Ich hätte Nurara das Glück so gegönnt. Vermutlich wäre sie nicht das klischeehafte Heimchen am Herd geworden (oder zumindest nicht auf Dauer geblieben) sondern hätte auf ihre Weise mit ihren Lieben das Universum unsicher gemacht (im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten!). Nun denn, so sollen den weiteren Geschehnissen ihren unabdingbaren Lauf also gelassen werden/bleiben *g*
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Captain Future - Rache und Reue
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Ich glaube, dass Nurara in dieser Beziehung die Hosen angehabt hätte. Sie wäre sicherlich kein frommes Hausmütterchen geworden, das liegt ihr nicht. Und ich hätte es auch nicht gewollt, sie dazu zu machen, insofern war Sam's Tod leider notwendig und erforderlich. Nurara bleibt unabhängig.
So Kinders, vorletztes Kapitel bricht an. Endspurt!
Kapitel 14
Weltraumpolizeibehörde, Landefeld
Nach zwei Tagen wurde Nurara entlassen. Die Ärzte hatten ihr dringend geraten, nicht Sams Beerdigung beizuwohnen, um sich nicht erneut dem seelischen und psychischen Stress auszusetzen und das Leben ihres ungeborenen Kindes ein weiteres Mal zu gefährden. Ihre Schwangerschaft hatten die Ärzte nach dem tragischen Vorfall als besonders riskant eingestuft, eine Fehlgeburt, so die ärztliche Prognose, würde bei Nurara zu andauernder Unfruchtbarkeit führen. Schweren Herzens hielt sie sich daran, denn auch Jonathan und Katherine, die sich von ihrer Operation gut erholte, hatten sie eindringlich davor gewarnt, bei der Bestattung zu erscheinen. So verbrachte sie den Tag von Sams Beerdigung damit, sich mit den Kontrollen ihrer Neuerwerbung, der Up jumped the Devil, vertraut zu machen. Die Yacht war tags zuvor auf dem Landeplatz der Polizeibehörde abgeliefert worden. Sie saß im Cockpit und lernte die Bedienelemente und Displays auswendig, als es laut gegen den Rumpf klopfte und sie eine vertraute Stimme rufen hörte: „Bitte an Bord kommen zu dürfen!“
„Erlaubnis erteilt!“, rief sie so laut wie möglich zurück. Dann vernahm sie ein paar Schritte und ein freundliches Lächeln lugte durch das Schott zum Cockpit. „Hallo Curt!“, sagte sie. „Nehmen Sie doch Platz.“
„Danke, Nurara. Ein schönes Schiff ist das, ich gratuliere Ihnen“, sagte Curtis, während er sich auf den Co-Pilotensitz setzte. „Ich sehe, Sie befassen sich mit den Kontrollen?“
Nurara nickte. „Ja, ist aber zum großen Teil alles Standard. Wer schon mal Trembler oder Blades geflogen ist, findet sich hier schnell zurecht.“
Curtis versuchte so einfühlsam wie möglich das Thema zu wechseln, ohne auf die Ereignisse der vergangenen Tage oder Sams Beerdigung einzugehen. „Ich habe von Kat gehört, dass Sie uns bald verlassen wollen? Verraten Sie mir, was Sie vorhaben?“
Nurara sah Curtis einen Moment schweigend an, dann antwortete sie: „Im Moment sieht es so aus, dass ich nach Triffith gehen werde. Dort lebt ein Onkel von mir. Er unterhält dort ein Frachtunternehmen. Triffith ist ein sehr schöner, ruhiger und friedlicher Planet. Ich habe vor, an meiner Doktorarbeit in theoretischer Physik zu schreiben, Jelana zur Welt zu bringen und dann zurück zu meiner Mutter auf den Mars zu gehen. Ich werde mich dann an der Universität als Dozentin bewerben. So kann ich in Ruhe arbeiten, mich trotzdem um mein Kind kümmern und mit der Kleinen regelmäßig ihren Großvater besuchen.“
Curtis atmete durch und schenkte Nurara ein offenes Lächeln. „Na das klingt doch ganz hervorragend. Ich wünsche Ihnen von Herzen viel Erfolg dabei. Wann soll es losgehen?“
„Ich muss die Maschinen noch dreißig Stunden einfliegen. Das werde ich hier im Sonnensystem machen. Ich denke, Ende der Woche bin ich abreisebereit.“
Curtis verzog die Miene zu einem traurigen Ausdruck. „Wissen Sie, Nurara, eigentlich finde ich es sehr schade, dass Sie uns verlassen wollen. Ich habe mich sehr an Sie gewöhnt und bin so begeistert von der Wandlung, die Sie durchlebt haben. Sie haben sich hier einen kleinen Freundeskreis aufgebaut, zu dem ich mich auch zählen möchte. Katherine liebt Sie über alles und Joan steht dem kaum etwas nach, obwohl sie anfangs solche Ressentiments gegen Sie hatte. Wollen Sie das alles aufgeben? Ihr Weggang würde uns wirklich sehr traurig machen.“ Er nahm Nuraras rechte Hand und drückte sie fest.
Nurara schluckte und rieb sich mit der freien Hand eine Träne weg. „Curtis, ich weiß das und ich weiß es auch sehr zu schätzen. Aber bitte verstehen Sie mich. Seit Sam tot ist, hält mich hier nichts mehr. Sie wissen, wie ich noch vor zwei Jahren war. Wild und ungestüm, nennen Sie mich Kratzbürste oder Kotzbrocken, ganz wie Sie wollen. Sam hat mich gezähmt. Er war der einzige Grund, aus dem ich vielleicht hätte auf der Erde sesshaft werden wollen. Diesen Grund gibt es nicht mehr.“
„Wirklich schade, ich hätte Ihnen fast einen Job in meiner Crew angeboten“, antwortete Curtis mit einem Augenzwinkern.
Jetzt musste Nurara lachen. „Ernsthaft? Ich fühle mich geehrt! Aber vielen Dank. Für die Verbrecherjagd bin ich, glaube ich, so ganz und gar nicht geeignet.“
Curtis schmunzelte. „Ich dachte eher an eine wissenschaftliche Mitarbeit. Sie und Simon würden sich prächtig ergänzen.“
„Schon möglich, aber unsere Zusammenarbeit würde schon bei den Honorarverhandlungen scheitern.“
„Gute Arbeit wird gut bezahlt. Das sollten Sie eigentlich wissen …“ Curtis erhob sich aus dem Sitz und ging zum Ausgang. „Bevor Sie uns verlassen, Nurara, möchten Joan und ich Sie noch zum Abschied einladen, uns auf dem Mond zu besuchen. Was sagen Sie?“
Nurara lächelte dankbar. „Ich nehme Ihre Einladung gerne an.“
Mondbasis, Krater Tycho, drei Tage später
Als Nurara durch die Schleuse des Hangars trat, traute sie ihren Augen nicht. Alle waren gekommen, um sich von ihr zu verabschieden. Jonathan mit seiner Lebensgefährtin Diana Rockwell, Katherine, die noch einen unbequemen Verband trug und sich ständig kratzen musste, John, zwischenzeitlich zum regulären Lieutenant befördert, und Ezella Garnie. Grag hatte ein riesiges Buffet aufgefahren. Die Stimmung war trotz aller vorangegangenen Ereignisse recht gut. Es wurden Anekdoten erzählt und es wurde viel gelacht, bis Nurara sich nach zwei Stunden erhob und sagte: „Ich möchte euch allen danken, für das, was ihr in den letzten zwei Jahren für mich getan habt. Ich kann meinen Dank gar nicht in Worte fassen. Leider ist jetzt der Zeitpunkt gekommen, von euch Abschied zu nehmen. Triffith wartet auf mich.“
Joan nahm Nurara in den Arm und sagte: „Hey, kann ich nicht nach Triffith mitkommen? Curtis will auf Aboth eine Ausgrabungsstätte besichtigen. Das liegt ganz in der Nähe. Bitte Nurara, zum Abschied …“
Nurara überlegte kurz. „Ich muss auf Holguin einen Zwischenstopp zum Tanken einlegen, von da könnten wir dann gemeinsam fliegen. Curt, kleines Wettrennen gefällig? Die Devil gegen die Comet?“
Curtis grinst breit. „Meinetwegen, aber die Comet hat noch niemand geschlagen. Ich lasse euch noch ein paar Stunden Vorsprung, Otho kalibriert gerade noch die Protonenkonverter.“
„Dann treffen wir uns auf Holguin!“, rief Joan verzückt. „Komm Nurara, lass uns keine Zeit verlieren!“
Der Abschied, insbesondere von Katherine und Jonathan, war mehr als rührend. Mit den besten Wünschen und den eindringlichen Bitten an Nurara, so schnell wie möglich wieder zurückzukehren, gingen Nurara und Joan an Bord der Devil und nahmen Kurs auf den kleinen Bergbauplaneten Holguin, den sie nach sechzehn Stunden Flugzeit erreichen sollten. Während der Zeit führten Nurara und Joan ein einfühlsames und aufarbeitendes Gespräch.
„Joan, erinnerst du dich an die Szene in der Dusche auf Curts Schiff vor zwei Jahren? Als ich mich über dich lustig gemacht habe?“ Nurara sah Joan an und ihre blauen Augen blitzten belustigt.
Joan zog eine Schnute. „Ja, ich erinnere mich. Du hast gesagt, ich würde als gelangweiltes Hausmütterchen mit zwei, drei Kindern enden.“
Nurara prustete. „Ja, genau, und jetzt bin ich fast an der Stelle, wo ich nie sein wollte. Weißt du, wie man das nennt?“
Joan starrte hinaus in den Weltraum. Ohne Nurara anzusehen sagte sie trocken: „Ironie des Schicksals. Aber, glaub mir, so abwegig ist das gar nicht. Ich wünsche mir auch Kinder mit Curt. Irgendwann werde ich auch welche haben.“
Nurara blickte Joan an und lächelte. „Das wirst du, ganz sicher.“
„Freust du dich auf deine Tochter?“
Nurara packte den Regler für den Überlichtantrieb und zog ihn zu sich. Die langen Streifen der Sterne verkürzten sich wieder zu funkelnden Punkten und vor ihnen lag eine graubraune Kugel im schwarzen Samt des Alls, Holguin. „Ja, Joan, und wie. Und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als dass Jelena aussieht wie ihr Vater. Mit schwarzen Haaren und grünen Augen. Schnall dich an, Joan, wir treten jetzt in die Atmosphäre ein.“
Holguin war ein unbewohnter, lebensfeindlicher Planet mit einer dünnen, für Menschen nicht atembaren Atmosphäre aus Kohlendioxid und Stickstoff. Sauerstoff war nur ein einem so geringen Anteil vorhanden, dass man an der Oberfläche mit einem Raumanzug sich bewegen musste. Da sich Holguin in der habitablen Zone um seinen Zentralstern drehte, waren zumindest die Temperaturen mit fünfundzwanzig Grad Celsius bei Tag und um den Gefrierpunkt bei Nacht akzeptabel. Holguin war dafür reich an Bodenschätzen wie Edelmetallen, Gasen und Diamanten. Seine Oberfläche glich der einer irdischen Steppenlandschaft mit kargem Pflanzenbewuchs einiger robuster Arten, die der Unwirtlichkeit des Planeten zu trotzen gelernt hatten. Die Bodenschätze wurden von interstellaren Unternehmen gefördert, die sich mit riesigen, kuppelförmigen Habitaten auf dem Planeten ausgebreitet hatten. Nuraras Ziel war die Station C4-61 auf der Nordhalbkugel. Hier gab es Treibstoff, Nahrungsmittel, Versorgungsgüter sowie einen Erholungs- und Vergnügungsbereich. Nurara wollte neben der Treibstoffergänzung auch die Maschinen noch einmal überprüfen. Die Landekontrolle von C4-61 wies ihr per Funk einen Anflugvektor zu. Sie musste sich peinlich genau an diesen Vektor halten, denn der Orbit um Holguin war voll mit Frachtern, Tankschiffen und vielen anderen großen und kleinen Raumfahrzeugen. Der Flug durch die oberen Luftschichten war ruhig, je näher die beiden Frauen jedoch der Oberfläche kamen, desto ruppiger wurde der Flug. Staub und Kleinstpartikel wirbelten vor der Cockpitscheibe herum und die Sicht lag annähernd bei null. Plötzlich gab es einen Alarm im Cockpit. „Mist!“, rief Nurara. „Das Backbordtriebwerk überhitzt. Ich muss es sofort abschalten.“ Sie griff nach dem linken Schubregler und zog ihn in die Nullstellung. „Wollen wir hoffen, dass wir mit dem Steuerbordtriebwerk noch zum Landeplatz kommen. Sonst müssen wir laufen …“
Joan sah die andere Frau säuerlich an. „Muss ich nicht haben, sieht ungemütlich draußen aus.“
Etwa fünfundzwanzig Kilometer vor dem Ziel, in einer Höhe von ungefähr achthundert Metern, versagte das zweite Triebwerk. Nurara gab einige unflätige marsianische Flüche von sich, schaltete das zweite Triebwerk ab und versuchte mit Hilfe der Repulsoren den bevorstehenden Absturz in eine kontrollierte Notlandung umzuwandeln. Die Repulsoren, eigentlich dafür gedacht, ein Schiff beim Startvorgang in eine maximale Höhe von zweihundert Metern zu bringen, bevor die Triebwerke gezündet werden konnten, ächzten und ihr Generator gab ein überlastetes Brüllen von sich. Die Devil hielt sich wacker und sank in einem flachen Winkel zum Boden. Nurara erwies sich als geschickte und routinierte Pilotin, die anscheinend schon oft solche Gefahrensituationen gemeistert hatte. Joan wagte es nicht, Nurara in diesem Moment der Konzentration auch nur anzusehen, geschweige denn anzusprechen. Dreißig Meter über dem Boden mit einer Geschwindigkeit von einhundertzwanzig Kilometern pro Stunde gab wenig überraschend der Repulsorgenerator den Geist auf. „Schutzabschaltung“, brummte Nurara nur. „Halt dich fest Joan, gleich rappelt es hier!“, rief Nurara und zog den Steuerknüppel zu sich, um den Tragflächen den letzten Rest Auftrieb zu geben und Geschwindigkeit aus dem Schiff zu nehmen. Sie warf einen Blick auf den Höhenmesser und zählte: „Fünfundzwanzig Meter, neunzehn, dreizehn, neun, sechs, drei, Aufschlag!“
Mit lautem Krachen und dem kreischenden Geräusch von Metall auf Stein setzte die Devil auf und schlidderte ein paar hundert Meter über den felsigen Boden Holguins. Die beiden Frauen wurden durch die Wucht des Aufpralls schwer in ihre Gurte gepresst. Nach einigen langen Sekunden war alles vorbei und Stille legte sich über das Cockpit. Nur ein kleines Piepsen von der Konsole war zu vernehmen und auf den Displays ratterten lange Zeilen von Fehlermeldungen verschiedener Systeme.
Nurara sah Joan an. „Alles in Ordnung mit dir?“
Joan nickte. „Mir geht’s gut. Bei dir auch alles in Ordnung?“
„Denke schon. Keine Schmerzen, kein Blut, scheint alles in Ordnung zu sein“, war Nuraras lapidare Antwort.
„Und was machen wir jetzt?“, wollte Joan wissen.
Nurara löste die Gurte und erhob sich aus dem Sitz. „Raumanzüge anziehen und Schadensaufnahme machen, was sonst? Komm!“
Joan war über alle Maßen erstaunt, wie ruhig Nurara bei dieser Landung und auch jetzt geblieben war.
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Mission accomplished.
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Zitat von Nurara McCabe Beitrag anzeigenCurtis verzog die Miene zu einem traurigen Ausdruck. „ Ihr Weggang würde uns wirklich sehr traurig machen.“ Er nahm Nuraras rechte Hand und drückte sie fest.
Da stimme ich Curti zu!
Es war wirklich spannend, Nurara dabei zuzusehen, wie sie ihr Leben selber in die Hand genommen hat, ohne diesen aufgeblasenen Doktor!
Schön, wie Du das beschrieben hast!Entgegen der um sich greifenden Legendenbildung habe ich mein "altes" Forum nicht freiwillig verlassen! Tragischerweise muss man nun feststellen, dass es dieses Forum nicht mehr gibt! Warum wohl nicht? ;)
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Ihr seid süß!
Weil morgen Feiertag ist, gibt´s heute noch einen kleinen Nachschlag. Nurara kehrt zu alten Tugenden zurück - zu ihren eigenen.
Äußerlich wirkte die Up jumped the Devil unbeschädigt. Unter den Tragflächen konnte Nurara erkennen, dass die Lackierung zwar stark gelitten, aber die harte Landung dem Flugwerk nichts angetan hatte. Ein vorheriger Check des Bordcomputers hatte ebenfalls völlige Hüllenintegrität gemeldet. Joan und Nurara überprüften die Triebwerke, sämtliche erreichbaren Wartungsklappen und Öffnungen und gingen alsbald zur Backbordseite des Bugs. Auch hier gab es unzählige Lackkratzer und Dellen, aber keine nennenswerten Beschädigungen.
„Nochmal richtig Glück gehabt“, sagte Nurara erleichtert über die Funkanlage ihres Raumanzuges. „Wir müssen jetzt zusehen, dass wir das Schiff auf sein Landegestell bekommen und den Rumpf von unten begutachten. Joan? Wo bist du?“
„Hier vorne! Da steckt was drin …“ Joan war weiter zum Bug gegangen und hantierte mit einer Hand an einem Ansaugschacht. Ein Felsbrocken hatte sich darin verklemmt. Der Bereich des Bugs, wo sich der Ansaugschacht befand, ragte etwa einen halben Meter über einen felsigen Abgrund von ungefähr fünfzehn bis zwanzig Metern Tiefe, sanft abfallend und mit losem Geröll und trockenem Buschwerk bedeckt. Joan kam gerade eben mit der Hand an den Stein, fasste ihn und zog ihn mit einer kräftigen, schwungvollen Bewegung heraus. „Hab ihn!“, rief sie freudig und trat einen Schritt nach vorne. Plötzlich gab der Boden unter ihr nach. Aus Nuraras Sicht sah es aus, als hätte sich die Erde unter Joan aufgetan und sie mit einem Mal verschluckt. Nurara hörte nur noch einen gellenden Schrei und ein Krachen in ihren Helmlautsprechern, dann Stille. Sofort rannte Nurara zu der Abbruchkante. Der Untergrund war sehr lose und sie musste höllisch aufpassen, nicht selbst den Halt zu verlieren und abzustürzen. Sie legte sich flach auf den Boden und suchte den Abhang ab. Die Luft war noch erfüllt von aufgewirbeltem rotbraunem Staub, der sich langsam legte. Dann fand sie Joan, etwa zehn Meter unter ihr. Sie lag auf dem Bauch, den Kopf zu Nurara gedreht. Das Visier ihres Helms hatte einige feine Risse und es trat in dünnen, weißen Fäden sichtbar Atemluft aus. Nurara konnte sehen, dass sich Joans Oberkörper noch hob und senkte. Nurara stellte erleichtert fest, dass Joan atmete.
„Joan! Kannst du mich hören?“, rief Nurara entsetzt, bekam aber keine Antwort. Sie musste handeln. Joan verlor Sauerstoff und war möglicherweise auch noch ernsthaft verletzt. „Seil!“ schoss es Nurara durch den Kopf. Sofort sprang sie auf und rannte zurück ins Schiff. Sie musste Joan unverzüglich dort herausholen – unter allen Umständen. Hektisch öffnete sie im Bereich der Bordküche sämtliche Schränke und Staufächer, die Truhen unter der Sitzecke, überall Fehlanzeige, es war kein Seil zu finden. Dann fiel Nurara der Frachtraum ein. Dort musste es Gurte geben, um Fracht und Gepäckstücke zu verzurren. Und tatsächlich fand sie dort einen Behälter mit zwei Dutzend neuer, sorgfältig aufgerollter Spanngurte. Sie packte den Behälter und rannte wieder hinaus. Jeder Gurt war etwa fünf Meter lang und so verband sie vier miteinander und befestigte ein Ende an einem Steigbügel, der am Rumpf der Devil angebracht war. Dann seilte sie sich langsam und vorsichtig zu Joan ab, immer darauf bedacht, keine weiteren Steine zu lösen und auf die bewusstlose Frau rollen zu lassen. Unten angekommen, überprüfte Nurara zuallererst Joans Vitalfunktionen. Das Display auf ihrem Unterarm zeigte Grün. Jedoch stand die Füllanzeige ihres Sauerstoffvorrates bei nunmehr nur noch vierzig Prozent mit stark fallender Tendenz. Nurara hatte demnach nur knapp drei bis fünf Minuten Zeit, Joan vor dem sicheren Erstickungstod zu retten.
Mit geschickten Händen fertigte Nurara aus dem Ende des Spanngurtes eine Hosenschlaufe und streifte sie über Joans Beine. Eine weitere Schlaufe legte sie über Joans Brust und unter ihren Achseln hindurch. Dann überlegte sie, wie sie die verletzte und immer noch bewusstlose Joan wieder nach oben bekommen sollte. Tragen war aus zwei Gründen ausgeschlossen, zum einen war der Abhang übersäht mit dem losen Sand und Geröll, was Nurara ohnehin schon immer abrutschen ließ, zum anderen hätte sie mit dieser körperlichen Belastung möglicherweise ihr ungeborenes Kind gefährdet. So entschloss sich Nurara, wieder nach oben zu krabbeln und Joan hinaufzuziehen. Sie überprüfte noch beim Aufstieg den Grund nach spitzem Gestein und entfernte es, dann ging sie, oben angekommen, mit dem Gurt in der Hand in Richtung Einstiegsrampe. Nurara fuhr die Rampe in eine fast senkrechte Stellung und nutzte sie als Umlenkung. Dann nahm Nurara den Gurt über die Schulter und begann zu ziehen. In der Ferne, in etwa zwanzig Kilometern Entfernung, sah Nurara die riesige transparente Kuppel von C4-61.
Joans Schädel brummte und ihre Sicht war verschwommen, als sie die Augen öffnete. Sie erkannte Nurara und ihre blauen Augen, die sie mitfühlend ansahen. Aber irgendetwas war anders. „Du hast ein paar Prellungen und eine Beule am Hinterkopf. Aber sonst scheint es dir gut zu gehen“, sagte Nurara leise, während sie Joan sanft den Kopf streichelte. Dann stand sie auf und setzte sich ihr gegenüber.
Joan schloss für einen kurzen Moment wieder die Augen und fragte: „Wie lange war ich weg?“
„Etwa fünf Stunden, Joan. Aber mach dir keine Sorgen, du bist okay und das Schiff ist wieder startbereit.“
„Dann können wir weiterfliegen?“
„Ja, ich kann weiterfliegen“, antwortete Nurara kühl.
Joan riss verwirrt die Augen auf. „Hä? Was …?“ Jetzt erkannte Joan, was anders war. Sie betrachtete Nurara aus liegender Position von unten nach oben. Nurara trug schwere, schwarze Stiefel, die ihr knapp unter dem Knie endeten, eine enge schwarze Lederhose und eine ebensolche Jacke. Sie hatte sich düster und aggressiv geschminkt und ihre Haare schwarz gefärbt. Von Nurara ging in diesem Moment eine Bedrohlichkeit aus, wie sie Joan lange nicht mehr an ihr gesehen hatte. Joan richtete sich ächzend in eine sitzende Position auf. In diesem Moment wurde Joan gewahr, dass eine schwere Protonenpistole in Nuraras Schoß lag. „Nurara! Was soll das? Was hast du vor?“, fragte Joan entgeistert.
„Deine Reise endet hier, Joan“, entgegnete Nurara und schlug lasziv die Beine übereinander.
Panik stieg in Joan auf. „Heißt das, du willst mich erschießen und rausschmeißen?“
Nurara hob besänftigend eine Hand, ihr Blick jedoch blieb hart wie Stahl und ihre Stimme immer noch ruhig und gelassen. „Erst einmal nur letzteres, Joan. Ich möchte, dass du von Bord gehst. Die Station C4-61 ist nur zwanzig Kilometer von hier entfernt. Die Gravitation auf Holguin ist geringer als auf der Erde. Du solltest die Strecke locker in drei Stunden schaffen.“
Joan hob fragend die Arme. „Aber … aber warum, Nurara? Was habe ich dir getan?“
Nurara schenkte sich ein kleines, geheimnisvolles Lächeln. „Nur eine kleine Planänderung. Da, wo ich hingehen werde, kann ich dich leider nicht brauchen.“
Joan stützte die Arme auf ihre Knie und schlug die Hände vor das Gesicht. Dann schüttelte sie verständnislos den Kopf und sah Nurara wieder an. „Ich verstehe das nicht. Hast du uns die ganze Zeit etwas vorgespielt? Dein Geständnis, die Resozialisierung, Sam? Hast du Kat die ganze Zeit an der Nase herumgeführt?“
Nurara schüttelte langsam den Kopf und atmete einmal tief durch. „Nein, Joan. Nichts davon war gespielt, bitte glaube mir das. Ich war an einem Punkt, an dem ich für Sam alles aufgegeben hätte. Ja, ich wäre für ihn womöglich sogar in das hübsche Häuschen im Grünen mit dem süßen Garten und dem weißen Holzzaun gezogen. Aber Alruna, dieses Schwein, hat mir meinen Sam genommen“, sie schnippte mit Daumen und Zeigefinger in der Luft und machte eine Geste der Verpuffung. „Und jetzt? Was ist mir geblieben? Ich hatte nicht einmal die Gelegenheit, von Sam Abschied zu nehmen.“
„Du erwartest ein Kind von ihm“, entgegnete Joan.
„Das ohne seinen Vater aufwachsen muss!“, gab Nurara gereizt zurück. „Joan, ich möchte, dass du jetzt gehst. Ende der Diskussion!“ Nurara stand auf und nahm die Pistole in die Hand, den Lauf zum Boden gerichtet.
Joan stand ebenfalls auf, ging dicht an Nurara heran und sah ihr fest in die Augen. „Und wenn ich mich weigere? Curtis wird bald hier sein.“ Joan wirkte jetzt ebenfalls überaus entschlossen.
Nurara entsicherte die Pistole. „Dann werde ich dich betäuben, dir einen frischen Raumanzug anziehen und dich draußen in sicherer Entfernung zum Schiff ablegen. Wenn du wieder aufwachst, hast du mindestens für zwei Stunden Sauerstoff verloren. Curtis wird dich hier draußen nicht rechtzeitig finden. Du hast die Wahl, Joan.“ Ihr Blick war eisig und ihre Stimme nun eine einzige Drohung.
Fünf Minuten später stand Joan in sicherem Abstand zur Devil auf dem Felsplateau. Sie beobachtete, wie Nurara abhob und noch eine Runde um sie herumflog. Dann wackelte Nurara zum Abschied mit den Tragflächen und zog den Bug steil in die Höhe. In wenigen Sekunden war Nurara aus ihrem Sichtfeld entschwunden. „Alles Gute für dich und dein Kind, Nurara“, flüsterte Joan. Aber es war niemand mehr da, der sie hören konnte.
Joan hatte für vier Stunden Sauerstoff und fünf Liter Wasser. Sie drehte sich nach Nordwesten und sah die Kuppel der Versorgungsstation. Dann setzte sie sich mit energischen Schritten in Bewegung.
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Mission accomplished.
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Und hier kommen wir zum Ende von Rache und Reue. Ich hoffe, es hat euch gefallen.
Als Nurara sich durch den dichten Orbitalverkehr, die zeternden Verwünschungen und Drohungen der Flugkontrolle ignorierend, geschlängelt hatte und langsam aber sicher die Grenze der Gravitationsbereichs Holguins erreichte, lehnte sie sich entspannt in dem bequemen Pilotensessel zurück. Aus den Bordlautsprechern klang leise Entspannungsmusik. Während der Navcomputer einen Kurs nach Berg Ador, ihrem nächsten Ziel, berechnete, streichelte sie sanft ihren Bauch und summte zufrieden die Melodie mit. Plötzlich dröhnte der Annäherungsalarm und auf dem Display erschien das Kürzel „LN-001“. Die Comet war soeben ins System gesprungen und nur dreitausend Kilometer entfernt.
„Comet“, Brücke
„Up jumped the Devil direkt voraus, Chef!“, rief Otho von der Pilotenkonsole. „Soll ich Nurara anrufen?“
Curtis war von seinem Kommandosessel aufgestanden und nach vorne gekommen. „Ja, bitte, Otho. Mach das.“ Auf dem Monitor von Othos Konsole entstand Nuraras Bild. „Hey Nurara, alles erledigt? Können wir Kurs auf Triffith nehmen?“ Curtis nahm Nuraras Bild genauer unter die Lupe. Auch er bemerkte die optische Veränderung der jungen Frau. „Sind Sie noch beim Friseur gewesen?“ Er hielt inne und wurde beim Anblick von Nuraras Miene stutzig. Der Platz neben ihr war leer. „Wo ist Joan?“, fragte er mit einer Spur Misstrauen in der Stimme.
Als Antwort erntete Curtis einen harten, kalten Blick. Nurara hob den Daumen und zeigte hinter sich. „Joan ist vorzeitig ausgestiegen, Captain“, war ihre lakonische Antwort.
Curtis zog eine buschige Augenbraue hoch. „Was soll das heißen, ausgestiegen? Wo ist Joan?“ Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Was hatte Nurara mit Joan gemacht? War ihr etwas zugestoßen? „Was wollen Sie damit sagen, Nurara? Haben Sie ihr etwas angetan?“
„Nein, Captain, nichts läge mir ferner, als Joan Schaden zuzufügen. Ich habe Joan gebeten, von Bord zu gehen, weil ich andere Pläne habe. Sie befindet sich etwa zwanzig Kilometer südöstlich der Station C4-61. Sie ist zu Fuß auf dem Weg dorthin.“
Curtis schlug mit der Faust auf die Konsole. „Was zum … Sind Sie wahnsinnig geworden? Sie haben Joan mutterseelenallein da unten in der Wüste ausgesetzt? Sind Sie von allen guten Geistern verlassen?“
Nurara lächelte schmerzerfüllt. „Wenn Sie so wollen, ja, die guten Geister haben mich vor ein paar Tagen verlassen. Joan geht es gut. Fliegen Sie runter auf den Planeten und sammeln Sie sie ein. Lassen Sie mich jetzt meines Weges ziehen.“ Der letzte Satz klang mehr wie ein Befehl denn wie eine Bitte.
„Nichts da! Sie werden jetzt längsseits gehen und zu mir an Bord kommen. Anderenfalls …“
„Anderenfalls was? Wollen Sie mich abschießen? Ich habe nichts Verbotenes getan!“, antwortete Nurara nicht ohne eine Spur Hohn in der Stimme.
„Das können Sie haben“, gab Curtis mit eiskalter Stimme zurück und drückte einige Knöpfe auf Grags Konsole.
Nurara konnte sehen, wie in der Ferne vier weiße Lichter zu glühen begannen. Curtis hatte die Protonenkanonen feuerbereit gemacht, im selben Moment meldete ihr Computer, dass sie in der Zielerfassung war. Sie gab ihrerseits einige Befehle ein und bekam die Meldung „Sonarkanonen 1-6 klar, IP-Kanone klar“ zurück. Sie konnte die Comet zwar nicht zerstören, was sie auch gar nicht wollte, aber immerhin für längere Zeit kampf- und manövrierunfähig machen, aber auch Curtis auf seinem Schiff ernsthaft verletzen, bis hin zu seinem Tod. Dann schob sie die Schubregler langsam bis zur dreiviertel Leistung nach vorne. Sie wusste, dass die Waffen der Comet schlagkräftige Distanzwaffen waren, zur Verfolgung von Flüchtigen geeignet, aber nicht für einen Dogfight. Dazu war Curtis‘ Schiff im Vergleich zur Devil auch nicht wendig genug. Sie konnte mit der Devil jederzeit die Comet ausmanövrieren. „Curtis, bitte seien Sie vernünftig. Wollen Sie mich wirklich umbringen? Wie lange wollen Sie mit mir Katz und Maus spielen? Bis einem von uns der Treibstoff ausgeht? Sie haben vielleicht das schnellere Schiff, meines ist kleiner und wendiger. Sie können mich töten, ich Sie auch, wenn es sein muss. Ich bin nicht wehrlos! Aber ich will das nicht! Lassen Sie mich bitte gehen! Denken Sie an Joan da unten! Ihr läuft die Zeit davon! Sie haben keine andere Wahl! Ihre Worte, Curt …“
Curtis stand an der Konsole, Nurara war schon lange in Feuerreichweite und kam näher, mit dem Daumen auf dem Feuerknopf. Grag und Otho sahen zu ihrem Captain auf. Er blickte seine treuen Gefährten, den Androiden und den riesigen Roboter, nacheinander an. Beide schüttelten langsam ihre Köpfe als Zeichen von Nurara abzulassen und Joan zu suchen. Er gab Grag einen Wink, die Waffen zu sichern. Curtis atmete tief durch und sagte: „Also gut, Nurara. Sie haben gewonnen. Sie können gehen. Sollte Joan aber nur eine winzige Kleinigkeit passiert sein, werde ich Sie jagen, bis ans Ende des Universums, wenn es sein muss. Alles Gute für Sie und Ihr Kind.“
Nurara nickte verständnisvoll, denn sie wusste, dass dies nicht nur eine hohle Phrase war. „Joan hat von einem Sturz ein paar Blessuren davongetragen, sie wird Ihnen erzählen, wie es dazu gekommen ist. Ich habe ihr übrigens heute das Leben gerettet, Captain. Machen Sie es gut.“ Nurara kappte die Verbindung und gab Vollgas. Nur ein paar Kilometer entfernt schoss sie an der Comet vorbei und sprang in die Lichtgeschwindigkeit. Nurara öffnete einen anderen Kanal und rief jemanden an, den sie seit Ewigkeiten nicht mehr gesprochen hatte. Auf dem Monitor der Kommunikationsstation erschien ein Mann von Ende fünfzig. Er war überaus dick, hatte ölige, lange Haare, einen verwegenen Sichelbart und war über und über mit opulentem Goldschmuck behangen. „Onkel Sentenza! Lange nicht mehr gesehen! Wie geht es dir, Onkelchen?“
Der Mann am anderen Ende stutzte einen Moment, dann huschte ein freudiges Lächeln über sein Gesicht. „Nurara! Meine kleine Nurara. Das letzte Mal, als dich sah, warst du acht, richtig?“
„Möglich, Onkelchen. Ich habe nicht viel Zeit und komme gleich zur Sache. Ich brauche einen Frachter, so mit etwa sechshundert Tonnen und einer Robotbesatzung. Hast du was in der Richtung?“
Sentenza kratzte sich am stoppeligen Kinn. „Hmm, ich habe hier die Vulture, gehörte deinem Vetter Bolec. Hat sich letztes Jahr totgesoffen, der Trottel. Vierhundertfünfzig metrische Tonnen. Reicht das?“
Nurara überlegte kurz und antwortete: „Ja, das genügt auch. Was soll der Kahn kosten?“
„Kannst du so haben, wie lange brauchst du das Schiff?“
Nurara bleckte bösartig die Zähne. „Du wirst es nicht wiedersehen. Jedenfalls nicht in einem Stück. Bitte belade den Frachter bis unters Dach mit F-87 und programmiere die Route auf die Sekunde genau zu den Koordinaten, die ich dir gleich schicke. Und bitte, stell keine Fragen, Onkelchen.“
Sentenzas Augen wurden riesig. „Du willst vierhundertfünfzig Tonnen F-87 Sprengstoff? Was hast du damit vor? Einen Krieg anfangen?“
„Bitte, Onkel, keine Fragen. Du wirst alles zeitnah aus der Presse erfahren. Kriege ich das Schiff?“
„Ja, natürlich. Konnte ich meiner süßen Nichte jemals einen Wunsch abschlagen?“
Nurara lächelte zuckersüß. „Nein, konntest du nicht. Manchmal ist es echt von Vorteil, ein hübsches Mädchen zu sein! Ich melde mich wieder bei dir. Hab vielen Dank, Onkelchen!“ Sie schaltete ab und wählte eine neue Verbindung. Am anderen Ende meldete sich ein mürrischer Airami in Polizeiuniform.
„Justizvollzugsanstalt von Airam IV, was kann ich für Sie tun?“
Nurara setzte ihr charmantestes Lächeln auf und antwortete: „Ich bin Andala Korvo. Ich möchte gerne einen Besuchstermin vereinbaren.“
Kapitel 15
Airam IV, eine Woche später
Träge bewegte sich der kleine Frachter in die Nähe seiner ihm zugewiesenen Warteposition im Orbit über Airam IV. Dort verharrte er geduldig, auf seine weiteren Befehle wartend, noch einige Tage. Immer wenn er von der Flugkontrolle zu einer Statusmeldung aufgefordert wurde, gab die Roboterbesatzung ein braves „Alle Systeme in Ordnung, warten auf Rendezvouspartner zum Umladen“ zurück. Auf der Brücke schien außer den Kontrollleuchten kein Licht. Es war niemand an Bord, der Licht benötigt hätte. Die dunklen Monitore erwachten urplötzlich zum Leben und unzählige Kolonnen von Zeichen, Zahlen und Befehlsketten ratterten herunter. Statusleuchten wechselten von Rot nach Grün und die Anzeigebalken der Energieversorgung stiegen von einem auf einhundert Prozent. Die kräftigen Maschinen sprangen an und das alte, unbemannte Frachtschiff erwachte zum Leben. Soeben hatte der Bordcomputer den Befehl erhalten, sein Schiff auf die letzte Reise zu schicken. Langsam bewegte sich der Bug des zylinderförmigen Frachtschiffes planetenwärts. Die Manövrierdüsen gaben einen kurzen Feuerstoß in das Vakuum, was dem Frachter einen nur kaum wahrnehmbaren Vortrieb verschaffte. Den Rest erledigte die Anziehungskraft des Planeten, der den Frachter jetzt zu sich zog. Schneller und schneller bewegte sich die Vulture jetzt auf Airam zu. Als der alte Frachter in die oberen Luftschichten eindrang, begann sein Bug orange zu leuchten. Die Schutzschilde hatten jedoch keine Mühe, das Schiff vor dem Verglühen zu schützen. Einen Feuerschweif und schwarzen Rauch nach sich ziehend, schoss das Schiff wie eine Sternschnuppe durch den Abendhimmel. Einige Bewohner Airams beobachteten das Schauspiel mit offenen Mündern. Zuerst hörten sie nur ein Sirren in der Luft, das allmählich anschwoll, dazu kam dann ein dumpfes Brummen, dessen Tonlage sich zusehends in ein schrilles, metallisches Kreischen verwandelte. Dann kam der Überschallknall. Stille. Ein greller Blitz folgte darauf und nur wenige Sekundenbruchteile später wurde der Boden wie bei einem schweren Erdbeben erschüttert. Das Krachen und Donnern der Explosion war noch mehrere Dutzend Kilometer weit zu hören.
Nuraras Schiff stand auf einer Anhöhe, direkt an den angrenzenden Urwald. Sie blickte hinter sich, auf das in der Wand eingelassene Chronometer und zählte die Sekunden herunter. Nurara blickte wieder nach vorne, aus der Luke hinaus und beobachtete die aufziehende Dämmerung. Sie nahm einen Schluck aus der Teetasse, die sie in der Hand hielt und sah plötzlich den leuchtenden Schweif, der von Himmel fiel. „Auf die Sekunde genau“, murmelte sie. Es war heiß und drückend, daher trug sie nur leichte Unterwäsche, als sie den Himmel beobachtete. Das Leuchten verschwand. Nurara nahm noch einen Schluck Tee, während sie gleichmütig weiter in die Richtung blickte. Da! Ein heller Blitz schoss in den Abendhimmel. Dann erfüllte ein dumpfes und beängstigendes Grummeln die Luft und eine hässliche gelb-graue Pilzwolke erhob sich über den Horizont. Und nur wenige Sekunden später fühlte Nurara die Ausläufer der Detonation unter ihren nackten Füßen. Sie wandte sich ab, stellte die Teetasse auf die Pantry, schlüpfte in die robuste Lederkleidung, die sie bereitgelegt hatte und zog Socken und die schweren Stiefel an. Auf dem Tisch lagen die Protonenpistole und eine große, scharfe Machete. In einem Rucksack hatte sie ausreichend Wasser und Energieriegel für drei Tage. Aber so lange würde sie nicht im Dschungel verbringen. Nurara nahm die Utensilien an sich, löschte das Licht, verriegelte die Einstiegsluke der Devil und ging gemessenen Schrittes die felsige Anhöhe hinab, in den Dschungel hinein. Ein kleines, handliches Navigationsgerät wies ihr den Weg.
Sportsbar „Lucky Shot“, Downtown Manhattan, zur selben Zeit
Curtis, Joan, Katherine, John und Ezella saßen gemütlich um einen großen Tisch herum, aßen knusprige Spareribs, spülten diese mit reichlich Bier herunter und genossen das Football Endspiel im Super-Bowl zwischen den Alabama „Swampers“ und den Oklahoma „Rough Riders“. Beide Teams hatten als krasse Außenseiter eine hervorragende Saison gespielt und sämtliche Favoriten ausgestochen. Die Stimmung im Lokal war ausgelassen und am Tisch der Gruppe ging es albern her. Katherine und John neckten sich gegenseitig wegen der Sympathien für ihr jeweiliges Team, stets begleitet von spitzzüngigen Bemerkungen des anderen über Spielfehler und Fehlentscheidungen des Schiedsrichterteams.
„Eigentlich ist es mir egal, wer heute gewinnt“, sagte John zu Curtis mit einem süffisanten Grinsen. „Wenn die „Swampers“ gewinnen, habe ich keine ruhige Nacht, wenn die „Riders“ gewinnen, wird Kat nicht zum Schlafen kommen.“
„Das glaubst du aber auch nur“, nuschelte Katherine grinsend mit vollem Mund und drohte John mit einem abgeknabberten Knochen, „wenn deine „Riders“ gewinnen, kannst du auf der Couch schlafen, mein Lieber!“
„Da waren wir auch schon länger nicht mehr!“, gab John trocken zurück und sprang jubelnd auf. Touchdown für die „Riders“, die jetzt zwei Punkte vor den „Swampers“ lagen und das im letzten Quarter, zwei Minuten vor Spielende. Dann gab es ein böses Foul von einem Swamper an einem Rider. Das Spiel wurde abgepfiffen und der Sender nutzte die Pause für einen kurzen Nachrichtenüberblick.
Hinter der attraktiven Nachrichtensprecherin wurde ein Film eingespielt, auf dem ein brennendes und rauchendes Areal mit einem großen Krater eingeblendet wurde. Die Sprecherin verlas: „Sehr geehrte Damen und Herren, diese Bilder erreichten uns soeben aus dem Airam System. Vor etwa dreißig Minuten ist über Airam IV ein außer Kontrolle geratenes Frachtschiff abgestürzt und exakt auf dem Hochsicherheitsgefängnis niedergegangen und explodiert. Ersten Schätzungen zufolge gab es eintausend Todesopfer und mehrere tausend Verletzte. Viele Gefängnisinsassen und Personal werden noch vermisst. Unter den inhaftierten Schwer- und Schwerstkriminellen befand sich auch der zu lebenslanger Haft verurteilte prominente Vul Kuolun. Über seinen Verbleib und die näheren Umstände des Unglücks ist bisher noch nichts bekannt. Wir melden uns wieder, wenn uns neue Erkenntnisse zu dieser Tragödie vorliegen.“
Am Tisch wurde es schlagartig still. Alle sahen sich entgeistert an und flüsterten im Chor nur einen Namen: „Nurara!“
Airam IV, Dschungel, kurz vor Sonnenaufgang
Der Marsch durch den nächtlichen Urwald hatte Nurara nur wenig Abkühlung verschafft. Ihr rechter Arm schmerzte vom stetigen Schlagen mit der Machete und die Lederkleidung klebte ihr am Leib. Dennoch war Nurara froh, dass sie sie trug, denn der Urwald war voll mit allerlei giftigen, stechenden Insekten und scharfkantigen Blättern. Allmählich begann das Tageslicht, sich seinen Weg durch das dichte Blätterwerk zu bahnen und ihre Sicht zu verbessern. Nurara hielt an, um einen Schluck Wasser zu nehmen, dann hörte sie ein Rascheln, ein schweres Atmen und Husten. Sie steckte die Machete weg und zog die Protonenpistole aus dem Holster.
Kuolun konnte sich nicht mehr erinnern, wie lange er schon unterwegs war. Das scharfkantige Metallstück, mit dem er sich den Weg durch das dichte Unterholz bahnte, hatte blutige und schmerzhafte Furchen in seine Handfläche geschnitten. Auch seine Arme und Beine hatten teilweise üble Schnittwunden, sein Gesicht war von Ruß und Blut verschmiert und eine leichte Rauchvergiftung zwang ihn immer wieder zum Husten. Er war am Ende seiner Kräfte. Auf allen vieren kroch er auf dem matschigen Erdboden vorwärts. Dann hörte er ein Rascheln und Knacken und vor ihm erschienen ein paar Füße, die in schweren schwarzen Stiefeln steckten. Er sah an der Gestalt hoch, die eine Protonenpistole in der Hand hielt und einen strengen Gesichtsausdruck hatte. Dann lächelte er. „Da bist du ja, Nurara“, flüsterte Kuolun erleichtert.
„Ich halte meine Versprechen, Doktor“, gab Nurara von oben herab tonlos zurück.
Kuolun betrachtete Nurara eingehend von oben bis unten und leckte sich die Lippen. „Du siehst verdammt scharf aus in dem Aufzug.“
„Ich hatte so eine Ahnung, dass es Ihnen gefallen wird …“, erwiderte sie bissig.
„Und deine schwarzen Haare, sehr rassig. Aber … du hast etwas zugenommen“, feixte Kuolun. „Deine Liaison mit dem Anwalt scheint dir etwas zu gut getan zu haben. Es wird Zeit, dass ich mich wieder etwas um dich kümmere!“
Nurara holte mit dem Fuß aus, trat mit der Stiefelspitze in eine kleine Pfütze und stieß Kuolun eine Ladung Schlamm und Dreck ins Gesicht. „Ich bin schwanger“, zischte sie. Sie warf ihm den Rucksack hin. „Hier, Doktor, Wasser, etwas zu essen und frische Kleidung. Beeilen Sie sich, wir müssen von hier fort!“
Kuolun setzte sich auf und rieb sich mit dem Ärmel den Dreck aus dem Gesicht. Dann legte er eine Hand auf Nuraras Oberschenkel, die Nurara mit dem Lauf der Pistole achtlos wegschlug. Erschrocken sah er sie an und fragte: „Nurara! Was um alles in der Welt … warum demütigst du mich so?“
Nurara ging in die Hocke und hielt die Mündung der Pistole Kuolun unters Kinn. Mit drohender Stimme flüsterte sie: „Fassen Sie mich niemals wieder an, Doktor. Sollte ich noch einmal einen Ihrer Finger an meinem Körper spüren, werden Sie Schmerzen erleiden, wie Sie sie noch niemals erlebt haben. Ich habe Sie aus dem Gefängnis geholt, weil Sie meine Hilfe brauchen und ich die Ihre. Aber Sie werden mir in Zukunft nicht näher kommen, wie diese Pistole lang ist. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?“ Kuolun zögerte mit der Antwort, daher drückte Nurara ihm die Waffe tiefer ins Fleisch. „Also?“, fragte sie herausfordernd.
„Aber Nurara, ich verzehre mich nach dir …“, ächzte Kuolun.
„Sie dürfen sich so viel verzehren, wie Sie wollen Doktor. Sie können mit mir zukünftig weiter zusammenarbeiten oder ich setze Sie an einem Ort Ihrer Wahl ab. Aber dieser wundervolle Körper“, Nurara strich sich lasziv über Oberschenkel und Knie, „ist ab sofort für Sie tabu. Also, wie entscheiden Sie sich?“
Kuolun hielt sich die Stirn und antwortete leise: „Alles was du willst, ich gehe mit dir, Nurara!“
Nurara stand auf und lächelte. „Fein, dann sind wir uns einig. Also los, stehen Sie auf. Wir haben noch einen langen Fußmarsch vor uns und wir müssen uns beeilen.“Kuolun erhob sich ebenfalls und nahm den Rucksack an sich.
Nurara sah Kuolun fest in die Augen. „Da wäre noch eine Sache: ab sofort tanzen Sie nach meiner Pfeife! Und jetzt vorwärts!“
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Mission accomplished.
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Zitat von Nurara McCabe Beitrag anzeigenNurara sah Kuolun fest in die Augen. „Da wäre noch eine Sache: ab sofort tanzen Sie nach meiner Pfeife! Und jetzt vorwärts!“
[/B]
Tja Doktorchen, das hättest Du nicht gedachtUnendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination
Ein Holodeck ist klasse! Man kann überall hin, obwohl man gar nicht weg muss :)
Außerirdische Technologie + menschliche Dummheit = unschlagbare Ergebnisse :)
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Und den Epilog wollen wir doch nicht vergessen...
Epilog
Ein Strandhaus, vierzig Jahre später
Die achtundsechzigjährige Nurara saß auf der Terrasse ihres Hauses und blickte vergnügt hinunter auf den Strand, wo sie zwei Kinder, ein Junge und ein Mädchen im Alter von acht und zwölf Jahren, beim Ballspielen beobachtete. Genüsslich nippte sie an einem kühlen Cocktail und ließ sich von der Frühlingssonne aufwärmen. Nurara war trotz ihres Alters immer noch eine wunderschöne Frau, mit einem fast faltenfreien Gesicht und einem makellos schlanken Körperbau. Ihr einst sattgrünes Haar war aber mittlerweile heller geworden und von feinen grauen Strähnen durchzogen. Sie wandte den Blick ab vom Strand, hin in das offene und freundliche Gesicht einer ebenso schönen Frau von Anfang vierzig. Sie hatte grüne Katzenaugen und wallendes, glänzendes schwarzes Haar. Nurara nahm die Hand der Frau und lächelte sie an. „Schön, dass ihr kommen konntet. Wie läuft das Geschäft?“, fragte Nurara.
„Könnte besser gehen, die neuen Gesetze machen uns schwer zu schaffen, aber ich habe ein paar Leute mit guten Beziehungen. Du kennst das ja, Mama. Die werden sich schon drum kümmern.“ Die Frau zwinkerte Nurara neckisch zu.
Nurara nickte bedächtig. „Es gibt Dinge, die ändern sich halt nie. Und jetzt lass dich umarmen, Jelana. Alles Gute zum Geburtstag!“
Unter lautem „Oma, Oma“-Gebrüll kamen jetzt die zwei Kinder den schmalen Pfad vom Strand hinauf gelaufen.
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Mission accomplished.
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Hach!
Einfach ein schönes Ende. ... und es läßt so unglaublich viel Spielraum, was in diesen 40 Jahren so alles passiert ist.
Ran an die TastenZUKUNFT -
das ist die Zeit, in der du bereust, dass du das, was du heute tun kannst, nicht getan hast.
Mein VT: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...ndenz-steigend
Captain Future Stammtisch: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...´s-cf-spelunke
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Hallo Nurara!
Man, man, man, 40 Jahre später!
Ich kann mir Nurara nur schwerlich als "Omi" vorstellen! *g*
Aber irgendwie muss sie ja auch altern, zumindest körperlich etwas, aber das clevere Köpfchen ja nicht...
So doof sich das auch anhört, aber das Leben geht auch nach schweren Schicksalsschlägen weiter und mit ihrer Tochter hat Nurara ja auch etwas von ihrem Glück gerettet!!!Entgegen der um sich greifenden Legendenbildung habe ich mein "altes" Forum nicht freiwillig verlassen! Tragischerweise muss man nun feststellen, dass es dieses Forum nicht mehr gibt! Warum wohl nicht? ;)
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