Kapitel 17
„Befehl an die Courageous: klarmachen zum Ablegen!“, rief Rodriguez dem Wachoffizier zu. „Maschine, Triebwerke hochfahren und auf Stand-by bleiben. Halteklammern lösen, Manövriertriebwerke kleine Fahrt voraus.“
„Jawohl, Commodore“, kam die Antwort vom Wachoffizier, der die Befehle an die entsprechenden Stationen weiter gab. Innerhalb weniger Sekunden erwachte der Kampfkoloss zum Leben und die leichten Vibrationen und das allgegenwärtige Brummen erfüllten das gesamte Schiff. Quälend langsam bewegte sich die Tennessee vorwärts. Es musste ein Sicherheitsabstand zu den Installationen im Inneren Vestaras von mindestens zweihundert Kilometern eingehalten werden, bis die vier mächtigen Haupttriebwerke gezündet werden durften. Dazu brauchte die Tennessee mit den Hilfstriebwerken etwa zehn Minuten bei voller Fahrt und war dann in unmittelbarer Nähe des riesigen Tors.
Rodriguez liebte die Vibrationen des Schiffes unter seinen Füßen. Ein Raumschiff, elegant wie die Tennessee, hatte für ihn etwas Vergleichbares wie mit einer Frau. Groß, stark, schön anzusehen und kraftvoll und gefährlich – so wie Katherine, an die Rodriguez in diesem Moment sehnsüchtig dachte, stark war seine Begierde nach dieser schönen Frau.
Viele Decks unterhalb der Brücke waren die Vibrationen erheblich stärker. Und diese starken Vibrationen hatten Auswirkungen. Der mikroskopisch feine Riss im Inneren des Schotts zum Polizeitrakt wurde schnell stetig größer. Als die Tennessee durch das Tor flog, hatte der Riss schon mehrere Millimeter erreicht und breitete sich weiter aus, als die Haupttriebwerke ihre Arbeit aufnahmen. Nach nur einer Stunde Flugzeit hatte der Riss eine Länge von fünf Zentimetern erreicht und war bereits von außen sichtbar, wenn man denn nach oben auf das Schott schaute.
Niemand schaute dort hin, jedenfalls nicht im Moment.
Rodriguez hatte den Befehl zum Auslaufen gegeben, weil er von der samedanischen Rebellenregierung in Kenntnis gesetzt worden war, dass man zwei Tanker in Marsch gesetzt hatte, um den Verband mit Treibstoff zu versorgen. Was Rodriguez in diesem Moment jedoch noch nicht wusste, war, dass die terranische Flotte, die sich bereits im System befand, die Tanker abgefangen hatte. Erschwerend kam hinzu, dass auch Kuolun auf Grund dieser Umstände auf Sameda II festsaß.
Unbemerkt waren Curtis und Nurara aus dem Asteroidenring verschwunden und unbehelligt auf dem Flottenträger King William gelandet. Eine kleine Fähre brachte die beiden hinüber zur Alabama, wo sie von einer Ordonnanz auf die Brücke geleitet wurden. Curtis gab sich relativ gelassen, wohingegen Nurara sich in Gegenwart so vieler Soldaten sichtlich unwohl fühlte. Die Anspannung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Admiral Taggart begrüßte Curtis mit einer großen väterlichen Geste. „Da sind Sie ja, Captain! Willkommen an Bord.“ Er betrachtete Nurara einen Moment von oben bis unten und streckte ihr seine große Pranke hin. „Und Sie sind?“
„Nurara“, antwortete sie knapp aber bestimmt, während sie ihm die Hand schüttelte.
„Nurara!“, rief Taggart aus. „Ich habe Ihren Prozess verfolgt und Sie fast nicht wiedererkannt. Schrecklich, dieser Vorfall. Sie haben mein vollstes Mitgefühl.“
„Danke, Sir“, antwortete Nurara mit einem knappen Kopfnicken. „Es wäre mir ganz lieb, wenn wir dieses Thema beiseitelassen könnten.“
„Natürlich. Es tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“, gab Taggart verständnisvoll zurück. „Wollen wir dann zur Tat schreiten? Der Stab wartet schon im Einsatzraum. Bitte, hier entlang.“
Als Taggart mit seinen Gästen den Einsatzraum betrat, sprangen sämtliche Offiziere auf und salutierten. Auch John und Maggie de Havilland waren anwesend. Taggart stellte der Reihe nach seine Offiziere vor und es wurde ein kurzer Smalltalk gehalten. John ging auf Nurara zu und sah sie zögerlich an. Er wusste nicht genau, wie er ihr gegenübertreten sollte, denn auch er war sich nicht sicher, ob Nurara nicht doch etwas mit dem Absturz auf Airam IV zu tun hatte. Nurara hingegen freute sich, ein bekanntes Gesicht zu sehen. „Hi John“, flüsterte sie und nahm den großen Mann mit den sanften braunen Augen fest in den Arm. „Wir finden Kat, versprochen!“
„Warum bist du hier, Nurara?“, fragte John skeptisch. Er wollte schon sagen, dass er prima alleine klar kommen würde, brachte es jedoch nicht fertig, diese Worte auszusprechen.
Nurara legte ihre Hände auf Johns Schultern. „Weil ich nicht will, dass es dir so geht wir mir, John. Ich liebe Kat, als wäre sie meine Schwester. Und ich sehe doch, wie du leidest.“
„Meine Damen, meine Herren, darf ich Sie dann bitten, Platz zu nehmen?“, rief Taggart vom Ende des langen Besprechungstisches. „Fangen wir an!“
Die Besprechung lief diszipliniert ab, während der Schlachtplan bis ins kleinste Detail ausgearbeitet wurde. Sobald die Tennessee auftauchte, sollten Jägerstaffeln des Einsatzverbandes die gegnerischen Jäger in Zweikämpfe verwickeln und ihrerseits anfliegende Bomber und die Korvetten abfangen. Die eigenen Bomber wurden darauf angesetzt, die Waffen der Tennessee und der Courageous auszuschalten und dabei möglichst wenig Schaden an den Schiffen anrichten. Der Plan war, sobald die Waffen schwiegen, Angriffsshuttles zu starten und mit Space Marines die Schiffe zu stürmen. Während der Zweikämpfe im All sollte sich unbemerkt das Teardrop hinter die Kampflinie schmuggeln und im Triebwerksbereich der Tennessee andocken, Colonel Marko mit ihrem Team, sowie John an Bord gehen lassen und den Schiffscomputer sabotieren. Der Anflug auf die Tennessee war dabei das schwierigste an der Mission. Das Teardrop konnte zwar den größten Teil der Reise fast unsichtbar fliegen, da es antriebslos und sich nur durch die eigene Trägheit vorwärts bewegte, aber im Endstadium des Anfluges durchaus entdeckt werden konnte, wenn es seine Triebwerke zündete. Darüber hinaus war das Teardrop völlig unbewaffnet.
„Captain de Havilland“, brummte Elena Marko skeptisch und spielte mit einer schwarzen Haarsträhne. „Erklären Sie mir bitte, wie Sie uns rüberbringen wollen. Ich habe echt keine Lust, von den Triebwerken gegrillt zu werden. Wie fit sind Sie überhaupt auf dem Teardrop? Sind Sie das Ding überhaupt schon mal geflogen?“
Maggie erhob sich und rief auf dem Holoprojektor eine schematische Darstellung einer Gefechtssituation auf. „Ich kann das Baby fliegen, wenn Sie das meinen, Ma‘am“, antwortete Maggie gut gelaunt. „Fliegt sich leichter als eine Liberator. Ich habe etwa dreißig Stunden im Simulator zugebracht und verschiedene Anflugoptionen ausgearbeitet.“
„Aha, Simulator also?“, gab Marko säuerlich zurück. „Ich vertraue also das Leben meiner Leute Ihrer Simulatorerfahrung an?“ Marko sah in die Runde. „Na das ist doch mal eine erfreuliche Nachricht! Aber bitte, Captain, fahren Sie doch fort!“
John, der zwischen Nurara und Lieutenant Colonel Scott, Markos Stellvertreter, saß, beugte sich zu ihm und flüsterte: „Ist die immer so negativ?“
Scott blinzelte und grinste John an. Flüsternd antwortete er: „Die hat heute sogar einen guten Tag …“
Maggie ging auf Markos Spitzfindigkeit nicht weiter ein und startete in der Projektion eine Animation. „Ich zeige Ihnen jetzt die optimale Anflugroute. Wir befinden uns hier, der Gegner hier. Wir lassen uns mit dem Katapult von der King William auf einen bogenförmigen Kurs in Richtung Ziel schleudern und fliegen außen um die zentrale Kampfzone herum. Das wird eine ruhige und gemütliche Reise von etwa zehn Minuten.“ Maggie zoomte in die Projektion hinein und vergrößerte die Ansicht um die Tennessee. „Ich beabsichtige, das Ziel oberhalb vom Heck her anzufliegen und dann im Sturzflug auf die Oberseite zu fliegen und dicht über der Oberfläche wieder in die Waagrechte zu kommen. Dann werfe ich sozusagen den Anker, bis unsere Vorwärtsgeschwindigkeit nur knapp unter der des Ziels liegt. Wir lassen uns gewissermaßen treiben. Da wir relativ dicht über dem Rumpf fliegen, ist das Risiko, entdeckt zu werden, ziemlich gering.“
„Wie dicht ist relativ dicht?“, fragte Scott interessiert.
„Weniger als fünf Meter unter unserem Kiel“, antwortete Maggie wissentlich grinsend wie aus der Pistole geschossen. Den Anwesenden fielen die Kinnladen herunter.
„Das ist doch irrsinnig, Captain!“, rief Marko entgeistert. „Das schaffen Sie nie! Fliegen Sie weiter Ihren grobschlächtigen Bomber!“ Zustimmendes Gemurmel erhob sich von einigen Plätzen. John war bleich geworden, Nurara hatte skeptisch die Augenbrauen zusammen gezogen, selbst Curtis schüttelte leicht den Kopf.
Maggie ließ sich nicht beirren. „Colonel, das was Sie grobschlächtig nennen, ist in der Tat ein Präzisionsinstrument, wie ein Laserskalpell. Ein geschulter Liberatorpilot kann in zwei Metern Flughöhe über Grund bei einer Geschwindigkeit von fünfhundert Kilometern pro Stunde Minen zentimetergenau platzieren.“
„Da muss ich Captain de Havilland zustimmen, meine Damen und Herren“, rief Commander Julia Malinovka, Maggies Geschwaderkommandantin, mit schwerem slawischem Akzent. „Captain de Havilland hat mehrfach in der Vergangenheit solche Manöver erfolgreich durchgeführt. Ich vertraue ihr, Colonel.“ Malinovka sah Marko fest ins Gesicht. „Und ich würde mich freuen, Colonel, wenn Sie unserem Arbeitsgerät etwas mehr Respekt entgegen bringen würden. Machen Sie weiter, Maggie!“
Marko zog eine schiefe Grimasse, ähnlich schief wie ihre Nase. „Danke, Commander!“, antwortete Maggie mit einem breiten Grinsen. Die Bestätigung ihrer Kommandantin gab ihr Oberwasser. „Wie gesagt, wir lassen uns treiben, bis wir wieder am Heck sind, dann drücke ich die Nase etwas nach unten und docke zwischen Triebwerk zwei und drei an. Ein Kinderspiel!“
Taggart kraulte sich seinen kurzen grauen Bart und schürzte die Lippen. „Gewagt, Captain. Sehr gewagt. Aber wenn Commander Malinovka ein derart großes Vertrauen in Sie steckt, habe ich keine Zweifel an Ihren Fähigkeiten. Welche Alternative haben Sie noch?“
Maggie rief eine zweite Simulation auf, in der das Teardrop an verschiedenen Stellen außenbords andockte. Maggie bewertete alle Möglichkeiten nach den Gefahren entdeckt und abgeschossen zu werden oder beim Betreten der Tennessee gleich in die Arme der Meuterer zu laufen. „Insgesamt betrachte ich die erste Variante als sicherste.“ Maggie sah jeden einzelnen in der Runde an und blieb mit ihrem Blick zum Schluss bei Elena Marko hängen. „Colonel, mein Rufname ist Goddess und diesen Namen habe ich nicht bekommen, nur weil ich ein hübsches Mädchen bin. Ich will auch heil wieder nach Hause kommen, das können Sie mir glauben.“ Maggie zwinkerte John zu. „Vertrauen Sie mir und meinen Fähigkeiten.“
Marko rang sich ein Lächeln ab. „Okay, Captain de Havilland. Machen wir es wie Sie sagen. Aber ich warne Sie, wenn das schiefgeht, sehen wir uns in der Hölle wieder, und dann reiße ich Ihnen so den Arsch auf, dass selbst dem Leibhaftigen Angst und Bange wird!“
Ein entspanntes Lachen erfüllte den Raum. Nachdem etwas Ruhe eingekehrt war, deutete Taggart grinsend auf John. „Okay, Captain. Jetzt sind Sie dran. Erklären Sie uns Ihren Plan!“
John erhob sich von seinem Stuhl und rief am Holoprojektor den Querschnitt eines Schlachtkreuzers der Confederation-Klasse auf. Mit einem kleinen Laser-Zeigegerät markierte er vier Punkte, die über das Schiff verteilt waren. Er räusperte sich und begann. „Meine Damen und Herren, Sie werden entschuldigen, aber ich bin leider kein großer Redner. Ich will versuchen, Ihnen mein Vorhaben so einfach wie möglich zu erklären und Ihnen irrelevante Details zu meiner Aufgabe weitestgehend zu ersparen. Sie sehen hier vier Markierungen. Diese Markierungen sind Computerterminals, die direkten Zugriff auf den Zentralcomputer hier“, John markierte einen fünften Punkt in der Schiffsmitte, „ermöglichen. Es gibt auf dem Schiff mehr als zwanzig dieser Terminals, aber wir müssen nur vier davon erreichen. Meine Aufgabe wird es sein, an jedem der vier Terminals eine Art Computervirus einzuschleusen. Mit jedem erfolgreichen Upload wird der Zentralcomputer einige seiner Dienste einstellen. Wenn ich den letzten Terminal erfolgreich geknackt habe, kann ich die volle Kontrolle über das Schiff übernehmen, beziehungsweise es von hier fernsteuern lassen.“
„Wenn der Computer einmal lahmgelegt ist“, warf Lieutenant Commander Trevor, die attraktive brünette Sicherheitschefin, ein, „können die Enterkommandos von allen Seiten an der Tennessee gefahrlos andocken und den Laden aufräumen.“ Tatsächlich gab es an der Tennessee mehr als dreihundert Außenluken, an denen kleine Schiffe andocken konnten. Jedes Angriffshuttle, das der Einsatzverband mit sich führte, konnte einhundert Soldaten fassen. Der Flottenträger Ark Royal trug in seinem Bauch vierhundert dieser kleinen Raumschiffe und in diesem Moment gingen von zwei Truppentransportern mehr als fünfzehntausend Soldaten an Bord des Trägers. „Die Stürmung des Schiffes wird ein Spaziergang, nicht wahr, Colonel Marko?“ Trevor grinste Marko breit an.
Elena Marko nickte beflissen. „Ja, sicher. Dazu müssen wir aber erst einmal die Tennessee vom Heck bis zum Bug über mehrere Decks infiltrieren. DAS wird kein Spaziergang, schon gar nicht, wenn ich einen Badegast dabei habe.“ Beim Wort „Badegast“ sah sie John leicht spöttisch an. Dieser Begriff war unter den Marines für unausgebildete Teammitglieder geläufig, die keine Kampferfahrung hatten. „Aber wie ich Ihnen schon sagte, das kriegen wir hin, John. Wir müssen nur ohne Beulen oder Brandblasen ankommen.“ Marko warf einen sarkastischen Seitenblick auf Maggie de Havilland, die darauf nur mit einem gespielten Lächeln antwortete.
„Meine Damen, hören Sie auf, sich schon vor dem Einsatz zu zerfleischen! Es reicht!“, rief Taggart streng. Er war ein Offizier der alten Schule und hasste es, wenn sich Offiziere, gleich welchen Geschlechts, in leitenden Positionen mit ihren Animositäten gegenseitig das Leben schwer machten. Seiner Meinung nach waren es gerade weibliche Offiziere wie Marko, Malinovka und Trevor, die sich gerne gegenseitig auszustechen versuchten.
In diesem Moment trat ein junger Unteroffizier in den Einsatzraum, salutierte vor Admiral Taggart und raunte ihm etwas ins Ohr. „Danke, Midshipman“, brummte Taggart nur und erhob sich. Er blickte einen kurzen Moment in die Runde und sagte mit ernster Stimme: „Die Tennessee ist soeben mit ihren Geleitschiffen gesichtet worden. Gefechtsbereitschaft herstellen. Es geht los!“ Als die Offiziere den Einsatzraum verließen, rief Taggart Curtis zu sich. „Captain, auf ein Wort bitte!“
„Natürlich, Admiral, was gibt es?“, fragte Curtis neugierig. Nurara und John standen derweil an seiner Seite.
„Captain, ich kann Ihnen, da Sie Zivilist sind, keine Befehle erteilen, aber ich möchte Sie und Sie, Nurara, eindringlich bitten, sich während der Kampfhandlungen rauszuhalten. Wie gesagt, ich kann Ihnen das nicht befehlen, sollten Sie jedoch in die Schusslinien geraten, kann ich keine Garantie für Ihre Sicherheit übernehmen. Das ist Ihnen klar? Das hier ist in erster Linie eine militärische Operation, in der es darum geht, einen Hochverräter zur Strecke zu bringen. Risiken, die Sie eingehen, tragen Sie vollumfänglich selbst.“
Nurara nickte stumm, als Curtis antwortete. „Natürlich, Admiral. Wir sind uns der Gefahren völlig bewusst und werden uns selbstverständlich raushalten.“ Er warf einen Seitenblick auf Nurara und zwinkerte ihr zu, was Taggart natürlich mitbekommen musste.
Taggart kratzte sich am Hinterkopf. „Captain, Sie wären nicht der, der Sie sind, wenn Sie mir nicht gerade einen dicken Bären aufgebunden haben. Also, was haben Sie vor?“, fragte er mit einem verschwörerischen Grinsen.
Curtis grinste auf die gleiche Art und Weise zurück. „Ich gehe gleich an Bord der Comet und werde mir die Tennessee mal aus der Nähe ansehen. Ich habe einen neuentwickelten Prototyp eines DNA-Scanners an Bord, den ich bei dieser Gelegenheit mal auf Herz und Nieren testen werde. Ich will wissen, ob Joan und Katherine noch an Bord und ob sie überhaupt noch am Leben sind.“ Beim letzten Satz wurde Curtis schlagartig ernst.
„Verstehe“, brummte Taggart. „Seien Sie um Himmels Willen vorsichtig. Sie legen sich mit einem übermächtigen Gegner an. Eine kleine Unachtsamkeit und Sie und Ihr Schiff sind Weltraumstaub.“ Taggart wandte sich Nurara zu. „Was ist mit Ihnen, Missy? Sie hatte ich bis vor einer Stunde gar nicht auf dem Plan. Gehen Sie mit?“
Nurara schüttelte ihre schwarzgefärbte Mähne. An ihrem Haaransatz war schon wieder das erste grün ihrer eigenen Haarfarbe zu erkennen. „Nein, Admiral. Ich habe mich kurzfristig entschieden, hier zu bleiben und mich Colonel Markos Team anzuschließen. Infiltrationen sind mein Spezialgebiet.“
Taggart schüttelte energisch den Kopf. „Tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen! Colonel Marko würde Sie auf keinen Fall mitnehmen. Zu gefährlich!“
Nurara wollte protestieren, aber John legte ihr mahnend eine Hand auf den Unterarm. „Er hat Recht, Nurara, denk an Jelana. Wenn etwas schief geht, ist sie eine Waise.“
Böse funkelte Nurara John an. „Was weißt du schon, John?“, zischte sie. „Ich schulde Katherine etwas. Sie hat mich aus der Scheiße herausgeholt. Ohne sie wäre Jelana vielleicht gar nicht auf der Welt. Ich will ihr etwas von dem zurückgeben, was sie für mich getan hat. Und keiner wird mich davon abhalten, weder du, noch Curtis noch Admiral Taggart. Kapiert?“ Sie deutete nacheinander auf die drei Männer. Ihre Miene ließ eindeutig keinen Widerspruch zu. „Und wenn ihr mich versucht davon abzuhalten, gehe ich auf eigene Faust. Wäre nicht das erste Mal für mich, klar?“
Resigniert zuckte John mit den Schultern. „Wenn du meinst … aber du schuldest Kat nichts. Sie gibt lieber, als dass sie nimmt. Das weißt du!“, seufzte er und warf einen fragenden Blick auf den Admiral. Dieser wog den Kopf hin und her.
„Also gut, Miss Nurara. Mir ist bekannt, dass Sie so einige Fähigkeiten besitzen, von denen mancher Space Ranger nur träumen kann. Meine Genehmigung haben Sie. Wenn aber Colonel Marko der Meinung ist, dass Sie bei diesem Einsatz nichts verloren haben, bleiben Sie hier, kapiert? Ihr Schiff lasse ich an die Kette legen. Wenn Sie mitgehen dürfen, werden Sie sich strikt an die Anweisungen von Marko und Scott halten, habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?“, grollte Taggart und drohte mit dem Zeigefinger. Vor der Autorität, die Taggart ausstrahlte, knickte sogar Nuraras Selbstbewusstsein ein klein wenig ein.
„Ja, Sir, das haben Sie. Danke“, antwortete Nurara ungewöhnlich kleinlaut.
„Gut, dann wünschen wir uns allen viel Glück. Und passen Sie bitte auf sich auf!“, rief Taggart und verließ den Einsatzraum.
„Puh, das war eine Ansage“, flüsterte Nurara. „Taggart erinnert mich ein bisschen an meinen Vater, nur viel sympathischer. Taggart lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen.“
„Kein Wunder“, antwortete Curtis belustigt. „Er hat das Kommando über mehr als fünfzigtausend Leute. Da muss man Ansagen machen können. Dieser Mann ist bewundernswert.“
„Ich wünschte, ich hätte so einen Mann als Vater gehabt, Nurara“, fügte John sentimental hinzu. „Na komm, lass uns Colonel Marko mal die freudige Botschaft überbringen, dass sie noch einen Badegast hat.“
Nurara ließ sich zu einem teuflischen Kichern hinreißen. „Die wird ausrasten.“ Sie zog ihre Handschuhe aus und stopfte sie in die Taschen ihrer Lederjacke. Dann legte sie einen Arm um John und wuschelte ihm zärtlich durch sein hellbraunes Haar. „John, ich weiß genau, dass du mich vielleicht nicht sonderlich magst, aber ich mag dich dagegen sehr und ich habe eine Bitte an dich. Können wir vielleicht versuchen, in den nächsten Stunden und Tagen irgendwie miteinander auszukommen? Wir kämpfen für das gleiche Ziel.“
John schaute über Nuraras Schulter hin zu Curtis, der ihm aufmunternd zunickte. John sah zurück zu Nurara und in ihre wasserblauen Augen. Einen Moment verharrte sein Blick, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Also gut. Aber behaupte nie wieder, ich würde dich nicht mögen, okay?“
„Befehl an die Courageous: klarmachen zum Ablegen!“, rief Rodriguez dem Wachoffizier zu. „Maschine, Triebwerke hochfahren und auf Stand-by bleiben. Halteklammern lösen, Manövriertriebwerke kleine Fahrt voraus.“
„Jawohl, Commodore“, kam die Antwort vom Wachoffizier, der die Befehle an die entsprechenden Stationen weiter gab. Innerhalb weniger Sekunden erwachte der Kampfkoloss zum Leben und die leichten Vibrationen und das allgegenwärtige Brummen erfüllten das gesamte Schiff. Quälend langsam bewegte sich die Tennessee vorwärts. Es musste ein Sicherheitsabstand zu den Installationen im Inneren Vestaras von mindestens zweihundert Kilometern eingehalten werden, bis die vier mächtigen Haupttriebwerke gezündet werden durften. Dazu brauchte die Tennessee mit den Hilfstriebwerken etwa zehn Minuten bei voller Fahrt und war dann in unmittelbarer Nähe des riesigen Tors.
Rodriguez liebte die Vibrationen des Schiffes unter seinen Füßen. Ein Raumschiff, elegant wie die Tennessee, hatte für ihn etwas Vergleichbares wie mit einer Frau. Groß, stark, schön anzusehen und kraftvoll und gefährlich – so wie Katherine, an die Rodriguez in diesem Moment sehnsüchtig dachte, stark war seine Begierde nach dieser schönen Frau.
Viele Decks unterhalb der Brücke waren die Vibrationen erheblich stärker. Und diese starken Vibrationen hatten Auswirkungen. Der mikroskopisch feine Riss im Inneren des Schotts zum Polizeitrakt wurde schnell stetig größer. Als die Tennessee durch das Tor flog, hatte der Riss schon mehrere Millimeter erreicht und breitete sich weiter aus, als die Haupttriebwerke ihre Arbeit aufnahmen. Nach nur einer Stunde Flugzeit hatte der Riss eine Länge von fünf Zentimetern erreicht und war bereits von außen sichtbar, wenn man denn nach oben auf das Schott schaute.
Niemand schaute dort hin, jedenfalls nicht im Moment.
Rodriguez hatte den Befehl zum Auslaufen gegeben, weil er von der samedanischen Rebellenregierung in Kenntnis gesetzt worden war, dass man zwei Tanker in Marsch gesetzt hatte, um den Verband mit Treibstoff zu versorgen. Was Rodriguez in diesem Moment jedoch noch nicht wusste, war, dass die terranische Flotte, die sich bereits im System befand, die Tanker abgefangen hatte. Erschwerend kam hinzu, dass auch Kuolun auf Grund dieser Umstände auf Sameda II festsaß.
Unbemerkt waren Curtis und Nurara aus dem Asteroidenring verschwunden und unbehelligt auf dem Flottenträger King William gelandet. Eine kleine Fähre brachte die beiden hinüber zur Alabama, wo sie von einer Ordonnanz auf die Brücke geleitet wurden. Curtis gab sich relativ gelassen, wohingegen Nurara sich in Gegenwart so vieler Soldaten sichtlich unwohl fühlte. Die Anspannung stand ihr ins Gesicht geschrieben.
Admiral Taggart begrüßte Curtis mit einer großen väterlichen Geste. „Da sind Sie ja, Captain! Willkommen an Bord.“ Er betrachtete Nurara einen Moment von oben bis unten und streckte ihr seine große Pranke hin. „Und Sie sind?“
„Nurara“, antwortete sie knapp aber bestimmt, während sie ihm die Hand schüttelte.
„Nurara!“, rief Taggart aus. „Ich habe Ihren Prozess verfolgt und Sie fast nicht wiedererkannt. Schrecklich, dieser Vorfall. Sie haben mein vollstes Mitgefühl.“
„Danke, Sir“, antwortete Nurara mit einem knappen Kopfnicken. „Es wäre mir ganz lieb, wenn wir dieses Thema beiseitelassen könnten.“
„Natürlich. Es tut mir leid, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten“, gab Taggart verständnisvoll zurück. „Wollen wir dann zur Tat schreiten? Der Stab wartet schon im Einsatzraum. Bitte, hier entlang.“
Als Taggart mit seinen Gästen den Einsatzraum betrat, sprangen sämtliche Offiziere auf und salutierten. Auch John und Maggie de Havilland waren anwesend. Taggart stellte der Reihe nach seine Offiziere vor und es wurde ein kurzer Smalltalk gehalten. John ging auf Nurara zu und sah sie zögerlich an. Er wusste nicht genau, wie er ihr gegenübertreten sollte, denn auch er war sich nicht sicher, ob Nurara nicht doch etwas mit dem Absturz auf Airam IV zu tun hatte. Nurara hingegen freute sich, ein bekanntes Gesicht zu sehen. „Hi John“, flüsterte sie und nahm den großen Mann mit den sanften braunen Augen fest in den Arm. „Wir finden Kat, versprochen!“
„Warum bist du hier, Nurara?“, fragte John skeptisch. Er wollte schon sagen, dass er prima alleine klar kommen würde, brachte es jedoch nicht fertig, diese Worte auszusprechen.
Nurara legte ihre Hände auf Johns Schultern. „Weil ich nicht will, dass es dir so geht wir mir, John. Ich liebe Kat, als wäre sie meine Schwester. Und ich sehe doch, wie du leidest.“
„Meine Damen, meine Herren, darf ich Sie dann bitten, Platz zu nehmen?“, rief Taggart vom Ende des langen Besprechungstisches. „Fangen wir an!“
Die Besprechung lief diszipliniert ab, während der Schlachtplan bis ins kleinste Detail ausgearbeitet wurde. Sobald die Tennessee auftauchte, sollten Jägerstaffeln des Einsatzverbandes die gegnerischen Jäger in Zweikämpfe verwickeln und ihrerseits anfliegende Bomber und die Korvetten abfangen. Die eigenen Bomber wurden darauf angesetzt, die Waffen der Tennessee und der Courageous auszuschalten und dabei möglichst wenig Schaden an den Schiffen anrichten. Der Plan war, sobald die Waffen schwiegen, Angriffsshuttles zu starten und mit Space Marines die Schiffe zu stürmen. Während der Zweikämpfe im All sollte sich unbemerkt das Teardrop hinter die Kampflinie schmuggeln und im Triebwerksbereich der Tennessee andocken, Colonel Marko mit ihrem Team, sowie John an Bord gehen lassen und den Schiffscomputer sabotieren. Der Anflug auf die Tennessee war dabei das schwierigste an der Mission. Das Teardrop konnte zwar den größten Teil der Reise fast unsichtbar fliegen, da es antriebslos und sich nur durch die eigene Trägheit vorwärts bewegte, aber im Endstadium des Anfluges durchaus entdeckt werden konnte, wenn es seine Triebwerke zündete. Darüber hinaus war das Teardrop völlig unbewaffnet.
„Captain de Havilland“, brummte Elena Marko skeptisch und spielte mit einer schwarzen Haarsträhne. „Erklären Sie mir bitte, wie Sie uns rüberbringen wollen. Ich habe echt keine Lust, von den Triebwerken gegrillt zu werden. Wie fit sind Sie überhaupt auf dem Teardrop? Sind Sie das Ding überhaupt schon mal geflogen?“
Maggie erhob sich und rief auf dem Holoprojektor eine schematische Darstellung einer Gefechtssituation auf. „Ich kann das Baby fliegen, wenn Sie das meinen, Ma‘am“, antwortete Maggie gut gelaunt. „Fliegt sich leichter als eine Liberator. Ich habe etwa dreißig Stunden im Simulator zugebracht und verschiedene Anflugoptionen ausgearbeitet.“
„Aha, Simulator also?“, gab Marko säuerlich zurück. „Ich vertraue also das Leben meiner Leute Ihrer Simulatorerfahrung an?“ Marko sah in die Runde. „Na das ist doch mal eine erfreuliche Nachricht! Aber bitte, Captain, fahren Sie doch fort!“
John, der zwischen Nurara und Lieutenant Colonel Scott, Markos Stellvertreter, saß, beugte sich zu ihm und flüsterte: „Ist die immer so negativ?“
Scott blinzelte und grinste John an. Flüsternd antwortete er: „Die hat heute sogar einen guten Tag …“
Maggie ging auf Markos Spitzfindigkeit nicht weiter ein und startete in der Projektion eine Animation. „Ich zeige Ihnen jetzt die optimale Anflugroute. Wir befinden uns hier, der Gegner hier. Wir lassen uns mit dem Katapult von der King William auf einen bogenförmigen Kurs in Richtung Ziel schleudern und fliegen außen um die zentrale Kampfzone herum. Das wird eine ruhige und gemütliche Reise von etwa zehn Minuten.“ Maggie zoomte in die Projektion hinein und vergrößerte die Ansicht um die Tennessee. „Ich beabsichtige, das Ziel oberhalb vom Heck her anzufliegen und dann im Sturzflug auf die Oberseite zu fliegen und dicht über der Oberfläche wieder in die Waagrechte zu kommen. Dann werfe ich sozusagen den Anker, bis unsere Vorwärtsgeschwindigkeit nur knapp unter der des Ziels liegt. Wir lassen uns gewissermaßen treiben. Da wir relativ dicht über dem Rumpf fliegen, ist das Risiko, entdeckt zu werden, ziemlich gering.“
„Wie dicht ist relativ dicht?“, fragte Scott interessiert.
„Weniger als fünf Meter unter unserem Kiel“, antwortete Maggie wissentlich grinsend wie aus der Pistole geschossen. Den Anwesenden fielen die Kinnladen herunter.
„Das ist doch irrsinnig, Captain!“, rief Marko entgeistert. „Das schaffen Sie nie! Fliegen Sie weiter Ihren grobschlächtigen Bomber!“ Zustimmendes Gemurmel erhob sich von einigen Plätzen. John war bleich geworden, Nurara hatte skeptisch die Augenbrauen zusammen gezogen, selbst Curtis schüttelte leicht den Kopf.
Maggie ließ sich nicht beirren. „Colonel, das was Sie grobschlächtig nennen, ist in der Tat ein Präzisionsinstrument, wie ein Laserskalpell. Ein geschulter Liberatorpilot kann in zwei Metern Flughöhe über Grund bei einer Geschwindigkeit von fünfhundert Kilometern pro Stunde Minen zentimetergenau platzieren.“
„Da muss ich Captain de Havilland zustimmen, meine Damen und Herren“, rief Commander Julia Malinovka, Maggies Geschwaderkommandantin, mit schwerem slawischem Akzent. „Captain de Havilland hat mehrfach in der Vergangenheit solche Manöver erfolgreich durchgeführt. Ich vertraue ihr, Colonel.“ Malinovka sah Marko fest ins Gesicht. „Und ich würde mich freuen, Colonel, wenn Sie unserem Arbeitsgerät etwas mehr Respekt entgegen bringen würden. Machen Sie weiter, Maggie!“
Marko zog eine schiefe Grimasse, ähnlich schief wie ihre Nase. „Danke, Commander!“, antwortete Maggie mit einem breiten Grinsen. Die Bestätigung ihrer Kommandantin gab ihr Oberwasser. „Wie gesagt, wir lassen uns treiben, bis wir wieder am Heck sind, dann drücke ich die Nase etwas nach unten und docke zwischen Triebwerk zwei und drei an. Ein Kinderspiel!“
Taggart kraulte sich seinen kurzen grauen Bart und schürzte die Lippen. „Gewagt, Captain. Sehr gewagt. Aber wenn Commander Malinovka ein derart großes Vertrauen in Sie steckt, habe ich keine Zweifel an Ihren Fähigkeiten. Welche Alternative haben Sie noch?“
Maggie rief eine zweite Simulation auf, in der das Teardrop an verschiedenen Stellen außenbords andockte. Maggie bewertete alle Möglichkeiten nach den Gefahren entdeckt und abgeschossen zu werden oder beim Betreten der Tennessee gleich in die Arme der Meuterer zu laufen. „Insgesamt betrachte ich die erste Variante als sicherste.“ Maggie sah jeden einzelnen in der Runde an und blieb mit ihrem Blick zum Schluss bei Elena Marko hängen. „Colonel, mein Rufname ist Goddess und diesen Namen habe ich nicht bekommen, nur weil ich ein hübsches Mädchen bin. Ich will auch heil wieder nach Hause kommen, das können Sie mir glauben.“ Maggie zwinkerte John zu. „Vertrauen Sie mir und meinen Fähigkeiten.“
Marko rang sich ein Lächeln ab. „Okay, Captain de Havilland. Machen wir es wie Sie sagen. Aber ich warne Sie, wenn das schiefgeht, sehen wir uns in der Hölle wieder, und dann reiße ich Ihnen so den Arsch auf, dass selbst dem Leibhaftigen Angst und Bange wird!“
Ein entspanntes Lachen erfüllte den Raum. Nachdem etwas Ruhe eingekehrt war, deutete Taggart grinsend auf John. „Okay, Captain. Jetzt sind Sie dran. Erklären Sie uns Ihren Plan!“
John erhob sich von seinem Stuhl und rief am Holoprojektor den Querschnitt eines Schlachtkreuzers der Confederation-Klasse auf. Mit einem kleinen Laser-Zeigegerät markierte er vier Punkte, die über das Schiff verteilt waren. Er räusperte sich und begann. „Meine Damen und Herren, Sie werden entschuldigen, aber ich bin leider kein großer Redner. Ich will versuchen, Ihnen mein Vorhaben so einfach wie möglich zu erklären und Ihnen irrelevante Details zu meiner Aufgabe weitestgehend zu ersparen. Sie sehen hier vier Markierungen. Diese Markierungen sind Computerterminals, die direkten Zugriff auf den Zentralcomputer hier“, John markierte einen fünften Punkt in der Schiffsmitte, „ermöglichen. Es gibt auf dem Schiff mehr als zwanzig dieser Terminals, aber wir müssen nur vier davon erreichen. Meine Aufgabe wird es sein, an jedem der vier Terminals eine Art Computervirus einzuschleusen. Mit jedem erfolgreichen Upload wird der Zentralcomputer einige seiner Dienste einstellen. Wenn ich den letzten Terminal erfolgreich geknackt habe, kann ich die volle Kontrolle über das Schiff übernehmen, beziehungsweise es von hier fernsteuern lassen.“
„Wenn der Computer einmal lahmgelegt ist“, warf Lieutenant Commander Trevor, die attraktive brünette Sicherheitschefin, ein, „können die Enterkommandos von allen Seiten an der Tennessee gefahrlos andocken und den Laden aufräumen.“ Tatsächlich gab es an der Tennessee mehr als dreihundert Außenluken, an denen kleine Schiffe andocken konnten. Jedes Angriffshuttle, das der Einsatzverband mit sich führte, konnte einhundert Soldaten fassen. Der Flottenträger Ark Royal trug in seinem Bauch vierhundert dieser kleinen Raumschiffe und in diesem Moment gingen von zwei Truppentransportern mehr als fünfzehntausend Soldaten an Bord des Trägers. „Die Stürmung des Schiffes wird ein Spaziergang, nicht wahr, Colonel Marko?“ Trevor grinste Marko breit an.
Elena Marko nickte beflissen. „Ja, sicher. Dazu müssen wir aber erst einmal die Tennessee vom Heck bis zum Bug über mehrere Decks infiltrieren. DAS wird kein Spaziergang, schon gar nicht, wenn ich einen Badegast dabei habe.“ Beim Wort „Badegast“ sah sie John leicht spöttisch an. Dieser Begriff war unter den Marines für unausgebildete Teammitglieder geläufig, die keine Kampferfahrung hatten. „Aber wie ich Ihnen schon sagte, das kriegen wir hin, John. Wir müssen nur ohne Beulen oder Brandblasen ankommen.“ Marko warf einen sarkastischen Seitenblick auf Maggie de Havilland, die darauf nur mit einem gespielten Lächeln antwortete.
„Meine Damen, hören Sie auf, sich schon vor dem Einsatz zu zerfleischen! Es reicht!“, rief Taggart streng. Er war ein Offizier der alten Schule und hasste es, wenn sich Offiziere, gleich welchen Geschlechts, in leitenden Positionen mit ihren Animositäten gegenseitig das Leben schwer machten. Seiner Meinung nach waren es gerade weibliche Offiziere wie Marko, Malinovka und Trevor, die sich gerne gegenseitig auszustechen versuchten.
In diesem Moment trat ein junger Unteroffizier in den Einsatzraum, salutierte vor Admiral Taggart und raunte ihm etwas ins Ohr. „Danke, Midshipman“, brummte Taggart nur und erhob sich. Er blickte einen kurzen Moment in die Runde und sagte mit ernster Stimme: „Die Tennessee ist soeben mit ihren Geleitschiffen gesichtet worden. Gefechtsbereitschaft herstellen. Es geht los!“ Als die Offiziere den Einsatzraum verließen, rief Taggart Curtis zu sich. „Captain, auf ein Wort bitte!“
„Natürlich, Admiral, was gibt es?“, fragte Curtis neugierig. Nurara und John standen derweil an seiner Seite.
„Captain, ich kann Ihnen, da Sie Zivilist sind, keine Befehle erteilen, aber ich möchte Sie und Sie, Nurara, eindringlich bitten, sich während der Kampfhandlungen rauszuhalten. Wie gesagt, ich kann Ihnen das nicht befehlen, sollten Sie jedoch in die Schusslinien geraten, kann ich keine Garantie für Ihre Sicherheit übernehmen. Das ist Ihnen klar? Das hier ist in erster Linie eine militärische Operation, in der es darum geht, einen Hochverräter zur Strecke zu bringen. Risiken, die Sie eingehen, tragen Sie vollumfänglich selbst.“
Nurara nickte stumm, als Curtis antwortete. „Natürlich, Admiral. Wir sind uns der Gefahren völlig bewusst und werden uns selbstverständlich raushalten.“ Er warf einen Seitenblick auf Nurara und zwinkerte ihr zu, was Taggart natürlich mitbekommen musste.
Taggart kratzte sich am Hinterkopf. „Captain, Sie wären nicht der, der Sie sind, wenn Sie mir nicht gerade einen dicken Bären aufgebunden haben. Also, was haben Sie vor?“, fragte er mit einem verschwörerischen Grinsen.
Curtis grinste auf die gleiche Art und Weise zurück. „Ich gehe gleich an Bord der Comet und werde mir die Tennessee mal aus der Nähe ansehen. Ich habe einen neuentwickelten Prototyp eines DNA-Scanners an Bord, den ich bei dieser Gelegenheit mal auf Herz und Nieren testen werde. Ich will wissen, ob Joan und Katherine noch an Bord und ob sie überhaupt noch am Leben sind.“ Beim letzten Satz wurde Curtis schlagartig ernst.
„Verstehe“, brummte Taggart. „Seien Sie um Himmels Willen vorsichtig. Sie legen sich mit einem übermächtigen Gegner an. Eine kleine Unachtsamkeit und Sie und Ihr Schiff sind Weltraumstaub.“ Taggart wandte sich Nurara zu. „Was ist mit Ihnen, Missy? Sie hatte ich bis vor einer Stunde gar nicht auf dem Plan. Gehen Sie mit?“
Nurara schüttelte ihre schwarzgefärbte Mähne. An ihrem Haaransatz war schon wieder das erste grün ihrer eigenen Haarfarbe zu erkennen. „Nein, Admiral. Ich habe mich kurzfristig entschieden, hier zu bleiben und mich Colonel Markos Team anzuschließen. Infiltrationen sind mein Spezialgebiet.“
Taggart schüttelte energisch den Kopf. „Tut mir leid, aber das kann ich nicht zulassen! Colonel Marko würde Sie auf keinen Fall mitnehmen. Zu gefährlich!“
Nurara wollte protestieren, aber John legte ihr mahnend eine Hand auf den Unterarm. „Er hat Recht, Nurara, denk an Jelana. Wenn etwas schief geht, ist sie eine Waise.“
Böse funkelte Nurara John an. „Was weißt du schon, John?“, zischte sie. „Ich schulde Katherine etwas. Sie hat mich aus der Scheiße herausgeholt. Ohne sie wäre Jelana vielleicht gar nicht auf der Welt. Ich will ihr etwas von dem zurückgeben, was sie für mich getan hat. Und keiner wird mich davon abhalten, weder du, noch Curtis noch Admiral Taggart. Kapiert?“ Sie deutete nacheinander auf die drei Männer. Ihre Miene ließ eindeutig keinen Widerspruch zu. „Und wenn ihr mich versucht davon abzuhalten, gehe ich auf eigene Faust. Wäre nicht das erste Mal für mich, klar?“
Resigniert zuckte John mit den Schultern. „Wenn du meinst … aber du schuldest Kat nichts. Sie gibt lieber, als dass sie nimmt. Das weißt du!“, seufzte er und warf einen fragenden Blick auf den Admiral. Dieser wog den Kopf hin und her.
„Also gut, Miss Nurara. Mir ist bekannt, dass Sie so einige Fähigkeiten besitzen, von denen mancher Space Ranger nur träumen kann. Meine Genehmigung haben Sie. Wenn aber Colonel Marko der Meinung ist, dass Sie bei diesem Einsatz nichts verloren haben, bleiben Sie hier, kapiert? Ihr Schiff lasse ich an die Kette legen. Wenn Sie mitgehen dürfen, werden Sie sich strikt an die Anweisungen von Marko und Scott halten, habe ich mich klar und deutlich ausgedrückt?“, grollte Taggart und drohte mit dem Zeigefinger. Vor der Autorität, die Taggart ausstrahlte, knickte sogar Nuraras Selbstbewusstsein ein klein wenig ein.
„Ja, Sir, das haben Sie. Danke“, antwortete Nurara ungewöhnlich kleinlaut.
„Gut, dann wünschen wir uns allen viel Glück. Und passen Sie bitte auf sich auf!“, rief Taggart und verließ den Einsatzraum.
„Puh, das war eine Ansage“, flüsterte Nurara. „Taggart erinnert mich ein bisschen an meinen Vater, nur viel sympathischer. Taggart lässt sich nicht auf der Nase herumtanzen.“
„Kein Wunder“, antwortete Curtis belustigt. „Er hat das Kommando über mehr als fünfzigtausend Leute. Da muss man Ansagen machen können. Dieser Mann ist bewundernswert.“
„Ich wünschte, ich hätte so einen Mann als Vater gehabt, Nurara“, fügte John sentimental hinzu. „Na komm, lass uns Colonel Marko mal die freudige Botschaft überbringen, dass sie noch einen Badegast hat.“
Nurara ließ sich zu einem teuflischen Kichern hinreißen. „Die wird ausrasten.“ Sie zog ihre Handschuhe aus und stopfte sie in die Taschen ihrer Lederjacke. Dann legte sie einen Arm um John und wuschelte ihm zärtlich durch sein hellbraunes Haar. „John, ich weiß genau, dass du mich vielleicht nicht sonderlich magst, aber ich mag dich dagegen sehr und ich habe eine Bitte an dich. Können wir vielleicht versuchen, in den nächsten Stunden und Tagen irgendwie miteinander auszukommen? Wir kämpfen für das gleiche Ziel.“
John schaute über Nuraras Schulter hin zu Curtis, der ihm aufmunternd zunickte. John sah zurück zu Nurara und in ihre wasserblauen Augen. Einen Moment verharrte sein Blick, dann huschte ein Lächeln über sein Gesicht. „Also gut. Aber behaupte nie wieder, ich würde dich nicht mögen, okay?“
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