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Ich versuche mir gerade bildhaft vorzustellen, wie sich so eine Fußfessel bei nurara macht, bei den Outfits die sie immer trägt.
Oder peppt sie die Dinger womöglich modisch auf?
Yessss... mit Bling-Bling-Kristallen
Unendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination
Ein Holodeck ist klasse! Man kann überall hin, obwohl man gar nicht weg muss :)
Außerirdische Technologie + menschliche Dummheit = unschlagbare Ergebnisse :)
Schlachtkreuzer Tennessee, Airam System, im Orbit um Airam IV
Major Ballard stand in ihrer engen Kabine und blickte durch das kleine Bullauge hinaus ins Weltall. Am Rande sah sie die blau-grüne Welt von Airam IV, davor hoben sich die Silhouetten von Raumschiffen verschiedener Größe und Spezifikationen ab. Frachter, Kriegs- und Passagierschiffe und viele kleine Versorgungsschiffe und Schlepper. In ihrem unmittelbaren Blickfeld, direkt neben der Tennessee an Steuerbord lag ein elegantes, weißes Passagierschiff, die Empress of Venus, die Ballard zurück nach Hause zur Erde bringen sollte. Die Venus war bei weitem nicht so schnell wie der Schlachtkreuzer und würde für die Reise zurück ins Sonnensystem statt zweieinhalb etwa vier Tage brauchen. Ballard würde die Zeit nutzen und die Annehmlichkeiten des Liners auskosten: Sauna, Schwimmbad, gutes Essen und viel schlafen. Das letzte Jahr war sie fast nur im Weltall unterwegs und freute sich jetzt auf die Heimkehr. Sie würde ihre Eltern und ihren kleinen Bruder wiedersehen, sich mit Freunden treffen und Urlaub nehmen. Marshall Garnie hatte sie schon vor Monaten dazu genötigt, während er ihren Antrag auf Versetzung zum psychologischen Dienst bearbeitete. Die Entscheidung würde er bei ihrer Rückkehr zur Erde treffen. Ballard war guter Dinge, was ihren Antrag betraf. Dann hätte sie geregelte Arbeitszeiten und könnte auch damit beginnen, eine eigene Familie zu gründen, was schon lange ihr sehnlichster Wunsch war. Dazu fehlte ihr nur noch der passende Mann – und den würde sie endlich finden.
So freute sie sich umso mehr, endlich von diesem lauten, nach Öl und Treibstoff stinkenden Kriegsschiff herunter zu kommen. Ballard trug zivil, ihre schwarzen Haare fielen locker auf ihre Schultern. Ihre kleine Reisetasche stand gepackt auf der schmalen Koje. Bis zur Ausschiffung hatte sie noch eine gute Stunde Zeit und so setzte sie sich an das Computerterminal und baute eine Videoverbindung zum Polizeipräsidium auf der Erde auf. Auf dem Bildschirm tauchte das Gesicht eines jungen Corporals auf.
„Galaktisches Polizeipräsidium. Sie sprechen mit Corporal John Milner. Was kann ich für Sie tun?“ Er lächelte dienstbeflissen.
„Major Katherine Ballard. Bitte verbinden Sie mich mit Lieutenant Landor.“
„Einen Moment bitte, ich überprüfe, ob Lieutenant Landor im Haus ist.“ Das Bild des jungen Mannes wechselte zum Logo der Weltraumpolizei. Nach dreißig Sekunden begann das Bild zu flackern und Joan erschien auf der Mattscheibe. Joans sonst schon große Augen schienen ihr bald aus dem Kopf zu fallen und sie gab einen schrillen Freudenschrei von sich.
„Kat! Schön, dich zu sehen! Wo bist du, was machst du? Mein Gott, es ist eine Ewigkeit her, dass wir uns gesprochen haben!“ Joans Freude, ihre ehemalige Sport- und Psychologieausbilderin wiederzusehen, war immens. Während Joans Ausbildung waren die beiden, obwohl Katherine gut sechs Jahre älter war als sie, zu engen Freundinnen geworden.
„Hi Joan! Ich bin unterwegs. Ich kann dir über diese Verbindung nicht sagen, wo ich bin und was ich gerade mache, aber ich bin Ende der Woche wieder auf der Erde! Und dann habe ich erst einmal Urlaub.“ Den letzten Satz sang Katherine förmlich. Joans Grinsen wurde so breit wie der nordamerikanische Kontinent auf einer Taschenkarte.
„Oh Kat, ich freue mich wahnsinnig! Kommst du erst nach New York oder fährst du gleich zu deinen Eltern nach Alabama? Brauchst du hier eine Unterkunft?“
Katherine nickte: „Darum wollte ich dich bitten, Joan. Ich werde ein paar Tage nach New York kommen, weil ich viel zu erledigen habe. Außerdem hätte ich gerne eine Audienz bei Marshall Garnie.“
Joan reckte den Daumen nach oben und zwinkerte ihr zu. „Ist alles notiert, ich kümmere mich darum, Kat. Ach, ich freue mich so! Wir ziehen dann mal um die Häuser, ja? Nur wir Mädels. Komm, Kat, bitte!“
Katherine lachte. „Einverstanden. Weiberabend. Außerdem ist ja Wochenende! Bis Freitag, Joan und danke.“
Joan winkte ab: „Nicht dafür, Kat. Gute Reise! Bis Freitag.“
Kat beendete die Verbindung und blickte wieder aus dem Bullauge. Von der Empress of Venus startete ein Shuttle und nahm Kurs auf die Tennessee. Für Katherine das Zeichen zum Aufbruch. Sie zog ihren Mantel an, nahm ihre Tasche von der Koje und blickte sich noch einmal um, um sich zu vergewissern, nichts vergessen zu haben. Dann verließ sie die Kabine, die das letzte halbe Jahr ihr zu Hause gewesen war und ging hinunter zur Andockbucht.
Im Hangar der Tennessee war es laut und kalt. Das Shuttle, das sie zur Venus bringen sollte, war gerade gelandet und fuhr die Triebwerke herunter. Normalerweise wäre die Einstiegsluke bereits zum Ein- und Ausstieg geöffnet, aber der Pilot hatte wohl Anweisungen, die Luke noch verschlossen zu halten.
Katherine gesellte sich zu einer Gruppe Mannschafts- und Unteroffiziersdienstgraden, von denen sie einige im Laufe der letzten sechs Monate persönlich kennengelernt hatte. Es waren allesamt junge Männer, deren Dienstzeit turnusmäßig zwischen verschiedenen Schiffen der Flotte wechselte. Auch sie sollten mit der Venus zur Erde zurückfliegen, um dort eine neue Kommandierung zu anderen Einheiten zu bekommen. Die Stimmung war fröhlich und ausgelassen. Die Männer machten schmutzige Witze und hörten damit nicht einmal auf, als Katherine zu ihnen trat. Das mussten sie auch nicht, da Katherine als Polizistin in keinem Vorgesetztenverhältnis zu den Soldaten stand, obwohl sie im Dienstgrad höher war. Die Männer der Tennessee mochten Katherine, nicht nur wegen ihres überaus guten Aussehens. Sie hatte sich als sehr humorvoll und feierfreudig gezeigt und ihre Trinkfestigkeit mehr als einmal bei diversen Bordfeierlichkeiten unter Beweis stellen können. Außerdem hielt sie den Bordtitel der Boxmeisterschaften im Leichtgewicht der Männer! Die gesamte Besatzung der Tennessee bedauerte ihren Weggang. Offiziell hatte man sie bereits am Vorabend im Rahmen eines Kommandanten-Empfangs verabschiedet. Plötzlich schrillte von irgendwoher eine Pfeife und sämtliche Männer in Uniform nahmen Haltung an.
Aus den Lautsprechern ertönte eine raue Männerstimme: „Achtung Hangar, Kommandant an Deck!“
Aus einem der Eingänge traten der Kommandant, Commodore Hank Taggart, sein Adjutant sowie der Erste Offizier, Commander Joachim Becker – ein Deutscher – auf das Deck. Taggart war knapp zwei Meter groß, hatte eine Bodybuilderfigur, kurz geschorene, graue Haare und ein wettergegerbtes Gesicht. Die Mannschaft nannte ihren Kommandanten nur „Paps“ Taggart oder „den alten Haudegen“. Er führte sein Schiff streng und diszipliniert aber dennoch mit Nachsicht und Güte. Sowohl er als auch seine Mannschaft bedauerten es sehr, dass Taggart in einigen Monaten sein Kommando abgeben sollte, um in den wohlverdienten Ruhestand zu gehen. Sein designierter Nachfolger war Becker, welcher auf Grund seines übermäßigen Diensteifers und seinem Hang zu übertriebenen Strafen, auf der Beliebtheitsskala der Mannschaft einen der letzten Ränge belegte.
Taggart kam geradewegs auf die Gruppe um Katherine zu. Er deutete den Soldaten, eine bequeme Haltung einzunehmen.
„Katherine, ich möchte mich noch einmal ganz herzlich bei Ihnen für Ihre gute Arbeit bedanken und Ihnen alles Gute für die Zukunft wünschen. Möge das, was Sie sich vornehmen, in Erfüllung gehen.“ Seine blauen Augen blitzten schalkhaft. Er reichte ihr die Hand zum Abschied. Katherine ergriff die Hand des alten Mannes. Sein Händedruck war fest und warm.
Eine Träne der Rührung schoss ihr ins Auge. „Danke, Sir, für alles. Ich habe mich bei Ihnen an Bord sehr wohl und gut aufgehoben gefühlt. Es war wirklich eine schöne Zeit.“
Taggart wandte sich an seinen Adjutanten, der ihm ein kleines Päckchen übergab. „Nun, Katherine, üblicherweise verschenken wir dies hier nicht an Zivilisten oder Nicht-Flottenangehörige, die bei uns verweilen. Aber Sie haben sich als ganzer Kerl – wenn ich das mal so sagen darf – erwiesen und deshalb freue ich mich, Ihnen dieses kleine Präsent zum Abschied überreichen zu dürfen.“
Taggart übergab Katherine einen kleinen, polierten Holzkasten, der sich als überraschend schwer herausstellte. Gespannt öffnete sie das Kästchen und fand darin ein fein detailliertes Modell der Tennessee aus Metall mit einer vergoldeten Plakette, auf der der Zeitraum ihrer Anwesenheit und ihr Name eingraviert waren.
Katherine lächelte: „Vielen Dank Sir, Ihr Schiff wird bei mir auf jeden Fall einen Ehrenplatz bekommen.“
In diesem Moment schrillte eine Sirene und ein anderes Tor an der Rückwand öffnete sich. Schwer bewaffnete Polizisten marschierten im Gleichschritt auf das Deck und bildeten einen Spalier vor der Fähre, die neben dem Shuttle der Venus geparkt war. Sie trugen Schnellfeuergewehre. Dann kamen vier weitere Beamte mit einer Gestalt in einem gelben Overall, mit Ketten an Händen und Füßen gefesselt, sowie einem Mann in einem abgewetzten Anzug heraus. Vul Kuolun und sein Anwalt Borksh. Kuolun lächelte grimmig, als befände er sich immer noch in einem Augenblick des Triumphs. Als er Katherine entdeckte, wurde sein Grinsen lüstern.
„Miss Ballard“, rief er, „Sie sehen ja richtig menschlich aus! Wirklich bezaubernd! Kommen Sie mit mir, wir können viel Spaß miteinander haben! Verraten Sie mir jetzt Ihren Vornamen?“
Er gab sein keckerndes Lachen von sich, während er die Rampe der Fähre hinauf stieg.
Katherine rief ihm hinterher: „Kuolun! Damit Sie wissen, warum Sie feuchte Träume nachts in Ihrer Zelle haben …“ Sie zog ihren Rock etwas hoch und zeigte ein schwarz bestrumpftes Knie. „Ich heiße Katherine!“ Sie ließ den Rocksaum fallen und reckte einen Mittelfinger in die Höhe.
Die Soldaten um sie herum klatschen und johlten. Selbst die drei Offiziere der Schiffsführung konnten sich das Lachen nur schwer verkneifen. Die Beamten schubsten Kuolun ins Innere der Fähre und schlossen die Rampe. Sofort wurden die Triebwerke hochgefahren und die Fähre verließ den Hangar des Schlachtkreuzers in Richtung des Planeten.
Nachdem der Lärm abgeebbt war, verabschiedete Taggart noch einmal persönlich seine Soldaten und verschwand mit seinen Offizieren im Inneren seines Kreuzers. Katherine und die Männer konnten jetzt auch an Bord des Shuttles gehen. Sie wählte einen Sitzplatz am Fenster, direkt neben der Einstiegsluke und ließ sich in die bequemen Polster fallen. Der Flug zur Empress of Venus würde nur ein paar Minuten dauern. Sobald sie das Deck des Passagierschiffes betrat, würde ein neuer Lebensabschnitt für sie beginnen, auf den sich Katherine schon so lange freute. Die Schleuse des kleinen Schiffes schloss sich und schon begann der Boden unter ihr zu vibrieren. Ein kurzer Ruck ging durch den Rumpf und das Shuttle hob ab mit Kurs auf das schicke, weiße Passagierschiff.
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Sie zog ihren Rock etwas hoch und zeigte ein schwarz bestrumpftes Knie. „Ich heiße Katherine!“ Sie ließ den Rocksaum fallen und reckte einen Mittelfinger in die Höhe.
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Ich liebe solche Szenen. Kat kann wirklich bissig sein.
Nicht nur Kat!!!
Ich finde es sowieso toll, wie Nurara McCabe die Frauen beschreibt, clever, sexy und nie um einen Spruch verlegen!
Weiter so!
LG
earthy
Entgegen der um sich greifenden Legendenbildung habe ich mein "altes" Forum nicht freiwillig verlassen! Tragischerweise muss man nun feststellen, dass es dieses Forum nicht mehr gibt! Warum wohl nicht? ;)
Büro von Richter Callahan, Gerichtsgebäude, New York
Richter Callahan, Staatsanwalt Fox und Jonathan McCabe saßen seit zwei Stunden zusammen und brüteten über den Akten von Nuraras Fall. Obwohl es gerade elf Uhr am Vormittag war, schenkte Callahan den beiden Anwälten bereits den dritten Scotch ein. Der Grund für diese Zusammenkunft war, dass sowohl Anklage wie auch die Verteidigung nach Möglichkeit einen zeitlich begrenzten Prozess führen wollten, der darüber hinaus unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden sollte. Da Nurara ein fast komplettes Geständnis abgelegt hatte, gab es in diesem Rechtssystem die Möglichkeit auf eine Jury, wie sie sonst ein einem Strafprozess üblich war, zu verzichten. Da Nurara sich aber in den Anklagepunkten des Mordes an Kale Cash und der Entführung von Ken Scott für nicht schuldig bekennen wollte, beharrte Ed Fox auf die Einsetzung der Geschworenen.
„Ed, das ist völlig inakzeptabel!“ Jonathan stand mit den Händen in den Hosentaschen am Fenster und starrte hinaus auf den sonnenüberfluteten Vorplatz des Gerichtsgebäudes. „Wir können bis ins kleinste Detail beweisen, dass unsere Mandantin den Mord an dem Wissenschaftler nicht begangen hat. Die Unterlagen liegen hier auf dem Tisch! Sämtliche gerichtsmedizinische Gutachten belegen, dass Nurara den Mord nicht begangen haben kann!“
Fox nahm einen Schluck Scotch. „John, ich glaube Ihnen ja, dass Ihre Mandantin keinen tödlichen Schuss abgegeben hat, das ist offensichtlich. Aber wie ist zu bewerten, dass Cash drei Stunden später an Herzversagen starb? Angeschossen und schwer verletzt, das Lebenswerk gestohlen und das Labor verwüstet. Das war eindeutig zu viel für ein schwaches Herz.“ Fox hielt sein Glas mit der bernsteinfarbenen Flüssigkeit ins Licht. „Ich kann Ihnen bestenfalls Totschlag anbieten.“
Jonathan wandte sich vom Fenster ab und stützte sich mit beiden Händen auf die Lehne seines Sessels. „Auch Totschlag setzt ein Motiv voraus, das meine Mandantin nicht hatte, Ed. Ihre Waffe war auf Betäuben eingestellt. Körperverletzung mit mittelbarer Todesfolge, darauf könnten wir uns einlassen.“
Fox winkte ab. „John, und warum wurde die Waffe mit tödlicher Einstellung vorgefunden?“
Jonathan sah Fox fest ins Gesicht. „Ed, machen wir uns nichts vor. Sie sind genauso lange im Geschäft wie ich und wissen, dass mit solchen Indizien kein Prozess zu gewinnen ist.“
Callahan nickte bedächtig. „Mr. McCabe hat Recht, Herr Staatsanwalt. Ich könnte einem solchen Einwand bei der Verhandlung nicht stattgeben. Könnten Sie jetzt bitte zu einer Entscheidung kommen?“
Fox richtete sich in seinem Sessel auf und seufzte laut. Sein Blick wechselte mehrmals zwischen dem schlanken, hochgewachsenen Jonathan und dem beleibten, weißhaarigen Richter hin und her. „Also gut, wir plädieren auf schwere Körperverletzung mit Todesfolge. Immerhin war Ihre Mandantin bereit zu schießen.“
Jonathan nickte und addierte im Kopf das bis jetzt aufgelaufene Strafmaß. Er kam bei fünfmal fünfundzwanzig Jahren an. Für die Entführung von Ken würden noch einmal zehn Jahre dazu kommen und auch nur, weil Ken die Entführung körperlich und seelisch unbeschadet überstanden hatte.
„Als letzten Punkt habe ich noch die Kindesentführung in meiner Liste. Wir plädieren hier ebenfalls auf unschuldig. Unsere Mandantin hat sich zum Zeitpunkt der Entziehung nicht auf der Comet befunden, das beweisen Überwachungsaufnahmen aus dem Inneren des Schiffes. Weder Kuolun noch unsere Mandantin haben Kuoluns Handlanger dazu angewiesen, Ken Scott zu entführen. Es handelte sich hier um eine pure Eigenmächtigkeit der Mitläufer.“
Fox rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. „Ihre Mandantin hat aber auch nichts dafür getan, den Jungen wieder in die Freiheit zu entlassen.“
Jonathan hob fragend die Hände: „Wie denn? In der Überlichtgeschwindigkeit? Durch die Druckschleuse? Dann hätte sie sich selbst durch den Unmut von Vul Kuolun in Gefahr gebracht. Immerhin hat sie den Jungen sogar vor Übergriffen durch die Besatzung beschützt und ihn, soweit es ihr möglich war, mit Essen und Trinken versorgt.“
Fox hob eine Augenbraue. „Woher wissen Sie das, John? Ist ihre Mandantin jetzt auch noch eine heilige Samariterin?“
Jonathan setzte sich wieder in seinen Sessel und nahm einen großen Schluck Scotch. „Nurara ist gewiss keine Heilige, aber sie ist niemand, der eiskalt tötet, geschweige denn ein wehrloses Kind in Gefahr bringt. Ich würde es in diesem Fall ‚Mutterinstinkt‘ nennen. Jedes empfindungsfähige Wesen besitzt ihn – wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung. Außerdem war ich gestern Abend in Kens Internat und habe ihn befragt. Er ist bereit, seine Aussage vor Gericht zu wiederholen.“ Er wandte sich an Richter Callahan: „Ich beantrage, den Jungen Ken Scott als Zeugen zuzulassen, Sir.“
Callahan nickte und machte sich Notizen.
Richter Callahan blickte die beiden Männer an. „Mr. McCabe, Ihrem Antrag zur Kronzeugenregelung gebe ich statt. Mit dem Wissen, welches Ihre Mandantin hat, wird Kuolun auf Ewigkeiten ins Gefängnis gehen. Was Ihren Antrag bezüglich einer Resozialisierungsmaßnahme betrifft, möchte ich mit meiner Entscheidung bis nach der Aussage Ihrer Mandantin – insbesondere im Hinblick der Qualität der Aussage – im Kuolun-Prozess warten. Dazu würde ich notfalls noch einmal eine gesonderte Verhandlung anberaumen. Gut, haben Sie sonst noch Anträge?“ Fox und Jonathan schüttelten beide den Kopf. „Also dann verhandeln wir folgende Anklagepunkte: Piraterie in sechs Fällen, schwerer Raub, Raumschiffdiebstahl in vier Fällen; Gefangenenbefreiung, Körperverletzung mit Todesfolge sowie Kindesentführung.“Callahan blies Luft aus seinen Backen. „Harter Tobak. Die Öffentlichkeit wird nicht begeistert sein, die Angeklagte da noch resozialisieren zu wollen. Die Verhandlung wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, zur Sicherheit der Angeklagten. Demnach, wenn Sie beide jetzt auch einverstanden sind, wird nach dem Plea-of-Guilty-Act auf die Einsetzung einer Jury verzichtet. Und damit verdonnere ich Sie beide“, Callahan wies mit dem Zeigefinger abwechselnd auf die zwei Männer, „zu absolutem Stillschweigen. Keine Pressekonferenz, keine Interviews – bis das Urteil gesprochen ist. Alles, was an die Presse soll, geht über meinen Tisch. Haben Sie mich verstanden?“
Beide Anwälte nickten und sagten im Chor: „Jawohl, Euer Ehren!“
„In Ordnung, dann lege ich den Prozessbeginn hiermit auf den zweiten Oktober fest, also heute in zwei Wochen. Die Unterlagen gehen Ihnen beiden morgen zu.“ Callahan hielt inne und wandte sich an Fox: „Was ist mit der Kontenprüfung? Haben Sie schon Ergebnisse?“
Fox blätterte in einigen Unterlagen. „Noch nicht, Sir. Aber bis jetzt sieht es so aus, als wären die Gelder auf dem Konto der Angeklagten sauber.“
Callahan tippte mit seinem rechten Zeigefinger auf die Tischplatte. „Dann sehen Sie zu, dass Sie Ihre Ermittlungen zum Ende bringen. Das Konto darf ohne begründeten Verdacht nur vierzehn Tage eingefroren bleiben. Bis zum Prozessbeginn will ich ein abschließendes Ergebnis.“
Fox nickte beflissen. „Ja, Sir. Sie erhalten so schnell wie möglich eine Antwort.“
Callahan erhob sich. Stehend wirkte er noch beleibter als im Sitzen. „Dann wäre es das fürs erste. Meine Herren, einen schönen Tag wünsche ich Ihnen!“
Jonathan und Fox verließen mit ihren Akten Callahans Büro. In seinem Vorzimmer saß eine hübsche, junge Sekretärin mit kurzem Rock und hohen Absätzen. Altersmäßig hätte sie des Richters Enkelin sein können. Sie warf nur einen unbeteiligten Blick über den Rand ihres Bildschirms und konzentrierte sich wieder auf ihre Arbeit.
Vor der Tür legte Fox seinem alten Militärkameraden eine Hand auf die Schulter. „John, dieser Prozess ist doch eigentlich eine Farce. Sie haben ihn doch jetzt schon de facto gewonnen.“
Jonathan blickte zu Fox herunter, er überragte ihn fast um einen Kopf. Mit leiser Stimme sagte er: „Möglich, Ed. Aber ob das im Sinne meiner Mandantin ist, wage ich im Moment noch zu bezweifeln. Kommt sie ins Gefängnis, wird sie darin sehr schnell eingehen. Kommt sie in ein paar Jahren auf freien Fuß, ist sie ebenfalls so gut wie tot. Ich möchte nicht in der Haut dieser Frau stecken, glauben Sie mir, Ed. Das Urteil, egal wie es ausfällt, ist ihr Todesurteil.“
Fox nahm die Hand von Jonathans Schulter. „Resignation als Folge Ihres Idealismus? John, irgendwann musste es so kommen. Wie lange kennen wir uns, John? Vierzig Jahre? Fünfundvierzig? Auf jeden Fall eine halbe Ewigkeit. Ich habe Sie immer als guten Freund und Optimisten geschätzt. Aber Sie sollten endlich einsehen, dass Sie nicht immer die Welt retten können. Und wenn Sie Nurara nicht retten können, dann soll es so sein. Wobei ich nicht ganz verstehe, worauf Sie gerade hinaus wollen.“
„Haben Sie schon mal daran gedacht, dass Nurara, wenn sie gegen Kuolun aussagt, in höchster Lebensgefahr schwebt? Kuolun hat Verbindungen in jede Ecke der bekannten Galaxis. Da hilft auch keine gerichtlich verfügte Nachrichtensperre!“ Jonathans Stimme wurde merklich lauter und schärfer. „Wenn sie ihn belastet, und das wird sie tun, kann ich sie nicht mehr beschützen! Sie würde eine ganze Armee brauchen, um unbeschadet eine öffentliche Toilette aufsuchen zu können! Und ich muss sie beschützen …“ Jonathan wandte den Blick von seinem alten Freund ab und betrachtete gedankenverloren die stuckverzierte hohe Decke des alten Gerichtsgebäudes.
Fox packte Jonathan wieder an der Schulter und schüttelte ihn leicht. „Warum, John? Erklären Sie mir das bitte.“
Jonathans Augen wurden feucht, während er weiter hinauf zur Decke starrte. „Weil Sam gerade dabei ist, sich in Nurara zu verlieben. Dieser Idiot.“ Die letzten Worte waren nur ein leises Flüstern aber Fox hatte alles genau verstanden.
Fox gab ein lautes Seufzen von sich. „Kinder … verstehe. Kommen Sie, mein Freund. Gehen wir etwas essen. Sie erzählen mir alles genau und wir versuchen, eine Lösung zu finden.“
Nuraras Wohnung, Polizeipräsidium, New York
Bekleidet mit einem dunkelblauen Bademantel, auf dem in Brusthöhe das goldene Logo der Weltraumpolizei aufgestickt war und einem zu einem Turban gebundenen Handtuch auf dem Kopf, verließ Nurara das Badezimmer. Sam stand mit seinem fast leeren Kaffeebecher in der Hand am Fenster und blickte hinunter auf das geschäftige Treiben in den Hafenanlagen des East River. Fast geräuschlos stellte sie sich neben ihn und sah ebenfalls hinunter.
Sie flüsterte: „Du bist ja noch hier?“
Ohne den Blick vom Fenster abzuwenden entgegnete Sam: „Ich habe keinen Grund zu gehen, zumindest nicht bis heute Abend.“
Nurara schaute zu Sam auf: „Was ist denn heute Abend?“
Sam sah sie intensiv an. Auf Nuraras Haut glänzten noch einige Wasserperlen und unter ihrem Handtuch schaute keck eine dunkelgrüne, fast schwarze Haarsträhne hervor. Sam nahm sie in die Hand und spielte zärtlich damit herum.
„Du wirst bis zum Wochenende ohne mich auskommen müssen. Ich fliege heute Abend nach Europa, um an einem Seminar für moderne Verhandlungstaktiken vor Gericht teilzunehmen. Freitagabend werde ich wieder zurück sein.“
Theatralisch schlug Nurara ihren Handrücken gegen die Stirn und sank auf die Knie. Mit gespielter Traurigkeit jammerte und schluchzte sie: „Oh nein Sam! Bitte geh nicht, wie soll ich es ohne dich nur aushalten?“ Dann sank sie auf die Knie und klammerte sich um Sams Bein.
Schweigen.
Nurara sah zu Sam auf, der es nur noch schwer aushalten konnte, einen Lachanfall zu unterdrücken. Er stellte seinen leeren Becher auf der Fensterbank ab und zog Nurara dicht zu sich hoch. Sie duftete einfach wunderbar. Zwischen ihre Nasenspitzen passte nur noch ein Blatt Papier. Sam senkte seinen Kopf um zu einem Kuss anzusetzen, jedoch schaffte es Nurara, sich elegant aus seiner Umarmung herauszuwinden.
Sie tänzelte in Richtung Schlafzimmer und trällerte: „Ich gehe mich jetzt anziehen und dann führst du mich zum Essen aus!“
Sam rief ihr hinterher: „Fein, lass uns in die ‚Goldene Handschelle‘ gehen! Ist nur ein paar Etagen tiefer!“
Begleitet von den beiden Polizeibeamten betraten Nurara und Sam die Kantine des Präsidiums. In der zu dieser Zeit noch kurzen Schlange entdeckte Nurara einen blonden Lockenkopf und einen großgewachsenen älteren Mann.
Sie rammte ihren Ellenbogen in Sams Seite. „Sieh mal, da vorne sind Joan und Marshall Garnie!“
Die vier nahmen gut gelaunt ihre Mahlzeit gemeinsam ein und unterhielten sich über allgemeine und unwichtige Dinge. Beim Nachtisch rief Jonathan auf Sams Kommunikator an und brachte ihn auf den neuesten Stand, was das Gespräch mit Richter Callahan und Staatsanwalt Fox vom Vormittag betraf. Sam berichtete natürlich sofort die Neuigkeiten den Anwesenden. Wieder im Appartement nahm sich Sam Nurara beiseite: „Nurara, da ist noch eine Sache, die ich eben beim Essen dir gegenüber verschweigen musste.“
Er blickte sie beunruhigt an. Nurara schaute überrascht. „So, was denn?“
„Dad sieht dich in großer Gefahr. Er fürchtet, dass du nach dem Urteilsspruch nicht mehr lange am Leben sein wirst.“
Nurara machte ein abfälliges Geräusch und winkte ab: „Mein Leben war schon mehr als einmal in Gefahr. Wovor sollte ich Angst haben? Vor Kuolun? Ich sage dir was, Sam: sein sexuelles Verlangen nach mir ist größer als irgendwelche Rachegelüste. Er würde sogar noch um eine Nacht mit mir betteln, wenn ich seine Henkerin wäre.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und schob provokant ihr Kinn vor. „Er ist süchtig nach mir!“
„Er hat dich bloß benutzt. Ausgenutzt, missbraucht – nenn es wie du willst! Ich verstehe es nicht. Was war das für eine Beziehung, die ihr hattet?“
Nurara legte sich auf die Couch und streifte ihre Schuhe ab. Polternd fielen sie auf die Erde. Ärgerlich gab sie zurück: „Das geht dich einen feuchten Dreck an, Sam, was Kuolun und ich für eine Beziehung hatten!“
Sam herrschte Nurara an: „Es geht mich sehr wohl etwas an! Ich bin dein Anwalt! Wenn ich dir helfen soll, musst du mit offenen Karten spielen!“
Nurara setzte sich auf und zog ihre Beine an sich. „Ach?! Der Herr Anwalt, der seinen Job machen will oder der Samuel McCabe privat, der frisch verliebt und eifersüchtig auf den Ex seiner Flamme ist?“ Sie schrie ihn förmlich an. „Überleg dir, was du sein willst! Wenn du es weißt, kannst du wieder kommen! Bis dahin möchte ich, dass du gehst!“ Sie wies mit dem Zeigefinger zur Tür. „Du hast bis Freitag Zeit! Und jetzt raus hier! Lass mich allein!“
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren verließ Sam das Appartement.
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Heute wirds mal etwas gefühlsbetont und eine kleine Katastrophe bahnt sich an...
Verlassenes Lagerhaus in den Außenbezirken von New York
Der kleine rote Punkt blinkte unablässig auf dem Ortungsgerät und hatte sich seit dem Vortag nicht mehr verändert. Der Mann war stolz darauf, das alte Gerät wieder repariert zu haben seit es vor etwa acht Jahren unvermittelt den Geist aufgegeben hatte. Damals hatte er den Kontakt ein für alle Mal verloren geglaubt, aber seinen Wunsch nach Rache bis zum heutigen Tage nie abgelegt. Mit jedem Tag, jedem Monat und jedem Jahr wuchs der Hass auf diesen Menschen, dem er demnächst gegenübertreten wollte um ihn für die Demütigungen in seiner Jugend endlich bezahlen zu lassen. Seit er den Kontakt zu der Person verloren hatte, ging in seinem Leben nichts mehr glatt. Er hatte sein Studium hingeworfen, blieb beruflich wie auch zwischenmenschlich auf der Strecke und hielt sich mit Kleinkriminalität über Wasser. Der Mann war mehrfach vorbestraft wegen kleinerer Delikte und hatte bereits eine mehrjährige Haftstrafe wegen schwerer Körperverletzung abgesessen. Die Schuld für diese Taten schob er ausschließlich auf die Person, die ihm vor langer Zeit das Leben so schwer gemacht hatte. Dieser Mensch hatte nach seiner Ansicht den Tod verdient. Er blickte wieder auf das verschrammte Display dieses alten Gerätes.
„Schön, dass du wieder hier bist. Bald kriege ich dich. Und dann wirst du sterben!“
Er nahm den Revolver aus den Holzkasten, lud ihn und legte auf ein neues Bild mit dem Gesicht, das er so hasste, an. Er brauchte dieses Mal nur fünfzehn statt vierundzwanzig Patronen, um das Gesicht auf dem Bild bis zur Unkenntlichkeit zu entstellen.
Polizeipräsidium, New York, 36. Etage
Draußen auf dem Flur drehte sich Sam noch einmal zur Tür um, die sich in diesem Moment schloss. Die beiden Beamten sahen ihn fragend an, sagten jedoch nichts. Sam konnte nicht glauben, was gerade eben dort in diesem Appartement passiert war. Nuraras schlagartiger Gemütsumschwung hatte ihn zutiefst erschreckt. Er hatte keine Erklärung, wie das passieren konnte. Hatte er sie verbal zu hart angefasst? Wahrscheinlich. Der kuolun’sche Stachel steckte wohl noch zu tief in ihrer wunden Seele. Sam befand, einen taktischen Fehler begangen zu haben und wollte noch einmal auf die Klingel drücken um sich bei ihr in aller Form zu entschuldigen. Er streckte den Finger aus und zögerte. Nein, er würde vielleicht in diesem Moment einen weiteren Fehler begehen und die Situation vielleicht noch weiter verschlimmern. Sie sagte ja, dass er ihr seine Entscheidung am Freitag mitteilen sollte. Als Anwalt würde er auch keine übereilten Entschlüsse fassen und Fristen bis zum letzten Tag nutzen. Er würde heute Abend den Stratoliner nach Europa nehmen, an seinem Seminar teilnehmen – das er eigentlich für überflüssig hielt, aber die internationale Crème de là Crème der Strafverteidiger traf sich dort – und mit einer Entscheidung zu Nurara zurückkehren. Er blickte nach rechts, am anderen Ende des Flurs befanden sich die Aufzüge, und nach links, wo es zum Treppenhaus ging. Sam entschied sich für das Treppenhaus.
Auf dem Absatz der vierten Etage traf er auf Joan, die ihm entgegenkam. Sie trug einen Stapel Mappen unter dem Arm. „Mr. McCabe! Was machen Sie denn hier? Wollten Sie nicht den Nachmittag noch mit Nurara verbringen?“
Sam schüttelte mit trauriger Miene den Kopf: „Nein, Miss Landor, das hat sich nicht mehr ergeben. Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit und sie hat mich rausgeworfen.“
Joans Gesicht war voller Mitleid. „Oh, das tut mir wirklich leid. Ist Nurara sehr sauer auf Sie?“
Sam zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. Sie will mich erst nach meiner Rückkehr von einem Seminar am Freitag wiedersehen und dann soll ich mich entscheiden …“
„Entscheiden? Wofür?“
„Ob ich sie als Anwalt weiter vertreten will oder ihr den Hof mache.“
Joan musste unwillkürlich kichern. „Mr. McCabe, Nurara mag vielleicht zu diesem Zeitpunkt noch auf der falschen Seite des Gesetzes stehen, aber ich muss ihr als Frau durchaus Recht geben. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch, aber berufliches und privates, gerade in solch einer delikaten Situation, zu vermischen ist hochgradig gefährlich und unprofessionell.“
Sam nickte. „Ich weiß das, etwas weniger höflich habe ich es auch schon von meinem Vater zu hören bekommen und ich bin mir auch völlig im Klaren darüber. So etwas ist mir auch noch nie in dieser Art passiert. Aber seitdem ich Nurara begegnet bin, kann ich kaum noch schlafen. Ich will nur noch in ihrer Nähe sein, verstehen Sie?“
Joan lächelte milde. „Natürlich verstehe ich das. Ohne Frage ist Nurara eine hochinteressante und wunderschöne Frau. Ich habe in den letzten Tagen auch einige sehr angenehme Seiten an ihr kennenlernen dürfen. Aber ich bin mir noch nicht hundertprozentig sicher, wie ehrlich sie mit uns ist. Curtis und Marshall Garnie ebenso wenig. Nuraras Fall ist für uns ein Projekt, das haben wir Ihrem Vater aber auch gesagt, als er den Fall annahm. Hat er Sie nicht darüber aufgeklärt?“
Sams Augen wurden groß. „W-wie bitte? Ein Projekt? Die ganze Resozialisierungsgeschichte ist nur ein Versuch? Und Nurara die Laborratte? Das kann nicht Ihr Ernst sein! Das glaube ich einfach nicht!“ Er schlug die Hände vor sein Gesicht und wandte sich ab.
Joan drehte Sam zu sich. „Mr. McCabe, Sie dürfen auf keinen Fall darüber mit Nurara darüber sprechen. Unter keinen Umständen! Verstehen Sie mich?“
Sam nahm die Hände herunter. In seinen Augen sah sie unendliche Verzweiflung und Wut. Er musste sich wohl schwer zusammenreißen, um einen Ausbruch zu vermeiden. „Ja, ich habe es verstanden. Aber mein Vater wird mir gleich einiges zu erklären haben. Und ich verspreche Ihnen, dass ich mit Nurara nicht darüber reden werde. Ich setze sie nicht aufs Spiel. Ich liebe sie!“ Er nahm seine Aktentasche auf. „Danke, Miss Landor, Sie haben mir gerade ein wenig die Augen geöffnet. Ich muss jetzt gehen.“ Er sprintete los und nahm auf dem Weg nach unten zwei Stufen auf einmal.
Joan sah ihm nach und flüsterte: „Keine Ursache …“
Nuraras Wohnung
Nurara stand am Fenster. Dicke Tränen liefen über ihr Gesicht. Im selben Moment, in dem sich die Tür hinter Sam schloss, hatte sie es schon bereut, ihn rausgeworfen zu haben. Minutenlang hatte sie gewartet, dass er noch einmal zurückkommen würde, aber er kam nicht. Sie wagte nicht einmal, auf den Monitor der Gegensprechanlage zu sehen. Eigentlich wollte sie ihn gar nicht anschreien, aber als er Kuolun erwähnte, gingen ihr die Sicherungen durch. Sie hatte ihn angelogen. Natürlich würde Kuolun alles in Bewegung setzen, um Nurara zur Strecke zu bringen, wenn sie ihn verriet. Sie wäre nirgendwo in der Galaxis mehr vor seinen Kopfgeldjägern sicher. Kuolun hatte Geld, mehr als genug Geld, um hunderte Killer auf sie anzusetzen, die sie aufspüren und liquidieren würden. Und er kannte Leute, die ihm mehr als einen Gefallen schuldeten. Sams Vater hatte natürlich Recht. Ihr Leben war in Gefahr. Newton hatte ihr eine Chance gegeben. Sie könnte wieder frei sein, so frei wie zu der Zeit, bevor sie sich mit dem irren Wissenschaftler einließ, dessen Ziele es waren, Curtis Newton zu töten und über die Galaxis zu herrschen. Nurara wollte frei sein, sie würde gegen Kuolun aussagen, das stand für sie fest. Doch diese Freiheit wäre keinen Pfifferling wert, solange Kuolun am Leben war. Was konnte sie tun? Kuolun töten? Sie wusste nicht einmal, wo er sich gerade aufhielt. Die Sicherheitsmaßnahmen wären wahrscheinlich so streng, dass sie vielleicht maximal auf einen Kilometer an ihn heran käme. Nein, Kuolun zu töten wäre keine Alternative. Selbst wenn sie erfolgreich wäre, wäre dies das schnelle Ende ihrer neu erlangten Freiheit. Man würde sie jagen, und je nachdem, wo man sie stellte, könnte ihr die Todesstrafe drohen. Ihre Situation war mehr als verfahren.
Nurara blickte hinunter in den Hafen. Sie fühlte sich auf einmal schwach und hilflos. Wieder rollten Tränen. Zu sich selber sagte sie schluchzend: „Sam … bitte hilf mir“, und dann als leises Flüstern: „Ich liebe dich auch!“
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Der Vater - Sohn Konflikt. Eine Szene, die mir persönlich sehr gut gefällt, sowie eine sehr lustige Szene mit Katherine, die normalerweise nicht so bräsig daher kommt wie hier.
Rechtsanwaltskanzlei McCabe, Rockwell & McCabe, Lower Manhattan, New York
Wutentbrannt stürmte Sam an Celia, der Sekretärin seines Vaters, vorbei in dessen Büro. Sie konnte ihm nur noch ein „Sam, was ist …“ nachrufen, als er die schwere Edelholztüre krachend ins Schloss warf. Jonathan saß mit seiner Partnerin Diana Rockwell – einer attraktiven Rothaarigen in den Fünfzigern – zusammen. Sie sah sofort, dass etwas nicht stimmte, daher erhob sie sich auf der Stelle und verließ wortlos den Raum. „Was soll das?“, brüllte Sam seinen Vater an. „Warum hast du mir nicht gesagt, um was es bei diesem Fall geht? Wieso musste ich erst von Lieutenant Landor erfahren, dass ihr mit Nurara nur spielt?“
Jonathan stand auf und hob beschwichtigend die Hände. „Sam, bitte, reg dich ab. Es war nie die Rede davon, dass wir mit ihr spielen! Mach dich nicht lächerlich!“
Sam regte sich noch mehr auf und wurde noch lauter: „Lächerlich? Es ist lächerlich, dass ich auf diesen Fall angesetzt werde, ohne alle Hintergründe zu kennen. Wieso hast du mich nicht darüber informiert?“
Jonathan schlug mit der Faust auf den Tisch und wurde jetzt ebenfalls laut. „Verdammt nochmal, weil ich wollte, dass du unvoreingenommen an den Fall herangehst! Ich konnte ja nicht ahnen, dass du dich ausgerechnet in dieses Weibsstück verlieben musst!“ Jonathan hielt kurz inne, dann fiel ihm etwas anderes ein: „Das ist noch die Krönung! Man stelle sich vor“, Jonathan warf die Arme in die Höhe, „mein feiner Herr Sohn, einer der erfolgreichsten Anwälte des Sonnensystems, hochdekorierter Flottenoffizier und begehrtester Single in diesem Staat, lässt sich mit so einem Verbrecherliebchen ein! Denkst du bitte auch mal an deinen gesellschaftlichen Status? Wie sähe das denn aus, wenn du mit ihr bei offiziellen Anlässen aufkreuzt? Der Staranwalt und seine Gaunerschickse … Hast du in deinem Hormonwahn mal eine Sekunde daran gedacht? Helene würde sich im Grabe umdrehen.“
Sam zeigte drohend auf seinen Vater. „Lass verdammt nochmal Helly aus dem Spiel! Sie ist tot! Du kannst sie mir nicht wieder zurückbringen! Und was soll die Scheiße mit dem gesellschaftlichen Status? Ihr wollt Nurara doch resozialisieren! Ihr seid es doch, die sehen wollen, ob euer Versuchskaninchen mitspielt. Und was ist, wenn euer Projekt klappt? Was dann? Verpasst ihr Nurara einen Tritt in den Hintern und sagt: ‚Dankeschön, wir feiern uns und nun sieh zu wie du klar kommst!‘? Was ist danach? Was ist mit ihrer Zukunft? Ich sehe eine Zukunft für sie! Mit mir! Ich lasse Nurara nicht allein. Ihr habt Nurara von Anfang an belogen und mich auch!“
Jonathan seufzte. „Sam, bitte sei vernünftig. Fliege du erst einmal zu deinem Seminar und werde dir deiner Gefühle und deiner Verpflichtungen bewusst. Ich ziehe dich bis auf weiteres von diesem Fall ab. Ich glaube, das ist alles eine Nummer zu groß für dich.“
Sam ging zur Tür. Er drehte sich noch einmal zu seinem Vater um. „Weißt du, Dad, einen größeren Gefallen konntest du mir gar nicht tun. Du hast mir eine schwierige Entscheidung abgenommen. Ich muss dir sogar dankbar sein. Wir sehen uns am Samstag!“ Er ging hinaus und schlug die Tür krachend hinter sich zu.
Schwer atmend ließ sich Jonathan in seinen Sessel sinken. Er öffnete eine Schublade und zog eine Schachtel Zigaretten heraus und zündete sich eine an. Normalerweise rauchte er nicht im Büro, aber die Umstände gestatteten eine Ausnahme von der Regel. Er nahm einen tiefen Zug und blies Kringel in die Luft.
Einerseits konnte er seinen Sohn verstehen. Sam war schon zu lange allein. Seit dem Tod seiner Schwiegertochter hatte Jonathan seinen Sohn nicht mehr mit einer Frau zusammen gesehen. Was Frauen anging, war Sam immer schon recht wählerisch gewesen. Die Frauen im Bekanntenkreis der McCabes hielt Sam für austauschbar, dumm und oberflächlich. Jonathan musste zugeben, dass Nurara anders war, schön, hochintelligent und ausgesprochen individuell. Andererseits war Nurara eine tickende Zeitbombe, die es zu entschärfen galt. Und genau das machte Jonathan erhebliche Sorgen. Sam hatte Recht. Was würde mit Nurara nach erfolgreichem Abschluss der Resozialisierung passieren? Ging das Projekt daneben, wäre die Antwort einfach: ab ins Gefängnis mit ihr, bis zum bitteren Ende. Aber so? Jonathan hatte zu diesem Zeitpunkt noch keine Idee. Er drückte die Zigarette aus und griff nach einer weiteren. Dann schaltete er die Gegensprechanlage ein: „Celia, bitte verbinden Sie mich mit Marshall Garnie!“
New York Central Air- and Spaceport, Freitag, früher Abend
Gut gelaunt und erholt stieg Katherine in das Gleitertaxi und ließ sich zum Polizeipräsidium chauffieren. Die vier Tage auf dem Luxusliner hatten ihr gut getan. Joan erwartete sie bereits in dem für sie bereitgestellten Appartement. Auf dem Landefeld vor dem Präsidium hielt der Taxifahrer direkt neben einem schicken schwarzen Sportgleiter, einem Mustang Mk. XV. So ein Fahrzeug fand man nur selten auf dem Polizeiparkplatz. Der Durchschnittsbeamte konnte sich ein solches Gefährt erst zur Pensionierung kaufen, wenn er Zeit seines Lebens ordentlich dafür gespart hatte. Katherine bezahlte den Chauffeur, nahm ihre Reisetasche und das Holzkästchen von der Tennessee, warf noch einen schmachtenden Blick auf den Mustang und ging hinein.
Vor den Aufzügen wartete ein junger, gutaussehender Mann mit schwarzen Haaren und grünen Augen. Er war auffallend gut gekleidet und allem Anschein nach der Besitzer des teuren Gefährts draußen vor der Tür. Als er Katherine sah, wünschte er ihr mit einem charmanten Lächeln einen guten Abend.
Etwas verschämt nuschelte sie ein kaum verständliches „N´ahmt…“ und schaute auf ihre Stiefelspitzen. Galant ließ er ihr den Vortritt, als sich die Aufzugstüren öffneten. Sie huschte hinein und drückte blitzschnell auf die „36“.
„Oh, da möchte ich auch hin!“, sagte er und lächelte wieder so unverschämt charmant. Katherine wagte es kaum, diesen hübschen Mann anzuschauen. Schweigend stand sie neben ihm, aber immer wieder versuchte sie, aus den Augenwinkeln einen Blick auf ihn zu werfen. Er schien nicht weiter Notiz von ihr zu nehmen. Als sie auf der 36. Etage ankamen, ließ er ihr wieder den Vortritt.
Draußen auf dem Gang sprach er sie an: „Entschuldigen Sie bitte, von welchem Schiff kommen Sie?“ Katherine blinzelte irritiert und sah ihn fragend an. Er deutete auf das Holzkästchen, das sie unter dem Arm trug. „Ich habe auch so eines. Darf ich mal einen Blick drauf werfen?“ Katherine stellte ihre Reisetasche ab und gab dem Mann das Kästchen. Vorsichtig öffnete er den Klappdeckel. Er langte von vorne in das Kästchen hinein – erst jetzt bemerkte Katherine, dass das Modell nicht auf einem Ständer ruhte sondern in seinem Behältnis schwebte – und hob mit zwei Fingern das Modell heraus und ließ es zwischen ihm und Katherine schweben. Es hielt selbstständig seine Position, ohne zu Boden zu fallen.
Anerkennend pfiff er durch die Zähne. „Schlachtkreuzer Tennessee, Respekt! Einer der dicksten Pötte in der Flotte! Was haben Sie dort gemacht wenn ich fragen darf?“ Katherine starrte den Mann etwas verwirrt an. Er schüttelte den Kopf. „Verzeihen Sie, wie unhöflich von mir, mich nicht vorzustellen. Samuel McCabe, Rechtsanwalt und Captain der Reserve.“ Er hielt ihr die Hand hin.
Katherine ergriff seine Hand. „Major Katherine Ballard. Gefangenenüberführung“, murmelte sie und ärgerte sich über sich selbst, war sie doch sonst nicht so kurz angebunden.
Sam grinste. „Freut mich sehr, Major Ballard. Gehe ich Recht in der Annahme, dass Sie hier wohnen werden? Dann sehen wir uns sicher öfter! Ich muss mich jetzt leider von Ihnen verabschieden, ich werde erwartet.“ Vorsichtig bugsierte er das Modell wieder zurück in seinen gepolsterten Holzkasten und schloss den Deckel. Er gab Katherine den Kasten zurück und zwinkerte ihr zu. Dann ging er den Flur hinab zur letzten Tür vor dem Treppenhaus. Vor dieser Tür waren eigenartigerweise zwei Beamte postiert.
„Captain, was haben Sie für ein Modell?“, rief Katherine Sam nach.
Er blickte zurück und antwortete lachend: „Nur eine kleine Korvette!“ Er winkte ihr zu und verschwand in der Tür.
Katherine stand da und schlug sich mit der Faust gegen die Stirn. „Oh was bin ich dämlich! Ich dumme Kuh frage ihn nach einem Modell und nicht nach seiner Nummer!“, murmelte sie. In diesem Moment ging die Tür vor ihr auf.
Joan stand dort mit offenen Armen. „Habe ich doch richtig gehört? Kat, willkommen zurück! Schön dass du wieder da bist! Komm rein!“ Kat trat ein, legte ihr Gepäck ab, dann fielen sich die beiden Frauen in die Arme. „Oh Kat, ich habe dich so vermisst! Hattest du eine gute Reise?“
„Ja, ausgezeichnet! Ich muss mich erst mal setzen und diese Stiefel loswerden. Die Absätze bringen mich um.“ Katherine ließ sich in den Ledersessel fallen, zog die Stiefel aus und legte die Füße auf den Tisch. „Ich könnte ein Bier vertragen. Ist da was im Kühlschrank oder wird da mittlerweile auch schon eingespart?“
„Keine Sorge, ich habe an alles gedacht. Am Bier wird hier zum Glück noch nicht gespart. Wäre ja noch schöner!“ Sie holte zwei Flaschen aus dem Kühlschrank, öffnete sie und ging damit herüber zu Katherine. „Mit wem hast du dich da eben so lautstark unterhalten?“
Katherine nahm das Bier, trank einen großen Schluck und verdrehte schwärmerisch die Augen. „Mit einem Traum von Mann. Groß, dunkelhaarig und unglaublich charmant.“
„Ach, du meinst Sam McCabe. Ja, der ist toll!“, pflichtete Joan ihrer Freundin bei.
„Was macht der hier? Er sagte mir, er sei Rechtsanwalt …“
Joan nickte eifrig: „Ja, er und sein Vater vertreten Nurara in ihrem Prozess. Sie wohnt hier, du hast sicher die beiden Posten vor der Tür gesehen.“
Katherine verschluckte sich fast. „Was? Dieses Teufelsweib habt ihr hier einquartiert? Ihr müsst völlig verrückt sein! Warum ist sie nicht in Untersuchungshaft?“, rief Katherine völlig überrascht.
„Richterlicher Beschluss auf Anweisung von Präsident Cashew. Aus Sicherheitsgründen findet Nuraras Untersuchungshaft hier statt. Und sie kann sehr nett sein – wenn sie will. Sie ist hier bisher noch nicht unangenehm aufgefallen.“
Katherine zuckte mit den Schultern und nahm noch einen kräftigen Schluck Bier. Dann gab sie einen tiefen, grollenden Rülpser von sich. „Wenn ihr meint … nicht, dass sie des Nachts hier einsteigt und mir den Schädel einschlägt.“ Sie wechselte das Thema. „Joan, dieser Sam. Meinst du, der ist noch zu haben?“ Sie grinste Joan süffisant an.
Joan stand auf, um zwei neue Flaschen Bier aus dem Kühlschrank zu holen. „Ich bin mir nicht sicher. Ich glaube, gehört zu haben, dass er seit ein paar Jahren verwitwet ist. Aber ich weiß, dass er gerade frisch verliebt ist.“ Sie kam mit dem Bier zurück und reichte ihrer Freundin eine volle Flasche.
Katherine setzte die Flasche an und hielt inne. „Weißt du, wer die Glückliche ist?“ Dann trank sie.
„Nurara“, kam es leicht amüsiert zurück.
Jetzt bekam Katherine wirklich das Bier in den falschen Hals und verschluckte sich endgültig. Nachdem sie den Husten überwältigt hatte fragte sie nur: „Wie lange war ich weg? Bin ich auf dem richtigen Planeten? Sind hier alle jetzt völlig ausgeflippt?“
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Den ganzen Nachmittag hatte Nurara durch die Masse der Nachrichtensender gezappt und sich dabei gewundert, dass außer einer kurzen Meldung über ihre und Kuoluns Verhaftung keinerlei Berichterstattung zu finden war. Aus lauter Langeweile – die nach knapp einer Woche Hausarrest und Sams Abwesenheit immer schlimmer wurde – hatte sie im Videoarchiv einen uralten Liebesfilm aus den 90er Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts gefunden, in dem ein reicher und gutaussehender Schnösel sich entgegen aller Widerstände in ein einfaches Straßenmädchen verliebte und es in die bessere Gesellschaft einführte. Nurara fand zwar die Kleidung und die Fahrzeuge der damaligen Zeit etwas eigenartig, inhaltlich hatte es aber damals die gleichen zwischenmenschlichen Probleme gegeben wie heute und irgendwie fühlte Nurara sich, als würde der Film ihr einen Spiegel vorhalten.
Just in dem Moment, als der Abspann über den Bildschirm flimmerte, hörte sie Sams Stimme draußen vor der Tür. Er lachte und schien sich mit jemandem amüsiert zu unterhalten. In dem Moment, in dem er klingelte, drückte Nurara auch schon auf den Türöffner. Beim Eintreten rief er der unbekannten Person noch „Nur eine kleine Korvette!“ zu und winkte. Als sich die Tür hinter ihm schloss stand er lachend und kopfschüttelnd vor ihr. Nurara nahm einen kleinen Anlauf und sprang ihm mit einem lauten „Sam!“ in die Arme. Sie schlang ihre Beine um seine Hüften und drückte ihn fest an sich.
„Oh Sam, ich freu mich so, dass du wieder hier bist!“ Sie brachte ihn fast aus dem Gleichgewicht.
Sam sah sie irritiert an. „Wer sind Sie? Was haben Sie mit Nurara gemacht? Wieso haben Sie ihre Gestalt angenommen?“
Nurara drückte ihn wieder. „Sam, es tut mir so leid, dass ich dich angeschrien und rausgeworfen habe. Bist du mir noch böse?“
Behutsam setzte er Nurara ab und schüttelte den Kopf. „Hey, ich war zu keiner Zeit böse auf dich, glaub mir. Ich war es, der hier Fehler gemacht hat und ich muss mich bei dir entschuldigen. Ich hätte etwas behutsamer vorgehen müssen.“
„Stimmt“, sagte Nurara und verpasste Sam eine schallende Ohrfeige. Er sah sie entgeistert an. „Die war dafür, dass du nicht gleich wieder gekommen bist und mich allein und im Ungewissen gelassen hast!“
Sam hob entschuldigend die Arme. „Es tut mir leid, aber ich war mir nicht sicher, woran ich in diesem Moment bei dir war.“
Nurara blickte Sam ernst an. „Weißt du es jetzt?“ Sie stand vor ihm, mit den Fäusten in die Hüften gestemmt. Sam ahnte, dass er mit einer Antwort jetzt nicht allzu lange zögern durfte, Gewitterwolken türmten sich sprichwörtlich über ihrem Kopf auf. Nuraras Temperament drohte wieder mit ihr durch zu gehen.
„Ja, Nurara, ich weiß es jetzt ganz genau. Ich will dich, ich will in deiner Nähe sein. Aber …“
„Aber was?“, fiel sie ihm ins Wort.
„Aber ich werde dich nicht mehr juristisch vertreten. Mein Vater hat mich von dem Fall abgezogen. Er findet eine Beziehung zwischen uns unpassend.“ Sam hielt es für besser, den wahren Grund vorerst zu verschweigen.
Nuraras Miene verdunkelte sich zusehends. „Unpassend, ja? Haben wir beide denn eine Beziehung?“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust und in ihren Augen blitzte es wütend.
Sam geriet ins Stottern: „Ich … äh ich meine wir …“
„Was? “ Nurara wurde allmählich ungeduldig.
Sam atmete tief ein und setzte noch einmal an: „Ich würde mir wünschen, wenn wir das, was da gerade zwischen uns läuft, ernst werden würde.“
Nurara kniff die Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. Sam merkte nicht einmal ansatzweise, wie sie ihn zum Narren hielt. „Was läuft denn da gerade zwischen uns?“, knurrte sie unheilvoll.
Sam wusste gerade nicht was er antworten sollte. Mit widerspenstigen Frauen konnte er vor Gericht spielend umgehen. Für Rhetorik und Eloquenz war Sam bekannt, aber bei dieser Frau versagte er auf ganzer Linie. „Ich … ich .. bin mir nicht … sicher, aber …“
Nurara trat ein paar Schritte auf ihn zu, packte ihn am Kragen und zog ihn dicht zu sich. Fest sah sie ihm in die Augen. Ganz leise flüsterte sie: „Halt einfach die Klappe, du Idiot! Wenn du noch einmal abhaust, werde ich überall verbreiten, was du für ein Feigling bist!“ Diesmal berührten sich ihre Nasenspitzen. Sie flüsterte weiter: „Sam?“
„Ja?“
„Wenn du jetzt nicht noch eine Ohrfeige haben willst, dann küss mich endlich!“, sagte sie und verzog ihr Gesicht zu einem breiten, siegesgewissen Grinsen. Sam tat wie ihm geheißen. Die Welt um ihn herum begann sich wie ein wildes Karussell zu drehen. Er nahm außer Nuraras heißen Küssen, ihrem warmen, weichen Körper und dem Schleier grünen Haars nichts mehr wahr. Nach einer gefühlten kleinen Ewigkeit ließ Nurara langsam von ihm ab. Sie strich ihm zärtlich durchs Gesicht und flüsterte mit zitternder Stimme: „Sam, bitte lass mich nie mehr allein.“
Vorsichtig strich er ihr eine Haarsträhne weg und zog sie wieder zu sich. „Was auch immer passiert, ich verlasse dich nicht. Ich liebe dich!“
Nurara legte ihren Kopf an seine Schulter und hauchte ihm ins Ohr: „Ich liebe dich auch, Sam. Ich liebe dich auch.“
Ezella Garnies Büro, am nächsten Morgen
Katherine hatte Kopfschmerzen. Sie fühlte sich, als hätte man ihr einen Blecheimer über den Kopf gestülpt und schlug immerwährend mit einem Vorschlaghammer darauf herum. Der „Weiberabend“ mit Joan endete in einem Tequiladesaster. Sie hatten sich darauf eingelassen, mit zwei Jungspunden, die gerade Alkohol trinken durften, ein Wetttrinken zu veranstalten. Joan und Katherine hatten zwar gewonnen und ihre Ehre gerettet, aber die Qualen, die sie jetzt litt, waren unerträglich. Katherine hatte zwar um diesen Termin mit ihrem Vorgesetzten gebeten, wünschte sich jetzt aber nichts sehnlicher, als dass er ganz schnell vorbei war.
„Guten Morgen, Major Ballard! Bitte kommen Sie rein!“ Garnie begrüßte Katherine überschwänglich und mit obligatorisch donnerndem Bariton. „Nehmen Sie Platz, Major, kommen wir gleich zur Sache.“ Wortlos setzte sich Katherine auf den harten Stuhl vor Garnies Schreibtisch. Sie bemühte sich um ein freundliches Lächeln, aber auch ihre Gesichtsmuskulatur schien noch sehr vom Alkohol betäubt zu sein. Garnie blickte Katherine besorgt an. „Katherine, ist irgendetwas mit Ihnen? Geht es Ihnen nicht gut?“
„Doch, Sir, mir geht es soweit gut. Das Wiedersehen mit Lieutenant Landor ist gestern Abend nur etwas arg heftig ausgefallen“, antwortete sie wahrheitsgemäß.
Garnie musste breit grinsen. „Also gut, dann machen wir es kurz. Ich will Sie aber am Montag hier wieder fit sehen, verstanden?“
„Jawohl Sir!“, gab Katherine zurück und bemühte sich um etwas mehr Körperspannung.
Garnie hob mit der rechten Hand ein beschriebenes Blatt Papier hoch. „Das hier, Katherine, ist Ihr Antrag auf Versetzung in den psychologischen Dienst.“ Er lächelte sie gütig an. „Sie haben sehr gute Arbeit in den letzten Jahren geleistet. Ihre Aufklärungsraten waren überdurchschnittlich.“
Katherine bekam eine wohlige Gänsehaut, solche Belobigungen aus dem Munde des Marshalls waren rar. „Danke Sir!“
Garnie hob den Zeigefinger der anderen Hand und lächelte weiter. „Katherine, ich verliere nur ungerne gute Ermittler, aber ich bin durchaus Willens, Ihren Antrag zu unterschreiben …“, schlagartig wurde Garnies Miene eisig, „wenn Sie mir dies hier bitte plausibel erklären könnten!“Der Marshall hielt mit der linken Hand ein weiteres Blatt hoch.
„Wenn Sie mir sagen, was das ist, Sir, will ich es gerne versuchen“, antwortete Katherine vorsichtig.
Garnie nahm das Papier in beide Hände. „Das ist eine offizielle Dienstaufsichtsbeschwerde von einem gewissen Zistavan Borksh, Rechtsbeistand von Vul Kuolun.“ Er las vor: „… Dienstaufsichtsbeschwerde gegen Major Katherine Ballard, weil sie sich gegenüber meinem Mandanten in obszöner und schwerst beleidigender Weise geäußert und verhalten hat.“ Garnie sah Katherine durchdringend an und hielt das Blatt wieder hoch. „Möchten Sie sich dazu äußern? Was haben Sie Kuolun an den Kopf geworfen, dass sich sein Anwalt über Sie beschwert?“
Katherine stand auf. „Sir, Kuolun wollte, seit wir an Bord der Tennessee gekommen sind, ständig von mir wissen, wie ich mit Vornamen heiße. Er hat mir immer wieder zweideutige Angebote gemacht und mich stets mit seinen Blicken ausgezogen. Am letzten Tag, als ich von Bord gehen wollte, wurde er in den Hangar gebracht und er hat mich wieder nach meinem Namen gefragt und bot mir an, Spaß mit ihm zu haben.“
Garnie sah sie mit unveränderter Miene an, das Blatt immer noch hochhaltend. „Ja, und? Weiter?“
Katherine war an diesem Morgen ähnlich gekleidet, wie an dem Tag im Hangar des Kreuzers, sie trug einen kurzen Rock, schwarze Strümpfe und Stiefel. Keck stellte sie einen Fuß auf den Stuhl und sagte: „Kuolun, damit Sie wissen, warum Sie feuchte Träume haben …“, aufreizend fuhr sie mit den Fingernägeln von ihrem Stiefelschaft über ihr Knie zu ihrem Oberschenkel, „… ich heiße Katherine!“ Dann zeigte sie Garnie ebenfalls einen ausgestreckten Mittelfinger.
Garnie starrte mit halboffenem Mund auf Katherines Knie. Dann zerknüllte er die Beschwerde des Anwalts und ließ die Papierkugel auf den Boden fallen. Immer noch auf ihr Knie starrend sagte er: „Diese Beschwerde hat uns nie erreicht. Muss ein Übermittlungsfehler gewesen sein.“ Als Katherine sich wieder setzte, kam auch Garnie wieder zu sich. Er räusperte sich und nahm den Versetzungsantrag. „Gut, meine Liebe. Dann wäre das geklärt. Lächerlich, dieser Borksh. Ihrem Antrag gebe ich hiermit statt. Herzlichen Glückwunsch!“ Katherine fiel in diesem Moment ein Stein vom Herzen, obwohl sie eigentlich wusste, dass Garnie mehr für ein Disziplinarverfahren brauchte, als eine kleine Anzüglichkeit. „Katherine, ich denke, Lieutenant Landor hat Sie schon informiert. Dann wissen Sie, dass Nurara hier bei uns ihre Untersuchungshaft im Rahmen eines Hausarrests verbringt.“
Katherine nickte. „So ungewöhnlich das klingt, Sir …“
„Ich weiß, Major. Ich möchte, dass Sie ab Montag damit beginnen, ein psychologisches Gutachten über Nurara zu erstellen.“
„Aber mein Urlaub, Sir …“, erwiderte Katherine.
Garnie hob die Hand. „Ich weiß, ich hatte Ihnen nach dieser Mission Urlaub befohlen. Sie sollen ihn auch bekommen. Ich möchte nur, dass Sie ihn um zwei Wochen, bis zum Prozessbeginn, verschieben. Geht das für Sie in Ordnung?“
Katherine nickte: „Ja Sir, völlig in Ordnung. Aber zwei Wochen für ein vollständiges Gutachten sind zu wenig!“
Garnie schüttelte den Kopf. „Es braucht auch kein gerichtsverwertbares Urteil sein. Es reicht eine Prognose. Kriegen Sie das hin?“
„Ja, Sir, das ist machbar“, antwortete Katherine dienstbeflissen und nickte.
Garnie stand auf, Katherine ebenso. „Gut Major, dann bis Montag und gehen Sie jetzt noch etwas schlafen. Sie sehen grausam aus, Mädchen!“ Garnies Direktheit war wie immer entwaffnend.
Katherine war in Gedanken und erschrak sich fast zu Tode, als sie aus dem Aufzug stieg und unvermittelt in Sam hineinrannte, der vor der Tür auf die Kabine wartete. „Hey, immer langsam, junge Dame!“, raunte der gutaussehende Mann.
Er musste Katherine förmlich umarmen, um sie vor einem Sturz zu bewahren. Sie blickte ihn an. Sam war unrasiert und seine gestern noch so akkurat gekämmte schwarze Tolle hing ihm in Strähnen ins Gesicht. Da war wieder dieses freche Grinsen, das Katherine förmlich den Verstand raubte. Hatte er die Nacht bei Nurara verbracht? Anscheinend ja. Ein leichter Anflug von Eifersucht kochte in ihr hoch. „Warum er mit Nurara? Warum nicht er mit mir?“, dachte sie. Sam packte Katherine an den Schultern und stellte sie aufrecht hin. Er lächelte sie noch einmal an und stieg in die Kabine.
Katherine starrte noch einige Sekunden gedankenverloren auf die Türen des Aufzugs. Dann stapfte sie missmutig in Richtung ihres Appartements. Wie sollte sie in dieser Situation eine faire Prognose abgeben? Sie konnte nicht zu Garnie gehen und ihm sagen: ‚Sir, ich kann kein Gutachten schreiben, weil ich in den Anwalt verknallt und eifersüchtig auf Nurara bin! ‘ Er würde sie im hohen Bogen rauswerfen. Sie beschloss, Nurara erst einmal unvoreingenommen kennenzulernen und ihre Arbeit zu machen, wie man es von ihr erwartete. Katherine wusste nichts von dem Resozialisierungsprojekt und hoffte eigentlich, dass Nurara für lange Zeit hinter Gittern landen würde. Dann hätte sie freie Bahn. Katherine hatte lange darauf gewartet, den richtigen Mann zu finden. Sie konnte jetzt auch noch ein paar Monate länger warten.
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Es ist ja nicht so, dass immer nur Männer austesten, wer der dickste Gorilla im Dschungel ist...
Nuraras Wohnung, zur selben Zeit
Genüsslich räkelte sich Nurara in ihrem Bett, sie hatte eben Sam zum Frühstück holen geschickt, und wartete jetzt auf seine Rückkehr. Sie hatten fast die ganze Nacht geredet und miteinander gekuschelt. Zu mehr kam es in dieser Nacht noch nicht, Sam hatte sich äußerst anständig verhalten und sie nicht bedrängt, was sie ihm hoch anrechnete. Nurara stand auf und öffnete den Kleiderschrank, um sich etwas Bequemes anzuziehen, da fielen ihr einige Kleidungsstücke entgegen, die sie noch nicht ordentlich eingeräumt hatte. Es waren der schwarz-violette Catsuit aus hochelastischem Material sowie der silberfarbene Body mit dem Rautenmuster, den sie in der Zeit mit Vul Kuolun stets getragen hatte. Sie nahm die Kleider auf und betrachtete sie eine Weile. Dann fasste Nurara einen Entschluss: sie knüllte die Stücke zusammen und ging damit in die Küche zum Abfallschacht. Vor der offenen Klappe zögerte sie noch einem Moment, dann warf sie die Teile hinein.
Beim Frühstück eröffnete Sam ihr, dass er am heutigen Tag noch etwas arbeiten müsse und erst am frühen Abend wieder bei ihr sein könne. Nurara war zwar etwas enttäuscht über diesen Umstand, erinnerte sich aber dran, dass Garnie ihr sagte, sie könne sämtliche Freizeiteinrichtungen des Polizeipräsidiums nutzen. So fand sich Nurara am frühen Nachmittag in der Sporthalle wieder, wo sie wechselweise auf einen Punchingball und einen Sandsack eindrosch. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass eine gutaussehende, schwarzhaarige Frau mit Pferdeschwanz in sehr knapper Sportkleidung die Sporthalle betrat und sich mit Nuraras Wachposten unterhielt. Die Frau wechselte mehrmals Blicke zwischen ihr und den Beamten, bis sie zielstrebig auf Nurara zuschritt.
„Sie sind Nurara, richtig?“, begann sie. „Ich bin Major Katherine Ballard.“
Nurara stoppte den Punchingball. „Ja, das stimmt. Kann ich was für Sie tun, Major Katherine Ballard?“ Sie betrachtete ihr Gegenüber interessiert. Katherine hatte ein sehr hübsches Gesicht, etwa Nuraras Körpergröße und wirkte sympathisch. In ihren grauen Augen sah Nurara aufgeweckte Neugier.
Katherine sagte freundlich lächelnd: „Bitte nennen Sie mich Kat. Marshall Garnie sagte mir, dass ich Sie hier finden würde.“ Nurara musste sich stets beim Büro des Marshalls abmelden, wenn sie ihre Wohnung verließ. „Ich bin die neue Psychologin hier im Präsidium und ich habe den Auftrag …“
„… mich ein wenig auszuhorchen und mich für verrückt erklären?“, schnitt Nurara lächelnd ihr das Wort ab.
Katherine lachte. „Nein, nein, nicht so wie Sie vielleicht denken. Marshall Garnie hat mich beauftragt, innerhalb der nächsten zwei Wochen ein kurzes Gutachten über Ihren Allgemeinzustand zu erstellen.“
„Um mich dann für verrückt zu erklären?“ Nurara tippte sich mit dem Boxhandschuh gegen die Stirn.
Katherine seufzte. „Hören Sie, ich weiß ja nicht, was Sie für Vorurteile gegenüber Psychologen haben, aber niemand hat die Absicht, Sie für verrückt oder unzurechnungsfähig zu erklären. Ich möchte mir nur ein kleines Bild von Ihnen machen, wie Sie sind, was Sie denken, was Sie gerade fühlen. Ich möchte einfach nur mit Ihnen reden, nicht von Psychotante zu Patient, sondern ganz normal von Mensch zu Mensch oder auch von Frau zu Frau, wenn Sie es wollen. Vertrauen Sie mir.“
Nurara versuchte, die Arme zu verschränken, was wegen der dicken Boxhandschuhe nicht ganz gelingen wollte. „Und wenn ich mich weigere, mit Ihnen zu reden?“, fragte sie störrisch.
Katherine lehnte sich gegen den Boxring und verschränkte ihrerseits die Arme. Sie blickte einen Moment verträumt zur Decke, dann sah sie Nurara direkt ins Gesicht. Mit gleichmütiger Stimme antwortete sie: „Dann schreibe ich dem Marshall einen Zweizeiler, der alles über Sie aussagt. Was er damit macht, ist mir relativ egal, geht mich auch nichts an.“
Nurara sah ein, dass es zwecklos war, mit Katherine über Sinn und Unsinn eines psychologischen Gesprächs zu diskutieren. Ballard saß einfach am längeren Hebel und so stimmte sie zu. „Also gut. Reden wir.“
Katherine hob verneinend den Zeigefinger und wies mit dem Kopf hinter sich auf den Boxring. „Lust auf ein kleines Sparring?“ Sie winkte einen Kollegen heran, der ihr in ein paar Boxhandschuhe half.
„Warum nicht? Ich bin gerade warm“, antwortete Nurara und stieg in den Ring. Katherine folgte ihr auf den Fuß. Katherines Kollege hielt Mundschützer hoch und schob den beiden Frauen je einen in den Mund.
„Keinen Kopfschutz?“, wollte die Psychologin wissen.
Nurara schüttelte den Kopf. „Nicht notwendig, ich habe mich in der letzten Zeit oft genug und erfolgreich geprügelt. Mit Ihnen werde ich schon fertig.“
„Wenn Sie es sagen, Nurara. Boxen wir!“, nuschelte Katherine durch den Mundschutz und forderte mit einer Geste Nurara zum Angriff auf.
Die beiden Frauen begannen sich zu umkreisen und tasteten sich vorsichtig ab. Beide waren sparsam in ihren Bewegungen und beobachteten einander genau, wie zwei Raubtiere, die auf eine falsche Bewegung ihrer Beute warteten. Nurara war die erste, die angriff. Sie versuchte einen linken Aufwärtshaken unter Katherines Deckung vorbeizubringen, was ihre Gegnerin dazu veranlasste, ihre linke Hand zu senken, um den Schlag abzuwehren. Diese kleine Öffnung der Deckung nutzte Nurara, um eine heftige rechte Gerade auf Katherines Stirn zu platzieren. Sie erwartete, dass Katherine zumindest ins Taumeln geriet. Aber nichts passierte, außer dass sie die Deckung wieder hochnahm. Nurara versuchte ein paar Jabs gegen die Deckung und Katherines Oberkörper, kam aber nicht durch. Dann ging Katherine zum Angriff über. Sie legte sich Nurara mit ihrer linken Führhand zurecht und durchbrach mit einer rechten Gerade ihre Deckung. Der Treffer landete schwer auf Nuraras Nasenwurzel. Sofort spürte Nurara, wie ihre Nase anschwoll und sie keine Luft mehr bekam. Sie nahm die Deckung höher um ihr Gesicht zu schützen, was Katherine sofort mit einem Aufwärtshaken auf ihr Kinn beantwortete. Um das Gleichgewicht nicht zu verlieren, breitete Nurara ihre Arme aus und bekam prompt noch einen Schwinger auf ihre rechte Schläfe. Dann ging sie in die Seile. Während Nurara nach Luft rang, schien Katherine sich nicht einmal sonderlich angestrengt zu haben.
„Alle Achtung, Kat“, japste Nurara, nachdem sie den Mundschutz ausgespuckt hatte, „Sie haben es echt drauf. Wo haben Sie das gelernt?“
Katherine grinste – noch mit dem Protektor im Mund und antwortete: „Ich boxe seit meinem zehnten Lebensjahr, mein Vater war Profi. Schon mal von Theodore „Ted, the Bad“ Ballard gehört? 210 Kämpfe, davon zweihundert Siege durch K.O., sieben technische Knockouts und nur drei Niederlagen. Ich hatte eine harte Schule.“
Nurara atmete immer noch schwer und saß auf dem Boden. „Also das hätte ich Ihnen am allerwenigsten zugetraut.“ Katherine ließ sich von dem Kollegen außerhalb des Rings die Handschuhe ausziehen und packte Nurara am Handgelenk, um ihr aufzuhelfen.
„Was? Dass eine kleine, schmale Psychotussi Ihnen so auf die Fresse geben kann?“ Katherine grinste Nurara frech an. „Kommen Sie, ich spendiere Ihnen einen Kaffee und einen Eisbeutel für Ihre Nase.“
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Tja, SO einen Boxkampf sollten sie in der Glotze mal zeigen
Unendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination
Ein Holodeck ist klasse! Man kann überall hin, obwohl man gar nicht weg muss :)
Außerirdische Technologie + menschliche Dummheit = unschlagbare Ergebnisse :)
Na ja, ich bin jetzt nicht so ein erklärter Fan von Frauenboxen, aber ich dachte mir, dass diese Sportart gut zu Katherine passt und Nurara gerne mal einen auf die 12 bekommen darf...
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Die Cafeteria war ausgesprochen ruhig und nur wenig besucht. Katherine und Nurara suchten sich einen stillen Platz in einer Ecke. Katherine bestellte eine große Kanne Kaffee und Kuchen bei der Ordonnanz und setzte sich Nurara gegenüber. Fahles Sonnenlicht strömte an diesem Sonntagnachmittag durch die großen Panoramafenster herein; am Horizont, über New Jersey zogen dicke Schlechtwetterwolken auf. Der Herbst kam mit großen Schritten heran und täglich wurde es stürmischer und kälter.
Katherine goss Nurara und sich dampfenden Kaffee ein, stellte die Kanne ab und während sie sich in dem bequemen Clubsessel zurücklehnte, nahm sie ihre eigene Tasse. „Das hat übrigens ganz schön wehgetan!“ Sie zwinkerte Nurara zu und rieb sich ihre linke Stirnseite. Nurara nahm den kleinen Eisbeutel von ihrer Nasenwurzel und lächelte. Sie hatte von dem Treffer einen großen roten Fleck, der aber dank der Kühlung rasch wieder verschwand.
„Das will ich doch hoffen“, gab Nurara frech zurück und schob sich einen großen Bissen Kuchen in den Mund.
Katherine richtete sich in ihrem Sessel auf. „Nurara, erzählen Sie mir doch bitte von der Zeit bevor Sie Kuolun kennenlernten. Sie haben studiert, richtig? Erzählen Sie mir von Ihrer Studienzeit.“
Nurara begann zu berichten. Von ihrer Schulzeit, ihrem Abschluss als Jahrgangsbeste, der marsianischen Universität, von fähigen und unfähigen Dozenten und ihrem Verhältnis zu anderen Kommilitonen. „Ich konnte nie was mit denen anfangen, weder mit den Jungs noch mit den Mädchen. Es lag aber auch daran, dass mich viele einfach nicht mochten. Ich habe mich abends eigentlich immer mit meinen Unterlagen auf mein Zimmer im Wohnheim oder zu Hause zurückgezogen, während die anderen auf Partys gingen.“ Nurara schenkte sich eine weitere Tasse Kaffee ein.
Katherine hakte nach. „Hat man Sie nie zu irgendetwas eingeladen? Ich meine, so unansehnlich sind Sie ja nun nicht. Gab es keine Jungs, die sich für Sie interessierten?“
Nurara schüttelte den Kopf. „Nein, da war niemand.“ Sie hielt kurz inne. „Doch, es gab einen Typen, der hinter mir her war. Alruna hieß er. Ein fürchterlich lästiger Kerl, wie eine Schmeißfliege. Je öfter ich ihm eine Abfuhr erteilte, desto mehr hat es ihn angespornt, mir nachzustellen. Er hat mich damals regelrecht gestalkt.“ Nurara steckte sich einen Finger in den Hals und machte ein würgendes Geräusch.
Katherine machte sich Notizen. „Was ist aus Alruna geworden? Oder lassen Sie mich die Frage anders formulieren: wie sind Sie ihn losgeworden? Haben Sie ihn aus einer Luftschleuse geworfen?“
Nurara musste lachen. „Nein, Kat, ich kam gegen Ende meines Studiums mit Vul Kuolun zusammen und er machte Alruna unmissverständlich klar“, Nurara ballte die Faust, „dass er es nicht dulden würde, wenn Alruna mich weiter belästigt. Einige Tage später kam Alruna mit zerschrammtem Gesicht und einem dicken blauen Auge zur Vorlesung. Angeblich hatte er einen Gleiterunfall gehabt. Ich wusste aber genau, dass er lediglich in Kuoluns Faust geglitten war.“ Beim letzten Satz musste sie kichern. „Jedenfalls hat Alruna mich seitdem nie wieder angesprochen, aber seine Blicke konnte ich immer spüren, wenn er in der Nähe war. Mir machte das ein wenig Angst, aber bei Kuolun war ich sicher.“
Katherine nahm einen Schluck Kaffee und blickte einen Moment über Nuraras Schulter hinaus aus dem Fenster. Der Himmel hatte sich mittlerweile fast schwarz gefärbt und in den Wolken entluden sich lautlos Blitze. Dann sah sie Nurara wieder an, diesmal etwas ernster. „Ihnen wird in zwei Wochen der Prozess gemacht und es droht Ihnen eine langjährige Haftstrafe, im schlimmsten Fall mehrmals lebenslänglich. Verspüren Sie Reue in Anbetracht dessen, was Sie erwartet?“
Nurara schloss die Augen und senkte den Kopf. „Ich hätte mich nie auf ein solch gefährliches Spiel einlassen dürfen.“ Ihre Stimme war ein kaum vernehmbares Flüstern. „Alles fing so harmlos an. Kuolun machte ein paar – nicht ungefährliche – Experimente und benötigte hie und da einige nicht ganz legale Zutaten. Ich war in der Lage, ihm vieles zu organisieren und machte mir keine Gedanken über die Konsequenzen. Bis zu einem gewissen Punkt war alles noch in einem Bereich, das uns einen Verweis oder die Exmatrikulation eingebracht hätte, aber es ging immer alles gut. Nur dann wollte Kuolun immer mehr und seine Vorhaben wurden immer gefährlicher und größenwahnsinniger. Und mich zog es immer weiter hinein, bis ich so tief mit drin steckte, dass ich von allein auch nicht mehr hinaus konnte. Ich hatte sozusagen den Ereignishorizont überschritten und fiel in dieses Schwarze Loch. Einen Versuch, mich von Kuolun zu trennen, hätte ich mit meinem Leben bezahlt. Also machte ich weiter.“ Tränen stiegen in Nuraras Augen.
Katherine nahm Nuraras Hand. „Sie haben es bis hier her geschafft. Fall Sie es wissen wollen: ich habe Kuolun beim Gefangenentransport überführt. Er ist an einem Ort, den er lebend nicht verlassen kann, wenn er es gewaltsam versucht. Machen Sie sich keine Sorgen. Sie sind völlig sicher.“
Nuraras sah Katherine aufmerksam an. „Sie waren bei ihm? Wie war er? Hat er etwas gesagt? Hat er etwas über mich gesagt?“
Katherine schüttelte den Kopf und ließ ihren schwarzen Pferdeschwanz fliegen. „Nein, bis auf ein paar verbale Bosheiten sexueller Art gegen mich hat er eigentlich gar nichts gesagt. Beim Verhör ließ er nur alle Anwesenden wissen, dass alles, was er getan hat, nur zum Besten der Zivilisation sei. So ein Großkotz.“ Sie gab ein schnaubendes Geräusch von sich. „Sie haben meine Frage noch nicht beantwortet. Bereuen Sie, was Sie getan haben?“ Katherine sah Nurara eindringlich an.
Nurara hielt ihrem Blick eine Weile stand, dann nickte sie. „Ja, ich bereue, was ich getan habe. Ich habe Menschen, ganze Zivilisationen beraubt, verletzt und betrogen. Es war nie mein Lebensziel, so zu werden, wie ich jetzt bin. Ich war so dumm und unvernünftig, mich von Kuolun so mitreißen zu lassen. Ich hoffe so sehr, dass ich in das Resozialisierungsprojekt darf …“
Katherine hob verwundert die Augenbrauen. Ein Resozialisierungsprojekt hatte Marshall Garnie ihr verschwiegen, dennoch unterdrückte sie ihre Überraschung. „Hm, eine Resozialisierung dauert zwischen zwei und fünf Jahren. Wenn Sie das überstehen, was werden Sie dann machen? Haben Sie Pläne?“
Nurara antwortete mit einem Achselzucken. „Die Zeit wird es bringen. Ich habe, so kurios das auch klingen mag, am Tag meiner Festnahme einen wunderbaren Mann kennen gelernt und mich in ihn verliebt. So richtig verliebt, verstehen Sie, Kat? Für ihn würde ich mein Leben in neue Bahnen lenken. Sam ist der erste Mensch seit Jahren, für den ich wirklich etwas empfinde.“
Katherine blickte skeptisch und etwas säuerlich drein. Sam´s Erwähnung traf einen wunden Punkt bei ihr, aber sie ließ sich nichts anmerken, daher brachte sie das Gespräch erst einmal in eine andere Richtung. „Und Kuolun? Haben Sie ihn mal geliebt? Was empfinden Sie heute für ihn?“
Nurara betrachtete ihre Nägel an den ausgestreckten Fingern, die auf der Tischplatte ruhten. „Auf der Uni war ich ernsthaft in ihn verliebt. Das blieb auch so für eine lange Zeit. Kennen Sie die Geschichte von Bonnie und Clyde aus dem zwanzigsten Jahrhundert?“ Katherine verneinte, so fuhr Nurara fort: „Kuolun hat sie mir erzählt. In den 1930ern taten sich eine junge Frau und ein gut aussehender Mann zusammen und raubten Banken aus. Immer lukrativer, aber auch riskanter wurden mit der Zeit ihre Raubzüge, bis sie eines Tages von der Polizei gestellt wurden.“
Katherine hob eine Augenbraue. „Und? Was passierte mit den beiden?“
Nurara stützte ihr Kinn auf eine Hand und blickte Katherine schmerzerfüllt lächelnd an. „Sie wurden erschossen, regelrecht hingerichtet. Kuolun war sich seiner Sache ebenfalls zu sicher und wo es geendet hat, wissen Sie ja selbst. Ich bin nur froh, noch am Leben zu sein, Future hätte mich problemlos töten können.“
Katherine winkte ab. „Future tötet nicht aus Jux und Tollerei. Wie sieht es mit Ihnen aus? Haben Sie schon mal getötet?“
Nurara verzog das Gesicht. „Ich habe mich in Schießereien verteidigt. Es kann durchaus sein, dass das jemand nicht überlebt hat. Aber bewusst und vorsätzlich habe ich noch nie jemanden umgebracht, außer der Swooft-Ratte, die ich mit einem Spaten erschlagen habe. Das war im Zeltlager und ich war fünf …“
Katherine musste schmunzeln. Irgendetwas war an Nurara, dass sie ihr Glauben schenken musste, aber sie wollte sicher gehen, da Nurara einigen ihrer Fragen geschickt aus dem Weg ging. „Lieben Sie Kuolun noch?“
„Wenn ich vergleiche, was ich für Sam empfinde und was ich für Kuolun bis jetzt empfunden habe, würde ich sagen nein. Ich sehe es heute mehr als Zweckbeziehung mit gutem Sex. Kuolun war meistens nett zu mir, hat mir schöne Sachen gekauft und mich vor Gefahren beschützt. Aber er war auch kalt, brutal und rücksichtslos. Wenn etwas nicht nach seinen Vorstellungen verlief, wurde er jähzornig und unberechenbar.“
„Hat er Sie geschlagen?“
„Ja.“
Katherine schrieb die Seite auf ihrem Block voll und blätterte auf eine neue leere Seite um. Sie sah Nurara ins Gesicht und entdeckte in ihren Augen einen Anflug von Traurigkeit und Verzweiflung. Sie hatte schon einiges über Nurara in den letzten Jahren gehört, sie sei ein verschlagenes, gefühlskaltes Biest mit einem ausgeprägten Hang zu Egomanie und Sadismus. Sicherlich war Nurara eine äußerst selbstbewusste Person, aber die Nurara, die ihr in diesem Moment gegenüber saß, wirkte auf sie so zerbrechlich und schutzbedürftig wie ein Teenager. Am liebsten hätte Katherine ihr jetzt ein paar tröstende Worte gespendet, aber das war nicht ihre Aufgabe. Sie musste sich absolut neutral verhalten, deshalb fragte sie weiter: „Erzählen Sie mir etwas über Ihre Ängste, Ihre Träume, Ihre Wünsche?“
Nurara blickte etwas geistesabwesend zur Decke. „Ich habe nicht viele Wünsche. Ich bin unabhängig in finanzieller Hinsicht, sobald ich mein Konto vom Gericht wiederbekomme. Ich kann mir alles leisten, was ich will. Ich will reisen und nicht allzu lange an einem Ort bleiben. Sollte ich irgendwann frei sein, kaufe ich mir ein kleines Raumschiff und werde durch die Galaxis fliegen, mit Sam.“
Katherine nickte. „Mit Sam? Meinen Sie, er würde mit Ihnen gehen? Was glauben Sie, sind seine Träume und Ziele? Was ist, wenn er sesshaft bleiben will und eine Familie gründen möchte?“
Nurara winkte ab: „Dann tun wir das, aber nicht in irgendeinem Haus. Unser Zuhause wird mein Schiff sein.“
„Meinen Sie, das wäre Ihren Kindern zuträglich? Ein Zigeunerleben zu führen?“ Katherine schaute die junge Frau skeptisch an. „Ich meine, Kinder brauchen Kontinuität und kein Leben in der Lichtgeschwindigkeit.“
Trotzig lehnte sich Nurara zurück und verschränkte die Arme. „Dafür könnte ich meinen Kindern Welten und Dinge zeigen, die anderen Kindern ein Leben lang verborgen bleiben oder sie nur aus Büchern lernen. Ist das nichts? Oder glauben Sie, ich wäre eine schlechte Mutter, nur weil ich eine kriminelle Vergangenheit habe?“ Ihr Tonfall nahm eine leichte Schärfe an.
Katherine hob beschwichtigend die Hände. „Nein, so meinte ich das nicht, bitte entschuldigen Sie. Ich wollte nichts unterstellen.“ Sie versuchte eine Überleitung zu einem angenehmeren Thema. „Haben Sie schon mit Sam darüber gesprochen? Erzählen Sie mir von ihm.“ Obwohl sie schon einiges von Joan über den smarten Anwalt erfahren hatte, musste sie die Frage Nurara stellen, welche ein breites Lächeln auf das Gesicht der grünhaarigen Frau zauberte.
Nurara öffnete ihre Arme und beugte sich vor. „Sam ist mein Anwalt, das heißt er war es bis vorgestern. Sein Vater, der mich ebenfalls vor Gericht vertritt, hat ihn wegen unserer Beziehung von dem Fall abgezogen. Er ist groß, hat schwarze Haare und grüne Augen …“ Nuraras Blick schweifte schwärmerisch ab.
‚Ich weiß, Kleine, ich weiß …‘ dachte sich Katherine und sagte: „Samuel McCabe? Ist er das? Dem bin ich vorgestern Abend und heute Morgen über den Weg gelaufen. Ein hübscher Mann, wenn Sie mir diese Bemerkung erlauben. Der würde mir auch gefallen.“ Sie zwinkerte Nurara verschwörerisch zu.
Nurara hingegen zog ihre Augen zu schmalen Schlitzen zusammen. „Wagen Sie es bloß nicht, sonst werde ich Sie bei lebendigem Leib häuten …“, zischte sie unheilvoll. Nurara versuchte, Katherine nieder zu starren und erntete von ihr nur ein unverbindliches Grinsen. Plötzlich brachen beide Frauen in lautstarkes Gelächter aus, was ihnen ungläubige Blicke anderer in der Cafeteria Anwesenden einbrachte. Innerlich gab sich Katherine geschlagen. Zwar fand sie Samuel McCabe immer noch unwiderstehlich, respektierte jedoch die noch junge Beziehung zwischen ihm und Nurara. In den zwei Stunden, die die beiden Frauen mittlerweile zusammen saßen, hatte Nurara Katherine einen tieferen Einblick in ihre Persönlichkeit gegeben. Für Katherine war Nurara kein grundsätzlich böser Mensch – im Gegensatz zu Vul Kuolun, der von Hass und Gier getrieben war – aber sie war temperamentvoll, klug und handelte überlegt. Nurara konnte gefährlich werden und selbst Katherine wollte diese Frau nicht zur Feindin haben. Dessen war sie sich sicher.
Katherine blickte über Nuraras Schulter hinweg zur Eingangstür, die sich in diesem Moment öffnete. „Okay, ich denke, wir sollten für heute Schluss machen, da kommt nämlich gerade jemand, der nach Ihnen sucht.“ Sie wies mit dem Kopf in die besagte Richtung und Nurara drehte sich um. Ein großes Lächeln flog über ihr Gesicht. Sie wollte aufspringen, als Katherine sie noch einmal auf ihren Platz zog. Sam kam näher. „Nurara, ich möchte, dass Sie morgen früh um acht bei mir im Büro erscheinen, wir sind noch nicht ganz fertig, hören Sie?“
Nurara nickte abwesend, in Gedanken lag sie schon in Sams Armen. „Ja, natürlich. Morgen um acht bei Ihnen.“ Sie sprang auf und schwebte förmlich Sam entgegen.
Katherine blickte ihr hinterher. „Viel Spaß heute Abend, Nurara“, flüsterte sie. Sie sah noch, wie die beiden Wachposten das Pärchen hinaus eskortierten, dann schloss sich die Tür. Sie nahm ihr Komlink und rief Joan an, die sofort annahm.
„Kat, was gibt es?“, fragte ihre Freundin.
„Bist du in der Nähe? Ich bin hier im Präsidium in der Cafeteria und hätte Lust, mit dir was zu trinken, was meinst du?“ Im Hintergrund hörte Katherine eine männliche Stimme verschlafen murmeln. Die Verbindung war mit einem leichten statischen Rauschen unterlegt. Sie hatte eine Ahnung, wo Joan sich gerade befand und machte sich daher keine großen Hoffnungen, ihre Freundin an diesem Abend zu treffen. Sie verzog den Mund zu einem wissenden Grinsen.
Flüsternd antwortete Joan: „Tut mir leid, Kat, aber ich bin zur Zeit nicht auf der Erde, du verstehst? Ich bin morgen früh zum Dienstbeginn wieder da.“ Joan antwortete etwas der Männerstimme, das Katherine nicht verstand, dann kam sie wieder zurück. „Kat, ich muss jetzt aufhören, wir reden morgen, ja?“
Katherine seufzte. „Klar, Süße, ich wünsche dir noch eine gute Nacht. Schlaf schön!“ Sie klappte ihr Komlink zu. „Dir auch viel Spaß, Joan …“, sagte sie leise zu sich selbst, dann packte sie ihre Sachen zusammen und machte sich auf den Weg in ihr Appartement.
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Als sich die Tür hinter ihnen schloss, fielen Nurara und Sam wie wild übereinander her. Sie bedeckten sich gegenseitig mit heißen Küssen und Liebkosungen und wälzten sich lachend über den weichen Teppich. Als Nurara Sam eine kurze Atempause ließ, fragte er: „Was hattest du mit Major Ballard zu besprechen?“
Nurara setzte sich auf und schaute ihn mit gespieltem Ernst an. „Gegenfrage: warum hast du mir nicht erzählt, dass du sie kennst?“
Sam zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Hielt ich nicht für erwähnenswert. Ist nur eine Polizistin …“
Nurara streichelte seinen Hinterkopf. „War sie es, weswegen du am Freitag hier so lachend reinmarschiert bist?“ Sam nickte langsam. Nurara bohrte weiter. „Katherine ist recht nett, nicht wahr?“ Sie packte seine Haare und zog leicht daran. Sam nickte wieder. Sie ließ nicht locker. „Und sie sieht verdammt gut aus, stimmt’s?“
Sam wog den Kopf hin und her. „Na, ja …“
Nurara gab ihm einen spielerischen Klaps auf den Kopf. „Lüg doch nicht! Ich habe Augen im Kopf. Ich finde Katherine sehr schön und ich weiß, was eine Frau haben muss, um einem Mann zu gefallen. Und sie hat alles, was man dazu braucht. Also noch einmal: sie sieht verdammt gut aus, richtig?“
Sam seufzte. „Ja, das tut sie, aber …“
Nurara brachte den Satz zu Ende: „… aber ich bin hübscher als sie, das wolltest du sagen, ja?“
Sam nickte eifrig. „Ja, ganz ohne Frage. Außerdem ist Major Ballard so ganz und gar nicht mein Typ. Aber jetzt sag doch mal, was hattet ihr zu besprechen? Woher kennst du sie überhaupt?“
Nurara schubste Sam sanft zu Boden und setzte sich rittlings auf ihn. „Sie ist heute auf mich zugekommen und hat sich mir als Polizeipsychologin vorgestellt. Sie sagte, sie hätte von Marshall Garnie den Auftrag bekommen, über mich ein Gutachten zu erstellen.“ Während sie sprach, knöpfte sie Sams Hemd auf.
„Was hast du ihr gesagt? Warst du ehrlich zu ihr oder hast du versucht, sie zu verarschen? An so etwas solltest du niemals denken, die drehen dir ganz schnell einen Strick draus.“
Nurara beugte sich vor und begann seine muskulöse Brust zu massieren. „Keine Sorge, Sam. Ich war in jeder Hinsicht ehrlich zu ihr. Warum sollte ich sie anlügen? Ich bin schließlich diejenige, die in zwei Wochen auf die Schlachtbank geführt wird. Und um die Haft herum zu kommen, ist mir jedes Mittel recht.“ Nurara hielt kurz inne. „Jedes legale Mittel, versteht sich!“, ergänzte sie breit grinsend.
Sam verschränkte die Hände hinter dem Kopf und genoss sichtlich Nuraras zärtliche Berührungen. Mit geschlossenen Augen fragte er weiter: „Jetzt mal konkret, worüber habt ihr gesprochen?“
Nurara hauchte Sam einen Kuss auf die Brust. Dann flüsterte sie: „Über mich, meine Vergangenheit, über meine Träume, die Zukunft, Kinder und über dich …“
Sam riss die Augen weit auf. „Kinder? Mich? Zukunft? Respekt, du scheinst es eilig zu haben.“ Er grinste sie leicht spöttisch an.
Als Antwort schlug Nurara Sam mit der flachen Hand auf die Brust dass es klatschte. „Idiot! Ich habe mit keinem Wort erwähnt, dass ich mal Kinder haben will! Sie hat mich nur gefragt, ob ich es richtig fände, Kinder auf einem Raumschiff groß zu ziehen, anstatt auf irgendeinem Planeten.“
Sam blinzelte irritiert, er verstand so langsam gar nichts mehr. „Wieso willst du deine Kinder auf einem Raumschiff groß ziehen? Und wieso überhaupt ein Raumschiff? Von welchem Raumschiff sprichst du?“
Nurara stieß sich von Sam ab und stand auf. Sie stellte einen Fuß auf seine Brust und nahm eine erhabene Siegerpose ein. Mit gebieterischer Stimme antwortete sie: „Das Schiff, das ich mir kaufen werde, sobald diese Geschichte hier ein Ende hat und ich frei bin. Und dann werden wir beide reisen, reisen, reisen.“
Sam stand jetzt ebenfalls auf und nahm Nurara in die Arme. Er drückte sie fest an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Alles was du willst, meine Schöne. Ich gehe mit dir überall hin.“ Sam blickte Nurara fest in die Augen und fuhr fort: „Und über Kinder sollten wir uns zu gegebener Zeit auch unterhalten.“
Nurara kniff die Lippen zusammen und schloss die Augen. Langsam begann sie den Kopf zu schütteln. „Wenn ‚zu gegebener Zeit‘ in zwanzig Jahren ist, können wir gerne drüber reden.“
Sam drückte Nurara wieder fest an sich. „Wenn die richtige Zeit gekommen ist, wirst du es von alleine merken.“ Er sah ihr lächelnd ins Gesicht und gab ihr einen langen Kuss.
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
Soderle, Kapitel 4. Ab hier beginnt die Story mit dem spannenden Teil. Alles davor war eher Geplänkel. Viel Spaß!
Kapitel 4
Hochsicherheitsgefängnis, Airam IV
In dem Verhörraum, in dem Vul Kuolun in Hand- und Fußketten saß, war es kalt und zugig. Von den Wänden blätterte die graue Farbe ab und offenbarte ebenso grauen Stahlbeton. Ihm gegenüber saß der kleine, faltige Anwalt mit dem schütteren Haarzopf, Zistavan Borksh. Borksh hatte über eine ganze Reihe von Kontakten versucht, etwas über Nurara und ihr Schicksal herauszufinden. „Doktor Kuolun, meine Informationen sind recht dürftig. Auf der Erde herrscht eine rigorose Nachrichtensperre bezüglich Miss Nurara. Ich konnte nur herausbekommen, dass sie ebenfalls in Untersuchungshaft ist und ihr Prozess in zwei Wochen beginnt. In welchem Gefängnis sie sich befindet, ist nicht bekannt. Ich habe getan, was ich konnte.“
Kuolun zog wütend die Augenbrauen zusammen und donnerte mit den Fäusten auf die stählerne Tischplatte. Die Ketten gaben ein lautes Klirren von sich. „Dann haben Sie sich nicht genug angestrengt!“, brüllte er. „Dann fliegen Sie verdammt nochmal zur Erde und sehen sich dort um! Das kann doch nicht so schwierig sein!“ Seine Wut auf den Anwalt war grenzenlos. „Ich kann Sie hier sowieso nicht brauchen! Los, machen Sie dass Sie weg kommen! Und kehren Sie nicht ohne brauchbare Informationen zurück! Wache! Ich will zurück in meine Zelle!“
Dreißig Minuten später stand Zistavan Borksh vor den Toren des Gefängnisses. Er musste erst einmal tief durchatmen und einen klaren Gedanken fassen. Wie sollte er an einer amtlichen Nachrichtensperre vorbeikommen? Bestechung? Unmöglich. V-Leute? Er kannte keine. Kuolun hatte ihm nicht einmal Namen von seinen Kontakten überlassen, was ihm problemlos möglich gewesen wäre. Borksh wusste, dass Kuolun ihn nur durch die halbe Galaxis jagte, um ihn loszuwerden. Aber so einfach würde er sich nicht abschütteln lassen. Jetzt hatte er erst einmal drei bis vier Tage Zeit, um einen Plan zu fassen. Er winkte an der vielbefahrenen Straße einen Taxigleiter heran und ließ sich zum Raumhafen bringen. Als erstes musste er sich um eine günstige aber schnelle Passage zur Erde kümmern.
Die Passage fand er in Form eines heruntergekommenen Frachters, der Vulture und dessen ebenso heruntergekommenen Eigners, einem Marsianer namens Bolec. Bolec hatte wie Nurara grünes Haar, das er zu einer Bürste geschnitten trug, war unrasiert und stank nach Alkohol und Nikotin. Sein graubrauner Pilotenoverall hatte Löcher und Flecken von Schmierfett und anderen unansehnlichen, nicht näher definierbaren Substanzen. Die Vulture sah ihrem Eigner recht ähnlich. Der Rumpf war verbeult, rostig und an vielen Stellen fadenscheinig geflickt und mit verschiedenen Farben nachlackiert. Blastertreffer zierten alle möglichen Stellen rings um das zylinderförmige Schiff, an dessen Heck sich zwei potent aussehende Triebwerke befanden.
„Zwei’n’halb Tage, Mister!“, sagte Bolec mit brennender Zigarette im Mundwinkel. „Ich hab eines der schnellsten Schiffe in der bekannten Galaxis, nur die dicken Kreuzer der Flotte und die Comet von Captain Future können mit der Vulture mithalten. Das sollte Ihnen die zweitausend Kröten wert sein, wenn Sie es so eilig haben.“
Borksh seufzte. Er hatte Bolec bereits von 4.500 Dollar heruntergehandelt, weiter würde er nicht gehen, denn die Vulture war fast startklar und das Beladen des Schiffes beinahe abgeschlossen. Bolec hatte ursprünglich ohnehin kein Interesse, einen Passagier mitzunehmen, nur die Aussicht auf einen schnellen Hinzuverdienst in bar konnte ihn umstimmen. Zweitausend Dollar, für diesen Preis hätte Borksh auch einen Flug auf einem Linienschiff mit Luxuskabine bekommen können, rissen ein tiefes Loch in seine Kasse. Das Geld würde er nicht ohne weiteres vom Gericht wiederbekommen, zumal Bolec mit Sicherheit keine Rechnung schreiben würde. Da Borksh keine andere Möglichkeit sah, als mit dem gammeligen Trampschiff zum Mars und von dort aus mit einer Fähre zur Erde zu fliegen, reichte er Bolec die Hand. „Also gut. Fünfhundert jetzt, den Rest bei Ankunft auf dem Mars. Einverstanden?“
Bolec musste wegen des Rauchs die Augen zusammenkneifen. Er schlug ein und sagte mit einem Grinsen, das so schmierig wie seine Hände war: „Die Hälfte jetzt, die andere Hälfte bei Ankunft. Ich muss den Treibstoff bezahlen.“
„Meinetwegen“, gab Borksh resigniert zurück, „ wann geht es los?“
Bolec warf einen Blick auf den Verladedroiden, der die letzten drei Frachtcontainer in den geräumigen Rumpf bugsierte. „Gehen Sie schon mal an Bord. In zehn Minuten sind wir im All.“
Drei Tage später fand sich Borksh auf dem New York Central Air- and Spaceport ein. Bolec hatte ihm einen Tipp gegeben, wo er Hinweise zu Personen bekommen könnte, die von den Behörden unter Verschluss gehalten wurden. Dazu müsste er im Stadtteil Queens nach einer gewissen Rulwa suchen. Diese Frau handelte mit Informationen und würde ihm – natürlich für einen nicht unerheblichen Unkostenbeitrag – weiterhelfen können. Allerdings gab es Rulwa offiziell nicht und Borksh rechnete schon fest damit, den einen oder anderen bestechen zu müssen. Er nahm ein Taxi und ließ sich nach Queens zu einer heruntergekommenen Bar mit dem Namen The Ion Booster bringen, zu der Bolec ihm geraten hatte, um seine Nachforschungen zu beginnen. Er betrat die düstere Bar und wurde vom sauren Geruch von Alkohol, Rauch, Urin und Erbrochenem empfangen. Da es früher Nachmittag war, war das Lokal noch nicht besonders besucht. An einem der schäbigen Tische saßen drei ungepflegte Typen beim Bier und spielten Karten. An der Bar saß eine leicht bekleidete junge Frau, die eigentlich mal sehr hübsch gewesen sein muss, aber Drogen und Alkohol hatten deutliche Spuren an ihrem hageren Körper und ihrem ausgemergelten Gesicht hinterlassen. Hinter dem Tresen stand ein großer Glatzkopf mit Bulldoggengesicht. Als er Borksh bemerkte, rief er ihm zu: „He, du da. Wenn du was trinken willst, musst du später wieder kommen. Wir haben noch geschlossen!“
Borksh trat an den Tresen heran. „Nein Sir, ich möchte nichts trinken. Ich benötige eine Information. Ein Pilot namens Bolec hat mir Ihr Lokal empfohlen.“
Der Wirt grinste. „So, so, Bolec, der alte Spinner. Na dann erzähl mal. Hier haste ein Bier. Geht aufs Haus!“
Während Borksh trank und Wiley, dem glatzköpfigen Wirt erzählte, dass er nach einer gewissen Rulwa suchte, betrat ein ungepflegter junger Mann von Ende zwanzig die Bar. Er hatte strähniges, schwarzes Haar, einen langen fusseligen Bart und fleckige, zerrissene Kleidung. Er blickte stur auf ein kleines Datapad, auf dem es rot blinkte. Der Mann setzte sich mit einem gewissen Abstand zu Borksh an die Theke und starrte weiter auf das Gerät.
Wiley sprach ihn an: „Na, Peyo? Immer noch auf deinem Rachefeldzug? Du bringst es einfach nicht, du Trottel!“
Der Mann, den Wiley Peyo nannte, zog den Rotz in seiner Nase hoch und sprach mit einer jungenhaften Stimme: „Halts Maul, du Wichser und gib mir verdammt nochmal was zu trinken.“ Dabei ließ er den Blick nicht von dem Bildschirm ab.
Wiley verschränkte die Arme. „Hast du überhaupt Geld? Du hast hier noch einen riesen Deckel.“
Peyo griff mit der rechten Hand in die Tasche seines verschlissenen olivgrünen Armee-Anoraks und warf ein paar Scheine auf den Tresen. „Fick dich, Wiley! Und jetzt mach hin, oder ich puste dich gleich weg!“ Wiley zapfte den neuen Gast ein Bier und stellte es vor ihm ab. Borksh hatte die Szene teils mit Erstaunen, teils mit Amüsement beobachtet. Kopfschüttelnd wandte er sich wieder seinem eigenen Bier zu, als er auf einmal etwas kaltes Metallisches an seiner Schläfe spürte. Peyo starrte ihn feindselig an und hatte einen großkalibrigen, alten Revolver auf ihn gerichtet. „Was glotzt du denn, du Penner? Hast du auch Todessehnsucht?“ In Peyo‘s Augen lag blanker Hass.
Wiley mischte sich ein: „Peyo, es reicht! Nimm die scheiß Knarre runter und verpiss dich aus meinem Laden! Ich will dich hier nicht mehr sehen. Wenn du hier nochmal aufkreuzt, lege ich dich um, hast du kapiert? Vermissen wird dich sowieso niemand!“ Der Wirt hatte seinerseits mit einer klotzigen Protonenpistole auf Peyo angelegt. Borksh konnte sehen, wie Wiley‘s Daumen die Sicherung der Waffe auf „Töten“ umstellte. Das Mädchen, das die ganze Zeit stumm neben Borksh gesessen hatte, sprang kreischend auf und suchte Schutz hinter dem Tresen. Die drei Männer am Tisch jedoch blieben unbeeindruckt sitzen und spielten weiter Karten. Wahrscheinlich waren sie solche Situationen im Ion Booster bereits gewohnt.
Peyo steckte seine Waffe ein, trank hastig sein Bier aus und verschwand, ohne ein weiteres Wort zu verlieren, rülpsend aus der Bar. Das Mädchen kroch völlig verängstigt hinter dem Tresen hervor und setzte sich wieder auf ihren Platz neben Borksh, den sie schüchtern anlächelte. Wiley verstaute die Protonenpistole wieder unter dem Tresen und begann Bier zu zapfen. „Dieser Irre. Wegen ihm hatte ich bereits viermal die Polizei in den letzten zwei Wochen hier.“
Borksh trank den letzten Schluck Bier aus als Wiley ihm ein neues hinstellte. „Sie sagten, er wäre auf einem Rachefeldzug? Was hatte das zu bedeuten?“, fragte er ungläubig.
Wiley zuckte mit den Schultern. „Ich weiß es nicht genau. Der Typ kreuzt seit einem halben Jahr in unregelmäßigen Abständen hier auf, lässt sich volllaufen und faselt ständig davon, jemanden umzubringen, der ihn vor langer Zeit verarscht hat. Ich sag ja, der ist völlig irre. Wohnt alleine auf einem verlassenen Industriegelände nicht weit von hier. Ab und zu kann man ihn schießen hören. Was der Kerl so verballert, da muss man meinen, der hockt auf einem Munitionsbunker. Ich frage mich sowieso, wo der so viel Munition für dieses Museumsstück her hat.“
Borksh wischte sich ein paar Schweißperlen mit dem Handrücken von der Stirn. „Für ein Museumsstück sah diese Knarre ganz schön gefährlich aus. Möchte nicht wissen, was die für Löcher reißt.“ Er wechselte das Thema. „Wiley, Sie sagten, Sie könnten ein Treffen mit Rulwa für mich arrangieren?“
Wiley schüttelte den Kopf und hob abwehrend die Hände. „So direkt habe ich das nicht gesagt, Borksh. Ich sagte, ich könnte mit jemandem sprechen, der eventuell ein Treffen arrangieren kann. Allerdings spricht sie nicht mit jedem. Ich kann für nichts garantieren.“
Borksh verlor ein wenig die Hoffnung, dass seine Aufgabe schnell abgeschlossen wäre. „Würden Sie es trotzdem versuchen? Bitte!“
Wiley beugte sich über den Tresen dicht zu Borksh hin. „Das wird dich aber etwas kosten, mein Freund. Tausend hübsche kleine grüne Scheinchen …“
Borksh riss die Augen auf. „Tausend Dollar? Sind Sie übergeschnappt? Kann ich Ihnen überhaupt vertrauen?“
Wiley prustete und gab ein bellendes Lachen von sich, das gut zu seinem Bulldoggengesicht passte. „Hey, habe ich dir gerade eben noch das Leben gerettet? Peyo hätte dich ohne weiteres abgeknallt, glaub mir. Also, soll ich den Kontakt für dich herstellen oder nicht? Denk dran, was Rulwa nicht weiß, weiß niemand.“
Borksh nickte bedächtig. „Okay, ich gebe Ihnen fünfhundert jetzt und fünfhundert, wenn Sie den Kontakt haben.“
Wiley schüttelte energisch den Kopf. „Mein Lieber, du bist nicht in der Position zu handeln. Du willst etwas von Rulwa, also zahlst du den Preis. Anderenfalls kannst du gleich wieder rausmarschieren.“
Borksh sah ein, dass er hier nicht verhandeln konnte. Er zückte seine Brieftasche und legte den geforderten Betrag auf den Tresen. Sein Budget war schon beachtlich geschrumpft und er hatte noch nichts erreicht. Wiley nahm die Scheine, zählte sie nach und ließ sie in der Innentasche seiner abgewetzten Lederweste verschwinden. „Okay, ich werde meine Bekannte anrufen. Morgen kann ich dir sagen, ob du es wert bist, Rulwa zu treffen. Sei um die gleiche Zeit wieder hier. Und wenn ich dir noch einen gutgemeinten Rat geben darf: Queens ist ein gefährliches Pflaster. Du solltest nicht so viel Bargeld mit dir rumschleppen.“
Borksh trank aus und erhob sich von seinem Hocker. „Danke Wiley, ich werde Ihren Rat beherzigen. Wir sehen uns morgen. Was bin ich Ihnen schuldig?“
Der glatzköpfige Wirt winkte ab. „Nichts, ich sagte doch geht aufs Haus.“
Borksh verließ die Bar und ging mit starrem Blick zum Boden die Straße hinunter. Inzwischen hatte es angefangen zu regnen. Ab und zu sah er zurück, weil er befürchtete, Peyo noch einmal zu begegnen. Aber außer ein paar harmlosen Passanten war niemand zu sehen. Borksh hielt einen Taxigleiter an und ließ sich zu einem günstigen Hotel bringen, wo er für ein paar Nächte ein Zimmer mietete.
Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.
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