Folge 29: Zwillingsschicksale (2)
Äli trat gutgelaunt aus dem Ereignishorizont. Er hatte vielleicht gerade den Lauf der Zeit geändert, eine alternative Zeitlinie geschaffen und in dieser seinem jüngerem Ich und denen der Anderen eine Chance gegeben, nicht von einem schwarzen Loch verschlungen zu werden.
Außerdem hatte er zwei angefangene Rollen Klopapier ergattern können.
Er verstand einfach nicht, wieso in so vielen Science-Fiction-Serien, -Filmen, und -Büchern immer wieder nur auf Sauerstoff-, Nahrungs-, oder Wasserprobleme eingegangen wurde, aber das wirklich größte Problem das auftreten konnte – das fehlen von Klopapier – so sträflich ignoriert wurde. Er machte sich eine geistige Notiz dass unbedingt zu erwähnen, sollte er noch einmal die Chance haben mit den Kommunikationszitronen der Erde einen Besuch abzustatten.
Er schaltete sein Funkgerät ein. „Shnell? Auftrag erledigt. Unsere jüngeren Ichs wissen jetzt Bescheid und können vielleicht den Lauf der Dinge zu ihren Gunsten abändern.“
„Äli?“, meldete sich Shnell. „Das sind ausgezeichnete Nachrichten. Wo befindest du dich gerade?“
„Im Torraum.“
„OK. Komm am besten gleich in den Terminalraum. Eierkocher hat …“, es entstand eine Pause, als Shnell offenbar über etwas nachdachte. „Von dir aus gesehen Übermorgen eine Idee, die er uns mitteilen will. Wenn du dich beeilst, warten wir noch schnell auf dich.“
Äli überlegte kurz. „Bis übermorgen müsste ich es eigentlich schaffen.“
„Nein eigentlich jetzt“, verbesserte sich Shnell. „Aber bei uns im Terminalraum ist es schon zwei Tage später wie im Torraum. Zeitverzerrung und so, weil wir uns schon halb im schwarzen Loch befinden.“
„Ah OK“, erwiderte Äli und besah sich dann die beiden Klopapierrollen. „Hab ich trotzdem noch Zeit kurz aufs Klo zu gehen?“
„Klar“, meinte Shnell. „Aber benutz das Klo im Erdgeschoss. Dort läuft die Zeit rückwärts. So schaffst du es vielleicht zu uns, bevor wir überhaupt dieses Gespräch führen.“
„Rückwärts?“, wunderte sich Äli. „Ist das nicht ziemlich unlogisch?“
„Wir befinden uns in einem schwarzen Loch. Als vermutlich erste Menschen überhaupt. Und niemand weiß wie sich die physikalischen Gesetze dort so verhalten … also …“
„Klingt eigentlich logisch“, antwortete Äli und schaltete sein Funkgerät aus. Die Zeit lief im Erdgeschossklo also rückwärts? Er betrachtete die beiden Klopapierrollen und nickte langsam. Er hatte eine Idee.
***
„Na endlich“, begrüßte Jung Äli, als dieser den Terminalraum erreichte. „Ich dachte Shnell meinte Sie benutzen das Klo im Erdgeschoss und kommen deswegen früher an.“
„Ich war noch im Restmüllraum“, japste Äli, der sich extra beeilt hatte. „Dort war es nach den Schiffsanzeigen an der Wand schon nächste Woche. Also hab ich dadurch meinen ganzen schönen Vorsprung wieder eingebüßt. Ich war dann zwar noch mal auf der Toilette, wollte dort dann aber nicht ewig warten. Aber ich habe ein Experiment gestartet. Ich hab zwei leere Klopapierrollen auf ein Waschbecken gestellt. Wenn die Zeit jetzt wirklich rückwärts …“
„Jaja, schon gut“, stöhnte Jung, dem der Kopf von den ganzen Zeitverzerrungen dröhnte, seitdem diese angefangen hatten.
„War vielleicht sogar ganz gut so.“, meldete sich Shnell zu Wort. „Wer weiß was dein auftauchen hier, bevor ich dir sagen konnte, dass du herkommen sollst, alles für Paradoxien hervorgerufen hätte. Vom Schmetterlingseffekt und dem Satz des Pythagoras mal ganz abgesehen. Wo waren wir gerade?“
„Ich habe gerade festgestellt, dass ich Hunger habe“, warf Jung ein.
„Sagten Sie nicht, ich hätte Sie beim essen unterbrochen, als ich Sie vor zehn Minuten angefunkt habe?“, wollte Shnell wissen.
„Und sagten Sie nicht, dass die Küche inzwischen drei Wochen hinter der Zeit im Terminalraum zurückliegt?“, konterte Jung.
Shnell sah auf eine Simulation, die das Schiff in die momentanen Zeitabschnitte einteilte. „Inzwischen vier Wochen.“
„Dann sollten Sie sich nicht wundern“, meinte Jung mürrisch. „Also was ist jetzt so überaus wichtig?“
***
„Habt ihr schon die guten Neuigkeiten gehört?“
Ä, Kloie und DJJJ – DJ-Jung-Junior – drehten sich um. Woodstock hatte sich hinter ihnen materialisiert. Seitdem das verwirrte Pfarrer-Hologramm den Job als KI aufgegeben hatte, konnte er sich überall auf dem Schiff bewegen. Aber irgendwie sah er heute anders aus als sonst. DJJJ konnte allerdings nicht genau sagen warum. Hatte er sich vielleicht eine neue Frisur zugelegt?
„Nein“, antwortete Kloie. „Was ist los?“
„Oh ihr habt es wirklich noch nicht gehört?“ Woodstock sah sich kurz um, bevor sich ein Verstehen auf sein Gesicht schlich. „Ah. Bei euch ist noch Donnerstag. Ich war gerade bei der Besenkammer wo schon Dienstag ist.“
„Also was ist jetzt los?“, wollte nun auch Ä wissen.
„Nun, Übermorgen hat Eierkocher herausgefunden, wie wir eventuell die Energie des schwarzen Lochs anzapfen und ein Wurmloch zur Erde herstellen können. Ist anscheinend ein klein wenig riskant, aber einen Versuch wert. Im Kontrollraum arbeiten sie gerade … haben gearbeitet … werden arbeiten … ach verdammt, was auch immer … jedenfalls wird an einer Wurmlochberechnung gearbeitet.“
Kloie und Ä sahen sich an. Sie konnten nicht glauben was sie da hörten. Seit über fünfzig Jahren waren sie nun schon auf der Schwips-Aal gestrandet und jetzt – als sie alle mit ihrem baldigen Tod durch das schwarze Loch gerechnet hatten – sollte es endlich einen Weg zurück zur Erde geben?
DJJJ, welcher sein ganzes Leben auf der Tipsy-Eel verbracht hatte und deswegen nicht wusste, was er von einer Reise zur Erde halten sollte, strahlte ebenfalls. Allerdings nicht wegen Woodstocks Informationen von nächstem Dienstag, sondern weil ihm endlich aufgefallen war, was sich an dem Hologramm verändert hatte.
Er sah Woodstock an. „Sag mal, wo sind eigentlich deine Beine?“
Der halbe Woodstock sah an sich hinunter. „Stecken momentan in einer Zeitschleife in der Besenkammer fest. Verdammt blöde Geschichte. Das Problem müssten wir noch lösen, bevor wir durchs Stargate verschwinden …“
***
„Also gut Leute!“ Jung sah von seiner erhöhten Sprechposition auf die Crew hinunter. Es war nicht leicht gewesen sie alle gleichzeitig an diesem einen Ort zu versammeln. Die verschiedenen Geschwindigkeiten mit denen die Zeit an unterschiedlichen Orten des Schiffes ablief, von rückwärts laufenden Zeitlinien, Zeitschleifen, Zeitverwerfungen, Zeitverzerrungen und das schlimmste – dem Mittagessen – gar nicht zu reden, hatten ihm in der Hinsicht einige Nerven gekostet.
Aber jetzt waren sie alle da: Äli, Skott, Grier, House, Ä, DJ, Kloie, Woodstock, welcher seine Beine unter dem linken Arm trug, DJJJ und Sudoki, die Tochter von Kloie und Eierkocher.
Jung ließ den Blick über die Anwesenden schweifen und blieb schließlich bei Sudoki hängen. Aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe hatten sie lange geglaubt, dass Äli der Vater war, bis ihnen House irgendwann mitgeteilt hatte, dass sich Ruß nicht auf die Hautfarbe der Nachkommen auswirkte. Ein Vaterschaftstest hatte schließlich Grier oder Eierkocher als Vater identifiziert. Eine zufallsbasierte Chi-Quadrat-Lee-Analyse, bei der jede Menge Brokkoli im Spiel gewesen war, hatte schließlich auf Eierkocher als Vater hingedeutet, wobei sie dann auch geblieben waren.
„Die Neuigkeiten haben sich ja schon herumgesprochen“, fuhr er mit seiner Rede fort. „Das schwarze Loch eröffnet uns eine Chance wieder nach Hause kommen. Shnell und Eierkocher kümmern sich gerade um die letzten Berechnungen, aber sie sind zuversichtlich, dass wir es bald versuchen können. Da der Aufenthalt im schwarzen Loch auf lange Sicht vermutlich unseren Tod bedeutet – und Aufgrund der Tatsache, dass die Vorratskammer von einer möglichen Explosion, wenn der Druck auf das Schiff zu stark wird, als erstes zerstört wird, weil sie sich am weitesten in der Zukunft befindet es noch dazu ein unangenehmer Tod werden wird – würde ich vorschlagen, dass wir die Chance nutzen.“
Woodstock hob mit einem Arm eines seiner Beine in die Höhe. „Wie stehen die Chancen, dass wir wirklich auf die Erde zurückkommen?“
„Zwischen 105 und -5 %“, erwiderte Shnell, der gerade mit Eierkocher den Raum betrat und sich an einem der Terminals, die es hier gab, zu schaffen machte.
Skott tauschte einen kurzen verwirrten Blick mit Ä. „Zwischen 105 und -5 %? Ist das nicht eine ziemlich seltsame Angabe?“
Shnell schüttelte den Kopf. „Man kann nie wissen was in einem schwarzen Loch passiert. Es ist einfach unberechenbar. Deswegen stehen die Chancen zwischen 100 und 0 %.“
„Und da ein schwarzes Loch außerdem auch noch eine zusätzliche Unsicherheit von ca. 5 % ins Spiel bringt, stehen wir bei zwischen 105 und -5 %“, ergänzte Eierkocher.
Auf einmal gab es ein leises Pufff und ein gelber Schwimmreifen, eine knallgrüne Pringlesdose und eine DFB-Pokal-Nachbildung tauchten wie aus dem Nichts in der Mitte des Raumes auf.
Die Crew starrte die Gegenstände verblüfft an.
„Was hat es damit auf sich?“, wollte DJ schließlich wissen und deutete auf die erschienen Sachen.
„Schwarzes Loch“, meinte Shnell und zuckte mit den Schultern. „Wie gesagt, man kann nie vorhersagen was passiert.“
Als plötzlich ein blau-weiß gestreiftes Wildschwein mit einer Yucca-Palme auf dem Kopf auftauchte, seine Flügel ausbreitete und dabei begann laut Katzenklo zu singen, fing Eierkocher an Befehle in das Terminal einzugeben. „Ich glaube wir sollten jetzt langsam verschwinden.“
Das Stargate setzte sich in Bewegung und ein Chefferon nach dem anderen rastete ein, bis schließlich der bekannte Strudel aus dem Tor schoss, sich wieder zurückzog sich der Ereignishorizont etablierte.
Shnell gab mit einem nicken zu Jung zu verstehen, dass es losgehen konnte. Dieser nickte daraufhin Skott zu.
„OK“, rief Skott. Er hob den Arm nachdem er den Iriscode der Erde durchgegeben hatte. „Alle mir nach! Zweierreihen bilden und dann im Abstand von drei Sekunden …“ Er unterbrach sich, als der Ereignishorizont plötzlich anfing wie wild zu flackern.
Jung sah entsetzt zu Shnell.
Dieser tippte wie wild auf dem Terminal herum. „Ich weiß nicht wie lange ich es noch offen halten kann! Los, verschwindet solange es noch geht!“
Skott brauchte keine weitere Einladung. „Na los! Los! Los!“, er lief zum Sternentor und warf sich in den Ereignishorizont. Äli, Grier, House, Ä, DJ, Kloie, Woodstock, DJJJ und Sudoki folgten ihm innerhalb weniger Sekunden.
Jung sah zu Shnell. „Doktor?“
Shnell schüttelte den Kopf. „Ich kann nicht gleichzeitig das Tor offen halten und durchgehen! Na los Jung, verschwinden Sie solange es noch geht!“
Jung sah Shnell noch einige Sekunden an. Dann nickte er, schnappte sich Eierkocher, lief Richtung Stargate und verschwand ebenfalls im Ereignishorizont.
Shnell schaffte es noch das Tor einige Sekunden offen zuhalten, dann deaktivierte es sich. Er hoffte, dass es alle auf die andere Seite geschafft hatten.
Er war allein.
Allein auf einem Schiff, dass sich im Inneren eines schwarzen Lochs befand.
Nun ja, nicht ganz allein, denn im Hintergrund hörte er leise ein „Katzenklo, Katzenklo, ja das macht die Katze froh ...“
Dann ließ er sich erschöpft neben dem Terminal zu Boden sinken.
Er würde hier sterben.
Es gab nichts mehr, was er tun konnte.
„... Katzenklo, macht die richtige Katze froh!“
***
„Und?“, wollte Jung wissen und sah den alten Shnell an. „Haben es unsere älteren Ichs auf die Erde geschafft?“
Der alte Shnell zuckte die Schultern. „Ich weiß es nicht. Vielleicht haben sie es geschafft, vielleicht sind sie auch alle tot. Vielleicht sind sie irgendwo anders gelandet.“
„Und was ist mit dir?“, wollte Shnell wissen. „Wie bist du hier gelandet?“
„Anscheinend hat das öffnen des Wurmlochs innerhalb des schwarzen Lochs irgendwie dazu geführt, dass unsere Schwips-Aal in dieses Sonnensystem fünfzig Jahre in der Vergangenheit geschickt wurde.“ Der alte Shnell schüttelte den Kopf. „Innerhalb eines schwarzen Lochs kann quasi alles passieren.“
Telaudi runzelte die Stirn. „Ja aber wie wahrscheinlich ist es, dass Sie in den unendlichen weiten des Universums ausgerechnet hier landen? Und genau zu einem Zeitpunkt an dem wir uns hier befinden?“
Shnell und Jung sahen sich an und meinten dann gleichzeitig resignierend: „Autoren …“
Dann wandte sich Shnell an sein älteres Ich. „Heißt das deine Schwips-Aal ist hier auch irgendwo in der Nähe?“
Der alte Shnell deutete aus dem Fenster. „Auf der anderen Seite der Sonne. Sie ist leider so stark beschädigt, dass sie nicht mehr fliegt und ich den Alkohol-Affen nehmen musste, als ich euer Signal bemerkte.“
„Wie stark beschädigt ist sie genau?“, wollte Shnell wissen.
„Naja, ein paar der Systeme sind durchgeschmort. Soweit ich es beurteilen kann ist das Schiff im Großen und Ganzen noch recht gut intakt, aber ohne Ersatzteile für die irreparabel beschädigten … warum?“
Shnell blickte aufgeregt zwischen Jung und Telaudi hin und her. „Denkt ihr das gleiche wie ich?“
Jung nickte. „Auf der anderen Schwips-Aal gibt es zwei angefangene Rollen Klopapier. Wenn Älis Experiment erfolgreich war, sogar zusätzlich noch zwei komplette.“
„Ich glaube Shnell meinte eher, dass wir, wenn wir ein paar intakte Komponenten der anderen Schwips-Aal zu uns an Bord holen würden, wir unsere Schwips-Aal damit wieder flott machen könnten“, vermutete Telaudi.
Shnell nickte. „Genau darauf wollte ich eigentlich hinaus.“
„Oh.“ Jung ließ sich das durch den Kopf gehen und nickte schließlich. „Also gut. Statten wir der anderen Schwips-Aal einen kleinen Besuch ab und holen uns Ersatzteile und Klopapier!“
Fortsetzung folgt ...
Kommentar