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Captain Future - Meuterei

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    #16
    Danke, Twisi.

    Takashi zeigte Katherine das Büro, das sie und Joan für die Dauer der Ermittlungen benutzen sollten. Es war ein kleiner, fensterloser Raum mit einer grellen Deckenlampe, zwei Tischen und Stühlen und je einem Computerterminal auf jedem Tisch. Katherine schaltete ein Terminal ein und setzte sich. Kurze Zeit später kam Joan dazu. „Ich habe Tovin erst mal wieder in seine Zelle bringen lassen. Wen willst du anrufen?“, wollte sie wissen.

    „John“, brummte Katherine konzentriert ohne den Blick vom Display abzuwenden. „Wenn sich einer mit so etwas auskennt, dann er. Hoffentlich schläft er noch nicht. Sonst kann ich mich auf ein Donnerwetter gefasst machen.“

    Es dauerte nicht lange, bis Captain John Milner sich am anderen Ende der abhörsicheren Verbindung meldete. Er saß mit nassen Haaren und nacktem, muskulösen Oberkörper vor der Kamera und freute sich riesig, seine Katherine zu sehen. „Hey Southern Belle, ich hab dich vermisst!“

    „Ich dich auch Cowboy“, hauchte Katherine sanft zurück und warf einen lüsternen Blick auf seine Brust. „Du bist noch auf? Es muss doch schon nach eins in New York sein.“

    „Ich bin grad vom Präsidium heimgekommen, was soll ich zu Hause, ohne dich? Dann kann ich auch arbeiten. Wie läuft’s bei euch? Ist Joan auch da?“

    „Ja, Joan sitzt mir gegenüber. Wie es läuft?“, seufzte Katherine. „Der Verdächtige kann sich an nichts erinnern, Beweismittel sind unbrauchbar, ein Offizier stellt mir nach und in dem Sonnensystem droht ein Bürgerkrieg auszubrechen. Ganz normal halt. John, du musst mir weiterhelfen. Kennst du dich mit militärischen Handkommunikatoren aus?“

    John blinzelte. „Etwas. Um was geht es denn, Süße?“

    „Kann man von so einem Gerät gelöschte Daten wiederherstellen, wenn es vorher einen Werksreset bekommen hat?“, fragte Katherine und hielt Tovins Kommunikator in die Höhe.

    John kratzte sich am Hinterkopf. „Kommt auf den Modelltyp an“, brummte er. „Wenn es ein neues Modell ist, so maximal zwei Jahre alt, dann ganz sicher. Die älteren kann man auch wiederherstellen, ist aber sehr, sehr schwierig, nicht einmal ich würde das ohne weiteres hinbekommen. War eine Anforderung des Verteidigungsministeriums. Um was für ein Modell handelt es sich?“ Katherine hielt das Gerät in die Kamera, sodass ihr Verlobter es genauer betrachten konnte. „Das ist ein BS-Omni“, sagte John. „Auf der Unterseite müsste eine Modellbezeichnung stehen. Lies mal vor.“

    Sie drehte den Kommunikator um und las laut vor: „BS-Omni MK6-64. Sagt dir das was?“

    „Klar“, grinste John wissentlich. „Die vierundsechziger gibt es erst seit einem knappen halben Jahr in der Truppe. Die schreiben beim Löschen den gesamten Inhalt in einen versteckten Bereich, falls sie versehentlich zurückgesetzt werden sollten. Die lassen sich problemlos wieder herstellen. Ist kinderleicht! Wenn …“

    „Wenn ich den passenden Computer und die Software dazu habe, ich weiß, Cowboy“, unterbrach Katherine John seufzend. „Da liegt das Problem.“

    „Wieso, Kat, du bist auf einem Schlachtkreuzer. Wende dich an den Sicherheitsoffizier. Der hat Zugang zu Computer und Software!“

    Katherine schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. „Na klar! John, du bist der Allergrößte! Ich liebe dich! Danke! Ich melde mich wieder bei dir“, rief sie lachend.

    „Kleinigkeit, Süße. Komm bald wieder nach Hause. Es ist so einsam ohne dich“, antwortete John traurig und stutzte eine Sekunde. „Was war das mit dem Offizier, der dir nachstellt?“

    „Ende der Woche bin ich wieder da, Schatz, dann werde ich dich nach Strich und Faden verwöhnen, versprochen“, flötete Katherine. Sie warf ihm breit grinsend einen Kuss zu und schaltete ab. Dann blickte Katherine Joan verschlagen an und sagte: „Hast du Lust, deine neue Freundin zu besuchen?“



    Eine Viertelstunde später stand Joan mit dem Kommunikator bewaffnet auf der Brücke. Obwohl Marijke van den Bosch an diesem Morgen Dienst hatte, war von ihr weit und breit nichts zu sehen. Auf Nachfrage bei einem Decksoffizier bekam sie ein knappes „Einsatzraum“ zur Antwort. Der Einsatzraum befand sich direkt hinter der Kommandoplattform und war durch eine Schiebetür zu erreichen. Joan ging hinein und befand sich in einem schmalen Vorraum, der durch eine große schalldichte Glasscheibe vom eigentlichen Einsatzraum abgetrennt wurde. Captain van den Bosch diskutierte energisch dort mit einigen anderen Offizieren, die Joan bisher noch nicht kannte. Es hatte den Anschein, als wäre Marijke sichtlich genervt von dem Gespräch. Als sie Joan durch die Scheibe bemerkte, deutete sie auf ihr Handgelenk und hob drei Finger – sie bat Joan drei Minuten zu warten.
    Joan ging wieder hinaus auf die Kommandoplattform und suchte sich eine Ecke, wo sie niemandem im Weg stand. Exakt drei Minuten später kamen van den Bosch und die anderen Offiziere wieder heraus. Sie hatte einen roten Kopf und sah hochgradig angespannt aus. Nachdem sich die Offiziere wieder auf ihre Stationen verteilt hatten, atmete sie tief ein und versuchte, ihre Fassung wiederzuerlangen. Van den Bosch sah sich um, fand Joan und ging mit einem gequälten Lächeln auf sie zu. „Idioten“, brummte sie leise, sodass Joan es gerade eben verstehen konnte. „Weil Becker sich kaum noch auf der Brücke blicken lässt, meinen sie, dass sie hier machen können, was sie wollen. Ab und zu muss man ihnen den Marsch blasen. Sie wollten mich sprechen, Joan?“

    „Ja, Marijke, ich … wir brauchen Ihre Hilfe.“

    Van den Bosch hatte sich wieder eingefangen und lächelte Joan freundlich an. „Was kann ich denn für Sie tun?“

    Joan zog Tovins Kommunikator aus einer Beintasche. „Dies hier ist Colonel Tovins Kommunikator. Er wurde auf Werkseinstellungen zurückgesetzt und Tovin war es nicht. Ich habe gehört, dass Sie als Sicherheitsoffizier die Gerätschaften haben, um die Daten wieder herzustellen.“

    „Ich habe den Computer zwar nicht in meiner Kabine, aber ich kann die IT-Abteilung anweisen, ihn mir zu geben, Dazu brauche ich allerdings die Genehmigung des Commodore.“

    „Dann gehen wir zum Commodore und holen sie uns ein!“, gab Joan energisch zurück.

    Van den Bosch hob abwehrend die Hände. „Ganz so einfach ist das nicht. Wir dürfen nur Kommunikatoren damit bearbeiten, die in der Bestandsliste der Tennessee geführt sind. Colonel Tovin gehört nicht zu unserer Crew. Das wäre ein schwerer Verstoß gegen die Vorschriften.“ Sie versuchte ein entschuldigendes Lächeln. „Die Raumflotte ist ein furchtbarer Bürokratenhaufen, wenn Sie verstehen, was ich meine“, antwortete die große Blondine mit einem entschuldigenden Lächeln.

    „Marijke, bitte! Colonel Tovin ist ein Marine. Er ist Ihr Kamerad! In diesen polizeilichen Ermittlungen geht es um sein Wohl und Wehe. Ich bin nur Lieutenant und kann Ihnen keine Befehle erteilen, Major Ballard kann es aber aufgrund ihrer Dienststellung. Und wenn Sie nicht auf Katherine hören, wird Marshall Garnie an Ihren Commodore oder gar an die Admiralität herantreten müssen. Ich glaube, da haben wir alle kein großes Interesse dran, oder? Ich will auf keinen Fall wegen so einer Kleinigkeit Ärger mit meinem Chef haben, das können Sie mir glauben.“ Joan blickte Marijke treuherzig an. „Die Weltraumpolizei ist noch bürokratischer als alle Streitkräfte zusammen.“

    Van den Bosch wog kurz die Optionen ab und antwortete dann: „Also gut. Ich gehe zum Commodore. Kommen Sie heute Mittag gegen dreizehn Uhr in meine Kabine, Nummer zwölf. Dann bringen wir den kleinen Kasten zum Reden.“


    Während Joan mit dem Kommunikator unterwegs war, suchte Katherine den Schiffsarzt, Lieutenant Commander Dr. Teenbaum auf, nach Commodore Becker und Commander Rodriguez der ranghöchste Offizier an Bord der Tennessee. Eine zivile Sprechstundenhilfe bat sie, in einem Behandlungszimmer zu warten. Katherine setzte sich auf die Behandlungsliege und ließ die Beine baumeln, während sie sich umsah. Neben der Liege stand ein Tisch mit je einem Stuhl davor und dahinter, ein Waschbecken mit Desinfektionsmittelspendern, eine weiße Kommode mit Kartons, in denen sich Gummihandschuhe in verschiedenen Größen befanden, Einmal-Untersuchungsgerätschaften und ein Magazin mit steril verpackten Spritzen und Kanülen. Neben der Kommode stand ein großer, abschließbarer Schrank aus poliertem Stahl mit einer Glasfront. Dieser Schrank erregte Katherines Aufmerksamkeit, denn darin standen Flaschen und Medikamente, welche sie sich genauer ansah. Es waren diverse Schmerz- und Erkältungsmittel, die auch auf dem zivilen Markt erhältlich waren, Antibiotika, Sprays, Tabletten und Salben. Im obersten Fach befanden sich lichtdichte, dunkelbraune Glasflaschen mit Inhaltsstoffen, deren Namen ausschließlich auf Latein aufgedruckt waren. Katherine versuchte, ihr Latein aus dem Medizingrundstudium heraus zu kramen, was ihr nicht besonders leicht fiel. Durch ihre Tätigkeit als Polizeipsychologin gerieten die Anforderungen an pharmazeutische Lateinkenntnisse eher ins Hintertreffen. Zumindest eine Aufschrift erkannte sie als eine Morphinlösung, also ein starkes Schmerzmittel. Auffällig war auf den Etiketten das Herstellerlogo, eine rote, aufblühende Rose, die in einem Strahlenkranz stand.

    „Guten Morgen, Major“, sagte eine knarzige Stimme hinter ihr. Etwas erschreckt fuhr Katherine herum. Vor ihr stand ein großer, hagerer Mann von etwa Mitte vierzig mit sauber gescheiteltem, grauen Haar. Er hatte wie Katherine graue Augen, jedoch bei ihm wirkten sie leblos und stechend. Er blickte ernst über seine randlose Brille und hatte die Stirn in Falten gelegt. „Ich bin Doktor Teenbaum. Was kann ich für Sie tun? Was fehlt Ihnen?“

    „Mir geht es gut, vielen Dank Doktor“, antwortete Katherine. Teenbaum machte keine Anstalten, ihr die Hand zu geben, also verzichtete sie ebenfalls auf diese Geste. „Sir, es geht um diesen Gefangenen, Colonel Tovin. Haben Sie ihn bei der Ankunft an Bord untersucht?“

    Teenbaum setzte sich auf den Stuhl hinter dem Schreibtisch und bedeutete Katherine, es ihm gleich zu tun. „Tovin? Ja, habe ich. Es war bei seiner Ankunft bei guter körperlicher Verfassung, allerdings machte er einen recht verwirrten Eindruck. Ich habe eine leichte Amnesie diagnostiziert, hervorgerufen durch die traumatischen Ereignisse unten auf Sameda II. Allerdings konnte ich ihn nicht eingehender untersuchen, ich bin Internist und kein Psychologe wie Sie, Frau Kollegin. Ist etwas nicht in Ordnung mit Colonel Tovin?“ Teenbaum wirkte relativ besorgt.

    „Körperlich geht es Tovin gut, nur seine Amnesie macht mir Sorgen. Allerdings bezweifle ich, dass ein posttraumatisches Erlebnis wie dieser Amoklauf dafür verantwortlich ist.“

    „Sondern?“ Teenbaum nahm seine Brille ab und kaute auf einem Bügel herum.

    „Eher glaube ich, dass man Tovin einen Drogencocktail verabreicht hat und das ist der Grund, warum ich hier bin, Doktor. Ich möchte, dass Sie bei Colonel Tovin ein großes Blut- und Organscreening machen. Ich möchte alles an diesem Mann untersucht wissen, wo sich Reste von natürlichen und synthetischen Drogen ablagern können, von den Haarspitzen bis zu den Nagelbetten seiner kleinen Zehen. Ich will diesen Mann einmal komplett auf links gedreht haben.“ Um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen, schlug Katherine verbindlich lächelnd mit der Faust auf den Tisch.

    „Das ist aufwendig. Ein CABS kann ich hier nicht machen, dafür müssten wir rüber zur Cherish. Aber ich kann das notwendige veranlassen.“

    Katherine erhob sich. „Bitte, Doktor, tun Sie das. Ich bin Ihnen für Ihre Mithilfe überaus dankbar.“

    „Miss Ballard, ich sehe es als meine Pflicht an, als Arzt wie auch als Soldat, ein so unsägliches Unglück aufzuklären. Sie haben bei diesen Ermittlungen meine vollste Unterstützung.“ Teenbaum verzog das Gesicht zu einem schmallippigen Lächeln.
    Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

    Mission accomplished.

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      #17
      Zitat von Nurara McCabe Beitrag anzeigen
      Wir dürfen nur Kommunikatoren damit bearbeiten, die in der Bestandsliste der Tennessee geführt sind.
      Verdammte Bürokratie! Immer dann, wenn man es grade mal eilig hat
      ZUKUNFT -
      das ist die Zeit, in der du bereust, dass du das, was du heute tun kannst, nicht getan hast.
      Mein VT: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...ndenz-steigend
      Captain Future Stammtisch: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...´s-cf-spelunke

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        #18
        Zitat von avatax Beitrag anzeigen
        Verdammte Bürokratie! Immer dann, wenn man es grade mal eilig hat
        Gerade beim Militär. Ich spreche da aus Erfahrung. Ich spreche aber auch aus Erfahrung, wenn ich behaupte, dass, wenn man ein gutes Verhältnis zu seinen Vorgesetzten hat, der "Obergefreitendienstweg" immer funktioniert.

        Siehe Marijke im folgenden:


        Commodore Beckers Büro war abgedunkelt, nur eine kleine Lampe auf seinem Schreibtisch spendete schummeriges Licht. Becker saß in einem schweren Ledersessel dahinter und las an seinem Terminal Berichte. Der Summer an seiner Tür ließ ihn aufsehen. „Herein!“, rief er und erhob sich. Als Captain van den Bosch eintrat, hellte sich seine betrübte Miene etwas auf. „Ohne Meldung. Was gibt es, Captain?“

        „Sir, ich benötige Ihre Genehmigung für eine Kommunikatorwartung. Das Gerät gehört allerdings nicht zu unserem Bestand“, antwortete van den Bosch ernst. „Es ist Tovins Gerät. Laut Lieutenant Landor wurde es kurz vor oder nach seiner Festnahme gelöscht.“

        „Colonel Tovin. So, so“, antwortete Becker monoton. „Captain, wie ist Ihre Meinung zu dem Fall? Ich selber glaube nicht, dass er diese Tat geplant und vorsätzlich ausgeführt hat. Da steckt was anderes dahinter.“

        Van den Bosch straffte sich etwas. „Darf ich offen sprechen, Sir?“ Als Becker wortlos nickte, fuhr die große blonde Frau fort: „Sir, ich denke auch nicht, dass Tovin maßgeblich für diese Tat verantwortlich ist. Mein Instinkt sagt mir, dass jemand anderes Tovin dazu gezwungen hat. Ganz erstaunlich ist, dass Tovin einen Tag, nachdem wir in dieses System gekommen sind, Amok gelaufen ist. Sein Kommunikator wurde gelöscht und nur wir hier haben die Möglichkeiten, diese Wartungsarbeiten durchzuführen. Sir, irgendetwas stinkt hier!“

        Becker ging um seinen Tisch herum und nahm van den Boschs Hand. „Marijke, das, was Sie gerade gesagt haben, ist nur ein kleiner Teil dessen, was hier tatsächlich stinkt. Kann ich Ihnen vertrauen?“ Becker sah seine Sicherheitsbeauftragte fragend an.

        „Ja, Sir. Sie haben meine einhundertprozentige Loyalität, Sir“, antwortete van den Bosch mit Nachdruck.

        „Das ganze Schiff stinkt! Ich befürchte, dass es hier innerhalb kurzer Zeit zu einem Aufstand, wenn nicht sogar zu einer Meuterei kommen wird. Tovin war nur ein Werkzeug, nur ein kleines Licht. Er ist nichts im Vergleich zu dem, was hier passieren wird. Vielleicht war er nur Mittel zum Zweck. Marijke, wir müssen schlimmeres verhindern!“

        „Sir … was …“ Van den Bosch stockte der Atem. „Was meinen Sie?“

        „Captain, halten Sie Augen und Ohren offen. Insbesondere bei dem, was aus dem Offizierskorps kommt. Ich habe eine Ahnung, dass einige Offiziere dieses Schiffs einen Putsch, einen Aufruhr oder was auch immer planen. Arbeiten Sie mit Ballard und Landor zusammen. Und melden Sie mir, was auch immer Sie mitbekommen, das ist ein Befehl, Captain! Ich brauche Sie! Ich brauche Ihre Hilfe.“ Den letzten Satz betonte Becker Wort für Wort.

        Marijke van den Bosch salutierte. „Aye, Sir! Sie können sich auf mich verlassen.“

        „Dann gehen Sie wieder auf Ihren Posten. Die Genehmigung für Ihren Antrag ist hiermit erteilt. Holen Sie sich die Zauberkiste aus der IT-Abteilung.“

        Van den Bosch wandte sich zur Tür, drehte sich aber noch einmal um. „Sir, ich hätte noch eine persönliche Bitte an Sie.“

        Becker sah seinen zweiten Offizier fragend an. „Was denn, Marijke? Nur raus damit.“

        Van den Bosch ging noch einmal auf ihren Kommandanten zu, dichter als das Protokoll es eigentlich erlaubte. „Sir, ich weiß um Ihre Probleme. Bitte sprechen Sie mit Major Ballard. Sie kann Sie vielleicht in Anbetracht der gegenwärtigen Situation nicht therapieren, aber eventuell einige Ratschläge geben. Bitte Sir, sprechen Sie mit ihr! Ich brauche Sie! Das Schiff braucht Sie! Sie sind immer noch der Kommandant.“

        Commodore Becker atmete tief durch. „Captain, Sie glauben gar nicht, wie sehr ich Ihre Offenheit schätze. Danke dafür. Ich bin mir sehr bewusst, dass ich Hilfe brauche. Ich schaffe es nicht mehr, diesen Verband zu führen.“ Becker senkte sein Haupt für einen Moment, dann sah er van den Bosch in die Augen. „Ich werde mit Major Ballard sprechen. Danke Marijke.“



        Nach einem schnellen, gemeinsamen Mittagessen trennten sich Katherine und Joan für den Rest des Tages. Katherine flog mit Tovin, Dr. Teenbaum, Captain Yokomuri und zwei bewaffneten Polizeisergeants hinüber zur Lazarettfregatte Cherish, um dort den Ganzkörperscan an Colonel Tovin durchzuführen, während Joan pünktlich wie verabredet um dreizehn Uhr vor Marijke van den Boschs Kabine stand. Van den Bosch öffnete ihr und Joan trat in die kleine Kabine ein. Zu ihrer Überraschung hatte sich van den Bosch in ihrer Unterkunft weitaus gemütlicher und femininer eingerichtet, als Joan es von der bewusst burschikos auftretenden Flottenoffizierin erwartet hätte. Hie und da fand Joan eine Vase mit hübschen Kunstblumen, auf der ordentlich gemachten Koje lag ein rosa Plüschkissen mit einer Stickerei in niederländischer Sprache, Familienfotos und immer wieder Bilder von van den Boschs verstorbener Schwester. Joan war aufs Neue erstaunt, wie ähnlich sie van den Boschs Schwester sah. Bei einem Blick aus dem Fenster konnte sie Sameda II sehen, während in kurzem Abstand zur Tennessee eine Rotte Super-Sabre-Raumjäger vorbei flog.

        „Wollen wir?“, fragte Marijke, die ihre Uniformjacke ausgezogen hatte und mit ihrem engen weißen T-Shirt, das ihre weiblichen Vorzüge stark zur Geltung brachte, lächelnd vor Joan stand. „Ich habe den Computer schon aufgebaut.“ Sie wies auf einen breiten, flachen Kasten mit einem klappbaren Minibildschirm und einer kleinen Tastatur, neben der verschiedene Schnittstellen eingelassen waren.

        „Klar, legen wir los. Ich bin gespannt, was wir zu sehen bekommen“, antwortete Joan und reichte Marijke den Kommunikator.

        Marijke nahm das Gerät und steckte es in die passende Schnittstelle, tippte ein paar Befehle ein und nur wenige Sekundenbruchteile später standen die technischen Spezifikationen des Kommunikators, wie Modell, Seriennummer, Prozessortyp und Ausstattung, auf dem Bildschirm. „Oh!“, machte Marijke nur.

        „Oh?!“, gab Joan verwundert zurück. „Was ist denn los?“

        „Das sollte so nicht da stehen, jedenfalls nicht so schnell. Der Kommunikator war schon einmal an diesem Gerät angeschlossen. Normalerweise muss ich, um an diese Informationen zu gelangen, das Gerät komplett auslesen. Und das dauert in der Regel ein bis zwei Minuten.“ Marijke kratzte sich verwundert am Hinterkopf.

        Joan riss vor Schreck die Augen weit auf. „Das bedeutet, dass der Kommunikator …“

        „… mit diesem Computer gelöscht wurde!“, beendete Marijke den Satz. „Commodore Becker hatte Recht …“ Sie sah Joan unglücklich an.

        Joans Augen wurden noch größer. „Inwiefern?“

        Marijke raufte sich den blonden Wuschelkopf und rieb sich die Augen. „Joan, was ich Ihnen jetzt erzählen werde, ist hochgradig vertraulich, hören Sie? Nur Sie, ich und Major Ballard dürfen davon wissen. Habe ich Ihr Wort, dass Sie mit niemandem auf diesem Schiff darüber sprechen?“

        Joan nickte. „Natürlich, Marijke.“

        Marijke stand auf und ging in der kleinen Kabine auf und ab. „Commodore Becker hat mir vorhin erzählt, dass er glaubt, hier ginge etwas vor sich. Er hat den Verdacht, dass sich ein Aufstand oder gar eine Meuterei auf der Tennessee anbahnt. Er befürchtet, dass der Amoklauf von Tovin in irgendeiner Weise damit zusammenhängt.“

        Joan schlug entsetzt eine Hand vor den Mund. „Oh mein Gott, das ist ja schrecklich! Dann müssen wir die Admiralität und Marshall Garnie informieren!“

        „Nein! Auf gar keinen Fall!“, zischte Marijke und zeigte drohend mit dem Zeigefinger zuerst auf Joan, dann auf Tovins Kommunikator. „Dann bringen wir uns alle in Gefahr. Auf diesem Schiff sind dreitausend Menschen, viele davon zivile Angestellte und wir haben noch keine Ahnung, wer die Rädelsführer sein könnten, und wie viele Besatzungsmitglieder sie vielleicht schon auf ihrer Seite haben. Dass der Kommunikator hier manipuliert wurde, ist schon ein Beweis, dass hier was brodelt.“

        Joan zögerte einen Moment, dann zog sie die Augenbrauen zusammen. Marijkes letzter Satz ließ sie ein wenig misstrauisch werden, denn Marijke gehörte schließlich zu dem kleinen Personenkreis, der Zugriff auf den Computer hatte. „Auf welcher Seite stehen Sie, Captain?“, fragte Joan provokant, während sie auf dem Rand der Koje saß und entschlossen zu der großen Frau aufblickte. Sie erwartete jetzt einen Wutausbruch von ihr.

        Doch Marijke blieb erstaunlich gelassen. Sie trat an Joan heran und ging vor ihr in die Hocke. Joan sah jetzt auf sie herab. „Ich habe die Frage erwartet, Joan. Ich will Ihnen was sagen. Ich bin neunundzwanzig Jahre alt und seit zehn Jahren bei der Flotte. Und genauso lange kenne ich Becker. Er hat mich ausgebildet. Er mag im Dienst ein Arschloch vor dem Herrn sein, aber er hat eine Familie, die er über alles liebt und vermisst. Ich weiß, wie der private Joachim Becker ist, nämlich voller Güte und Herzenswärme. Wenn es einen Menschen gibt, zu dem ich stehe und aufsehe, dann er. Ich würde ihn niemals verraten!“ Marijke sah Joan fest an und wich ihrem Blick nicht aus.

        Joans ernste Miene entspannte sich und verwandelte sich in ein kleines Lächeln. Sie legte vorsichtig eine Hand auf Marijkes Schulter und sagte: „Ich glaube Ihnen. Meine Frage zielte auch mehr auf Ihre Reaktion ab. Sie hätten anders reagiert, wenn Sie was damit zu tun hätten. Wollen wir weiter machen?“

        Marijke atmete hörbar aus und antwortete: „Machen wir weiter. Soll ich uns Kaffee bringen lassen? Das Zurückspielen der Daten wird etwas dauern. Anschließend sollten wir überprüfen, wer sich an dem Gerät zu schaffen gemacht hat.“

        „Geht das denn? Kann man auslesen, wer sich an dem Computer angemeldet hat?“

        „Ja, sicher“, antwortete Marijke mit einem spitzbübischen Lächeln. „Das muss sogar so sein, für den Fall, dass der Bediener einen schwerwiegenden Fehler machen sollte und so zur Verantwortung gezogen werden kann. Jeder auf dem Computer registrierte Benutzer hat eine eindeutige ID und ein persönliches Passwort.“ Marijke ging zur Gegensprechanlage und rief die Ordonnanz des Offizierscasinos, bei der sie Kaffee bestellte, dann beugte sie sich über den Computer und gab den Befehl zur Wiederherstellung des Kommunikators ein. Ein Balken auf dem Bildschirm zeigte den Status und die berechnete Restzeit von zirka zweiundvierzig Minuten an.

        Vierzig Minuten und vier Tassen Kaffee später war die Wiederherstellung erfolgreich beendet. Marijke nahm den Kommunikator aus dem Computer und reichte ihn Joan. „Was glauben Sie darauf zu finden?“, fragte sie neugierig.

        „Namen, Adressen, Tovins Logbuch, irgendwas in der Richtung“, antwortete Joan und steckte das Gerät ein. Sie wollte es in Ruhe und nicht im Beisein Dritter untersuchen. „Können Sie jetzt mal nachsehen, wer das Ding gelöscht hat?“

        „Klar, dauert nur eine Sekunde“, sagte die Blondine mit dem kurzen Wuschelkopf und wandte sich wieder dem Computer zu. Sie gab einen Befehl auf der Tastatur ein und scrollte eine Liste herunter. „Da haben wir’s ja …“ Schlagartig verlor Marijke sämtliche Farbe aus ihrem Gesicht. „Scheiße …“, flüsterte sie nur und sah Joan an.

        „Wer war es denn? Sagen Sie schon!“ Joans Stimme hatte eine leichte Schärfe angenommen. Marijke starrte sie nur teilnahmslos an, schluckte hart und eine Träne rollte ihre Wange herab.

        Joan sprang von der Koje auf und drückte sich unsanft an Marijke vorbei, hin zu der Liste auf dem Bildschirm. Als letzten Eintrag fand sie Marijkes aktuelle Anmeldung und einen Eintrag darüber den Namen eines Chief Petty Officer Sven Johansson. Das Datum war der Tag von Tovins Amoklauf, nur wenige Stunden nach dessen Festnahme war der Kommunikator des Colonels gelöscht worden. Joan sah Marijke argwöhnisch an. „Wer ist das, Marijke? Sagen Sie es mir!“ Joan hatte alle Mühe, ihre Beherrschung zu behalten, während sie mit dem Zeigefinger auf den Bildschirm deutete.

        Marijke van den Bosch sah mit einem Male völlig hilflos aus, ihre Hände zitterten, nein, sie zitterte am ganzen Körper. Die Stärke und das Selbstbewusstsein, das die schöne Niederländerin noch vor wenigen Sekunden verströmte, waren wie weggeblasen. „Ich … Sven … wir …“, stammelte sie.

        Joan packte die andere Frau kräftig an den Schultern und sah sie energisch an. „Reden Sie, Captain und reißen Sie sich verdammt noch mal zusammen! Was ist mit diesem Chief Petty Officer Johansson?“ Ihre sonst so sanfte Stimme wurde noch eine Spur schärfer. Joans Verärgerung war unüberhörbar.
        Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

        Mission accomplished.

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          #19
          Ich finde ja auch... Vorschriften sind allein dazu da, dass man sie umgeht *fg*
          Unendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination
          Ein Holodeck ist klasse! Man kann überall hin, obwohl man gar nicht weg muss :)
          Außerirdische Technologie + menschliche Dummheit = unschlagbare Ergebnisse :)

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            #20
            Na, wenn jemand gekonnt Vorschriften umgehen kann, dann sind es die beiden Mädels...

            Weiter geht's! Kat grillt Rodriguez, eine meiner Lieblingsszenen...


            Marijke zog den Rotz in der Nase hoch und versuchte, ihre Fassung wieder zu erlangen. „Chief Johansson gehört zu meinem Team. Er ist ein erfahrener Unteroffizier und Verschlüsselungsspezialist. Was er nicht knacken kann, knackt niemand. Er ist der Beste auf seinem Gebiet und Becker hat ihn auf mein Bitten hin an Bord geholt.“ Marijke senkte den Blick und sagte fast unhörbar: „Und wir haben eine Beziehung … aber es darf niemand davon wissen!“

            „Daher weht der Wind!“, murmelte Joan leise und war kurz davor, Captain van den Bosch für ihre Liebesbeziehung zu einem niedrigeren Dienstgrad zu tadeln, besann sich aber eines besseren, als ihr Katherine und John einfielen, die sich vor über zwei Jahren kennenlernten und John damals noch den Dienstgrad Corporal trug während Katherine bereits im Range eines Majors stand. „Wie lange geht das schon?“, fragte sie.

            „Wir treffen uns seit etwa einem Jahr, heimlich. Im Dienst lassen wir uns nichts anmerken, das hätte fatale Folgen für unsere Karrieren. Was … was werden Sie jetzt mit Sven machen?“ Die Angst um Chief Johansson war Marijke förmlich ins Gesicht geschrieben.

            „Wir beide gehen jetzt erst einmal in Ihre Abteilung, ganz ohne Aufsehen zu erregen. Wir werden Johansson freundlich bitten, mit uns zu kommen und ihn im Polizeibereich zur Sache vernehmen. Vielleicht gibt es eine plausible Erklärung?“, antwortete Joan mit einem aufmunternden Lächeln. Sie war sehr um Neutralität bemüht, insgeheim jedoch bekam sie Bauchschmerzen, denn die ganze Sache nahm langsam eine beängstigende Form an. Der Begriff „Verschwörung“ kam ihr in den Sinn. Joan wandte sich dem Computer zu, klappte den Bildschirm ein und nahm ihn unter den Arm. „Bringen Sie sich etwas in Ordnung, Marijke. Ich warte draußen auf Sie“, meinte Joan und ging mit dem Computer hinaus.

            Als Joan mit Captain van den Bosch und Chief Petty Officer Johansson durch die langen und gewundenen Gänge des riesigen Schlachtkreuzers in Richtung Polizeitrakt ging, sprach das Trio die ganze Zeit kein einziges Wort miteinander. Johansson hatte nur erstaunt auf den Computer unter Joans Arm und dann noch erschrockener auf seine heimliche Geliebte geschaut, war aber sofort und ohne Fragen zu stellen mitgekommen. Joan betrachtete ihn, während sie gingen, mehrmals von der Seite. Er war Anfang bis Mitte dreißig, genauso groß wie Marijke, hatte wirres rotblondes Haar und grüne Augen. Mit seinem ebenso rotblonden, akkurat gestutzten Vollbart hatte er etwas Wikingerhaftes, was aufgrund seiner skandinavischen Herkunft nicht von ungefähr kam. Er hatte durchaus eine sympathische Ausstrahlung, sodass Joan ihn ziemlich attraktiv fand.

            Im Polizeitrakt angekommen, ließ Joan Johansson direkt von einem Sergeant in den Verhörraum bringen, dabei musste sie Marijke untersagen, mitzukommen. Enttäuscht aber einsichtig kam Marijke dieser Anweisung nach, denn im Polizeibereich der Tennessee hatte sie auch als zweiter Offizier keinerlei Befehlsbefugnis. Sie postierte sich breitbeinig mit den Händen auf dem Rücken vor dem Verhörraum und wartete geduldig.

            Im nächsten Schritt musste Joan Katherine Bericht erstatten. Katherine war mit Tovin und Yokomuri noch nicht zurückgekehrt, es war auch gerade erst etwas über eine Stunde vergangen, als sie zur Cherish übergesetzt hatten. Sie benutzte dazu ihren eigenen Dienstkommunikator und wählte eine gesicherte Verbindung. Joan hatte sich in dem kleinen Büro eingeschlossen, als sie Katherine anrief.

            „Kat hier, was gibt’s Joan?“, meldete sich ihre Freundin vom anderen Schiff.

            „Wie weit seid ihr da drüben?“, fragte Joan, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen.

            „Der Scan dauert noch etwa zehn Minuten, ich denke in spätestens einer halben bis dreiviertel Stunde sind wir wieder bei euch. Hast du was herausgefunden?“ Katherines Stimme klang überaus neugierig.

            „Ja, Kat. Der Kommunikator ist wieder hergestellt. Außerdem haben wir schon einen ersten Verdächtigen, der laut des Wartungscomputers Tovins Gerät manipuliert hat. Ich habe ihn zum Verhör mitgenommen.“

            „Mach‘s nicht so spannend, Joan, wer ist es? Van den Bosch? Ich könnte es mir fast denken. Diese geile Sahneschnitte erschien mir von Anfang an nicht ganz koscher.“

            Joan musste über Katherines despektierliche Redensart schmunzeln. „Nicht ganz, Kat. Es ist ein gewisser Chief Petty Officer Johansson. Er arbeitet in van den Boschs Abteilung und ist …“ Joan musste sich das Lachen verkneifen, indem sie sich kurz auf die Lippe biss. „… er hat eine heimliche Liebesbeziehung mit seiner Abteilungsleiterin. Der Unteroffizier und seine Offiziersbraut. Lustig, was? Kennen wir das nicht irgendwoher? Und er ist ein Hacker, wie dein Cowboy!“

            Aus Joans Lautsprecher kam nur ein verächtliches Schnauben. „Pah …“ Katherine hasste es zuweilen, sich stets über ihre Beziehung zu einem jüngeren und dienstgradniedrigeren Mann rechtfertigen zu müssen. Auch im aufgeklärten dreiundzwanzigsten Jahrhundert schienen Dienstverhältnis und Alter immer noch unterschwellig eine Rolle zu spielen. „Aber im Ernst, Joan. Gut gemacht. Halte ihn bitte noch etwas hin. Stell ihm ein paar allgemeine Fragen, bis ich wieder da bin. Ich wäre gerne beim Verhör dabei!“




            Missmutig saßen die beiden Polizistinnen gegen Abend in zivil an der Bar des Offizierscasinos. Vor Katherine stand ein großer Krug Bier, Joan nippte an einem Weißwein. Das Verhör von Chief Johansson hatte kein Ergebnis zustande gebracht. Er konnte glaubhaft belegen, dass er an jenem Tag eine größere Charge fremder Kommunikatoren für die Spaceranger instandgesetzt hatte und ihm nicht weiter aufgefallen war, dass ein Gerät Colonel Tovin gehörte. Die Nachricht, dass Tovin auf Sameda II Amok gelaufen war und anschließend festgenommen wurde, hatte Commodore Becker im Flottenverband erst sechsunddreißig Stunden später offiziell bekannt gemacht, dies war der übliche Umgang mit für die Besatzung minderkritischen Informationen dieser Art. Katherine hob ihren noch halb vollen Pint und trank ihn in einem Zug leer. Per Handzeichen orderte sie bei der Ordonnanz ein neues Glas und sah sich um. Langsam füllte sich der große, lange Raum mit dienstfreien Offizieren und Fähnrichen. Viele kamen hierher, um ihr Abendessen einzunehmen, andere saßen an den Tischen und vertrieben sich den Abend mit Spielen. Von Katherine aus gesehen auf der rechten Seite des Casinos stand eine altertümliche Jukebox, aus der in gemäßigter Lautstärke moderne Unterhaltungsmusik klang. Katherine nahm einen weiteren großen Schluck Bier, stand auf und ging in Richtung der Jukebox. Als Bedienelement gab es einen Touchscreen mit Tastatur, auf der nach Titeln und Musikrichtungen der vergangenen Jahrhunderte gesucht werden konnte. Unter der Haube dieser Jukebox arbeitete nämlich ein leistungsfähiger Computer mit einer riesigen Musikdatenbank. Katherine tippte ein paar Begriffe ein, suchte und wurde fündig. Sie wählte einige Titel aus und ging zurück zur Bar. Sie bedeutete der Ordonnanz, etwas lauter zu machen. Als sie sich setzte, begann eine Männerstimme mit einem prägnanten Falsett-Tenor zu Elektrogitarre und Kontrabass zu singen:

            Hey baby, jump over here
            When you do the ooby-dooby I just gotta be near
            Ooby-dooby, ooby-dooby, ooby-dooby, ooby-dooby
            Ooby-dooby, ooby-dooby, ooby-dooby, dooby-do-wah-do-wah-do-wah
            Well you wiggle to the left, you wiggle to the right
            You do the ooby-dooby with all of your might
            Ooby-dooby, ooby-dooby, ooby-dooby, ooby-dooby
            Ooby-dooby, ooby-dooby, ooby-dooby, dooby-do-wah-do-wah-do-wah*


            Joan sah Katherine verwundert an. „Was ist das denn für eine komische Musik? So etwas habe ich ja noch nie gehört“, sagte sie und musste leicht gegen die Lautstärke anschreien.

            Katherine grinste breit. „Die Musik nennt man Rockabilly. Hat man in den frühen fünfziger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gespielt. Kommt aus den Südstaaten, hihi! Hatte ich, bevor ich John kennengelernt habe, nicht wirklich auf dem Schirm. Ich bin aber sofort drauf angesprungen. Geht irgendwie in die Beine. Und ich brauche das jetzt.“ Sie sah Joan auf die Füße und musste unwillkürlich lachen, da ihre Freundin bereits unbewusst mitwippte.

            „Darf ich Sie um diesen Tanz bitten, Major Ballard?“, raunte eine tiefe, angenehme Stimme Katherine ins Ohr. Sie nahm ein würziges Aftershave wahr und drehte sich um. Commander Rodriguez hatte sich zu ihnen gesellt und hielt ihr eine offene Hand hin. Katherine sah wieder zu Joan, verdrehte die Augen und griff dann nach der Hand.
            ‚Dann lass mal sehen, ob du genauso gut tanzen wie Süßholz raspeln kannst, Hot Rod, ansonsten mach ich dich fertig …‘, dachte Katherine ungeniert und folgte dem ersten Offizier auf die Tanzfläche. Katherine war nämlich eine ausgezeichnete und ausdauernde Tänzerin.
            Katherine ließ es noch sachte angehen, da sie merkte, dass Rodriguez zwar ein talentierter Tänzer war, aber ein schneller Rock´n´Roll ihm nicht ganz lag. Sanft übernahm sie daher die Führung und gab ihm die Chance, sich auf sie einzustellen. Beim darauffolgenden zweiten Lied zog sie die Zügel etwas an, da auch die Nummer einen deutlich schnelleren Rhythmus hatte. Am Ende dieses Liedes hatte Rodriguez bereits die ersten Schweißperlen auf der Stirn und sein Atem ging deutlich schneller.

            „Haben Sie schon genug?“, fragte Katherine frech grinsend, als sie ihre Lederjacke auszog und einem Lieutenant in einer Ecke der Tanzfläche zuwarf. Die Darbietung der beiden hatte bereits erste Schaulustige angezogen, vor allem jüngere Offiziere und Fähnriche, die lachten und feixten, als sie sahen, dass ihrem ersten Offizier so langsam die Puste ausging. „Ich habe noch zwei Lieder ausgewählt.“

            „Oh, ich könnte mit Ihnen noch die ganze Nacht durchtanzen, Katherine. Sie sind großartig, Sie haben so viel Energie und Beweglichkeit, das ist bewundernswert.“

            Es folgte ein flotter Westernswing, auf dem sie einen schnellen Foxtrott tanzten, Rodriguez bekam drei Minuten lang kaum Gelegenheit, etwas zu Atem zu kommen, da Katherine gekonnt komplexe Figuren von ihm abverlangte. Das Publikum lachte, klatschte und feuerte das Tanzpaar immer weiter an. Rodriguez Gesichtsfarbe wurde immer roter, aber er hielt tapfer durch.

            Nachdem der letzte Akkord des Westernswings verklungen war, streifte Katherine ihre flachen Schuhe ab und stand nun auf Strümpfen auf der Tanzfläche. Sie zog das Gummi aus ihren pechschwarzen Haaren und streckte den rechten Arm in Richtung Rodriguez aus. Sie machte ihm mit einem fordernden Blick und einer ebensolchen Geste klar, dass sie noch nicht genug hatte und weitertanzen wollte. Ein Fähnrich flüsterte in Rodriguez‘ Hörweite zu einem Kameraden: „Jetzt macht sie ihn platt …“ Der Kolumbianer bedachte den jungen Offiziersanwärter zuerst mit einem missbilligenden Blick und dann mit einem diabolischen Grinsen. Er ging auf Katherine zu und der letzte Song begann mit einem lauten Gitarrenintro. Es war eine etwas langsamere Nummer als die vorherigen, aber sie ließ Katherine Raum für das, was jetzt kommen sollte. Das Stück hieß „Crazy Legs“. Der Titel sagte genau das aus, was Katherine jetzt vorführen wollte und Rodriguez war ihr willkommenes Opfer.

            In der ersten Strophe tanzten sie noch ein einem für Rodriguez erträglichen Rahmen, im ersten Refrain baute Katherine bereits einige einfache Figuren ein, mit denen er noch gerade eben klar kam. Im darauffolgenden Gitarrensolo drehte Katherine jedoch auf. Sie stützte sich auf Rodriguez‘ Schultern, stemmte sich hoch und machte unter lautstarkem Beifall einen eleganten Überschlag über seinen Kopf. Sie tanzte um den Commander herum, sprang ihm auf den Arm und ließ sich von ihm um seinem Körper wirbeln, in einer weiteren Figur stieß sie mit den Füßen voran unter seinen gespreizten Beinen durch, ließ sich von ihm über die Schulter werfen und kam mit einer schnellen Drehung hinter ihm wieder auf den Boden. Rodriguez hatte sich zu ihr gedreht, sodass Katherine sich wieder auf seine Schultern stemmte und mit ihren Kniekehlen darauf landete. Er musste sie an ihren Oberschenkeln halten, um sie nicht zu verlieren, während er sie in einer wilden Pirouette herumwirbelte. Kurz vor Ende des Liedes, Rodriguez konnte kaum mehr atmen, kam Katherine auf einen halben Meter an Rodriguez heran und sprang ihm aus dem Stand auf die Schultern. Das Publikum tobte. Noch bevor Rodriguez Katherine an ihren Fesseln zu packen bekam, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, war sie schon wieder abgesprungen und mit einem Salto und fliegenden Haaren auf dem Parkett gelandet. Das Lied war zu ende. Tosender Beifall brandete auf, während Rodriguez japsend sich auf seinen Knien abstützte und Katherine seelenruhig Schuhe und Jacke wieder einsammelte. Ihr war nicht anzusehen, dass sie auch nur annähernd außer Atem war. Dann ging sie auf den sichtlich geschafften Commander zu und fragte mit Engelsstimme: „Na, Commander? Wollen Sie wirklich bis morgen früh mit mir tanzen?“

            Immer noch nach Luft ringend, winkte Rodriguez dankend ab. „Meinen Respekt, Major Ballard, ich hatte noch nie eine Tanzpartnerin, die mich so dermaßen gefordert hat. Wo haben Sie diese Kondition und die Akrobatik her?“, keuchte er.

            „Kampfsport und Boxen, Commander. Vor gut drei Jahren habe ich hier auf der Tennessee die Boxmeisterschaften im Leichtgewicht gewonnen“, gab Katherine lachend zurück.

            Rodriguez ließ sich an der Bar ein Handtuch geben und wischte sich den Schweiß aus Gesicht und Nacken. „Major, jemanden wie Sie hätte ich gerne in meiner Crew. Es gäbe vielfältige Betätigungsmöglichkeiten für Sie hier, angefangen bei …“

            „… der Nummer Eins als persönliche Tanz- und Sportlehrerin? Könnte dir so passen!“, dachte sie insgeheim. „Danke für das Angebot, Commander“, unterbrach sie ihn frech. „Aber auf der Erde unter freiem Himmel und frischer Luft fühle ich mich doch entschieden wohler. Ein Leben auf einem Raumschiff ist auf Dauer nichts für mich.“

            Rodriguez zuckte resigniert mit den Schultern. „Zu Schade. Es hätte eine fruchtbare Zusammenarbeit werden können. Ich suche immer Leute mit Potenzial.“ Sein Kommunikator piepste. „Sie entschuldigen mich? Die Brücke ruft.“ Mit einer eleganten Verbeugung verabschiedete Rodriguez sich von Joan und Katherine.

            Als Rodriguez das Casino verlassen hatte, konnte Joan nicht mehr an sich halten und lachte prustend los. „Hahahaha! ‚fruchtbare Zusammenarbeit‘, was der wohl damit meint?“

            „Jedenfalls nicht das, was man allgemein darunter versteht, eher das:“, brummte Katherine und machte eine vulgäre Handbewegung mit der Faust zu ihrem Mund, während sie mit der Zungenspitze ihre Wange synchron nach außen drückte. „Los, trinken wir noch was. Das ist ein Befehl, Lieutenant!“

            Joan hob ihr Weinglas und trank es aus. „Jawohl, Major! Zu Befehl!“ Sie grinste. „Kat?“

            „Ja?“

            „Du bist eine großartige Freundin. Ich bin so froh, dich als Freundin zu haben. Manchmal wünschte ich, ich wäre ein bisschen mehr wie du.“

            Katherine verschluckte sich fast an dem Rest ihres Biers. „Bloß nicht Joan. Ich habe manchmal jetzt schon Angst, dass Curt eines Tages zu mir sagt, ich wäre ein schlechter Umgang für dich!“
            Die beiden Frauen sahen sich kurz an und fielen sich lachend in die Arme.


            ____________________________________________________________________

            *OOBY DOOBY
            (W. Moore - D. Penner)
            ROY ORBISON (Sun 242, 1956)
            Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

            Mission accomplished.

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              #21
              Herrlich, der arme arme Hot Rod
              Tja, er sollte das echt als Warnung sehen und Kat nicht unterschätzen
              Unendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination
              Ein Holodeck ist klasse! Man kann überall hin, obwohl man gar nicht weg muss :)
              Außerirdische Technologie + menschliche Dummheit = unschlagbare Ergebnisse :)

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                #22
                Zitat von Nurara McCabe Beitrag anzeigen
                Vierzig Minuten und vier Tassen Kaffee später war die Wiederherstellung erfolgreich
                Also ich bin ja bekennender Kaffeetrinker, aber VIER Tassen ???
                Ich schätze ich würde einen halben Herzinfakt bekommen und garantiert die nächsten zwei Tage nicht schlafen.

                Apropos Wiederherstellung. Was war den nun auf dem Kommunikator?
                Nachdem es unser Wikinger Sven nicht absichtlich gelöscht hat, stehen wir mit den Verdächtigen doch wieder bei Null.
                ZUKUNFT -
                das ist die Zeit, in der du bereust, dass du das, was du heute tun kannst, nicht getan hast.
                Mein VT: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...ndenz-steigend
                Captain Future Stammtisch: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...´s-cf-spelunke

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                  #23
                  Hihi... bei 4 Tassen Kaffee würde ich den Rest des Morgens auf dem stillen Örtchen verbringen. Zumindest wenn es große Tassen wären.
                  Unendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination
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                    #24
                    Apropos Wiederherstellung. Was war den nun auf dem Kommunikator?
                    Das lösen wir im kommenden Abschnitt auf.

                    Und Kätzchen Kat hat nen dicken Kater...


                    Kapitel 4


                    Joan wartete bereits im Casino bei dampfenden Kaffee und frischen Brötchen auf Katherine. Diese kam reichlich zerknittert mit leicht geröteten Augen herein und setzte sich wort- und grußlos an den Tisch.
                    „Ich wünsche dir auch einen guten Morgen, liebste Kat! Hast du auch so gut geschlafen?“, fragte sie hämisch. Joan konnte sich ausmalen, was Katherine am Abend zuvor angestellt haben musste, um am Morgen danach so auszusehen, wie sie gerade aussah. Eine wilde Liebesnacht konnte es nicht gewesen sein, also kam nur hochprozentiger Alkohol in Frage. „Scotch, Whiskey oder Tequila?“, stichelte Joan weiter.

                    „Nnnnääääääh…“, brummte Katherine lediglich und deutete auf die leere Kaffeetasse vor ihr. Joan schenkte ihr ein und Katherine schnupperte an dem heißen, wohlriechenden Gebräu. „Erinnerst du dich, was du gestern Abend zu mir gesagt hast?“, fragte sie mit belegter Stimme.

                    „So einiges, was meinst du?“, entgegnete Joan.

                    „Du sagtest, du wärst gerne ein bisschen mehr wie ich. Sei froh, dass du es nicht bist. Diesen Schädel möchtest du gerade nicht haben. Eigentlich sollte ich mir etwas mehr von dir abgucken.“ Katherine lächelte gequält. „Warum hast du mich nicht einfach mitgenommen?“

                    „Major Doktor Katherine Anne Ballard, Sie sind alt genug um selbst zu wissen, was gut für Sie ist und was nicht. Ich bin nicht Ihr Kindermädchen!“, rief Joan mit gespielter Empörung. Sie liebte ihre Freundin über alles, hatte aber absolut kein Mitleid ihr, wenn Katherine dann und wann mal über die Stränge schlug, denn Joan wusste, dass Katherine absolut kein Kind von Traurigkeit war.

                    „Ist ja schon gut. Und nenn mich nicht Doktor. Ich hasse diesen Titel.“ Katherine verzog angewidert das Gesicht.

                    Joan legte Tovins Kommunikator neben Katherines Kaffeetasse, worauf sie einen fragenden Blick erntete. „Ich habe mir gestern vor dem Schlafengehen das Ding angeschaut“, erklärte sie. „Tovin hat tatsächlich Tagebuch geführt und seine Einträge decken sich mit seinen Aussagen.“

                    „Ja, und?“, fragte Katherine zwischen zwei Schlucken Kaffee.

                    „Sein letzter Eintrag ist der, dass er sich mit einem Lobbyisten der samedanischen Regierung treffen wollte. Sein Name ist Javeed Reebah. Er ist ein einflussreicher Bauunternehmer und Grundstücksmakler. Ich denke, er ist die erste Adresse, die wir aufsuchen sollten.“

                    „Wo finden wir ihn? Hat er Tovin eine Adresse hinterlassen?“, fragte Katherine, als sie mit leicht zittrigen Händen ein Brötchen aufschnitt und löffelweise klebrigen Honig auf die Hälften schmierte.

                    „Das nicht, Tovin hatte nur einen Treffpunkt in einer Bar notiert, vermutlich die Bar, in die er auch gegangen ist. Aber wenn Reebah so prominent ist, sollte es leicht sein, seine Firmenadresse ausfindig zu machen. Soll ich ein Shuttle bei der Flugbereitschaft anfordern?“

                    „Meinetwegen“, seufzte Katherine. „Frische Luft wird mir gut tun. Wie ist eigentlich das Wetter in Samad?“

                    Joan nahm ihre Kaffeetasse und lehnte sich in die Polster der Bank, auf der sie saß. „Es ist Frühling, die Sonne scheint, es ist sehr warm und alles blüht dort unten.“

                    Für den Frühling und die erblühende Flora hatten die samedanischen Demonstranten vor dem Regierungspalast kein Auge. Unter Protestrufen nach der Auslieferung Tovins wurden Transparente und Plakate hochgehalten, die inhaltlich den Unmut eines kleinen Teils der sonst friedlichen samedanischen Bevölkerung widerspiegelte. Es hatten sich an diesem Morgen, wie an jedem Morgen seit Tovins Festnahme, einige tausend Demonstranten auf dem riesigen Vorplatz des Regierungspalastes eingefunden. Diese Demonstrationen verflüchtigten sich in den letzten Tagen oft bereits um die Mittagszeit und die anwesenden Sicherheitskräfte hatten meist nicht allzu viel zu tun. Doch heute war an diesem milden Morgen etwas anders. Die Stimmung war gereizt, es lag eine undefinierbare Elektrizität in der Luft. Unter den Demonstranten kam es immer wieder zu kleinen Keilereien, es wurden Faustschläge und Tritte ausgeteilt. Plötzlich flogen Steine in Richtung der Sicherheitskräfte und die ersten Demonstranten versuchten, die Sperren zu durchbrechen, wurden jedoch von Polizisten und Palastwachen mehr oder minder gewaltsam zurück gedrängt, was die Situation weiter anheizte. Jetzt warfen einige Demonstranten gezielt mit Steinen und ernteten Stockschläge dafür. Die Demonstranten drückten gegen die Absperrungen, bis diese schließlich nachgaben. Weitere Steine wurden gegen Laternen und Fenster geworfen, Glas klirrte und Schmerzensschreie erklangen. Als die ersten Warnschüsse der Sicherheitsleute fielen, flogen als Antwort die ersten Brandsätze. Dann brach die Hölle los.

                    Die Sonne brannte heiß über der kleinen Insel. Sie lag in den Dünen und blickte in den strahlend blauen, fast wolkenlosen Himmel. Möwen kreischten und eine leichte Brise kam vom rauschenden Meer. Urplötzlich stand sie auf und ging den schmalen Pfad hinunter zum Strand. Der feine, weiße Sand rieselte ihr durch die Zehen, kleine Muschelsplitter piekten ihr unter den nackten Füßen. Der Strand war menschenleer. Sie ging weiter bis zur Wasserkante und ließ ihre Füße von dem kühlen Nass umspülen. Hier unten am Wasser war der Wind stärker und einige grüne Haarsträhnen peitschten ihr ins gebräunte Gesicht. Sie fühlte sich rundum wohl und sicher. Doch fehlte etwas. Dann hörte sie eine vertraute Stimme ihren Namen rufen. Sie sah sich um. Im Osten sah sie eine männliche Gestalt, die ihr zuwinkte. Sie konnte ein Lächeln auf seinem Gesicht erkennen. Er trug ein weißes, weites Leinenhemd, das im Wind flatterte und abgeschnittene Jeans. Sie ging auf die Gestalt zu. Erst langsam, dann begann sie zu laufen, immer schneller und schneller. Wieder rief der Mann ihren Namen. Sie rannte jetzt so schnell, wie ihre Füße sie trugen, doch sie konnte nicht näher kommen. “Sam!“, rief sie, „Sam warte auf mich!“ Ihr kam der Strand immer länger vor und je schneller sie lief, desto mehr entfernte sich der Mann vor ihr. „Nurara!“, rief Sam und winkte ihr weiter zu. Er lächelte noch immer und sein schwarzes Haar wehte im Wind. Nurara rannte wie verrückt, doch sie konnte ihn nicht erreichen. Ein Kloß drückte ihr in den Hals und Panik stieg in ihr auf. „Sam! Bitte geh nicht weg! Sam! Ich liebe dich!“, schrie sie gegen den Wind. Sam lächelte und rief nur „Nurara!“. Nurara rannte immer noch, dann stolperte sie und fiel der Länge nach in den warmen Sand. Als sie sich wieder aufrichtete, war Sam verschwunden. „Sam? Sam? Wo bist du?“ Sie sah sich um, hinter ihr war immer noch der gewundene Pfad, der hoch in die Dünen führte. Sie hatte sich nicht einen Meter fortbewegt. Tränen der Angst stiegen in Nurara auf. „Sam? Bitte komm zurück! Ich brauche dich! Wir brauchen dich! Sam?“

                    „Sam?“ Nurara schreckte aus dem Schlaf hoch. Sie sah sich um und fand sich im Bett ihres Jugendzimmers wieder. Sie war auf dem Mars, in ihrem Elternhaus, bei ihrer Mutter. Am Fußende des Bettes stand ihre alte Babywiege, in der jetzt Jelana friedlich glucksend und schmatzend schlief. Nurara spürte, wie einige heiße Tränen ihre Wangen herabliefen und auf die Haut ihrer nackten Brust tropften. Sie sah auf die Uhr. In zwei Stunden würde die Sonne aufgehen und Nurara musste wieder einen weiteren Tag ohne ihren geliebten Sam verbringen, so wie sie es seit einem fast Jahr tat und es den Rest ihres Lebens würde tun müssen.
                    Nurara konnte nicht mehr schlafen, so entschloss sie sich, aufzustehen um für sich und ihre Mutter das Frühstück vorzubereiten. Sie zog sich ein T-Shirt über und schlüpfte in eine bequeme Sporthose. Auf dem Flur war es noch still, Emelda, ihre Mutter, schlief noch. Als sie auf dem Weg zur Küche an der Garderobe vorbeikam, sah sie auf ihrem Kommunikator eine blaue Lampe blinken, sie hatte in der Nacht eine Nachricht erhalten. Nurara nahm das Kom in die Hand und sah nach. Es war nur eine kurze Textzeile: „Newton sucht Sie und ist auf dem Weg zu Ihnen.“ Absender war Jessof, der Hafenmeister auf Haroa. Sie hatte ihm einen Extrabonus gezahlt, für den Fall, dass tatsächlich jemand nach ihr fragen sollte, er sie auf dem Laufenden hielt. Für Nurara bedeutete es nun, so schnell wie möglich zu verschwinden. Ihre Mutter war nicht sonderlich glücklich darüber gewesen, dass Nurara die kleine Jelana für ein paar Wochen bei ihr lassen wollte. Nicht aus dem Grund, dass Emelda nicht mit Jelana klarkam, sondern weil sie der Meinung war, dass eine Mutter stets für ihr Kind da zu sein hatte. Auch Nurara tat sich schwer mit dem Gedanken, ihre Tochter zurück lassen zu müssen – es zerriss ihr das Herz, aber in der gegenwärtigen Situation war Jelana bei ihrer Großmutter auf dem Mars einfach sicherer. Nurara entschloss sich, ihre Mutter zu wecken. Leise trat sie in Emeldas Schlafzimmer und setzte sich auf die Bettkante. „Mama?“, flüsterte sie. „Mama, ich muss weg, sofort.“

                    In einer Sekunde war Emelda hellwach. „Was ist los?“

                    „Newton ist hinter mir her. Ich muss nach Haroa zurück und mein Schiff holen. Erzähl ihm irgendwas. Schick ihn, was weiß ich, ins Tonell-System oder so, Hauptsache weit weg von uns. Wir können so nicht mehr auf dem Mars leben, Mama. Er wird niemals aufgeben. Wenn ich wiederkomme, möchte ich, dass du alles gepackt hast, was du brauchst.“

                    „Wirst du Kuolun treffen?“, fragte Emelda.

                    Nurara schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf. „Nein, Mama. Er ist weg. Ein für alle mal. Ich weiß nicht einmal, wo er gerade steckt und es ist mir auch ziemlich egal. Ich werde - und ich will – ihn nie wieder sehen. Er wäre nicht gut für Jelana.“

                    Emelda hob eine Hand und streichelte sanft Nuraras Wange. „Das ist gut zu hören. Ich bin froh, dass du vernünftig geworden bist. Aber ich werde nicht verstehen, warum du ihn aus dem Gefängnis geholt hast. Und du hast jetzt so viele Leben auf dem Gewissen. Kannst du damit überhaupt leben?“

                    Nurara versuchte nicht einmal, dieser Frage auszuweichen. „Nein, leben kann ich damit nicht, aber ich muss es. Warum ich ihn aus dem Gefängnis geholt habe, kann ich sagen. Ich hatte Fragen, auf die ich bis heute keine Antworten erhalten habe. Und er hat war mir einiges schuldig.“

                    „Du wirst den Rest deines Lebens sehr vorsichtig sein müssen, bei allem was du tust, was du sagst und wem du es sagst“, meinte Emelda unheilvoll. „Du kannst nur von Glück reden, dass die Ermittlungen eingestellt sind.“

                    „Was Newton nicht davon abhält, weiter Jagd auf mich zu machen“, gab Nurara verächtlich zurück.

                    „Wenn er hier aufkreuzt, werde ich ihm schon ein paar Takte sagen, Liebes“, versprach Emelda. Sie hatte sich mittlerweile in ihrem Bett aufgesetzt und ihre langen grünen Locken zusammengebunden. „Außerdem, was hat er gegen dich in der Hand? Außer einem vagen Verdacht? Nichts! Er hat nicht einmal polizeiliche Befugnisse. Er ist nur ein Wissenschaftler.“

                    „Ein Wissenschaftler mit zwei dicken Protonenpistolen und einem kleinen Kriegsschiff unterm Hintern“, brummte Nurara. „Mama, ich muss los! Ich melde mich bei dir, wenn ich auf dem Rückweg bin.“

                    „Ist gut mein Schatz“, antwortete Emelda und fuhr ihrer Tochter zärtlich durch die schwarz gefärbten Haare. „Und bitte, pass auf dich auf.“
                    Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                    Mission accomplished.

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                      #25
                      Zitat von Nurara McCabe Beitrag anzeigen
                      „Ein Wissenschaftler mit zwei dicken Protonenpistolen und einem kleinen Kriegsschiff unterm Hintern“, brummte Nurara.
                      [/B]
                      Oh ja. Der kann echt lästig werden und einem den ganzen Tag vermiesen. Aber zum Glück gibts ja die Mama.
                      Unendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination
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                        #26
                        Ja, Mamas kämpfen ... und ich bin mir sicher, dass wenn eine marsianische Mama stinkig ist, nicht gut Kirschen essen mit ihr ist...

                        Von den gewalttätigen Ausschreitungen im Regierungsviertel von Samad bekamen Joan und Katherine fünfzehn Kilometer entfernt nichts mit. Sie standen vor dem riesigen Glasbau der Reebah Real Estate Enterprises, beeindruckt von der architektonischen Glanzleistung, die in diesem Bau steckte. In dem großzügigen Foyer saß hinter einem eleganten halbrunden Tresen aus dunkelgrünem Glasit eine junge und attraktive Samedanerin. Die Einwohner Samedas waren große und schlanke, sehr menschenähnliche Humanoide mit dunkelbrauner bis tiefschwarzer, glänzender Haut, die wie mit Klarlack überzogen aussah. Sie hatten von Natur aus auffallend buntes und glänzendes Haar, dessen Farbtöne von blau über violett zu grün reichte. Evolutionär entstand die samedanische Rasse – wie der Homo Sapiens – aus einer karnivoren Affenart; ihr Gebiss mit noch sichtbaren, aber über die Jahrtausende zurückentwickelten, Reißzähnen war ein Beweis dafür. Am auffälligsten war bei den Samedanern jedoch der große Hautlappen, der unterhalb der Bauchnabelhöhe um den gesamten Körper herum herauswuchs und wie ein Faltenrock bei den Erwachsenen schließlich knapp über den Fußknöcheln endete. Dieser Hautlappen diente ihnen als Schutz ihrer Genitalien und Wärmespender für kalte Witterung. Jeder, der auf Sameda II etwas auf sich hielt, verzierte seinen Hautlappen mit mehr oder weniger kunstvollen Tätowierungen. Anatomisch waren Menschen und Samedaner kompatibel, genetisch jedoch nicht.

                        Die hübsche Empfangsdame entdeckte die beiden Menschenfrauen und strahlte sie mit ihrem perlweißen Raubtiergebiss an. „Guten Tag, die Damen. Herzlich willkommen bei Reebah Enterprises. Ich bin Sisgha. Was kann ich für Sie tun?“
                        Katherine lächelte ebenfalls freundlich und antwortete: „Ich bin Major Katherine Ballard, meine Kollegin, Lieutenant Joan Landor. Wir hatten einen Termin mit Mister Reebah angemeldet.“
                        Sisgha sah in ihrem Computer nach und drückte eine Taste auf dem Touchscreen und sprach etwas in ihrer Sprache in ihr Headset. Dann sagte sie: „Bitte nehmen Sie einen Moment Platz, Sie werden gleich von Javeed empfangen.“

                        Javeed Reebah begrüßte die beiden Polizistinnen mit einer eleganten Verbeugung in seinem luxuriösen Büro. „Meine Damen, ich freue mich, Sie hier in meinen bescheidenen Räumen begrüßen zu dürfen. Was ist der Grund für die Ehre, die Sie mir erweisen? Bitte nehmen Sie doch Platz.“ Er deutete mit einer ausschweifenden Handbewegung auf eine Sitzgruppe in seinem Büro, die augenscheinlich nur aus bunten Kissen bestand.

                        Während die beiden Frauen sich setzten, antwortete Katherine mit ernster Stimme: „Mister Reebah …“

                        Javeed hob die Hände: „Bitte sagen Sie Javeed zu mir, Nachnamen tragen wir nur der Form halber.“

                        Katherine setzte erneut an: „Javeed, sagt Ihnen der Name Abraham Jake Tovin etwas?“

                        Javeed hatte sich den beiden Frauen im Schneidersitz gegenüber gesetzt und zupfte seinen braunen, kunstvoll tätowierten Hautlappen zurecht. Er überlegte kurz und sagte: „Ja, er ist ein hochrangiger Offizier der Terranischen Flotte, nicht wahr? Soweit ich mich erinnere, gehörte er als militärischer Berater zu der Delegation, die auf Sameda II Grundstücke für eine terranisch-samedanische Zusammenarbeit besichtigen wollte und vor ein paar Tagen im Vergnügungsviertel Amok gelaufen ist, richtig? Tragische Sache …“

                        „Wir haben in Tovins Aufzeichnungen einen Eintrag gefunden, der besagt, dass er sich mit Ihnen am Tage des Amoklaufs habe treffen wollen. Was wissen Sie darüber?“, fragte Joan mit kühler Miene.

                        Javeed zuckte mit den Schultern. „Viele Leute wollen sich mit mir treffen, ich bin als Bauunternehmer ein vielbeschäftigter Mann. Es gut möglich, dass er um einen Termin mit mir gebeten hat.“

                        „Hat er denn einen Termin bekommen?“, hakte Joan nach.

                        „Wenn er einen bekommen hätte, wüsste ich das. Ein Meeting mit einem terranischen Militär hätte ich sicherlich wahrgenommen. Gerade, wenn es in mein Geschäft passt. Aber, nein, ich habe mich mit Tovin nicht getroffen.“ Javeed blickte charmant lächelnd in die Runde.

                        „Wo waren Sie denn zur Tatzeit?“, fragte Katherine sanft. Sie kannte die samedanische Psyche nicht und konnte sich nur auf ihren Instinkt verlassen, aber sie vermutete, dass dieser Bauunternehmer nicht die ganze Wahrheit sagte.

                        „Ich war hier im Büro und hatte eine Besprechung mit meinen Vertriebsleitern. Es steht Ihnen frei, sie zu befragen.“
                        Javeeds Lächeln wurde eine Spur starrer. „Stehe ich etwa unter Verdacht, mit diesem Amoklauf zu tun zu haben?“

                        Jetzt ließ Katherine ein mildes Lächeln zu und sah dem Samedaner tief in die gelben Augen. „Nein, Sir, wir versuchen nur zu rekonstruieren, was an diesem Tage vorgefallen ist und wie es dazu kam. Jemanden zu verdächtigen, dazu ist es noch zu früh.“

                        In diesem Moment kam die Sekretärin des Baulöwen ins Büro geschossen, Angst und Panik waren ihr ins Gesicht geschrieben. Sie rief ihrem Chef etwas auf samedanisch zu und rannte wieder hinaus. Javeed sprang wie von der Tarantel gestochen auf und lief zu seinem Schreibtisch. Dort nahm er eine Fernbedienung in die Hand und schaltete einen Flachbildschirm ein, der die halbe gegenüberliegende Wand einnahm. Katherine und Joan stockte der Atmen, bei dem was sie jetzt sahen. Straßenschlachten, brennende Fahrzeuge, Tote, Verletzte und Panzer waren in einer Luftaufnahme zu sehen. Und zwischendrin immer wieder Demonstranten, die gegen Polizei und Militär kämpften.
                        „Oh mein Gott ...“, stöhnte Katherine.

                        Javeed sah die beiden Frauen jetzt voller Abscheu an. „Sehen Sie nur, was Ihr Colonel angerichtet hat. Das wird ein Bürgerkrieg! Ich denke, Sie sollten jetzt besser gehen. Sie sind hier nicht mehr willkommen!“



                        Draußen vor dem Gebäude sahen sich die beiden Frauen einen Moment an. „Das war wohl nichts“, meinte Joan resigniert. „Und nun? Zurück zur Tennessee oder zum örtlichen Polizeipräsidium?“

                        Katherine steckte die Hände in die Hosentaschen und ging einen Moment auf ihre Stiefelspitzen starrend im Kreis herum. „Lass mich überlegen. Irgendetwas an Javeed stimmt nicht. Findest du nicht auch, dass er mit unserem Rauswurf etwas überreagiert hat? Ich meine, wir sind unbeteiligte Ermittler, die versuchen, Klarheit in diese Sache zu bringen. Im Stadtzentrum ist ein Aufstand ausgebrochen und er schiebt uns gewissermaßen die Schuld in die Schuhe? Ich werde das Gefühl nicht los, dass da mehr dahintersteckt als nur ein paar unzufriedene Demonstranten, die auf Lynchjustiz an einem einzelnen aus sind. Das, was wir eben gesehen haben, war geplant, inszeniert, nenn es wie du willst. Javeed hat das erwartet, aber nicht jetzt. Ich wette meinen Jahressold, dass er irgendwie mit drinsteckt. Hier will jemand einen politischen Umsturz und Tovin ist nur ein Bauernopfer. Und wir zwei hübschen sind nicht einmal eine Stunde auf diesem Planeten und fangen schon an, unbequem zu werden.“

                        „Gewagte Theorie, Kat. Wenn dem so sein sollte, dann ist das ein paar Nummern zu groß für uns beide. Dann sollten wir hier verschwinden und Becker bitten, Kurs auf das Sonnensystem zu nehmen“, antwortete Joan bedrückt.

                        Katherine grinste diabolisch. „Im Grunde genommen gebe ich dir Recht, das ist in der Tat eine Geschichte, an der wir uns ganz fürchterlich die Finger verbrennen werden. Aber möchtest du nicht herausfinden, was dahinter steckt? Ich schon!“

                        Joan sah in den klaren, grauen Augen ihrer Freundin ein Funkeln, das ihr überhaupt nicht behagte. Sie hob mahnend den Zeigefinger. „Kat, ich warne dich! Du weißt, was Garnie zu dir gesagt hat? Keine Alleingänge!“

                        Katherine legte einen Arm freundschaftlich um Joans Schulter. „Keine Alleingänge, versprochen! Ich hab dich doch bei mir!“

                        Joan verdrehte die Augen und gab ein lautes Stöhnen von sich. „Ich hab‘s geahnt“, sagte sie halblaut, worauf sie von Katherine ein schallendes Lachen erntete.

                        „Komm, Joan, wir sehen uns mal am Tatort um. Das Vergnügungsviertel ist relativ weit vom Regierungsbezirk entfernt. Ich möchte mir gerne die Bar ansehen, in der Tovin vor der Tat war.“

                        Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                        Mission accomplished.

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                          #27
                          Zitat von Nurara McCabe Beitrag anzeigen
                          . Aber möchtest du nicht herausfinden, was dahinter steckt? Ich schon!“
                          Ich auch. Ganz unbedingt.
                          ZUKUNFT -
                          das ist die Zeit, in der du bereust, dass du das, was du heute tun kannst, nicht getan hast.
                          Mein VT: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...ndenz-steigend
                          Captain Future Stammtisch: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...´s-cf-spelunke

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                            #28
                            Dann soll es so sein!

                            Ein radgetriebenes Taxi brachte die beiden Polizistinnen nach Lojba, dem Vergnügungsviertel der Hauptstadt Samad. Sie fuhren auch die Straße hinunter, auf der Tovin mit Handgranaten um sich geworfen hatte. Fassaden waren rußgeschwärzt, viele Bauwerke waren in den Erdgeschossen stark beschädigt, Fenster waren mit Brettern oder stabilen Plastikfolien notdürftig repariert worden.
                            Das Taxi hielt vor einem unscheinbaren Kellereingang. Der Taxifahrer drehte sich um und fragte: „Sind Sie sicher, dass Sie da rein gehen wollen? Sie wissen doch, was hier los ist. Diese Bar ist für Menschenfrauen nicht unbedingt der richtige Ort.“
                            Katherine drückte dem Fahrer den Fahrpreis und ein großzügiges Trinkgeld in Form von einigen einheimischen Münzen in die Hand. „Machen Sie sich um uns keine Sorgen. Wenn Sie wollen, können Sie hier auf uns warten, wir sind spätestens in zehn Minuten wieder draußen“, gab sie mit einem Augenzwinkern zurück und öffnete die Tür.

                            Nachdem Joan ausgestiegen war, fuhr der Taxifahrer mit quietschenden Reifen davon. „Dann eben nicht“, brummte Katherine und sah sich um. Die vorbeieilenden Passanten sahen die beiden Frauen argwöhnisch an und flüsterten zischend unverständliche Dinge. In den Ohren der beiden Frauen klang es wie Flüche oder Verwünschungen. Katherine griff unter ihre Lederjacke und tastete nach der Protonenpistole in ihrem Schulterholster, nur um sich zu vergewissern, ob die Waffe noch am richtigen Platz war, Joan tat es ihr nach. Mittlerweile fanden es beide nicht mehr übertrieben, bewaffnet auf den Planeten geflogen zu sein. Ihre bloße Anwesenheit ließ ihnen blanken Hass und pure Verachtung der Bevölkerung entgegen schlagen.

                            „Los, Kat, bringen wir es hinter uns. Umso schneller sind wir hier wieder weg. Ich fange an, mich hier ziemlich unwohl zu fühlen“, sagte Joan mit gesenkter Stimme.

                            „Da hast du verdammt Recht“, flüsterte Katherine und ging die paar Stufen zum Kellereingang der Bar herunter.

                            Noch im Eingangsbereich wurden die beiden von einem stark übergewichtigen, schwarzhäutigen Samedaner abgefangen. „Wo wollt ihr zwei denn hin? Ich glaube nicht, dass ihr hier etwas verloren habt, Süße!“, knurrte er Joan zu und bleckte die Zähne. Seine Reißer waren nachgeschliffen und sahen gefährlich aus.

                            Joan musterte den Mann mit einem abschätzigen Blick von unten und antwortete mit herrischem Unterton: „Weltraumpolizeibehörde. Wir möchten mit dem Chef dieses Etablissements sprechen. Und wenn du keinen Ärger haben willst, lässt du uns rein, Dicker!“

                            „Sowas wie dich wollte ich schon immer mal anknabbern. Wie wollt ihr zwei Anziehpüppchen mir denn Ärger machen, hä? Ich muss nur mal tief einatmen und hab euch quer unter der Nase hängen!“, antwortete er und gab ein verächtliches Schnaufen von sich.

                            Joan lupfte ihre Windjacke und ließ den Griff ihrer Waffe aufblitzen. „Noch Fragen, Fettsack?“, gab sie nicht weniger verächtlich zurück.

                            Katherine setzte noch eins drauf und hielt bereits ihre Waffe dem Türsteher an den Hals. „Hör mal gut zu, Speckrolle“, zischte sie. „Wir wollen wirklich keinen Ärger machen, aber wenn du nicht gleich eine Ladung hochreinen Ozons durch eine neue Körperöffnung atmen willst, lässt du uns jetzt rein und bringst und zu deinem Chef. Habe ich mich klar ausgedrückt? Und nenn mich nicht Anziehpüppchen!“ Die violetten Augen des Türstehers wurden groß, als er sah, dass Katherine die Waffe entsicherte und auf „Töten“ stellte.

                            „Schon gut! Schon gut!“ Der Mann hob abwehrend die Hände und zog den schweren Vorhang, der den Eingangsbereich vom eigentlichen Schankraum abtrennte, beiseite. „Hinter der Bar, Povlek, der Kerl mit den dunkelroten Haaren.“

                            Joan deckte ihre Waffe wieder zu und Katherine steckte die ihre weg. „Na geht doch, warum nicht gleich so?“, sagte sie überfreundlich und tätschelte dem Türsteher die fleischige Wange, die daraufhin hin und her schwabbelte.

                            „Deine Überredungskünste werden dich noch frühzeitig ins Grab bringen, Kat“, flüsterte Joan ihrer Freundin zu, als sie den Schankraum betraten. Etwa dreißig Augenpaare, alle samedanischer Herkunft starrten sie an. Es roch nach starkem Alkohol, die Luft war stickig von Rauch und es war nicht einmal Mittagszeit.

                            „Oh, ich habe vor, sehr alt zu werden, Joan und noch meine Urenkel auf dem Schoß wiegen, verlass dich drauf. Puh, stinkt das hier nach Pot!“, antwortete Katherine seelenruhig und ging zielstrebig auf den Tresen zu, ohne die Gäste auch nur eines Blickes zu würdigen. Sie sprach den Samedaner mittleren Alters mit den dunkelroten Haaren an. „Sind Sie Povlek? Wir haben ein paar Fragen an Sie.“

                            „Ich wüsste nicht, dass Menschen hier Fragen stellen sollten, Kleine. Verzieh dich, wenn dir dein Leben was wert ist“, antwortete Povlek übellaunig, während er Gläser polierte. Sein Gesicht war über und über mit weißen Linien und Ornamenten tätowiert und mit Silberschmuck gepierct. Povlek machte sich nicht einmal die Mühe, Katherine oder Joan anzusehen.

                            Katherine atmete tief durch ehe sie antwortete. „Mister Povlek, wir sind von der Weltraumpolizei und wurden von den örtlichen Behörden autorisiert, in diesem schrecklichen Vorfall zu ermitteln. Ich möchte mit Ihnen keine Freundschaft schließen oder Ihnen Schwierigkeiten bereiten. Ich möchte nur ein paar Fragen von Ihnen beantwortet haben. Wenn Sie mitziehen, sind wir in ein paar Minuten wieder weg und Sie und Ihre Gäste können unbesorgt Ihre illegalen Drogen weiterrauchen. Wenn nicht, sind wir sofort wieder weg und in weniger als zehn Minuten ist eine Streife Ihrer Polizei hier. Die werden sich sehr dafür interessieren, dass hier mehr als nur Tabak geraucht und vielleicht auch gedealt wird. Also?“ Sie lächelte ihn mit Engelsaugen an. „Kommen wir zusammen?“

                            „Ach Scheiße …“, murmelte Povlek und stellte das Glas weg. Dann wandte er sich mit voller Aufmerksamkeit an Katherine. Joan stand mit dem Rücken zur Bar und behielt die Gäste im Auge. „Was wollen Sie wissen? Machen Sie schnell, bevor meine Gäste unruhig werden.“

                            Katherine zog ein Datapad aus der Beintasche ihrer olivfarbenen Hose und rief ein Foto von Colonel Tovin auf. „Kennen Sie diesen Mann?“

                            Povlek lachte kurz auf. „Klar, das ist der Verrückte, der für den ganzen Scheiß hier verantwortlich ist. Wer kennt den nicht? Diese hässliche Visage ist doch stündlich in den Medien!“

                            Das hübsche Lächeln von Katherine verwandelte sich in eine eiskalte Maske. „Er hat bei seiner Vernehmung ausgesagt, er wäre hier gewesen und hätte mit einer Einheimischen getrunken. Können Sie das bestätigen?“

                            Povlek schüttelte den Kopf. „An dem Abend, als der ausgerastet ist, war der Laden hier brechend voll. Ich war den ganzen Abend hinter der Bar und kann Ihnen nicht sagen, ob er hier war. Wenn ja, dann irgendwo hinten in den Nischen. Hier vorne an Tresen war er sicher nicht.“

                            „Was ist mit Ihren Bedienungen? Könnte sich jemand von Ihren Angestellten an ihn erinnern?“, bohrte Katherine weiter.

                            „Vielleicht, vielleicht auch nicht. Meine zwei Kellnerinnen sind zuweilen so dämlich, dass sie sich so gerade eben eine Bestellung zwischen Tisch und Tresen merken können.“

                            „Sie haben keine große Meinung von Ihrem Personal?!“

                            „Geht Sie doch nichts an. War‘s das?“ Povlek nahm ein weiteres Glas auf und begann aufs Neue zu polieren.

                            Katherine beugte sich über den Tresen, riss dem Barbesitzer das Glas aus der Hand und stellte es knallend ab. „Nein, das war es noch nicht, Mister!“, herrschte sie ihn an. „Wenn Sie nicht wollen, dass meiner Kollegin hier gleich der Kragen platzt, werden Sie mir jetzt endlich mal eine Antwort geben, mit der ich was anfangen kann, klar? Wo sind Ihre Bedienungen gerade?“

                            Entnervt warf Povlek sein Handtuch über die Schulter und ging zu einer Schiebetür, die er aufzog. „Lilla, Tabra, kveok nar haman!“, brüllte er in den Raum. Eine Sekunde später kamen zwei wunderschöne, großgewachsene Zwillinge mit dunkelbrauner Haut heraus. Sie unterschieden sich nur in den Farben der sonst identischen Tätowierungen auf ihren Hautlappen. Lilla hatte grün-weiße, Tabra hatte blau-gelbe Muster.

                            Katherine hielt den beiden Frauen das Bild Tovins hin. „Hat jemand von Ihnen diesen Mann am Abend der Anschläge hier gesehen und vielleicht bedient?“

                            Die Schwestern sahen ihren Chef fragend an, dieser bedeutete ihnen durch ein wortloses Nicken, zu antworten. Tabra sagte dann: „Er saß an einem meiner Tische und hat ein Bier nach dem anderen bestellt. Starkbier. Er konnte ziemlich viel vertragen.“

                            „War noch jemand bei ihm? Einheimische vielleicht?“, fragte Katherine mit sanfter Stimme. Sie spürte, dass es Tabra unangenehm war, in Anwesenheit ihres Chefs zu antworten.

                            Sie schüttelte entschieden den Kopf. „Nein, es war niemand bei ihm.“

                            „Haben Sie vielleicht mit ihm getrunken?“

                            Tabra riss die Augen auf. „Nein, das habe ich nicht. Povlek hat uns verboten mit den Gästen zu trinken“, rief sie entsetzt.

                            „Manchmal tun sie es aber doch, wenn es voll ist und ich es nicht sehen kann. Sag die Wahrheit, Tabra!“, grollte Povlek und hob drohend die Hand.

                            Tabra druckste herum. „Ja, ich habe einen Krug Bier mit ihm getrunken, das war auch alles. Er hat dann bezahlt und ist gegangen. Er hat mir ziemlich viel Trinkgeld gegeben.“

                            Katherine atmete tief durch. „Gut, letzte Frage, Tabra. Hat Tovin irgendetwas gesagt, darüber, dass er jemanden erwartete oder sich mit jemandem hier treffen wollte?“

                            Tabra musste kurz überlegen. „Nein, das einzige, was er gesagt hat, war immer wieder, wie hübsch er mich findet und er mich gerne aus diesem Loch herausholen würde.“

                            „Pass auf was du sagst, Tabra!“, schimpfte Povlek.

                            Katherine setzte ein unverbindliches Lächeln auf. „Haben Sie vielen Dank. Sie haben uns sehr weitergeholfen. Schönen Tag noch! Komm Joan.“

                            Als die beiden Polizistinnen die Bar verlassen hatten, verpasste Povlek Tabra eine schallende Ohrfeige. Dann ging er nach hinten in sein Büro, öffnete den Safe und nahm einen Kommunikator heraus. Es war ein BS-Omni MK6-64. Er schaltete ihn ein und drückte dreimal kurz eine Taste. Am anderen Ende meldete sich eine menschliche Männerstimme. „Ja?“

                            „Sie waren hier und haben Fragen gestellt. Es ist gerade nochmal gut gegangen.“

                            „Glück für Sie, Povlek. Wenn sie noch mal aufkreuzen, schaffen Sie die Blondine aus dem Weg, ohne Spuren. Die Schwarzhaarige überlassen Sie mir.“

                            „Wie Sie wünschen, Sir!“, antwortete Povlek noch, dann hörte er ein Knacken und die Verbindung wurde beendet.




                            Als das extra für sie gecharterte Shuttle abhob, waren Joan und Katherine froh, Sameda II verlassen zu können. Auf dem Weg zum Raumhafen und in der Abfertigungshalle wurden sie von aufgebrachten Einheimischen mehrfach öffentlich angefeindet und in einem Fall versuchte ein junger Samedaner sogar, Joan tätlich anzugreifen, sodass die Sicherheitskräfte des Raumhafens einschreiten mussten. Offiziell stand die samedanische Regierung noch Seite an Seite mit der irdischen, aber die öffentliche Meinung sprach eine andere, hasserfüllte Sprache. Menschen waren auf Sameda II nicht mehr willkommen.

                            Katherine starrte einige Zeit gedankenverloren und schweigend vor sich hin, aber Joan spürte, dass die Synapsen hinter ihrer Stirn auf Hochtouren arbeiteten. „Was denkst du, Kat?“, fragte sie.

                            Katherine schloss die Augen und schüttelte langsam den Kopf. „Javeed und Povlek. Beide wissen etwas und versuchen, es zu verbergen. Wie passen die zusammen? Und hast du gesehen, wie Povlek die arme Tabra eingeschüchtert hat? Sie weiß auch etwas. Sie wollte uns etwas sagen. Wahrscheinlich verprügelt das Schwein sie gerade.“

                            „Ja, ist mir aufgefallen. Wir sollten versuchen, allein mit ihr zu sprechen“, antwortete Joan. „Wir müssten aber nochmal runter auf den Planeten.“

                            Katherine setzte sich aufrecht und schüttelte noch einmal den Kopf, ihr Pferdeschwanz flog dabei hin und her. „Ausgeschlossen. Wenn wir nochmal da runter fliegen, wird man uns lynchen. Ich bin vielleicht manchmal etwas durchgeknallt, aber weiß Gott nicht lebensmüde. Selbst wenn wir Takashi und ein paar Männer mitnehmen, würde man uns grillen, häuten oder aufknüpfen. Zu gefährlich, Joan.“

                            Joan dachte angestrengt nach, dann griff sie in die Innentasche ihrer Jacke und holte ihren privaten Kommunikator hervor. Sie gab ein paar Befehle ein und programmierte eine einzelne Verbindung. Dann sah sie Katherine grinsend an und stand wortlos auf, um sich in Richtung Cockpit zu bewegen. Nach ein paar Minuten kam sie zurück und setzte sich wieder zufrieden schmunzelnd neben die jetzt fragend dreinblickende Katherine.
                            „Lässt du mich an deiner Freude teilhaben, Joan?“

                            „Wir bekommen heute Abend einen Anruf. Von Tabra“, sagte Joan lächelnd. „Der Pilot kennt sie und wird ihr meinen Kommunikator zustecken. Er hat keine Vorbehalte gegen Menschen.“

                            „Und wenn er dich anlügt? Woher weißt du, ob wir ihm vertrauen können? Ich vertraue außer dir fast niemandem mehr, nicht einmal van den Bosch oder Rodriguez.“ Katherine machte eine Pause. „Diesem Schleimer schon mal gar nicht.“

                            „Wenn er mich anlügt, habe ich ihm gesagt, werde ich ihn beim nächsten Flug aus der Druckschleuse werfen und Curtis erklären müssen, wo ich sein Weihnachtsgeschenk verbummelt habe. Übrigens werden wir eine halbe Stunde länger zur Tennessee zurück fliegen.“

                            „Warum das denn?“, fragte Katherine missmutig. „Ich muss aufs Klo und diese Blechbüchse hat keins.“

                            „Der Flottenverband verlegt in den offenen Raum, um eine Raumjägerübung durchzuführen, Becker will Provokationen vermeiden.“

                            „Becker oder Rodriguez?“, fragte Katherine nicht ohne Sarkasmus in der Stimme.

                            Joan wurde schlagartig ernst. „Meinst du wirklich, Rodriguez plant die Übernahme des Schiffes? Wie will er mit einer Handvoll loyaler Offiziere so einen Riesenpott mit tausenden Soldaten an sich reißen?“

                            „Ich traue es ihm zu, wenn es stimmen sollte, was die Holländerin gesagt hat. Er wird es nicht mit Gewalt tun. Dafür ist er erstens zu schlau und zweitens kann er nicht die gesamte Mannschaft für sich gewinnen – unmöglich. Er nutzt Beckers Depressionen für sich, wird ihn für handlungsunfähig erklären und mit Recht und Gesetz im Einklang als ranghöchster Offizier das Kommando übernehmen.“

                            „Das ist nicht dein Ernst, oder, Kat?“

                            „Nein, ich glaube es nicht wirklich. Das war rein hypothetisch. Rodriguez ist ein Kriecher und Speichellecker. Solange Becker ihm einigermaßen freie Hand lässt und Hot Rod mit den Schiffchen spielen darf, ist er glücklich. Außerdem hat er mit der derzeitigen Situation mehr als genug am Hals.“

                            Katherine, die am Backbordfenster saß, warf einen Blick hinaus. Die fast anderthalb Kilometer lange Tennessee kam als kleiner leuchtender Punkt in der Dunkelheit des Alls in Sicht. „Na endlich“, brummte sie, „wurde auch Zeit.“

                            Joan starrte zur anderen Seite aus dem Fenster, wo Sameda II gerade eben noch als blauer Planet mit bloßem Auge zu erkennen war. „Hoffentlich behältst du Recht, Kat“, flüsterte sie leise, während sich ein flaues Gefühl in ihrer Magengrube breit machte.
                            Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                              Hier kommt eine weitere meiner absoluten Lieblingsszenen. Joan trifft ... ach ich verrat nix. Ende von Kapitel 4, viel Spaß!

                              Im Hangar des Schlachtkreuzers herrschte rege Betriebsamkeit. Üblicherweise war die Halle, die über zwei Fußballfelder lang und fünfzig Meter hoch war, mit grellem, weißem Licht beleuchtet. Nun war die Beleuchtung abgedämpft und in jeder Ecke rotierten und blinkten rote Lampen. Das große Schiff befand sich unter Gefechtsalarm. Katherine hatte ihren eigenen Alarm. Die Rampe ihres Shuttles war noch nicht ganz unten, da schoss sie wie von der Tarantel gestochen hinaus und verschwand in einer dunklen Ecke in Richtung der Mannschaftstoiletten.

                              Joan nutzte die Zeit, sich im Hangar etwas umzusehen. In diesem Bereich des Schiffes landeten die heimkehrenden Jäger und Jagdbomber, wurden gewartet, aufgetankt und aufmunitioniert und dann mittels eines großen Aufzuges ein Deck tiefer gebracht, um von dort mit einem neuen, ausgeruhten Piloten wieder zu starten. Die Tennessee besaß selbst ein Geschwader Super-Sabre Raumjäger und drei Staffeln Broadsword Jagdbomber, was insgesamt einhundertacht Kampfschiffen entsprach. Mit den zweihundertsechzehn Jägern und Bombern des Flottenträgers Courageous war dies eine beeindruckende und schlagkräftige Kampfeinheit. Alle Jäger und Bomber waren in der Lage, sowohl im Weltraum als auch in der Atmosphäre eines Planeten wirkungsvoll zu agieren. Die Kampfpiloten der „Vorgeschobenen Expeditionsgruppe“ gehörten zur Elite der solaren Raumflotte und waren exzellent ausgebildet. Sie waren auch charmant und gutaussehend, fand Joan, als sie reflexartig einen Pilotenhelm auffing, der ihr aus einem Broadsword-Cockpit zugeworfen wurde. Sie blickte hoch in die Richtung, aus der der Helm kam und knapp zwei Meter über ihr lugte der dunkelhaarige Schopf eines jungen Mannes mit den Rangabzeichen eines Majors am Overall aus dem Cockpit hervor. Er war in Joans Alter und als er Joans überraschtes Gesicht sah, grinste er breit und jungenhaft. Elegant sprang er aus seinem Cockpit heraus und kletterte wieselflink die eingehängte Leiter herunter. Die letzten Sprossen sprang er herab und landete mit federnden Knien neben Joan. Mit einem frechen, fast machohaften Grinsen versuchte er, Joan den Helm sanft aus den Händen zu nehmen.
                              ‚Mehr Klischee geht nicht mehr‘, dachte Joan und hielt den Helm mit etwas Widerstand fest. Sie warf einen Blick auf den aufgemalten Namen: Maj. P. Becker. Dann sah sie den jungen Mann an. Er hatte braunes Haar, gerade, kurzgeschnittene Koteletten, die unter seinen Ohrläppchen endeten und grüne Augen. Und ein umwerfendes Lächeln. Becker? Joan sah sich den Mann noch einmal genauer an. Er hatte eine verblüffende Ähnlichkeit mit Commodore Becker, Haar- und Augenfarbe mussten aber von seiner Mutter sein. Joan ließ es drauf ankommen, allein schon aus dem Grund, dass der Pilot sie immer noch anlächelte. „Meinen Sie, Ihr Vater würde es dulden, wenn seine Piloten mit weiblichen Zivilisten bei Gefechtsalarm auf dem Hangardeck flirten?“

                              „Mein Vater würde mich mit einem Arschtritt wieder ins Cockpit befördern, wenn dies ein echter Alarm wäre. Major Peter Becker, fünftes Jagdbombergeschwader.“ Sein Lächeln war einfach atemberaubend. Dieser Junge hatte das gewisse Etwas. Joan konnte nicht anders, als einfach nur zurück zu lächeln. Er hielt ihr die Hand hin und Joan griff zu. Sein Händedruck war fest, aber seine Hand war warm und weich, dazu hatte er auffallend gepflegte Fingernägel.

                              „Lieutenant Joan Landor, Weltraumpolizei.“ Joan kam nicht umhin, selbst über beide Ohren zu grinsen. „So jung und schon Major? Ich bin schwer beeindruckt!“

                              „Ist in dem Business so üblich. Unsere Lebenserwartung ist nicht allzu hoch, Miss. Wer mehr als fünf Kampfeinsätze überlebt, kommt mit dreißig schon in die Admiralität.“

                              „Wie viele Kampfeinsätze hatten Sie denn schon, Major?“ Joan war sich nicht sicher, ob sie Peter Becker als aufgeblasen arrogant oder jungenhaft naiv einschätzen sollte.

                              Becker blickte nach oben, zum Rumpf seiner Broadsword. Er zeigte auf eine kleine Strichliste. Joan konnte acht Striche erkennen. „Acht Abschüsse in vier Einsätzen.“

                              Damit war Becker ein As. Joan wollte sticheln. „Und? Stolz drauf?“

                              Becker wurde schlagartig ernst: „Nein. Das einzige, worauf ich stolz bin, ist, dass mein Vater einen noch lebenden Sohn hat.“

                              Dieser Stimmungsumschwung imponierte Joan. Hinter der selbstgefälligen Fassade schien ein ernsthafter junger Mann zu stecken, der sich nicht unreflektiert in eine solche Kampfmaschine setzte und blindlings auf alles schoss, was ihm vor das Visier kam.

                              Joan war die Situation etwas peinlich geworden. „Verzeihen Sie, Major, ich wollte Sie nicht in Verlegenheit bringen.“

                              Becker setzte sein Heldengrinsen wieder auf. „Haben Sie nicht, Lieutenant. Würde ich Sie in Verlegenheit bringen, wenn ich Sie heute Abend auf einen Drink einlade?“

                              Joan überlegte nicht lange. „Nein, Major, ganz und gar nicht. Ich fühle mich geehrt!“

                              Beckers Grinsen wurde noch breiter. „Okay, heute Abend um acht in der Pilot’s Lounge? Das ist das Offizierscasino für das fliegende Personal.“

                              Auch Joan konnte sich ein breites Grinsen nun nicht mehr verkneifen, dieser Pilot war direkt und offen, das imponierte ihr. „Abgemacht! Acht Uhr, ich werde da sein“, sagte sie und warf Becker den Helm zu. Sie hatte Katherine entdeckt und musste sich verabschieden. Im Rückwärtsgang rief sie noch: „Und wenn Sie nicht kommen, gibt’s eine Meldung an den Commodore!“

                              Dann tippte jemand auf Joans Schulter. Es war Katherine, die sie mit einem mahnend erhobenen Finger vorwurfsvoll ansah. „Was denn?“, rief Joan. „Er ist süß, charmant und verdammt gutaussehend. Immerhin hat er mir nicht beim Tanzen unter den Rock geschaut, so wie Rodriguez dir. Also?“ Gespielt zickig drehte Joan sich um, stapfte erhobenen Hauptes in Richtung Ausgang und ließ ihre Freundin einfach stehen.

                              Katherine musste rennen um mit Joan mitzuhalten. „Das ist ein Jägerpilot, der macht noch ganz andere Dinge mit dir! Warte nur ab, der wird dich ganz sicher zu einem romantischen Rundflug unter Sternen in seiner Höllenmaschine einladen wollen. Diese Typen sind alle gleich! Joan, du bist doch völlig verrückt! Was würde Curtis dazu sagen?“

                              Abrupt blieb Joan stehen und sah Katherine fest in die Augen. „Erstens wird Curtis nichts davon erfahren, wenn du zweitens dicht hältst. Und drittens habe ich nicht vor, mit ihm ins Bett zu gehen. Das ist es doch, was du denkst, oder?“

                              Katherine klopfte spielerisch mit der Faust auf Joans Stirn. „Hallo, Miss Landor! Jemand zu Hause? Es ist völlig unerheblich, ob DU mit IHM ins Bett willst, ER wird mit DIR ins Bett wollen, und das noch heute Abend!“

                              Joan seufzte. „Kat, deine Sorge um mich ist rührend, aber ich bin ein großes Mädchen. Es wird nichts passieren, glaub mir. Mir geht es um etwas ganz anderes dabei.“

                              Katherine stemmte die Hände in die Hüften. „Ach ja? Und was, wenn ich fragen darf?“

                              „Peter ist Major. Als solcher hat er so ziemlich überall auf diesem Schiff Zugang. Während du schon niemandem mehr hier vertraust, versuche ich zumindest ansatzweise, meine Kontakte hier auszubauen. Wer weiß, wie Major Becker uns hilfreich sein kann.“

                              Katherine riss die Augen auf. „Sagtest du gerade Becker? Ist er etwa …“

                              „… der Sohn des Commodore, genau!“

                              „Nein!“

                              „Doch!“

                              „Oh!“ Katherine fasste sich an die Stirn. „Du bist ein durchtriebenes kleines Miststück, weißt du das?“ Ihr verärgerter Blick verwandelte sich in ein boshaftes, verschlagenes Grinsen. „Das hätte fast von mir sein können.“

                              „Du warst mir immer eine gute Lehrerin, Kat“, antwortete Joan mit einem Augenzwinkern, „Aber dass er der Sohn des Commodore ist, war reiner Zufall. Manchmal muss man eben Glück haben.“



                              Als sie den Polizeitrakt betraten, kam ihnen Takashi Yokomuri entgegen. „Gut, dass ihr wieder zurück seid. Das Ergebnis von Tovins Drogenscan ist da und der Commodore möchte heute Nachmittag mit dir sprechen, Kat. Scheint wichtig zu sein“, sagte er und drückte Katherine ein Datapad in die Hand.

                              Katherine nahm es entgegen und sagte: „Danke, Takashi. Lasst uns ins Büro gehen.“

                              Im Büro setzten sich Joan und Takashi auf die beiden Stühle und sahen Katherine erwartungsvoll an, die mit dem Datapad hin und her ging, während sie die Ergebnisse studierte. Halblaut las sie vor: „Blutwerte ohne Befund. Leber, Nieren, Milz und Galle unauffällig. Magensäuregehalt innerhalb der Parameter. Hirnströme weisen erhöhte Stresswerte auf, kein Wunder. Lungenvolumen über Norm, klar, er hat eine Sportlerlunge. Blutdruck und Herzschlag in Ordnung. Keine Anzeichen für einen möglichen Drogenkonsum.“ Katherine sah ihre Kollegen an. „Wisst ihr, was das heißt?“ Verstohlenes Kopfschütteln. „Scheiße heißt das!“, brüllte sie und pfefferte das Datapad auf den Schreibtisch. Katherine war sichtlich aufgebracht und das war eigentlich selten der Fall. „Wir fangen wieder bei null an, verdammt nochmal! Ein Verdächtiger mit Amnesie, der einen Bürgerkrieg verursacht hat, eine mögliche Verschwörung auf diesem Dreckskreuzer mit einem depressiven Kommandanten und einem notgeilen, undurchsichtigen Ersten Offizier. Und dann dieses nichtssagende Untersuchungsergebnis! Außerdem können wir am Tatort nicht einmal ermitteln, ohne unser Leben zu riskieren! Ich frage euch, wie viel Scheiße kann denn auf einmal zusammen kommen?“ Die sonst so besonnene und ruhige Katherine brüllte so laut, dass man es draußen vor dem Büro hören musste. Katherine presste Daumen und Zeigefinger zusammen und hielt sie in die Höhe. „Ich bin so kurz davor, meine Sachen zu packen und nach Hause zu fliegen!“

                              Joan stand auf und nahm ihre Freundin mitfühlend in den Arm. „Kat, bitte beruhige dich“, flüsterte sie. Setz dich erst mal. Wir finden eine Lösung.“

                              Katherine war starr vor Wut und ihre grauen Augen verschossen Blitze. Dann sackte ihr Kopf nach unten und sie entspannte sich etwas. „Tut mir Leid, Joan. Das war unprofessionell“, murmelte sie.

                              Joan drückte Katherine fest an sich. „Nein, Kat, es ist in Ordnung. Das war nur menschlich und musste raus. Du bist doch keine Maschine.“ Sie nahm Katherines Gesicht in beide Hände und drückte ihr einen Kuss auf die Stirn. Takashi nickte zustimmend. Katherines Wut war fast verraucht und ihre verkniffenen Lippen verwandelten sich zu einem bescheidenen Lächeln.

                              „Danke, Joan“, flüsterte sie, „Es tut gut, dich als Freundin zu haben.“ Etwas lauter und an Takashi gerichtet, sagte sie: „Was Tovin angeht, habe ich auch schon eine Idee. Hoffentlich macht er da mit.“
                              Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                                Kapitel 5


                                „Hypnose?“ Tovin starrte Katherine ungläubig an. „Ihr Psychofuzzies seid doch alle verrückt.“

                                „Wenn es so verrückt wäre, Colonel, gäbe es keine angewandte Psychologie. Hypnose ist eine sehr anerkannte und wirksame Methode, um in die Tiefen eines Patienten vorzudringen und dort Dinge hervorzuholen, die verdrängt oder vergessen wurden.“ Katherine lächelte Tovin aufmunternd an. „Sie müssen nur bereit dazu sein. Ein Patient, der sich dagegen sperrt, kann nicht hypnotisiert werden. Sie müssen mir hundertprozentig vertrauen, Sir.“

                                Tovin schüttelte den Kopf. „Wie kann ich denn sicher sein, dass Sie mit mir nicht irgendwelche Dinge tun?“

                                Katherine schmunzelte. „Wenn Sie diese Zaubershows meinen, in denen ein Freiwilliger vor einer Meute Zuschauern bis aufs Hemd blamiert wird, da kann ich Sie beruhigen. Wir beide werden ganz allein sein, ich werde Sie in eine Wachtrance versetzen. Sie bleiben bei vollem Bewusstsein und haben volle Kontrolle über die ganze Sitzung, Sie können jederzeit abbrechen. Ich werde nur Ihre Erinnerungen zurückbringen. Alles, woran Sie sich während der Hypnose erinnern, werden Sie später, nach der Sitzung, ganz offiziell zu Protokoll geben können. Wir werden Ihre Aussage dann nachprüfen und Sie womöglich entlasten. Colonel, niemand hier in diesem Polizeitrakt glaubt ernsthaft, dass Sie das Attentat vorsätzlich begangen haben. Wir wollen Ihnen helfen, Ihren guten Ruf wieder herzustellen. Wir sind nicht Ihre Feinde. Also?“

                                Tovin legte den Kopf in seine Hände. „Das ist alles so entwürdigend. Jetzt muss ich tatsächlich auch noch so einen Psychokram über mich ergehen lassen …“

                                Katherine legte eine Hand auf Tovins Schulter. „Sir, niemand will Sie in irgendeiner Form entwürdigen. Noch einmal: es werden nur wir beide bei dieser Sitzung anwesend sein. Ich bin Ärztin und unterliege wie jeder andere Arzt der Schweigepflicht. Das, was Sie mir während dieser Sitzung erzählen, bleibt unter uns. Ich werde Ihnen gezielte Fragen zum Fall stellen und nicht in Ihrer gesamten Psyche herumkramen. Das wäre unangemessen und nicht zielführend. Ich bitte Sie nur, mir zu vertrauen.“ Katherine sah Tovin eindringlich an. Sie konnte seine Skepsis spüren.

                                Tovin gab sich einen Ruck, während er auf seinem Zellenbett saß und straffte sich. „Ich habe immer alles gegeben, um ein guter Soldat zu sein, verstehen Sie?“ Katherine nickte verständnisvoll. „Wenn es darum ging, sich freiwillig für einen gefährlichen Einsatz zu melden, war ich immer einer der ersten und ich würde es immer wieder tun. Ich habe keine Angst vor Verletzungen oder gar dem Tod. Ich stand oft genug dem Tod im Angesicht. Das einzige, was ich nicht ertragen könnte, wäre eine Entwürdigung.“

                                Katherine, die sich die ganze Zeit vor Tovin hingehockt hatte, richtete sich auf. Sie nahm Tovins Hände und sah ihn gütig, ja fast liebevoll an. „Colonel, ich bin die allerletzte auf diesem Schiff, die Ihrer Würde oder Ihrem Ansehen Schaden zufügen will“, sagte sie mit ruhiger Stimme. „Das einzige, was ich will, ist die Wahrheit herausfinden. Aber ich brauche Ihre Hilfe dazu. Wären Sie bereit? Bitte Colonel!“

                                Tovin drückte Katherines Hände und sah sie mit seinen blauen Augen traurig an. „Darf ich Katherine zu Ihnen sagen?“

                                Katherine nickte. Irgendwie mochte sie den großen, muskulösen Marine. „Kat. Meine Freunde nennen mich Kat, Sir.“

                                „Abe. Ich mag Sie, Kat. Ich vertraue Ihnen. Machen Sie die Hypnose. Ich will einfach wissen, was passiert ist.“ Tovin lächelte etwas hilflos, was dem erfahrenen Spaceranger nicht so ganz stand.

                                Katherine packte seine kräftige Pranke und zog Tovin von seinem Zellenbett hoch. „Dann gehen wir es an, Abe. Kommen Sie, wir gehen in den Aufenthaltsraum, dort ist es etwas wohnlicher als hier. Das wird Ihnen auch helfen, sich zu entspannen.“


                                Im Aufenthaltsraum des Polizeitraktes gab es eine bequeme Couch aus grauem Synthleder und zwei passende Sessel. Katherine schob einen Sessel an die Couch heran und bat Tovin, sich mit dem Kopf zu ihr auf die Couch zu legen. Dann nahm sie ihren kleinen herzförmigen Silberanhänger – ein Geschenk von John – mit der feinen Kette von Hals. „Ich versetze Sie mit der Pendelmethode in Trance, Abe. Entspannen Sie sich, schauen Sie auf den kleinen Anhänger und hören Sie nur auf meine Stimme. Sind Sie bereit?“

                                Tovin nickte wortlos. Katherine begann.

                                „Schauen Sie auf das Pendel und konzentrieren Sie sich auf meine Stimme. Ihr Körper entspannt sich und Sie fühlen eine leichte Müdigkeit. Sie werden leicht und entspannt, aber Ihr Geist ist bei mir. Wir beide reisen jetzt gemeinsam zurück zu dem Tag, als die Delegation abreiste. Sind Sie bei mir? Sie sind bei vollem Bewusstsein, Abe.“

                                „Ich bin bei Ihnen, Kat.“

                                „Wo befinden wir uns, Abe?“

                                „In meinem Hotelzimmer. Ich rasiere mich gerade und mein Komm klingelt. Ich habe eine Nachricht erhalten.“

                                „Sehen Sie nach, wer hat Ihnen geschrieben?“

                                „Es ist eine anonyme Nachricht.“

                                „Lesen Sie sie mir vor.“

                                „Dort steht: ‚Kommen Sie um neunzehn Uhr in Povleks Bar, Kellereingang. Javeed Reebah will mit Ihnen sprechen, er ist Bauunternehmer und hat Beziehungen bis ganz nach oben. Er kann Ihnen helfen.‘“

                                „Sonst nichts?“

                                „Nein.“

                                „Gehen wir in die Bar?“

                                „Ja, gehen wir.“

                                „Was machen Sie in der Bar?“

                                „Ich habe wahnsinnigen Durst und das samedanische Bier ist hervorragend.“

                                „Wo sind Sie in der Bar? Am Tresen?“ Katherine stellte bewusst diese Frage.

                                „Nein, ich habe mich in eine der hinteren Nischen verzogen. Wenn Javeed Reebah kommt, möchte er bestimmt ungestört sein.“

                                „Ist Javeed gekommen?“

                                „Nein, die ganze Zeit nicht.“

                                „Wie lange sitzen Sie schon dort?“

                                „Eine dreiviertel Stunde.“

                                „Wer bedient Sie? Povlek?“

                                „Nein, seine Nichte Tabra, ein wunderhübsches Mädchen. Sie bringt mir ein Bier nach dem anderen. Sie gefällt mir und ich unterhalte mich mit ihr.“

                                „Kommt sie die ganze Zeit zu Ihnen oder bedient Sie noch jemand anders?“

                                „Nein … ja … doch, ihre Schwester Lilla bringt mir das letzte Bier. Sie sind Zwillinge. Ich habe bezahlt, aber sie sagt, das geht aufs Haus.“

                                „Was passiert dann?“

                                „Ich trinke das Bier halb aus und mir wird schwindelig. Aber nicht vom Alkohol. In dem letzten Bier muss was drin gewesen sein. Drei Männer kommen plötzlich rein, Menschen in Uniform.“

                                „Was für Uniformen tragen sie?“ Katherine wurde hellhörig, jetzt begann der spannende Teil.

                                „Navyuniformen. Es sind Lieutenants einer Korvette, ihre Abzeichen …“

                                „Die Korvette Rampage?“

                                „Ja, das war sie. Sie kommen näher und grinsen bösartig. Ich bin irgendwie gelähmt. Ich kann nichts mehr machen. Sie packen mich und nehmen mich mit.“

                                „Wohin?“ Katherine packte das blanke Entsetzen, die Vermutung einer Verschwörung schien sich zu bewahrheiten.
                                „Raus aus der Bar, nur ein paar Häuser weiter. Wieder in einen Keller. Dort setzen sie mich auf einen Stuhl. Ich sehe Waffen und Handgranaten auf einem Tisch liegen.“

                                „Was passiert dann?“

                                „Ein weiterer Offizier kommt rein, älter, grauhaarig, Scheitel. Er zieht eine braune Flasche aus der Tasche und zieht damit einen Autoinjektor auf. Er verpasst ihn mir unter der Achsel.“

                                Katherine spürte Übelkeit in sich aufsteigen, aber sie riss sich zusammen. „Kennen Sie den älteren Offizier? Können Sie mir seinen Dienstgrad nennen?“

                                „Lieutenant Commander, aber ich weiß nicht wer der Mann ist.“

                                „Können Sie die Flasche beschreiben?“

                                „Braune Glasflasche. Ich kann die Aufschrift nicht ganz entziffern, es fängt an mit Lythobrom… mehr kann ich nicht lesen.“

                                „Erkennen Sie das Etikett?“ Katherine hatte den schlimmsten Verdacht und fragte gezielt: „Konnten Sie das Herstellerlogo erkennen? Ein Symbol oder so?“

                                „Ja, ganz deutlich, eine Rose in einem Strahlenkranz.“

                                Katherine musste ein Würgen unterdrücken. Sie wusste, dass sie auf diesem Schiff nun nicht mehr sicher waren. „Was passierte dann?“

                                „Sie sagten mir, ich soll die Eier ausliefern und gaben mir den Gurt mit zwanzig Handgranaten. Sie sagten mir, wenn ich die Eier ausgeliefert habe, soll ich zum Markplatz gehen, dort wartet mein Taxi.“

                                „Was heißt ‚Eier ausliefern‘?“, hakte Katherine nach.

                                „Wahllos mit Handgranaten um sich werfen, eigentlich ein Befreiungsschlag im Einsatz, aber ich war nicht in einer Gefahrensituation.“

                                „Sind Sie in dieser Situation klar bei Sinnen?“

                                „Ja, das bin ich. Ich habe einen Befehl erhalten und führe ihn aus.“

                                Katherine konnte nicht mehr an sich halten und brach in Tränen aus. „Abe, ich will dass Sie jetzt aufwachen“, brach sie unter Schluchzen hervor. „Wenn ich mit den Fingen schnippe, erwachen Sie aus der Trance und werden sich an alles erinnern.“

                                Katherine schnippte mit den Fingern und Tovin sah, dass sie weinte. Tovin richtete sich auf und nahm Katherines Hand. „Kat, was ist los? So hätte ich Sie ja gar nicht eingeschätzt.“

                                Katherine rieb sich mit dem Handrücken eine Träne weg. „Ist schon in Ordnung. Ich bin nur maßlos erschüttert über das, was hier gerade vor sich geht. Abe, Sie haben gar keine Vorstellung! Wir sind alle in großer Gefahr.“

                                „Erklären Sie es mir?“

                                „Abe, man hat Sie dazu missbraucht, einen blutigen Umsturz auf Sameda II anzuzetteln. Offiziere der terranischen Flotte sind dafür verantwortlich, Offiziere dieses Verbandes! Können Sie sich ausmalen, was passiert, wenn dieser Flottenverband gegen die samedanische Bevölkerung eingesetzt wird?“

                                Tovin nickte. „Das wäre Völkermord. Das muss verhindert werden!“

                                Katherine zuckte hilflos mit den Schultern. „Aber wie? Ich habe nur fünfzehn Beamte mit leichter Bewaffnung. Ich muss Verstärkung aus New York anfordern, aber bis die Kollegen eintreffen, vergehen auch zwei bis drei Tage. Bis dahin können wir alle schon tot sein.“

                                Tovin grinste. „Sie helfen mir und helfen Ihnen. Unter meiner Führung können wir die Rädelsführer ausschalten. Finden Sie heraus, wer für die ganze Scheiße verantwortlich ist und ich bringe Sie und Ihre Truppe heil hier raus. Ich vertraue Ihnen, Kat. Bitte vertrauen Sie mir auch.“

                                Katherine überlegte nicht lange. „Einverstanden, Abe. Wenn Sie uns hier vom Schiff runterbringen, werde ich nicht nur ein gutes Wort sondern einen ganzen Vortrag für Sie einlegen. Brauchen Sie irgendwas?“

                                „Bauzeichnungen dieses Schiffes. Deckspläne, Lüftungsschächte, Elektroleitungen. Einen Computer.“

                                Katherine nickte. „Ich rufe meinen Chef an. Der kann sich die Unterlagen besorgen lassen. Die Admiralität schalten wir besser nicht ein?“

                                Tovin schüttelte mit Nachdruck den Kopf. „Auf gar keinen Fall. Die würden zuerst beim Commodore anfragen. Wir müssen die Schiffsführung weiterhin im Unklaren über unser neu gewonnenes Wissen lassen. Wenn man Sie auf den Stand der Ermittlungen anspricht, sagen Sie einfach, dass Sie auf der Stelle treten. Lassen Sie sich nichts anmerken und seien Sie nett zu den Leuten, unverbindlich und freundlich.“

                                Katherine musste in diesem Moment an Rodriguez denken. „Wird mir schwerfallen“, antwortete sie säuerlich. „Becker müssen wir mit einbeziehen, Abe. Er hat mir gestern schon gesteckt, dass hier was im Busch ist. Der Commodore ist in Ordnung. Er will mich heute Nachmittag sprechen.“

                                „Ich habe gerüchteweise gehört, dass Becker Depressionen hat?“, fragte Tovin skeptisch.

                                „Nein, ganz so schlimm ist es wohl nicht. Becker scheint mir arg überarbeitet und mit der Schiffsführung überfordert. Aber Depressionen sind was anderes. Abe, ich möchte, dass Sie sich mit Captain Yokomuri zusammensetzen und ihm eine detaillierte Personenbeschreibung der vier Offiziere geben. Der ältere der vier war aber nicht zufällig Lieutenant Commander Teenbaum, der leitende Sanitätsoffizier?“

                                „Nein, es war nicht Teenbaum, der Mann war noch älter.“

                                Katherine erhob sich aus dem Sessel. „Okay, Abe. Wir haben viel zu tun. Wie gesagt, Sie machen jetzt bei Yokomuri eine Aussage und erzählen ihm alles, was Sie mir gerade während der Hypnose gesagt haben. Beschreiben Sie die vier Männer so genau wie möglich, dann lassen wir sie mit den Besatzungslisten dieses Verbandes abgleichen.“ Sie ballte die Faust. Dank der neuen Erkenntnisse bekam Katherine mit einem Mal frische Energie und schöpfte neue Hoffnung. Sie war wieder da.

                                Ein Sergeant brachte Tovin in den Verhörraum, Katherine ging ins Büro, wo Joan bereits auf sie wartete.
                                Joan bemerkte sofort an Katherines geröteten Augen, dass etwas nicht stimmte. „Kat? Alles in Ordnung mit dir? Du hast geweint …“

                                „Schon gut, Joan. Ich bin okay, es ist nur etwas viel auf einmal im Moment.“

                                „Kat, dein Wutausbruch von eben, jetzt deine verweinten Augen … So kenne ich dich gar nicht, geht es dir wirklich gut? Hey, ich will meine alte, lustige Katherine Ballard wiederhaben!“ Joan sah ihrer Freundin mitfühlend in die Augen.

                                Katherine hingegen war kurz davor, vor Wut wieder auszurasten, nahm sich aber zusammen und atmete tief durch. „Joan, wenn das hier vorbei ist, dann vielleicht. Wir müssen uns jetzt alle fürchterlich zusammenreißen, ich ganz besonders.“ Und dann erzählte sie Joan von dem vorangegangenen Gespräch mit Tovin und dem Plan, den sie gefasst hatten.

                                Joan wusste nur zu gut, dass Katherine einen ausgeprägten Gerechtigkeitssinn hatte und stets sich für Schwächere und Benachteiligte einsetzte. Der Gedanke, dass ein paar machtgierige Aufrührer sich dieses Flottenverbandes bemächtigen könnten, um ihn womöglich gegen eine schutzlose und friedfertige Bevölkerung einzusetzen, ließ Joan den Magen herum drehen. „Kat, das kann nicht dein Ernst sein!“, keuchte sie. „Wir müssen sie aufhalten!“

                                Katherine hob fragend die Hände. „Wen sollen wir aufhalten? Rodriguez? Van den Bosch? Den namenlosen Lieutenant am Feuerknopf? Wir wissen nicht, wer sie sind, wie viele, wann sie zuschlagen und vor allem: was sie mit UNS vorhaben. Dein Date mit Beckers Sohn heute Abend …“

                                Joan riss die Augen auf. „Soll ich ihn versetzen?“

                                Katherine zwinkerte ihr wissentlich zu. „Nein, Joan, triff dich mit ihm, sei besonders nett und horche ihn aus. Piloten sind näher an der Mannschaft als die Offiziere der Schiffsführung. Und sie sind verdammt gut informiert.“

                                Joan nickte. „Okay, was noch?“

                                „Kannst du noch mal mit Tovins Komm zu van den Bosch gehen? Ich möchte den Inhalt des Geräts als Datei haben.“

                                „Klar! Wozu?“, fragte Joan.

                                „Ich möchte die Datei John zur Auswertung schicken. Ich will wissen, von wo die anonyme Nachricht an Tovin geschickt wurde. Ich gehe jede Wette ein, dass sie von hier oder einem anderen Schiff dieses Verbandes abgeschickt wurde. Aber sag ihr nichts davon.“

                                „Sicher, Kat. Sollten wir nicht langsam mal Marshall Garnie informieren?“

                                Katherine lächelte. „Das ist der nächste Schritt. Er muss mir Pläne dieses Schiffes organisieren. Tovin hat uns seine Unterstützung zugesagt, für den Fall, dass wir hier ausbrechen müssen. Er braucht die Pläne, um sich vorzubereiten.“

                                Joan musste lachen. „Es ist immer gut, einen Marine im Haushalt zu haben, was?“

                                Katherine stimmte lachend mit ein. „Da hast du recht, so ein Marine im Haus ersetzt die Kavallerie.“ Dann wurde sie schlagartig wieder ernst. „Da ist noch was. Tovin sagte, man habe ihm ein Medikament gespritzt, ‚Lythobromsonstwas‘, das hat ihn wohl willenlos gemacht und sein Gedächtnis blockiert. Ich muss mal sehen, ob ich den ganzen Namen und seine Wirkung herausbekomme. Tovin hat das Etikett des Behältnisses beschreiben können, das Logo hat eine Rose in einem Strahlenkranz. Und exakt solche Fläschchen dieses Herstellers stehen bei Doktor Teenbaum im Arzneischrank.“

                                „Also hat sich jemand an der Schiffsapotheke bedient, um Tovin damit gefügig zu machen“, folgerte Joan.

                                „Ja“, brummte Katherine, „oder Doktor Teenbaum hängt auch mit drin und hat es bewusst rausgegeben. Damit fange ich als erstes an.“ Sie setzte sich an das Computerterminal und begann die Suche. Sehr schnell wurde sie fündig. „Da, Joan, da ist es! Lythobromphine oder Lythobromphinol. Ein Psychopharmakon, es wurde vor drei Jahren entwickelt, um Menschen mit schweren posttraumatischen Leiden zu helfen, diese besser zu verarbeiten. Es ist während einer Psychotherapie in homöopathischen Dosen zu verabreichen und dies auch nicht länger als über drei Wochen. Eine Überdosierung kann zu schwerem Gedächtnisverlust führen, der bei Missbrauch des Medikaments auch dauerhaft bleibt. Weiterhin verliert der Patient bei Überdosierung seinen eigenen Willen, bis die Wirkung des Medikaments abgeklungen ist. Das Medikament ist vollständig vom Körper abbaubar und kann nach Ablauf der Wirkung nicht mehr nachgewiesen werden – sieh an, sieh an! Es befindet sich aber noch in der Erprobung und hat keine Zulassung.“ Katherine sah Joan an. „Daher kannte ich das Präparat nicht. Mich würde mal interessieren, wie die Flotte an ein nicht zugelassenes Medikament kommt, das sie nicht einmal benötigt.“ Katherine stutzte einen Moment, bevor sie weitersprach: „Nein, eigentlich will ich das gar nicht wissen.“

                                „Wie hilft uns das weiter, Kat?“, wollte Joan wissen.

                                Katherine schüttelte den Kopf. „Ich weiß es noch nicht Joan, legen wir dieses Mosaiksteinchen erst mal beiseite. Geh du jetzt bitte zu van den Bosch und lasse den Inhalt des Kommunikators auf eine Datenkarte kopieren. Melde dich, wenn du fertig bist, dann gehen wir erst mal was essen.“ Katherine blickte auf ihre Uhr. „Längst Mittag. Ich bekomme langsam Hunger …“
                                Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                                Mission accomplished.

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