Danke, Twisi.
Takashi zeigte Katherine das Büro, das sie und Joan für die Dauer der Ermittlungen benutzen sollten. Es war ein kleiner, fensterloser Raum mit einer grellen Deckenlampe, zwei Tischen und Stühlen und je einem Computerterminal auf jedem Tisch. Katherine schaltete ein Terminal ein und setzte sich. Kurze Zeit später kam Joan dazu. „Ich habe Tovin erst mal wieder in seine Zelle bringen lassen. Wen willst du anrufen?“, wollte sie wissen.
„John“, brummte Katherine konzentriert ohne den Blick vom Display abzuwenden. „Wenn sich einer mit so etwas auskennt, dann er. Hoffentlich schläft er noch nicht. Sonst kann ich mich auf ein Donnerwetter gefasst machen.“
Es dauerte nicht lange, bis Captain John Milner sich am anderen Ende der abhörsicheren Verbindung meldete. Er saß mit nassen Haaren und nacktem, muskulösen Oberkörper vor der Kamera und freute sich riesig, seine Katherine zu sehen. „Hey Southern Belle, ich hab dich vermisst!“
„Ich dich auch Cowboy“, hauchte Katherine sanft zurück und warf einen lüsternen Blick auf seine Brust. „Du bist noch auf? Es muss doch schon nach eins in New York sein.“
„Ich bin grad vom Präsidium heimgekommen, was soll ich zu Hause, ohne dich? Dann kann ich auch arbeiten. Wie läuft’s bei euch? Ist Joan auch da?“
„Ja, Joan sitzt mir gegenüber. Wie es läuft?“, seufzte Katherine. „Der Verdächtige kann sich an nichts erinnern, Beweismittel sind unbrauchbar, ein Offizier stellt mir nach und in dem Sonnensystem droht ein Bürgerkrieg auszubrechen. Ganz normal halt. John, du musst mir weiterhelfen. Kennst du dich mit militärischen Handkommunikatoren aus?“
John blinzelte. „Etwas. Um was geht es denn, Süße?“
„Kann man von so einem Gerät gelöschte Daten wiederherstellen, wenn es vorher einen Werksreset bekommen hat?“, fragte Katherine und hielt Tovins Kommunikator in die Höhe.
John kratzte sich am Hinterkopf. „Kommt auf den Modelltyp an“, brummte er. „Wenn es ein neues Modell ist, so maximal zwei Jahre alt, dann ganz sicher. Die älteren kann man auch wiederherstellen, ist aber sehr, sehr schwierig, nicht einmal ich würde das ohne weiteres hinbekommen. War eine Anforderung des Verteidigungsministeriums. Um was für ein Modell handelt es sich?“ Katherine hielt das Gerät in die Kamera, sodass ihr Verlobter es genauer betrachten konnte. „Das ist ein BS-Omni“, sagte John. „Auf der Unterseite müsste eine Modellbezeichnung stehen. Lies mal vor.“
Sie drehte den Kommunikator um und las laut vor: „BS-Omni MK6-64. Sagt dir das was?“
„Klar“, grinste John wissentlich. „Die vierundsechziger gibt es erst seit einem knappen halben Jahr in der Truppe. Die schreiben beim Löschen den gesamten Inhalt in einen versteckten Bereich, falls sie versehentlich zurückgesetzt werden sollten. Die lassen sich problemlos wieder herstellen. Ist kinderleicht! Wenn …“
„Wenn ich den passenden Computer und die Software dazu habe, ich weiß, Cowboy“, unterbrach Katherine John seufzend. „Da liegt das Problem.“
„Wieso, Kat, du bist auf einem Schlachtkreuzer. Wende dich an den Sicherheitsoffizier. Der hat Zugang zu Computer und Software!“
Katherine schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Na klar! John, du bist der Allergrößte! Ich liebe dich! Danke! Ich melde mich wieder bei dir“, rief sie lachend.
„Kleinigkeit, Süße. Komm bald wieder nach Hause. Es ist so einsam ohne dich“, antwortete John traurig und stutzte eine Sekunde. „Was war das mit dem Offizier, der dir nachstellt?“
„Ende der Woche bin ich wieder da, Schatz, dann werde ich dich nach Strich und Faden verwöhnen, versprochen“, flötete Katherine. Sie warf ihm breit grinsend einen Kuss zu und schaltete ab. Dann blickte Katherine Joan verschlagen an und sagte: „Hast du Lust, deine neue Freundin zu besuchen?“
Eine Viertelstunde später stand Joan mit dem Kommunikator bewaffnet auf der Brücke. Obwohl Marijke van den Bosch an diesem Morgen Dienst hatte, war von ihr weit und breit nichts zu sehen. Auf Nachfrage bei einem Decksoffizier bekam sie ein knappes „Einsatzraum“ zur Antwort. Der Einsatzraum befand sich direkt hinter der Kommandoplattform und war durch eine Schiebetür zu erreichen. Joan ging hinein und befand sich in einem schmalen Vorraum, der durch eine große schalldichte Glasscheibe vom eigentlichen Einsatzraum abgetrennt wurde. Captain van den Bosch diskutierte energisch dort mit einigen anderen Offizieren, die Joan bisher noch nicht kannte. Es hatte den Anschein, als wäre Marijke sichtlich genervt von dem Gespräch. Als sie Joan durch die Scheibe bemerkte, deutete sie auf ihr Handgelenk und hob drei Finger – sie bat Joan drei Minuten zu warten.
Joan ging wieder hinaus auf die Kommandoplattform und suchte sich eine Ecke, wo sie niemandem im Weg stand. Exakt drei Minuten später kamen van den Bosch und die anderen Offiziere wieder heraus. Sie hatte einen roten Kopf und sah hochgradig angespannt aus. Nachdem sich die Offiziere wieder auf ihre Stationen verteilt hatten, atmete sie tief ein und versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen. Van den Bosch sah sich um, fand Joan und ging mit einem gequälten Lächeln auf sie zu. „Idioten“, brummte sie leise, sodass Joan es gerade eben verstehen konnte. „Weil Becker sich kaum noch auf der Brücke blicken lässt, meinen sie, dass sie hier machen können, was sie wollen. Ab und zu muss man ihnen den Marsch blasen. Sie wollten mich sprechen, Joan?“
„Ja, Marijke, ich … wir brauchen Ihre Hilfe.“
Van den Bosch hatte sich wieder eingefangen und lächelte Joan freundlich an. „Was kann ich denn für Sie tun?“
Joan zog Tovins Kommunikator aus einer Beintasche. „Dies hier ist Colonel Tovins Kommunikator. Er wurde auf Werkseinstellungen zurückgesetzt und Tovin war es nicht. Ich habe gehört, dass Sie als Sicherheitsoffizier die Gerätschaften haben, um die Daten wieder herzustellen.“
„Ich habe den Computer zwar nicht in meiner Kabine, aber ich kann die IT-Abteilung anweisen, ihn mir zu geben, Dazu brauche ich allerdings die Genehmigung des Commodore.“
„Dann gehen wir zum Commodore und holen sie uns ein!“, gab Joan energisch zurück.
Van den Bosch hob abwehrend die Hände. „Ganz so einfach ist das nicht. Wir dürfen nur Kommunikatoren damit bearbeiten, die in der Bestandsliste der Tennessee geführt sind. Colonel Tovin gehört nicht zu unserer Crew. Das wäre ein schwerer Verstoß gegen die Vorschriften.“ Sie versuchte ein entschuldigendes Lächeln. „Die Raumflotte ist ein furchtbarer Bürokratenhaufen, wenn Sie verstehen, was ich meine“, antwortete die große Blondine mit einem entschuldigenden Lächeln.
„Marijke, bitte! Colonel Tovin ist ein Marine. Er ist Ihr Kamerad! In diesen polizeilichen Ermittlungen geht es um sein Wohl und Wehe. Ich bin nur Lieutenant und kann Ihnen keine Befehle erteilen, Major Ballard kann es aber aufgrund ihrer Dienststellung. Und wenn Sie nicht auf Katherine hören, wird Marshall Garnie an Ihren Commodore oder gar an die Admiralität herantreten müssen. Ich glaube, da haben wir alle kein großes Interesse dran, oder? Ich will auf keinen Fall wegen so einer Kleinigkeit Ärger mit meinem Chef haben, das können Sie mir glauben.“ Joan blickte Marijke treuherzig an. „Die Weltraumpolizei ist noch bürokratischer als alle Streitkräfte zusammen.“
Van den Bosch wog kurz die Optionen ab und antwortete dann: „Also gut. Ich gehe zum Commodore. Kommen Sie heute Mittag gegen dreizehn Uhr in meine Kabine, Nummer zwölf. Dann bringen wir den kleinen Kasten zum Reden.“
Während Joan mit dem Kommunikator unterwegs war, suchte Katherine den Schiffsarzt, Lieutenant Commander Dr. Teenbaum auf, nach Commodore Becker und Commander Rodriguez der ranghöchste Offizier an Bord der Tennessee. Eine zivile Sprechstundenhilfe bat sie, in einem Behandlungszimmer zu warten. Katherine setzte sich auf die Behandlungsliege und ließ die Beine baumeln, während sie sich umsah. Neben der Liege stand ein Tisch mit je einem Stuhl davor und dahinter, ein Waschbecken mit Desinfektionsmittelspendern, eine weiße Kommode mit Kartons, in denen sich Gummihandschuhe in verschiedenen Größen befanden, Einmal-Untersuchungsgerätschaften und ein Magazin mit steril verpackten Spritzen und Kanülen. Neben der Kommode stand ein großer, abschließbarer Schrank aus poliertem Stahl mit einer Glasfront. Dieser Schrank erregte Katherines Aufmerksamkeit, denn darin standen Flaschen und Medikamente, welche sie sich genauer ansah. Es waren diverse Schmerz- und Erkältungsmittel, die auch auf dem zivilen Markt erhältlich waren, Antibiotika, Sprays, Tabletten und Salben. Im obersten Fach befanden sich lichtdichte, dunkelbraune Glasflaschen mit Inhaltsstoffen, deren Namen ausschließlich auf Latein aufgedruckt waren. Katherine versuchte, ihr Latein aus dem Medizingrundstudium heraus zu kramen, was ihr nicht besonders leicht fiel. Durch ihre Tätigkeit als Polizeipsychologin gerieten die Anforderungen an pharmazeutische Lateinkenntnisse eher ins Hintertreffen. Zumindest eine Aufschrift erkannte sie als eine Morphinlösung, also ein starkes Schmerzmittel. Auffällig war auf den Etiketten das Herstellerlogo, eine rote, aufblühende Rose, die in einem Strahlenkranz stand.
„Guten Morgen, Major“, sagte eine knarzige Stimme hinter ihr. Etwas erschreckt fuhr Katherine herum. Vor ihr stand ein großer, hagerer Mann von etwa Mitte vierzig mit sauber gescheiteltem, grauen Haar. Er hatte wie Katherine graue Augen, jedoch bei ihm wirkten sie leblos und stechend. Er blickte ernst über seine randlose Brille und hatte die Stirn in Falten gelegt. „Ich bin Doktor Teenbaum. Was kann ich für Sie tun? Was fehlt Ihnen?“
„Mir geht es gut, vielen Dank Doktor“, antwortete Katherine. Teenbaum machte keine Anstalten, ihr die Hand zu geben, also verzichtete sie ebenfalls auf diese Geste. „Sir, es geht um diesen Gefangenen, Colonel Tovin. Haben Sie ihn bei der Ankunft an Bord untersucht?“
Teenbaum setzte sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch und bedeutete Katherine, es ihm gleich zu tun. „Tovin? Ja, habe ich. Es war bei seiner Ankunft bei guter körperlicher Verfassung, allerdings machte er einen recht verwirrten Eindruck. Ich habe eine leichte Amnesie diagnostiziert, hervorgerufen durch die traumatischen Ereignisse unten auf Sameda II. Allerdings konnte ich ihn nicht eingehender untersuchen, ich bin Internist und kein Psychologe wie Sie, Frau Kollegin. Ist etwas nicht in Ordnung mit Colonel Tovin?“ Teenbaum wirkte relativ besorgt.
„Körperlich geht es Tovin gut, nur seine Amnesie macht mir Sorgen. Allerdings bezweifle ich, dass ein posttraumatisches Erlebnis wie dieser Amoklauf dafür verantwortlich ist.“
„Sondern?“ Teenbaum nahm seine Brille ab und kaute auf einem Bügel herum.
„Eher glaube ich, dass man Tovin einen Drogencocktail verabreicht hat und das ist der Grund, warum ich hier bin, Doktor. Ich möchte, dass Sie bei Colonel Tovin ein großes Blut- und Organscreening machen. Ich möchte alles an diesem Mann untersucht wissen, wo sich Reste von natürlichen und synthetischen Drogen ablagern können, von den Haarspitzen bis zu den Nagelbetten seiner kleinen Zehen. Ich will diesen Mann einmal komplett auf links gedreht haben.“ Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, schlug Katherine verbindlich lächelnd mit der Faust auf den Tisch.
„Das ist aufwendig. Ein CABS kann ich hier nicht machen, dafür müssten wir rüber zur Cherish. Aber ich kann das notwendige veranlassen.“
Katherine erhob sich. „Bitte, Doktor, tun Sie das. Ich bin Ihnen für Ihre Mithilfe überaus dankbar.“
„Miss Ballard, ich sehe es als meine Pflicht an, als Arzt wie auch als Soldat, ein so unsägliches Unglück aufzuklären. Sie haben bei diesen Ermittlungen meine vollste Unterstützung.“ Teenbaum verzog das Gesicht zu einem schmallippigen Lächeln.
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Takashi zeigte Katherine das Büro, das sie und Joan für die Dauer der Ermittlungen benutzen sollten. Es war ein kleiner, fensterloser Raum mit einer grellen Deckenlampe, zwei Tischen und Stühlen und je einem Computerterminal auf jedem Tisch. Katherine schaltete ein Terminal ein und setzte sich. Kurze Zeit später kam Joan dazu. „Ich habe Tovin erst mal wieder in seine Zelle bringen lassen. Wen willst du anrufen?“, wollte sie wissen.
„John“, brummte Katherine konzentriert ohne den Blick vom Display abzuwenden. „Wenn sich einer mit so etwas auskennt, dann er. Hoffentlich schläft er noch nicht. Sonst kann ich mich auf ein Donnerwetter gefasst machen.“
Es dauerte nicht lange, bis Captain John Milner sich am anderen Ende der abhörsicheren Verbindung meldete. Er saß mit nassen Haaren und nacktem, muskulösen Oberkörper vor der Kamera und freute sich riesig, seine Katherine zu sehen. „Hey Southern Belle, ich hab dich vermisst!“
„Ich dich auch Cowboy“, hauchte Katherine sanft zurück und warf einen lüsternen Blick auf seine Brust. „Du bist noch auf? Es muss doch schon nach eins in New York sein.“
„Ich bin grad vom Präsidium heimgekommen, was soll ich zu Hause, ohne dich? Dann kann ich auch arbeiten. Wie läuft’s bei euch? Ist Joan auch da?“
„Ja, Joan sitzt mir gegenüber. Wie es läuft?“, seufzte Katherine. „Der Verdächtige kann sich an nichts erinnern, Beweismittel sind unbrauchbar, ein Offizier stellt mir nach und in dem Sonnensystem droht ein Bürgerkrieg auszubrechen. Ganz normal halt. John, du musst mir weiterhelfen. Kennst du dich mit militärischen Handkommunikatoren aus?“
John blinzelte. „Etwas. Um was geht es denn, Süße?“
„Kann man von so einem Gerät gelöschte Daten wiederherstellen, wenn es vorher einen Werksreset bekommen hat?“, fragte Katherine und hielt Tovins Kommunikator in die Höhe.
John kratzte sich am Hinterkopf. „Kommt auf den Modelltyp an“, brummte er. „Wenn es ein neues Modell ist, so maximal zwei Jahre alt, dann ganz sicher. Die älteren kann man auch wiederherstellen, ist aber sehr, sehr schwierig, nicht einmal ich würde das ohne weiteres hinbekommen. War eine Anforderung des Verteidigungsministeriums. Um was für ein Modell handelt es sich?“ Katherine hielt das Gerät in die Kamera, sodass ihr Verlobter es genauer betrachten konnte. „Das ist ein BS-Omni“, sagte John. „Auf der Unterseite müsste eine Modellbezeichnung stehen. Lies mal vor.“
Sie drehte den Kommunikator um und las laut vor: „BS-Omni MK6-64. Sagt dir das was?“
„Klar“, grinste John wissentlich. „Die vierundsechziger gibt es erst seit einem knappen halben Jahr in der Truppe. Die schreiben beim Löschen den gesamten Inhalt in einen versteckten Bereich, falls sie versehentlich zurückgesetzt werden sollten. Die lassen sich problemlos wieder herstellen. Ist kinderleicht! Wenn …“
„Wenn ich den passenden Computer und die Software dazu habe, ich weiß, Cowboy“, unterbrach Katherine John seufzend. „Da liegt das Problem.“
„Wieso, Kat, du bist auf einem Schlachtkreuzer. Wende dich an den Sicherheitsoffizier. Der hat Zugang zu Computer und Software!“
Katherine schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Na klar! John, du bist der Allergrößte! Ich liebe dich! Danke! Ich melde mich wieder bei dir“, rief sie lachend.
„Kleinigkeit, Süße. Komm bald wieder nach Hause. Es ist so einsam ohne dich“, antwortete John traurig und stutzte eine Sekunde. „Was war das mit dem Offizier, der dir nachstellt?“
„Ende der Woche bin ich wieder da, Schatz, dann werde ich dich nach Strich und Faden verwöhnen, versprochen“, flötete Katherine. Sie warf ihm breit grinsend einen Kuss zu und schaltete ab. Dann blickte Katherine Joan verschlagen an und sagte: „Hast du Lust, deine neue Freundin zu besuchen?“
Eine Viertelstunde später stand Joan mit dem Kommunikator bewaffnet auf der Brücke. Obwohl Marijke van den Bosch an diesem Morgen Dienst hatte, war von ihr weit und breit nichts zu sehen. Auf Nachfrage bei einem Decksoffizier bekam sie ein knappes „Einsatzraum“ zur Antwort. Der Einsatzraum befand sich direkt hinter der Kommandoplattform und war durch eine Schiebetür zu erreichen. Joan ging hinein und befand sich in einem schmalen Vorraum, der durch eine große schalldichte Glasscheibe vom eigentlichen Einsatzraum abgetrennt wurde. Captain van den Bosch diskutierte energisch dort mit einigen anderen Offizieren, die Joan bisher noch nicht kannte. Es hatte den Anschein, als wäre Marijke sichtlich genervt von dem Gespräch. Als sie Joan durch die Scheibe bemerkte, deutete sie auf ihr Handgelenk und hob drei Finger – sie bat Joan drei Minuten zu warten.
Joan ging wieder hinaus auf die Kommandoplattform und suchte sich eine Ecke, wo sie niemandem im Weg stand. Exakt drei Minuten später kamen van den Bosch und die anderen Offiziere wieder heraus. Sie hatte einen roten Kopf und sah hochgradig angespannt aus. Nachdem sich die Offiziere wieder auf ihre Stationen verteilt hatten, atmete sie tief ein und versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen. Van den Bosch sah sich um, fand Joan und ging mit einem gequälten Lächeln auf sie zu. „Idioten“, brummte sie leise, sodass Joan es gerade eben verstehen konnte. „Weil Becker sich kaum noch auf der Brücke blicken lässt, meinen sie, dass sie hier machen können, was sie wollen. Ab und zu muss man ihnen den Marsch blasen. Sie wollten mich sprechen, Joan?“
„Ja, Marijke, ich … wir brauchen Ihre Hilfe.“
Van den Bosch hatte sich wieder eingefangen und lächelte Joan freundlich an. „Was kann ich denn für Sie tun?“
Joan zog Tovins Kommunikator aus einer Beintasche. „Dies hier ist Colonel Tovins Kommunikator. Er wurde auf Werkseinstellungen zurückgesetzt und Tovin war es nicht. Ich habe gehört, dass Sie als Sicherheitsoffizier die Gerätschaften haben, um die Daten wieder herzustellen.“
„Ich habe den Computer zwar nicht in meiner Kabine, aber ich kann die IT-Abteilung anweisen, ihn mir zu geben, Dazu brauche ich allerdings die Genehmigung des Commodore.“
„Dann gehen wir zum Commodore und holen sie uns ein!“, gab Joan energisch zurück.
Van den Bosch hob abwehrend die Hände. „Ganz so einfach ist das nicht. Wir dürfen nur Kommunikatoren damit bearbeiten, die in der Bestandsliste der Tennessee geführt sind. Colonel Tovin gehört nicht zu unserer Crew. Das wäre ein schwerer Verstoß gegen die Vorschriften.“ Sie versuchte ein entschuldigendes Lächeln. „Die Raumflotte ist ein furchtbarer Bürokratenhaufen, wenn Sie verstehen, was ich meine“, antwortete die große Blondine mit einem entschuldigenden Lächeln.
„Marijke, bitte! Colonel Tovin ist ein Marine. Er ist Ihr Kamerad! In diesen polizeilichen Ermittlungen geht es um sein Wohl und Wehe. Ich bin nur Lieutenant und kann Ihnen keine Befehle erteilen, Major Ballard kann es aber aufgrund ihrer Dienststellung. Und wenn Sie nicht auf Katherine hören, wird Marshall Garnie an Ihren Commodore oder gar an die Admiralität herantreten müssen. Ich glaube, da haben wir alle kein großes Interesse dran, oder? Ich will auf keinen Fall wegen so einer Kleinigkeit Ärger mit meinem Chef haben, das können Sie mir glauben.“ Joan blickte Marijke treuherzig an. „Die Weltraumpolizei ist noch bürokratischer als alle Streitkräfte zusammen.“
Van den Bosch wog kurz die Optionen ab und antwortete dann: „Also gut. Ich gehe zum Commodore. Kommen Sie heute Mittag gegen dreizehn Uhr in meine Kabine, Nummer zwölf. Dann bringen wir den kleinen Kasten zum Reden.“
Während Joan mit dem Kommunikator unterwegs war, suchte Katherine den Schiffsarzt, Lieutenant Commander Dr. Teenbaum auf, nach Commodore Becker und Commander Rodriguez der ranghöchste Offizier an Bord der Tennessee. Eine zivile Sprechstundenhilfe bat sie, in einem Behandlungszimmer zu warten. Katherine setzte sich auf die Behandlungsliege und ließ die Beine baumeln, während sie sich umsah. Neben der Liege stand ein Tisch mit je einem Stuhl davor und dahinter, ein Waschbecken mit Desinfektionsmittelspendern, eine weiße Kommode mit Kartons, in denen sich Gummihandschuhe in verschiedenen Größen befanden, Einmal-Untersuchungsgerätschaften und ein Magazin mit steril verpackten Spritzen und Kanülen. Neben der Kommode stand ein großer, abschließbarer Schrank aus poliertem Stahl mit einer Glasfront. Dieser Schrank erregte Katherines Aufmerksamkeit, denn darin standen Flaschen und Medikamente, welche sie sich genauer ansah. Es waren diverse Schmerz- und Erkältungsmittel, die auch auf dem zivilen Markt erhältlich waren, Antibiotika, Sprays, Tabletten und Salben. Im obersten Fach befanden sich lichtdichte, dunkelbraune Glasflaschen mit Inhaltsstoffen, deren Namen ausschließlich auf Latein aufgedruckt waren. Katherine versuchte, ihr Latein aus dem Medizingrundstudium heraus zu kramen, was ihr nicht besonders leicht fiel. Durch ihre Tätigkeit als Polizeipsychologin gerieten die Anforderungen an pharmazeutische Lateinkenntnisse eher ins Hintertreffen. Zumindest eine Aufschrift erkannte sie als eine Morphinlösung, also ein starkes Schmerzmittel. Auffällig war auf den Etiketten das Herstellerlogo, eine rote, aufblühende Rose, die in einem Strahlenkranz stand.
„Guten Morgen, Major“, sagte eine knarzige Stimme hinter ihr. Etwas erschreckt fuhr Katherine herum. Vor ihr stand ein großer, hagerer Mann von etwa Mitte vierzig mit sauber gescheiteltem, grauen Haar. Er hatte wie Katherine graue Augen, jedoch bei ihm wirkten sie leblos und stechend. Er blickte ernst über seine randlose Brille und hatte die Stirn in Falten gelegt. „Ich bin Doktor Teenbaum. Was kann ich für Sie tun? Was fehlt Ihnen?“
„Mir geht es gut, vielen Dank Doktor“, antwortete Katherine. Teenbaum machte keine Anstalten, ihr die Hand zu geben, also verzichtete sie ebenfalls auf diese Geste. „Sir, es geht um diesen Gefangenen, Colonel Tovin. Haben Sie ihn bei der Ankunft an Bord untersucht?“
Teenbaum setzte sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch und bedeutete Katherine, es ihm gleich zu tun. „Tovin? Ja, habe ich. Es war bei seiner Ankunft bei guter körperlicher Verfassung, allerdings machte er einen recht verwirrten Eindruck. Ich habe eine leichte Amnesie diagnostiziert, hervorgerufen durch die traumatischen Ereignisse unten auf Sameda II. Allerdings konnte ich ihn nicht eingehender untersuchen, ich bin Internist und kein Psychologe wie Sie, Frau Kollegin. Ist etwas nicht in Ordnung mit Colonel Tovin?“ Teenbaum wirkte relativ besorgt.
„Körperlich geht es Tovin gut, nur seine Amnesie macht mir Sorgen. Allerdings bezweifle ich, dass ein posttraumatisches Erlebnis wie dieser Amoklauf dafür verantwortlich ist.“
„Sondern?“ Teenbaum nahm seine Brille ab und kaute auf einem Bügel herum.
„Eher glaube ich, dass man Tovin einen Drogencocktail verabreicht hat und das ist der Grund, warum ich hier bin, Doktor. Ich möchte, dass Sie bei Colonel Tovin ein großes Blut- und Organscreening machen. Ich möchte alles an diesem Mann untersucht wissen, wo sich Reste von natürlichen und synthetischen Drogen ablagern können, von den Haarspitzen bis zu den Nagelbetten seiner kleinen Zehen. Ich will diesen Mann einmal komplett auf links gedreht haben.“ Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, schlug Katherine verbindlich lächelnd mit der Faust auf den Tisch.
„Das ist aufwendig. Ein CABS kann ich hier nicht machen, dafür müssten wir rüber zur Cherish. Aber ich kann das notwendige veranlassen.“
Katherine erhob sich. „Bitte, Doktor, tun Sie das. Ich bin Ihnen für Ihre Mithilfe überaus dankbar.“
„Miss Ballard, ich sehe es als meine Pflicht an, als Arzt wie auch als Soldat, ein so unsägliches Unglück aufzuklären. Sie haben bei diesen Ermittlungen meine vollste Unterstützung.“ Teenbaum verzog das Gesicht zu einem schmallippigen Lächeln.
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