Zitat von Infinitas
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Zum Zweiten fände ich den Ansatz, mit nicht mehr arbeitsmarktgerechter Ausbildung erst noch einen Job zu finden, bevor die Nach-/Umschulung kommt, irgendwie schikanös.
Des Weiteren - auch unter Berücksichtigung der Antwort von Cosmic Girl - scheint es in Deutschland gravierende regionale Unterschiede bei den Vorschriften oder der Umsetzung/Interpretation derselben zugeben. Im Raum Halle/Versmold/Osnabrück befinden sich hier in der Region neben der Fleisch- und Wurstindustrie auch einige - und auch einige sehr große - Speditionen und Logistik-Unternehmen; in den zugehörigen Ämtern ist es auch ohne Berufserfahrung im spezifischen Feld keine Problem, die Umschulung zum Lagerlogistiker - also übertrieben: diplomierten Kistenstapler - zu erhalten. Eine Umschulung zum Speditions- und Logistikkaufmann zu bekommen wird jedoch ein Drama - warum ist das so?
Nun, der Knochenjob basiert auf Verschleiß, und machen wollen den auch recht wenige und natürlich ist das etwas, das man nur macht, weil man Kohle braucht und nicht "zur Selbstverwirklichung" oder "als Beschäftigungstherapie" - Gründe, aus denen in anderen Branchen wirklich Leute arbeiten gehen Die gnädige Stimmung bei der Umschulungsbewilligung sorgt für zwei Faktoren: Nachschub von "Verschleißteilen", als die man Arbeitnehmer in dem Bereich durchaus betrachten kann und Sicherung des niedrigen Lohnniveaus durch Überangebot an "ausgebildeten Fachkräften".
Die Kaufleute dagegen verschleißen - trotz ebenfalls nicht angenehmer Überstundensituationen und -regelungen - weit weniger häufig; die Unternehmen in der Region ziehen sich diese lieber von jung auf heran, um die gleich an die schlechten Bedingungen wie Beugung der Arbeitnehmerrechte zu gewöhnen. Regelungen, nach denen Überstunden ab einer gewissen (recht knappen) Menge einfach gestrichen werden oder minimal pauschal vergolten werden, sind bei Branchengrößen wie der Nagel-Gruppe oder Transthermos nicht unüblich, und natürlich kann gehen wer aufmuckt.
Ein anderes Beispiel, in denen sich die Ämter zu Handlangern der Wirtschaftsbedürfnisse machen, gibt es aus Bielefeld. Dort hat sich ein Unternehmen aus der Branche Objekt- und Gebäudeschutz darauf spezialisiert, möglichst viele Leute ohne jegliche Berufserfahrung in diese Branche umzuschulen; eine lange Zeit lang machten die kurz gehaltenen, wöchentlich erscheindenden Stellenangebote dieser Firma auch offen mit dieser Umschulung auf Amtskosten Werbung. Auch hier sind zahlreiche Umschulungen angesetzt und bezahlt worden, um die Mitarbeiter eben nicht dauerhaft in einem Job unterzubringen; Gründe für die Nichteignung tauchten dann nach der Umschulung recht zügig auf.
Umgekehrt werden Spezialisierungslehrgänge im IT-Bereich (SAP, jetzt gerade aktuell Microsoft Dynamics) prinzipiell nicht bezahlt mit Verweis auf die Kosten; die Arbeitsmarktsituation listet dagegen im zwei Wochentakt offene Stellen für SAP-Fachkräfte; bei Dynamics ist die Lücke inzwischen so gravierend, daß überregionale Arbeitnehmerüberlassungen (jaja, diese Zeitarbeitsabzocker) mit Arbeitsverträgen im Bereich von 50.000€ Jahresgehalt (völlig unübliche Höhe für Zeitarbeit, das weiß hier glaub ich jeder) locken. Statt also ein paar Leuten mit Berufserfahrung und nur der falschen Spezialisierung einen guten Job zu ermöglichen - so gut, daß sogar ein Rückzahlungsvertrag für den Erfolgsfall ausgehandelt werden könnte - ist zumindest in dieser Region bei Jobcenter wie den Betreuungsstellen der ALGII-Empfänger hauptsächlich daran gelegen, weitere Billiglöhner zu "produzieren". Die IT-Branche flucht weiter vom Fachkräftemangel - ohne zu spezifizieren, daß ausgebildete Fachkräfte nur in bestimmten Bereichen fehlen und der Überschuß in den basischen/unspezifizierten Bereichen hoch genug ist, um die Lohnentwicklung dort in einen gravierenden Reallohn-Rückgang zu treiben.
Es ist was faul daran, was in einigen Jobcentern & Co abgeht. Aber es sind halt auch einige Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt generell "faul". (Zahlen zur schlechten Lohn- und Arbeitssituation in den Brachne IT, Altenpflege, Spedition&Logistik hatte ich schon vor kurzem im "Lebensqualität"-Thread verlinkt, als newman mir nicht glauben wollte; die Arbeits- und Vertragsbedingungen in den namentlich genannten Unternehmen sind in dieser Region "offene Geheimnisse" - trotzdem arbeiten die Leut in diesen Unternehmen "bedingt gerne", da die Alternative Arbeitslosigkeit wäre; aus genau diesem Grund gehen Gewerbeaufsicht und Co. gegen diese Unternehmen auch gar nicht oder nur mit gebremsten Schaum vor - also mit sooooooooo langer Vorankündigung, das alles "sauber" gemacht werden kann)
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