Zitat von blueflash
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Ganz abgesehen davon habe ich nicht gesagt, "die verbrechen der Nazis [seien] quasi nur die Umsetzung des 'Volkswillens' gewesen", ich habe gesagt, dass die Nazis nur das umgesetzt haben, was dem Volkswillen entsprach - das ist eine andere Aussage, d.h. sie hätten gerne mehr gemacht, aber haben sich nicht getraut, etwas zu tun, was der Öffentlichkeit nicht zumutbar war.
Selbstverständlich haben sie bei der industriellen Massenvernichtung von Menschen Maßnahmen zur Geheimhaltung ergriffen, das ist klar. Wenn du da Details wissen willst: Peter Longerich, "Davon haben wir nichts gewusst", 2006 - da geht es um die Judenverfolgung und die Öffentlichkeit.
Aber das ist eben ein Irrtum, auf den du kommst, weil du, so vermute ich, ganz einfach unsere heutige Mentalität bzw. unseren heutigen Horizont, einfach so auf die 30er Jahre rückdatierst. Aber das geht eben nicht. Um nur ein Beispiel zu nennen: Der gute Alfred Grotjahn, z.B., der für die SPD im Reichstag war, schlug vor, man solle 2% - den "minderwertigen" Teil - der Bevölkerung "asylieren", um den "guten" Teil zu schützen.
Das enspricht dann auch ungefähr dem Bevölkerungsanteil, der in den Konzentrationslagern "asyliert" wurde. Daran kannst du sehen, dass die Ideen, die den Maßnahmen der NS-Regierung zugrunde lagen, keineswegs so weit hergeholt waren, sondern sich sogar in der Reichstagsfraktion der SPD wiederfanden. (Natürlich dachte der Herr Grotjahn dabei nicht an seine Fraktionskollegen, aber immerhin vertrat er die Idee, dass Leute, die eigentlich nichts gemacht hatten, weggesperrt werden, weil sie aus seiner Sicht der Gesellschaft schadeten).
Und es ist kein Problem, noch mehr solcher Beispiele aus ganz verschiedenen Bereichen zu finden.
Und wenn du wissen willst, was die Menschen über die Konzentrationslager gedacht haben, dann schau in die Tageszeitungen des Jahres 1945 (für Bergen Belsen z.B. Celle) und lies die Charakterisierungen durch, mit denen die ehemaligen Häftlinge dort bedacht wurden.
Und wenn einem Häftling zwischen 33 und 45 die Flucht gelungen war, so hat sich die Bevölkerung in den meisten Fällen daran beteiligt, dass er wieder eingefangen wird. Lies dir die Schilderung der Überlebenden von z.B. Buchenwald durch.
Aber zurück zur Sterilisation: In den Fällen, die ich selbst untersucht habe, haben es bürgerliche Bürgermeister, die schon vor 1933 im Amt waren, die ab 1934 Sterilisationen angeordnet haben oder einzelne Personen dafür "vorschlugen". Das waren keineswegs fanatische Nazis, sondern durchweg "honorige" Leute, wie man damals so sagte.
Dass die Reichswehr die Aufrüstungspläne schon vor 1933 in der Schublade hatte, habe ich dir auch schon mal mitgeteilt. Auch gegen die Bekämpfung der Sozialisten, über die Hitler die Generalität am 3.2.1933(!) informiert hatte, hatten sie nichts einzuwenden.
Dass die Kriminalbiologie sich in den 20er Jahren entwickelt hat, habe ich auch schon gesagt. Dasselbe gilt für die Eugenik.
Die geistigen Grundlagen von "Rassentrennung", die den "Nürnberger Rassegesetzen" von 1935 zugrundelagen, wurden bereits in den deutschen Kolonien zwischen 1884 und 1915 entwickelt. Da sind diese ganzen Prinzipien von "Mischehen", "Halbblut" etc. alle schon aufgetreten.
Und ich habe auch bereits Gegenbeispiele genannt, in denen der NS-Staat zurückwich, weil er sich gegen die Bevölkerung nicht durchsetzen konnte: Das sind die Kreuze in den katholischen Schule und die Ermordung Geisteskranker. Der NS-Staat hat auch stets Refugien und Rückzugspunkte geduldet. So "total" war die Herrschaft nicht.
Wie viele Beispiele und Belege möchtest du denn noch hören? Was du für "zweifelhaft" hälst, lässt sich eben nicht aufrecht erhalten, wenn man mal näher schaut - um mit Ranke zu sprechen - wie es tatsächlich gewesen ist.
Ich würde mal behaupten, dass es mehr als genug Ausnahmen gab.
Die Gestapo war eine eher kleine personell schwach ausgerüstete Organisation, welche nur deshalb funktioniert hat, weil die Bevölkerung ihr zugearbeitet hat. Das ganze basierte auf dem Prinzip der Denunziation und hätte die Bevölkerung nicht denunziert, hätte es auch nicht funktioniert.
Ich habe Gestapoakten gelesen und ich habe nicht den Eindruck, als ob es sich dabei um geisteskranke Irre gehandelt hätte. Und das lässt sich auch sonst als Behauptung nicht halten.
Das ist aber nicht wirklich eine wissenschaftliche Methode. Ich will dir jetzt nicht an den Karren fahren (ich nehme einfach mal an, mir fehkt der Überblick), aber wo ist denn die falsifizierbare Aussage?
Soll ich dir jetzt beschreiben, wie man in der Geisteswissenschaft eine These erarbeitet? Welche methodischen Mittel da ergriffen werden? [Nicht, dass ich das wirklich tun würde ] Oder was stört dich konkret?
Natürlich sind die Ergebnisse geisteswissenschaftlicher Arbeit nicht im naturwissenschaftlichen Sinne "jederzeit im Experiment überprüf- und wiederholbar", es wäre albern einen solchen Anspruch zu stellen.
Auch in der Geisteswissenschaft gilt: Wenn jemand Mist schreibt und Fehler begeht, dann kommt das heraus, weil andere Leute - also die fachwissenschaftliche Öffentlichkeit - das überprüfen. Da gibt es halt Fachrezensionen und Besprechungen und es wird auch dann mal nachgeprüft etc.
Das läuft doch überall so. Ich wüßte nicht, was daran zu kritisieren ist und ich wüßte auch nicht, wie es anders funktionieren könnte. Aber da kannst du mich vielleicht aufklären.
Besorg dir den Band "Briefe an Daniel Goldhagen", in dem Goldhagens These von "Hitlers willigen Vollstreckern" sachlich zerpflückt wurde, da hast du ein gutes, wenn auch krasses Beispiel, wie das dann im konkreten Fall aussieht.
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