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Gruftie Brandt und der Geburtstag der SPD

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    Gruftie Brandt und der Geburtstag der SPD

    Jedesmal wenn ich bei einer Pressekonferenz in der Berliner SPD-Zentrale diese Gruftie-Statue von Willy Brandt sehe, muss ich an den Spruch von Rosa Luxemburg denken, dass die SPD zu einem "stinkenden Leichnam" geworden sei. Bei der Feier zum 140sten Geburtstag der SPD war aber dann ausgerechnet Rosa Luxemburg mit auf der Ahnenreihe, die hinter Schröder stand. Es ist schon krass, wie diese Partei immer weiter degeneriert. Für die Verhinderung einer Wahlniederlage in Bremen musste sogar die Partei und natürlich die Bundesregierung verleugnet werden. Hier mal Auszüge aus einem Artikel zum Geburtstag der SPD:
    Vor 130 Jahren konnte Bismarck weder mit Zuckerbrot noch mit Peitsche in Form von Sozialistengesetz und Sozialreformen den Aufstieg der SPD verhindern. Nun schafft ein sozialdemokratischer Kanzler Schritt für Schritt die gesetzlichen Sozialversicherungen ab und leitet damit das Endstadium einer langen politischen Degeneration der eigenen Partei ein.
    [...]
    In einer Festrede am Donnerstag Abend erklärte Parteichef Schröder feierlich, die Agenda 2010 stände in "bester sozialdemokratischer Tradition". Wohl wahr! Seit sich der Opportunismus vor knapp neunzig Jahren in dieser Partei durchsetzte, ist sie immer den Weg des geringsten Widerstands gegangen und hat dabei den reaktionärsten gesellschaftlichen Kräften Vorschub geleistet.

    Heute ist es wieder so. Die geplanten Sozialkürzungen und die Art und Weise, wie die sozialdemokratische Führung mit Partei und Parlament umspringt, stärken und ermutigen die Rechten in CDU/CSU und FDP. Die Situation erinnert an die zwanziger und dreißiger Jahre. Damals hat die Regierung des Sozialdemokraten Hermann Müller mit ihrer unsozialen Politik dem Zentrumspolitiker Heinrich Brüning den Weg geebnet, der dann mit Notverordnungen regierte und zum Steigbügelhalter der Hitler-Diktatur wurde. Schon damals war klar, dass sich die von der SPD eingeleitete Abschaffung und Einschränkung sozialer, demokratischer und parlamentarischer Rechte am Ende auch gegen die SPD selbst richtet.

    Doch diese Partei hat längst verlernt, aus der Geschichte Lehren zu ziehen, oder die politischen Konsequenzen ihrer Angriffe auf soziale und demokratische Rechte zu bedenken.
    [...]
    Selten zuvor hat sich eine Regierung derart offensichtlich und schamlos zum Büttel der Reichen gemacht - und immer mit dem Argument: Man kann nichts anderes machen.

    Der Gegensatz zu den Gründerjahren der SPD könnte krasser nicht sein. Damals, im Kaiserreich, waren die gesellschaftlichen Verhältnisse weitaus schlechter, aber die Antwort der frühen Sozialdemokraten war der heutigen entgegengesetzt. Sie lautete: Es muss etwas getan werden! Gewaltiger Optimismus und die Überzeugung, dass die politische und kulturelle Bildung der Massen den Schlüssel zu einer besseren und gerechteren Gesellschaft darstellt, inspirierten die politischen Initiativen des jungen August Bebel und anderer Sozialisten der ersten Stunde.
    Quelle
    Die SPD steht mit dieser Entwicklung nicht alleine da. Vor ein paar Jahren war noch fast ganz Europa von Sozialdemokraten regiert, während heute fast überall die Konservativen regieren. Dies ist kaum ein Zeichen für einen Rechtsschwenk, sondern um sich greifende Frustration wegen fehlender Alternativen nach dem Rechtsschwenk der Sozialdemokraten. Das jüngstes Beispiel ist der nicht gerade überwältigende Sieg der Sozialisten in der spanischen Kommunalwahl, obwohl Aznar wegen der Unterstützung des Überfalls auf den Irak, seiner Sozialpolitik und dem Versagen der Regierung bei dem Untergang des Tankers Prestige verhasst ist.
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    #2
    Dies ist kaum ein Zeichen für einen Rechtsschwenk, sondern um sich greifende Frustration wegen fehlender Alternativen nach dem Rechtsschwenk der Sozialdemokraten.
    Ich glaube du vertauschst Ursache und Wirkung... die Sozis sind ja nicht aus Lust und Laune über die Mitte hinaus gewandert, sondern weil die "linken" Rezepte an der momentanen Lage auch nichts ändern können.
    Leere Kassen lassen sich nicht durch Wunder wieder füllen.

    Das ist jetzt kein Freibrief, es muss auf jeden Fall etwas getan werden, aber dafür muss man auch mal Kompromisse finden können und nicht nach einer Seite hin auspendeln. Weder links noch rechts ist das Wahre. (wobei Mitte jetzt nicht als politische Richtung sondern als Treffpunkt zwischen beiden Arten von Konzepten verstanden werden soll. Die sogenannte politische "Mitte" ist dazu ja auch nicht zu fähig...) Wie überall in der Natur muss ein Gleichgewicht gefunden werden oder es gibt ernste Konsequenzen (die schon teilweise spürbar sind in der Haushaltslage).

    Und das falscheste was jetzt getan werden kann sind übereilte Sofort-Lösungen, da muss endlich mal vernünftig überlegt werden... (Wunschdenken? mag sein)
    »We do sincerely hope you'll all enjoy the show, and please remember people, that no matter who you are, and what you do to live, thrive and survive, there are still some things that make us all the same. You, me, them, everybody!«

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      #3
      Original geschrieben von Sternengucker
      die Sozis sind ja nicht aus Lust und Laune über die Mitte hinaus gewandert, sondern weil die "linken" Rezepte an der momentanen Lage auch nichts ändern können.
      Wann hat die SPD linke Rezepte verwendet? Unter Schröder sicher nie. Die letzten keynesianistischen Massnahmen führte die Regierung Schmidt zu Beginn ihrer Regierungszeit durch und diese waren auch keine Massnahmen, wie die damalige reformistische Linke den Keynesianismus auslegte, sondern die keynesianistische Auslegung der Bürgerlichen. Der Grund für den Rechtsschwenk der SPD kann also nicht das Versagen linker Politik sein, da diese von der SPD überhaupt nicht vertreten wird und zwar schon seit Jahrzehnten (oder besser fast ein Jahrhundert).
      Leere Kassen lassen sich nicht durch Wunder wieder füllen.
      Aud Wunder hoffen vielleicht die Anhänger der Marktwirtschaft, die ja auch von der unsichtbaren Hand des Marktes und anderen religiösen Dingen reden. Das Problem bei der SPD ist, dass sie erst durch ihre Steuerreformen mitgeholfen hat, dass die Kassen leer sind. Und dass sie heute nicht daran denkt, die Steuern für die Reichsten und Grosskonzerne wieder auf ein normales Mass zu erhöhen. Im Gegenteil weitere Steuersenkungen für diese Klientel ist geplant, wodurch die Haushaltsprobleme noch grösser werden. Die Reformen im Sozialbereich werden dazu wahrscheinlich die Arbeitslosigkeit erhöhen und damit die Probleme erneut verschärfen.
      Wie überall in der Natur muss ein Gleichgewicht gefunden werden oder es gibt ernste Konsequenzen
      Gleichgewicht? Die Politik der SPD - wie der der Grünen, FDP, Union - strebt aber kein Gleichgewicht zwischen den Interessen der Wirtschaftsbosse und der der Arbeiter und Angestellten an, sondern greift alleine den Lebensstandard und die Rechte der Arbeiter und Angestellten an. Ein Ausgleich ist angesichts der wirtschaftlichen Entwicklung wirklich eher Wunschdenken. Die Frage ist heute, auf welche Seite stellt man/frau sich? Und die SPD hat sich entschieden sich auf die Seite der Bosse und damit gegen die Mehrheit in der BRD zu stellen.
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        #4
        Vielleicht nicht die beste Threadüberschrift für das Thema, aber doch immerhin der einzige, der sich auf das heutige Geburtstags"kind" bezieht.

        Herbert Frahm, wie Willi Brandt eigentlich hieß, wäre heute 100 Jahre alt geworden. Er war der einzige Bundeskanzler, der im Dritten Reich von Anfang an auf der richtigen Seite stand und deshalb auch ins Exil musste. Genau das aber wurde ihm von der politischen Konkurrenz immer wieder vorgeworfen. Dort hat man ja auch gerne mal NSDAP-Leute recycelt und SS-Männer in Staatsämter gehoben.

        Was haltet ihr von ihm?
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          #5
          Zitat von Spocky Beitrag anzeigen
          Vielleicht nicht die beste Threadüberschrift für das Thema, aber doch immerhin der einzige, der sich auf das heutige Geburtstags"kind" bezieht.

          Herbert Frahm, wie Willi Brandt eigentlich hieß, wäre heute 100 Jahre alt geworden. Er war der einzige Bundeskanzler, der im Dritten Reich von Anfang an auf der richtigen Seite stand und deshalb auch ins Exil musste.
          Konrad Adenauer war von Anfang an ein erklärter Gegner des Nationalsozialismus und wurde in die innere Immigration gezwungen. Das wird gerne als "Rosenzüchten" bagatellisert, aber dass SPD-Politikern wie Brandt die Konzentrationslagerhaft drohte und den meisten Zentrums-Politikern nicht, ist weder das persönliche Verdienst des einen noch des anderen.

          Was Brandt konkret vorgeworfen wurde, war nicht seine widerständische Haltung, sondern die Tatsache, dass er das Land verließ und "im Stich ließ". Kurt Schumacher z.B. entschied sich dazu, in Deutschland zu bleiben und bezahlte dafür letztendlich mit seinem Leben. Natürlich haben Leute von Strauß' Kaliber das Exil Brandts oder das Exil Wehners maßlos überzeichnet.

          Genau das aber wurde ihm von der politischen Konkurrenz immer wieder vorgeworfen. Dort hat man ja auch gerne mal NSDAP-Leute recycelt und SS-Männer in Staatsämter gehoben.
          Nicht nur "dort", sondern auch bei den politischen Freunden Brandts. Die SPD-Ministerpräsidenten in Trizonien haben sich nicht anders verhalten als ihre bürgerlichen Kollegen. Freilich haben Fälle wie Globke die Erinnerung besonders geprägt. Die Wiederverwendung von belasteten Experten begann aber unmittelbar nach Beendigung der Kriegshandlungen, also im April/Mai 1945.

          Ganz abgesehen davon wäre der Wiederaufbau Westdeutschlands ohne die Mitwirkung ehemaliger Mitglieder der NSDAP nicht möglich gewesen. Adenauer meinte mal: wenn man kein sauberes Wasser zum Kochen hat, kocht man eben mit schmutzigem. Eine pragmatische Haltung, von der wir noch heute profiterien.

          Es ist nicht einfach nur so, dass die "Aufarbeitung" der NS-Zeit politisch nicht gewollt wurde, wie es heute gerne heißt. Sie war praktisch nicht möglich. Wenn man in einer Diktatur lebt, wird man irgendwann schmutzig, denn aus dem "Bösen" entsteht gemeinhin nicht viel "Gutes", auf das mal später aufbauen kann.

          Und wenn alle mehr oder minder schmutzig sind, lässt sich die Spreu nicht mehr vom Weizen trennen. Die NSDAP hatte am Ende 8. Mio. Mitglieder. Ohne diese Menschen wäre es nicht gegangen und es wäre auch nicht gegangen, wenn man so viele Menschen ausschließt.

          Und wenn man sich Ratzinger oder Grass anschaut, denen 50 Jahre später vorgeworfen wird, dass sie mit 13 oder 15 in die NSDAP bzw. einer ihrer Gliederungen eingetreten oder Flakhelfer gewesen seien, dann ist das nur noch grotesk und lässt jegliches Verständnis für das Leben in einer Diktatur vermissen.
          (Helmut Kohl war 1933 3 Jahre alt, Helmut Schmidt 15 oder 16. Möchtest du denen wirklich vorwerfen, dass die nicht ins Exil gegangen sind? ).

          Südafrika hat daraus eine Lehre gezogen und deswegen nach Ende der Apartheit mit den "Wahrheitskommissionen" einen anderen Weg beschritten und gar nicht erst versucht, Richter und Staatsanwälte einzuschalten oder politisch zu "säubern".

          Was haltet ihr von ihm?
          Brandt gehört natürlich zu den prägendsten Persönlichkeiten der Geschichte der BRD. Als er Kanzler wurde, holte er zum einen nach, was unter der CDU-Dauerregierung liegen geblieben war. "mehr Demokratie wagen"... Möglich wurde dies natürlich auch durch einen Generationswechsel und die Protestwelle der "68er", die es in vielen Ländern gab, die aber überall unterschiedliche Vorzeichen hatte.

          Zum anderen leitete er eine Neuorientierung der Außenpolitik ein, die innenpolitisch im Wahlkampf 1972(?) eine der größten Mobiliserungen der Menschen auslöste, die es nach 1945 gegeben hat. "Willy wählen!" Damals haben die Vertriebenenverbände noch eine ganz andere Rolle gespielt als heute. Der Kniefall Brandts ist einer der ganz großen Momente des 20. Jahrhunderts und
          Aus diesen Gründen ist er natürlich unvergessen.

          Dass wir heute Leute wie Brandt, Wehner, Adenauer, Strauß etc. pp. stärker als politische Charakterköpfe wahrnehmen, liegt aber auch daran, dass es damals noch wirkliche Konfliktlinien gab. Die fehlen nach dem Ende des Kalten Krieges, zudem werden Politiker heute viel zu sehr von ihren Beratern in Form gebracht. Da muss man sich nur Frau Merkel ansehen. Ich weiß nicht, wieviel Geld ihr Berater bekommen haben mag, als er ihr die Handhaltung empfahl, er war es aber wohl wert.

          Letztendlich habe beide, Adenauer und Brandt auf ihre Weise wichtige Weichen gestellt und die erfolgreiche Entwicklung der BRD ermöglicht.
          Zuletzt geändert von endar; 19.12.2013, 00:18.
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            #6
            Leere Kassen? Es gibt doch ein Übermaß an Steuereinnahmen und es wird angefangen, Schulden abzubauen.

            Es ließe sich natürlich noch einiges sparen, z.B. an den Kosten für Gerichtsverfahren vor dem Sozialgericht und beim Verwaltungsapparat der Jobcenter. Indem man einfach das Existenzminimum nicht mehr rechtswidrig kürzt. Was da eingespart werden könnte...

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              #7
              Zitat von endar Beitrag anzeigen
              Konrad Adenauer war von Anfang an ein erklärter Gegner des Nationalsozialismus und wurde in die innere Immigration gezwungen. Das wird gerne als "Rosenzüchten" bagatellisert, aber dass SPD-Politikern wie Brandt die Konzentrationslagerhaft drohte und den meisten Zentrums-Politikern nicht, ist weder das persönliche Verdienst des einen noch des anderen.
              Das mit dem einzigen Kanzler auf der von Anfang an auf der richtigen Seite stand hab ich jetzt ungeprüft aus dem Spiegel von letzter oder vorletzter Woche übernommen, weil ich davon ausgegangen bin, dass die das recherchiert haben.

              Was Brandt konkret vorgeworfen wurde, war nicht seine widerständische Haltung, sondern die Tatsache, dass er das Land verließ und "im Stich ließ". Kurt Schumacher z.B. entschied sich dazu, in Deutschland zu bleiben und bezahlte dafür letztendlich mit seinem Leben. Natürlich haben Leute von Strauß' Kaliber das Exil Brandts oder das Exil Wehners maßlos überzeichnet.
              Nunja, was ist wohl besser, Exil oder Tod?

              Und wenn man sich Ratzinger oder Grass anschaut, denen 50 Jahre später vorgeworfen wird, dass sie mit 13 oder 15 in die NSDAP bzw. einer ihrer Gliederungen eingetreten oder Flakhelfer gewesen seien, dann ist das nur noch grotesk und lässt jegliches Verständnis für das Leben in einer Diktatur vermissen.
              (Helmut Kohl war 1933 3 Jahre alt, Helmut Schmidt 15 oder 16. Möchtest du denen wirklich vorwerfen, dass die nicht ins Exil gegangen sind? ).
              Natürlich nicht. Es geht hier nur um Leute, die politisch mündig, also volljährig waren.

              Kiesinger war seit 1933 in der NSDAP, war im Ausenministerium unter von Ribbentrop zuständig für den Austausch mit dem Propagandaministerium unter Goebbels. So jemanden nur als schmutziges Wasser zu bezeichnend halte ich doch für sehr vorteilhaft ausgedrückt

              Dass wir heute Leute wie Brandt, Wehner, Adenauer, Strauß etc. pp. stärker als politische Charakterköpfe wahrnehmen, liegt aber auch daran, dass es damals noch wirkliche Konfliktlinien gab. Die fehlen nach dem Ende des Kalten Krieges, zudem werden Politiker heute viel zu sehr von ihren Beratern in Form gebracht. Da muss man sich nur Frau Merkel ansehen. Ich weiß nicht, wieviel Geld ihr Berater bekommen haben mag, als er ihr die Handhaltung empfahl, er war es aber wohl wert. .
              Welche Handhaltung? Die "Mäusefäustchen"?

              Merkel kommt in der Focus-Umfrage, die ich zitiert hab auch am schlechtesten Weg, da steht bei ihr als einziger eine 4 vorm Komma.
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                #8
                Zitat von Spocky Beitrag anzeigen
                Das mit dem einzigen Kanzler auf der von Anfang an auf der richtigen Seite stand hab ich jetzt ungeprüft aus dem Spiegel von letzter oder vorletzter Woche übernommen, weil ich davon ausgegangen bin, dass die das recherchiert haben. (...)
                Vielleicht haben die das im Focus gelesen? Klingt ja auch nett, stimmt aber nicht und ist sehr simplifizierend. So einfach ist das nicht.

                Selbstverständlich war die Absicht Schumachers nicht, in den Tod zu gehen. Seine Alternative war: Flucht oder Widerstand?

                Leute wie Schumacher und viele andere auch haben Hitler für eine vorübergehende Erscheinung gehalten, die in ein, zwei Jahren vorüber wäre. Die Demokratie war bereis 1930 faktisch abgeschafft und die Maßnahmen der Regierung Hitler/Papen lagen noch von einer Vorgängerregierung vor. Sie wurden deshalb auch "Schubladenverordnung" genannt.

                Schumacher wurde verhaftet und blieb bis 1945 in Haft, die vollen zwölf Jahre. Das hat er sich sicher anders gedacht. Er starb 1952 an den Spätfolgen der Haft.

                Der Vorwurf an Leute wie Brandt, Thomas Mann, Marlene Dietrich lautete, dass sie es sich hätten im Ausland gutgehen lassen, während die armen Deutschen die Bombennächte ertragen hätte. Das ist natürlich auch simplifizierend gewesen.

                Brandt ist auch nicht einfach ins Exil gegangen, sondern hat dies im Auftrag einer linken Gruppe (wie auch immer) der SPD getan. Hätte er einen anderen Auftrag erhalten, wäre er vielleicht auch in Deutschland geblieben. Was hätte der Spiegel dann geschrieben?

                Kiesinger war seit 1933 in der NSDAP
                Ein sog. "Märzgefallener", wie es Millionen gegeben hat. Wenn du als Jurist nicht in die NSDAP eingetreten bist, hattest du im mindesten große berufliche Nachteile zu erwarten. Und wenn du nicht in die NSDAP wolltest, musstest du der SA beitreten, was heute im Spiegel und Co dann als "noch schlimmer" beurteilt wird.

                1933 wollten so viele Menschen in die NSDAP eintreten, dass ein Aufnahmestopp verhängt wurde. Das waren natürlich nicht alles begeisterte Nazis, das waren auch viele Karrieristen. Es ist etwas anderes mit den "alten Kämpfern", die 1932 und früher beigetreten waren.

                Auf der anderen Seite gab es viele Nazis, die nicht die NSDAP eingetreten sind. Katholiken z.B. traten seltener in Organisationen ein, waren aber deswegen nicht weniger begeistert oder Anhänger des "Führers".

                , war im Ausenministerium unter von Ribbentrop zuständig für den Austausch mit dem Propagandaministerium unter Goebbels. So jemanden nur als schmutziges Wasser zu bezeichnend halte ich doch für sehr vorteilhaft ausgedrückt
                Kiesinger war ein Karrierist. Wie Millionen andere auch. Zudem wurde Kiesinger seine Vergangenheit während seiner Kanzlerschaft auch gehörig um die Ohren gehauen.

                Die Formulierung ist ein wenig rheinländisch trocken, aber so ist es aber nunmal gewesen.

                Nochmal: Wenn man 1945 die ehemaligen Mitläufer oder Funktionsträger etc. pp. ausgeschlossen hätte, hätte es a) an Experten gefehlt, die das Land wieder aufbauen und b) man hätte auf Dauer dauerhaft rund 8. Mio Menschen ausgeschlossen, die alles, was der Staat macht, torpediert hätte. Und nicht nur diese 8 Mio. Mitglieder, sondern auch deren Kinder.

                Das ist die Situation gewesen, mit der die neuen Funktionsträger 1945 umgehen mussten. Die Erfahrung des Krieges hat die Deutschen zudem sehr zusammenrücken lassen.

                Dann hätte es kein Wirtschaftswunder gegeben, sondern Bürgerkrieg in Trümmern. Der Nazismus wäre auch nicht ausgestorben und Parteien wie die SRP hätten nicht 40.000 Mitglieder, sondern das Zigfache dessen gehabt. Kein Frieden in Mitteleuropa, keine europäische Einigung.

                Man hätte noch nichteinmal ein funktionierendes Gerichtswesen aufbauen können, ohne auf alte NDSAP Mitglieder zurückzugreifen.

                Wenn man sich natürlich auf eine einzelne Person konzentiert, dann kommt es nicht auf diese Person an, aber es ging um Millionen von Menschen. Es blieb gar nichts anderes übrig, als die Leute mit ins Boot zu nehmen, mitzunehmen und für die Demokratie zu gewinnen und wenn sie, dann wenigstens ihre Nachkommen.

                Mit Ausnahme derjenigen, die in der DDR geboren und dort auch noch sozialisiert worden sind, sind wir alle in einer sicheren, heilen, satten Demokratie aufgewachsen und standen niemals vor der Situation für unsere Überzeugungen wirklich gegen einen Unrechtsstaat einstehen zu müssen und Arbeitslosigkeit, politische Verfolgung o.ä. in Kauf nehmen zu müssen. Bürgerrechte, Schutzrechte vor dem Staat, das ist für uns alles selbstverständlich. Deswegen fällt es auch so leicht, rückwirkend zu kritisieren. Materiell gesehen können wir - und Europa - aber sehr froh sein, dass es so war.

                Welche Handhaltung? Die "Mäusefäustchen"?

                Merkel kommt in der Focus-Umfrage, die ich zitiert hab auch am schlechtesten Weg, da steht bei ihr als einziger eine 4 vorm Komma.
                Hat sie mehr als eine Handhaltung?
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                  #9
                  Was bei Brandt so sehr beeindruckt ist eben die Tatsache - oder zumindest geglaubte Tatsache - dass er nicht einfach nur Kanzler geworden ist um Kanzler zu sein und seiner politischen Karriere das Sahnehäubchen aufzusetzen, sondern dass er das Amt angestrebt hat, um sein großes politisches Ziel, die Einheit Deutschlands, zu erreichen. Der Mann hatte eben echte Visionen (auch wenn sein Nachfolger da ja weniger begeistert von war ) und hat für sie auch gegen massiven Widerstand eingestanden und sich letztlich durchgesetzt.

                  Das unterscheidet ihn einfach von den letzten drei Kanzlern, bei denen einfach nicht klar ist, was die in dem Amt eigentlich wollten oder wollen, außer sich selbst verwirklichen.

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                    #10
                    @ endar: Es wurde in dem Bericht auch gesagt, dass er im Auftrag ins Exil ging, sogar dass er nur der Ersatzmann war und er eigentlich nur jemandem dabei helfen sollte. das ändert aber nichts am Grundtenor. Es ging ja nur darum, dass er im Widerstand war von Anfang an. Vielleicht hat man Adenauers Haltung deshalb im Spiegel auch eher als neutral angesehen, als auf Widerstand.

                    Sorry, aber die ganzen Karrieregeeilen sind für mich kaum ein Stück besser. Hätten die alle zusammengehalten, dann wär der Idiot aus Braunau niemals so lange da oben gestanden und viele Verbrechen wären auch gar nicht möglich gewesen.

                    Natürlich wäre der Aufbau nach 1945 so nicht möglich gewesen, aber dann soll man auch nicht so scheinheilig sein und dann die ganzen Ex-SED-Menschen so verteeufeln, als wären die viel schlimmer gewesen. Für die gilt im Endeffekt genau dasselbe und vielleicht würde man dann auch nicht mehr so Sprüche von beiden Seiten hören, wie "Die Mauer muss wieder aufgebaut werden und zwar doppelt so hoch!", weil dann wären Ost und West möglicherweise auch besser zusammengewachsen. Vielleicht ist das, was nach dem Beitritt der neuen Bundesländer geschah eine harmlosere Variente dessen, was duj für die Nachkriegszeit dargestellt hast.
                    Für meine Königin, die so reich wäre, wenn es sie nicht gäbe ;)
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