Kapitel 1:
Stehen Sie jetzt mal auf vor Ihrem Monitor. Jetzt gleich.
Heben Sie die Hände auf die Höhe Ihres Bauchnabels. Machen Sie eine Merkelraute. Und jetzt rufen Sie laut und deutlich: »Ruhm und Ehre dem großen Ul Quorn.« Aber nicht schummeln! Vergessen Sie nicht: Sie haben MS-Fensterl und darum kann ich Sie sehen.
N'Rala hat Ihnen sicher vom geheimsten meiner geheimen Stützpunkte erzählt: der Almhütte, die den Masterserver beherbergt, mit dem ich jeden abhören kann, der MS-Fensterl benutzt – oder alle zugleich. Auch Sie. Und bei MS-Fensterl 10 können Sie die Updatefunktion nicht mehr abschalten. Also kann ich Ihnen von meinem Domizil aus jederzeit einen Virus installieren. Wenn Sie mir einen Grund dafür geben.
Vielen Dank. Sie dürfen sich setzen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht mir nicht darum, Sie zu triezen. Aber Ehre, wem Ehre gebührt, sage ich immer. Und mir steht dieser Gruß zu, seit ich für die Rettung der Erde mit einem lunaren Denkmal geehrt sowie zum Ehrenbürger der Gemeinde Tuntenhausen ernannt wurde als Dank für meine aktive Förderung des Bayerntums im Solaren System. (Sie wollten mich zum Ehrenbürger von München ernennen, aber da schoss eine von Marschall Gurney unterstützte Bürgerinitiative quer, die mit einigen Erfolgsaussichten beantragte, die Landeshauptstadt zuvor in Arschbackl umzubenennen.)
Was besagtes Denkmal angeht, so hielt ich mich in meinem Komödienstadel auf, um die Spur unserer geliebten N'Rala zu verfolgen. Egal, wo im Sonnensystem sie sich herumtrieb: Irgendwo in ihrer Nähe würde es jemanden geben, der ein MS-Fensterl-Implantat trug. Seine Daten mussten dann auch in meinem Vorratsdatenspeicher zugriffsbereit enthalten sein. Damit würde ich sie im Nu aufspüren können, es sei denn, sie hatte die Heliopause überquert und war wieder mit Fastlichtgeschwindigkeit unterwegs, bis Gras über die Sache gewachsen war. Außerdem hatten Curt und ich ein Update entwickelt, mit dem wir jeden MS-Fensterl-User in ihrer weiteren Umgebung dazu veranlassen konnten, sie unschädlich zu machen, sobald sie ihrer ansichtig wurden.
Bezüglich des Denkmals waren Herrn Newtons Anstandswauwau und ich allerdings ganz unterschiedlicher Meinung.
»Dottore, zufällig einen Adler drauf fallen zu lassen läuft auf das Gleiche hinaus, wie es wegzusprengen. Der Pinseläffchenzoo zu seinen Füßen würde entschieden in Mitleidenschaft gezogen und Grünfried e. V. hängt Ihnen eine Klage wegen Speziozids an.«
»Wegen was?« Begriffsstutzig öffnete ich die Minibar und holte einen Bananenmilchshake heraus. Manche Gewohnheiten legt man offenbar nicht mehr ab, wenn man einmal der Megarastrahlung zum Opfer gefallen ist.
Der kurzhaarige Möchtegernwerwolf schaute giftig unter der Ofenbank hervor. »Wegen Artenmords, mein Gott! Mit der Verordnung 385/27-SolU wurde er strafrechtlich dem Völkermord gleichgestellt. Wahrscheinlich haben Sie das nicht mitbekommen, weil das in der Zeit war, in der sie sich nahe der Lichtgeschwindigkeit herumtrieben, um nicht gefasst zu werden.«
»Ich muss nicht alle Gesetze kennen, die ich übertrete.« Murrend stieß ich den Strohhalm durch den Plastikdeckel. »Und ich bin auch bereits für Schlimmeres verurteilt worden. Auf den Kerberos zurück wird mich das schon nicht bringen.«
»Strafrechtliche Verurteilung würde Sie allerdings nach Verordnung 388/12-SolU um ihr Patentrecht bringen, Dottore«, gab der Futuredog zu bedenken. (Dass Curt mich im Auge behalten ließ, zeigte mir, wie wenig er mir trotz unseres derzeitigen Zweckbündnisses traute. Ganz meinerseits, Herr Kapitän: Auch ich hatte meine Anstandsdame bei ihm, nämlich Herrn Audis halbwaises Töchterchen. Bei diesem Tausch der Aufpasser war ich entschieden besser weggekommen: Jedenfalls quasselte meiner nicht dauernd Lateinisch.) »Dann wird Ihr Verfahren zur Tachymüllwiederaufbereitung gemeinfrei und der MMM-Konzern kann es verwerten, ohne Ihnen Tantiemen zahlen zu müssen. Außerdem werden Sie aus dessen Aufsichtsrat suspendiert.«
Erschüttert ließ ich mich auf den digitalisierten Thronsessel fallen. »Haben Sie jetzt einen Volkshochschulkurs 'Einführung in das Recht' belegt?«
»Ich nicht, aber die kleine Audita ist da sehr ambitioniert. Und genau dieselbe Diskussion habe ich erst vor kurzem in der Tychobasis gehört.«
»Vorsicht vor Schülerinnen eines humanistischen Gymnasiums.« Ich nahm mir, den Lehrplan von Tripel-G7 ein bisschen zu überarbeiten. »Wirtschaftskriminalität ist mir zuwider: All diese undurchsichtigen Verpflichtungen und Verflechtungen!«
»Immerhin ist die Victor-Corvo-Stiftung ...«
»… N'Ralas Hobby, weiter nichts. Ich habe ihr nur den guten Namen geliehen. Um wie viel unkomplizierter ist das Leben als Eroberer! Man macht einfach drauflos und unterwirft und versklavt und muss sich keine Gedanken darüber machen, wie man die Früchte seines hart arbeitenden Verstandes justizverträglich erntet.«
»He, für mich ist das auch eine neue Erfahrung, Dottore. Bisher waren Sie aus Sicht meines Chefs immer nur als Biomasse für die Sonnenkorona oder Ihre eigene Pathologische Abteilung in Frage gekommen ...«
Ich fragte mich, wie weit sich wohl sein Kunstfell spreizen mochte, wenn ich ihm aus dem Flatterärmel heraus 120 V in die Nasenlöcher schoss. Aber mit der Radiumpunkbatterie im Turban habe ich nach meiner Flucht vom Kerberos schon seinen Captain geärgert und ein guter Magier bedient sich keiner alten Tricks. Darum schlürfte ich nur nachdenklich an meinem Strohhalm. »Das muss ich mir von einem Gummihund nicht sagen lassen.«
»Öha.« Rasch sprang Otho auf die Ofenbank und nahm seine bevorzugte Gestalt an, die des Grottenolms in Menschengestalt mit den zwei Brustriemen und ohne Hosen. Was er allerdings zwischen seinen Beinen fabrizierte, veranlasste mich zu einem indignierten Räuspern. Nicht, dass ich mich in dieser Hinsicht im Nachteil fühlte – als Marsmagier hatte ich mich eines hinreichenden Satellitensystems aus Assistentinnen, Artistinnen und allerlei Groupies erfreut, N'Rala rechnete sich gar allen drei Kategorien zu -, aber es waren die schieren Ausmaße, die mir den Atem raubten.
»Übertreiben sie mal nicht, Püppchen. Dafür haben Sie doch sowieso keine Verwendung.«
»Doch, hab ich!«
»Nicht in dem Sinne, dass Ihnen kleine Othos daraus erwachsen würden. Könnten Sie sich jetzt also bitte ein bisschen zurücknehmen?«
»Och, männo.«
Ich setzte den Milchshake ab und griff mir den maßgefertigten Kopfhörer von der Rückenlehne des Holzthrons. Warum maßgefertigt, fragen Sie? Wir Turbanträger haben mit Modellen von der Stange unser Problem: Sie verknautschen die Anordnung. Darum habe ich mir eine Spezialausgabe gebaut, die ich als Diadem auf der Stirn tragen kann. Die sieben Rubine darin sind wirklich nur eine spielerische Zutat. Dann nahm ich die vorgeschriebene Haltung ein und sprach mit angemessener Gravitas – immerhin enthielt sie meinen eigenen Namen – die Phrase, an der der Masterserver meine Zugriffsberechtigung erkannte. Und ich bekam sie ohne Stocken hin, obwohl ich die ganze Zeit das im Lotossitz auf der Ofenbank hockende Pinseläffchen vor Augen hatte, das die Raute machte und mit griesgrämigen Hängebacken mein Passwort mitsprach. Schließlich nannte ich die Suchbegriffe und grenzte den Zeitraum ein. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis das alte Schwarzherz sozusagen ohne Kleider vor mir stand. Geduldig schloss ich die Augen und entspannte mich.
»Dottore, Sie beide sollten doch auch einmal bedenken, dass Menschen sich ändern können«, fand das Pinseläffchen. »N'Rala ist nicht mehr die Frau, als die mein Chef und Sie sie kannten. Sie ist sich jetzt bewusst, dass auch ihr Leben einen Wert hat, und bemüht sich, sich dieser Wertschätzung würdig zu erweisen. Sie verdient das nicht, was Sie ihr antun wollen.«
»Ihr Boss ist da anderer Meinung. N'Ralas Wertschätzung haben wir schließlich jeden Tag vor Augen, sobald wir aus dem Fenster blicken«, schnaubte ich. »Darum werden wir dafür sorgen, dass ihr Bewusstsein von Grund auf ausradiert wird. Ich will, dass sie von selbst zurückkommt und vor uns im Staube kriecht!«
»Gefiele sie Ihnen so denn besser?«
Ich öffnete die Augen und fand eine exakte Kopie N'Ralas vor, die in einem ausnehmend reizend geschnittenen Sklavenkostüm steckte, komplett mit Halsring. Was für ein Stilbruch! So hatte ich das Original nie bekleidet gesehen, und wenn ich es vorgeschlagen hätte, hätte ich mir eine Fortgeschrittenenlektion in How-Tsu eingehandelt. Außerdem heftete sie gerade mit einer Reißzwecke den Captain-Future-Fankalender '16 an meine Ausgangstür. Anscheinend hatte Herr Kapitän auf seinem Babyurlaub allzu viel Zeit für digitale Selbstportraits mit oder ohne Joan, N'Rala und/oder Kat gehabt, denn diesmal hatte er einen Wochenkalender zu 53 Blatt drucken lassen.
Der Server pingte, und ein Hologrammtext schwirrte um uns herum. Das Resultat überzeugte mich mal wieder, dass die Entwicklung des Fensterl-Betriebssystems einige Zeit Kerberos wert gewesen war. »Da haben wir sie ja! Ein Ausrichter hat sie erst vorgestern gesehen. Beim Olympus Mons, ist sie jetzt so dreist oder so dämlich? Nicht einmal eine falsche Identität hat sie sich zugelegt, sondern mit ihrem Klarnamen auf der Starterliste des Tombaugh Trails eingetragen.«
Otho-N'Rala drehte sich um und betrachtete kichernd die eingeblendete Kennzeichnung. »Im Separatistengebiet! Was braucht sie dort auch eine Tarnung, da kommen Sie doch sowieso nicht an sie heran, Dottore. Ich schätze, dass das einfach ihre Art ist, zu sagen: Fang mich doch, du Eierloch.«
»Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich, Sie Knetfigur?« Wie hielt Captain Future das aus? In meinem Zirkus war es Teil des Arbeitsvertrags gewesen, dass ich mit »Meister« angesprochen und entsprechend behandelt wurde. Ich hätte sie längst zur Rechenschaft gezogen, wenn N'Rala so mit mir … halt, genau genommen hatte sie das. »Hm, das könnte tatsächlich zum Problem werden. Sie hat eine Wachflotte bei sich, die sich sehen lassen kann. Unregistrierte Schiffe. Ohne Transponderkennungen. Woher hat N'Rala die denn genommen? «
»Die Neobayern?« Otho nahm seine Ausgangsgestalt wieder an, versah sich diesmal jedoch diskret mit einer Krachledernen.
»Das sind mehr Fahrzeuge dort draußen, als die Söhne der Zwei Monde jemals gehabt haben, selbst, bevor Ihr Freund Ezra sie dezimierte. An die Dreitausend stehen laut dem Hirn dieses Wettkampfausrichters in der Nähe. Begeisterte Zuschauer des Tombaugh Trails sind das sicher nicht. Warum hört man denn nichts davon auf den Nachrichtensendern des inneren Sonnensystems?«
Ich gab eine Reihe von Suchbegriffen ein, die allesamt im Sande verliefen. »Das gibt es doch nicht. Kein einziger MS-Fensterl-User an Bord dieser Flotte! Sabotage! Alles iDioten dort draußen, die ganze Armada muss von Äppelwoi subventioniert worden sein … Oh, verdammt!«
Ich sprang aus dem Thronsessel und riss mir die Hörer vom Kopf. »Otho, Sie machen sich besser auf den Weg zu Ihrem Chef. Es wird nur eine Sache von Stunden sein, bis Ihr Freund seinen Erdring in die Polachse kippt.«
Der Gummimensch stand hastig auf. Er sah offensichtlich ein, dass es mir ernst war. »Was ist denn jetzt passiert?«
»Das weiß ich nicht.« Ich runzelte die Stirn und kniff beunruhigt die Augen zusammen. »Aber in der Nähe des Plutos hat sich gerade die größte Tachyonendetonation in der Geschichte des Sonnensystems abgespielt. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich vermutet, dass Ihr Mond soeben in den Kuipergürtel geschossen worden sei.«
Stehen Sie jetzt mal auf vor Ihrem Monitor. Jetzt gleich.
Heben Sie die Hände auf die Höhe Ihres Bauchnabels. Machen Sie eine Merkelraute. Und jetzt rufen Sie laut und deutlich: »Ruhm und Ehre dem großen Ul Quorn.« Aber nicht schummeln! Vergessen Sie nicht: Sie haben MS-Fensterl und darum kann ich Sie sehen.
N'Rala hat Ihnen sicher vom geheimsten meiner geheimen Stützpunkte erzählt: der Almhütte, die den Masterserver beherbergt, mit dem ich jeden abhören kann, der MS-Fensterl benutzt – oder alle zugleich. Auch Sie. Und bei MS-Fensterl 10 können Sie die Updatefunktion nicht mehr abschalten. Also kann ich Ihnen von meinem Domizil aus jederzeit einen Virus installieren. Wenn Sie mir einen Grund dafür geben.
Vielen Dank. Sie dürfen sich setzen.
Verstehen Sie mich nicht falsch: Es geht mir nicht darum, Sie zu triezen. Aber Ehre, wem Ehre gebührt, sage ich immer. Und mir steht dieser Gruß zu, seit ich für die Rettung der Erde mit einem lunaren Denkmal geehrt sowie zum Ehrenbürger der Gemeinde Tuntenhausen ernannt wurde als Dank für meine aktive Förderung des Bayerntums im Solaren System. (Sie wollten mich zum Ehrenbürger von München ernennen, aber da schoss eine von Marschall Gurney unterstützte Bürgerinitiative quer, die mit einigen Erfolgsaussichten beantragte, die Landeshauptstadt zuvor in Arschbackl umzubenennen.)
Was besagtes Denkmal angeht, so hielt ich mich in meinem Komödienstadel auf, um die Spur unserer geliebten N'Rala zu verfolgen. Egal, wo im Sonnensystem sie sich herumtrieb: Irgendwo in ihrer Nähe würde es jemanden geben, der ein MS-Fensterl-Implantat trug. Seine Daten mussten dann auch in meinem Vorratsdatenspeicher zugriffsbereit enthalten sein. Damit würde ich sie im Nu aufspüren können, es sei denn, sie hatte die Heliopause überquert und war wieder mit Fastlichtgeschwindigkeit unterwegs, bis Gras über die Sache gewachsen war. Außerdem hatten Curt und ich ein Update entwickelt, mit dem wir jeden MS-Fensterl-User in ihrer weiteren Umgebung dazu veranlassen konnten, sie unschädlich zu machen, sobald sie ihrer ansichtig wurden.
Bezüglich des Denkmals waren Herrn Newtons Anstandswauwau und ich allerdings ganz unterschiedlicher Meinung.
»Dottore, zufällig einen Adler drauf fallen zu lassen läuft auf das Gleiche hinaus, wie es wegzusprengen. Der Pinseläffchenzoo zu seinen Füßen würde entschieden in Mitleidenschaft gezogen und Grünfried e. V. hängt Ihnen eine Klage wegen Speziozids an.«
»Wegen was?« Begriffsstutzig öffnete ich die Minibar und holte einen Bananenmilchshake heraus. Manche Gewohnheiten legt man offenbar nicht mehr ab, wenn man einmal der Megarastrahlung zum Opfer gefallen ist.
Der kurzhaarige Möchtegernwerwolf schaute giftig unter der Ofenbank hervor. »Wegen Artenmords, mein Gott! Mit der Verordnung 385/27-SolU wurde er strafrechtlich dem Völkermord gleichgestellt. Wahrscheinlich haben Sie das nicht mitbekommen, weil das in der Zeit war, in der sie sich nahe der Lichtgeschwindigkeit herumtrieben, um nicht gefasst zu werden.«
»Ich muss nicht alle Gesetze kennen, die ich übertrete.« Murrend stieß ich den Strohhalm durch den Plastikdeckel. »Und ich bin auch bereits für Schlimmeres verurteilt worden. Auf den Kerberos zurück wird mich das schon nicht bringen.«
»Strafrechtliche Verurteilung würde Sie allerdings nach Verordnung 388/12-SolU um ihr Patentrecht bringen, Dottore«, gab der Futuredog zu bedenken. (Dass Curt mich im Auge behalten ließ, zeigte mir, wie wenig er mir trotz unseres derzeitigen Zweckbündnisses traute. Ganz meinerseits, Herr Kapitän: Auch ich hatte meine Anstandsdame bei ihm, nämlich Herrn Audis halbwaises Töchterchen. Bei diesem Tausch der Aufpasser war ich entschieden besser weggekommen: Jedenfalls quasselte meiner nicht dauernd Lateinisch.) »Dann wird Ihr Verfahren zur Tachymüllwiederaufbereitung gemeinfrei und der MMM-Konzern kann es verwerten, ohne Ihnen Tantiemen zahlen zu müssen. Außerdem werden Sie aus dessen Aufsichtsrat suspendiert.«
Erschüttert ließ ich mich auf den digitalisierten Thronsessel fallen. »Haben Sie jetzt einen Volkshochschulkurs 'Einführung in das Recht' belegt?«
»Ich nicht, aber die kleine Audita ist da sehr ambitioniert. Und genau dieselbe Diskussion habe ich erst vor kurzem in der Tychobasis gehört.«
»Vorsicht vor Schülerinnen eines humanistischen Gymnasiums.« Ich nahm mir, den Lehrplan von Tripel-G7 ein bisschen zu überarbeiten. »Wirtschaftskriminalität ist mir zuwider: All diese undurchsichtigen Verpflichtungen und Verflechtungen!«
»Immerhin ist die Victor-Corvo-Stiftung ...«
»… N'Ralas Hobby, weiter nichts. Ich habe ihr nur den guten Namen geliehen. Um wie viel unkomplizierter ist das Leben als Eroberer! Man macht einfach drauflos und unterwirft und versklavt und muss sich keine Gedanken darüber machen, wie man die Früchte seines hart arbeitenden Verstandes justizverträglich erntet.«
»He, für mich ist das auch eine neue Erfahrung, Dottore. Bisher waren Sie aus Sicht meines Chefs immer nur als Biomasse für die Sonnenkorona oder Ihre eigene Pathologische Abteilung in Frage gekommen ...«
Ich fragte mich, wie weit sich wohl sein Kunstfell spreizen mochte, wenn ich ihm aus dem Flatterärmel heraus 120 V in die Nasenlöcher schoss. Aber mit der Radiumpunkbatterie im Turban habe ich nach meiner Flucht vom Kerberos schon seinen Captain geärgert und ein guter Magier bedient sich keiner alten Tricks. Darum schlürfte ich nur nachdenklich an meinem Strohhalm. »Das muss ich mir von einem Gummihund nicht sagen lassen.«
»Öha.« Rasch sprang Otho auf die Ofenbank und nahm seine bevorzugte Gestalt an, die des Grottenolms in Menschengestalt mit den zwei Brustriemen und ohne Hosen. Was er allerdings zwischen seinen Beinen fabrizierte, veranlasste mich zu einem indignierten Räuspern. Nicht, dass ich mich in dieser Hinsicht im Nachteil fühlte – als Marsmagier hatte ich mich eines hinreichenden Satellitensystems aus Assistentinnen, Artistinnen und allerlei Groupies erfreut, N'Rala rechnete sich gar allen drei Kategorien zu -, aber es waren die schieren Ausmaße, die mir den Atem raubten.
»Übertreiben sie mal nicht, Püppchen. Dafür haben Sie doch sowieso keine Verwendung.«
»Doch, hab ich!«
»Nicht in dem Sinne, dass Ihnen kleine Othos daraus erwachsen würden. Könnten Sie sich jetzt also bitte ein bisschen zurücknehmen?«
»Och, männo.«
Ich setzte den Milchshake ab und griff mir den maßgefertigten Kopfhörer von der Rückenlehne des Holzthrons. Warum maßgefertigt, fragen Sie? Wir Turbanträger haben mit Modellen von der Stange unser Problem: Sie verknautschen die Anordnung. Darum habe ich mir eine Spezialausgabe gebaut, die ich als Diadem auf der Stirn tragen kann. Die sieben Rubine darin sind wirklich nur eine spielerische Zutat. Dann nahm ich die vorgeschriebene Haltung ein und sprach mit angemessener Gravitas – immerhin enthielt sie meinen eigenen Namen – die Phrase, an der der Masterserver meine Zugriffsberechtigung erkannte. Und ich bekam sie ohne Stocken hin, obwohl ich die ganze Zeit das im Lotossitz auf der Ofenbank hockende Pinseläffchen vor Augen hatte, das die Raute machte und mit griesgrämigen Hängebacken mein Passwort mitsprach. Schließlich nannte ich die Suchbegriffe und grenzte den Zeitraum ein. Es konnte sich nur noch um Minuten handeln, bis das alte Schwarzherz sozusagen ohne Kleider vor mir stand. Geduldig schloss ich die Augen und entspannte mich.
»Dottore, Sie beide sollten doch auch einmal bedenken, dass Menschen sich ändern können«, fand das Pinseläffchen. »N'Rala ist nicht mehr die Frau, als die mein Chef und Sie sie kannten. Sie ist sich jetzt bewusst, dass auch ihr Leben einen Wert hat, und bemüht sich, sich dieser Wertschätzung würdig zu erweisen. Sie verdient das nicht, was Sie ihr antun wollen.«
»Ihr Boss ist da anderer Meinung. N'Ralas Wertschätzung haben wir schließlich jeden Tag vor Augen, sobald wir aus dem Fenster blicken«, schnaubte ich. »Darum werden wir dafür sorgen, dass ihr Bewusstsein von Grund auf ausradiert wird. Ich will, dass sie von selbst zurückkommt und vor uns im Staube kriecht!«
»Gefiele sie Ihnen so denn besser?«
Ich öffnete die Augen und fand eine exakte Kopie N'Ralas vor, die in einem ausnehmend reizend geschnittenen Sklavenkostüm steckte, komplett mit Halsring. Was für ein Stilbruch! So hatte ich das Original nie bekleidet gesehen, und wenn ich es vorgeschlagen hätte, hätte ich mir eine Fortgeschrittenenlektion in How-Tsu eingehandelt. Außerdem heftete sie gerade mit einer Reißzwecke den Captain-Future-Fankalender '16 an meine Ausgangstür. Anscheinend hatte Herr Kapitän auf seinem Babyurlaub allzu viel Zeit für digitale Selbstportraits mit oder ohne Joan, N'Rala und/oder Kat gehabt, denn diesmal hatte er einen Wochenkalender zu 53 Blatt drucken lassen.
Der Server pingte, und ein Hologrammtext schwirrte um uns herum. Das Resultat überzeugte mich mal wieder, dass die Entwicklung des Fensterl-Betriebssystems einige Zeit Kerberos wert gewesen war. »Da haben wir sie ja! Ein Ausrichter hat sie erst vorgestern gesehen. Beim Olympus Mons, ist sie jetzt so dreist oder so dämlich? Nicht einmal eine falsche Identität hat sie sich zugelegt, sondern mit ihrem Klarnamen auf der Starterliste des Tombaugh Trails eingetragen.«
Otho-N'Rala drehte sich um und betrachtete kichernd die eingeblendete Kennzeichnung. »Im Separatistengebiet! Was braucht sie dort auch eine Tarnung, da kommen Sie doch sowieso nicht an sie heran, Dottore. Ich schätze, dass das einfach ihre Art ist, zu sagen: Fang mich doch, du Eierloch.«
»Auf wessen Seite stehen Sie eigentlich, Sie Knetfigur?« Wie hielt Captain Future das aus? In meinem Zirkus war es Teil des Arbeitsvertrags gewesen, dass ich mit »Meister« angesprochen und entsprechend behandelt wurde. Ich hätte sie längst zur Rechenschaft gezogen, wenn N'Rala so mit mir … halt, genau genommen hatte sie das. »Hm, das könnte tatsächlich zum Problem werden. Sie hat eine Wachflotte bei sich, die sich sehen lassen kann. Unregistrierte Schiffe. Ohne Transponderkennungen. Woher hat N'Rala die denn genommen? «
»Die Neobayern?« Otho nahm seine Ausgangsgestalt wieder an, versah sich diesmal jedoch diskret mit einer Krachledernen.
»Das sind mehr Fahrzeuge dort draußen, als die Söhne der Zwei Monde jemals gehabt haben, selbst, bevor Ihr Freund Ezra sie dezimierte. An die Dreitausend stehen laut dem Hirn dieses Wettkampfausrichters in der Nähe. Begeisterte Zuschauer des Tombaugh Trails sind das sicher nicht. Warum hört man denn nichts davon auf den Nachrichtensendern des inneren Sonnensystems?«
Ich gab eine Reihe von Suchbegriffen ein, die allesamt im Sande verliefen. »Das gibt es doch nicht. Kein einziger MS-Fensterl-User an Bord dieser Flotte! Sabotage! Alles iDioten dort draußen, die ganze Armada muss von Äppelwoi subventioniert worden sein … Oh, verdammt!«
Ich sprang aus dem Thronsessel und riss mir die Hörer vom Kopf. »Otho, Sie machen sich besser auf den Weg zu Ihrem Chef. Es wird nur eine Sache von Stunden sein, bis Ihr Freund seinen Erdring in die Polachse kippt.«
Der Gummimensch stand hastig auf. Er sah offensichtlich ein, dass es mir ernst war. »Was ist denn jetzt passiert?«
»Das weiß ich nicht.« Ich runzelte die Stirn und kniff beunruhigt die Augen zusammen. »Aber in der Nähe des Plutos hat sich gerade die größte Tachyonendetonation in der Geschichte des Sonnensystems abgespielt. Wenn ich es nicht besser wüsste, hätte ich vermutet, dass Ihr Mond soeben in den Kuipergürtel geschossen worden sei.«
Fortsetzung folgt
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