von Klassen aus dem Feudalismus gemeint, also das klassische Kleinbürgertum. Mit "Neue Mittelklasse" sind höhere Angestellte gemeint, also abhängig-beschäftigte Menschen mit erhebliche Privilegien, also was du als "Arbeiteraristrokratie" bezeichnen würdest. Wurde diese Bezeichnung nicht früher für Schichten der Arbeiterklasse verwendet, die meist schon noch Klassenbewusstsein hatten, aber wegen ihrer Privilegien konservativ wurden? Z.B. wurden organisierte Industriearbeiter so bezeichnet, die aber der entscheidende Kern der Revolutionen 1917-23 waren und auch z.B. in den 60ern in Frankreich und Italien bei den Streiks und Fabrikbesetzungen eine entscheidende Rolle spielten. Warum meinst du, dass es Sinn macht, privilegierte Angestellte als "Arbeiteraristrokratie" zu bezeichnen? Weil sie auch Angestellte sind? Ihnen auch sehr leicht der soziale Abstieg droht?

              Ich bin eben der Meinung, dass es sich bei den Mittelschichten (auch dem Kleinbürgertum) nicht um Klassen mit gemeinsamen Klasseninteressen handelt, sondern um sehr heterogene Schichten, die sich einmal an der Arbeiterklasse, dann an den Kapitalisten orientieren oder gleich meinen, dass sie die Interessen der Allgemeinheit vertreten würden (und es keine Klasse mehr gäbe). Aufgrund ihrer sozialen Position sind die Mittelschichten besonders anfällig für Nationalismus und Rassismus, weil sie eben - im Gegensatz zu Kapitalisten und Arbeitern - keine Klasseninteressen formulieren können und deshalb sich anderer Ideologien bedienen. Aber im wesentlichen bestehen wohl keine Meinungsunterschiede zwischen meinen und deinen Aussagen.
              Zitat von Kay
              Klassenunterschiede, fördert schon unsere Gewerkschaften, Tarifgebiet Ost und West.
              Zwichen Arbeitern in Ost und West gibt es keine Klassenunterschiede, sondern die Gewerkschaften konnten bisher nicht durchsetzen, dass die Beschäftigen im Osten die gleichen Löhne erhalten und die Lohnunterschiede sind teilweise sogar grösser geworden. Es ist das klassische Problem von "Teile und Herrsche". Die Herrschenden versuchen die Arbeiterklasse zu spalten (z.B. nach Nationalität, aber auch eben nach alten und neuen Bundesländern), um sie so besser ausbeuten zu können. Ein Problem dabei sind aber auch die Gewerkschaften selbst, z.B. als westdeutsche Betriebsräte den Streik für die 35-Stunden-Woche im Osten bewusst sabotierten und damit zum Scheitern brachten. Das lag aber nicht an der geringeren Produktivität im Osten, da neue Werke sicher eine höhere Produktivität aufweisen, als westdeutschen Werke (z.B. Opel in Eisenach). Das lag einfach daran, dass diese Betriebsräte als heutige SPDler nur noch in Standortkriterien denken und sich nicht mehr als Vertreter der Arbeiter sehen, sondern als Komanager, als verlängerter Arm der Personalabteilung. Also daran, dass diese SPDler die Teilung der Arbeiterklasse akzeptieren, statt sich für ihre Einheit einzusetzen.
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