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Captain Future - Rache und Reue

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    #46
    Hi,

    du hast es echt geschafft!
    Immer wenn ich hier reinlese, habe ich jetzt Cobbie Smulders (Robin ) als Kat vor Augen.

    Das hat sich eingebrannt.
    ZUKUNFT -
    das ist die Zeit, in der du bereust, dass du das, was du heute tun kannst, nicht getan hast.
    Mein VT: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...ndenz-steigend
    Captain Future Stammtisch: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...´s-cf-spelunke

    Kommentar


      #47
      Hahahaha! Mission accomplished!
      Seit ich Cobie als Agent Hill in Avengers gesehen habe, und das war zu der Zeit, als ich Rache & Reue schrieb, geht sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Als Frau wie auch als Schauspielerin. Cobie ist einfach eine Hammerfrau. Kat habe ich ihr so ein wenig auf den Leib geschrieben.

      Hier gehts weiter mit Kapitel 6 und einem meiner absoluten männlichen Lieblingscharaktere, Ezella Garnie. Ihm kann man wunderbare Dialoge verpassen. Die Art und Weise, wie er mit seinen Leuten umgeht, ist einfach souverän.

      Kapitel 6

      Polizeipräsidium, Ezella Garnie’s Büro

      Während Joan Landor und John Milner Oksana Rulwakowas Haus überprüften, hielt Ezella Garnie eine Unterredung mit Jonathan McCabe und Edward Fox. Er unterrichtete die beiden Anwälte über die neuesten Ereignisse und die Schwierigkeiten, die sich aus der neuen Situation ergaben. Seine Forderung, bei Richter Callahan eine Pressekonferenz zu beantragen, stieß bei Jonathan McCabe auf Skepsis, bei Staatsanwalt Fox jedoch auf volle Zustimmung. Letztendlich lenkte Jonathan ein und die drei Männer riefen das Richterbüro gemeinsam an. Richter Callahan stimmte seinerseits einer Pressekonferenz zu, verfügte aber, dass nur Jonathan McCabe als Verteidiger an dieser teilnehmen durfte, nicht aber Nurara selbst. Damit war Jonathan wiederum einverstanden, was Ed Fox jedoch etwas säuerlich stimmte, er hätte zu gerne Nurara der Öffentlichkeit als „seinen Fang“ präsentiert.
      „Gut“, sagte Garnie, „dann werde ich für heute Abend, einundzwanzig Uhr, eine Pressekonferenz anberaumen. Wünschen Sie, dass Major Ballard als Psychologin auch etwas beiträgt?“ Er sah Jonathan McCabe dabei fragend an. Fox hatte sich mittlerweile aus der Runde verabschiedet und den Raum verlassen.

      Jonathan schürzte die Lippen und überlegte kurz. „Wenn Major Ballard eine hundertprozentig positive Prognose abgeben kann, warum nicht? Eine gute Presse kann schließlich nicht schaden.“

      Garnie winkte ab. „Machen Sie sich keine Sorgen, Ihre Mandantin schlägt sich sehr tapfer und Ballard hält mittlerweile große Stücke auf sie. Sie wissen ja, dass Nurara heute Abend noch den Lügendetektortest vor sich hat. Wenn sie den bestanden hat, wird Major Ballard das Gutachten abschließen. Sogar gerichtsfest.“ Garnie lehnte sich in seinem Sessel zurück. „Dabei wollte ich eigentlich selbst nur eine einfache Prognose haben …“

      Jonathan grinste. „Scheint mir sehr fleißig zu sein, Ihre Miss Ballard.“

      Garnie nickte bedächtig: „Oh, ja, in der Tat. Ich muss sie von Zeit zu Zeit einbremsen. Montag geht sie auf meinen endgültigen Befehl hin endlich in Urlaub. Aber zurück zum Thema, John. Ich muss Nurara noch einmal befragen. In einem Mordfall.“

      Jonathan schnappte nach Luft. „Was zum …“

      Garnie hob beschwichtigend die Hände. „Nein, John, nicht was Sie glauben. Ich brauche Nurara als Zeugin, sie könnte die beiden Rulwakowa Frauen kennen, die gestern Abend ums Leben gekommen sind.“

      „Die Rulwakowas, ja tragische Geschichte. Sind sie nicht bei einer Explosion zu Tode gekommen?“

      Energisch schüttelte Garnie den Kopf. „Ich habe den Obduktionsbericht gelesen. Die beiden Frauen wurden erschossen – mit einer alten, großkalibrigen Projektilwaffe. Natascha, die Mutter, war sofort tot, Oksana ist verblutet. Die Verbrennungen traten post-mortem ein. Lediglich der Mann kam in den Flammen um.“

      Jonathan beugte sich vor. „Und was hat Nurara damit zu tun?“

      „Nun, Oksana Rulwakowa steht im Verdacht, dass sie Daten aus unserem Netzwerk gestohlen oder übermittelt bekommen hat, die mit Nurara zu tun haben. Ich habe zwei Ermittler zu Rulwakowas Haus entsandt um einigen Hinweisen nachzugehen. Ich erwarte sie jeden Moment zurück.“

      In diesem Moment piepte die Gegensprechanlage. Es war Stella. Garnie nahm das Gespräch an. „Ja, Stella? Was gibt es?“

      „Sir, Sie wollten mit Captain Luther sprechen. Er ist hier.“

      Garnie nahm den Finger von der Sprechtaste. „Mist, den habe ich fast vergessen.“ Dann antwortete er Stella: „Soll einen Moment warten, dauert noch etwas.“

      „Ja, Sir“, sagte Stella und schaltete ab.

      Grinsend wandte er sich an den Anwalt. „Heute ist richtig was los. Also? Kann ich Nurara befragen?“

      Jonathan McCabe nickte wortlos. Daraufhin rief Garnie Katherine an. Sie meldete sich sofort. „Ja, Marshall? Kann ich was für Sie tun?“

      „Ja, das können Sie, Katherine. Ist Nurara noch bei Ihnen?“

      Katherine warf einen Blick zu Seite. „Ja, Sir, wir waren gerade fertig geworden und wollten gemeinsam etwas essen gehen.“
      „Das muss warten, Major. Ich möchte Sie beide in meinem Büro sehen, unverzüglich.“

      Katherine antwortete knapp. „Jawohl, Sir, wir sind gleich bei Ihnen.“

      Nicht einmal zwei Minuten später betraten Nurara und Katherine Ezella Garnie’s Büro. Katherine trug immer öfter während der regulären Dienstzeit Zivil und erschien in einem konservativen aber auffallend figurbetontem Outfit bestehend aus züchtigem Rock, Bluse und hochhackigen Schuhen. Damit strahlte sie eine kühle Erotik aus, die ihr strenger Pferdeschwanz noch unterstrich. Nurara hingegen hatte sich eher aggressiv-sexy gekleidet, mit einem enganliegenden Oberteil aus Elasthan, einem zu ihrer Haarfarbe passenden grünen Lederrock, der einen Gürtel an Breite nur knapp übertraf, schwarzen Leggings und Stiefeln. Ihre Haare hatte sie zu einem dicken Zopf zusammen gebunden, der locker auf ihrer Schulter ruhte. Im Gegensatz zu ihrem bewusst provokanten Auftreten lag eine freundliche Aufgeschlossenheit in ihrem Gesicht. „Hi Jonathan!“, sagte sie mit einem offenen Lächeln.

      „Hallo Nurara. Bitte setzen Sie sich, Marshall Garnie hat ein paar Fragen an Sie.“ Nurara nahm in dem freien Sessel neben ihrem Anwalt Platz, Katherine ließ sich in die Kissen des Sofas an der Rückwand des Büros fallen.
      Garnie ergriff das Wort. „Nurara, ich will auch gar nicht lange um den heißen Brei reden“, sagte er und zog drei Fotos aus einer Mappe. „Kennen Sie diese drei Menschen?“

      Nurara beugte sich vor und betrachtete die Portraits eingehend. Sie schob das Bild von Boris Yakolew beiseite. „Den Kerl kenne ich nicht. Die beiden Frauen … die Ältere kenne ich als Iwona, die kleine heiße Schnecke hat sich mir als Irina vorgestellt. Es sind nicht ihre richtigen Namen, die echten Namen weiß ich aber nicht.“

      Garnie nickte. „Danke, Nurara. Haben Sie heute noch keine Nachrichten gehört?“

      Nurara schüttelte den Kopf. „Nein, Sir, dazu bin ich heute noch nicht gekommen.“ Garnie zog eine Augenbraue nach oben und blickte über Nurara hinweg fragend auf Katherine. Diese schloss kurz die Augen und gab ein bestätigendes Nicken zurück. „Dann dürfte Ihnen entgangen sein, dass diese drei abgebildeten Personen gestern Abend gewaltsam zu Tode gekommen sind.“

      Nurara verschränkte die Arme vor der Brust und erwiderte trotzig: „Ich habe ein Alibi.“ Dafür kassierte sie von Jonathan einen tadelnden Seitenblick.

      Garnie ging auf die Spitzfindigkeit nicht ein. „Ihre richtigen Namen sind Natascha und Oksana Rulwakowa. Letztere ist die jüngere der beiden. Woher kennen Sie sie?“

      „Kuolun hat von den beiden Informationen über den Standort des Forschungskreuzers Nova bekommen, den wir zum Parallelraumschiff umgebaut hatten.“ Sie machte eine Pause. „Kuolun hatte die beiden um ihr Honorar betrogen.“

      Garnie kratzte sich nachdenklich am Kinn. „Hm, also wurden die beiden Frauen womöglich zum Schweigen gebracht? Um es Ihnen noch einmal zu verdeutlichen, Nurara, Oksana Rulwakowa hatte allem Anschein nach vertrauliche Daten zu Ihrem Fall in ihrem Besitz. Wir vermuten, dass Kuolun in irgendeiner Form dahinter steckt und seinen Anwalt geschickt hat, um an diese Daten zu gelangen. Seit unserem Gespräch von heute Morgen hat sich der Verdacht erhärtet. Wir suchen derzeit nach dem Anwalt. Eventuell hat er die Daten noch bei sich. Wie auch immer, wir machen Ihren Fall heute offiziell publik. Stellen Sie sich darauf ein, dass Sie in den nächsten Wochen, wenn Sie in der Öffentlichkeit auftreten, von der Presse umzingelt werden.“

      Nurara nickte. „Katherine hat mit mir alle Eventualitäten heute durchgesprochen. Ich denke, ich bin gut vorbereitet.“

      Garnie blickte Nurara ernst an. „Das sollten Sie auch, mein Kind. Der Spießrutenlauf hat nämlich jetzt begonnen. Glauben Sie mir, das wird Ihnen schwer an die Substanz gehen. Sie hatten die letzten zwei Wochen ein mehr oder minder beschauliches Leben, ich würde es fast schon Urlaub nennen. So leid es mir tut, das zu sagen, aber damit ist es ab morgen vorbei.“


      Nachdem Nurara, Katherine und die Anwälte gegangen waren, rief Garnie Captain Luther zu sich herein. Er war um ein leutseliges Auftreten bemüht, als er Luther bat, Platz zu nehmen. „Setzen Sie sich doch, Frank! Wir haben schon lange nicht mehr so richtig miteinander geredet. Bis wann sind Sie noch bei uns im Dienst? März, April?“

      Der füllige Captain nahm laut atmend in dem Sessel vor dem Schreibtisch des Marshalls Platz. „Bis Mai, Sir. Im Mai gehe ich endlich in Pension.“

      Garnie setzte sich ebenfalls und lehnte sich bequem in seinem Sessel zurück. „Was machen Sie dann mit Ihrer vielen Freizeit? Haben Sie schon Pläne?“

      „Meine Frau und ich schauen uns seit ein paar Monaten Häuser in Idaho an, irgendwo an einem See. Ich bin leidenschaftlicher Angler, wissen Sie?“

      Garnie nickte verständnisvoll. „Der Grund, Frank, warum ich Sie hergebeten habe ist, dass wir uns so langsam über Ihren Nachfolger Gedanken machen sollten. Jemand, der auf dem Gebiet der Datensicherheit ähnlich bewandert ist, wie Sie. Fällt Ihnen da spontan jemand ein?“

      Luther legte den Kopf schräg und überlegte. „Hm, ich denke Lieutenant Boxworth oder Lieutenant Carter wären geeignet. Beide sehr zuverlässig und gewissenhaft.“

      „Was ist mit Corporal Milner, was halten Sie von ihm?“

      Luther grinste. „Milner? Guter Mann, sehr fleißig. Hat noch zu wenig Erfahrung, aber aus ihm kann noch was werden. Der müsste doch erst einmal die Offizierslaufbahn einschlagen.“

      Garnie grinste ebenfalls. „Ich weiß nicht, ob Sie es wissen, aber Milner hat schon vor längerer Zeit seinen Antrag auf Laufbahnwechsel eingereicht. Wenn Sie es als direkter Vorgesetzter befürworten, gebe ich seinem Antrag statt. Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt dafür.“

      Luther setzte sich aufrechter hin. „Von mir aus, nach mir die Sintflut.“, sagte er mit einem Augenzwinkern. „Aber warum denken Sie an Milner? Der ist doch eigentlich noch ein Greenhorn.“

      Garnie wurde ernst, sein Lächeln verschwand. „Weil Corporal Milner ein äußerst aufmerksamer Polizist ist, der eine Schwachstelle in unserem Netzwerk entdeckt hat, die Ihnen augenscheinlich entgangen ist, Captain.“

      Luther riss die Augen weit auf. „Was meinen Sie damit, Sir?“, stieß er ungläubig hervor. „Wir haben die besten Sicherheitstechnologien innerhalb des Worldnets. Da kommt von außen keiner rein!“

      Garnie winkte verneinend mit dem Zeigefinger. „Frank, ich habe auch nicht gesagt, dass jemand von außen hier eingedrungen ist. Es wurden vertrauliche Daten unautorisiert nach außen transportiert. Und ich will wissen, wer dafür verantwortlich ist!“ Garnie’s Stimme wurde um einige Nuancen lauter.

      Frank Luther rutschte unruhig in seinem Sessel hin und her. „I-ich werde mich sofort darum kümmern Sir“, stotterte der dickliche Captain.

      Garnie schüttelte langsam den Kopf. „Nicht nötig, Frank. Ich habe bereits Corporal Milner für diese Aufgabe abgestellt. Damit kann er zeigen, ob ein Offizier in ihm steckt. Sie werden normalen Dienst verrichten. Von Ihnen will ich, dass Sie mir umgehend Ihre Aufzeichnungen über sämtliche Verschlüsselungs- und Sicherheitsmechanismen in unserem Netzwerk überlassen. Und zwar heute noch! Ich will Ihre gesamte Dokumentation.“

      Frank Luther stand der Schweiß auf der Stirn. „A-aber Sir. Das wird Tage dauern. Ich habe alles im Kopf, aber nichts schriftlich dokumentiert.“

      „Frank! Das kann nicht wahr sein, oder?“ Garnie brüllte fast, was für den sonst so besonnenen und ruhigen Mann unüblich war. „Was ist, wenn Sie heute Abend tot umfallen? Was Sie da treiben ist sträflicher Leichtsinn! Wollen Sie so kurz vor Ihrem Dienstzeitende noch mit einem Disziplinarverfahren nach Hause gehen? Schaffen Sie mir die Informationen ran, umgehend! Das war‘s, Sie können gehen!“
      Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

      Mission accomplished.

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        #48
        Und nochmal Marshall Garnie!

        Frank Luther erhob sich, salutierte und ging geknickt aus dem Büro. Als sich die schwere Holztür hinter ihm schloss, huschte ein breites Grinsen über das Gesicht des Marshalls. Luther hatte nicht viel Zeit und somit auch nicht die Möglichkeit, an den Aufzeichnungen etwas zu verfälschen. Milner würde auf Grund seiner eigenen Kenntnisse dahinter kommen, notfalls würde Garnie Professor Simon Wright, das lebende Gehirn aus der Future-Crew dazu holen. Es würde ein Leichtes sein, entweder Captain Luther zu entlasten oder ihn zu überführen. Corporal Milner hatte bereits im Beisein des Marshalls Vorsorgemaßnahmen getroffen, dass im Nachhinein keine Spuren mehr verwischt werden konnten.
        Garnie drückte den Knopf der Gegensprechanlage. „Stella, gibt es was Neues über Zistavan Borksh? Und haben sich Landor und Milner schon gemeldet?“

        „Nein, Sir, Borksh ist wurde noch nicht gefunden. Lieutenant Landor und Corporal Milner sind auf dem Rückweg, sie haben sich vor fünf Minuten gemeldet“, antwortete sie.

        „Gut, sie sollen sich sofort bei mir einfinden.“ Garnie schaltete ab und nahm sich noch einmal den Obduktionsbericht der Rulwakowa-Frauen vor. Beide wurden mit einer großkalibrigen Projektilwaffe erschossen. Projektilwaffen wurden seit fast hundert Jahren nicht mehr industriell hergestellt. Nur einige wenige Büchsenmacher verstanden sich weltweit im 23. Jahrhundert noch auf diese Handwerkskunst, sie bauten Sportwaffen für Sammler. Bei Armeen und Polizei wie auch in der Verbrecherwelt spielten Revolver und automatische Pistolen absolut keine Rolle mehr, zu ineffizient, zu schwer und zu laut waren sie.
        Warum sollte also jemand mit einer solch archaischen Waffe rumlaufen und Menschen töten? Der Obduktionsbericht sprach von einem .44er Kaliber, demnach handelte es sich um einen Trommelrevolver. Die Geschosse konnten nicht mehr eindeutig identifiziert werden, sie waren durch die Hitze des Brandes geschmolzen. Nur in Oksanas Leiche konnte man noch Reste des Geschosses finden, die in ihrer Wirbelsäule steckten. Oksanas Leiche wies zwei – offensichtlich nicht tödliche – Treffer auf, ein Streifschuss hatte in ihrer rechten Hüfte eine Fleischwunde gerissen, der zweite rührte von einem Schuss aus nächster Nähe in ihren Unterbauch her. Sie hatte innere Verletzungen und war durch die beschädigte Wirbelsäule höchstwahrscheinlich querschnittsgelähmt, aber nicht sofort tot. Bis zum Eintritt des Exitus mussten etwa 20 Minuten vergangen sein. „Zeit genug um ihr Leben zu retten“, dachte Garnie und las weiter. Der ganze Bericht las sich wie ein Horrorschocker, dazu detailliert bebildert. Natascha Rulwakowa war durch den einzelnen Kopfschuss, ebenfalls aus kurzer Distanz abgefeuert, sofort tot. Die Wucht des Projektils hatte ihren Hinterkopf zerschmettert.
        Angewidert blätterte Garnie weiter zum Obduktionsbericht von Boris Yakolew. Dieser fiel überraschend kurz aus: „Tod durch schwerste Verbrennungen. Leiche bis zur Unkenntlichkeit verkohlt. Person vermutlich in der Nähe des Brand- oder Explosionsherdes umgekommen.“ Kopfschüttelnd legte er den Obduktionsbericht beiseite und dachte nach. Yakolew kommt in die Lagerhalle und findet die beiden Frauen erschossen vor. Oksana Rulwakowa war vielleicht noch am Leben und konnte ihm sagen, wer die Tat begangen hat. Yakolew entscheidet sich, den Tod der Frauen durch ein Feuer wie einen Unfall aussehen zu lassen und legt einen Brand. Er verschätzt sich und kommt selbst zu Tode. Konnte das so passiert sein? Und wer war die Person auf dem Gleiterbike, die kurz nach der Explosion in der Nähe gesehen wurde? War es Borksh und wenn ja, was hatte er dort verloren? Hat er vielleicht sogar im Auftrag von Kuolun die beiden Frauen getötet? Borksh musste gefunden werden.
        Garnie blickte auf seine Uhr, es war kurz nach zwei. Er rief Katherine an. „Major, wann werden Sie heute den Test mit Nurara machen?“

        „Gegen 18 Uhr dachte ich Sir, darf ich fragen warum?“

        „Ich möchte Sie bei der Pressekonferenz dabei haben. Nehmen Sie die Ergebnisse des Tests heute Abend mit. Ich will, dass Sie den Journalisten heute Abend klar machen, dass Nurara eine Chance verdient.“

        „Und wenn sie den Test nicht besteht?“, fragte Katherine skeptisch.

        „Dann packt Nurara ihre Sachen und wir verfrachten sie geradewegs ins Untersuchungsgefängnis“, gab Garnie entschlossen zurück. „Wie lange werden Sie für den Test brauchen?“

        Katherine dachte kurz nach. „Mit kompletter Auswertung etwa zwei Stunden.“

        „Gut, dann lege ich die Pressekonferenz auf einundzwanzig Uhr fest. Ach, und Katherine?“

        „Ja Sir?“

        „Es wäre schön, wenn Sie heute Abend zu diesem Termin in Uniform erscheinen würden.“

        „Jawohl, Sir!“

        „Gut, wenn Sie schon früher etwas für mich haben sollten, immer her damit! Bis später.“ Sofort beendete Garnie die Verbindung. In diesem Moment meldete sich Stella Winter.

        „Sir, eine Streife der Stadtpolizei hat Zistavan Borksh am Central Air- and Spaceport aufgegriffen. Sie sind jeden Moment hier.“

        „Sehr gut Stella, lassen Sie den Verdächtigen in den Verhörraum bringen.“ Dann rief er Katherine noch einmal an.
        „Ja, Sir?“

        „Katherine, Sie haben die Gelegenheit, Ihre Uniform jetzt schon anzuziehen. Man hat Borksh gefunden und bringt ihn hier her. Ich möchte Sie beim Verhör dabei haben.“

        Zehn Minuten später trafen sich Garnie und Ballard vor dem Verhörraum. Garnie betrachtete die junge Frau von oben bis unten und hob anerkennend den Daumen. „So gefallen Sie mir am besten, Katherine!“, sagte er augenzwinkernd.
        Katherine verzog den Mund zu einem spöttischen Grinsen. „Wann haben Sie das letzte Mal etwas anderes als eine Uniform getragen, Sir?“

        Garnie blies die Backen auf und überlegte. „Vor zwei Wochen, aber da hatte ich auch eine Kapitänsmütze auf.“

        Katherine musste lachen. „Sie können es nicht lassen, Sir, stimmt’s?“

        Garnie hob entschuldigend die Hände und grinste. Dem Charme seiner attraktiven Mitarbeiterin konnte auch er sich nur schwer entziehen. Dann wurde er ernst und sagte: „Gut, Spaß beiseite, hören wir uns an, was dieser Mister Borksh uns zu sagen hat.“
        Katherines Miene veränderte sich sofort von der lebenslustigen und freundlichen jungen Frau zur knallharten Polizistin, die Borksh auf den Schlachtkreuzer Tennessee kennengelernt hatte. Sie spielte diese Rolle nur allzu gern und mit Erfolg. Gemeinsam betraten sie jetzt den Verhörraum, in dem ein Beamter den festgenommenen Anwalt Zistavan Borksh bewachte.

        Garnie klopfte dem Lieutenant, der Borksh bewachte, auf die Schulter und sagte: „Danke, Chuck, wir kommen hier klar.“ Der Beamte verließ wortlos den Raum und schloss die Türe.
        An Borksh gewandt sagte Garnie: „Guten Tag, Mister Borksh. Ich bin Marshall Ezella Garnie, Chef der Weltraumpolizei. Major Ballard kennen Sie ja bereits.“ Garnie setzte sich an den Tisch, Borksh gegenüber. Katherine blieb mit auf dem Rücken verschränkten Armen neben dem Tisch stehen.“

        „Major Ballard, es ist mir ein Vergnügen, Sie wieder zu sehen. Ist meine Eingabe mittlerweile bei Ihnen angekommen?“, fragte Borksh unverhohlen frech.

        Katherine musterte ihn abschätzig und sagte tonlos: „Ob es ein Vergnügen ist, bezweifle ich. Sie haben nämlich im Moment ganz andere Sorgen, als diese Eingabe wegen einer Bagatelle.“

        Garnie griff den Faden auf. „Korrekt, Major. Mister Borksh, wo waren Sie gestern Abend zwischen 18 und 20 Uhr?“

        Borksh lehnte sich auf dem Metallstuhl zurück und verschränkte die Arme vor der Brust. „Warum bin ich hier, Marshall? Was wird mir vorgeworfen?“

        Garnie lehnte sich ebenfalls zurück. „Mister Borksh, Sir, Sie sind hier auf Grund meiner persönlichen Einladung. Ich vernehme Sie hier momentan als Zeuge in einem Mordfall. Wenn Sie mit mir reden, sind Sie gleich wieder draußen und können Ihres Weges gehen. Wenn nicht, hole ich mir vom Gericht einen Haftbefehl wegen Datendiebstahls. Sie stehen unter Verdacht, unrechtmäßig im Besitz von vertraulichen Polizeidaten zu sein. Sie spielen gerade mit Ihrer Anwaltszulassung und Sie haben ein verdammt schlechtes Blatt auf der Hand. Also?"

        Borksh wurde bleich. Er wirkte jetzt noch kleiner, noch faltiger und noch eingefallener als sonst. Für eine Sekunde herrschte eine gespannte Stille im Verhörraum. Man hätte eine Nadel fallen hören können. Dann reckte sich Borksh und setzte sich aufrecht hin. „Tut mir Leid, Marshall, ich weiß nicht wovon Sie sprechen. Aber ich will Ihnen sagen, wo ich gestern Abend war. Ich war hier in Manhattan und habe mir den Hafen angesehen.“

        „Gibt es dafür Zeugen?“, hakte Katherine nach.

        Borksh grinste. „Mehrere tausend und keinen, Miss Ballard. Sie können sich vorstellen, was abends in den Docks los ist.“

        Garnie öffnete eine mitgebrachte Mappe und zog drei Fotos heraus, die er dem Anwalt zeigte. „Kennen Sie diese drei Personen?“ Es waren die Bilder der beiden Rulwakowa-Frauen und Yakolews.

        Borksh nahm die Bilder in die Hand und betrachtete sie eingehend. Dann legte er sie wieder vor sich hin und antwortete gleichmütig: „Tut mir leid, Marshall, aber ich habe diese drei Personen noch nie gesehen.“

        Katherine ging um den Tisch herum und stellte sich zur Borksh’s Rechten hin. Dann beugte sie sich zu ihm herunter und sah ihm fest ins Gesicht. „Warum lügen Sie, Mister Borksh? Was ist der Zweck Ihres Besuchs auf der Erde? Sollten Sie nicht bei Ihrem Mandanten auf Airam IV sein?“

        Borksh wich ihrem Blick aus und sah Garnie an. „Zum Zweck meines Aufenthaltes kann ich Ihnen nur sagen, dass dies meiner anwaltlichen Schweigepflicht unterliegt und ich Ihnen keine Auskunft geben muss. Verinnerlichen Sie sich bitte dazu den Paragraphen vierhundertzwölf, Absatz zwei der solaren Strafprozessordnung. Des Weiteren lebe ich auf der Erde und habe jedes mir verfassungsgemäß zugesprochene Recht, mich auf diesem Planeten frei zu bewegen. Bitte halten Sie sich das vor Augen.“ Dann sah er Katherine wieder an. „Und die Unterstellung einer Lüge verbitte ich mir, Miss Ballard. Ich bin länger Anwalt als Sie überhaupt auf der Welt sind. Wenn Sie mich einer Straftat verdächtigen, sollten Sie Beweise bringen. Ich sehe, die haben Sie nicht. Meine Aussage als Zeuge haben Sie ja jetzt. Kann ich dann jetzt bitte gehen? Mein Flug nach Airam geht in zwei Stunden.“

        Katherine richtete sich auf und stellte sich hinter Borksh. Sie blickte ihren Chef an und hob fragend die Hände. Garnie seufzte und erhob sich. „Nun, Mister Borksh, Sie können jetzt gehen. Ich danke Ihnen für Ihre Zeit.“

        Borksh stand auf und strich sich sein abgewetztes braunes Jackett glatt. Er sah die beiden Polizisten an und sagte nur: „Ich wünsche Ihnen einen guten Tag!“ Dann ging er hinaus.

        Nachdem Borksh den Verhörraum verlassen hatte, setzte sich Katherine auf die Tischkante und stellte einen Fuß auf den Stuhl, auf dem der Anwalt eben noch gesessen hatte. „Der hat uns von vorne bis hinten angelogen, Sir“, brummte sie resigniert.

        „Das weiß ich, Katherine“, gab Garnie zerknirscht zurück, „aber er hat vollkommen Recht. Wir können ihm nichts beweisen. Wir können ihm nicht einmal eine Verbindung zu den Rulwakowas nachweisen. Bei ihm wurde nichts, aber auch rein gar nichts gefunden. Wenn man wenigstens das Gleiterbike finden würde, auf dem man ihn gesehen haben will. Aber es gibt hunderttausende davon in New York.“

        „Und was machen wir jetzt?“, wollte Katherine wissen.

        „Wir warten jetzt erst einmal auf die Ergebnisse, die Ihr neuer Freund uns präsentieren wird. Vielleicht kommen wir in dieser Richtung weiter.“ Garnie legte kameradschaftlich einen Arm um Katherine’s Schulter. „Schon zu Mittag gegessen?“

        Katherine schüttelte den Kopf und schaute auf ihren Chronographen. „Oh, schon fast drei Uhr! Nein, noch nicht Sir, aber Hunger hätte ich schon!“
        Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

        Mission accomplished.

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          #49
          Kommunikationszentrale, Frank Luthers Büro

          Leise fluchte Captain Luther vor sich hin. Garnie hatte ihm nachdrücklich aufgetragen, seine Verschlüsselungsmechanismen zu dokumentieren. Wenn Corporal Milner diese Aufzeichnungen zu Gesicht bekommen würde, und davon ging Luther aus, wäre seine glanzvolle Polizeikarriere jäh beendet. Warum musste ausgerechnet so kurz vor seiner Pensionierung ein junger Heißsporn, der sich nur vor seiner neuen Flamme wichtigmachen wollte, ihm auf die Schliche kommen? Dumm genug, dass diese neue Flamme eine hochrangige Polizeiagentin und Psychologin war. Luther war kein allzu guter Lügner, darüber war er sich im Klaren. Major Ballard würde ihn gleich beim ersten Verhör nach Strich und Faden auseinander nehmen. Er musste auf Zeit spielen, die Verbindung zu Oksana Rulwakowa war schon bekannt, jedoch war er schlau genug, die Senderquelle zu verschleiern. Allerdings bestand die Gefahr, dass Milner auch dies herausfinden würde. Luther wusste, dass Milner ein fähiger Programmierer und Softwarespezialist war, aber er war erfahrener.
          Luther schrieb aus dem Kopf seine gesamte Dokumentation nieder, was nicht sehr lange dauerte. Der Algorithmus war offensichtlich simpel, die Komplexität ergab sich erst in der detaillierten Betrachtung. Und hier betrat Captain Luther seine „Spielwiese“. Er begann auf Basis seiner vergangenen Arbeit, die Verschlüsselungen aufs Neue zu verändern – und zwar so, dass niemand ihn so schnell entdecken würde. Und dann würde er sich um Milner und Ballard kümmern müssen. Er musste die beiden aus dem Weg schaffen, und langsam formte sich in seinem Kopf ein Plan.



          Vorzimmer von Marshall Garnies Büro



          Joan und John saßen Stella gegenüber auf der bequemen Couch und warteten auf Marshall Garnies Rückkehr. Während Joan genüsslich an einer Tasse Kaffee nippte, rutschte John nervös hin und her. Immer wieder betrachtete er Oksanas kleinen Computer und murmelte: „Kannst du uns sagen, wo du die Daten her hast?“

          Joan betrachtete ihn amüsiert von der Seite. „Sprechen Sie immer mit technischen Geräten?“, fragte sie ihn teils belustigt, teils mitleidig.

          Milner blickte die hübsche Agentin irritiert an. „Nur wenn sie nicht das tun, was ich von ihnen erwarte. Allerdings werden sie dann mit den wüsteten Flüchen belegt.“

          „Na dann …“, erwiderte Joan grinsend und wandte sich wieder ihrem Kaffee zu. In diesem Moment betraten Garnie und Katherine das Büro.

          „Lieutenant Landor, Corporal Milner! Mitkommen!“ Als Garnies Leute sich in seinem Büro versammelt hatten, schloss er die Tür. „Was haben Sie?“, fragte er, an Milner gewandt.

          Milner stellte den kleinen weißen Kasten auf Garnies Schreibtisch. „Sir, dieser Computer enthält exakt dieselben Dateien, wie sie von hier verschickt wurden. Ob sie weiter kopiert wurden, kann ich im Moment noch nicht sagen, dazu muss ich ihn genauer unter die Lupe nehmen.“

          Garnie nickte. „Dann tun Sie das. Sonst noch etwas?“

          „Ja Sir, um zurück zu verfolgen, von wo die Daten hier verschickt wurden, benötige ich einige Geräte und Zugriff auf die Netzwerkkomponenten sowie unsere Datenbanken.“

          Garnie nickte wieder. „Genehmigt, Milner. Alles was Sie brauchen.“

          „Sir, darin liegt die Schwierigkeit. Ich habe keine Autorisierung, ich bin nur Corporal. Die Autorisierung erfordert mindestens den Dienstgrad Lieutenant.“

          Garnie sah Milner ernst an und zog argwöhnisch eine seiner buschigen Augenbrauen nach oben, der Corporal hielt seinem Blick stand. Dann wandte sich Garnie ab und blickte abwechselnd Katherine und Joan an. Die beiden Frauen ahnten schon, was jetzt kommen würde und grinsten sich gegenseitig an. Garnie ging hinter seinen Schreibtisch und setzte sich. „Ich muss kurz etwas nachprüfen, dauert nur einen Moment.“ Garnie gab Befehle in sein Terminal ein und öffnete einige Dokumente. Zwei Minuten lang herrschte eine stille Anspannung im Büro, dann rief der Marshall: „Da ist es ja! Ich zitiere aus den Beförderungsvorschriften des Polizeigesetzes: ‚… kann einem Unteroffizier vorübergehend ein höherer Dienstgrad übertragen werden, wenn bestimmte Fachkenntnisse gegeben oder ermittlungstaktische Vorgehensweisen erforderlich sind. ‘ Na also! Hatte ich es doch richtig in Erinnerung.“
          Garnie stand auf und ging an einen Stahlschrank, um ihn zu öffnen. Er holte zwei kleine, silbern glänzende Gegenstände heraus und ließ sie in seiner Faust verschwinden.
          „Corporal Milner, meine Damen, nehmen Sie bitte Haltung an!“ Der junge Mann tat wie ihm befohlen, Joan und Katherine ebenfalls. „Hiermit ernenne ich Sie, Corporal John Milner, zum Lieutenant. Sie erhalten diesen Dienstgrad kommissarisch und für die Dauer der Ermittlungen. Zusätzlich übertrage ich Ihnen die Eigenschaft eines Commissioners. Damit sind Sie befugt, selbstständig zu ermitteln und auf polizeieigene Ressourcen, personell wie materiell, zurück zu greifen. Sie unterstehen und berichten ausschließlich mir. Stehen Sie bequem!“

          Milner war sprachlos und mit der Situation merklich ein wenig überfordert. Er blickte hinüber zu Katherine, die ihn aufmunternd anlächelte. Dann räusperte er sich und sagte: „Vielen Dank, Sir. Ich werde mein Bestes geben.“

          Garnie drückte die Dienstgradabzeichen den beiden Frauen in die Hand. „Wenn Sie so freundlich wären, Lieutenant Milner die Sterne an den Kragen zu heften.“

          Joan und Katherine ließen sich das nicht zweimal sagen, sofort machten sie sich daran, die Winkel eines Corporals gegen die silbernen Sterne auszutauschen. Katherine hauchte John einen Kuss auf die Wange und flüsterte: „Herzlichen Glückwunsch, John. Und jetzt sorge dafür, dass du die Sterne auch behältst!“

          Garnie hatte dies mitbekommen und sagte: „Machen Sie sich da mal keine Sorgen, Major. Den Antrag zur Offiziersausbildung habe ich heute Morgen genehmigt. Wenn dieser Fall abgeschlossen ist, geht Corporal, Entschuldigung, Lieutenant Milner direkt wieder auf die Polizeischule. So, und jetzt raus mit euch! Alle an die Arbeit!“

          Milner meldete sich zu Wort. „Sir, ich brauche noch ein Büro, in dem ich ungestört arbeiten kann. In der Zentrale wird das wohl kaum noch möglich sein.“

          „Zufälligerweise steht das Büro gegenüber von meinem leer“, warf Katherine grinsend ein.

          Garnie bedachte beide mit einem bösen Blick, dann seufzte er: „Einverstanden, aber ich will nicht, dass Ihrer beider Arbeit unter Ihrer gegenseitigen Nähe leidet. Sollten mir Klagen kommen, werde ich Sie beide so voneinander trennen, dass Sie sich nur noch nach Dienstschluss zu Gesicht bekommen. Ist das klar?“ Drohend zeigte er abwechselnd auf Katherine und John.

          „Jawohl Sir!“, antworteten beide im Chor und zwinkerten sich gegenseitig zu.

          Garnie griff noch einmal in den Schrank, während John Oksanas Computer wieder einpackte. „Hier, John, den haben Sie heute Morgen bei mir vergessen“, sagte er und reichte John die Whiskeyflasche.

          Katherine und John verließen Garnie’s Büro, während Joan noch einen Moment blieb. „Sir, sind frisch Verliebte immer so nervig?“ Joan blickte ihren Chef mit ihren großen blauen Augen fragend an.

          Garnie lachte leise. „Ach Joan, Sie waren hier im Haus die Letzte, die es so erwischt hat … Sie sollten es selbst am besten wissen.“


          Auf dem Flur gingen Katherine und John einen Moment schweigend nebeneinander her. Als sie an ihren Büros ankamen, fragte John: „Kat, wollen wir heute Abend ein wenig feiern?“

          Katherine überlegte einen Moment, bevor sie antwortete. „Es kann heute Abend recht spät werden, John. Ich habe noch so viel zu tun, bis acht habe ich mit Nurara noch einen Test zu machen, für neun ist diese verdammte Pressekonferenz angesetzt, bis ich da raus bin, kann es Mitternacht sein. Und eigentlich müsste ich noch Nuraras Gutachten fertig machen, damit ich es Professor Kesselring schicken kann. Du weißt doch, dass ich ab Montag für zwei Wochen nach Hause fahre. Morgen ist Freitag, frag mich morgen noch mal, okay?“

          Etwas enttäuscht zuckte John mit den Schultern. „Okay, dann morgen. Sehen wir uns denn heute noch mal?“

          Katherine schlang ihre Arme um Johns Hals und küsste ihn auf die Nasenspitze. „Ich fange um sechs mit dem Test an. Wenn du es hinkriegst, kannst du mich um halb sechs oben von meinem Appartement abholen, dann könnten wir noch eine Kleinigkeit essen gehen.“

          Johns Miene erhellte sich. „Ja, gerne! Ich hole dich ab!“

          Katherine hob mahnend den Zeigefinger. „Da ist nur noch eine winzige Sache. Wir nehmen Nurara und Jonathan McCabe mit!“

          Johns fröhlicher Gesichtsausdruck fiel gleich wieder in sich zusammen, für einen Moment, dann lächelte er. Ihm war es egal, wer noch mit anwesend sein würde, Hauptsache, er konnte die Gesellschaft dieser wunderschönen Frau genießen. „Da habe ich keine andere Wahl, oder?“

          Katherine grinste verschmitzt. „Doch, die hast du. Aber ich glaube nicht, dass du gerne alleine bist, oder?“ Mit diesen Worten ließ sie John vor dem leeren Büro stehen und verschwand in ihrem. John sog noch einmal den schwachen Duft ihres Parfums ein und machte sich sogleich an die Arbeit.

          Nach einer Weile stellte John fest, dass ihm einige Utensilien fehlten, die er sich aus der Zentrale holen musste. Er fuhr mit dem Turbolift hinunter ins Erdgeschoß und betrat den klimatisierten Raum. Als er an der geschlossenen Türe von Captain Luthers Büro vorbeiging, wurde diese mit einem Krachen aufgerissen.

          „Milner! Kommst du auch endlich mal! Wo zum Teufel hast du die ganze Zeit gesteckt?“, brüllte Luther über den schmalen Flur.

          John machte kehrt und ging direkt auf den dicken Captain zu. „Frank, ich brauche ein paar Dinge. Einen ZR-6, ein paar externe Speicherkarten, Monitor, Tastatur und so weiter.“

          Luther sah irritiert an. „Was? Was willst du? Wozu brauchst du einen ZR-6? Und wer hat dich zum Lieutenant gemacht?“

          John grinste Luther stolz und unverhohlen an. „Marshall Garnie hat mir den Dienstgrad vorläufig übertragen, damit ich im Fall dieses Datenlecks selbstständig ermitteln darf. Im Übrigen bin ich Commissioner und kann über dein Equipment frei verfügen. Dürfte ich dich also um die Geräte bitten, Frank?“

          „Einen Scheißdreck, John! Ich werde …“

          John fiel seinem Abteilungsleiter barsch ins Wort: „Willst du gleich mit dem Marshall reden? Dann bist du schneller hier raus als dir lieb ist!“ Den Ton, den John anschlug, missfiel Luther ziemlich.

          „Alle Achtung, du hast echt Mut, John. Aber dein Dienstgrad schützt dich nur vorübergehend! Pass bloß auf, mit wem du dich anlegst! Und jetzt nimm dir die Sachen und verpiss dich!“ Luther verschwand wieder in seinem Büro und schlug die Tür lautstark ins Schloss.

          John packte die Geräte auf einen Schwebekarren und fuhr wieder nach oben. Auf dem Flur begegnete er Marshall Garnie. Er sprach ihn an: „Sir? Auf ein Wort bitte.“

          „Ja, Lieutenant? Was gibt es?“

          John kratzte sich am Hinterkopf. „Sir, Frank, ich meine Captain Luther, scheint nervös zu werden. Ich glaube, er hat gemerkt, dass wir ihn im Visier haben.“

          Garnie blickte den jungen Mann skeptisch an. „Woran machen Sie das fest, John?“

          John machte ein grimmiges Gesicht und antwortete: „Er hat mich eben aufs übelste beschimpft, er hat mir die Unterstützung verweigert und mir gedroht, ich solle aufpassen, mit wem ich mich anlege.“

          Garnie klopfte John väterlich auf die Schulter. „Danke, John. Ich lasse mir etwas einfallen. Gegebenenfalls muss ich Captain Luther für die Dauer der Ermittlungen suspendieren.“

          Da Katherine John für den Abend eine Absage erteilt hatte, richtete John sich ebenfalls auf einen langen Abend ein. Einerseits musste er Oksanas Computer gründlich untersuchen, andererseits musste er herausfinden, von wo aus die Daten verschickt wurden. Da täglich mindestens zweitausend Polizeibeamte in dem riesigen Gebäudekomplex an mehr als doppelt so vielen Computerterminals und mobilen Einheiten arbeiteten, erwies sich die Suche als die nach der berühmten Nadel im Heuhaufen. Milner schrieb ein kleines Programm, das er mit den aus Oksanas Computer gewonnenen Erkenntnissen fütterte und einen Wegeplan über Router und Switches innerhalb und außerhalb des Polizeipräsidiums simulierte. Jedoch stoppte das Programm immer wieder an unterschiedlichen Stellen, die keinen Sinn ergaben. Irgendwann schaltete John fluchend den Computer aus und sah auf die Uhr, es war kurz vor halb sechs. Zeit für ihn, Katherine abzuholen.

          Das gemeinsame Abendessen verlief in lockerer Stimmung. Katherine und Jonathan unterhielten sich angeregt über Verfahrenstechniken und Befragungsmethoden. John hörte aufmerksam zu, nur Nurara stocherte etwas abwesend in ihrem Essen herum. John und Nurara saßen einander gegenüber und John versuchte immer wieder mittels Blickkontakt die junge Frau zu einer Reaktion zu bewegen. Irgendwann wurde es Nurara zu bunt. Sie verdrehte die Augen und fragte: „Warum starren Sie mich die ganze Zeit so an? Ich bin keine Zirkusattraktion!“

          „Ich frage mich die ganze Zeit, ob Ihre Haarfarbe echt ist“, gab John unverblümt zu.

          „Ja, ist sie. Auf dem Mars gibt es viele Menschen mit grünen Haaren. Ist dort nichts Besonderes“, antwortete Nurara mit einem bissigen Unterton.

          „Entschuldigen Sie, Nurara, ich wollte Ihnen nicht zu nahe treten. Ich habe nur so ein intensives grün noch nie gesehen“, gab John bedauernd zurück.

          „Schon in Ordnung“, antwortete Nurara eine Spur freundlicher, „ich wollte Sie nicht so anfahren, ich bin nur wegen morgen ziemlich aufgewühlt. Es tut mir Leid.“

          Katherine und Jonathan tauschten beeindruckte Blicke aus. Nurara hatte sich für einen verbalen Fauxpas entschuldigt. Noch vor zwei Wochen hätte sie ihr Gegenüber in beleidigender Weise abgekanzelt. Es schien, als säße eine ganz andere Person an diesem Tisch. Katherine blickte auf ihren Chronographen und stand auf. „Ich denke, es wird Zeit dass wir anfangen. Mr. McCabe, wollen Sie dem Test beiwohnen?“

          Jonathan erhob sich ebenfalls. „Aber immer doch! Deswegen bin ich ja hier“, antwortete er lächelnd und packte seine Sachen zusammen.

          John reichte Nurara zum Abschied die Hand. „Ich wünsche Ihnen für morgen alles Gute und viel Kraft.“

          Mit einem ehrlichen Lächeln packte Nurara zu, John war erstaunt über ihren überaus festen Händedruck. „Danke John“, war ihre knappe Antwort.
          Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

          Mission accomplished.

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            #50
            Das Ende von Kapitel 6.


            Medizinisches Labor, 21. Stock

            Der Raum für den Lügendetektortest war durch eine Wand mit einem schalldichten breiten Fenster getrennt. Auf der einen Seite befand sich der Auswerteraum, von dem aus der Psychologe seine Fragen stellte, auf der anderen Seite standen eine üppig gepolsterte Formliege und ein Galgen, an dem ein dickes Bündel Kabel mit Elektroden und Kontakten herab hing. Die Liege war so positioniert, dass Psychologe und Patient keinen Sichtkontakt zueinander hatten Diese Seite des Raums war hell gestrichen und wirkte klinisch und kühl.
            Katherine führte Nurara in diesen Raum, während Jonathan auf der anderen Seite wartete. „Bitte legen Sie sich auf die Liege und machen es sich so bequem wie möglich. Wenn Sie wollen, können Sie ihre Stiefel ausziehen. Und ziehen Sie bitte ihr Oberteil etwas hoch, ich muss Ihnen diese Elektroden hier anbringen.“

            „Wozu sind diese Kabel gut?“, wollte Nurara wissen.

            Katherine nahm drei rot markierte Kabel mit Saugnäpfen in die Hand und sagte: „Diese drei bringe ich jetzt an Ihrer Brust an, sie messen Herzfrequenz und Atmung.“ Dann griff sie nach drei blauen Kabeln und befestigte sie an Nuraras Schläfen und Stirn. „Diese Elektroden messen Ihre Hirnströme. Und die letzten drei hier kommen an Ihre Halsschlagader und Ihre beiden Zeigefinger. Die sind für Puls, Blutdruck und Adrenalinausstoß.“ Katherine bedachte die andere Frau mit einem gütigen Blick und streichelte ihr übers Haar. „Wie fühlen Sie sich?“, fragte sie einfühlsam.

            Nurara zog eine Grimasse. „Wie ein Cyborg, dem gleich Stromstöße durch den Körper gejagt werden, damit er zum Leben erwacht.“

            Katherine lachte leise auf. „Na ganz so schlimm wird es nicht werden. Ich erkläre Ihnen jetzt kurz, wie das hier abläuft. Ich stelle Ihnen zu Beginn ein paar Testfragen, die nicht gewertet werden. Sie dienen dazu, den Detektor auf Ihr vegetatives Nervensystem einzustellen. Drei bis vier Fragen sollten genügen. Ich möchte, dass Sie die Fragen intuitiv, ohne lange zu überlegen, mit Ja oder Nein beantworten. Bei zwei Fragen beantworten Sie bitte wahrheitsgemäß, bei den anderen Fragen lügen Sie bitte, was das Zeug hält. Diese Fragen sind einfach und nachprüfbar. Im Übrigen kann der Detektor unterscheiden, ob Sie bewusst lügen oder unwissentlich eine falsche Antwort geben. Dann frage ich Sie, ob Sie bereit sind und wir legen los. Das ganze wird etwa eine Stunde dauern. Wenn Sie zwischendurch mal raus müssen, können wir jederzeit unterbrechen. Soweit klar?“

            Nurara hob den Daumen. „Alles klar.“

            „Also dann!“ Katherine verließ den Raum und schloss die schalldichte Tür. Jonathan hatte sich einen Block und einen Stift bereit gelegt, um während des Tests Notizen zu machen.

            „Werden noch Wetten angenommen, Miss Ballard?“, witzelte er.

            Katherine ließ sich in den Sessel vor dem Auswertecomputer fallen und sagte: „Sicherlich, aber die Quoten stehen schlecht für Zweifler.“

            Jonathan tippte mit dem Stift auf den Block. „Sie meinen, Nurara wird den Test bestehen?“

            Katherine antwortete mit einen breiten Grinsen: „Davon bin ich hundertprozentig überzeugt. Sie etwa nicht?“

            Jonathan blickte etwas verträumt zum Fenster in Richtung der Liege und sprach leise: „Nicht ganz, aber Sie glauben nicht, wie sehr ich es mir wünschen würde – für Sam.“

            Der Computer war zwischenzeitlich hochgefahren, auf den einen Monitor lud Katherine die Liste der Fragen, die sie vorbereitet hatte, auf dem anderen Monitor erschien ein dreigeteiltes Bild, auf denen Linien auf Skalen gezeichnet wurden. „Sam ist der Grund, warum Nurara diesen Test erfolgreich abschließen wird. Sie liebt ihn wirklich“, meinte Katherine leise und schaltete das Mikrofon ein. „Nurara, können Sie mich hören?“

            „Laut und deutlich, Kat“, kam Nuraras Antwort mit leicht belegter Stimme aus einem versteckten Lautsprecher.

            „Gut, wir fangen an. Bitte antworten Sie ab jetzt nur noch mit Ja oder Nein. Testfrage eins: Hat die Erde einen Mond?“

            „Ja.“ Der Monitor zeigte keine Ausschläge.

            „Testfrage zwei: Sind Sie eine Frau?“

            „Ja.“

            „Testfrage drei: Gefriert Wasser unter null Grad Celsius?“

            „Nein.“ Auf dem Monitor schlugen alle Linien mit Spitzen nach oben aus.

            „Testfrage vier: Sind zwei plus drei sieben?“

            „Ja.“ Wieder Vollausschlag bei allen Messpunkten.

            „Danke Nurara, einen kurzen Moment noch, dann kommen die scharfen Testfragen.“ Katherine schaltete das Mikrofon aus und sah Jonathan an. „Wie sieht es mit Ihnen aus? Bereit?“

            Jonathan nickte. „Fangen Sie an.“

            Katherine schaltete das Mikrofon wieder ein. „Okay, Nurara, anschnallen, es geht los. Erste Frage: Heißen Sie Nurara?“

            „Ja.“

            „Tragen Sie einen Familiennamen?“

            „Nein.“ Die Linien erzitterten leicht. Anscheinend hatte Nurara die Frage fehlgedeutet.

            „Hatten Sie in der Vergangenheit einen Familiennamen?“

            „Ja.“ Die Linien blieben ruhig.

            „Haben Sie den Namen abgelegt?“

            „Ja.“ Wieder keine Bewegung auf den Linien.

            „Waren Sie die Geliebte von Vul Kuolun?“

            „Ja.“ Die Stresslinie zeigte einen merklichen Ausschlag, der nur langsam wieder zurückging.

            „Lieben Sie Kuolun noch?“

            „Nein.“ Nuraras Antwort klang leicht gereizt, aber sämtliche Linien blieben ruhig, auch die Stresslinie hatte den Ausgangspegel wiedergefunden.

            „Gibt es im Moment jemanden, dem Sie vertrauen und zu dem Sie sich hingezogen fühlen?“

            „Ja.“

            „Ist es Samuel McCabe?“

            „Ja.“ Nuraras Puls und Blutdruck stiegen leicht an. Für Katherine war das ein sicheres Zeichen, dass Nurara allein beim Hören des Namens positive Empfindungen verspürte. In unregelmäßigen Abständen streute Katherine Fragen ein, die nichts mit Nurara oder ihrem Fall zu tun hatten, sondern sich auf ihr Allgemeinwissen stützten oder aus Politik und Gesellschaft entnommen waren. Diese Fragen dienten dazu, den Patienten etwas zu beruhigen und ihn abzulenken, damit er unvorbereitet wieder mit fallbezogenen Fragen konfrontiert werden konnte. Eine knappe dreiviertel Stunde war bereits vergangen.

            „Verbrennt unsere Sonne Wasserstoff zu Helium?“

            „Ja.“

            „Haben Sie schon einmal vorsätzlich ein vernunftbegabtes Lebewesen getötet?“

            „Nein.“ Die Linien bewegten sich nicht.

            „Haben Sie schon einmal den Wunsch verspürt, ein vernunftbegabtes Wesen vorsätzlich zu töten?“

            „Ja.“

            „Wären Sie in der Lage gewesen, diesem Wunsch nachzukommen?“

            „Ja.“

            „Hat Ihr Gewissen verhindert, dass Sie diesen Wunsch in die Tat umsetzen?“

            „Ja.“ Bei allen drei Fragen bewegten sich die Linien keinen Millimeter.

            Katherine schaltete das Mikrofon kurz ab und wandte sich an Jonathan: „Ich denke, wir können aufhören. Ich habe genug Antworten.“

            Jonathan nickte. „Dann befreien Sie meine Mandantin.“

            Katherine schaltete das Mikrofon wieder ein: „Nurara, eine letzte Frage. Mögen Sie mich?“

            „Nein.“ Alle Linien wanderten nach oben aus.

            Katherine schaltete ab. Belustigt sagte sie zu Jonathan: „Ich wusste, dass sie so antwortet. Sie liebt es, ihre Zeitgenossen manchmal auf den Arm zu nehmen.“

            „Und? Wie hat sie abgeschnitten?“, fragte Jonathan, der sich streckte.

            „Es sieht sehr gut aus, Mr. McCabe. Ich muss natürlich das gesamte Protokoll im Detail auswerten, das mache ich gleich im Anschluss allein, aber ich kann Ihnen jetzt schon sagen, dass Ihre Mandantin die absolute Wahrheit gesagt hat. Das Ergebnis nehme ich nachher zur Pressekonferenz mit.“

            Nurara hatte sich derweil sämtlicher Kabel entledigt und den Auswerteraum betreten. In ihren blauen Augen standen große, erwartungsvolle Fragezeichen. „Und? Wie war ich?“, fragte sie nervös. Es war deutlich zu sehen, dass ihre Hände leicht zitterten.

            Katherine nahm Nurara lachend in den Arm und drückte sie fest an sich. „Nurara, du bist ein gutes Mädchen! Du hast den Test zweifelsfrei bestanden!“ Katherine verzichtete in voller Absicht auf das „Sie“.

            Auch Jonathan nahm Nurara väterlich in den Arm. „Ich gratuliere Ihnen, Nurara. Sie sind Ihrer Freiheit ein ganzes Stück näher gekommen. Wir können sehr zuversichtlich morgen an Ihren Prozess herangehen.“

            Katherine ergriff das Wort: „Okay, Leute, ich werde jetzt noch den Bericht mit den Auswertungen anfertigen und sehe Sie, Mr. McCabe, dann nachher bei der Pressekonferenz.“

            Jonathan nickte und bot Nurara einen Arm an. „Wollen wir? Sam wird sicherlich schon irgendwo warten.“

            Nurara hakte sich lächelnd unter und gemeinsam verließen sie das Testlabor. Draußen wurden sie von einem Officer empfangen, der sie in diskretem Abstand begleitete. Nurara betrachtete den nachdenklich wirkenden älteren Mann von der Seite. „Was ist mit Ihnen? Sie sind jetzt auf einmal so schweigsam“, sagte sie.

            Jonathan gab einen leisen Seufzer von sich. „Wissen Sie, ich bin in diesem Moment sehr erleichtert. Sie haben mir mit diesem Testergebnis eine große Last von den Schultern und eine Sorge genommen.“

            Nurara runzelte die Stirn. „Was für eine Sorge?“, wollte sie wissen.

            „Die Sorge, ob Sie die Richtige für Sam sind.“ Jonathan sah Nurara direkt ins Gesicht.

            Nuraras Mundwinkel zuckten, sie wusste in diesem Augenblick nicht, ob sie sich freuen oder ärgern sollte. „Ob ich was? Haben Sie an mir gezweifelt?“

            Jonathan blieb stehen und löste sich aus Nuraras Arm. „Ja, bis eben hatte ich wirklich Zweifel, ob ich eine Verbindung zwischen Ihnen und meinem Sohn dauerhaft dulden sollte. Momentan ist Sam wegen Ihnen nicht sonderlich gut auf mich zu sprechen. Glauben Sie mir, Nurara, Samuel liebt Sie von ganzem Herzen. Er hat schon einmal eine Frau verloren, ein weiterer, wie auch immer gearteter Verlust würde ihn umbringen. Beantworten Sie mir bitte eine Frage. Was hätte Sam von einer Partnerin, die den Rest ihres Lebens im Gefängnis verbringen muss?“

            Nurara zuckte mit den Schultern und antwortete: „Nichts?!“

            Jonathan nickte. „Ganz richtig, rein gar nichts. Außer Gram und Trauer über einen Menschen, den man ihm sogar zu Recht weggenommen hat. Sie haben es in der Hand, meinen Sohn glücklich zu machen. Tun Sie es! Mehr will ich gar nicht von Ihnen.“

            Nuraras Mundwinkel verzogen sich jetzt endlich zu einem Lächeln. „Ich habe viel zu lange Menschen betrogen und ausgenutzt, dabei habe ich auch immer geglaubt, das Richtige getan zu haben. Ich habe es wirklich geglaubt!“, sagte Nurara bestimmt und ballte eine Faust. „Jetzt ist es anders. Es kann sein, dass Sie mir jetzt vertrauen, dass Kat mir vertraut, Sam sowieso. Garnie, Newton und Joan tun es vielleicht noch nicht wirklich, aber die letzten zwei Wochen haben mir gezeigt, wie schön es sein kann, wirklich gemocht zu werden. Sie werden es vielleicht nicht glauben, aber die letzten Nächte waren seit langem die ersten, in denen ich wieder tief und fest durchgeschlafen habe. Ich will mit diesem Kapitel endlich abschließen.“

            Jonathan sah die junge Frau für einen Moment ernst an, dann lächelte er. „Nurara, ich glaube Ihnen. Jeder Mensch, jedes intelligente Wesen hat eine zweite Chance verdient. Sie verdienen sie unbedingt.“ Er legte einen Arm um Nuraras Schulter, dann gingen sie zum Aufzug.


            Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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              #51
              Kapitel 7

              Polizeipräsidium, großer Konferenzsaal

              Die Pressekonferenz lief seit nunmehr einer knappen Stunde. Zu Garnies Erstaunen hatte sich das große Auditorium bis auf den letzten Platz gefüllt. An den Seiten und im rückwärtigen Bereich hatten sich lokale und internationale Fernsehteams postiert. Garnie und Ed Fox hatten als erstes ihre Presseerklärungen abgegeben, danach hatte Katherine in allgemeinen und unverbindlichen Worten Nuraras Situation erläutert und in diesem Moment schloss Jonathan McCabe sein Statement ab. Die Stimmung im Saal war verhalten und ruhig. Die Journalisten aus aller Welt lauschten gebannt Jonathans Worten.
              „… demnach erwarten wir zum Abschluss des Prozesses zwar keinen Freispruch, aber hoffen auf Grund der Geständigkeit und der Reue meiner Mandantin ein mildes Urteil, welches in einer Resozialisierung münden könnte. Dies ist bereits beim zuständigen Senat beantragt. Vielen Dank!“

              Marshall Garnie ergriff wieder das Wort. „Vielen Dank, Mr. McCabe. Meine Damen und Herren, Sie können jetzt Fragen stellen.“ Einige hundert Hände hoben sich. Garnie pickte sich einen jungen Mann aus dem Mittelfeld der Sitzreihen heraus. „Sie, bitte!“

              Der Mann stand auf. „Joseph Traynor, Manhattan Daily, eine Frage an Staatsanwalt Fox. Sir, Nurara ist oder war eine intersystemweit gesuchte Schwerverbrecherin. Finden Sie es nicht gewagt, einem so riskanten Vorhaben wie der Resozialisierung zuzustimmen?“

              Fox räusperte sich. „Mr. Traynor, unser Rechtssystem ist begründet auf Demokratie, Freiheit und dem guten Willen jedes Einzelnen, nicht auf Terror, Strafe und Angst. Natürlich werden derartige Verfehlungen wie in diesem Fall von den zuständigen Behörden verfolgt und verurteilt. Und natürlich ist die Liste der Anklagepunkte enorm, aber nach geltendem Recht ist Nurara nicht – ich wiederhole – nicht vorbestraft. In diesem Sinne gilt sie als Ersttäterin und das wird das Gericht entsprechend anerkennen. Ich als Staatsanwalt bin verpflichtet, diesen Umstand ebenfalls anzuerkennen. Ich werde selbstverständlich unter Würdigung der Qualität der begangenen Verbrechen eine Gefängnisstrafe beantragen, wenn aber die Angeklagte mir glaubhaft ihre Reue versichern kann, bin ich geneigt den Anträgen der Verteidigung zu folgen.“

              Eine Asiatin hob die Hand. „Tashiki Yakumo, Tokyo Herald. Marshall Garnie, gibt es einen Zusammenhang zwischen Vul Kuolun, Nurara und den jüngsten Ereignissen in Queens?“

              Garnies Augen wurden groß und Katherine klappte die Kinnlade herunter. Er schüttelte den Kopf und fragte: „Wie kommen Sie darauf, Miss Yakumo?“

              Yakumo grinste frech und sagte: „Weil das nach Kuoluns Handschrift aussieht. Außerdem hatte Kuolun mit den Rulwakowas nach meinen Informationen noch eine Rechnung offen.“

              Garnie lächelte charmant und antwortete: „Da sind Sie leider falsch informiert, meine Liebe. Erstens sitzt Kuolun in einem Hochsicherheitsgefängnis ohne Kontakt zur Außenwelt in Untersuchungshaft und zweitens ist der Sachverhalt genau umgekehrt. Die Rulwakowas wurden von Kuolun betrogen und hätten ihrerseits Grund gehabt, ihn in die Luft zu sprengen oder ähnliches zu tun. Es gibt keinen kausalen Zusammenhang zwischen den besagten Personen und noch weniger mit diesem Fall. Noch weitere Fragen? Ja, Sie bitte.“ Garnie zeigte auf einen Mann mittleren Alters in einem zerknautschen Trenchcoat.

              „Walter Spunke, Bild Online, Deutschland. Ist Nurara selbst zu einer Stellungnahme bereit?“

              Katherine verdrehte beim Hören des Namens der Zeitung die Augen. Jonathan antwortete: „Nein, Mr. Spunke. Meine Mandantin ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt zu keiner Stellungnahme bereit.“

              Spunke bohrte weiter. „Wäre die Angeklagte während oder nach dem Prozess für ein Exklusivinterview zu haben?“

              Jonathan zog gereizt die Augenbrauen zusammen. „Mr. Spunke, meine Mandantin wird aus Sicherheitsgründen weder während noch nach dem Prozess für Ihr Revolverblatt zur Verfügung stehen. Auch wenn sie mit einer Haftstrafe aus dem Prozess herausgeht, wird sie sich einen Rest Würde behalten und davon Abstand nehmen, Ihnen ein Interview zu geben. Dafür sorge ich.“

              Spunke wollte noch zu einer weiteren Frage ansetzen, wurde aber von Garnie abgewürgt. „Danke, Mr. Spunke. Gibt es noch weitere Fragen?“ Nur eine Hand wurde noch gehoben. „Bitte!“, sagte Garnie.

              Eine hübsche junge Frau mit braunen Locken erhob sich. „Jolanthe de Lacroix, Le Monde. Marshall Garnie, trifft es zu, dass Ihre Behörde zurzeit mit einem Datenleck zu kämpfen hat und Sie deswegen diese Pressekonferenz einberufen haben?“

              Mit einem Mal wurde es still im Saal. Hie und da blitzten ein paar Fotoapparate auf. Garnie und Katherine tauschten einen kurzen Blick aus und nickten sich zu. Er beugte sich dicht über das Mikrofon. „Ja, das ist richtig, allerdings nur zum Teil. Fakt ist, dass Daten mit nachrangiger Vertraulichkeitseinstufung versehentlich an Stellen gegeben worden sind, die nicht in diesen Fall involviert sind. Falsch ist, dass Hacker illegal in unser Netzwerk eingedrungen sind und Daten entwendet haben.“ Garnie hatte mit dieser Aussage nur zum Teil gelogen. Im Saal erhob sich ein Raunen.

              Lacroix hakte nach. „Wurde deshalb der Anwalt von Vul Kuolun, Zistavan Borksh, am Central Air- and Spaceport von der Stadtpolizei festgenommen?“

              Garnie’s Miene blieb unbeeindruckt, obwohl es in ihm kochte. „Mister Borksh wurde nicht festgenommen, sondern als Zeuge vorgeladen. Nach seiner Aussage konnte er wieder gehen.“

              Die junge Französin ließ nicht locker. „Hat Zistavan Borksh denn unmittelbar mit dem Datenskandal zu tun?“

              Garnie wurde langsam etwas ungehalten. „Miss de Lacroix, zum ersten möchte ich Sie bitten, von der Benutzung des Begriffs ‚Datenskandal’ abzusehen, so etwas passt eher zu Ihrem Kollegen Spunke, es gibt keinen Skandal. Zum zweiten: kein Kommentar.“ Damit lenkte Garnie die Pressemeute auf den deutschen Reporter. Spunke blickte den Marshall wenig amüsiert an.

              „Wo befindet sich Zistavan Borksh zurzeit?“, fragte die Französin, ohne locker zu lassen.

              „Das wissen wir nicht.“, antwortete Garnie trocken. „Er hat uns als freier Bürger verlassen und ist vermutlich auf dem Weg zu seinem Mandanten.“ Garnie gab den Polizeibeamten im rückwärtigen Teil des Saales einen Wink worauf sie die breiten Doppelflügeltüren öffneten. Er erhob sich und sagte: „Meine Damen und Herren, die Pressekonferenz ist hiermit beendet. Vielen Dank für Ihr Interesse. Zum Fortgang des Prozesses wird die Staatsanwaltschaft Sie mit Presseinformationen versorgen. Vielen Dank.“

              Die Journalisten erhoben sich fast gleichzeitig von ihren Sitzen und warfen Fragen tumultartig durcheinander. Garnie, Katherine und die beiden Anwälte verließen über einen Seitenausgang den Saal.
              Auf dem Flur lehnte sich Katherine lässig an die Wand und sagte zu ihrem Chef: „Na, für die Presse war das ja mehr als dürftig. Das wird die Gerüchteküche ganz schön brodeln lassen.“

              Garnie kraulte sich den Schnauzbart. „Wieso? Wir haben den Geiern Futter gegeben und sind sogar weitestgehend bei der Wahrheit geblieben. Es muss klar sein, dass wir in einem laufenden Verfahren nicht jedes Detail veröffentlichen werden. Das weiß die Presse genauso gut wie wir.“ Die beiden Anwälte nickten zustimmend. „Das einzige, was mir sauer aufstößt, ist der Umstand, dass wieder einmal das Wort „Skandal“ gefallen ist. So etwas wird von Leuten wie diesem reaktionären Spunke und dieser linken Lacroix gerne als gefundenes Fressen angesehen.“

              Jonathan blickte auf seinen Chronographen. Es war mittlerweile nach zehn. „Miss Ballard, meine Herren, ich darf mich verabschieden, ich habe für morgen noch einiges vorzubereiten. Miss Ballard, werden Sie morgen zugegen sein?“

              Katherine nickte. „Ich denke schon.“

              Ed Fox mischte sich ein. „Es könnte durchaus sein, dass Sie gegebenenfalls als Gutachterin aussagen müssen, stellen Sie sich bitte darauf ein. Vielleicht nicht morgen oder an den darauffolgenden Verhandlungstagen, aber sicherlich gegen Ende des Prozesses.“

              Sie nickte wieder. „Verstehe. Wäre ja nicht das erste Mal, dass ich als Ermittlerin vor Gericht aussagen muss. Als Psychologin ist es aber eine Premiere für mich.“

              Jonathan verabschiedete sich zusammen mit Fox. Und so blieben nur noch Garnie und Ballard übrig. „Machen Sie Feierabend, Katherine. Sie sehen ziemlich müde aus“, sagte Garnie und legte ihr eine Hand auf die Schulter. „Ich werde mich jetzt auch auf den Heimweg machen, damit mich meine Frau auch einmal vor Mitternacht zu sehen bekommt.“

              In diesem Moment bemerkte Katherine tatsächlich ihre Müdigkeit und begann hinter vorgehaltener Hand herzhaft zu gähnen. Dann sagte sie: „Ich denke, Sie haben Recht, Sir. Gute Nacht!“

              „Gute Nacht, Katherine und danke für Ihre hervorragende Arbeit.“ Garnie drückte den Knopf des Aufzuges und forderte zwei Kabinen an, für sich nach unten und für Katherine nach oben.
              Katherine drückte auf die „36“ und die Türen schlossen sich. Etwas in ihr regte das Verlangen, noch einmal auf der Etage ihres Büros im fünfunddreißigsten Stock anzuhalten und so drückte sie zusätzlich auf die „35“. Als sich die Türen des Lifts öffneten, lag der Flur in dämmeriger Nachtbeleuchtung. Strammen Schrittes bewegte sich Katherine auf ihr Büro zu, drehte sich aber zur gegenüberliegenden Tür um. Neben der Tür gab es einen kleinen Glasstreifen, aus dem ein fahler Lichtschein fiel. John war noch dort. Katherine überlegte kurz, ob sie hinein gehen sollte und entschied sich dafür. John saß mit zerzausten Haaren hinter dem großen Monitor und fluchte leise vor sich hin. Er bemerkte nicht einmal, wie Katherine hereinkam und an ihn herantrat. Er sah müde und erschöpft aus. Sie sprach ihn leise und mit sanfter Stimme an: „Hey, du bist ja noch hier.“

              John seufzte. „Hi Kat, ja immer noch. Ich komme einfach nicht weiter, verdammt!“ Er schlug mit der Faust auf den Tisch und sah recht verärgert aus.

              „Komm, mach Schluss für heute. Je länger du hier noch sitzt, desto weniger kommst du voran.“ Sie kraulte ihm zärtlich den Hinterkopf und massierte sanft seinen Nacken. „Es ist noch relativ früh, du wolltest doch noch feiern? Ich habe noch kaltes Bier oben …“ Sie lächelte vielversprechend.

              Johns Gesichtszüge entspannten sich wieder, als er in Katherines klare graue Augen blickte. „Ich soll mit zu dir kommen?“ Diese Einladung kam überraschend für John und ließ sein Herz höher schlagen.

              „Warum nicht? Ich möchte gerne den Abend mit dir verbringen.“ Sie ergriff Johns Hand und zog ihn von seinem Stuhl. Er schaffte es gerade noch, die Monitore auszuschalten.
              Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                #52
                Nuraras Prozess beginnt. Ist ein sehr langer Part, daher splitte ich ihn auf. Morgen mehr!

                New York State Supreme Courthouse, am nächsten Morgen – erster Prozesstag

                Die schwere Polizeilimousine und ihre Eskorte stoppten vor der breiten Freitreppe des alten, ehrwürdigen Gerichtsgebäudes, welches noch aus den Zwanzigerjahren des 20. Jahrhunderts stammte. Trotz des Nieselregens und den heftigen Windböen an diesem 2. Oktober hatte sich eine gute Hundertschaft von Journalisten und Fotografen auf dem Vorplatz des Gerichtsgebäudes am Foley Square eingefunden. Als ein wartender Officer die hintere Türe der Limousine öffnete, rückte die Pressemeute näher und feuerte ein wahrhaftes Blitzlichtgewitter ab. In dem Moment, in dem Jonathan und Nurara aus der Limousine stiegen, wurden sie mit Fragen förmlich bombardiert. Jonathan und zwei weitere Polizisten hatten sichtlich Mühe, die junge Frau abzuschirmen. Nurara trug an diesem Morgen einen langen schwarzen Ledermantel mit hochgeschlagenem Kragen und eine klassische Hochsteckfrisur. Sie hatte vor der Abfahrt überlegt, ihre Augen hinter einer Sonnenbrille zu verbergen, sich dann aber dagegen entschieden. Sie wollte der Öffentlichkeit ihr Gesicht zeigen.
                Sie beeilten sich, ins Innere des Gerichtsgebäudes zu kommen, zum einen, weil der Regen schlagartig zunahm, zum anderen, weil die Pressemeute zusehends aufdringlicher wurde. Jonathans Befürchtung, Demonstranten, die womöglich Nuraras Kopf forderten, könnten die bis jetzt überschaubare Situation eskalieren lassen, hatte sich nicht bewahrheitet. Bis auf einige wenige friedliche Zaungäste, die nur einen Blick auf die „Reuige Verbrecherkönigin“, wie die Boulevardpresse Nurara schon in der Nacht titulierte, erhaschen wollten, war die Freitreppe leer.
                Im großen Foyer warteten bereits Curtis, Joan, Ezella Garnie und Sam. Curtis trug wie üblich seinen Raumanzug, Joan und Ezella ihre Ausgehuniformen. Sam trug einen teuren, aber schlicht gehaltenen dunklen Geschäftsanzug. Er löste sich von der Gruppe, um Nurara mit einem innigen Kuss zu begrüßen. „Guten Morgen, meine Schöne“, sagte er, „hast du einigermaßen gut geschlafen?“

                Nurara lächelte Sam liebevoll an und drückte ihn fest an sich. Sie flüsterte: „Ich hätte noch besser geschlafen, wenn du bei mir gewesen wärst.“

                Jonathan blickte auf die große Uhr, die über dem riesigen Treppenhaus angebracht war. „Herrschaften, es wird Zeit, lassen Sie uns bitte hochgehen“, rief er und ging voran. Langsam folgten die anderen, Nurara und Sam gingen Hand in Hand.
                Die schwere hölzerne Doppeltür zum großen Sitzungssaal stand weit offen. Auch hier hatten sich wieder im und vor dem Saal Pressevertreter versammelt. Auch hier startete wieder eine Kakophonie der Blitzlichter und die Reporter stürmten mit Fragen auf Jonathan und Nurara ein. Jonathan hatte Mühe, die umstehenden Journalisten zur Ruhe zu bringen. Mit erhobenen Händen redete er auf die Menschen ein. „Bitte, meine Damen und Herren, wir geben jetzt keine Interviews. Bitte warten Sie auf die Presseerklärung heute Abend!“ Ein lauter Gong ertönte, das Zeichen für die Presse, den Saal zu verlassen und für die Beteiligten, ihre Plätze aufzusuchen.

                Wie in solchen Prozessen üblich, saß die Verteidigung links, die Anklage rechts vor dem Richtertisch. Die große Tribüne auf der rechten Seite, auf der normalerweise die Jury ihren Platz hatte, blieb leer.
                Hinter dem Richtertisch ging eine Tür auf und heraus kam ein Justizbeamter in dunkelblauer Uniform. Er blickte in den Gerichtssaal und sagte mit lauter Stimme: „Bitte erheben Sie sich für den Vorsitzenden, den ehrenwerten Richter Ernest L. Callahan!“

                Die Anwesenden standen von ihren Plätzen auf als Richter Callahan den Saal betrat. Als er sich in seinen großen Sessel setzte sagte er: „Bitte nehmen Sie Platz. Wir verhandeln heute den Fall Solares System gegen Nurara. Wer vertritt die Anklage?“

                Ed Fox, der schon lange vorher im Gerichtssaal erschienen war, erhob sich und antwortete: „Staatsanwalt Edward Fox, Sir.“

                Callahan bedachte Fox mit einem Nicken. „Wer vertritt die Verteidigung?“

                Jonathan stand auf. „Rechtsanwalt Jonathan McCabe, Sir.“

                „Gut, ist die Angeklagte anwesend?“

                Nurara, die ihren Mantel abgelegt hatte und nun in einem züchtigen, hellgrauen Kostüm dastand, antwortete mit fester Stimme: „Ich bin anwesend, Sir.“ Dann setze sie sich wieder.

                Wieder nickte Callahan. „Gut, Miss äh, Nurara. Bitte nennen Sie mir Ihren vollen Namen.“

                Nurara stand nochmals auf. „Sir, ich heiße Nurara.“

                Callahan blinzelte irritiert. „Kein Nachname?“

                Nurara schüttelte langsam den Kopf und sagte charmant lächelnd: „Nein, Sir. Ich habe meinen Nachnamen vor Jahren abgelegt. Nach marsianischem Recht darf ich das.“

                Callahan seufzte. „Ihr Alter?“

                „Dreizehn.“ Nurara hatte Mühe, sich ein belustigtes Grinsen zu verkneifen, als sie Callahans und Fox´ empörte Gesichter sah. Curtis, Sam und Joan ließen ein Glucksen vernehmen. Das war typisch für Nurara.

                Callahan, der sonst für seine Ruhe und Besonnenheit bekannt war, wurde leicht ungehalten. „Miss Nurara, das ist hier keine Sonntagnachmittag-Kinderbelustigung sondern ein Strafprozess. Sie sollten diesem Gericht etwas mehr Respekt entgegen bringen.“

                „Sir, nach marsianischer Zeitrechnung bin ich dreizehn Jahre alt. Der Mars braucht mit etwa sechshundertsiebenundachtzig fast doppelt so lange für eine Sonnenumkreisung wie die Erde.“

                Callahan seufzte erneut. „Demnach sind Sie nach irdischer Zeitrechnung sechsundzwanzig?“

                Nurara nickte beflissen. „Ja, das kommt hin Sir.“

                Callahan hakte nach: „Rein interessehalber, Miss, wann wird man auf dem Mars strafmündig und volljährig?“

                „Mit vier beziehungsweise neun Jahren, Sir.“

                Callahan nickte. „Danke, Miss Nurara, Sie können sich vorläufig wieder hinsetzen. Mister Fox, verlesen Sie jetzt bitte die Anklage.“

                Fox erhob sich und verlas die Anklage von einem kleinen Tabletcomputer. „Danke Sir. Das Solare System, vertreten durch den Staat New York erhebt Anklage gegen die Marsianerin Nurara wegen Piraterie in sechs Fällen, schweren Raubes, Raumschiffdiebstahl in vier Fällen, Gefangenenbefreiung, Körperverletzung mit Todesfolge und Kindesentführung. Die Angeklagte wird beschuldigt, bei den Fällen der Piraterie mindestens dreimal planend und ausführend, beiden anderen drei Fällen wenigstens als Mittäterin beteiligt zu sein. Weiterhin wird der Angeklagten beim Raub von vier thermonuklearen Raumschiffantrieben und dem Diebstahl von vier überlichtschnellen Raumschiffen die Mittäterschaft zur Last gelegt. Die für die Befreiung des interstellar gesuchten Vul Kuolun ergriffenen Maßnahmen und Handlungsweisen sprechen eindeutig für die Alleinschuld der Angeklagten, ebenso die vorgeworfene Körperverletzung mit Todesfolge. Im Falle der Kindesentführung wirft die Anklage der Angeklagten eine nicht unmaßgebliche Mittäterschaft vor.“ Fox setzte sich wieder.

                Callahan sah Nurara fest in die Augen. „Miss Nurara, wie bekennen Sie sich zu den einzelnen Anklagepunkten?“

                Nurara wollte sich gerade wieder erheben, als Jonathan ihr eine Hand auf den Unterarm legte. Er stand seinerseits von seinem Stuhl auf und gab eine Erklärung ab. „Euer Ehren, meine Mandantin bekennt sich in allen Punkten der Anklage für schuldig mit Ausnahme der Kindesentführung und der vorgeworfenen Körperverletzung mit Todesfolge. Hier bekennt sich meine Mandantin für nicht schuldig.“

                Richter Callahan lehnte sich in dem schweren antiken Ledersessel zurück. „Danke, Mister McCabe. Mister Fox, stellen Sie bitte Ihre Anträge.“

                Fox stand auf und ging in eine zentrale Position vor den Richtertisch. Eine Geste, die normalerweise in einem vollen Gerichtssaal mit kompletter Jury wirksam gewesen wäre. In diesem Moment, ohne aufmerksames Publikum, sah Fox jedoch nur etwas verloren aus, wie ein Entertainer, der vor einer fast leeren Halle seine Darbietung erbrachte. Mit einer der Situation angemessenen Lautstärke sagte Fox: „Die Staatsanwaltschaft beantragt unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die Angeklagte nicht vorbestraft ist und angekündigt hat, im Prozess gegen Vul Kuolun als Kronzeugin auszusagen, die Angeklagte zu einer Gesamtfreiheitstrafe von zweiundzwanzigeinhalb Jahren zu verurteilen. Einer angedachten Resozialisierung stimmt der Staat New York derzeit nicht zu. Weiterhin wird beantragt, die Angeklagte für den Fortgang dieses Prozesses in die Untersuchungshaft im Staatsgefängnis zu überstellen.“
                Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                  #53
                  Teil II des ersten Verhandlungstages.

                  Jonathan sprang auf und rief erbost: „Ed, das war so nicht abgemacht! Was soll das?“

                  Callahan klopfte mit seinem Holzhammer auf den Richtertisch. „Auch wenn ich Ihren Einwand teile, Mister McCabe, so bitte ich Sie doch um etwas Contenance. Mister Fox, würden Sie mir bitte Ihre Beweggründe für Ihren Antrag mitteilen?“

                  Fox ging vor dem Richtertisch auf und ab. „Die Staatsanwaltschaft ist ganz einfach zu dem Schluss gekommen, dass zwei Wochen nach der Festnahme einer notorischen Schwerverbrecherin in keiner Weise über die Resozialisierungsfähigkeit befunden werden kann. Mir liegt nicht einmal annähernd ein Protokoll oder Gutachten über den psychischen Allgemeinzustand der Angeklagten vor.“

                  Jonathan erhob sich und zog ein paar Blätter Papier aus einer Mappe. „Uns liegt ein polizeipsychologisches Gutachten inklusive der Auswertung eines Lügendetektortests vor. Die Conclusio dieses Gutachtens besagt, dass meine Mandantin durchaus resozialisierungsfähig ist. Ich beantrage, das Gutachten gerichtlich zuzulassen.“ Jonathan reichte das Schriftstück Richter Callahan. Dieser überflog es auf den letzten Seiten kurz und gab es an Fox weiter. Fox nahm es an sich und setzte sich an seinen Tisch. Callahan nutzte die kurze Pause, um seine Lesebrille zu putzen, dann wandte er sich an Ed Fox.

                  „Nun, Mister Fox? Ist Ihnen das Gutachten genehm? Ich bin geneigt, dieses Gutachten als Arbeitsgrundlage zuzulassen.“

                  Fox ließ sich lesend und kopfschüttelnd mit der Antwort Zeit. Nach einer gefühlten Ewigkeit stand er wieder auf und gab das Papier an den Richter zurück. „Euer Ehren, ich verfüge nicht wirklich über psychologische Fachkenntnisse, aber ich habe den Eindruck, als handele es sich hierbei um eine Art Gefälligkeitsgutachten. Ich habe Major Ballard bereits kennengelernt und halte sie durchaus für eine fähige Psychologin, aber das hier geht mir einen Schritt zu weit. Miss Ballard scheint mir hier etwas zu optimistisch zu sein, was die Entwicklungsprognose der Angeklagten angeht. Als Arbeitsgrundlage – meinetwegen. Als gerichtsverwertbar auf gar keinen Fall.“

                  Callahan nickte zustimmend. „Gut, ich lasse das Gutachten als Arbeitsgrundlage für den weiteren Verlauf dieser Verhandlung zu. Mister McCabe, Ihre Mandantin wird sich sehr am Riemen reißen müssen, um der Prognose hier gerecht zu werden. Ich werde einen unabhängigen Gutachter als Beobachter für den Fortgang dieses Prozesses bestellen. Nun zu Ihnen, Mister McCabe, Ihre Anträge bitte.“

                  Jonathan ging zu seinem Platz zurück und nahm ebenfalls einen kleinen Computer in die Hand, von dessen Display er etwas ablas und das Gerät dann wieder auf den Tisch legte. „Danke, Sir. Euer Ehren, ich beantrage, meine Mandantin in den Punkten Körperverletzung mit Todesfolge und der Kindesentführung freizusprechen. Bei allen anderen Punkten ist meine Mandantin geständig und reuig. Da Nurara nicht vorbestraft ist, bitten wir das Gericht um eine milde Strafe, die zur Bewährung auszusetzen und in eine Resozialisierung in einem staatlich anerkannten Institut hier auf der Erde umzuwandeln ist. Wir werden dem Gericht noch ein Institut, das Willens ist, meine Mandantin aufzunehmen, vorschlagen. Zum Schluss beantragen wir, meine Mandantin für den Zeitraum des Prozesses weiterhin im Polizeigewahrsam zu belassen. Die Sicherheit meiner Mandantin in einem Staatsgefängnis ist in keiner Weise gewährleistet. Außerdem liefe meine Mandantin Gefahr, wieder in alte Muster zurück zu fallen. Dies gilt es, für einen positiven Ausgang der Verhandlung zu vermeiden.“

                  „Danke, Mister McCabe“, brummte Callahan, „Ihrem letzten Antrag gebe ich statt. Die Angeklagte verbleibt bis auf weiteres im Polizeigewahrsam.“ Ein Strahlen huschte über Nuraras Gesicht, das bis zu diesem Moment ernst und starr gewesen war. Sie drehte sich zu den anderen hinter sich um. Alle Anwesenden nickten und lächelten ihr aufmunternd zu. Callahan sah in die Runde. „In Ordnung, kommen wir zum ersten Anklagepunkt, der Piraterie in sechs Fällen. Staatsanwalt Fox, Sie haben das Wort.“

                  „Danke, Sir. Ich bitte die Angeklagte in den Zeugenstand.“ Fox machte eine einladende Handbewegung auf den Platz neben dem Richtertisch. Nurara stand auf und setzte sich erhobenen Hauptes auf den ungepolsterten Holzstuhl, darum bemüht, nicht zu arrogant zu wirken. Als sie Platz genommen hatte, wagte sie, dem Staatsanwalt ein zurückhaltendes Lächeln zu zeigen, welches er allerdings nicht erwiderte. Etwas nervös zupfte sie an ihrem Rocksaum und rieb sich immer wieder ihre feuchten Hände an dem rauen Stoff trocken.
                  „Miss Nurara, erzählen Sie bitte in chronologischer Abfolge von den Überfällen auf die sechs Handelsschiffe. Beginnen Sie mit der Slipstream Servant.“

                  Nurara schloss die Augen und versuchte sich an den ersten Überfall vor mehr als sechs Jahren zu erinnern. „Unser erster Frachter, den wir überfallen hatten, war die Slipstream Servant, ein kleines Schiff von etwa zweitausend Tonnen mit leichter Bewaffnung. Wir hatten es im Orbit um einen unbewohnten Planeten aufgespürt, weil wir selbst leichte Triebwerksprobleme hatten und diese dort beheben wollten. Der Frachter war ein willkommenes Ziel, weil Kuolun Ersatzteile und Lebensmittel an Bord vermutete. Ich funkte den Captain an und bat so liebenswürdig wie möglich um Hilfe. Der Captain konnte mir nicht lange widerstehen und lud mich zu sich an Bord ein. Wir dockten an und ich ging mit einer versteckten Waffe an Bord. Die Besatzung bestand nur aus dem Captain und einem Maschinisten. Es waren beides Männer kurz vor dem Rentenalter. Ich wurde leicht mit ihnen fertig.“

                  Fox unterbrach Nurara: „Was haben Sie mit den beiden Männern gemacht?“

                  „Ich hatte dem Captain, als er mich an Bord ließ, gleich einen Schlag verpasst, der ihn ohnmächtig zu Boden gehen ließ. Den Maschinisten konnte ich auf der Brücke überraschen und ebenfalls niederschlagen. Anschließend sperrte ich die beiden Männer in ihren Kabinen ein.“

                  „Was haben Sie und Kuolun von der Slipstream Servant entwendet?“

                  Nurara blickte zur holzvertäfelten Decke und überlegte. „Soweit ich mich erinnere, waren es einige Spezialwerkzeuge, Schmierstoffe, elektronische Bauteile und Ventile. Lebensmittel waren knapp, deshalb hatten wir das, was vorhanden war, den beiden Männern gelassen.“

                  „Haben Sie die Slipstream Servant in irgendeiner Form beschädigt oder gar raumuntauglich gemacht?“ Fox durchbohrte Nurara förmlich mit seinem Blick.

                  Nurara schüttelte energisch den Kopf. „Nein Sir, das haben wir nicht getan und hatten es auch nicht vor. Das ist die Wahrheit!“

                  Fox nickte. „Erinnern Sie sich an die Namen der beiden Besatzungsmitglieder?“

                  Nurara schüttelte erneut den Kopf. „Nein Sir. Es kann sein, dass sich der Captain mir vorgestellt hat, aber ich erinnere mich nicht an seinen Namen.“

                  Fox wandte sich von Nurara ab und dem Richter zu. „Keine weiteren Fragen, Euer Ehren.“

                  Callahan nickte und schaute zu Jonathan herüber. „Haben Sie Fragen an die Angeklagte?“

                  Jonathan verneinte. „Die Aussage meiner Mandantin deckt sich mit der Vernehmung am Tage ihrer Festnahme und ist schlüssig. Keine Fragen.“

                  Richter Callahan sagte daraufhin: „Herr Staatsanwalt, Sie können dann Ihren ersten Zeugen aufrufen.“

                  Fox schaute kurz in seine Unterlagen und sagte dann: „Ich rufe auf als Zeugen den Eigner und Kommandanten des Raumfrachters Slipstream Servant, Captain Albert Morris.“
                  Während Nurara den Zeugenstand verließ, um wieder neben Jonathan Platz zu nehmen, öffnete der Justizbeamte eine Seitentür und rief den Zeugen herein. Albert Morris war ein kleiner, schmächtiger Mann mit kurzem grauen Haar und ebensolchem Vollbart. Er hatte ein braungebranntes Gesicht mit erstaunlich wenigen Falten und aufgeweckte blaue Augen. Der Gehstock, auf den er sich stützte, gab ein lautes Klacken auf dem Granitboden ab. Als er am Tisch der Verteidigung vorbeiging, blickte er Nurara grimmig an und schüttelte schweigend den Kopf.
                  „Nehmen Sie bitte hier Platz, Captain!“, forderte Fox den alten Mann leutselig auf. Morris setzte sich und legte seinen Stock am Geländer ab. „Sir, verraten Sie uns bitte Ihren vollen Namen.“

                  Morris räusperte sich und sagte mit kräftiger Stimme: „Ich heiße Albert William Morris.“

                  „Sie sind der Eigner der Slipstream Servant?“

                  „Ja, das ist richtig. Das heißt, ich war es bis vor einem Jahr. Ich habe das Schiff verkauft und mein Kapitänspatent aus gesundheitlichen Gründen zurückgeben müssen. Ich habe mich zu Ruhe gesetzt.“

                  Fox lehnte sich mit dem Ellenbogen auf das Geländer des Zeugenstands. „Erzählen Sie uns bitte, was am 25.März 2194 im Lodrhal-System passiert ist.“

                  „Wir kreisten um Lodrhal III im Orbit und waren gerade im Begriff, die Maschinen für den Weiterflug hochzufahren, als der Annäherungsalarm eine kleine Yacht im Anflug meldete. Das Lodrhal-System ist völlig unbewohnt und als Reiseziel für Raumyachten eher unüblich.“

                  Fox unterbrach Morris: „Warum haben Sie in diesem System gestoppt?“

                  Morris antwortete prompt: „Wir mussten eine gesetzlich vorgeschriebene Ruhepause von acht Stunden einhalten. Die Ruhepause ist für überlichtschnelle Schiffe ohne Autopilot Pflicht, wenn die Besatzung nur einen Navigator hat.“

                  Fox nickte. „Ich verstehe, bitte fahren Sie fort, Sir.“

                  „Nun, wie gesagt, es war etwas eigenartig, in so einem uninteressanten System eine Raumyacht anzutreffen. Ich dachte mir gleich, dass die vielleicht Schwierigkeiten hatten. Das Schiff nahm auch sofort Kontakt mit uns auf.“

                  „Wer hat sie angefunkt?“

                  „Eine junge Frau mit grünen Haaren“, Morris zeigte mit dem Finger auf Nurara. „Die da. Sie war sehr nett und freundlich. Sie sagte, dass ihr Schiff Probleme mit der Triebwerkskühlung hatte und fragte, ob wir uns das mal anschauen könnten.“

                  Fox wurde stutzig. „Kam es Ihnen nicht verdächtig vor, in einem abgelegenen System Besuch von einem anderen Raumschiff zu bekommen?“

                  Morris schüttelte den Kopf. „Nein, Sir, so abgelegen ist das Lodrhal-System gar nicht. Es liegt an einer stark genutzten interstellaren Handelsroute. Es ist nur völlig unwichtig, da es nicht bewohnbar ist. Das System besteht ausschließlich aus Gasplaneten und ein paar Felsbrocken als Monde. Nicht einmal Piratenbanden interessieren sich dafür. Immerhin gibt es am Systemrand ein paar automatische Relaisstationen, die man zu Notrufen nutzen kann.“

                  Fox nickte wieder. „Gut, das ist verständlich. Wie ging es weiter?“

                  „Nun, da ich die junge Frau sehr sympathisch fand und für ungefährlich hielt, lud ich sie ein, zu uns an Bord zu kommen und erst einmal einen Kaffee zu trinken. Meine Einladung hatte sie dankend angenommen und ihr Schiff an unserer Backbordseite angedockt. Nach dem Druckausgleich öffnete ich die Schleuse und sie stand vor mir. Hinter ihr stand noch ein großer, sehr schlanker Mann mit langen Haaren, ich vermute, es war Vul Kuolun. Das war das letzte, woran ich mich erinnere, bis ich in meiner Kabine wieder zu mir kam. Da waren die zwei schon wieder weg.“

                  „Was wurde Ihnen entwendet? Haben die Angeklagte und ihr Begleiter Ihr Schiff beschädigt?“

                  „Wir hatten nicht viel, außerdem flogen wir leer. Mitgenommen hatten sie einige Ersatzteile, Kühlmittel und Hydrauliköl. Mein Schiff haben sie nicht angerührt, das rechne ich ihnen auch hoch an.“ Morris schaute von Fox hinüber zu Nurara und sprach sie direkt an. „Allerdings hätten Sie uns nur fragen brauchen, ob wir Ihnen die Ersatzteile überlassen. Das hätten wir ganz bestimmt getan! Warum haben Sie uns überfallen?“

                  Nurara sah dem alten Mann direkt ins Gesicht. „Kuolun wollte es so“, antwortete Nurara demütig, „und ich war so euphorisch, ein Raumschiff zu überfallen, es hat mir damals richtig Spaß gemacht. Es tut mir Leid, Mister Morris. Ich hoffe, Sie nehmen meine Entschuldigung an.“ Ihre Mundwinkel zuckten und bildeten ein zaghaftes Lächeln.

                  Morris starrte Nurara einen Augenblick bewegungslos an, dann lächelte er zurück. „Nurara, Sie sind noch ein verdammt junges Mädchen. Ich bin über siebzig und sehr krank. Ich werde wahrscheinlich nicht mehr lange leben. Ich habe in meinem Leben auch schon ein paar krumme Dinge gedreht, bin erwischt worden und habe die Konsequenzen dafür zu spüren bekommen. Ich habe Ihre Geschichte in der Presse verfolgt und weiß, was Sie vorhaben. Ich wünsche Ihnen dafür viel Erfolg und alles Gute. Betrachten Sie Ihre Entschuldigung als angenommen.“

                  Fox ergriff wieder das Wort. „Ich hätte gerne noch Ihren Maschinisten Sven Hedegaard befragt …“

                  Morris unterbrach ihn: „Der Idiot ist im Frühjahr von einer Leiter gefallen und hat sich das Genick gebrochen. Schade um ihn, war ein feiner Kerl.“

                  Fox nickte verständnisvoll. „Keine weiteren Fragen, Mister Morris, haben Sie vielen Dank. Mister McCabe, Ihr Zeuge.“
                  Jonathan hob abwehrend die Hand. „Keine Fragen an den Zeugen.“

                  Richter Callahan sagte daraufhin an Morris gewandt: „Danke Mister Morris, Sie sind hiermit als Zeuge entlassen.“

                  Morris stand auf, nahm seinen Stock und ging in Richtung Seitentür, die der Justizbeamte bereits für ihn geöffnet hatte. Auf der Höhe des Verteidigertisches blieb er noch einmal stehen und sagte so leise, dass es Nurara gerade eben noch verstehen konnte: „Tun Sie es einfach nicht mehr …“ Dann ging er hinaus.
                  Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                    #54
                    Ähm, Räusper, Hüstel...

                    Wann geht es denn mal weiter hier?
                    Ich würde gern weiter lesen Nurara!
                    Kriegen wir noch ein Häppchen?

                    LG
                    earthy
                    Entgegen der um sich greifenden Legendenbildung habe ich mein "altes" Forum nicht freiwillig verlassen! Tragischerweise muss man nun feststellen, dass es dieses Forum nicht mehr gibt! Warum wohl nicht? ;)

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                      #55
                      hab ein paar Tage so richtig flach gelegen... es geht weiter.


                      Nurara wurde erneut in den Zeugenstand gerufen und berichtete detailliert und bereitwillig über die anderen fünf Überfälle auf Frachtschiffe. Zu jedem einzelnen Fall rief Staatsanwalt Fox ein bis zwei Zeugen auf, die Nuraras Aussagen bestätigten. Das Bild der geständigen Angeklagten festigte sich zu Fox‘ Überraschung mit jeder Aussage mehr. Gegen Mittag unterbrach Richter Callahan die Sitzung für eine einstündige Pause. Vor dem Gerichtssaal schalteten Curtis und Garnie ihre Komlinks ein. Garnies Gerät begann sofort piepsend Nachrichten und entgangene Anrufe zu übermitteln. Die meisten davon waren von Milner. Anscheinend hatte Milner entweder eine wichtige Entdeckung gemacht oder er steckte in Schwierigkeiten. Beide Optionen veranlassten Garnie sofort zurückzurufen.
                      „Milner, was haben Sie für mich?“ Mit großen, erwartungsvollen Augen blickte Garnie abwechselnd zwischen Joan und Curtis hin und her. Sam hatte sich von der Gruppe gelöst und war mit Nurara und seinem Vater unter Polizeieskorte in der Gerichtskantine essen gegangen. „Moment, Moment, nicht so schnell, Milner. Ich verstehe nur Bahnhof, warten Sie eine Sekunde!“ Er schaltete den Lautsprecher ein und sagte: „Hören Sie, Milner, Curtis Newton steht hier neben mir. Sagen Sie noch einmal, was Sie mir gerade zu erklären versuchten!“

                      Milners Stimme kam etwas kratzig aus dem kleinen Lautsprecher. „Hallo Captain! Ich habe hier den Code von Captain Luther vorliegen und ihn analysiert. Er muss ihn vor Abgabe noch einmal modifiziert haben. Ursprünglich war es mal ein Harlan-16 Algorithmus, dessen Struktur ich genau kenne. Aber das hier ist etwas völlig neues, was mir noch nie untergekommen ist. Ich hätte gerne eine zweite Meinung dazu gehört …“

                      Curtis nahm Garnies Komlink in die Hand und schaltete den Lautsprecher aus. Er entfernte sich ein Stück von Joan und Ezella. „Erzählen Sie mir mehr.“ Er hörte den Ausführungen des Lieutenants aufmerksam zu, dann sagte er: „Das ist ein ziemlich dickes Ding, John. Da kann selbst ich Ihnen nicht wirklich helfen. Aber ich kenne jemanden, der es definitiv kann. Professor Simon Wright. Ich gebe ihm gleich Bescheid, dass er umgehend zu Ihnen ins Präsidium kommt. Ich reiche Sie jetzt erst einmal an Marshall Garnie zurück.“ Er drückte das Komlink seinem alten Freund in die Hand und nahm sein eigenes, womit er die Comet rief. „Otho? Bitte komm mit Simon ins Polizeipräsidium und nimm seinen Torso mit. Seine Hilfe wird benötigt. Meldet euch sich in Marshall Garnies Vorzimmer. Alles Weitere erfahrt ihr dort. Und bitte beeilt euch! Danke! Ende.“ Curtis nickte Garnie bestätigend zu.

                      Dieser wiederum sagte zu Milner: „Okay, ich höre gerade, dass Professor Wright auf dem Weg ist. Warten Sie bei Stella auf ihn. Ich mache mich jetzt auch auf den Weg ins Präsidium. Wir sehen uns gleich.“

                      In diesem Moment erschien Katherine auf der Bildfläche. Sie trug ihre normale Uniform und wirkte etwas übernächtigt und zerknittert. Einige schwarze Haarsträhnen hingen ihr ungezähmt ins Gesicht. Dennoch schien sie guter Laune zu sein. Sie begrüßte Joan und Curtis jeweils mit einer freundschaftlichen Umarmung. Joan erkannte sofort, was der Grund für ihre gute Laune war. „Hast du etwa …“, versuchte sie Katherine ins Ohr zu raunen.

                      Katherine hielt sich einen Zeigefinger vor die Lippen. „Schhh! Ja, muss jetzt aber nicht groß rausposaunt werden!“, flüsterte sie und zwinkerte ihr süffisant zu. Dann wandte sie sich an ihren Vorgesetzten und wurde ernst. „Sir, ich habe heute Morgen mit Professor Kesselring gesprochen. Der Platz für Nurara ist reserviert – ab dem ersten Januar! Sie wird uns in drei Wochen besuchen und sich ein eigenes Bild von ihr machen.“

                      Garnie, der gerade noch seine hübsche Mitarbeiterin argwöhnisch betrachtet hatte, setzte ein breites Grinsen auf. „Na das klingt doch großartig! Ich muss jetzt ins Präsidium, sagen Sie es bitte Jonathan persönlich. Ich muss los.“ Über Katherines etwas derangierten äußeren Zustand ließ er sich nicht weiter aus. Er stürmte die breite Treppe hinunter, dass man ihm sein Alter nicht anmerkte und verschwand durch die große Eingangspforte nach draußen.


                      Polizeipräsidium, Marshall Garnies Vorzimmer


                      Unruhig lief John Milner vor Stellas Schreibtisch auf und ab, woraufhin er immer wieder missbilligende Blicke von ihr erntete. Aber noch bevor sie sich bei ihm beschweren konnte, öffnete sich zischend die große Schiebetür und ein gehetzt aussehender Marshall Garnie stürmte herein.
                      „Stella, holen Sie mir Captain Luther her, sofort! Er soll Marke und Dienstwaffe mitbringen“, rief er und verschwand in seinem Büro. Lieutenant Milner schenkte er in diesem Moment keine Beachtung. Keine fünf Minuten später betrat der beleibte Captain das Vorzimmer. Er musterte Milner finster und wandte sich an Stella.

                      Gereizt brummte er: „Da bin ich.“ Hinter der offenen Türe zu Garnies Büro war die Stimme des Marshalls zu hören: „Kommen Sie rein, Captain!“

                      Luther betrat das Büro und baute sich provokativ vor seinem Vorgesetzten auf. „Was soll das, Marshall?“, fragte er mit frostiger Stimme.

                      Garnie erhob sich aus seinem Sessel und stemmte die Arme auf die Tischplatte. „Frank, wir machen es jetzt offiziell. Ich habe Ermittlungen gegen Sie wegen des Verdachts auf Verrat von vertraulichen Polizeiinformationen eingeleitet. Ich sehe mich leider gezwungen, Sie bis zum Ende dieser Ermittlungen vom Dienst zu suspendieren. Bitte händigen Sie mir Ihre Waffe und Ihre Marke aus.“

                      Achtlos warf Luther seine Polizeimarke auf den großen Schreibtisch und zog seine Waffe aus dem Holster. Er packte sie am Lauf und hielt sie Garnie hin. „Sir, diese Verdächtigungen sind absolut haltlos“, sagte er wütend. „Völlig lächerlich! Milner will sich nur wichtigmachen, weil er glaubt, so schneller Offizier werden zu können.“

                      Garnie nahm die Waffe entgegen und legte sie außer Reichweite auf seinem Schreibtisch ab. Mit festem Blick sah er dem dicken Captain ins Gesicht. „Wenn dem so ist, Frank, dann haben Sie doch nichts zu befürchten, oder? Es tut mir leid, aber so sind nun mal die Vorschriften. Das wäre vorläufig alles. Gehen Sie jetzt einfach nach Hause.“

                      Luther salutierte wortlos und verließ Garnies Büro. Draußen im Vorzimmer saß Milner auf der Kante von Stellas Schreibtisch und schäkerte fröhlich mit der hübschen, dunkelhäutigen Frau. Sein Lächeln versteinerte sich, als er die finstere Miene seines Vorgesetzten sah. Garnie hatte ihn tatsächlich suspendiert. Luther zeigte drohend auf Milner und sagte leise: „Das wird dir noch leidtun, Jüngelchen! Das kann ich dir versprechen!“

                      Milner stand auf und nahm eine gerade Haltung vor Captain Luther an. Dann sagte er zu Stella ohne den Blick von seinem Gegenüber abzuwenden: „Corporal Winter, Sie bezeugen, dass Captain Frank Luther mir soeben gedroht hat.“ Luther schnappte nach Luft. Er wollte noch zu einer Antwort ansetzen und ballte die Faust. Einen Moment überlegte er, ob er Milner niederstrecken sollte, dann entspannte er sich und stürmte ohne ein weiteres Wort zu verlieren aus dem Vorzimmer. „Puh, das hätte wirklich wehtun können.“, stieß Milner hervor. Er entspannte sich sichtlich und sah Stella an. Die junge Unteroffizierin hatte ein paar glitzernde Schweißperlen auf der Stirn.

                      Sie schüttelte den Kopf und fragte: „Und was ist, wenn er es nicht war, John?“

                      John sah Stella in ihre fast schwarzen Augen. „Stella, er war es. Ich weiß es und werde es beweisen“, sagte er mit fester Stimme und schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte, um seinen Worten Nachdruck zu verleihen.

                      In diesem Moment öffnete sich wieder die Tür und eine bleiche, glatzköpfige Gestalt mit Kapitänsmütze und dunklen Augenringen betrat grinsend den Raum. Unter dem Arm trug er ein fassförmiges Gebilde. Hinter ihm schwebte ein untertassenförmiges Objekt mit tentakelartigen Sensoren und einer großen Glaskuppel auf der Oberseite. Unter dieser Glaskuppel schimmerte bläulich etwas, das an ein menschliches Gehirn erinnerte. Stella sprang freudig von ihrem Platz auf. „Otho, Professor Simon! Das ging ja wirklich schnell!“, rief sie so laut, dass Garnie es förmlich hören musste. Im gleichen Moment kam auch Garnie aus seinem Büro.

                      „In der Tat!“, sagte dieser, „Lieutenant Milner, das sind Professor Simon Wright und Otho von der Future-Crew. Professor Wright wird Ihnen bei der Entschlüsselung des Codes helfen.“

                      Milner tat zwei Schritte nach vorne und reichte Otho die Hand. Dessen Griff war fest und kühl und fühlte sich wie ein Gummihandschuh an. „Es freut mich, Sie kennenzulernen.“

                      Simon senkte sich auf Milners Kopfhöhe. „Guten Tag, Lieutenant. Der Captain hat mir bereits in groben Zügen erläutert, um was es geht. Lassen Sie uns am besten gleich beginnen!“ Seine Stimme kam blechern aus dem in der Untertasse angebrachten Vocoder.

                      „Vielen Dank, Professor Wright. Ich weiß Ihre Hilfe sehr zu schätzen“, antwortete Milner mit einem offenen Lächeln.
                      Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                        #56
                        Etwas Vul Kuolun gefällig?

                        Airam IV, Hochsicherheitsgefängnis, einige Tage später

                        Nervös betrat Zistavan Borksh den Verhörraum. Er hatte alle Informationen von Oksana Rulwakowa während der Reise aufbereitet und auf einen tragbaren Datenleser mit Display kopiert. Heute würde er die Resultate seinem Mandanten Vul Kuolun präsentieren. Der Inhalt war in der Tat brisant und würde ihm einige Jahre Gefängnis und den Verlust seiner anwaltlichen Zulassung einbringen. Garnie und Ballard waren ihm bereits auf der Spur, konnten ihm bis jetzt aber noch nichts nachweisen. Borksh hatte während des Fluges bereits überlegt, die Datensammlung heimlich in einer Druckschleuse über Bord gehen zu lassen und zu Kuolun mit leeren Händen zurückzukehren, den Gedanken aber im Hinblick auf eine mögliche Belohnung verworfen.
                        Kuolun saß bereits an den Händen gefesselt an dem massiven Stahltisch. Als Borksh eintrat, hellte sich seine düstere Miene nur wenig auf. Die Sicherheitsbeamten schlossen die Tür und ließen den Anwalt und seinen Mandanten allein. Kuolun verzichtete auf jegliche Begrüßungsformeln. „Was haben Sie für mich?“, grollte er und sah Borksh durchdringend an.
                        Borksh setzte sich seinem Mandanten gegenüber, öffnete seine Aktentasche und zog das Datapad heraus. Er legte es auf den Tisch und schob es Kuolun hin. „Dafür sind drei Menschen gestorben“, sagte er tonlos. Der Tod dieser drei stand zwar nicht unbedingt im kausalen Zusammenhang mit der Beschaffung der Daten, machte die Übergabe an Kuolun aber etwas dramatischer, befand Borksh.

                        Kuolun nahm das Datapad in die Hand und warf Borksh einen anerkennenden Blick zu. „Drei? Respekt! Das hätte ich Ihnen nicht zugetraut.“ Er schaute kurz auf das Gerät und dann böse grinsend wieder zu Borksh zurück. „Ich gehe jede Wette ein, dass die drei armen Seelen nicht durch Ihre Hand umgekommen sind, habe ich Recht?“

                        Borksh lehnte sich zurück und zuckte mit den Schultern. „Na und? Immerhin ist mir jetzt die Weltraumpolizei auf den Fersen. Ich soll Sie übrigens von Major Ballard herzlich grüßen. Und wenn wir beide jetzt nicht höllisch aufpassen, kann ich gleich noch in Ihrer Zelle mit einziehen!“

                        Bei dem Namen Ballard blickte Kuolun schwärmerisch zur Decke. Dann wandte er sich endgültig dem Datapad zu. „Okay, dann wollen wir doch mal sehen, was du so ohne mich treibst, Süße …“ Er schaltete das Gerät ein und traute seinen Augen nicht, bei dem, was er dort sah. „Kronzeugenaussage gegen mich? Resozialisierung? Sie treibt es mit ihrem Anwalt?“ Mit jeder Frage, die er stellte, wurde Kuoluns Stimme lauter und bedrohlicher. „Dieses Miststück ist ja völlig übergeschnappt!“, brüllte er schließlich und warf angewidert den kleinen Computer auf die Tischplatte. Scheppernd kam er vor Borksh zu liegen. Kuolun stand auf und wanderte im Verhörraum auf und ab. Immer wieder fragte er kopfschüttelnd: „Warum? Warum tust du mir das an, Nurara?“

                        Borksh hätte jetzt am liebsten den Raum verlassen. Kuolun kam zum Tisch zurück und griff nach seiner Brieftasche, die dort lag. Er öffnete sie und zog eine kleine bunte Plastikkarte heraus, die er Borksh reichte. „Mister Borksh, Sie haben gute Arbeit geleistet. Nehmen Sie diese Karte und fliegen Sie zum Saturn. Auf dem Mond Dione gibt es eine kleine Versorgungsstation, die von einem Captain Wellok geleitet wird. Geben Sie Wellok diese Karte und Sie erhalten Zugang zu einem nicht auf mich registrierten Konto auf dem Mars. Nehmen Sie das dort hinterlegte Geld. Es dürfte Ihre Auslagen mehr als decken.“

                        Borksh traute seinen Ohren nicht. „Danke, Doktor, ich …“

                        Kuolun hob die Hände und unterbrach ihn. „Ich bin noch nicht fertig. Sie fliegen dann wieder zur Erde und sorgen dafür, dass Nurara das Ende ihres Prozesses nicht erlebt. Wie Sie das anstellen, ist mir ziemlich egal.“ Kuolun starrte Borksh mit eiskalten Augen an. „Haben Sie mich verstanden?“

                        Borksh hatte kalten Schweiß auf der Stirn. „Sie … Sie meinen, ich soll Nurara töten? Ich bin doch kein Mörder!“

                        Kuolun grinste bösartig. „Haben Sie nicht noch eben mit drei Toten geprahlt? Wenn Sie es nicht selbst können, dann finden Sie jemanden, der das für Sie erledigt.“ Kuoluns Blick und Tonfall duldete keinerlei Widerspruch.

                        „Das kann nicht Ihr Ernst sein“, keuchte Borksh. „Sie verlangen wirklich, dass Ihre langjährige Geliebte und Partnerin stirbt? Welchen Vorteil versprechen Sie sich davon? Sie gehen so oder so lebenslänglich ins Gefängnis und das bedeutet hier auf Airam wirklich bis zu Ihrem unseligen Ende. Und was sollte mich jetzt davon abhalten, Sie hier und jetzt wegen Anstiftung zum Mord anzuzeigen? Ich bin sowieso kurz davor, dieses Mandat aus Gewissensgründen niederzulegen.“ Borksh stand auf und donnerte beide Fäuste auf den Tisch, so laut, dass sogar Kuolun zusammenzuckte. Dann sah er seinem Mandanten fest und unbeirrt in die Augen.

                        Kuolun kniff die Augen zusammen und sagte mit leiser, bedrohlicher Stimme: „Wenn Sie da raus gehen, sage ich den Wachen, dass Sie mir diese vertraulichen Informationen besorgt haben. Dann sind Sie Ihr Mandat endlich los, und noch viel mehr …“

                        Borksh stand immer noch am Tisch, den Oberkörper vorgebeugt und mit den Fäusten auf der Tischplatte. „Na und?“, giftete er zurück. „Dann darf ich nicht mehr als Anwalt praktizieren, aber ich komme im Gegensatz zu Ihnen mit ein paar Jahren in Form einer Bewährungsstrafe davon. Ich kenne das Strafrecht besser als Sie, Kuolun! Und im Gegensatz zu Ihnen stehe ich nicht unter Mordverdacht! Und ich sorge dafür, dass das auch so bleibt. Ich werde Nurara kein Haar krümmen, haben Sie das kapiert?“

                        Kuolun straffte sich und ließ seine Gesichtszüge entspannen. Er schnalzte mit der Zunge. „Alle Achtung, Mister Borksh, Sie haben mehr Mumm als ich vermutet hätte. Es hat schon lange niemand mehr mit mir so geredet.“ Kuolun überlegte kurz, setzte sich wieder und faltete die gefesselten Hände vor sich auf der Tischplatte. „Wissen Sie was, Borksh? Ich glaube, Sie haben Recht. Vergessen Sie den Mordauftrag. Nurara soll leben. Ja, sie soll leben und ihr neues Leben in Freiheit mit diesem Anwalt genießen. Ich bin ein Mörder, Dieb und Betrüger, aber ich bin kein Barbar …“ Kuolun setzte sein charmantestes Lächeln auf. „Borksh, nehmen Sie das Geld, wie gesagt, es wird Ihre Ausgaben decken. Und ich möchte, dass Sie ab sofort mit mir gemeinsam an meiner Verteidigung arbeiten. Fangen wir gleich morgen damit an. Und jetzt gehen Sie, ich bin müde.“

                        Mit einem knappen Nicken packte Borksh das Datapad und das Plastikkärtchen in seine Tasche und ging zur Tür. Während er den Signalknopf drückte, der die Wachen die Türe öffnen ließ, drehte er sich noch einmal zu Kuolun um. „Doktor, ich weiß nicht, was in Ihrem wirren Kopf vor sich geht, ehrlich gesagt möchte ich es nicht einmal wissen, aber eines weiß ich: Jemand, der sich auf Sie einlässt, verkauft seine Seele an den Teufel.“ Mit diesen Worten verließ der kleine Anwalt den Verhörraum.

                        Der große, schlaksige Marsianer sah noch eine Weile auf die sich schließende Tür und flüsterte: „Borksh, du hast keine Ahnung, wie Recht du hast.“ Dann begann Kuolun wie ein Irrer zu lachen.




                        Polizeipräsidium, New York, Sonntagabend



                        Verträumt saß Katherine in ihrem Büro und spielte gedankenverloren mit dem Raumschiffmodell, das sie von Commodore Taggart zum Abschied erhalten hatte. In zwei Stunden würde das Shuttle auf dem Vorplatz des Präsidiums landen, das sie nach Hause zu ihrer Familie in Fairhope, Alabama – ihrem Geburtsort – bringen würde. Einerseits freute sie sich irrsinnig, nach einem langen Jahr endlich mal wieder nach Hause zu kommen, andererseits schmerzte es sie, John zwei Wochen lang zu verlassen. Sie hatte sich ernsthaft in den sieben Jahre jüngeren Mann verliebt und genoss jeden der wenigen Momente mit ihm. Ihn mit nach Hause zu bringen wäre wegen Johns Auftrag derzeit unmöglich gewesen, außerdem wollte Katherine ihre Eltern erst einmal vorsichtig auf die Tatsache vorbereiten, dass es endlich einen Mann in ihrem Leben gab, mit dem sie sich eine Zukunft vorstellen konnte. Das laute Signal des Türsummers holte Katherine in die Realität zurück. Sie drückte den Öffner auf der Konsole an ihrem Schreibtisch und herein kam Nurara.
                        „Hi Kat“, sagte sie lächelnd, „gut, dass du noch da bist.“ Unaufgefordert nahm sie vor dem Schreibtisch Platz.

                        „Hey, Nurara. In zwei Stunden kommt mein Shuttle. Irgendwie muss ich die Zeit rumkriegen.“

                        Fragend zog Nurara eine Augenbraue nach oben. „Warum bist du nicht bei John?“

                        „Garnie hat ihn nach Hause geschickt. Er soll sich ausschlafen. Ich wette aber, er sitzt dort und arbeitet weiter.“ Katherine tippte sich mit dem Finger an die Stirn und verdrehte die Augen.

                        Nurara deutete auf das Modell der Tennessee, das immer noch vor Katherine schwebte. „Das ist hübsch!“

                        Katherine grinste. „Nicht wahr? Es ist ein Abschiedsgeschenk von meinem letzten Auftrag. Hey, du bist doch Physikerin. Kannst du mir erklären, warum das Modell von alleine schwebt?“

                        Nurara beugte sich vor und nahm das Modell vorsichtig in beide Hände. Sie drehte und wendete es, bis sie an der Unterseite eine winzige Metallklappe fand, die sie mit dem Fingernagel öffnete. „Schau mal rein, Kat. Siehst du die beiden kleinen roten Kristallwürfel dort eingebettet?“ Katherine nickte. Nurara fuhr fort. „Das sind Hydronium-Kristalle. Sie haben die Fähigkeit, Dinge schweben zu lassen. Hydronium gibt es auf dem Neptunmond Triton, sehr wertvoll und schwierig abzubauen, weil es eine Art Intelligenz besitzt, die sich gegen den Abbau wehrt. Wer auch immer dazu in der Lage ist, Hydronium zu fördern, muss sehr viel Geld und Technik investieren. Und das kann eigentlich nur …“

                        „… die Flotte“, beendete Katherine den Satz. „Was kann ich denn für dich tun, Nurara?“

                        Nurara setzte die kleine Klappe vorsichtig wieder ein und ließ das Modell des Schlachtkreuzers sachte zu Katherine zurückschweben. „Darf ich dir eine ernstgemeinte Frage stellen?“

                        Katherine sah die andere Frau erwartungsvoll an. „Nur zu!“

                        Nurara rutschte nervös auf dem Stuhl hin und her. „Mir geht nicht aus dem Kopf, was Staatsanwalt Fox zu deinem Gutachten gesagt hat. Hast du es wirklich aus Gefälligkeit positiver ausfallen lassen, als es hätte sein sollen? Und wenn, wem hast du damit einen Gefallen getan? Mir? Garnie? Oder Newton, damit er sich profilieren kann?“

                        Katherine sah Nurara mitleidig an und schüttelte langsam den Kopf. „Ich habe niemandem einen Gefallen getan, dir schon mal gar nicht.“ Sie berichtete Nurara von ihrer ersten Begegnung mit Sam am Abend ihrer Rückkehr. „… und als Joan mir dann noch erzählte, dass du mit ihm zusammen bist, bin ich fast völlig vom Glauben abgefallen. Ich hätte Sam wirklich gerne näher kennengelernt, aber zu sehen, wie verliebt ihr beide ineinander seid, hat mich davon überzeugt, dass ich keine Chance habe. Außerdem habe ich ja John kennengelernt und bin im Moment sehr glücklich. Ich gönne euch beiden euer Glück von ganzem Herzen, Nurara, das kannst du mir glauben. Deswegen kam es mir nie in den Sinn, das Gutachten in irgendeiner Weise zu manipulieren. Es wäre bei Betrachtung durch einen Sachverständigen früher oder später sowieso aufgeflogen. Alles, was in diesem Gutachten drinsteht, hast du dir selbst erarbeitet. Und du kannst stolz darauf sein.“ Katherine beendete den Satz mit einem warmherzigen Lächeln.

                        Nurara lächelte ebenfalls und ihre Augen blitzten triumphierend. „Sam hat mir ebenfalls von eurer ersten Begegnung erzählt. Weißt du, was er gesagt hat?“

                        „Na sag schon!“

                        „Er sagte, du wärst gar nicht sein Typ …“

                        Katherine blies mit gespielter Erleichterung Luft aus. „Puh, da bin ich aber froh. Stell dir vor, ich hätte mir den Rest meines Lebens Hoffnungen gemacht.“

                        „So wie Alruna …“, dachte Nurara bei sich. Seit sie mit Katherine über ihren lästigen Verehrer aus ihrer Studienzeit gesprochen hatte, dachte sie in den letzten Tagen immer öfter an ihn. Sie fragte sich ernsthaft, was aus ihm geworden sein mochte. Ob er noch immer unglücklich in Nurara verliebt war oder sein armseliges Leben endlich in den Griff bekommen hatte?

                        Katherine riss sie aus ihren Gedanken. „Sag mal, warst du schon mal oben auf der Dachterrasse?“

                        Nurara schüttelte den Kopf. „Nein, bisher nicht.“

                        „Da oben, auf der siebzigsten, gibt es eine kleine Bar, nur für Offiziere und mit einem wundervollen Ausblick über Manhattan. Ich habe noch über eine Stunde Zeit, lass uns noch was trinken, bevor ich abfliege.“

                        Ohne Zögern stimmte Nurara zu. „Ich war aber noch nicht bei der Bank. Du müsstest mich einladen …“ Sie bleckte die Zähne zu einem frechen Grinsen.

                        Katherine winkte lässig ab. „Das lass meine Sorge sein. Los, komm.“

                        Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                          #57
                          Ich schmeiß auch noch mal einen für heute in die Materialschlacht!

                          Der kleine Ken (ich fand ihn nervig) steht im Zeugenstand. Und der myseriöse Peyo hat wieder einen kleinen Auftritt.




                          New York State Supreme Courthouse, zweiter Prozesstag, eine Woche später

                          Der Vormittag des zweiten Prozesstages verlief verhältnismäßig ereignislos. Es wurden die Vorwürfe des Diebstahls der vier Nuklearantriebe sowie des Raumkreuzers Nova, den Kuolun zum Parallelraumschiff umgebaut hatte, verhandelt. In Ermangelung von überlebenden Zeugen konnten Staatsanwaltschaft und Verteidigung lediglich auf Indizien und Nuraras Aussage zurückgreifen. Nurara hielt zu beiden Anklagepunkten jeweils einen einstündigen Monolog, in dem sie detailliert über die Geschehnisse berichtete. Dabei entpuppte sie sich als brillante und rhetorisch versierte Rednerin, die in der Lage war, Fragen zu beantworten, bevor sie gestellt wurden, sehr zum Missfallen von Staatsanwalt Fox, der sich darauf vorbereitet hatte, Nurara an diesem Tag tiefer auf den Zahn zu fühlen, um Nuraras Bild von der bekehrten Sünderin ins Wanken zu bringen. Nurara jedoch antwortete auf die wenigen Fragen, die Fox stellen konnte, charmant und verbindlich und nahm somit dem Staatsanwalt ganz souverän jeglichen Wind aus den Segeln.

                          Nach der Mittagspause erhob Richter Callahan die Stimme: „Wenn jetzt alle wieder anwesend sind, können wir hier fortfahren. Nächster Anklagepunkt ist die Kindesentführung des Jungen Ken Scott. Staatsanwalt Fox, bitte beginnen Sie.“

                          Fox erhob sich von seinem Platz und sagte: „Ich rufe die Angeklagte in den Zeugenstand.“ Nurara nahm wie selbstverständlich dort Platz, wobei ihr in diesem Moment eine gewisse Unsicherheit anzumerken war. Jonathan hatte ihr zwar versichert, dass Ken zu ihren Gunsten aussagen würde, aber da sie absolut keine Erfahrung im Umgang mit Kindern hatte, wusste sie auch nicht, ob sie sich grundsätzlich auf die Aussage eines achtjährigen Bengels verlassen konnte. „Nun, Miss Nurara, dann erzählen Sie uns doch mal von den Ereignissen an dem Tage, als Sie zu Professor Cash´s Labor zurückkehrten.“
                          Nurara begann zu erzählen, wie sie und Kuolun sowie der angeheuerten Mannschaft von Strauchdieben und Kleinganoven zum dem Labor zurückkehrten, um den Prototypen des Parallelraumschiffes zu stehlen. Dieses Schiff sollte sie nach Almeria bringen, wo es riesige Vorkommen des Erzes Radium gab, das für den Betrieb des Parallelraumantriebes notwendig war. Nurara und Kuolun bereiteten den Start vor und die Mannschaft sollte den Außenbereich sichern, als sie bemerkten, dass Captain Future mit der Comet bereits vor ihnen angekommen war. Zwei der Männer hatten sich augenscheinlich Zutritt zur Comet verschafft und kamen mit einem gefesselten Jungen von etwa acht Jahren zurück. Kuolun war außer sich vor Wut, Geiselnahme war nicht Teil seines Planes, wies aber seine Männer an, den Jungen an Bord zu bringen, würde er sich doch als wirkungsvolles Druckmittel gegen Future und seine Crew erweisen.
                          Fox hakte nach: „Und Sie taten nichts dagegen, Ken wieder in die Freiheit zu entlassen?“

                          Nurara zuckte hilflos mit den Schultern. „Was hätte ich tun sollen? Als ich den Jungen das erste Mal zu Gesicht bekam, waren wir bereits im Weltraum.“

                          „Haben Sie sich um den Jungen gekümmert? Wirkte er verängstigt?“

                          Nurara schüttelte den Kopf. „Nein, verängstigt wirkte er zu keiner Zeit. Er war wütend, schrie und brüllte andauernd, dass Future uns kriegen und ihn da raus holen würde. Gekümmert habe ich mich anfangs nicht um ihn, da ich an den Steuerkontrollen saß. Später, als ich meinen Platz kurz verlassen konnte, bin ich dazwischen gegangen, als einer der Männer ihn schlagen wollte, um ihn zur Ruhe zu bringen. Ich habe ihm gesagt, dass er sich ab sofort ruhig verhalten soll, sonst würde es mächtig Ärger geben.“

                          Fox zog eine Augenbraue hoch. Nurara gab ihm unvermutet eine Vorlage. „Soso, Sie haben ihm also Gewalt angedroht?“

                          Nurara schüttelte energisch den Kopf, sodass ihre Haare hin und herflogen. „Nein, Sir, das habe ich nicht gesagt. Ich habe nur mit ihm lautstark geschimpft.“

                          Fox wandte sich an Richter Callahan. „Keine weiteren Fragen Sir.“

                          Callahan nickte und sah zu Jonathan McCabe herüber. „Haben Sie Fragen an die Angeklagte?“

                          „Nein, Sir“, gab Jonathan zurück.

                          „Die Angeklagte darf sich wieder auf ihren Platz setzen. Möchte die Anklage einen Zeugen aufrufen?“

                          „Nein, Euer Ehren“, antwortete Fox ohne von seinen Unterlagen aufzusehen.

                          „Mister McCabe, möchten Sie Ihren Zeugen aufrufen?“

                          Jonathan erhob sich. „Sehr gerne, Sir. Ich rufe Ken Scott in den Zeugenstand.“ Der Gerichtsdiener öffnete die Seitentür und herein kam ein kleiner, blonder Junge mit aufgeweckten Augen und energisch vorgestrecktem Kinn. An seiner Seite folgte ihm ein Mann mittleren Alters, bei dem es sich um den Direktor seines Internats handelte. Ken ging am Tisch der Verteidigung vorbei und sah Nurara neugierig an. Es schien nicht so, dass Ken Angst vor dieser Frau hatte. Nurara versuchte ein zurückhaltendes Lächeln, das der Junge jedoch nicht erwiderte.

                          Richter Callahan, der eigentlich an diesem Tage keine besonders gute Laune hatte, begrüßte Ken leutselig. „Hallo mein Junge, setz dich doch bitte hier auf den Stuhl neben mich.“ Er wies auf den Zeugenstand. Artig nahm Ken Platz. Der Direktor setzte sich in die erste Publikumsreihe hinter dem Tisch der Staatsanwaltschaft. Callahan wandte sich lächelnd an Ken. „Ken, du weißt, warum du heute hier bist?“

                          Ken nickte. „Ja, Sir.“

                          „Und dir ist klar, dass du hier eine Aussage machst, die sich nachhaltig auf das Schicksal dieser Frau auswirken kann? Du musst hier vor Gericht die Wahrheit sagen.“

                          Ken nickte eifrig. „Ja, Sir, das weiß ich!“

                          Callahan sah zu Jonathan herüber. „Ihre Fragen, Mister McCabe.“

                          Jonathan stand wieder auf und ging zum Zeugenstand hinüber. „Hallo Ken. Hast du diese Frau dort schon einmal gesehen?“

                          Ken verzog keine Miene. „Ja, Sir, ich kenne die Frau. Sie heißt Nurara und ist die Freundin von diesem fiesen Vul Kuolun.“

                          Jonathan grinste. „Sie war es, aber das nur nebenbei. Ken, würdest du den Anwesenden bitte erzählen, was sich an jenem fraglichen Tag zugetragen hat, als man dich auf Kuoluns Raumschiff verschleppte?“

                          Ken rutschte auf dem Stuhl hin und her. „Ich hatte mich an Bord der Comet geschlichen und Otho hatte mich gefunden. Captain Future konnte aber nicht mehr umkehren, weil wir schon auf dem Anflug auf den Planeten waren. Als wir gelandet waren, wollte ich unbedingt mitkommen, aber der Captain sagte, ich sollte beim Schiff bleiben und es bewachen. Der Captain hielt das für sinnvoll, weil auf dem Planeten Tiere rumlaufen, die nicht ins Raumschiff kriechen sollten. Von Otho bekam ich eine Stunnerpistole, mit der ich die Tiere verjagen konnte.“

                          „Wo hast du dich aufgehalten? Im Schiff?“

                          Ken schüttelte seine blonden Locken. „Nein, Sir. Ich war draußen auf dem Landefeld.“

                          „Was passierte dann?“

                          „Irgendwann flog mir so ein komisches Insekt oder so mitten ins Gesicht. Da habe ich mich so erschrocken, dass ich meine Pistole fallengelassen habe und ins Schiff gerannt bin, um mich zu verstecken.“ Ken schüttelte sich angewidert, als er noch einmal an das kleine Tier denken musste.

                          „Wie ging es weiter?“, fragte Jonathan.

                          „Nach ein paar Minuten hörte ich ein anderes Raumschiff neben uns landen und jemand kam an Bord. Es waren zwei von Kuoluns Männern. Sie hatten mich schnell gefunden und mitgenommen.“

                          „War Nurara dabei?“

                          „Nein, Sir, sie war nicht dabei.“

                          „Wann hast du Nurara zum ersten Mal gesehen?“

                          Ken überlegte kurz. „Ein paar Minuten, nachdem wir gestartet waren. Vorher nicht.“

                          „Wie hat sie sich verhalten, als sie dich das erste Mal sah? Hat sie mit dir geredet?“

                          „Nein, Sir, sie hat erst mit den Männern geschimpft, ob sie denn verrückt geworden wären, mich mitzunehmen.“

                          „Was hast du gemacht?“

                          „Ich hab versucht, mich zu befreien, da hat mich einer der Männer geschlagen. Nurara ist dann dazwischen gegangen und hat dem Kerl eine verpasst. Dann hat sie mit mir geschimpft und mir gesagt, ich soll gefälligst den Mund halten, sonst könnte ich was erwarten.“

                          „Hat sie das wirklich so gesagt, oder hat sie dir Prügel angedroht?“

                          „Sie hat es so gesagt, ich vergesse das nicht, sie hatte so einen stechenden Blick, das hat mir Angst gemacht, aber sie hat mir nichts getan. Später, als wir wieder gelandet waren, hat sie mir noch heimlich was zu essen und zu trinken gegeben. Dann haben mich die Männer eingesperrt.“

                          Jonathan lächelte. „Danke, Ken. Das war sehr aufschlussreich. Keine weiteren Fragen an den Zeugen, Euer Ehren.“

                          Jonathan ging an seinen Platz und lächelte Nurara aufmunternd an. Er flüsterte ihr ins Ohr: „Genauso hat er seine Aussage auch bei meiner Befragung gemacht. Auf den Jungen ist Verlass!“

                          Richter Callahan rief Fox auf. „Ihr Zeuge, Mister Fox.“

                          Fox erhob sich und lächelte Ken so freundlich, wie es ihm möglich war an. „Ich habe nur zwei Fragen an dich, Ken. Ich habe gehört, dass du gerne Mitglied der Future Crew sein möchtest. Stimmt das?“

                          Ein Strahlen huschte über Kens Antlitz. „Ja, Sir, das ist absolut richtig! Leider sagt der Captain immer, ich wäre noch zu jung und ich soll erst mal die Schule machen.“

                          Fox und alle Anwesenden schmunzelten. „Da wird der Captain schon Recht haben, mein Junge. Schule ist immens wichtig. Was muss man denn mitbringen, wenn man Mitglied der Future Crew werden will?“

                          Wie aus der Pistole geschossen antwortete Ken: „Disziplin, Tapferkeit, Loyalität und Ehrlichkeit.“

                          Fox Miene fiel etwas in sich zusammen und er sah Ken ernst an. Mit eisiger Stimme sagte er: „Mit der Disziplin scheint es bei dir ja nicht weit her zu sein, wenn du dich heimlich an Bord von Raumschiffen schleichst, junger Mann …“

                          Nurara und Jonathan klappten die Kinnladen herunter. Versuchte Fox jetzt ein Kind im Zeugenstand auseinander zu nehmen? Jonathan sprang auf und rief: „Ich erhebe Einspruch! Der Staatsanwalt versucht den Zeugen einzuschüchtern!“

                          Bevor Richter Callahan etwas sagen konnte, hob Fox die Hand. „Warten Sie bitte mit Ihrem Einspruch, Herr Kollege.“ Er sah Ken fest in die Augen. „Disziplin muss man lernen, das ist manchmal ein langer und schwieriger Prozess. Loyalität und Ehrlichkeit sind auch nicht unbedingt Eigenschaften, die man in die Wiege gelegt bekommt. Davon sehe ich aber sehr viel bei dir, Ken. Arbeite an deiner Disziplin und du schaffst es vielleicht eines Tages in Captain Futures Crew. An deiner Ehrlichkeit habe ich keinen Zweifel. Keine weiteren Fragen an den Zeugen.“ Er zwinkerte Ken noch einmal freundschaftlich zu und setzte sich wieder an seinen Platz.

                          Der Internatsdirektor nahm auf ein Zeichen des Richters Ken in Empfang und geleitete ihn in Richtung Seitentür. Auf der Höhe von Nuraras Platz wagte Ken einen Seitenblick zu der jungen Frau. Sie lächelte freundlich und sagte halblaut: „Danke, Ken!“ Dann warf sie ihm eine Kusshand zu. Ken lief knallrot an und schaute verschämt zu Boden, während er mit seinem Lehrer den Gerichtssaal verließ.




                          Queens, verlassenes Lagerhaus, eine weitere Woche später


                          Peyo wanderte nervös in dem heruntergekommenen Büro hin und her. In den letzten Tagen fuhren immer öfter Polizeistreifen in der Gegend herum. Seit er die Rulwakowas erschossen hatte, wirkte er gehetzt und glaubte, langsam paranoid zu werden. An jeder Straßenecke erwartete Peyo, in einen Policeofficer hineinzulaufen und Handschellen klicken zu hören. Dabei hatte die Polizei bis jetzt keine heiße Spur zum Schützen. Den Revolver und die restliche Munition hatte er an einem sicheren Ort versteckt, er wollte auf keinen Fall, dass die Waffe vor Durchführung seiner Mission in die Hände der Polizei fiel. Seine Mission – oder das was er dafür hielt – konnte er in Anbetracht des derzeitigen Polizeiaufgebotes in New York nicht durchführen. Er musste eine Weile untertauchen, bis Gras über die Rulwakowa-Sache gewachsen war. Die Mission konnte warten, er musste nur regelmäßig die Presse und die Nachrichten im Holo-TV verfolgen. Er würde den richtigen Zeitpunkt für seine Rückkehr finden und dann zuschlagen. Peyo begann, seine wenigen Habseligkeiten in eine fadenscheinige Sporttasche zu packen und nahm das kleine Datapad in die Hand, auf dem der rote Punkt unermüdlich blinkte. Halblaut sagte er: „Ich komme wieder. Und dann bist du fällig …“ Peyo schaltete das Gerät ab und legte es obenauf in die Tasche. Er zog den Reißverschluss zu, schulterte die Tasche und verließ die Lagerhalle.
                          Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                          Mission accomplished.

                          Kommentar


                            #58
                            Action!

                            Weltraumpolizeipräsidium, am späten Abend

                            Es war weit nach dreiundzwanzig Uhr, als Katherine aus dem Aufzug im 35. Stock trat. Sie wollte noch schnell die Schlüsselkarte zu ihrem Appartement aus ihrem Büro holen. Sie rechnete fast damit, dass John noch bei der Arbeit war. In den zwei Wochen Urlaub hatte sie fast täglich mit John über das Holonet gesprochen. Oft musste John ihr gestehen, dass er und Professor Simon nicht viel weitergekommen waren. Die Situation war anscheinend auch für das lebende Gehirn komplexer als angenommen. Die Tür zu Johns Büro stand offen und aus dem Inneren war leises Stimmengemurmel zu hören. Katherine stellte ihre Reisetasche auf dem Flur ab und trat vorsichtig ein. Simon bemerkte sie und hob seine Tentakel. „Katherine! Willkommen zurück!“, schnarrte er. „Haben Sie sich gut erholt?“

                            Katherine lehnte sich lässig grinsend an den Türrahmen. „Oh ja, vielen Dank, Professor. Wo ist denn mein Cowboy?“

                            Simon gab ein rasselndes Geräusch von sich, das entfernt an ein Lachen erinnerte. „John ist mal kurz raus, er wird gleich wiederkommen.“

                            In diesem Moment legten sich zwei kräftige Arme um ihre Hüften und eine Stimme raunte in ihr Ohr: „Hey Southern Belle, schön dass du wieder da bist.“ Katherine drehte sich um und schaute in ein paar kaffeebraune Augen, die sie anstrahlten. Sie drückte die dazugehörigen Lippen auf die ihren und gab dem großen Mann einen innigen Kuss.

                            Simon schwebte zu den beiden Verliebten und sagte: „John, ich bedaure, Sie in Ihrer beider Wiedersehensfreude stören zu müssen, aber ich glaube, ich habe was entdeckt. Schauen Sie sich das bitte mal an.“

                            Sofort ließ John von Katherine ab und folgte Simon zu den Monitoren. „Oh!“, sagte er nur.

                            „Was ist?“, wollte Katherine wissen.

                            „Im dritten Untergeschoss ist gerade ein Terminal aktiv. Das sollte es um diese Uhrzeit eigentlich nicht sein“, brummte John.

                            „Was ist denn im dritten Untergeschoss?“, fragte Simon.

                            John rief einen Bauplan des Polizeipräsidiums auf. „Das Terminal dort steht in der Warenannahme für die Kantinen und Gastronomiebetriebe hier im Gebäude. Dort wird in der Woche nur von sieben Uhr bis dreizehn Uhr gearbeitet. Ich sehe gerade, dass dort jemand herumläuft.“ John rief die entsprechenden Überwachungskameras auf, jedoch eine Sekunde zu spät. Die verdächtige Person war verschwunden. John griff in die Schublade seines Schreibtisches und holte seine Protonenpistole heraus. „Das sollten wir uns mal genauer ansehen. Kat, bitte hole deine Waffe aus deinem Büro.“

                            Katherine wurde schlagartig ernst. „Mach ich, John, bin sofort wieder da.“ Sie packte ihre Reisetasche und verschwand. Nur wenige Augenblicke später stand sie mit ihrer Dienstwaffe wieder im Türrahmen. Mit ihren streng zurückgebundenen schwarzen Haaren, der schwarzen Lederjacke, die sie trug und den schweren Stiefeln wirkte sie grimmig und zu allem bereit.

                            Simon erhob einen Einwand. „Sollten wir nicht die Wache informieren?“

                            John schüttelte den Kopf. „Zu riskant. Wir wissen nicht, was Luther – wenn er sich da unten rumtreibt – alles angezapft hat. Wenn er am Hausnetz mitlauscht, verraten wir uns. Wir sollten so wenig Aufsehen wie möglich erregen. Gehen wir!“

                            Mit seiner Pistole fest in der Faust marschierte John entschlossen voran. Der Turbolift brachte sie ins erste Untergeschoss, von dort nahmen sie das Treppenhaus. Im dritten Untergeschoss ging John an das Bedienungselement der schweren, hydraulisch betätigten Schiebetür und stellte mit einigen schnellen Befehlen auf manuelle Bedienung um. Er nahm einen der beiden Griffe in die Hand und sagte: „Kat, nimm den anderen Griff. Auf drei schiebst du, so kräftig du kannst.“ Kat tat wie ihr geheißen und John begann zu zählen. „Eins, zwei, drei!“ Beide drückten nach Leibeskräften das schwere Schott einen großzügigen Spalt auseinander. Es bewegte sich fast geräuschlos in seiner Führungsschiene. Bei hydraulischer Betätigung hätte es ein lautes Zischen gegeben. Vor ihnen eröffnete sich ein fünfzig Meter langer, nur notdürftig ausgeleuchteter Korridor mit großen Türen beiderseits, die Kühl-, Lager- und Verarbeitungsräume beherbergten. Am Ende des Korridors gab es einen Durchgang, der mit transparenten Kunststoffstreifen verhängt war. Dahinter war es dunkel.
                            John nahm seine Protonenpistole aus dem Holster und überprüfte den Ladezustand, dann blickte er Katherine und Simon an. „Bereit?“, flüsterte er. Katherine nickte, Simon ließ ein grünes Licht an seinem Gehäuse aufblinken. Mit einer Geste wies er Katherine an, die Türen auf der linken Seite des Ganges auf Verschluss zu prüfen, er übernahm die rechte Seite. Simon schwebte versetzt dahinter über ihren Köpfen. Langsam setzte sich das Trio in Bewegung und ging eine Tür nach der anderen ab. Bis zum Durchgang fanden sie alle Türen verschlossen vor. John schob vorsichtig mit vorgehaltener Waffe den Plastikvorhang beiseite, um Simon freie Flugbahn zu geben. Dann gab er Katherine einen Wink, ihm selbst zu folgen. Auf der anderen Seite war der Türrahmen von zwei hüfthohen Mauern gesäumt, hinter denen die drei kurz Deckung suchten. Bis auf wenige Notbeleuchtungen war die große Halle der Warenannahme ins Dunkel getaucht. John deutete auf eines der großen Rolltore auf der gegenüberliegenden Seite, etwa zwanzig Meter entfernt.
                            „Dort drüben, halb rechts, ist das Büro des Lagerleiters. Da drin steht das Terminal“, flüsterte er. Auch das Büro war unbeleuchtet, nur ein fahler grüner Lichtschein war wahrzunehmen, der vom Monitor herzukommen schien. „Simon, ich möchte, dass Sie halb links vom Tor den Netzwerkschrank unter die Lupe nehmen. Vielleicht fällt Ihnen dort was auf, ein Gerät, was dort nicht hingehört oder ähnliches.“ Simon blinkte zur Bestätigung kurz grün auf. Er antwortete nicht verbal, da seine Computerstimme in einer solchen Situation viel zu laut war. „Kat, du postierst dich zwischen den Gitterboxen und zwar so, dass du das Büro und den Netzwerkschrank im Blick hast. Hast du eine Taschenlampe dabei?“ Katherine nickte stumm und grinste raubtierhaft. Diesen Blick hatte John bisher noch nicht an ihr gesehen und ließ ihm die Nackenhaare aufstellen. „Okay, dann los!“

                            In geduckter Haltung schlich John sich in Richtung der vor ihnen stehenden Gitterboxen und Kistenstapel, dicht gefolgt von Katherine. Simon bewegte sich derweil im Tiefflug und so leise wie möglich in die andere Richtung. Als die beiden Polizisten an der zweiten Boxenreihe ankamen, geriet Simon kurz außer Sicht – ein gefährlicher Moment. Jedoch blieb es weiterhin ruhig in der großen Halle. John machte sich bereit für den kurzen Sprint zum Büro. Katherine packte seinen Oberarm und hauchte ihm einen Kuss auf die Wange. „Sei vorsichtig, Cowboy! Ich möchte dich eine noch eine Weile behalten“, flüsterte sie.

                            John legte leise seine Waffe auf den Boden und drückte Katherine fest an sich. Der aparte Geruch ihrer Lederjacke vermischte sich mit ihrem würzigen Parfum in seiner Nase. „Wird ein Spaziergang, Süße. Pass nur auf, dass sich keiner anschleicht, wenn ich drin bin. Sobald die Tür zu ist, bin ich taub! Das Büro ist schalldicht.“ Er drückte ihr einen schnellen Kuss auf die Lippen, nahm seine Waffe auf und schlich davon.

                            Katherine richtete sich auf, die Protonenpistole mit der Mündung nach vorne zum Boden gestreckt. Sie warf einen vorsichtigen Blick um die Ecke der Gitterbox und konnte im Halbdunkel erkennen, wie Professor Simon den Netzwerkschrank erreichte und um ihn herum flog. Dann verschwand er aus ihrem Blickfeld. Sie wagte noch zwei vorsichtige Schritte um die Box herum und sah, wie John die Tür zum Büro des Lagerleiters erreichte. Er sah sich noch einmal in alle Richtungen um, ihre Blicke trafen sich kurz, dann öffnete er die Tür und schlüpfte hinein. Katherine drückte sich dicht mit dem Rücken an die Gitterbox, immer wieder um sich schauend. Einige lange Sekunden lauschte sie in die Stille. Plötzlich meinte sie, links hinter sich ein Rascheln zu hören. Vorsichtig wandte sie sich um und schaute zwischen die langen Reihen von Kartons, Kisten und Gitterboxen. Sie konnte gerade noch erkennen, wie ein Schatten zwischen den Stapeln verschwand und eine Plastikfolie sich im Luftzug bewegte. Dann wurde sie von hinten gepackt und wie mit einem Schraubstock in den Schwitzkasten genommen. Der Angreifer riss sie herum, packte das Gelenk ihrer Waffenhand und schlug es mit brutaler Gewalt gegen die Kante der Gitterbox. Katherine schrie auf vor Schmerz und ließ ihre Waffe fallen. Mit einem Fußtritt kickte ihr Gegner die Pistole außer Reichweite. Verzweifelt versuchte Katherine sich zu wehren, konnte aber gegen die Bärenkräfte des Angreifers nichts ausrichten, er war zu stark.

                            „Hallo Major Ballard“, hörte sie eine vertraute Stimme flüstern. Es war Captain Frank Luther. „Ich hätte nicht gedacht, dass wir zwei einmal so auf Tuchfühlung kommen. Unter anderen Umständen wäre es vielleicht für uns beide angenehmer gewesen, aber Sie und Ihr kleiner Corporal mussten ja unbedingt dieses Fass aufmachen.“ Dann spürte Katherine etwas kaltes, metallisches an ihrer Schläfe. Luther hatte eine Pistole auf ihren Kopf gerichtet.

                            „Lassen … Sie … mich … los!“, ächzte Katherine unter Luthers Würgegriff. Ihre Stimme war nur noch ein Röcheln. „Damit … kommen … Sie … nie … durch!“

                            Luther lachte heiser. „Das denken Sie! Sie und Milner werden nämlich gleich einen spurlosen Abgang machen.“ Was Luther konkret damit meinte, ließ er offen. „Los, vorwärts! Gehen wir Ihren kleinen Freund holen. Und hören Sie verdammt noch mal auf zu zappeln!“ Unsanft setzte sich Luther mit Katherine im festen Schwitzkasten in Bewegung. Immer wieder versuchte Katherine ihren Ellenbogen in seinen Bauch zu rammen, was dem Captain aufgrund seiner Leibesfülle aber nichts auszumachen schien. Ohne Anstrengung schleifte er die zierliche Frau wie eine Puppe mit sich, während er auf das Büro des Lagerleiters zusteuerte.

                            John bekam von dem, was sich draußen in der Halle abspielte, nichts mit. Auf dem Bildschirm des Terminals sah er eine Statusmeldung der Überwachungskameras. Sie waren nicht nur einfach deaktiviert, sondern softwaremäßig regelrecht unbrauchbar gemacht. Die Kommunikationszentrale empfing derzeit lediglich ein unverfängliches Standbild einer vermeintlich menschenleeren Lagerhalle. Auf einer anderen Statusmeldung erkannte John einen Ladebalken. Hier wurden vom Zentralserver Dateien kopiert! Vergeblich versuchte er, den Kopiervorgang abzubrechen. John sprang auf und nahm seine Pistole in die Hand. Er musste zum Verteilerschrank und sämtliche Verbindungen kappen. In diesem Moment wurde die Bürotür krachend aufgetreten. Vor ihm stand Frank Luther und er hatte Katherine in seiner Gewalt. Geistesgegenwärtig riss John die Pistole hoch und zielte auf seinen ehemaligen Vorgesetzten. „Lass Katherine los, Frank! Du bist überführt!“, brüllte er.

                            Luther blieb unbeeindruckt. „Ah, ah! Vergiss es Kleiner! Du legst jetzt mal brav die Waffe weg und folgst mir langsam nach draußen, hast du verstanden?“

                            Katherine schüttelte den Kopf. „Nein, John, tu es nicht! Leg ihn um!“, presste sie hervor, dabei bekam sie kaum noch Luft.

                            John legte den Sicherungsschalter seiner Pistole von „Betäuben“ auf „Töten“ um. Luther tat es ihm nach. „Wenn du abdrückst, John, tötest du zwei Menschen“, grunzte er. „Ich bin dir sicherlich ziemlich egal, aber dieses hübsche Mädchen hier ganz bestimmt nicht, oder?“ Sein Grinsen war nur eine hässliche Fratze.

                            „Hör nicht auf ihn, John, er will uns sowieso umbringen. Drück endlich ab und leg das Schwein um!“, warf Katherine ein. Aus dem Augenwinkel sah John durch das Fenster, wie Professor Simon hinter dem Netzwerkschrank hervorgeschwebt kam. Er blinkte zweimal rot und hob sich in die Höhe.

                            „Frank, was du da tust, ist Hochverrat! Willst du auch noch zum Mörder werden? Du gehst doch bald in den Ruhestand. Was ist damit? Willst du den Rest deines Lebens im Gefängnis verbringen?“, rief John panisch.

                            Luther gab ein verächtliches Schnauben von sich. „Kleiner, du hast keine Ahnung. Da wo ich hin gehen werde, gibt es keine Auslieferung, keine Strafverfolgung. Wenn ich hier fertig bin, erwartet mich eine hübsche Summe Geld, ein Haus am See in schöner Umgebung und ein sorgloses Leben. Das war mein Plan und ihr zwei Kasper werdet diesen Plan nicht durchkreuzen!“

                            Katherine hatte aufgehört sich zu winden. Ihr rechter Arm hing lang ausgestreckt an ihr herab. Auch sie hatte aus dem Augenwinkel bemerkt, dass Simon herannahte. Sie sah, dass Simon ein rotes Dauerlicht leuchten ließ. Als es nach grün wechselte, packte sie mit der freien rechten Hand Luther in den Schritt und drückte so fest zu, wie sie nur konnte. Im selben Augenblick feuerte Simon aus seinen Tentakeln zwei feine Laserstrahlen ab, die Luther am Hinterkopf trafen und ihm Haar und Kopfhaut versengten. Vor Schmerz brüllend ließ er Katherine los und seine Waffe fallen. Katherine wiederum reagierte geistesgegenwärtig, drehte sich auf dem Fußballen um und trat Luther mit der Stiefelspitze gegen das rechte Jochbein. Von diesem harten Treffer betäubt, taumelte er nach hinten und fiel der Länge nach auf den Rücken – genau neben Katherines Protonenpistole. Luther brauchte nur einen Sekundenbruchteil, um wieder zu sich zu kommen, griff nach der Pistole, rappelte sich auf und feuerte auf Simon. Gekonnt wich dieser den Schüssen aus und suchte Deckung hinter einem Stahlcontainer.

                            „John!“, rief Katherine, „mach du weiter, ich kümmere mich um Luther!“ Sie stürmte auf den dicken Captain zu und trat ihm die Pistole aus der Hand.

                            „Das war ein Fehler, Miststück!“, knurrte er und versuchte Katherine einen Kinnhaken zu verpassen. Routiniert duckte sie sich weg. Was Katherine an Kraft fehlte, machte sie mit schnellen Reflexen wieder wett. Luther schaffte es nicht, bei ihr auch nur einen gefährlichen Treffer zu landen. Er drängte sie aber mit fliegenden Fäusten immer weiter vom Büro weg. Was er jedoch nicht bemerkte, war, dass Simon etwa fünf Meter hinter ihm herflog und Maß nahm. Simon wartete auf den richtigen Augenblick, in dem Luther kurz aufrecht stand, dann beschleunigte er, feuerte unablässig feine Laserstrahlen ab und rammte Luther mit seinem hochfesten Stahlgehäuse am Hinterkopf. Beim Aufschlag brach jedoch der linke von Simons Stabilisatoren ab und ließ Simon in einer schnellen Trudelbewegung zu Boden fallen. Mit einem scheppernden Geräusch, ähnlich dem eines metallenen Topfdeckels, der auf einen Steinboden fällt, schlug Simon auf und schlitterte noch ein paar Meter weiter. Der Treffer hatte aber seine Wirkung nicht verfehlt. Luther kippte vornüber und fiel bewusstlos auf die Erde.
                            Als sie den hilflosen Professor zu Boden krachen sah, schrie Katherine auf. „Professor! Alles in Ordnung mit Ihnen?“ Sie stürmte auf ihn zu und kniete sich vor ihm hin.

                            Simon richtete seine Tentakel auf Katherine und antwortete mit rasselnder Computerstimme: „Danke, Major, es geht mir soweit gut. Ich kann nur nicht mehr kontrolliert fliegen und meine Energiezelle ist zu dreiviertel entleert. Die Schießerei kostet eine Menge Energie. Normalerweise benutze ich diese Laserstrahlen als Präzisionswerkzeuge. Ich müsste so schnell als möglich auf meinen Torso zum Aufladen. Wenn es Recht ist, schalte ich für einen Moment in Stand-By. Ach ja, Sie sollten Luther fesseln, es kann sein, dass er gleich wieder zu sich kommt.“ Dann wurde der Glasbehälter, der Simons Gehirn schützte, einige Nuancen dunkler.

                            Captain Luther fesseln. Womit? Katherine trug zivil und hatte keine Handschellen dabei, John wahrscheinlich schon, aber sie wollte Luther jetzt auf keinen Fall aus den Augen lassen. Sie sah sich um und fand in einem kleinen Wandregal eine Rolle breites Klebeband, das sie benutzte, um Luther an Händen und Füßen zu fesseln. Vorsichtig nahm Katherine Simon auf, sammelte den abgebrochenen Stabilisator ein und ging zurück ins Büro. Jetzt war es an der Zeit, die Wache zu rufen, damit sie Luther abführte. John stand im Büro und sah zufrieden aus. Anscheinend hatte er Luthers Diebstahlversuch unterbinden können. Als er jedoch den angeschlagenen Professor Simon auf Katherines Händen sah, schaute er sie erschrocken an. „Was ist mit Simon? Ist er …“

                            „Keine Sorge John, Simon hat sich nur für einen Moment abgeschaltet, um Energie zu sparen. Bis auf den abgerissenen Stabilisator ist er in Ordnung, das hat er zumindest eben gesagt“, wiegelte Katherine ab. Behutsam stellte Katherine Simons Gehäuse auf dem Tisch ab und umarmte John. Er sah in ihre glänzenden grauen Augen und lächelte. „Du hättest nicht geschossen, oder?“, fragte sie.

                            „Doch, und du hättest nicht einen Kratzer abbekommen. Ich schieße einem Eichhörnchen eine Nuss aus den Pfoten ohne es anzukokeln …“, antwortete John mit einem selbstgefälligen Grinsen.

                            Katherine ballte die Faust und schlug auf seine muskulöse Brust. „Du bist ein Idiot und ein Macho!“, sagte sie säuerlich. Nach einer Pause ergänzte sie: „Aber ich liebe dich trotzdem!“ Sie hielt eine Sekunde inne und erinnerte sich an den Moment, in dem sie von Captain Luther hinterrücks angegriffen wurde. „John, ich glaube, es ist noch jemand hier. Mir war vorhin so, als wäre jemand zwischen den Kisten herum geschlichen.“

                            John griff nach seiner Pistole und sagte lakonisch: „Dann lass uns mal nachsehen.“

                            Gemeinsam verließen sie das Büro. Katherine warf einen Blick in die Richtung, wo eben noch der bewusstlose Captain gelegen hatte. Er war verschwunden. Katherine zog John am Ärmel in Richtung der ersten Gitterbox in unmittelbarer Nähe. Im Vorbeigehen hob sie ihre Pistole auf. Sie deutete entlang der Kistenstapel und fragte flüsternd: „Was ist am Ende der Halle?“

                            „Ein rückwärtiger Zugang zu den Lagerräumen und ein Lastenaufzug“, antwortete John, der Grundriss und Etagenpläne des Gebäudes in- und auswendig kannte.

                            Katherine presste die Lippen aufeinander und nickte entschlossen. „Ich glaube, in diese Richtung sind sie verschwunden.“ Sie gab John einen Klaps auf den Oberarm und schlich mit vorgehaltener Pistole voran. John folgte ihr seitlich versetzt, dicht an die zweite Reihe mit Kisten und Containern gedrängt. Bis zum Ende der Halle war eine Distanz von etwa sechzig Metern zu überwinden. Auf der Hälfte der Strecke hob Katherine die Hand als Zeichen zum Halt und lauschte. Sie deutete auf ihr Ohr und wies mit der Hand auf einen Kistenstapel schräg rechts vor sich. John nickte ihr zu, auch er hatte es gehört. Das scharrende Geräusch und ein hohes, schweres Atmen waren deutlich zu vernehmen. Allerdings gehörten die Atemgeräusche definitiv nicht zu Captain Luther, sie waren eher weiblich.
                            Katherine griff mit der freien Hand in die Innentasche ihrer Jacke und zog eine handliche, aber leistungsfähige Taschenlampe heraus, die sie auf ihrer Pistole befestigte. Die beiden Polizisten schlichen weiter vorwärts bis sie die breite Lücke zwischen den Kisten erreichten, aus der die Geräusche kamen. In dieser Lücke war es stockdunkel. Sie traten in den Durchgang und Katherine schaltete mit einer Daumenbewegung die Lampe ein. John und Katherine trauten ihren Augen nicht, wen sie schnaufend und ächzend dort vorfanden. „Stella!“, riefen beide im Chor und legten auf die junge Unteroffizierin und Assistentin des Marshalls an. Stella Winter erschrak und ließ den immer noch bewusstlosen Captain Luther fallen. Sie hatte ihm bereits die Klebebandfesseln entfernt und langte jetzt nach ihrer Waffe, die in einem Oberschenkelholster ruhte.
                            „Lass die Waffe stecken und nimm die Hände hoch, Stella!“, sagte John in ruhigem Ton. „Was treibst du hier? Was hast du mit Captain Luther zu tun?“

                            Zitternd hob Stella die Hände in die Höhe und senkte schuldbewusst den Blick. Sie begann zu stammeln. „I-ich wollte … das … nicht. Luther hat mich …“ Stella sah abwechselnd Katherine und John an. „Luther hat mich erpresst. Ich musste ihm helfen.“

                            John trat nach vorne und nahm Stella die Waffe ab. „Womit hat er dich erpresst?“, fragte er eindringlich.

                            Stella druckste herum. „Ich habe ein Verhältnis mit Commander Meyerhoff …“ Commander Dirk Meyerhoff war Chef der mobilen Sonderkommandos. Smart, groß, gutaussehend, beliebt bei seinen Männern der Abteilung und ganz besonders bei der weiblichen Belegschaft. Meyerhoff hatte nur einen kleinen Makel.

                            Katherines Augen wurden groß. „Mit Dirk? Dirk ist doch verheiratet und …“

                            „… hat drei Kinder, ich weiß“, beendete Corporal Winter den Satz. „Luther hat uns bei der letzten Weihnachtsfeier zufällig beobachtet, wie wir uns geküsst und ein wenig mehr getan haben. Das Schwein hat Fotos von uns gemacht und kam dann damit zu mir. Er drohte mir, mich bei Dirks Frau und dem Marshall anzuschwärzen, wenn ich nicht das tue, was er von mir verlangt. Er sagte, ich würde dann im hohen Bogen rausfliegen und meinen Dienstgrad verlieren.“

                            Katherine nickte. „Im Prinzip hat Luther Recht, was aber eine Erpressung in keiner Weise rechtfertigt. Sprechen Sie weiter, Corporal.“

                            Stella begann leise zu weinen. „Ich habe eine kleine Tochter und muss sie alleine großziehen. Deswegen bin ich ja auch nicht draußen, sondern unterstütze den Marshall. Ich brauche den Job doch!“

                            John legte Stella eine Hand auf die Schulter. „Was hat Luther von dir zu tun verlangt?“

                            Stella schluchzte. „Zuerst nur ein paar Botengänge nach Dienst zu irgendwelchen zwielichtigen Gestalten, dann sollte ich seine Dienstpläne manipulieren, anschließend musste ich Rechnungen und Geldtransfers der Behörde frisieren. Ich war immer ganz knapp davor, erwischt zu werden. Luther war das alles egal. Immer wieder drohte er mir, mich beim Chef zu diskreditieren, wenn ich nicht das tat, was er wollte.“

                            „Und wie lange erpresst er dich schon?“, wollte John wissen.

                            „Seit Januar, John. Er hat diesen Datendiebstahl schon von langer Hand geplant. Und das mit Nuraras Daten war nur ein Testlauf.“

                            „Sie wussten schon vorher, dass Luther Nuraras Ermittlungsakte weitergibt?“, fragte Katherine entsetzt.

                            Stella schüttelte ihren schwarzen Lockenkopf. „Nein, nicht vorher. An dem Tag, als John so aufgeregt zum Marshall wollte und mir sagte, wir hätten ein Datenleck, wusste ich Bescheid. Rauszufinden, um welche Daten es sich handelt, war sogar für mich einfach, obwohl ich von Computern so gut wie gar nichts verstehe. Ich bin dann zu Luther gegangen und habe ihn gewarnt. Ich habe ihn angefleht, damit aufzuhören. Er hat mich nur ausgelacht.“

                            John seufzte. „Stella, wir kommen aus dem gleichen Jahrgang, aus der gleichen Crew. Wir haben uns doch immer prächtig verstanden. Warum hast du nicht mit mir geredet? Wir hätten die ganze Scheiße hier verhindern können. Jetzt muss ich dich leider vorläufig festnehmen.“ Er griff hinter sich und zog ein paar Handschellen aus einer Gürteltasche.

                            Stella streckte freiwillig die Hände nach vorne aus und sagte tonlos: „Ich hatte einfach Angst, John. Angst um meine Zukunft, um mein Leben und um das meiner Tochter. Ich hatte keine andere Wahl.“

                            „Stimmt, du kleines Dreckstück. Du hattest keine andere Wahl …“, grollte eine tiefe Stimme hinter Stella. Luther war zu sich gekommen und aufgestanden. Er packte Stella mit einer irrsinnigen Geschwindigkeit, legte seinen Unterarm um ihren Hals und fasste mit der anderen Hand die kleine, zierliche Polizistin am Kinn. Mit einer lässigen Bewegung drehte er ihren Kopf und brach ihr das Genick. Das Bersten ihrer Halswirbelknochen war ein ekelerregendes Krachen und hallte unheimlich von den Wänden wider. Noch während er die tote Stella fallen ließ, hob Katherine ihre Waffe und schoss.
                            Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                              #59
                              Was kurzes für heute. Garnie zieht Kat und John mal gehörig die Ohren lang. So schätze ich den Marshall!


                              Dachterrasse, siebzigster Stock, später in der Nacht

                              Außer Katherine, John und einer gelangweilten Barkeeperin war gegen halb zwei Uhr niemand mehr in der kleinen Bar. Das Pärchen saß sich bei einem großen Krug Bier gegenüber. Beide starrten mit leerem Blick schweigend in ihre Gläser. Der Fall war aufgeklärt, Garnie informiert und im Kühlhaus lagen zwei Leichen. Immer wieder hatte Katherine Tränen in den Augen. „Corporal Winters Tod war so unnötig, so eine Verschwendung. Wie konnte Luther so etwas nur tun? Ein dreijähriges Mädchen hat jetzt keine Mutter mehr!“ Sie schniefte und die Tränen kullerten ihre Wangen hinunter.

                              Zaghaft ergriff John Katherines Hand und erklärte: „Ich habe bereits veranlasst, dass man den Vater der Kleinen informiert. Er und Stella waren kurz verheiratet, haben sich aber direkt nach der Geburt scheiden lassen. Er ist wieder verheiratet, hat regelmäßigen Kontakt zu seiner Tochter und liebt sie über alles. Die Kleine wird eine Familie haben, das ist sichergestellt.“

                              Katherine wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg und verschmierte ihr Makeup. Sie bedachte John mit einem halben Lächeln. „Das ist gut zu hören.“

                              John wechselte das Thema. „Ich kann Frank nicht verstehen, Kat. Wie konnte ein langjähriger Polizeioffizier kurz vor der Pensionierung noch der Korruption anheimfallen? Ich habe diesem Mann vertraut, zu ihm aufgesehen, ihn als väterlichen Freund betrachtet.“ Er trank sein Glas in einem Zug aus.

                              Katherine wog den Kopf langsam hin und her und gähnte hinter vorgehaltener Hand, der Alkohol zeigte schon seine Wirkung. „Weißt du, John, Menschen tun manchmal die unmöglichsten Dinge, wenn sie meinen, schnellen Erfolg haben zu können. Ich denke, bei Luther war es einfach nur die Aussicht auf schnelles Geld. Er war sich seiner Sache zu sicher – und er hat dich unterschätzt. Aber die ganze Wahrheit werden wir leider nicht mehr erfahren.“ Sie nahm den großen Bierkrug und schenkte John und sich mit zittrigen Händen nach. „Hey, Cowboy“, sagte sie leise, „ Es ist spät und ich würde gleich gerne zu Bett gehen …“

                              John nickte langsam und antwortete: „Ja, es wird langsam Zeit.“

                              „Ich möchte heute Nacht nicht alleine sein …“

                              John nahm Katherines Hand und küsste sie zärtlich. „Alles was du willst, Kat …“






                              Marshall Garnies Büro, am nächsten Morgen



                              Unausgeschlafen und zerknittert saßen Katherine und John ihrem Chef gegenüber. Er hatte sie von ihrem Frühstück in sein Büro wegzitiert und starrte die beiden nun mit eisiger Miene schweigend an. Dabei klopfte er unentwegt mit den Fingern auf die schwere Tischplatte.
                              Katherine versuchte zu einer Verteidigung anzusetzen. „Sir, ich möchte …“

                              „Halten Sie den Mund, Major!“, grollte Garnie. „Ich will jetzt von Ihnen beiden kein Wort der Entschuldigung hören. Das, was gestern Abend passiert ist, ist im höchsten Maße bedauerlich.“ Katherine und John nickten gleichermaßen beflissen wie betroffen. Garnie fuhr fort: „Sie haben beide gute Arbeit geleistet, indem Sie Luther zur Strecke gebracht haben. Dass Sie, Major, ihn zum Eigenschutz erschießen mussten, kann ich nachvollziehen. Dass Sie beide nicht in der Lage waren, in dieser Situation Corporal Winter vor einem tödlichen Angriff zu schützen, verstehe ich auch noch. Was mir jedoch nicht in den Kopf will, ist, dass Sie beide mir einen Bericht abliefern, der mir eine Untersuchung der Internen Abteilung einbringt!“ Garnie schlug mit der Faust auf den Tisch. „Sind Sie beide wahnsinnig geworden? Ehebruch, Erpressung, Veruntreuung, Urkundenfälschung – in meiner Behörde! Wollen Sie, dass wir drei ab nächsten Monat wieder Streife in der Bronx laufen?“ Katherine und John schüttelten eifrig die Köpfe. Garnie wetterte weiter: „Ich sage Ihnen beiden jetzt mal was, und das schreiben Sie sich gefälligst hinter die Ohren. Corporal Winter war eine hervorragende Polizeibeamtin, fleißig, loyal und integer. Sie werden jetzt Ihre Berichte dahingehend abändern, dass diese Eigenschaften darin hervorgehoben werden. Corporal Winter wird ein Begräbnis mit allen Ehren bekommen und ihre kleine Tochter erhält eine angemessene Zahlung aus dem Rentenfonds. Das sind wir dem Mädchen schuldig, haben Sie beide das verstanden?“ Die beiden jungen Leute nickten schweigend. Garnie atmete tief durch und sprach mit ruhiger Stimme weiter: „Gut, das wäre geklärt. Wenn Sie in Zukunft wieder so einen vertrackten Fall haben, sprechen Sie gefälligst vorher mit mir, kapiert? Und jetzt raus hier!“
                              Erleichtert erhoben sich Katherine und John. Sie hatten damit gerechnet, dass der Abriss ihres Chefs noch gewaltiger ausfallen würde. Vor der Bürotür rief Garnie Katherine noch einmal zurück: „Katherine, heute kommt Professor Kesselring aus Deutschland, richtig?“

                              „Ja, Sir, ich erwarte sie heute am frühen Nachmittag“, bestätigte sie.

                              „Gut, lassen Sie eines der Appartements für sie herrichten. Sie wird für die Dauer ihres Aufenthaltes unser Gast sein. Und dann möchte ich Sie mit Professor Kesselring und Nurara hier bei mir im Büro sehen. Und rufen Sie den alten McCabe an, er wird sicherlich auch dabei sein wollen.“

                              Katherine salutierte. „Wird gemacht, Sir.“ Dann ging sie hinaus. Draußen, im Vorzimmer des Marshalls stand John vor Stellas verwaistem Schreibtisch.

                              „Und?“ Er sah sie fragend an.

                              Katherine setzte ihre entschlossene Ermittlermiene auf. „Gehen wir arbeiten, Lieutenant. Wir haben noch ein paar Dinge aufzuräumen.“
                              Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                              Mission accomplished.

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                                #60
                                Zitat von Nurara McCabe Beitrag anzeigen
                                Katherine wischte sich mit dem Handrücken die Tränen weg und verschmierte ihr Makeup. Sie bedachte John mit einem halben Lächeln. „Das ist gut zu hören.“

                                [/B]
                                Genau deshalb mag ich Kat, sie ist so cool und tough, aber auch ganz butterweich!
                                Schön, wie Du das immer wieder durchblicken lässt!
                                Entgegen der um sich greifenden Legendenbildung habe ich mein "altes" Forum nicht freiwillig verlassen! Tragischerweise muss man nun feststellen, dass es dieses Forum nicht mehr gibt! Warum wohl nicht? ;)

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