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Captain Future - Rache und Reue

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    #31
    Und weiter im Text.

    Polizeipräsidium, Katherine Ballards Büro

    Katherine Ballard und Ezella Garnie saßen seit einer Stunde über den ersten Erkenntnissen von Nuraras psychologischem Gutachten. Nurara hatte sehr gut mitgearbeitet und bei den kognitiven und assoziativen Tests hervorragende Ergebnisse erzielt. Das Resultat des Intelligenztestes versetzte Garnie in Erstaunen. „Ein IQ von 139? Jetzt sehen Sie mich wirklich sprachlos, Katherine.“ Garnie schob anerkennend die Unterlippe vor.

    „Ja, Sir. In einigen Bereichen könnte man Nurara eine Form von Genialität zuschreiben, allerdings verschenkt sie Punkte durch Defizite bei Empathie und allgemeinem Sozialverhalten.“ Katherine kaute auf ihrem Stift herum.

    Garnie zog vor Unverständnis eine Augenbraue hoch. „Können Sie das einem Laien verständlich erklären?“

    Katherine grinste. „Nurara hat ein großes Ego. Sie sieht sich stets im Mittelpunkt und ist besitzergreifend. Was sie einmal hat, gibt sie nicht kampflos auf. Sie geht nur selten Kompromisse ein und verhält sich situationsbedingt opportun. Ich führe diese Eigenschaften auf ihre Erziehung und ihr Elternhaus zurück. Dort muss ein kalter Wind geweht haben. Viele Menschen sind so, nehmen Sie nur Politiker, Banker oder Manager.“ Sie machte eine kurze Pause. „Aber Nurara hat auch positive Eigenschaften. Sie ist durchaus in der Lage zu lieben und Liebe zu empfangen. Sie ist auch nicht latent gewalttätig. Aus den Gesprächen mit ihr habe ich raushören können, dass sie manchmal müde ist, den harten Hund zu spielen und einfach als Frau wahrgenommen werden möchte. Hier kommt Sam McCabe ins Spiel. Er akzeptiert Nurara, wie sie ist, unabhängig von ihrer Vorgeschichte als Kriminelle. Im krassen Gegensatz dazu steht Vul Kuolun. Für ihn hat sich Nurara aufgerieben und immer wieder Höchstleistung von sich abverlangt und immer wieder in der Angst, bei Fehlleistungen bestraft zu werden, sei es durch körperliche Gewalt oder Liebesentzug. Die Parallelen zu Nuraras Elternhaus sind offensichtlich.“ Katherine griff nach ihrer Kaffeetasse. „Diese Frau ist ein mentales Wrack, auch wenn sie nach außen hin immer noch die Starke spielt, zudem ist sie im Hinblick auf ihre ungewisse Zukunft extrem verängstigt. Sie braucht unbedingt Hilfe. Und sie braucht ehrliche Freunde, die sie stützen und aufbauen. Sam ist nur der Anfang. Sie braucht eine richtige Familie!“

    Garnie legte die Hände wie zum Gebet zusammen und nickte bedächtig. „Ihre eigene Familie auf dem Mars hat sie verstoßen. Ich habe vor ein paar Tagen mit ihrem Vater gesprochen. Er will sie nie wieder sehen, nachdem sie so eine Schande über seinen Namen gebracht hat. Ich habe lange auf ihn eingeredet. Jetzt weiß ich auch, woher Nurara zuweilen die Sturheit her hat. Ganz der Papa.“ Garnie lächelte milde. „Katherine, was können wir für Nurara tun?“

    Katherine nahm eine bequeme Sitzposition ein und kippte die Lehne ihres Stuhls zurück. „Wir müssen ihr das Gefühl geben, dass sie in uns und damit meine ich Sie, mich, Curtis, Joan und Sam und Jonathan, eine Familie betrachten kann. Sie hat außer uns niemanden. Wenn Nurara an dem Resozialisierungsprojekt …“, Katherine machte eine kurze Pause, „… wieso haben Sie das mir am Sonntag nicht gesagt? Wenn sie daran erfolgreich teilnehmen will, braucht sie jede Art von Unterstützung. Alleine wird sie es nicht schaffen.“

    „Sie sollten es von Nurara erfahren, damit Sie objektiver urteilen“, antwortete Garnie schmunzelnd. „Und ich muss sagen, bis jetzt hört sich Ihr Urteil recht vielversprechend an. Ich weiß, Sie haben noch über eine Woche, aber ich bin neugierig. Können Sie schon eine Prognose abgeben?“

    Katherine nahm ein Haargummi von ihrem Schreibtisch und band ihr schwarzes Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen. „Vage, Sir, sehr vage. Wie gesagt, Nurara hat großes Potenzial, aber es braucht viel Einfühlungsvermögen. Nurara ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt sehr labil. Sam ist ihr jetzt in diesem Moment eine unglaublich wichtige Stütze, die sie auf keinen Fall verlieren darf. Ich möchte gerne – Ihr Einverständnis vorausgesetzt – tiefergehend mit ihr arbeiten. Nurara braucht unbedingt psychologischen Beistand, gerade im Hinblick auf ihre Verhandlung und ihre Aussage im Kuolun-Prozess. Wenn wir sie über diese Hürden bringen, hat sie gute Chancen, wieder einen Platz in der Gesellschaft zu finden.“

    Garnie erhob sich und reichte Katherine die Hand. „Danke Major, ich weiß Ihr Urteil sehr zu schätzen. Die Genehmigung erteile ich Ihnen hiermit.“ Er ging in Richtung Tür und drehte sich noch mal zu Katherine um. „Katherine, ich denke es war eine gute Idee, dass Sie zum psychologischen Dienst gewechselt sind. Machen Sie weiter so!“ Garnie ging hinaus.
    Katherine stand einen Moment sprachlos mit offenem Mund hinter ihrem Schreibtisch. Zweimal Lob in einer Woche von ihrem Vorgesetzten. Das war wirklich selten.




    Nuraras Wohnung, am frühen Abend

    Sam kam überraschend zeitig aus der Kanzlei zurück, schwer bepackt mit zwei großen Einkaufstaschen. Nurara hatte noch nicht mit ihm gerechnet und stand dementsprechend unvorbereitet und nur dürftig bekleidet vor ihm an der Tür. Schnaufend stellte Sam die beiden Taschen auf der Arbeitsplatte der kleinen Küche ab und betrachtete Nurara von oben bis unten. Sie trug ein paar seidene blaue Hotpants und ein ebensolches, fast transparentes Hemdchen, welches nur schwer in der Lage war, ihre weiblichen Vorzüge zu verbergen. Mit einem Kennergrinsen sagte er: „Na, bin ich aber froh, dass ich nicht später rausgekommen bin. Da hätte ich das Beste ja verpasst!“ Er kam langsam näher und legte zärtlich eine Hand auf ihre Hüfte. Wie zufällig rutschte sie unter Nuraras Hemd. Ihre Haut fühlte sich weich und warm an. Er zog sie zu sich und gab ihr einen zärtlichen Kuss in den Nacken.

    Ein wohliger Schauer durchfuhr Nuraras Körper. Sie schlang ihre Arme um seinen Hals und stellte sich auf die Zehenspitzen. „Ich habe dich vermisst“, flüsterte sie und warf einen Blick auf die beiden Taschen. „Was hast du da mitgebracht?“ Sie konnte den Duft von frischem Gemüse wahrnehmen. „Lass mich mal sehen!“

    Sie hüpfte hoch und umschlang seine Hüften mit ihren Schenkeln. Sam konnte die Hitze, die von ihrem Schoß ausging, förmlich spüren. Ihre festen, harten Brustwarzen drückten durch sein Oberhemd und die Erregung in ihm stieg. Nurara raubte ihm jedes Mal aufs Neue die Sinne. Vorsichtig setzte Sam Nurara auf der Arbeitsplatte neben den Taschen ab und sofort begann sie, darin zu kramen. Sam‘s Erregung war mittlerweile unübersehbar und immer wieder stieß Nurara mit ihren nackten Füßen „ganz aus Versehen“ dagegen, während sie mit prüfendem Blick die Lebensmittel auspackte. Als Nurara eine große Salatgurke in der Hand hielt und damit vor seinem Gesicht herumfuchtelte – sie sah Sam nicht an und sagte während der ganzen Zeit kein einziges Wort – hielt es Sam nicht mehr aus. Er nahm ihr die Gurke aus der Hand, warf sie über die Schulter und ging mit ihr hinüber in den Wohnbereich, wo er sie auf die Ledercouch fallen ließ. Nurara kicherte in der Erwartung, was nun käme. Sam drückte sanft sein Knie in ihren Schritt und beugte sich über sie.
    „Du machst mich rasend, Nurara“, flüsterte er.

    Wissentlich grinsend begann sie, sein Hemd aufzuknöpfen. Mit beiden Händen fuhr sie über seine Brust hoch zu seinen Schultern und streifte sein Hemd ab. Ihre Hände glitten wieder nach unten und machten sich an seinem Gürtel zu schaffen. Mit einer geschickten, schnellen Bewegung hatte Nurara den Gürtel aus Sams Hose gezogen und ihn um seinen Hals gelegt. Sanft zog sie ihn zu sich, legte ihren Kopf zur Seite und gab ihren Hals frei. Während Sam Nuraras Hals liebkoste, öffnete sie seine Hose. Noch immer sagte Nurara keinen Ton, sie grinste nur und grinste noch breiter, als ihre Hand zu seinem Heiligsten hineinfuhr. Sam hielt vor Erregung die Luft an.
    Nurara schloss die Augen und flüsterte nur ein einziges Wort: „Komm …“


    SPOILERNach dem vorangegangenen Abschnitt würde jetzt ein Teil folgen, der, hier öffentlich gepostet, den Jugendschutz auf den Plan rufen würde, da er nach meiner Meinung deutlich unter FSK18 fällt. Wer diesen Abschnitt lesen möchte, darf sich gerne vertrauensvoll per PM an mich wenden.
    Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

    Mission accomplished.

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      #32
      Zweimal Lob in einer Woche von ihrem Vorgesetzten. Das war wirklich selten.
      DAS kannst du aber laut sagen. Wie im wirklichen Leben.

      Und hiermit bettel ich offziell um die PM. Kann mich noch ganz dumpf an die Szene erinnern. Aber wer ein schlechtes Gedächtnis hat, erlebt viele Premieren, kicher.

      Was die Jugendfreigabe angeht würde ich mir gar nicht zu viele Sorgen machen.
      Die LESEN nicht, selbst wenn das hier fettgedruckt mit Blinkschrift stehen würde.

      Da müßtest du schon ein Video einstellen, dann vielleicht.
      ZUKUNFT -
      das ist die Zeit, in der du bereust, dass du das, was du heute tun kannst, nicht getan hast.
      Mein VT: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...ndenz-steigend
      Captain Future Stammtisch: http://www.scifi-forum.de/forum/inte...´s-cf-spelunke

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        #33
        Die Moderation liest selbstverständlich und bittet die User darum, sich bezüglich geposteter Inhalte an die Forenregeln zu halten, die bei der Registrierung sicherlich gelesen wurden.
        Los, Zauberpony!
        "Bin solch erzgutes Geschöpf und habe nun schon drei Menschen ermordet! Und unter den dreien zwei Priester."

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          #34
          Und deswegen kommt der kleine, aber nicht jugendfreie Absatz nicht hier rein.
          Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

          Mission accomplished.

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            #35
            Zitat von Moogie Beitrag anzeigen
            Die Moderation liest selbstverständlich
            Das war mir völlig klar Moogie. Vielleicht hätte ich auch deutlich hinweisen sollen, daß dies sarkastisch gemeint war und nicht nur das kleine Teufelchen anhängen.

            Ich habe selbst so einen 14jährigen NICHTLESER zu Hause.
            Kleines Beispiel:
            Er ist absoluter star wars Fan und demnächst soll ja wieder ein Kinofilm kommen. Frage an mich: "Um was solls denn da gehen Darth Vader ist doch tot?"
            Ich: "Geh in dein Spielzimmer zum Bücherregal. Ich habe alle Bücher von starwars. Ich vermute mal es geht um die Kinder von Han Solo und Leia."

            Er: "Lesen? Erzähls mir doch. Nee, dann warte ich bis der Film im Kino ist."

            P.S. Und der kleine Absatz von nurara ist wirklich NICHT jugendfrei. Habe ihn zwischenzeitlich schon gelesen.
            ZUKUNFT -
            das ist die Zeit, in der du bereust, dass du das, was du heute tun kannst, nicht getan hast.
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              #36
              Seufz, Nurara, was sollen wir nur mit Dir machen, Du unartige Person!

              Ich bin so froh, dass diese Story jetzt hier ist und schließe mich avatax an, kleine PM/Mail an earthy?

              Ich würde ja mit den langen Wimpern klimpern, aber das kannst Du sicher besser als ich!!!

              Liebe Grüße
              earthy
              Entgegen der um sich greifenden Legendenbildung habe ich mein "altes" Forum nicht freiwillig verlassen! Tragischerweise muss man nun feststellen, dass es dieses Forum nicht mehr gibt! Warum wohl nicht? ;)

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                #37
                Jugendfrei und sauber geht es hier weiter. Außerdem präsentiere ich euch im folgenden Abschnitt einen sehr interessanten Charakter. Viel Spaß!

                Nurara öffnete die Augen und sah Sam an. Sie glänzten wässerig, weil sie sich mit Tränen füllten. Sam konnte nicht deuten, ob es Tränen des Glücks oder der Angst und Ungewissheit waren. Sie starrte ihn einfach nur einen weiteren Moment liebevoll und gütig lächelnd an, dann gab sie ihm einen Kuss auf den Mund und flüsterte: „Ich liebe dich Sam, ich liebe dich, wie ich noch nie zuvor jemanden geliebt habe. Bitte verlasse mich nie mehr.“ Dann kullerten ein paar Tränen ihre Wangen hinab. Sam küsste sie weg.

                „Hab keine Angst, Nurara “, flüsterte er, „wenn ich dich jemals verlasse, soll es das Letzte sein, was ich in meinem Leben tue. Darauf hast du mein Wort.“

                Nurara richtete sich auf und stützte sich auf ihren Ellenbogen. Sie warf einen Blick über die Schulter hin zu den Einkaufstaschen und den Waren, die chaotisch dort herum lagen. Dann sah sie Sam wieder an und sagte: „So langsam bekomme ich Hunger. Wollen wir mal sehen, was wir mit den leckeren Sachen anstellen können? Und was zu trinken wäre auch nicht schlecht.“

                „Hmmm“, brummte Sam, „das Bier, was ich mit gebracht habe, dürfte mittlerweile warm sein.“

                Nurara sprang auf, sammelte ihre Wäsche zusammen und ging in Richtung Badezimmer. „Schau mal in den Kühlschrank. Joan hat was reingeschmuggelt!“, antwortete sie und verschwand kichernd im Bad.





                Bar „The Ion Booster“, New York, Stadtteil Queens, am darauf folgenden Nachmittag




                Nervös rutschte Zistavan Borksh auf seinem Hocker in der schäbigen Bar hin und her. Wiley hatte zugesagt, dass seine Kontaktperson erscheinen und den Kontakt zu dieser ominösen Rulwa herstellen würde. Immer wieder blickte er auf seine Uhr – träge zuckte der Sekundenzeiger über das Ziffernblatt. Plötzlich öffnete sich die Tür und eine große Gestalt, eingehüllt in ein regennasses Cape, trat ein. Die Person trug einen Hut, die Krempe tief im Gesicht. Borksh konnte nicht eindeutig erkennen, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelte, der Gang war zumindest eindeutig weiblich und anmutig. Die Gestalt trat auf ihn zu und öffnete das Cape. Es war definitiv eine Frau, gertenschlank und in einen hautengen Catsuit aus dunklem, elastischem Material gekleidet. An ihrem linken Oberschenkel trug die Frau ein Holster mit einer schweren Protonenpistole. Jetzt nahm die Frau ihren Hut ab und eine wallende, blonde Lockenmähne kam zum Vorschein. Sie legte Cape und Hut auf den Barhocker neben sich und musterte Borksh eingehend. Sie war jung, noch keine dreißig, hatte hohe Wangenknochen, ein mandelförmiges Gesicht und stechende grüne Katzenaugen. Die Frau war ausgesprochen schön, aber in ihrem Blick lag etwas bedrohliches, etwas äußerst gefährliches.
                „Sie sind Borksh?“, fragte sie mit unerwartet tiefer Altstimme. Sie sprach mit einem schweren slawischen Akzent. Borksh machte Anstalten, sich von seinem Hocker zu erheben, um sich vorzustellen. Sie hob eine Hand, die in einem schwarzen Lederhandschuh steckte und sagte: „Bitte, bitte behalten Sie Platz.“

                Eilig setzte er sich wieder hin. „Ja, ich bin Zistavan Borksh und Ihr werter Name ist?“

                Die Frau strich sich eine Locke hinter das Ohr. „Nennen Sie mich Oksana. Mehr brauchen Sie nicht zu wissen.“ Das „ch“ in ihrer Aussprache war ein harter, kehliger Laut. „Sie wollen also mit meiner Mutter ein Geschäft machen?“

                Borksh nickte. „Ja, ich benötige für meinen Mandanten Informationen über den Verbleib einer Person. Man sagte mir, Rulwa könnte mir die Informationen beschaffen.“

                Oksana verschränkte die Arme vor der Brust und nickte langsam. „Ja, ‚man‘ hat Recht. Meine Mutter könnte Ihnen etwas beschaffen. Aber Informationen sind teuer heutzutage. Wer war dieser ‚man‘?“

                „Ein Frachterkapitän, der mich hier her gebracht hat.“ Borksh vermied es, den Bolecs Namen zu erwähnen.

                „Wie hieß er?“ Oksanas kalter Blick durchbohrte ihn förmlich.

                Borksh zuckte mit den Schultern und zeigte entschuldigend seine Handflächen. „Tut mir Leid, Miss Oksana, den Namen habe ich vergessen.“ Er konnte sehen, wie die Wut in Oksana aufstieg. Ihre linke Hand wanderte hinab zu ihrer Waffe. Sie warf einen bösen Blick hinüber zu Wiley, der gerade Gläser abtrocknete. Dieser wiederum zuckte auch nur mit den Schultern.
                „Sorry, Kleine, hat er vergessen …“ Er zwinkerte ihr spitzbübisch zu. Oksana wandte sich wieder an Borksh, immer noch mit einem Blick, der zu Töten imstande war.

                Dann entspannte sich ihr Gesicht und wandelte sich zu einem freundlichen Ausdruck. Sie lachte laut und donnernd. „Sehr gut. Ich sehe, Sie können mit vertraulichen Informationen umgehen. Aber Sie hätten ruhig Bolec erwähnen dürfen. Er ist der einzige Frachterkapitän, der meiner Mutter Namen kennt. Er ist zwar ein ungepflegter kleiner Stinker, aber zu einhundert Prozent integer.“ Oksana drehte sich wieder zu Wiley. „Hat Mister Borksh bezahlt?“ Sie hielt die rechte Hand auf und machte eine fordernde Geste.

                Wiley verdrehte die Augen. „Natürlich hat er. Sonst hätte ich dich wohl kaum angerufen!“ Er griff in die Innentasche seiner Weste und holte das Bündel Geldscheine heraus. Oksana wollte danach greifen, aber Wiley zog die Hand zurück. „Ah, ah, nicht so eilig, du kleines Miststück!“ Er zählte noch einmal schnell nach, zog zwei Banknoten heraus und steckte sie ein. „Du neigst immer wieder dazu, meine Aufwandsentschädigung zu vergessen.“

                Dann hielt er ihr das Bündel hin. Oksana riss es ihm aus der Hand und steckte es in den Ausschnitt ihres Catsuits. „Ich vertraue dir, Wiley, aber wenn du mich reinlegst, trete ich dir eines Tages so in den Arsch, dass du eine hohe Erdumlaufbahn einnimmst.“

                Wiley grinste schmierig. „Auf den Tag freue ich mich, Süße. Mit dir wollte ich schon immer mal einen Rundflug machen.“

                Oksana zeigte ihm einen Mittelfinger und antwortete: „Fick dich, Wiley, an dem Tag, an dem weniger als dein ekeliger Tresen zwischen uns ist, fallen Ostern, Weihnachten und Neujahr zusammen.“ Zu Borksh sagte sie: „Mister Borksh, bitte legen Sie die Hände auf die Bar und spreizen Sie die Beine. Ich muss Sie nach Waffen und gefährlichen Gegenständen durchsuchen. Reine Formsache.“

                Borksh blinzelte etwas verwirrt und sagte: „Oh, ja, natürlich!“ Er kam ihrer Aufforderung sofort nach.

                Oksana tastete Borksh kurz aber routiniert ab, dann sagte sie: „Gut. Wenn Sie soweit sind, bringe ich Sie jetzt zu meiner Mutter. Kommen Sie!“
                Sie steckte ihre Lockenpracht wieder unter ihren Hut und legte das Cape an. Borksh winkte Wiley knapp zu und folgte ihr hinaus.

                Vor der Bar war ein unauffälliger hellgrauer Transportgleiter mit Kastenaufbau geparkt. Er hatte weder eine Beschriftung noch Seitenfenster. In der Fahrerkabine saß ein junger Mann und rauchte. Oksana öffnete die Schiebetür zum Frachtbereich. „Bitte steigen Sie ein, Mister Borksh.“ Es klang mehr wie ein Befehl als wie eine Bitte. Borksh stieg die zwei Stufen in das düstere Abteil hoch und Oksana folgte ihm. Sie zog die Türe zu und schlug zweimal mit der Faust gegen die Trennwand. Das Triebwerk des Transporters erwachte mit einem dumpfen Brummen und das Gefährt setzte sich in Bewegung. An den Längswänden gab es zwei ungepolsterte Plastikbänke. Oksana nahm neben der Türe auf der Beifahrerseite Platz und wies Borksh an, sich ihr gegenüber hinzusetzen. „Wir haben jetzt etwas Zeit zum Reden, Mister Borksh. Erzählen Sie mir, was kann meine Mutter für Sie tun?“ Sie schlug die Beine übereinander und zog ihre Handschuhe aus. Ihre Fingernägel waren perfekt manikürt und feuerrot lackiert. Sie lächelte ihn aufmunternd an.

                Borksh versuchte seinerseits, eine bequeme Sitzposition zu finden, was ihm aber wegen seiner inneren Anspannung nicht gelang. So beugte er sich vor und stützte sich mit seinen Ellenbogen auf seine Knie. Er räusperte sich, bevor er begann: „Ich bin der von Gericht bestellte Anwalt von Doktor Vul Kuolun. Sie kennen ihn?“ Oksana schloss kurz die Augen und nickte wissend. „Mein Mandant und seine Partnerin Nurara wurden bei ihrer Festnahme voneinander getrennt und an verschiedene Orte verbracht. Ich selber bin gerade vom Ort der Untersuchungshaft meines Mandanten angereist, mit dem Auftrag, herauszufinden, wo sich Nurara derzeit aufhält. Die Behörden haben eine restriktive Nachrichtensperre verhängt. Es gibt keinerlei Hinweise über ihren Verbleib oder ob sie überhaupt noch am Leben ist.“

                Oksana hatte Hut und Cape abgelegt und fuhr sich lasziv mit einer Hand durch ihre wilden blonden Locken. „Ihnen ist klar, dass Sie als Anwalt mit dieser Form der Ermittlungen das Gesetz brechen? Meine Mutter hat sicherlich die Mittel und Möglichkeiten, Ihnen diese Information zu beschaffen, aber es ist gefährlich und mitunter sehr teuer. Und ich meine nicht nur Geld damit. Ich bin mir nicht sicher, ob meine Mutter gewillt ist, Ihnen zu helfen, Mister Borksh.“

                Borksh richtete sich auf und lehnte sich gegen die Fahrzeugwand. „Ich weiß, Miss Oksana. Meine Aufgabe als Pflichtverteidiger ist sowieso mehr als undankbar. Kuolun will eigentlich auf einen Anwalt verzichten und sich selbst verteidigen. Das sieht die Solare Strafprozessordnung aber nicht vor. Ich bin kein Staranwalt und werde an diesen Prozess keine goldene Nase verdienen. Ganz davon ab ist meine Motivation, Kuolun zu einer geringen Strafe zu verhelfen, eher gering. Freiwillig hätte ich den Fall sicherlich nicht übernommen. Kuolun wird ohnehin zu mehrmals Lebenslänglich verurteilt. Ich bin nur ein Statist der Form halber. Dann übernehme ich lieber einen Botengang für meinen Mandanten und unterhalte mich mit charmanten jungen Damen wie Ihnen.“

                Oksana lächelte liebenswürdig mit einem strahlendweißen Gebiss. „Danke, Mister Borksh. Wie gesagt, ich kann Ihnen nicht versprechen, dass meine Mutter Ihnen helfen wird, aber ich werde mit ihr reden.“ Der kleine, zerknitterte Anwalt fasste wieder etwas Mut. Sie fuhren noch eine Weile schweigend im Halbdunkel bis der Transporter abrupt zum Stehen kam. Oksana erhob sich und öffnete die Schiebetür. „Kommen Sie, wir sind da, Mister Borksh!“, forderte die junge Frau den Anwalt auf, während sie ihre Sachen an sich nahm. Borksh verließ den Transportgleiter und fand sich in einer gut zweihundert Meter langen Lagerhalle wieder, die bis unters Dach mit kleinen Raumschiffen und Ersatzteilen vollgestopft war. Am Ende der Lagerhalle konnte er eine schwach beleuchtete Holztür erkennen. Oksana ging mit großen Schritten darauf zu. „Folgen Sie mir bitte!“, rief sie.

                Borksh trabte hinter ihr her. Er konnte einige Schiffe als militärisch identifizieren, darunter einen YK-66B Hornet, ein älterer Topedobomber, wie er ihn selbst als junger Mann beim Militär geflogen hatte. Dieser Maschine hier hatte man die Waffenträger und das Triebwerk demontiert und sie machte einen bemitleidenswerten Eindruck. Borksh erinnerte sich nur zu gerne an diesen Typ, es war ein robustes und für militärische Verhältnisse ausgesprochen komfortables Raumschiff; konzipiert für lange Einsätze, weit entfernt von einem Mutterschiff, besaß es Unterkünfte für drei Besatzungsmitglieder, sanitäre Anlagen und eine kleine Messe mit Bordküche. Obendrein war die Maschine kampfstark, leicht zu fliegen und bei Neulingen wie Veteranen ausgesprochen beliebt. Im Zuge der fortschreitenden Technik und größerer Effizienz kleinerer, einsitziger Kampfmaschinen verlor die Hornet jedoch an taktischer Bedeutung und wurde in den letzten zwanzig Jahren komplett ausgemustert.
                Oksana stand bereits vor der Holztür als sie sich noch einmal zu Borksh umdrehte, der sinnierend vor dem rostigen Rumpf des Bombers stand. „Wo bleiben Sie? Das ist doch alles nur Altmetall!“

                Im Laufschritt kam Borksh auf Oksana zu. „Für Sie mag das Altmetall sein, aber der YK-66 dort weckt in mir ein paar Erinnerungen an früher.“ Er wies mit dem Daumen über die Schulter.

                Oksana schmunzelte amüsiert. „Sie meinen dieses hässliche, rostige Etwas? Das können Sie für kleines Geld käuflich erwerben. Ich wäre froh, wenn diese Halle von dem ganzen Schrott befreit werden würde. Kommen Sie, meine Mutter wartet nur ungern.“ Sie betraten den nächsten Raum. Es wirkte wie ein kleines Wohnzimmer mit Sitzgruppe und einem Couchtisch und einem Holo-TV-Gerät. Oksana wies mit der freien Hand auf die Sitzgruppe. „Bitte setzen Sie sich einen Moment, ich hole Sie gleich.“

                Sie verschwand durch eine weitere Tür in einem anderen Nebenraum. Kurz darauf konnte Borksh Stimmengemurmel vernehmen, allerdings verstand er nichts, da sich Oksana mit der anderen Person – vermutlicherweise Rulwa – in einer anderen Sprache unterhielt, er tippte auf Russisch, da ab und zu die Worte „Njet“ und „Da“ fielen.
                Borksh musste nur wenige Minuten warten, bis sich die Tür wieder öffnete und Oksana heraus kam. „Mister Borksh, bitte kommen Sie. Meine Mutter empfängt Sie jetzt.“
                Borksh erhob sich und trat ein. Hinter einem großen Schreibtisch aus Glas saß eine große, attraktive Frau mittleren Alters mit kupferroten Haaren in einem schweren Chefsessel. Sie trug ein hellblaues Businesskostüm und ebensolche Handschuhe und rauchte ein Zigarillo mit langer Spitze. Sie erhob sich und streckte ihm die Hand entgegen. In ihrem Blick lag eine freundliche Aufgeschlossenheit. Auch sie sprach mit einem schweren russischen Akzent, jedoch war ihre Stimmfarbe um einige Nuancen heller als die ihrer Tochter.

                „Mister Borksh, es freut mich, Ihre Bekanntschaft zu machen. Bitte nehmen Sie Platz!“ Sie wies auf einen der beiden Sessel vor ihrem Schreibtisch. Er kam der Bitte nach und sah sich kurz in dem Büro um. Es war hell und aufgeräumt und eher spartanisch eingerichtet. Oksana hatte derweil das Büro verlassen. „Oksana hat mir erzählt, in welcher Form Sie meine Hilfe benötigen“, begann sie und nahm einen Zug an ihrem Zigarillo. „Eigentlich bin ich an derlei Geschäften nicht interessiert, weil sie gefährlich und ob des hohen Preises nur wenig lukrativ sind, Sie verstehen?“

                Borksh zuckte mit den Schultern. „Offen gesagt verstehe ich nicht, Madam. Wie hoch ist denn der Preis?“

                Rulwa blies den Rauch durch die Nase. „Zwanzigtausend. Und damit sind außerplanmäßige Kosten noch nicht eingerechnet.“ Sie blickte ihn mit ihren saphirblauen Augen fest und durchdringend an.
                Borksh atmete hörbar aus. „Zwanzigtausend! Soviel habe ich nicht und könnte es auch nicht auf die Schnelle besorgen. Das ist eine große Menge Geld!“
                „In der Tat ist es das, aber der Aufwand ist nicht unerheblich. Ich muss Hacker und Kontaktleute bezahlen, Spuren verwischen … Sie wissen schon. Sie könnten auch die billige Variante versuchen.“

                Borksh zog fragend die Augenbrauchen hoch: „Und die wäre?“

                Rulwa nahm einen neuen Zug und inhalierte tief. „Sie marschieren ins Polizeipräsidium, gehen zu Marshall Garnie und fragen ihn einfach!“ Ihr Lachen, das auf diesen Satz folgte, lag irgendwo zwischen Gehässigkeit und blankem Sarkasmus.
                Borksh blieb gelassen. „Madame Rulwa, dieser Gedanke ging mir auch schon durch den Kopf. Wenn das wirklich so einfach wäre, würde ich jetzt nicht hier bei Ihnen sitzen.“

                Rulwa drückte ihr Zigarillo in einem schweren Kristallaschenbecher aus. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen sagte sie: „Zwanzigtausend, nicht weniger. Besorgen Sie das Geld und kommen Sie wieder. Anderenfalls müssen Sie sehen, wie Sie klar kommen. Ich denke, die Unterredung ist hiermit beendet. Guten Tag, Mister Borksh!“

                Borksh erhob sich und ging wortlos hinaus. Im Vorraum lümmelte sich Oksana auf dem Sofa mit den Füßen auf dem Tisch und spielte gedankenverloren mit einer Locke. Sie blickte in fragend an. Borksh schüttelte nur den Kopf. „Ihre Frau Mutter ist ein harter Knochen“, seufzte er.

                Sie zog eine Augenbraue hoch. „Nach Ihrem Gesichtsausdruck zu urteilen wurden Sie sich nicht einig?“

                „Nein, wir wurden uns nicht einig. Sie verlangt einen Betrag, von dem ich ein Jahr lang leben könnte. Zwanzigtausend!“

                Oksana pfiff anerkennend durch die Zähne. „Ja, das ist sehr viel. Ungewöhnlich. Normalerweise verlangt Mutter meist weniger als die Hälfte. Das muss mit den äußeren Umständen zu tun haben. Kommen Sie mit, ich bringe Sie zurück. Vielleicht fällt mir noch etwas ein. Wo wohnen Sie?“
                Borksh nannte ihr die Adresse seines Hotels und sie bestiegen erneut den Transporter, der sie zurück nach Queens brachte. Vor dem Hotel ließ Oksana den Anwalt aussteigen. Sie setzte sich zu dem Fahrer in die Kabine und wandte sich noch einmal an Borksh: „Nehmen Sie sich für übermorgen nichts vor. Boris hier wird Sie abholen.“
                Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                  #38
                  Polizeipräsidium, Nuraras Wohnung

                  Katherine hatte den ganzen Tag mit Nurara gearbeitet, weitere psychologische Tests durchgeführt, geredet, gefragt und ihr immer wieder in Bezug auf ihre Aufrichtigkeit auf den Zahn gefühlt. Nuraras Verhalten und ihre Offenheit hatten Katherine beinahe alle Zweifel an ihrer Resozialisierungsfähigkeit ausgeräumt und ihre Prognose wurde von Tag zu Tag besser. Katherine war guter Dinge, dass Nurara es schaffen würde und auch wollte. Sie mochte die junge Frau mit jeder Sitzung mehr. Katherine unterdrückte ein Gähnen und lehnte sich im Sessel zurück. „Ich denke, wir sollten für heute Schluss machen. Das war wirklich gut, Nurara! Ich habe großes Vertrauen in Sie. Ihr Wille, Dinge, die Sie angefangen haben, zu Ende zu bringen, ist für eine junge Frau – entschuldigen Sie den etwas unglücklichen Ausdruck – Ihres Alters bemerkenswert. Statistisch gesehen liegen Sie mit Ihren persönlichen Eigenschaften weit über dem Durchschnitt Ihrer Altersklasse. Wenn ich so ehrgeizig wie Sie gewesen wäre, hätte ich jetzt eine Professur und einen Lehrstuhl an der Universität.“ Katherine erhob sich und machte eine Verbeugung. „ Ich ziehe meinen Hut.“

                  Nurara grinste. „Wäre ich nicht so dämlich gewesen, mich an Kuolun zu heften, hätte ich ebenfalls promoviert und würde vielleicht fürs Militär Raumschiffe konstruieren.“ Sie stand auf, ging zum Kühlschrank und holte zwei eiskalte Flaschen Bier heraus. „Für Sie auch?“

                  Katherine nickte. „Sicher, danke!“ Nurara kam zurück und setzte sich im Schneidersitz neben dem Sessel auf die Erde. Katherine setzte sich dazu, nahm ihr eine Flasche ab und stieß mit ihr an. „Wissen Sie, Nurara, es mag vielleicht etwas platt klingen, aber jeder Mensch macht Fehler. Kleine Fehler, große Fehler, vielleicht manchmal auch tödliche Fehler. Fehler, bei denen man mit einem blauen Auge davon kommt und Fehler, die einen an den Rand der Existenz bringen. Gemein haben große wie kleine Fehler jedoch eines: man muss daraus lernen. Der einzig größere und gefährliche Fehler ist es, sein Fehlverhalten nicht zu erkennen und daraus Lehren zu ziehen. Und das unterscheidet Sie von Schwerstkriminellen wie Vul Kuolun.“ Katherine nahm einen großen Schluck aus der Flasche. „Sie sitzen hier neben mir, fast schon wie eine gute Freundin und haben sich mir in den letzten Tagen komplett offenbart. Sie nehmen die Hilfe an, die Ihnen angeboten wird. Sie haben meinen allergrößten Respekt. Sicherlich werden wir beide noch einige Zeit miteinander arbeiten müssen, aber ich bin geneigt, Ihnen eine positive Prognose in meinem Gutachten zu geben.“

                  Nurara starrte Katherine einen Moment verwundert an, dann fiel sie ihr um den Hals. „Danke, Kat“, flüsterte sie, „danke für all das, was Sie alle für mich tun. Glauben Sie mir, ich will Sie nicht enttäuschen.“ Nurara ließ Katherine los und sah ihr einen Moment tief in die Augen. Nichts als Aufrichtigkeit war in Nuraras Gesicht zu lesen. In diesem Moment brummte der Summer der Tür. Nurara sprang auf und rannte hin. „Das wird Sam sein.“ Doch es war nicht Sam, sondern sein Vater. „Jonathan!“, rief sie verwundert. „Sie wollten doch morgen früh erst wieder kommen? Wo ist Sam?“

                  Jonathan lächelte. „Guten Abend Nurara, Sam ist noch in der Kanzlei. Er lässt ausrichten, dass er etwas später kommt. Ich musste ihm noch einen Fall von Körperverletzung geben. Er ist nicht ausgelastet …“ Dafür erntete er von Nurara einen bösen Blick und musste lachen. „Das war ein Witz, meine Liebe. Er wird gleich hier sein.“ Er wandte sich an Katherine. „Guten Abend, Miss Ballard! Wie kommen Sie voran?“

                  Katherine erhob sich vom Boden und schüttelte seine Hand. „Hallo, Mister McCabe. Hervorragend. Nurara ist eine Vorzeigepatientin und von meiner Warte aus habe ich keinerlei Bedenken die gegen einen Erfolg unserer Aufgabe sprechen.“
                  „Na das klingt doch großartig“, antwortete Jonathan und setzte sich auf die Couch, „Nurara, ich habe eine gute und eine schlechte Nachricht für Sie. Welche zuerst?“

                  Nurara ließ sich lautstark in den Sessel fallen, sodass die Luft hörbar aus dem Kissen entwich. Es klang fast wie ein Seufzen von ihr selbst. „Überraschen Sie mich, Jonathan“, gab sie vorsichtig zurück.

                  Jonathan öffnete seine Aktentasche und zog einige Unterlagen heraus. „Ich komme gerade von Richter Callahan. Dies hier“, er hielt ein Blatt Papier mit dem Wappen des Solaren Gerichtshofes hoch, „ist die richterliche Verfügung über die Wiederfreigabe Ihrer Konten. Die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft haben keinerlei Hinweise darauf ergeben, dass Ihr Vermögen aus kriminellen Machenschaften entstanden ist. Herzlichen Glückwunsch! Das war die gute Nachricht.“

                  Nurara sprang aus ihrem Sessel auf und vollführte einen Luftsprung, der mit einem Siegesschrei untermalt war. Dann wurde sie schlagartig ernst. „Und die schlechte Nachricht?“

                  „Sam und ich haben ein paar Tage nach einer adäquaten Institution für Ihre Maßnahme gesucht und diese auch gefunden, das „Ettore Di Lauro Rehabilitationszentrum“ auf Baltrum.“

                  Nurara setzte sich wieder und blickte ihren Anwalt fragend an. „Baltrum? Nie von diesem Planeten gehört.“

                  Jonathan und Katherine sahen sich kurz an und schmunzelten, auch ihr war das Institut ein Begriff.
                  „Können Sie auch nicht, Nurara, Baltrum ist kein Planet, sondern eine Insel hier auf der Erde. Genauer gesagt, in der Nordsee vor der deutschen Küste. Sie ist mit sechseinhalb Quadratkilometern sehr klein und eigentlich mehr eine bewohnte Sandbank. Dort befindet sich seit etwa dreißig Jahren dieses Institut. Es hat eine bemerkenswerte Erfolgsquote bei der Resozialisierung von Schwer- und Schwerstkriminellen. Die Rückfallzahlen liegen bei weniger als nullkommadrei Prozent. Dort wollte ich Sie eigentlich unterbringen. Der Richter hätte dem auch zugestimmt.“

                  „Aber?“ Nurara kratzte sich am Kopf. „Die wollen mich nicht, weil ich ein hoffnungsloser Fall bin?“ Nuraras Sarkasmus hatte sich bis dato in keiner Weise verändert.

                  „Oh, Professor Kesselring hätte Sie liebend gern genommen, allerdings sind die Kapazitäten des Institutes mehr als begrenzt. Es halten sich nie mehr als fünfundzwanzig bis dreißig Kandidaten gleichzeitig dort auf. Ihr Prozess wird auf sechs Verhandlungstage angesetzt, das Urteil soll frühestens ein paar Tage vor Weihnachten gesprochen werden, sodass der Beginn Ihrer Maßnahme erst Anfang Januar liegen könnte. Ihre Aussage gegen Vul Kuolun erwarten wir Ende November. Und da ist unser Problem. Der nächste freie Platz könnte uns frühestens im März zugesprochen werden. Die Zeit dazwischen würden Sie regulär in Haft verbringen.“

                  Katherine ergriff das Wort: „Wäre es nicht möglich, dass Nurara nach ihrem eigenen Urteilsspruch gegen Kaution auf freien Fuß gesetzt wird?“

                  Jonathan wog den Kopf hin und her. „Möglich wäre das, aber so wie ich unseren geschätzten Staatsanwalt Fox kenne, wird er dem nicht zustimmen. Ich werde natürlich versuchen, auf Richter Callahan einzuwirken, aber ich verspreche mir keine Erfolgschancen. Er will Nurara entweder hinter Gittern oder in der Maßnahme sehen. Zumindest von Letzterem konnte ich ihn überzeugen.“

                  „Und kann ich nach dem Prozess nicht hierbleiben?“, fragte Nurara. „Die Untersuchungshaft klappt doch auch sehr gut. Mit Bill und Jeff“, Nurara wies mit dem Kopf zur Tür und meinte damit die beiden Beamten, die regelmäßig zu ihrer Bewachung abgestellt wurden, „komme ich prima klar.“

                  Jonathan winkte ab. „Unmöglich. Sie sind hier, weil es um Ihre Sicherheit geht. Sie sollen dem Kuolun-Prozess lebendig und bei bester Gesundheit beiwohnen. Dass Sie diesen Umstand mit ausgesprochenem Komfort erleben dürfen, haben Sie ausschließlich Mister Newton und Marshall Garnie zu verdanken. Ihre Sicherheit wäre auch im Zellentrakt im Untergeschoss gewährleistet. Nach der Verurteilung ist Ihre Sicherheit für das Gericht nicht mehr von Belang. Sie sind dann nur noch eine reguläre Strafgefangene. Es ist auch durchaus möglich, dass Sie nach Ihrer Aussage ins Staatsgefängnis bis zu Ihrer Verurteilung verlegt werden. So sind die Regeln.“

                  Missmutig sank Nurara in sich zusammen. Katherine setzte sich zu ihr auf die Sessellehne und spendete etwas Trost. „Kopf hoch, Nurara. Ich glaube, ich kann da etwas für Sie tun. Ich kenne Professor Kesselring. Sie war in meinem Studium Dozentin zu diesen Themen. Ich habe alle ihre Vorlesungen besucht und einige Facharbeiten bei ihr abgegeben. Soll ich sie mal anrufen? Sie erinnert sich bestimmt noch an mich.“ Sie blickte auf die Uhr. „Mist, kurz nach sechs, in Deutschland ist es jetzt Mitternacht. Ich rufe sie morgen früh an, versprochen! So und ich muss jetzt gehen und mich frisch machen. Joan und Curtis haben mich zum Essen auf der Mondbasis eingeladen.“ Sie gab Nurara noch einmal eine besonders herzliche Umarmung, kramte ihre Unterlagen zusammen und verabschiedete sich von Jonathan. Als Katherine den Türöffner drückte, erschrak sie. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass jemand just in diesem Moment das Appartement betreten wollte. Es war Sam. „Sie schon wieder!“, sagte Katherine mit gespielter Empörung. Die beiden Wachen grinsten und aus der Wohnung kam schallendes Gelächter. Katherine errötete leicht, denn Sam grinste mal wieder so ungeheuer charmant. „Das ist das zweite Mal in dieser Woche, dass Sie mich so erschrecken! Unterlassen Sie das bitte in Zukunft!“

                  Sam machte eine galante Verbeugung. „Bitte entschuldigen Sie vielmals, Major, aber zu meiner Verteidigung sei gesagt, dass es jedes Mal Sie sind, die schnurstracks in mich hineinrennt. Mir ist, als hätte ich einen Magneten in mir.“

                  ‚Wenn du wüsstest, Honigschnitte…‘, dachte Katherine und drehte sich noch einmal zu Nurara um. „Nurara, sagen Sie bitte diesem gut aussehenden Kerl, dass er morgen in mein Büro kommen soll. Er benötigt eine Therapie wegen seines übersteigerten Egos!“ Sie zwinkerte Nurara zu, die grinsend den Daumen hob und zurückzwinkerte, und ging hinaus.
                  Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                    #39
                    Das Ende von Kapitel Vier.

                    Mondbasis, Krater Tycho

                    Während Joan den Tisch festlich deckte, sah sie immer wieder erwartungsvoll aus dem großen Panoramafenster hinaus ins All. Jeden Moment musste der Cosmoliner in Sichtweite kommen, mit dem Otho Katherine vom Polizeipräsidium abholen sollte. Die Ostküste Amerikas verschwand langsam im Dunkel der Nacht und das Triebwerksleuchten des kleinen Raumers sollte bald erkennbar werden. Joan freute sich sehr auf diesen Abend, genoss sie doch jede Minute mit ihrer besten Freundin und ehemaligen Ausbilderin. Curtis mochte Katherine ebenfalls, sie versuchten sich immer mit albernen Späßen und Kalauern zu überbieten. Heute wollten sie so richtig stilvoll das Wiedersehen nach einem Jahr von Katherines Abwesenheit feiern. Joan hatte Grag gebeten, ein mehrgängiges Menü zu bereiten, bestehend aus Dingen, die Katherine gerne aß. Grag entschied sich für Carpaccio vom Viktoriabarsch, pikant gewürzte Fasankeule mit Rosmarinkartoffeln sowie einen heißen Apfelkuchen zum Nachtisch. Selbstverständlich hatte Grag auch die passenden Weine parat, hierzu bediente er sich an den wertvollen Vorräten seines Chefs.
                    Endlich entdeckte Joan in der Ferne einen kleinen leuchtenden Punkt, der schnell näher kam. Der Tisch war fertig und so ging sie in Richtung Tür, die sich im gleichen Moment öffnete. Curtis stand vor ihr. Er trug einen sportlichen, dunkelblauen Anzug und ein weißes Hemd mit offenem Kragen. Joan blickte zu ihm auf und raunte: „Hallo, schöner Mann. Du siehst prima aus!“ Sie schnüffelte an seinem Hals, Curtis war frisch rasiert und ihn umgab eine Wolke edlen Rasierwassers. „Und du riechst zum Anbeißen!“ Sie sah ihn provokant lüstern an und leckte sich über die Lippen.

                    Curtis grinste. „Soll ich Otho anfunken, dass er mit Kat wieder umkehrt?“

                    „Das könnte dir so passen!“, antwortete Joan mit gespielter Empörung. „Wir werden uns heute Abend schön zu dritt amüsieren. Was ich mit dir anschließend anstelle, werde ich mir bis dahin noch überlegen.“

                    Er blickte Joan prüfend von oben bis unten an. Sie trug ein hellblaues, einseitig schulterfreies Kleid, dessen Stoff von feinen Silberfäden durchzogen war. Das Kleid war äußerst figurbetont und endete knapp über Joans Knie. Farblich passende, hochhackige Pumps und dezenter Silberschmuck rundeten das Bild der hübschen Frau ab. Curtis pfiff anerkennend und antwortete: „Wenn ich dich so ansehe, wird es mir schwerfallen, den ganzen Abend ruhig zu bleiben.“

                    „Dann schau halt weg! Guck dir Kat an!“, gab Joan zickig zurück.

                    Curtis zuckte mit den Schultern und schmunzelte. „Das macht die Sache nicht leichter. Es wird im Universum keinen Mann geben, der in Gesellschaft zweier solch schöner Frauen gelassen bleibt.“

                    Joan zog skeptisch eine Augenbraue hoch. „Das hast du jetzt sehr diplomatisch ausgedrückt. Dein Glück!“

                    Inzwischen war der Cosmoliner im Anflug auf die Basis. Otho drehte noch einmal eine Platzrunde über dem Hangar – er musste warten, bis das Tor sich vollständig geöffnet hatte – und landete das kleine Schiff dann direkt neben der Comet. Als sich das Hangardach wieder schloss, nahm Joan Curtis an die Hand und sagte: „Komm, lass uns Kat begrüßen.“
                    Als Katherine aus dem Hangar trat, fielen sich die beiden Frauen freudestrahlend in die Arme. Joan musterte ihre Freundin, die ein schulterfreies und sehr knappes, feuerrotes Kleid trug. Ihr glänzendes, pechschwarzes Haar fiel ihr in weichen Wellen über die Schultern. „Kat, du übertriffst dich jedes Mal aufs Neue! Dein Kleid ist ja der Wahnsinn! Da werde ich ja ganz nervös!“, rief Joan freudig aus.

                    Katherine lachte und zeigte blendend ihre weißen Zähne. „Hab ich mir heute noch gekauft. Hat ein Vermögen gekostet. Hallo Curtis! Ich freue mich so, Sie wieder zu sehen!“ Sie hauchte dem Captain einen Kuss auf die Wange.

                    „Die Freude ist ganz auf meiner Seite, Katherine.“ Er verbeugte sich und gab ihr einen galanten Handkuss. „Sie sehen wirklich zauberhaft aus!“

                    „Herr im Himmel!“, warf Joan ein, „Wie lange kennt ihr euch schon?“ Katherine und Curtis schauten sich kurz an und blickten fragend zu Joan. „Mindestens drei Jahre! Und ihr beiden seid immer noch beim ‚Sie‘? Hört mal auf damit, das ist doch lächerlich!“

                    Curtis machte daraufhin den Anfang. Er nahm Katherine freundschaftlich in den Arm, gab ihr einen Kuss auf die Wange und sagte: „Schön, dass du hier bist, Kat!“

                    „Ich danke dir für die Einladung, Curt“, gab Katherine lächelnd zurück und an Joan gewandt sagte sie: „Wann gibt’s Essen? Ich komme um vor Hunger!“

                    Joan hakte sich bei Katherine ein und sagte: „Jetzt! Lass uns hoch gehen.“

                    Während des Essens berichtete Katherine detailliert ihre Erlebnisse des vergangenen Jahres und endete bei der Gefangenenüberführung von Vul Kuolun. Sie ließ kein gutes Haar an ihm und gab Joan und Curtis mehrmals deutlich zu verstehen, dass sie diesen Mann abgrundtief verabscheute. „Er ist ein sexistischer, chauvinistischer Egomane. Für die Art und Weise, wie er sich mir gegenüber verhalten hat, hätte ich ihm am liebsten ein paar Mal dahin getreten, wo es am meisten weh tut.“

                    Joan kicherte. „Aber du bist doch Psychologin, du müsstest doch da drüber stehen.“

                    Katherine grinste und drohte Joan mit der Gabel. „Aber ich bin in erster Linie eine Frau und möchte als solche behandelt werden. Und nicht als Sexobjekt. Da werde ich gallig! Mir ist immer noch nicht ganz klar, wie Nurara es mit diesem ekelhaften Kerl all die Jahre ausgehalten hat.“

                    Curtis nahm sein Weinglas in die Hand und betrachtete das tiefe, fruchtige Rot des teuren Bordeaux. „War es nicht so, dass Kuolun Nurara immer fair und liebevoll behandelt hat?“, fragte er mit unüberhörbarer Süffisanz.

                    Katherine nahm ebenfalls ihr Glas und prostete Curtis zu. „Sagen wir, in dieser Beziehung gab es ein Wechselbad der Gefühle. Nurara lebte immer zwischen Belohnung und Bestrafung. Zwar überwogen die Belohnungen, weil Nurara eine Perfektionistin ist, aber auch Perfektionisten machen zuweilen Fehler. Und unter der Knute Kuoluns Fehler zu machen, bedeutete für Nurara Schmerzen, schlimme Schmerzen. Glaubt mir, der Kerl ist, was Nurara mir geschildert hat, einfach nur widerwärtig.“ Katherine schüttelte sich und nahm einen großen Schluck Wein.

                    „Wie entwickelt sich Nurara denn zur Zeit?“, fragte Joan. „Ich habe sie jetzt ein paar Tage nicht gesehen. Seit unserem Segeltörn vertragen wir uns eigentlich ganz gut."

                    Katherines Augen wurden groß. „Ihr habt einen Segeltörn mit ihr gemacht? Seid ihr von allen guten Geistern verlassen? Davon hat sie mir nichts erzählt. Aber mal ehrlich, ihr könnt doch nicht mit einer mutmaßlichen Kriminellen in aller Öffentlichkeit eurem Vergnügen nachgehen! Wessen irrsinnige Idee war das denn?“ Entsetzt wanderte Katherines Blick von einem zum anderen.

                    Joan und Curtis schauten sich kurz an und begannen schallend zu lachen.
                    „Dein Chef!“, gab Curtis mit Lachtränen in den Augen zurück, woraufhin sich Katherine an die Stirn fasste. Sie schüttelte ihr glänzendes schwarzes Haar und verdrehte die Augen.

                    „Ihr seid doch alle nicht ganz bei Trost! Ihr quartiert Nurara in einer Beamtenwohnung ein und lasst es als Untersuchungshaft durchgehen. Der schärfste Mann, der mir seit Jahren über den Weg gelaufen ist, ist nicht nur ihr Anwalt, nein, er geht auch noch mit ihr ins Bett und jetzt wollt ihr mir auch noch weis machen, dass Marshall Garnie seinen prominentesten Häftling zum Segeln eingeladen hat? Und ihr wart mit dabei?“

                    Joan und Curtis nickten stumm und grinsten dabei. Katherine nahm ihr Glas und stürzte den Wein in einem Zug herunter, dann hielt sie es Curtis hin. Er schenkte ihr nach. „Kinder, ich glaube ich bin wirklich nur von Verrückten umgeben!“ Dann begann auch sie zu lachen.

                    „Dann helfen Sie uns, Doc!“, gab Curtis zurück, immer noch breit grinsend.

                    Katherine winkte ab. „An euch hätte sich sogar Freud die Zähne ausgebissen. Ihr seid unheilbar bescheuert!“ Sie wurde wieder etwas ernster und fuhr fort: „Wie Nurara sich entwickelt? Ausgesprochen gut. Sie zeigt Hilfsbereitschaft, entwickelt Empathie und Reue für ihre Taten. Sie will definitiv mit ihrer Vergangenheit abschließen. Wir wissen alle, dass es ein langer, beschwerlicher Weg für Nurara werden wird, aber ich bin sehr guter Hoffnung. Sie ist willensstark und hochmotiviert.“

                    Curtis sah Katherine ernst an. „Und sie belügt dich auch nicht? Es könnte ja sein, dass sie nur bequem um eine Gefängnisstrafe herum kommen will.“

                    Katherine schüttelte erneut den Kopf. „Nein, das kann ich definitiv ausschließen. In einem tiefenpsychologischen Gespräch hat sie mir von ihren Ängsten erzählt. Ihr werdet verstehen, dass ich aus Gründen der Schweigepflicht nicht näher darauf eingehen will, aber glaubt mir, diese Frau steckt voller Ängste – seit Jahren. Und den Lügendetektortest hat sie noch vor sich. Den kann sie nicht austricksen.“

                    Den Nachtisch nahmen die drei im Salon der Station, einem hellen, funktionell eingerichteten Raum, den Curtis hatte im japanischen Stil einrichten lassen. Es gab eine große, bequeme Sitzecke, die sich automatisch der jeweiligen Körperform der Benutzer anpasste, farbige, indirekte Beleuchtung und an den Wänden hingen asiatische Kunstwerke diverser historischer Epochen. Katherine zeigte sich gleichermaßen beeindruckt wie begeistert. „Wow! Ist das alles echt?“, fragte sie und betrachtete einen edlen Wandteppich aus der Nähe.

                    Curtis zuckte mit den Schultern. „Leider nein, einige Stücke sind Reproduktionen von teilweise nicht mehr existierenden Originalen. Vieles ist leider in den letzten Jahrtausenden durch Kriege und Katastrophen verloren gegangen oder zerstört worden. Mir geht es auch gar nicht um den Wert dieser Dinge, sie gehören eigentlich in Museen der Öffentlichkeit gezeigt. Ich mag einfach den Stil, das ist alles.“

                    Katherine hob anerkennend den Daumen. „Auf jeden Fall hast du einen sehr guten Geschmack, was deine Einrichtung angeht. Mir gefällt es hier ausgesprochen gut!“

                    Curtis machte eine kurze Verbeugung. „Vielen Dank Kat, dein Lob ist mir eine große Ehre!“Er setzte sich in einen Formsessel. „Kat, ich möchte noch einmal kurz auf Nurara zurück kommen. Hast du mit ihr über ihre Zukunftsabsichten gesprochen? Hat sie Pläne?“

                    Katherine brauchte einen Moment für die Antwort, da sie sich gerade ein Stück von dem frisch gebackenen Apfelkuchen in den Mund geschoben hatte. „Ja und nein. Jedenfalls nichts Konkretes. Sie will gerne reisen und ungebunden sein, was aber eine Partnerschaft mit Samuel nicht ausschließt. Sie liebt ihn sehr. Nur mit dem Gedanken, eine Familie zu gründen, tut sie sich sehr schwer. Ich vermute, dass sie befürchtet, sich genauso zu verhalten, wie ihre eigenen Eltern es ihr gegenüber getan haben. Sie ist in der Hinsicht sprichwörtlich ein gebranntes Kind.“

                    Joan hatte sich dicht neben ihre Freundin gesetzt und sah sie eindringlich mit ihren großen blauen Augen an. „Was können wir da tun? Können wir ihr diese Befürchtung irgendwie nehmen?“

                    Katherine schüttelte energisch den Kopf. „Nein, wir sollten uns da raushalten. Es ist ihre persönliche Entscheidung und hat auch nichts mit ihrer kriminellen Geschichte zu tun. Sie wird ihre Paradigmen zur rechten Zeit selbst wechseln. Ich baue da auf Sam. Der Baum, der hier wächst, ist momentan noch ein kleines, zartes Pflänzchen, zerbrechlich und pflegebedürftig. Die Zukunft wird es bringen.“

                    Den Rest des Abends brachten Joan und Curtis ihre Freundin in gesellschaftlichen und kulturellen Dingen auf den neuesten Stand. Nurara und Kuolun waren jetzt erst einmal kein Thema mehr. Katherine gähnte irgendwann vor Müdigkeit und blickte auf die große Wanduhr, die die New Yorker Ortszeit zeigte. „Kurz vor Mitternacht. Ihr Lieben, es wird Zeit für mich, nach Hause zu gehen. Bringt Otho mich wieder zur Erde?“

                    Curtis erhob sich. „Ich werde ihm sagen, dass er den Cosmoliner startklar machen soll. Dauert nur einen Moment.“

                    Er ging hinaus. Katherine wandte sich an Joan und lächelte. „Ach, Süße, danke für diesen wundervollen Abend! Sobald meine Wohnung in Brooklyn wieder bewohnbar ist, revanchiere ich mich bei euch! Versprochen!“

                    Joan umarmte ihre Freundin. „Darauf nagele ich dich fest! Wolltest du nicht auch jetzt irgendwann Urlaub machen?“
                    Katherine nickte eifrig. „Mit Nuraras Prozessbeginn gehe ich für zwei Wochen in Urlaub. Ich fahre nach Hause zu meinen Eltern und meinem Bruder. Zwei Wochen mal keine Uniform tragen. Das werde ich genießen!“

                    Einige Minuten und heftige Abschiedsumarmungen später beobachteten Joan und Curtis durch das große Panoramafenster, wie der Cosmoliner von der Mondstation abhob und in Richtung Erde flog.
                    Curtis hatte seinen Arm um Joans schlanke Hüfte gelegt und vergrub seine Nase in den Haaren hinter ihrem Ohr. „Und was machen wir jetzt?“, raunte er leise.

                    Joan schlüpfte aus ihren Schuhen und rannte auf Strümpfen in Richtung der Privatgemächer des Captains. „Wir machen das, was du den ganzen Abend schon machen wolltest!“, rief sie lachend noch im Lauf. „Los, komm schon, worauf wartest du?“
                    Das ließ sich Curtis nicht zweimal sagen. Er zog sein Jackett aus und warf es achtlos hinter sich. Dann stürmte er Joan hinterher.
                    Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

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                      #40
                      Jetzt kommt einer meiner Lieblingsabschnitte. Sind die zwei nicht süß?


                      Kapitel 5

                      Polizeipräsidium, Katherine Ballards Büro, am darauffolgenden Morgen

                      „Zentrale, Corporal Milner hier. Oh, guten Morgen Major Ballard! Was kann ich für Sie tun?“ Der junge und gut aussehende Corporal im Monitor strahlte Katherine förmlich an, als er sie von der Verbindung mit dem Kreuzer Tennessee wiedererkannte. Katherine ließ es sich nicht nehmen, den Unteroffizier ebenfalls anzustrahlen. Üblicherweise hielt Katherine zu niedrigeren Dienstgraden – ausgenommen Joan – eine respektvolle Distanz, dieser Corporal gefiel ihr jedoch ausgesprochen gut. Katherine nahm sich vor, den jungen Mann einmal persönlich in der Zentrale zu besuchen. Auf dem Monitor bekam sie nur sein Gesicht und etwas von seiner Uniform zu sehen, sie war zu neugierig, wie der Rest des netten Unteroffiziers aussehen würde.

                      „Guten Morgen Corporal! Bitte seien Sie doch so freundlich und erstellen mir eine Videoverbindung nach Deutschland, auf die Nordseeinsel Baltrum. Dort gibt es das „Ettore di Lauro“ Institut. Die Direktorin heißt Professor Dorothea Kesselring. Mit ihr möchte ich gerne sprechen.“

                      Milner strahlte immer noch, er hatte Katherine die ganze Zeit fest in die Augen geschaut. „Sicher Major, können Sie mir die Nummer geben?“

                      Katherine machte ein gespielt trauriges Gesicht und sagte zuckersüß: „Die habe ich leider nicht, Corporal. Würden Sie die für mich herausfinden?“ Sie klimperte dabei aufreizend mit den Augen.

                      Katherine konnte sehen, wie der junge Mann leicht rot wurde, anscheinend war er es nicht gewohnt, dass eine vorgesetzte Offizierin dermaßen mit ihm flirtete. „A-aber gerne, Ma´am!“, gab er stotternd zurück. „Das kann nur ein wenig dauern.“

                      „Das macht nichts, Corporal. Es reicht mir, wenn Sie die Verbindung innerhalb der nächsten Stunde erstellen könnten.“ Katherine zwinkerte ihm zu und konnte gerade noch sehen, wie das rot in seinem Gesicht noch intensiver wurde. Dann schaltete sie schmunzelnd ab.



                      Polizeipräsidium, Kommunikationszentrale


                      John Milner sah noch, wie Major Ballard ihm zuzwinkerte und die Verbindung beendete. Ihm war beim Anblick dieser atemberaubend schönen Frau heiß und kalt geworden. In diesem Moment legte sich eine schwere Hand auf seine Schulter. Es war sein Vorgesetzter, Captain Luther, der ihn jetzt hämisch und beeindruckt zugleich angrinste. „Johnny, Johnny, Johnny… ts ts, die Kleine spielt mindestens drei Ligen über dir! Bei der landest du nie, da kannst du noch so charmant sein.“

                      Milner sprang von seinem Stuhl auf und sah seinen Captain entgeistert an. „Hast du das etwa alles mitbekommen, Frank? Die ist doch der Oberhammer, oder?“, rief er voller Begeisterung.

                      Frank Luther nickte. „Die ist so der Oberhammer, dass sie für dich unerreichbar ist. Bleib cool und komm wieder runter. Die wollte dich nur ein wenig reizen und zur Eile antreiben.“

                      John Milner sah zur Decke der Zentrale und sinnierte: „Wenn meine Schicht rum ist, gehe ich mal zu ihr hoch. Vielleicht trinkt sie ja einen Kaffee mit mir?!“

                      Captain Luther prustete los und hielt sich seinen beleibten Bauch vor Lachen. „Das kann nicht dein Ernst sein, Kleiner! Wenn du das hinkriegst, spendiere ich dir eine richtig teure Flasche Kentucky Straight Bourbon!“ Er hielt seinem Untergebenen die Hand hin und forderte ihn auf, einzuschlagen.

                      Jetzt war der Jagdinstinkt in Milner geweckt und er schlug ein. „Abgemacht! Wenn sie sich mit mir verabredet, bekomme ich von dir eine Flasche Whiskey!“

                      Luther bleckte die Zähne und antwortete: „Und wenn du `nen Korb bekommst, machst du bis Jahresende alle Wochenendschichten! Und ich verbreite in der Abteilung, was du für ein Trottel bist! Das wird ein Spaß! Und jetzt geh wieder an die Arbeit! Deine kleine Freundin wartet … hahaha!“ Händereibend und lachend ging Captain Luther davon und betrat sein Büro. Milner konnte sehen, wie sein Vorgesetzter hinter den Lamellenvorhängen immer noch lachte und feixte. Milner setzte sich wieder an sein Terminal und suchte die Nummer des Institutes auf der deutschen Insel im Worldnet und stellte die Verbindung her. Dann rief er Katherine zurück.


                      Katherine Ballards Büro


                      Es dauerte keine fünf Minuten, bis sich Corporal Milner zurückmeldete. „Hallo Major Ballard, Ihre Verbindung nach Deutschland steht, wollen Sie übernehmen?“

                      Katherine lächelte den Corporal freundlich an. „Das ging aber schnell, vielen Dank! Ich übernehme.“

                      „Äh, Major?“, warf Milner hastig hinterher.

                      „Ja, Corporal?“, fragte Katherine interessiert.

                      „Ma´am, wenn Sie das Gespräch beendet haben, dürfte ich Sie danach einmal kurz aufsuchen? In einer halben Stunde wäre meine Schicht zu Ende.“

                      Katherine zog eine Augenbraue hoch. ‚Der geht aber jetzt ran…‘, dachte sie, antwortete aber: „Möchten Sie ein psychologisches Gespräch führen?“

                      Corporal Milner zögerte kurz und nickte knapp. „So in der Art …“

                      „Dann kommen Sie in dreißig Minuten hoch. Sie wissen, wo mein Büro ist?“

                      „Ja, Ma´am. Vielen Dank!“ Er grinste. In seinem Blick war Erleichterung und eine erwartungsvolle Vorfreude zu lesen.

                      „Dann bis später, Corporal. Ich freue mich auf Ihren Besuch!“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln und drückte auf den Übernahmeknopf. Das Bild des jungen Mannes wechselte zu einer grauhaarigen Frau fortgeschrittenen Alters. Bis auf einige Lachfalten um die grünen Augen wirkte sie erstaunlich jugendlich.
                      „Professor Kesselring! Erinnern Sie sich noch an mich? Mein Name ist Katherine Ballard! Ich habe in Harvard Ihre Gastvorlesungen besucht.“

                      Die Frau kramte ganz offensichtlich in ihrem Gedächtnis. „Katherine? Katherine? Ja! Die kleine Rotzgöre aus den Südstaaten mit den frechen Thesen! Meine Güte! Sie sind ja richtig erwachsen geworden! Und Polizistin? Respekt! Was kann ich für Sie tun, Katherine?“


                      „… und Sie glauben wirklich, dass Sie das einrichten können? Das wäre phantastisch!“ Katherine hatte sich die letzten zwanzig Minuten vorzüglich mit Professor Kesselring unterhalten. Sie wusste bereits durch Jonathan McCabe, was mit Nurara geschehen sollte, war jedoch skeptisch ob der Erfolgsaussichten. Aber das Fachgespräch mit Katherine änderte ihre Meinung. „Nun, Katherine, wie ich Herrn McCabe“, Professor Kesselring sprach Deutsch mit Katherine, „bereits sagte, sind unsere Kapazitäten begrenzt. Es handelt sich dabei auch um eine finanzielle Problematik. Wir werden aus öffentlichen Mitteln der Weltregierung finanziert und müssen jedes Jahr hoffen, dass wir das Budget des Vorjahres wieder erhalten. Ich muss sehr genau entscheiden, wen ich in meine Einrichtung aufnehme und dies stichhaltig dem Ausschuss begründen. Aber in diesem Fall sehe ich durchaus eine Möglichkeit, Nurara direkt zum Jahreswechsel bei uns begrüßen zu dürfen. Bitte schicken Sie mir doch vorab Ihre Unterlagen, damit ich mir ein Bild von ihr machen kann. Ich möchte Nurara auch gerne vorher kennenlernen.“

                      Katherine lehnte sich entspannt in ihrem Bürosessel zurück und lächelte. „Selbstverständlich, Professor. Ich muss mit Nurara noch ein paar abschließende Tests machen, nächste Woche beginnt ihr Prozess. Dann schicke ich Ihnen alles zu.“
                      Dorothea Kesselring nickte und antwortete freundlich lächelnd: „Gut, dann bis nächste Woche. Es war sehr nett, mit Ihnen zu sprechen, Katherine. Ich freue mich auf Ihre Unterlagen.“ Kesselring beendete die Verbindung.

                      Lautstark blies Katherine Luft aus. Das war einfacher, als sie gedacht hatte. Sie machte sich ein paar Notizen und Erinnerungen in ihrem Computerterminal, da gab auch schon der Türsummer ein lautes, eindringliches Geräusch von sich. Katherine sah auf die Uhr. Corporal Milner war überpünktlich. Sie band sich schnell die Haare zu einem Pferdeschwanz zusammen, drückte auf den Türöffner und erhob sich von ihrem Stuhl. Milner trat ein, er war ein großer, sportlicher Mann mit braunem, kurzem Haar, lebendigen, freundlichen braunen Augen und einem markanten Gesicht. Er lächelte breit und in seinen Wangen traten sympathische Grübchen zum Vorschein. Er hob die rechte Hand zum Salut, jedoch winkte Katherine energisch ab. „Hier in diesem Büro brauchen Sie nicht zu salutieren, Corporal. Hier gibt es nur Arzt und Patient. Sie wollten mit mir sprechen …“ Katherine gab sich gewollt streng, was Milner aber nicht sonderlich zu beeindrucken schien. Er lächelte weiter, in seinen Augen blitzte es selbstbewusst, als er Katherine fest ansah. Sie kam nicht umhin, sein Lächeln zu erwidern. „… was kann ich denn für Sie tun?“, fragte sie, als sie näher an ihn heran trat und zu ihm auf blickte. Katherine war mit einem Meter siebzig selbst nicht klein, aber Milner überragte sie deutlich.

                      Er begann ohne große Umschweife. „Major, ich weiß es schickt sich nicht, so etwas einen vorgesetzten Offizier zu fragen, aber seit Sie letzte Woche hier angerufen haben und ich Sie das erste Mal sah, gehen Sie mir nicht mehr aus dem Kopf. Ich wollte Sie fragen, ob Sie mit mir ausgehen würden.“

                      Katherine setzte sich auf die Ecke ihres Schreibtisches. Ihr Lächeln verschwand aus ihrem Gesicht. Todernst musterte sie den Corporal von oben bis unten. Langsam schüttelte sie den Kopf. Im Büro konnte man eine Stecknadel fallen hören. Immer noch kopfschüttelnd antwortete sie mit strenger Stimme: „Nein, Corporal, Sie haben vollkommen Recht. So etwas schickt sich wirklich nicht. Wir sind zwar nicht beim Militär, sondern bei der Polizei, aber auch wir tragen Uniform und haben Respekt vor dem höheren Dienstgrad zu zeigen. Sie, Corporal, lassen jedweden Respekt vor meinem Dienstgrad missen.“ Katherine tippte mit zwei Fingern nachdrücklich auf ihre Schulterstücke. Das Lächeln in Milners Gesicht fiel in sich zusammen. Katherine setzte nach: „Glauben Sie wirklich, ich als Major würde mit Ihnen, einem Corporal, ausgehen?“ Sie ließ die Frage im Raum schweben.

                      Milner brauchte einen Moment und schnappte nach Luft. Sämtliche Farbe war aus seinem Gesicht gewichen. „Ich … äh, nein Ma’am. Verzeihen Sie bitte, das war unangemessen. Ich werde jetzt besser gehen.“ Er machte Anstalten, sich abzuwenden und Katherines Büro zu verlassen.

                      „Corporal, ich bin noch nicht fertig!“, sagte Katherine, noch eine Spur schärfer und aus ihren grauen Augen schossen Blitze. Milner drehte sich wieder zu ihr. „Haben Sie meine Frage verstanden?“

                      Milner blinzelte irritiert. „Ma’am?“

                      Katherine stand auf und verschränkte die Arme hinter dem Rücken. „Ich fragte Sie, ob Sie tatsächlich glauben, ob ich als Major mit Ihnen, einem Corporal, ausgehen würde.“

                      Milner zuckte mit den Schultern. „Nein, Major, ich glaube nicht.“ Er sah seine Felle davon schwimmen.

                      Katherine kniff ein Auge zu und zupfte am Kragen ihrer Uniformjacke. „Ganz richtig, aber Sie haben eines dabei übersehen. Nach 18 Uhr trage ich für gewöhnlich keine Uniform mehr. Dann bin ich nur noch Katherine.“ Milner war jetzt vollends verwirrt aber es dämmerte ihm nur einen Sekundenbruchteil später. Katherine hatte ihn nach allen Regeln der Kunst aufs Glatteis geführt und grinste ihn jetzt breit an. Er bekam wieder Farbe ins Gesicht und musste selbst lachen. „Sind Sie sicher, dass Sie immer noch mit mir ausgehen wollen, John?“, fragte Katherine mit Unschuldsmiene. „Ich könnte Sie jederzeit wieder so aufziehen.“

                      Milner straffte sich und antwortete: „Ja, Ma’am, ich möchte immer noch mit Ihnen ausgehen, weil ich sicher bin, dass Sie das nicht mehr tun.“

                      „Was macht Sie so sicher, Corporal John Milner?“, fragte Katherine mit Engelsstimme.

                      „Weil Sie gerade mit der Knopfleiste meiner Uniform spielen, Ma’am!“ Erschrocken zog Katherine die Hand weg. Der Punkt ging an den Corporal. „Wann darf ich Sie heute Abend abholen, Major Katherine Ballard?“ Milner grinste sie frech und siegessicher an. Das Selbstbewusstsein des jungen Mannes beeindruckte Katherine.

                      „Zwanzig Uhr! Treffen wir uns bei Ihnen in der Zentrale. Diesen Bereich des Präsidiums besuche ich leider viel zu selten.“
                      „Danke, Major“, rief Milner regelrecht verzückt. „Ich freue mich auf heute Abend!“

                      Als Milner das Büro verließ, legte sich Katherine kurz auf die Sitzungscouch und die Füße hoch. Im Geiste stand sie schon vor ihrem Kleiderschrank und überlegte, was sie an diesem Abend anziehen sollte. Dann fiel ihr Blick auf die Wanduhr. Kurz vor halb zehn und sie hatte noch einen riesigen Berg Verwaltungsarbeit ihres Vorgängers aufzuarbeiten. Seufzend richtete Katherine sich auf und machte sich an die Arbeit. Heute konnte sie den Feierabend kaum erwarten, denn sie fand den jungen Corporal wegen seiner frechen und ungezwungenen Art sehr sympathisch. Es schien ihr, als wären sie auf der gleichen Wellenlänge.
                      Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                      Mission accomplished.

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                        #41
                        Als Katherine sich zur vereinbarten Zeit in der Zentrale einfand – sie hielt nichts vom „akademischen Viertelstündchen“ – sah sie, wie Corporal Milner sich angeregt und lachend mit einem dicklichen, kurzbeinigen Captain unterhielt. Der Captain schüttelte unentwegt den Kopf und rieb sich Lachtränen aus den Augen. Beim Näherkommen konnte sie einige Wortfetzen wie „Schaffst du nie!“ und „Du gehst gleich alleine wieder nach Hause!“ aus dem Munde des Captains vernehmen. Anscheinend traute er seinem Untergebenen nicht zu, dass sein Date heute Abend zustande kommen würde.
                        Das Klicken ihrer Absätze auf dem Stahlboden zog die Aufmerksamkeit der beiden Männer auf sie. Zielstrebig ging sie auf John Milner zu und schenkte ihm ein einnehmendes Lächeln. „Guten Abend John! Bin ich zu spät?“ Sie reichte ihm die Hand, die er sofort ergriff.

                        „Nein, auf gar keinen Fall! Katherine, ich möchte Ihnen Abteilungsleiter vorstellen, Captain Frank Luther“, antwortete John und sah Luther feixend und triumphierend an.

                        Luther stand da mit offenem Mund und wechselte schnell den Blick zwischen John und Katherine. Dann fasste er sich und schüttelte Katherines Hand. „Freut mich sehr, Major. Ähemm, ja, was soll ich sagen? Ich wünsche Ihnen beiden einen schönen Abend. John, du meldest dich bitte morgen Mittag bei mir, wenn ich die Schicht übernehme.“ Er wandte sich ab und mit einem mehrfachen „Ich fasse es nicht!“ verschwand er in seinem Büro.

                        Schmunzelnd sah Milner ihm nach, dann sah er Katherine an. Sie trug einen grauen Rock, der knapp über ihrem Knie endete, schwarze Stiefel mit hohen Absätzen, eine weiße, tief ausgeschnittene Bluse und einen dunkelblauen Mantel. Ihre Haare waren offen und glänzten im hellen Licht der Deckenbeleuchtung. Durch die Absätze war sie ein gutes Stück gewachsen und konnte ihm ohne Anstrengungen in die Augen sehen. „Wollen wir, Katherine?“, fragte Milner und bot ihr einen Arm an.

                        „Kat!“, sagte sie entschieden und hakte sich ein. „Gehen wir!“







                        Rulwas Lagerhaus, einen Tag später

                        Oksana war genervt von dem strömenden Regen, der schon seit den frühen Morgenstunden unablässig über New York niederging. Boris hatte sie soeben abgesetzt und fuhr mit dem Transporter nach Manhattan um Besorgungen zu erledigen, auf dem Rückweg würde er den Anwalt vom Hotel abholen. Sie hatte sich die letzten zwei Tage Gedanken gemacht, wie sie Borksh helfen könnte. Eigenmächtig hatte sie die Kontakte ihrer Mutter angezapft und einige, zwar spärliche aber dennoch brauchbare Informationen über den Aufenthaltsort von Nurara herausgefunden. Diese Daten hatte sie auf eine Chipkarte kopiert und trug sie bei sich. Gegen einen angemessenen Preis, den sie selbst bestimmte, würde sie die Informationen Borksh übergeben. Im Moment stand sie aber ungeduldig im Regen vor der Lagerhaustür und kramte in den Taschen ihres Ledermantels, auf der Suche nach der Schlüsselkarte für den Eingang des Lagerhauses. Leise fluchte sie auf Russisch vor sich hin, fand aber die Karte dann doch. Plötzlich spürte sie etwas Kaltes, Metallisches in ihrem Nacken und vernahm ein unheilvolles Klicken. Da sie von Kindesbeinen an mit Waffen zu tun hatte, wusste sie genau, um was es sich handelte und sie hatte auch die richtige Ahnung, wer die Waffe in der Hand hielt. „Peyo, was willst du? Du solltest nicht hier sein!“, sagte sie gereizt. Sie konnte sein schweres Atmen genau hören.

                        „Halts Maul, Russenschlampe und mach die Tür auf!“, zischte er und drückte den Lauf des schweren Revolvers fester in ihren Nacken. „Du weißt, was ich will und du wirst mir die Scheißmunition endlich geben!“

                        „Und ich habe dir schon ein paar Mal gesagt, dass ich dir keine Dum-Dum Munition geben werde. Du wirst hier in New York keinen Krieg anfangen!“ Oksana hatte Mühe, die Beherrschung nicht zu verlieren, aber eine falsche Bewegung ihrerseits hätte tödliche Folgen für sie gehabt, daher verhielt sie sich absolut ruhig.

                        Peyo verpasste ihr mit der freien Hand einen festen Schlag auf den Hinterkopf. „Mach jetzt die verdammte Tür auf oder ich leg dich um! Ich kann mir die Munition auch alleine holen!“, herrschte er sie an. Oksana sah ein, dass sie in dieser Situation trotz ihrer Nahkampfausbildung keine Chance hatte, sich Peyo zu widersetzen. Also öffnete sie die Tür mit ihrer Schlüsselkarte und Peyo schubste sie unsanft in die Lagerhalle. „Du gehst ganz langsam voran und versuchst keinen Mist, verstanden? Dann ist das hier ganz schnell vorbei und du und deine Mutter habt ein für alle Mal Ruhe vor mir.“ Oksana nickte bedächtig und marschierte die Lagerhalle hinunter in Richtung Büro.

                        Als sie in Rulwas Büro traten, sprang diese wie von der Tarantel gestochen auf. „Peyo, du kleine Ratte!“, schrie sie. „Du hast hier nichts verloren!“

                        Peyo richtete den Revolver auf Rulwa und sagte: „Halt die Klappe und setz dich wieder hin!“ Dann hielt er die Mündung an Oksanas Schläfe. „Wo ist die Munition? Los rede schon, Rulwa, sonst blase ich deiner süßen Tochter das Hirn raus!“

                        Wie ihr geheißen setzte sich Rulwa wieder hin und antwortete: „Was du suchst, ist hier im Tresor.“ Sie deutete mit dem Daumen auf den Safe hinter ihr.

                        „Los, aufmachen!“, brüllte Peyo und fuchtelte mit der Waffe herum. Rulwa nickte Oksana zu. Peyo stieß sie an und blieb die ganze Zeit dicht hinter ihr. Während Oksana die Kombination eingab, bemerkte Peyo aus dem Augenwinkel, wie Rulwa mit einer Hand unter den Tisch griff. „Was machst du da, du blöde Kuh?“, brüllte er und schoss Rulwa aus einem Meter Distanz in den Kopf. Blut und Hirnmasse spritzten auf die Wand hinter ihr und Rulwa brach über ihrem Schreibtisch zusammen. Die Wucht des Projektils hatte ihr den halben Hinterkopf weggerissen.

                        Geistesgegenwärtig wirbelte Oksana herum und trat in der Drehung Peyo vor die Brust. Er schlug hart mit der rechten Schulter gegen ein Regal hinter ihm. In dem Moment des Aufschlags löste sich aus der Waffe ein Schuss und traf Oksana in die rechte Hüfte. Der Treffer ließ sie hart mit dem Genick gegen die niedrige Kante des Tresors krachen. Oksana schrie auf vor Schmerz. Auf dem Boden sitzend versuchte sie nach ihrer Protonenpistole zu greifen, diese hatte sich jedoch beim Sturz mit ihrem Ledermantel so verheddert, dass sie den Sicherungsgurt des Holsters nicht freibekam. Peyo hatte sich wieder aufgerappelt und stand nun über ihr. Ein Blick auf das Display des Tresors sagte ihm, dass nur noch eine Ziffer für die vollständige Kombination fehlte. Er richtete seine Waffe auf Oksana. „Die letzte Zahl! Los, sag!“

                        Oksana überlegte kurz, dann schüttelte sie den Kopf. „Nein!“, rief sie entschlossen und schaute Peyo mit grimmigen Blick an.

                        Peyo kniete sich hin und drückte den Lauf der Waffe in ihren Bauch, etwa auf der Höhe, wo sich ihr Uterus befand. „Die Zahl!“, flüsterte Peyo bösartig und spannte den Hahn. Seine Augen zeigten weder Hass noch Wut, sie waren einfach leer. „Wenn du mal Kinder haben willst, verrätst du mir jetzt die verdammte letzte Zahl!“, sagte er und drückte Oksana die Mündung der Waffe fester in den Bauch.

                        Oksana hatte Todesangst. „F-fünf. Die letzte Zahl lautet fünf.“

                        Peyo wechselte den Revolver von der rechten in die linke Hand, die Waffe weiterhin auf Oksanas Bauch gerichtet. Mit der freien Hand gab er die letzte Zahl auf dem Tastenfeld ein. Die Kontrollleuchte wechselte von Rot nach Grün. Der Tresor war offen. Peyo sah Oksana an und lächelte zuckersüß. „Na also, meine Schöne! War doch gar nicht so schwer!“, flüsterte er mit halbirrer Stimme. Dann drückte er eiskalt ab. Oksana gab einen schrillen Schmerzensschrei von sich, dann kippte sie mit dem Oberkörper zur Seite weg. Peyo stand auf und stieß Oksana fort und öffnete die Tür des Panzerschranks. Er war bis auf ein paar Papiere leer. Peyo wandte sich Oksanas leblosem Körper zu und verpasste ihm einen heftigen Tritt. „Du verkackte Russenhure hast mich belogen!“, schrie er nur noch und stürmte hinaus.





                        Hotel „Liberty State“, Queens

                        Zistavan Borksh saß seit gut anderthalb Stunden in der Lobby des kleinen Hotels und wartete darauf, von Boris, Rulwas Mitarbeiter, abgeholt zu werden. Er hatte mit Oksana zwar keine feste Zeit vereinbart, aber es wurde draußen langsam dunkel und Borksh bekam Zweifel, ob heute Abend noch etwas passieren würde. Er gab sich selbst noch eine Wartezeit von dreißig Minuten, dann würde er an die Bar gehen um etwas zu trinken und seine Abreise vorzubereiten. Der Gedanke, Kuolun mit gewissermaßen leeren Händen gegenüberzutreten, missfiel ihm. Andererseits hätte er dann auch die Möglichkeit gehabt, auf Airam IV zum Gericht zu gehen und vor dem zuständigen Richter sein Mandat niederzulegen. Allerdings wäre er dann beruflich ruiniert und das konnte er sich nicht leisten. Zumal der Prozess ihm –ungeachtet des Ergebnisses – eine gewisse Summe Geld einbringen würde. Es wären zwar keine Reichtümer, aber das Honorar würde reichen, um im kommenden Jahr Rechnungen und das Gehalt seiner Assistentin zu bezahlen. Für ihn selbst würde nicht viel dabei rausspringen. Ihm war es aber wichtig, seine kleine Kanzlei zu behalten und deshalb blieb er an diesem Fall, egal wie demütigend es für ihn sein würde.
                        Fünf Minuten vor Ablauf seiner selbst gesetzten Frist betrat ein junger Mann mit kurzen Haarstoppeln die Hotellobby. Er sah sich kurz um, traf den Blick von Borksh und kam zielstrebig auf ihn zu. „Mr. Borksh, ich bin Boris. Ich soll Sie abholen und zu Oksana bringen. Bitte kommen Sie!“ Der junge Mann war freundlich und sprach leise. Borksh erhob sich aus seinem Sessel und folgte ihm nach draußen, wo der graue, unscheinbare Transporter geparkt war. Boris öffnete die Seitentür und machte wortlos eine Handbewegung, die Borksh aufforderte, einzusteigen. Der Laderaum war gefüllt mit Kisten und Kartons, sodass Borksh nur einen engen Platz dicht an der Trennwand fand, wo er sich hinsetzen konnte.
                        Die Fahrt dauerte etwas über zehn Minuten. Boris fuhr sehr schnell und machte heftige Lenkbewegungen. Wahrscheinlich stand er unter Zeitdruck. Irgendwann kam der Transportgleiter abrupt zum Stehen und kurz darauf wurde die Tür geöffnet. „Wir sind da“, sagte Boris und winkte Borksh hinaus. Als sie zur Seitentür des Lagerhauses kamen, stutzte Boris, denn sie stand sperrangelweit offen. „Eigenartig“, brummte Boris, „die Türe müsste eigentlich immer verschlossen sein. Hier stimmt etwas nicht. Boris langte in seine Jacke und zog eine handliche Protonenpistole heraus. „Bleiben Sie dicht bei mir und halten Sie die Augen offen.“, sagte er und trat ein.
                        Sie schlichen entlang der Ersatzteilregale und Schiffsrümpfe. In der Lagerhalle war alles ruhig, nur ab und zu konnte man Wassertropfen hören, die von einer undichten Stelle im Dach in eine Pfütze fielen. Am Ende der Lagerhalle fiel fahles, gelbes Licht durch einen schmalen Türspalt ins Dunkel.

                        Vorsichtig drückte Boris die Tür des Vorraumes auf, er konnte nichts Verdächtiges erkennen und ging weiter bis zur Tür von Rulwas Büro. Auch diese war nur angelehnt. Totenstille umgab sie. Eigentlich hatte Boris erwartet, dass sich Oksana und Rulwa wie üblich lautstark unterhielten. Aber die Ruhe verstörte ihn. Mit der Mündung seiner Waffe schob er die Türe auf und blickte hinein. Was er sah, ließ ihn erstarren. Boris ließ seine Waffe fallen und sank auf die Knie. Er begann zu weinen.
                        Borksh konnte nicht erkennen, warum Boris weinte und drückte sich vorsichtig an ihm vorbei. Als er Rulwas entstellte Leiche entdeckte, stieg ein Brechreiz in ihm auf. Er hatte noch nie so viel Blut an einem Tatort gesehen. Er musste sich von diesem grausamen Bild abwenden, dabei fiel sein Blick auf einen blonden, lockigen Haarschopf am Boden. Oksana lag seltsam verdreht in einer riesigen Lache frischen Blutes. Vorsichtig ging er zu ihr hin, im Gegensatz zu Rulwa war ihr Kopf offensichtlich unversehrt, dafür hatte sie eine Schusswunde im Bauch. Borksh drehte Oksana vorsichtig um und legte zwei Finger auf ihre Halsschlagader. Schwach konnte er einen Puls fühlen. Er drehte sich zu Boris um und rief: „Boris! Sie lebt noch! Sie hat viel Blut verloren, aber sie ist noch am Leben! Rufen Sie den Notarzt!“ Boris regte sich und stand auf. Oksanas Augenlider flatterten und sie sah Borksh an. Sie krallte sich ans Revers seines Jacketts.

                        „Nein, Borksh, es ist zu spät. Ich schaffe es nicht …“, flüsterte sie kaum vernehmbar und verzog ihr hübsches Gesicht zu einer schmerzverzerrten Maske. „Ich habe, was Sie suchen …“ Oksana krümmte sich. „… in der Innentasche meines Mantels. Nehmen Sie es …“ Wieder flatterten ihre Augenlider.

                        Mit zitternden Händen knöpfte Borksh Oksanas Mantel auf und fasste in die Innentasche. Er ertastete eine kleine Karte und holte sie heraus.

                        Oksana bemühte sich um ein Lächeln, aber sie wurde immer schwächer. „Gehen Sie jetzt, Borksh. Sie können nichts mehr tun. Boris …“

                        Borksh nahm Oksanas Hand. So fest sie konnte, griff sie zu, aber der Druck ließ schnell wieder nach. Oksana verzog zum letzten Mal das Gesicht vor Schmerz, dann entspannten sich ihre schönen Züge. Sie hatte aufgehört zu atmen.
                        Boris legte seine Hand auf Borksh´s Schulter. Mit brüchiger Stimme sagte er: „Sie haben alles, was Sie brauchen. Gehen Sie jetzt bitte.“

                        Borksh legte vorsichtig Oksanas Hand auf ihre Brust und erhob sich, dann sah er Boris fest in die Augen. „Wir müssen die Polizei holen. Wenn ich mir die Verletzungen ansehe, habe ich eine Ahnung, wer dafür verantwortlich ist.“

                        Boris hob abwehrend eine Hand. „Das weiß ich selber. Peyo heißt das Schwein, seinen Vornamen kenne ich nicht, aber ich kriege ihn raus und werde ihn in den Griff meiner Pistole einritzen. Den knöpfe ich mir selber vor, verlassen Sie sich drauf. Ich werde Oksana und Rulwa rächen. Keine Polizei, verstanden? Und jetzt hauen Sie ab! Neben der Halle steht ein Gleiter-Bike. Nehmen Sie es und machen Sie, dass Sie ganz schnell ganz weit von hier weg kommen! Ich muss hier aufräumen …“

                        Resigniert zuckte Borksh mit den Schultern. Er reichte Boris die Hand und wünschte ihm alles Gute. Dann verließ er die Lagerhalle. Er fand das Gleiter-Bike und startete die Maschine. Borksh gab Gas und fuhr die langgezogene, leicht kurvige Straße hinunter. Er hatte einen knappen Kilometer zurückgelegt, als sich der Himmel mit einem grellen Blitz erhellte und die Umgebung nur Bruchteile einer Sekunde später von einer gewaltigen Explosion erschüttert wurde. Borksh machte eine Vollbremsung und sah sich um. Im regenverhangenen Nachthimmel konnte er deutlich erkennen, wie sich dort eine ölige, schwarze Rauchwolke erhob, wo sich vor ein paar Minuten noch die Lagerhalle befunden hatte.
                        Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                        Mission accomplished.

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                          #42
                          Wow, fast 2000 Klicks... aber alles so stille Leser???

                          Mondbasis, Krater Tycho

                          „… hat es gestern Abend gegen 18Uhr30 eine Explosion in einem Lagerhaus im Nordosten des Stadtteiles Queens gegeben. Die Feuerwehr konnte bisher drei Tote aus den Trümmern bergen. Da die Leichen bis zur Unkenntlichkeit verbrannt sind, konnten sie bisher noch nicht identifiziert werden. Die New Yorker Stadtpolizei geht jedoch davon aus, dass es sich bei den Toten um die neunundvierzigjährige russischstämmige Geschäftsfrau Natascha Rulwakowa, ihre vierundzwanzigjährige Tochter Oksana und ihren Mitarbeiter, den dreißigjährigen Boris Yakolev, handelt. Die Löscharbeiten dauerten bis in die frühen Morgenstunden an und wurden vor wenigen Minuten erst beendet.“
                          Joan saß hellwach vor dem Holobildschirm im Salon und sah die Morgennachrichten an. Curtis schlief noch, daher war der Ton sehr leise eingestellt. Das Bild wechselte von der hübschen Reporterin, die in einem gelben Regenmantel vor den rauchenden Trümmern der Lagerhalle stand, zu drei Archivbildern der Verstorbenen. Nach ein paar Sekunden erschien die Reporterin wieder und setzte ihre Berichterstattung fort:
                          „Bis jetzt hat die Polizei keine Erkenntnisse über den Hergang des Unglückes, geht jedoch von einer Treibstoffexplosion aus. Da Rulwakowa mit Raumschiffen und Ersatzteilen handelte, liegt dieser Verdacht nah. Ob es sich um einen Unfall oder vorsätzlichen Anschlag gegen Rulwakowa handelte, kann zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht eindeutig festgelegt werden. Da Natascha Rulwakowa Verbindungen zur organisierten Kriminalität gehabt haben soll, schließt die Polizei ein Verbrechen nicht aus.“
                          Joan hörte ein Tapsen auf dem blanken Fliesenboden. Es war Curtis, der barfuß und mit wirren Haaren noch etwas schlaftrunken in den Salon kam. Er gähnte herzhaft und setzte sich neben sie. Dann legte er einen Arm um Joan und gab ihr einen sanften Kuss auf die Wange. „Guten Morgen“, raunte er, „so früh schon auf?“

                          Joan lächelte Curtis liebevoll an. „Ich konnte nicht mehr schlafen. Außerdem ist es fast sieben. Wollen wir gleich frühstücken?“

                          Curtis‘ Blick wanderte zum Fernseher. „Was ist da passiert?“

                          Joan schüttelte ihre blonden Locken. Die Reporterin sprach gerade mit einem höheren Beamten der Stadtpolizei. „Ach, nur mal wieder die Russenmafia. Kein Job für uns.“ Sie streichelte Curtis‘ stoppelige Wange und stand auf.




                          Hotel „Liberty State“, Queens, zur gleichen Zeit



                          „Anwohner haben kurz vor der Explosion beobachtet, wie eine männliche Person auf einem Gleiterbike mit sehr hoher Geschwindigkeit aus Richtung des Tatortes kam und stadteinwärts fuhr. Die Ermittlungen konzentrieren sich momentan auf die Identität des potenziellen Zeugen.“

                          Der Polizeibeamte vermied es, den Begriff ‚mutmaßlicher Täter‘ oder ‚Verdächtiger‘ zu verwenden, jedoch war es Zistavan Borksh sofort klar, dass die Polizei ihn suchen und verhaften würde. Er hatte nicht mehr viel Zeit und musste umgehend die Erde verlassen. Borksh hatte in der Nacht das Material gesichtet, das Oksana ihm vor ihrem Tod überlassen hatte. Es war nicht viel, ein paar Gesprächsprotokolle, eine Videoaufnahme vom Tage der Landung der Comet vor dem Präsidium, auf dem zu erkennen war, wie Marshall Garnie die Future Crew und Nurara begrüßte, sowie einige Videosequenzen von einem Flur, in dem Nurara und diverse andere Personen immer wieder in einer Tür verschwanden oder hinausgingen. Eine Person erkannte Borksh als Katherine Ballard. Der Mann, der am häufigsten in Erscheinung trat, war Borksh ebenfalls bekannt, es handelte sich um Samuel McCabe, den Sohn des bekannten Staranwalts Jonathan McCabe, seines Zeichens selbst erfolgreicher Strafverteidiger. Die Aufnahmen waren nur wenige Tage laut Zeitstempel alt und sahen nicht wie die Aufnahmen innerhalb eines Gefängnisses aus. Vielmehr musste sich Nurara noch in Polizeigewahrsam befinden.
                          Eine Datei hatte Borksh besonders stutzig gemacht. Es handelte sich um eine unformatierte Textdatei mit dem Titel „Resozialisierungsprojekt Fall N., Autor Maj. K.A.Ballard, NYSPD“. Die Datei enthielt psychologische Aussagen, Notizen von persönlichen Gesprächen und Gedächtnisprotokolle. Unter anderem war in der Datei zu lesen, dass N. eine intime Beziehung zu einem S. aufgebaut hatte. Borksh brauchte nicht lange zu rätseln, dass es sich bei der Person S. um Samuel McCabe handeln musste. Die Tatsache, dass man Nurara mit großem Aufwand resozialisieren wollte, ließ Borksh schmunzeln. Diese Informationen waren äußerst wertvoll und würden Kuolun zum Toben bringen, andererseits könnte Borksh auch eine Bedingung an die Herausgabe knüpfen, aber Borksh war kein Erpresser, so verwarf er den Gedanken. Er spekulierte vielmehr darauf, dass Kuolun ihn für seine Bemühungen von sich aus ein wenig belohnen würde. Im Moment musste Borksh jedoch darauf Acht geben, dass diese brisanten Informationen nicht in falsche Hände gerieten, insbesondere nicht in die der Polizei – schließlich handelte es sich hier um vertrauliches Insiderwissen. Wäre das der Fall, so würde Borksh seine Zulassung als Anwalt verlieren und sich höchstwahrscheinlich selbst auf der Anklagebank in einem Strafverfahren wiederfinden. Immerhin würde Oksana ihn im Falle des Entdeckt Werdens nicht mehr belasten können, obgleich er den Tod dieser schönen und geheimnisvollen Frau abgrundtief bedauerte.
                          Borksh schaltete den Fernseher ab und begann zu packen.


                          Polizeipräsidium, Kommunikationszentrale, zur gleichen Zeit


                          „Das kann nicht wahr sein, das kann einfach nicht wahr sein!“, keuchte John Milner, während er ungläubig auf die Protokolle starrte, die auf seinen Bildschirmen herunterscrollten. An diesem Morgen hatte er routinemäßig eine Überprüfung der Kommunikationsprotokolle gestartet, um Fehler und Abweichungen zu finden und die Probleme im Anschluss zu beheben. Was er in diesem Moment auf den Monitoren sah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren. Er hatte entdeckt, dass in den letzten Tagen in unregelmäßigen Intervallen diverse Dateien aus verschlüsselten Verzeichnissen geöffnet, kopiert und an eine externe Adresse verschickt wurden. Die Person, die diesen Transfer in die Wege geleitet hatte, musste gewusst haben, wie man gezielt an diese Verzeichnisse gelangen konnte und hatte geschickt alle Spuren von Sender und Empfänger verwischt. Die Protokolle waren plausibel und für den Laien lückenlos, aber Corporal Milner erkannte als Softwarespezialist genau, dass die Protokolle manipuliert worden waren. Er musste den Vorfall umgehend melden. Sein Abteilungsleiter, Captain Luther, würde erst zur Mittagsschicht zum Dienst kommen, somit müsste er dessen nächsten Vorgesetzten, Marshall Garnie informieren. Er rief Garnie’s Vorzimmer an, wo sich die hübsche, dunkelhäutige Stella Winter meldete.
                          „Hey, John, guten Morgen! Was gibt es?“, fragte sie ihn mit einem breiten Grinsen, wurde aber schlagartig ernst, als sie in seine bedrückte Miene blickte.

                          „Stella, ich muss zum Marshall, sofort!“, sagte John ungeduldig.

                          „Der Marshall hat gerade Besuch. Ich kann nicht …“

                          „Stella, sofort! Wir haben ein Sicherheitsleck!“, unterbrach er seine Kollegin brüsk, was ihm im selben Moment wieder leid tat.

                          „Okay, John, warte kurz.“ Stella stand auf und ging zur Tür von Garnie’s Büro. John konnte etwas Stimmengemurmel hören, dann kam Stella wieder zu ihrem Terminal zurück. „Er sagt, du kannst sofort kommen, wenn es so wichtig ist. Aber dann beeile dich auch!“

                          Milner schenkte Stella ein knappes Lächeln und antwortete: „Danke, bin sofort oben.“ Dann kopierte er die Protokolle auf eine Datenkarte, schaltete sein Terminal aus und meldete sich bei einem anderen Corporal ab, der auf der anderen Seite des großen, mit Computern zugestopften Raumes saß. Sein Kollege hatte von dem Gespräch nichts mitbekommen, und das war auch gut so.
                          John Milner war bisher nur zweimal in den letzten drei Jahren in Marshall Garnie’s Büro: das erste Mal bei seinem Dienstantritt nach der Polizeischule und das zweite Mal, als er seinen Antrag auf Übernahme in die Offizierslaufbahn abgegeben hatte. Letzteres war jetzt eineinhalb Jahre her. Der Grund für die lange Wartezeit lag nicht in den dienstlichen Leistungen Milner‘s, es gab in seinem Aufgabenbereich einfach keine freie Stelle, die er hätte besetzen können, mit Ausnahme der seines Vorgesetzten Frank Luther. Dieser wiederum hatte noch ein halbes Jahr bis zu seiner Pensionierung. So musste John sich bis dahin in Geduld üben, aber es würde sich lohnen. Die Stelle war gut dotiert und der Dienstgrad bis Major ausgeschrieben.
                          Jetzt stand Corporal Milner vor dem Büro des Marshalls und hatte Herzklopfen. Den Polizeichef mit einer solch schlechten Nachricht zu behelligen, hatte etwas Beunruhigendes. Stella öffnete ihm und ließ ihn eintreten. Vor dem Schreibtisch saßen zu seiner Überraschung Katherine und eine junge Frau mit grünen Haaren. Er wusste, dass es sich um die Geliebte des Schwerverbrechers Vul Kuolun, nämlich Nurara, handelte. Er hatte die Frau noch nie vorher zu Gesicht bekommen, umso erstaunter war er, dass sie eigentlich gar nicht so gefährlich wirkte, wie man sich erzählte. Nurara musterte Milner teilnahmslos und nickte ihm knapp zu, während Katherine ihn wissentlich breit anlächelte. Der Abend, den sie miteinander verbracht hatten, war nach seiner Meinung sehr gut gelaufen und Katherine schien diese Meinung zu teilen.
                          „Ohne Meldung, Corporal. Was gibt es so dringendes?“ Ezella Garnie schaute seinen Untergebenen argwöhnisch an. Eigentlich mochte er es nicht, wenn er bei Unterredungen gestört wurde.

                          Milner nahm Haltung an. „Sir, ich habe heute Morgen bei Routinekontrollen der Komm-Protokolle einige unübliche Abweichungen entdeckt.“ Er fingerte die Datenkarte aus der Brusttasche seines Uniformhemdes und hielt sie in die Höhe.

                          „Was für Abweichungen?“ Garnie beugte sich vor und faltete die Hände auf der Tischplatte. Die Ungeduld war ihm ins Gesicht geschrieben.

                          „Sir, das würde ich Ihnen gerne unter vier Augen sagen. Es betrifft die Sicherheit von internen Informationen.“ Milner hatte Schweißperlen auf der Stirn, er erwartete jeden Moment einen Ausbruch seines Chefs, der aber ausblieb, da Milner eine fast unsichtbare Augenbewegung in Richtung Nurara machte, die nur Garnie sehen konnte.

                          Sofort sprang Marshall Garnie von seinem Sessel auf und sagte: „Okay, kommen Sie mit nach draußen. Meine Damen, bitte entschuldigen Sie uns einen Moment.“

                          Auf der gegenüberliegenden Seite von Garnie’s Vorzimmer gab es noch einen kleinen Besprechungsraum mit Jalousien an den Fenstern. Garnie zog sie zu und schloss die Tür. „Also Corporal, was hat es mit dem Sicherheitsproblem auf sich? Was hat Nurara damit zu tun?“

                          Milner räusperte sich und kam gleich zur Sache. „Sir, es wurden verschlüsselte Dateien zum Fall Nurara kopiert und im Klartext beziehungsweise unverschlüsselt nach draußen versendet. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass die Daten geknackt wurden. Sie sind ordnungsgemäß decodiert worden.“

                          Garnie kratzte sich am Kinn. „Dateien welcher Art? Wer hat regulär Zugriff darauf?“

                          Milner zuckte mit den Schultern. „Kleine Videosequenzen von Überwachungskameras, Textdateien. Sehr kleine Datenmengen. Zugriff darauf haben nur Major Ballard … und Sie, Sir“

                          Garnie schlug mehrmals mit dem Hinterkopf gegen den Türrahmen. „Katherine ist zu einhundert Prozent integer. Und sie hat sicherlich keine Programmier- oder Hackerkenntnisse. Und ich schon mal gar nicht.“ Er grinste schief.
                          Milner schüttelte den Kopf. „Nein Sir, Sie beide kämen dafür auch nicht in Frage. Es muss jemand sein, der die Verschlüsselungsalgorithmen kennt, weil er sie selbst …“ Er schlug sich mit der flachen Hand gegen den Kopf und sah seinen Vorgesetzten erschrocken an. „Oh mein Gott! Sir, das glaube ich einfach nicht!“

                          Garnie kniff die Augen zusammen und blickte grimmig. „Was, Milner? Reden Sie schon“, brummte er. Garnie war sichtlich ungehalten.

                          „Sir, Captain Luther hat die Verschlüsselungsalgorithmen vor ein paar Jahren entwickelt und laufend optimiert. Für ihn wäre es ein Leichtes, sie auch wieder zu knacken und sämtliche Spuren zu verwischen.“ Milner senkte den Blick und schüttelte ungläubig den Kopf.

                          „Frank? Frank Luther? Junge, Sie stellen eine ungeheuerliche Behauptung auf, ist Ihnen das klar?“ Garnie packte den jungen Corporal an den Schultern und sah ihn eindringlich an. „Dieser Mann ist seit vierzig Jahren Polizist und geht im Frühjahr in den verdienten Ruhestand. Meinen Sie wirklich, er ist so dämlich und ruiniert mit so einer Aktion seine Karriere? Könnte ihm der Algorithmus gestohlen worden sein?“

                          Milner hielt Garnie’s Blick stand. Mit fester Stimme antwortete er: „Sir, Captain Luther hat nach eigenem Bekunden seine Arbeit eben wegen der Gefahr des Diebstahls nie dokumentiert, zumindest hat er das immer behauptet.“

                          Garnie seufzte. „Gut, dann werde ich eine Untersuchung einleiten müssen. Können Sie zurückverfolgen, von welchem Terminal die Daten verschickt wurden?“

                          Milner wog den Kopf hin und her. „Das sollte möglich sein. Dazu muss ich ein paar Routinen in der Überwachungssoftware umschreiben. Kann ein paar Stunden dauern.“

                          Garnie nickte. „Gut Junge, machen Sie das. Ich werde Luther befragen, wenn er hier ist. Sicherlich wird er leugnen, also schaffen Sie Beweise ran. Und ich warne Sie, Milner!“ Garnie hob drohend seinen Zeigefinger. „Sie bewegen sich auf verdammt dünnem Eis. Wenn Sie hier einen Skandal aufdecken, können Sie sich einer Beförderung zum Lieutenant sofort sicher sein.“ Garnie holte Luft, bevor er fortfuhr. „Wenn nicht, Milner, reiße ich Ihnen den Arsch auf und versetze Sie auf die Relaisstation auf Chiron!“

                          Milner straffte sich und salutierte. „Sir, ich mache mich sofort an die Arbeit.“

                          Garnie klopfte ihm anerkennend auf die Schulter. „Dann los, Junge. Hauen Sie ab.“ Milner setzte sich in Bewegung, aber Garnie hielt ihn noch einmal fest. „Ach, Corporal. Da wäre noch eines.“

                          Milner sah seinen Chef erwartungsvoll an. „Sir?“

                          „Wenn Sie jemand auf Major Ballard ansprechen sollte, machen Sie kein Geheimnis draus. Ich bin im Bilde.“ Garnie lächelte milde und väterlich. „Und wenn Ihnen wirklich etwas an dieser Frau liegt, enttäuschen Sie sie nicht.“

                          Milner lächelte knapp. „Jawohl Sir, ich gebe mein Bestes.“

                          Garnie klopfte Milner nochmals auf die Schulter. „Davon bin ich überzeugt“, sagte er und schenkte dem jungen Corporal ein aufmunterndes Lächeln.
                          Während Milner zurück in die Zentrale ging, starrte Garnie noch einen Moment mit leerem Blick vor sich hin. Tausend Gedanken schossen ihm durch den Kopf. Dann gab er sich einen kleinen Ruck und marschierte erhobenen Hauptes zurück in sein Büro, wo sich Nurara und Katherine unterhielten und im selben Moment das Gespräch einstellten. Katherine erkannte sofort, dass etwas nicht stimmte.

                          „Marshall Garnie? Was ist? Was hat John Ihnen berichtet?“ Katherine sah ihren Chef fragend und besorgt an.

                          Garnie atmete schnaufend aus, als er sich wieder in seinen Sessel setzte. Er sah Nurara und Katherine abwechselnd an, dann sagte er: „Es wurden in den letzten Tagen Daten gehackt und unautorisiert versendet. Um welche Daten es sich genau handelt, konnte Milner noch nicht genau sagen, er arbeitet jetzt daran, es heraus zu finden.“ Er blickte Nurara eindringlich an. „Diese Daten betreffen Sie, Nurara.“

                          Nurara erschrak sichtlich. „Was hat das zu bedeuten?“, fragte sie mit großen Augen. „Bin ich in Gefahr?“

                          Garnie kratzte sich am Hinterkopf. „Das weiß ich im Moment nicht, aber ich bezweifle das. Milner hat den Verdacht, dass die Daten von einem Maulwurf verschickt wurden. Ich vermute, dass jemand wissen will, wo Sie gerade sind und was mit Ihnen passiert. Haben Sie eine Idee, wer das sein könnte?“ Er lächelte sie unverbindlich an.

                          Nurara senkte den Blick und verzichtete auf eine Antwort, allen im Raum war klar, dass Kuolun dahinter steckte. Garnie stand auf, verschränkte die Hände hinter dem Rücken und begann in seinem Büro auf und ab zu gehen. „Kuolun befindet sich in Untersuchungshaft im Hochsicherheitsgefängnis auf Airam IV. Dort wird er auch vor Gericht gestellt. Die Sicherheitsvorkehrungen sind die schärfsten in der Föderation. Gefangene, auch wenn sie nur Untersuchungshäftlinge sind, haben so gut wie keinen Kontakt zur Außenwelt, mit Ausnahme …“ Garnie machte eine kleine Gedankenpause. „Mit Ausnahme ihrer Anwälte! Natürlich! Stella!!!“

                          Nur einen Sekundenbruchteil später stand die zierliche Unteroffizierin im Raum. „Ja, Sir?“

                          „Stella, finden Sie bitte heraus, wo sich zurzeit der Anwalt von Vul Kuolun aufhält, er heißt Zistavan Borksh. Er ist ein Pflichtverteidiger. Ich brauche diese Information schnellstens! Und rufen Sie Jonathan McCabe und Ed Fox an, sie sollen herkommen!“

                          Stella nickte. „Ja, Sir! Ich kümmere mich sofort darum.“, sagte sie und verschwand wieder.

                          Katherine nahm eine aufrechte Sitzposition ein, zuvor hatte sie sich mehr oder minder respektlos hingelümmelt. „Was haben Sie vor, wenn ich fragen darf?“, wollte sie von ihrem Chef wissen.

                          Ohne Katherine anzusehen gab Garnie ihr eine Antwort. „Richter Callahan hat eine Nachrichtensperre in Nuraras Fall verhängt. Alles, was an die Presse gehen soll, muss er absegnen. Wir können aber Nuraras Fall nicht länger geheim halten, daher sollten wir offensiv an die Öffentlichkeit gehen, indem wir eine Pressekonferenz abhalten. Der Schaden wäre größer, wenn ein Datenleck bekannt werden würde. Außerdem können wir den Verantwortlichen für den Datendiebstahl damit ein wenig in die Enge treiben.“

                          Energisch hob Nurara den Finger. „Äh, Marshall, was passiert denn dann mit mir?“

                          Garnie legte Nurara eine Hand auf die Schulter. „Erst einmal gar nichts, Nurara. Sie sind hier absolut sicher. Ich denke nicht, dass Richter Callahan Sie auf Grund der neuen Umstände in ein Staatsgefängnis verlegen lässt. Jetzt erst recht nicht, zumal morgen Ihr Prozess beginnt.“

                          Stella Winter erschien wieder im Büro. Garnie sah sie erwartungsvoll an. „Ja, Stella?“

                          Stella wedelte mit einem kleinen Ausdruck. „Sir, Zistavan Borksh ist vor fünf Tagen mit einem Raumfrachter auf dem Mars gelandet und mit einer Fähre nach New York gekommen. Ich habe die Informationen der Einwanderungsbehörden mit den Meldekarteien der Hotelbetriebe abgeglichen. Er ist in Queens im Liberty State abgestiegen.“

                          Garnie grinste breit. „Bingo, geben Sie das bitte an die Stadtpolizei weiter. Die sollen mal eine Streife hinschicken und Mister Borksh zu einem Plausch in mein Büro einladen.“

                          Stella hob eine Hand. „Sir, laut der Meldekartei hat Borksh heute Morgen gegen sieben Uhr ausgecheckt …“

                          Jetzt schlug Garnie so heftig mit der Faust auf seinen Schreibtisch, sodass das Bild seiner Familie umfiel. „Dann schreiben Sie den Kerl sofort zur Fahndung aus! Ich will ihn hier haben, koste es, was es wolle!“, grollte er. Er begann zu kombinieren: ein Datenklau; ein zwielichtiger Anwalt, der im Auftrag seines Mandanten für fünf Tage anreist und unvermittelt wieder verschwindet sowie ein abgebranntes Lagerhaus der Russenmafia mit drei Toten. Wie passte das zusammen? Passte das überhaupt zusammen? Garnie wandte sich an Katherine und fragte: „Major, haben Sie mit unserem charmanten Gast hier heute noch etwas vor?“

                          Katherine schüttelte den Kopf und wirbelte ihren schwarzen Pferdeschwanz hin und her. „Bis heute Abend nicht Sir, dann will ich mit Nurara den abschließenden Lügendetektortest durchführen. Nurara freut sich schon sehr darauf, nicht wahr, meine Liebe?“ Sie zwinkerte Nurara grinsend zu.

                          Nurara verzog das Gesicht zu einer gequälten Grimasse und brummte: „Ja, der letzte Seelenstriptease vor dem Weg zur Schlachtbank. Ich kann‘s kaum erwarten …“

                          Garnie sprach weiter. „Gut, dann möchte ich, dass Sie Nurara so gut wie möglich auf den morgigen Tag vorbereiten. Jonathan wird auf jeden Fall heute noch bei Ihnen reinschauen wollen, wenn ich mit ihm geredet habe. Jetzt will ich erst einmal sehen, was Corporal Milner rausfindet, danach nehme ich mir diesen Borksh vor. Das wäre erst einmal alles, Sie können dann gehen, meine Damen.“
                          Die beiden Frauen standen auf und verließen wortlos das Büro des Marshalls. Auch Garnie erhob sich und blickte aus dem Fenster. Der Regen der Nacht war einem klaren, sonnigen aber kühlen Morgen gewichen. Garnie schüttelte langsam den Kopf und flüsterte zu sich selbst: „Frank, Frank, Frank … wenn du da wirklich mit drin steckst, dann Gnade dir Gott …“
                          Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                          Mission accomplished.

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                            #43
                            Polizeipräsidium, Kommunikationszentrale, eine Stunde später

                            Mit schwitzenden Händen hämmerte Corporal Milner immer wieder Befehle und Codezeilen in die Tastatur. Leise fluchte er vor sich hin, da seine Programmänderungen nicht die gewünschten Ergebnisse erzielten. Immer wieder schaute er auf die große Uhr über dem Eingang. Er hatte noch etwas über eine Stunde Zeit, bis Captain Luther zum Dienst erscheinen würde. Es wurde langsam knapp für Milner. Doch plötzlich öffnete sich ein schematisierter Stadtplan von New York, auf dem sich ausgehend vom Standort des Polizeipräsidiums eine feine, rote Linie durch das Gewirr der Straßenzüge schlängelte und bei einer Adresse im Stadtteil Brooklyn endete. Milner gab einen gedämpften Siegesschrei von sich, er hatte einen Teil dieser komplizierten Aufgabe erfüllt. Er ließ die Adresse mit den Datenbanken der örtlichen Melderegister abgleichen und bekam prompt einen Namen, Geburtsdatum sowie ein Foto der Person, die unter der Adresse gemeldet war. Sofort speicherte er diese Informationen auf einen externen Datenträger. Jetzt galt es für ihn, die Spur nach innen zu verfolgen, was ungleich schwieriger wurde. Die internen Computersysteme waren gegen derartige Abfragen mehrfach abgesichert – dieser Umstand war der Arbeit Captain Luthers zu verdanken – und ließen Milners Zugriffe immer wieder mit Fehlermeldungen abbrechen. Wieder blickte der junge Corporal auf die Uhr – zehn Minuten vor Zwölf. Er beschloss, die Arbeit für den Moment abzubrechen und Marshall Garnie Bericht zu erstatten. Er tat dies keine Sekunde zu früh. Als er das letzte Programmfenster geschlossen hatte, senkte sich eine Whiskeyflasche in sein Blickfeld. Milner blieb das Herz fast stehen.

                            „Gratuliere, mein Junge! Ich hätte nicht gedacht, dass du die Ballard tatsächlich rumkriegst!“ Milner drehte sich langsam um und blickte erschrocken in das breit grinsende Gesicht seines Captains. „Was ist los, John? Du schaust mich an, als wäre ich ein Geist.“

                            Milner war bemüht, nicht ertappt zu wirken. „Du hast mich ziemlich erschreckt. Musst du dich immer so anschleichen?“, fragte er gereizt.

                            Luther lachte auf. „Dienstaufsicht, mein Sohn, nur so kann ich sehen, ob ihr Lümmel auch gescheit arbeitet! Und wieso hast du dein Terminal runtergefahren?“

                            Milner stand auf und wies grinsend mit dem Daumen hinter sich auf die Uhr an der Wand. „Mittagszeit! Ich gehe jetzt mit Kat essen!“ Dann nahm er seinem Vorgesetzten die Flasche aus der Hand und ging hinaus. Draußen vor der großen Tür, die sich zischend hinter ihm schloss, lehnte er sich gegen die Wand und atmete tief durch. Hatte Frank etwas bemerkt? Milner hatte keine Ahnung, wie lange Captain Luther bereits hinter ihm gestanden haben mochte. Weitere Ermittlungen an seinem Arbeitsplatz erschienen Milner nun viel zu gefährlich. Er musste Marshall Garnie um eine Alternative bitten. Bedächtig betrachtete er die Whiskeyflasche in seiner Hand, Frank hatte nicht zu viel versprochen, es war ein vierzigjähriger Straight Bourbon edelster Herstellung. Diese Flasche musste ein paar hundert Dollar gekostet haben. Am liebsten hätte Milner die Flasche an Ort und Stelle geöffnet und einen großen Schluck davon genommen, aber da er noch bis sechzehn Uhr Dienst hatte, verbot sich das natürlich von selbst. Er beschloss, auf dem Weg zu Marshall Garnie kurz bei Katherine vorbei zu schauen, um sie zu fragen, ob sie am heutigen Abend etwas vorhätte. Die Gelegenheit, mit ihr das feine Gebräu zu genießen, bot sich an, da Milner den Whiskey schließlich ihr zu verdanken hatte.
                            Vor Katherines Büro standen zwei von Milners Kollegen Wache. „Hey, Jungs“, begrüßte er sie, „was steht ihr denn hier rum?“

                            „Nurara ist bei Major Ballard“, brummte Andrews, der größere der beiden Beamten. „Und was willst du hier mit der Schnapsflasche?“

                            „Statt Blumen, Kumpel!“, antwortete Milner breit grinsend. „Meint ihr, ich kann rein?“

                            „Nein, Major Ballard will nicht gestört werden“, gab Steward, der andere, zurück.

                            Resigniert zuckte Milner mit den Schultern. „Dann halt nicht.“ Er warf noch einen sehnsüchtigen Blick auf Katherines verschlossene Bürotür und ging weiter. Marshall Garnie’s Büro lag auf derselben Etage, jedoch musste Milner einmal den kompletten Gang hinunter gehen und um eine Ecke biegen. Auf diesem Weg kamen ihm eine ganze Reihe Beamte höherer Dienstgrade entgegen, die ihn mit dem Alkohol in der Hand argwöhnisch anschauten. Milner ließ sich nicht anmerken, dass ihm der Anblick selbst etwas peinlich war, daher grüßte er pflichtbewusst und beeilte sich, zu Garnie‘s Büro zu kommen.
                            Das Vorzimmer war leer, anscheinend war Stella zu Tisch gegangen. So klopfte er an die angelehnte, schwere gepolsterte Holztür. „Ja?“, hörte er die tiefe Stimme des Polizeichefs rufen und Milner trat ein.
                            „Sir, ich habe etwas heraus gefunden. Wir wissen, wo die gestohlenen Dateien hingeschickt wurden.“

                            Garnie blickte von seinen Unterlagen auf und betrachtete skeptisch die Whiskeyflasche in Corporal Milner’s Hand. „So? Und wohin? In einen Schnapsladen?“ Die Stimme des Marshalls klang nicht besonders amüsiert.

                            „Oh, Entschuldigung, Sir. Die Flasche stammt aus einer gewonnenen Wette. Ich schaffe sie gleich weg“, antwortete Milner und bemühte sich um ein entschuldigendes Lächeln.

                            Garnie’s Miene entspannte sich etwas. „Was haben Sie, Corporal?“ Er deutete Milner an, sich zu setzen. Milner kam der Aufforderung nach und stellte die Flasche neben sich auf den Boden. Dann griff er in seine Hemdtasche und zog zwei Datenkarten heraus, die er Garnie hinhielt.

                            „Sir, auf der einen Karte sind alle Dateien gespeichert, die geknackt und kopiert wurden, auf der anderen Karte sind Informationen zum Standort des Empfängers.“

                            Der Marshall nahm die Karten entgegen und sagte: „Spannen Sie mich nicht auf die Folter, Milner, wohin sind die Daten gegangen?“

                            „2984, Bedford Avenue, ein kleines Einfamilienhaus in Brooklyn“, antwortete Milner wie aus der Pistole geschossen.

                            Garnie lehnte sich zurück und rieb sich mit Daumen und Zeigefinger die Nasenwurzel. Etwas genervt bohrte er weiter: „Und wer ist dort gemeldet? Machen Sie es nicht so spannend, Mann!“

                            Milner beeilte sich, die Antwort zu geben um seinen Chef nicht noch weiter auf die Folter zu spannen. „Sir, die dort registrierte Person heißt Oksana Rulwakowa.“

                            Garnie klappte der Unterkiefer herunter. Sekundenlang herrschte Stille im Raum. „Sagen Sie das nochmal, Corporal!“

                            „Oksana Rulwakowa, geboren am 16. Juni 2176 in Moskau. Eingewandert am 19. August 2190, seitdem wohnhaft in New York, hier zur Schule gegangen, mehrere Jugendstrafen wegen Körperverletzung, Diebstahl und Betrug. Als Erwachsene nicht vorbestraft. Nicht verheiratet, keine Kinder. Steht alles in den Informationen auf der zweiten Karte, Sir.“ Über Milner’s Gesicht huschte ein triumphierendes Grinsen.

                            Garnie erhob sich aus seinem Sessel und schaute durch das Fenster. „Gute Arbeit, Corporal. Ich denke, Sie haben heute Morgen die Nachrichten gehört und wissen, wer Oksana Rulwakowa ist?“

                            „Ja, Sir, die Tochter von Natascha Rulwakowa. Beide sind vermutlich bei der Explosion des Lagerhauses in Queens gestern Abend ums Leben gekommen.“

                            „Genau die, Corporal. Und weil Rulwakowa anscheinend mit diesem Fall in Verbindung steht, gehören die Ermittlungen zu den Todesfällen jetzt uns. Haben Sie schon einmal an einem Tatort ermittelt?“

                            Milner schüttelte den Kopf. „Nicht wirklich, Sir. Ich habe nur meine IT-Spezialausbildung.“

                            Garnie grinste. „Das wird reichen, für alles Weitere stelle ich Ihnen eine erfahrene Kollegin zu Seite. Stella!“

                            Stella war anscheinend schon von ihrem Mittagessen zurück und steckte den Kopf die Tür. „Ja, Sir?“

                            „Holen Sie Lieutenant Landor her und verbinden Sie mich mit Commander Beckett von der Stadtpolizei!“

                            Stella verschwand. Nur eine Minute später piepte Garnie’s Computerterminal. Er nahm das Gespräch direkt an. „Andrea! Schön, Sie mal wieder zu sehen.“ Er drehte den Bildschirm so, dass Milner das Gespräch mitverfolgen konnte.
                            Andrea Beckett war eine höchst attraktive Frau von Anfang Vierzig mit langen dunkelbraunen Haaren und humorvollen braunen Augen. Sie hatte einen scharfen Verstand und gehörte zu den besten Ermittlern in der Geschichte des New Yorker Police Departments. Sie entstammte aus einer langen Dynastie von New Yorker Polizeibeamten und hatte früh Karriere gemacht, bereits mit fünfunddreißig Jahren hatte man ihr die Leitung des gesamten Departments übertragen. „Ezella, wenn Sie anrufen, dann ist irgendetwas im Busch. Sie rufen mich so selten an, also wo müssen wir wieder die Kartoffeln aus dem Feuer holen?“ Sie grinste sardonisch.

                            Garnie winkte ab. „Andrea, diesmal können wir etwas für Sie tun. Es geht um die Explosion in Queens gestern Abend. Sind die Leichen schon identifiziert?“

                            Beckett zog skeptisch eine Augenbraue nach oben. „Ja, sind sie. Und?“

                            Der Marshall faltete die Hände und stützte sein Kinn darauf. „Handelt es sich um die Rulwakowa-Frauen?“

                            Leicht genervt atmete Beckett hörbar aus. „Ja, Ezella, es sind die Rulwakowas. Kommen Sie zur Sache, was wollen Sie von mir?“

                            „Andrea, es tut mir leid, es Ihnen sagen zu müssen, aber der Fall gehört ab sofort uns. Oksana Rulwakowa steht im Verdacht, Daten aus unserem Netzwerk entwendet, beziehungsweise erhalten zu haben. Ich entsende gleich meinen Softwarespezialisten hier, Corporal John Milner und Lieutenant Landor zur Wohnung von Oksana Rulwakowa. Haben Sie die Wohnung schon durchsucht?“

                            Andrea Beckett lehnte sich zurück und verschränkte sichtbar die Arme vor der Brust. Ihre Miene war todernst. „Ja, das haben wir. Dort war nichts Verdächtiges zu finden. Auch nicht auf ihrem Computer.“

                            „Weil Ihre Leute nicht wissen konnten, was und wo sie suchen sollten, Ma’am“, mischte sich Milner ein.

                            Beckett wechselte den Blick zu Milner, den sie argwöhnisch anstarrte. „Und Sie Jungspund glauben, es zu wissen?“

                            Milner grinste. „Ja, Ma’am, die Daten waren ursprünglich mit einem modifizierten Harlan16-Algorithmus verschlüsselt. Der hinterlässt Spuren in der Dateistruktur, die ein Laie offensichtlich nicht erkennen kann.“

                            Beckett sah wieder zum Marshall hinüber und setzte ein hämisches Grinsen auf. „Ist der Knabe ein kleiner Klugscheißer oder kann der wirklich was?“

                            Garnie grinste ebenso hämisch zurück. „Er ist mein bester Mann und könnte Ihren Leuten gerne mal etwas Nachhilfe geben. Also, Andrea, wir übernehmen den Fall. Sie können an der Brandursache gerne weiterermitteln. Und seien Sie bitte so freundlich und halten uns auf dem Laufenden. Ach ja, die Obduktionsergebnisse hätte ich auch gerne.“

                            Andrea Beckett seufzte. „Also gut, Sie sind die vorgesetzte Dienststelle und ich füge mich.“ Sie drückte ein paar Tasten. „Die Befunde kommen in diesem Moment zu Ihnen rüber. Ich weiß nicht, warum ich Sie eigentlich mag, Ezella.“
                            Beckett setzte ein ehrliches und freundliches Lächeln auf, das ihre herben Gesichtszüge etwas sanfter erscheinen ließ.

                            Garnie lächelte jetzt ebenfalls. „Andrea, glauben Sie mir, ich mag Sie auf jeden Fall. Und heute sogar noch ein bisschen mehr. Wenn wir etwas herausfinden, das Ihren Ermittlungen dienlich sein könnte, lassen wir es Sie wissen, versprochen. Einen schönen Tag, meine Liebe!“ Er zwinkerte ihr noch einmal zu, dann unterbrach er die Verbindung.

                            In diesem Moment erschien Joan Landor im Büro des Marshalls. „Ich melde mich wie befohlen, Sir“, sagte sie dienstbeflissen und salutierte vor dem Marshall.

                            Garnie erhob sich, Milner ebenfalls. „Joan, das ging schnell. Kennen Sie Corporal Milner?“

                            Joan nickte. „Ja, flüchtig. Kommunikationszentrale, richtig?“

                            Milner reichte ihr die Hand zur Begrüßung: „Ja, Ma’am, korrekt.“

                            Joan hob verneinend den Zeigefinger. „Corporal, unterlassen Sie es bitte, mich Ma’am zu nennen. Dann fühle ich mich zwanzig Jahre älter. Joan reicht völlig.“ An Garnie gewandt fragte sie: „Was gibt es zu tun, Sir?“
                            Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                            Mission accomplished.

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                              #44
                              "Cowboy Milner" - ach ja... ist eine der besten männlichen Figuren (von der bekannten Future-Crew mal abgsehen)
                              Unendliche Mannigfaltigkeit in unendlicher Kombination
                              Ein Holodeck ist klasse! Man kann überall hin, obwohl man gar nicht weg muss :)
                              Außerirdische Technologie + menschliche Dummheit = unschlagbare Ergebnisse :)

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                                #45
                                Vor allem, weil John eine wahnsinnig positive Entwicklung durchmacht, wie wir in der Folgegeschichte noch erfahren werden.
                                Hier kommt erst mal ein sehr schönes Gespräch zwischen Joan und John und das Ende von Kapitel 5.

                                Viel Spaß!

                                Zehn Minuten später waren John Milner und Joan Landor auf dem Weg nach Brooklyn. Souverän steuerte John die schwere Gleiterlimousine durch den für Manhattan typischen, dichten Verkehr. Minutenlang herrschte zwischen den beiden ein verhaltenes Schweigen. Joan fläzte sich komfortabel auf dem opulenten Beifahrersitz und beobachtete John ausgiebig von der Seite.
                                „Kat mag Sie, John“, begann sie. „Sie hält große Stücke auf Sie.“

                                John warf ihr einen kurzen Seitenblick zu. „Hat es sich also schon im ganzen Präsidium rumgesprochen? Den Eindruck habe ich zumindest.“

                                Joan schüttelte ihre blonde Mähne. „Nein, Kat hat es mir gestern Abend erzählt.“ Sie konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen. „Was halten Sie von ihr?“

                                „Ich finde sie großartig. Sie ist wunderschön, hochintelligent und warmherzig.“ John wandte seinen Blick nicht vom Straßenverkehr ab.

                                „Stört es Sie denn nicht, dass Kat fast zehn Jahre älter ist als Sie und dann auch noch im Dienstgrad deutlich über Ihnen steht?“

                                John lachte kurz. „Warum sollte mich das stören? Ich glaube, es stört mehr diejenigen, die danach fragen, habe ich Recht? Kat scheint daran auch keinen Anstoß zu nehmen. Würde ich woanders arbeiten und Kat einfach so auf der Straße treffen, hätte ich wahrscheinlich auch nicht anders gehandelt.“

                                „Sie scheinen ein äußerst aufrichtiger Mann zu sein, John. Kat hat in den letzten Jahren nicht sonderlich viel Glück mit Männern gehabt. Die meisten sind aus Angst vor ihrem Intellekt und vor allem vor ihrem Beruf als Psychologin davon gelaufen. Sie verdient einen ehrlichen Mann.“

                                John musste verkehrsbedingt anhalten. Er nutzte die Gelegenheit, um Joan fest in die Augen zu sehen. „Glauben Sie mir, Joan, meine Absichten sind zutiefst ehrlich. Ich interessiere mich ernsthaft für Kat und ich würde ihr niemals wehtun wollen. Und Angst habe ich weder vor Kat‘s Intellekt noch vor ihrem Beruf. Ich wünsche mir eine Frau, die mir geistig ebenbürtig ist. Dumme Bauerntrampel gibt es dort, wo ich herkomme, genug.“

                                „Woher stammen Sie denn, John?“, fragte Joan mit aufrichtigem Interesse.

                                John senkte den Blick, als wäre ihm diese Frage peinlich. Mit gespieltem Jammern antwortete er: „Oklahoma.“ Beide sahen sich einen kurzen Moment schweigend an, dann begannen sie laut zu lachen.
                                Den Rest der Fahrt nutzte John aus, um Joan nach Katherines Vorlieben, Abneigungen und Eigenheiten auszufragen, worauf Joan bereitwillig Auskunft gab. Das Frage- und Antwortspielchen, bei dem Joan oft mit „Finden Sie es selbst raus“ antwortete, dauerte etwa zwanzig Minuten. Solange brauchten die beiden noch, bis John letztendlich von der Campus Road nach rechts in die Bedford Avenue einbog.
                                „Da sind wir!“, sagte John und parkte die Limousine am Straßenrand. Dieser Teil Brooklyns hatte sich seit dem 19. Jahrhundert kaum verändert. Die Straßenzüge waren immer noch reich an den typischen roten Backsteinhäusern der Gründerzeit. Auch Oksana Rulwakowas Haus bestand aus rotem Klinker, jedoch hatte man das übliche spitze Giebeldach gegen ein Flachdach ersetzt.
                                Die Haustüre war mit einem Polizeisiegel versehen. Joan riss es ab und warf es achtlos auf den Boden. John öffnete die Umhängetasche, die er mitgebracht hatte und kramte einen elektronischen Dietrich heraus und klemmte ihn auf das Tastaturfeld des Schlosses. Das Gerät begann mit seiner Arbeit und zeigte nach drei Sekunden den achtstelligen Schließcode auf dem kleinen Display an. Joan gab ihn ein und die Türe öffnete sich.
                                Sie traten in das Halbdunkel der Diele, die alten Holzbohlen unter ihren Füßen knarrten leise. Es roch leicht nach Parfüm, als hätte Oksana ihr Heim gerade erst verlassen. Zu ihrer Linken lag die Küche. Auf der Spüle stand noch das Geschirr von Oksanas letztem Frühstück. Geradeaus ging es ins Wohnzimmer. Es war hell und freundlich aber recht spartanisch eingerichtet. Außer einem weiß lackierten Sofa aus Korbgeflecht und einem niedrigen Regal, das mit allerlei Nippes gefüllt war, stand im Wohnzimmer nicht allzu viel. Auf dem Regal hatte Oksana eine Sammlung von Fotos arrangiert, die sie mal als Kind, als Teenager, aber auch als erwachsene junge Frau zeigten. Auf einigen Bildern war sie mit unbekannten Personen zu sehen, auf anderen mit einer älteren Frau, die ihre Mutter zu sein schien.
                                John nahm ein aktuelleres Portraitfoto von Oksana in die Hand und betrachtete es genau. „Sie war eine verdammt hübsche Frau“, brummte er verhalten.

                                Vorsichtig nahm Joan ihm das Bild aus der Hand und sah es sich an. „Ja, wirklich. Warum sie auch immer sterben musste, ihr Tod war sinnlos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie irgendetwas getan hat, womit sie den Tod verdiente. Daten aus unserem Netzwerk zu stehlen hätte ihr vielleicht zwei bis drei Jahre eingebracht, bei guter Führung sogar noch die Hälfte auf Bewährung.“ Sie gab John das Bild zurück. Er sah es sich nochmals intensiv an.

                                „Sie war in unserem Alter … Oksana, wir finden raus, warum du sterben musstest“, flüsterte er, dann stellte er das Bild respektvoll wieder an seinem Platz ab. Er atmete einmal tief durch und fragte Joan: „Okay, wo fangen wir an? Oben? Ich tippe mal, dort steht auch ein Computer.“

                                Gemeinsam gingen die beiden Polizisten die steile Treppe ins Obergeschoss. Hier gab es ein kleines Bad und drei Räume, von denen zwei leer standen. Der dritte Raum war Oksanas Schlafzimmer. Auch dieser Raum war einfach eingerichtet und penibel sauber. Lediglich ein paar Kleidungsstücke lagen auf dem gemachten Bett. In einer Ecke direkt am Fenster stand ein Computer, den John gleich einschaltete. Joan betrachtete die Kleider, die auf dem Bett lagen und nahm ein Stück in die Hand.
                                John schaute sie mit Verwunderung an. „Ich dachte, Oksana hatte keine Kinder? Das sieht aus, als gehörte das Ding einer sechsjährigen!“

                                Joan kicherte amüsiert. „John, schauen Sie mal!“ Sie zog das Kleidungsstück in die Länge. „Hoch dehnbar und bleibt dennoch undurchsichtig. Ist der neueste Schrei. Ich würde so etwas nicht anziehen …“ John kratzte sich am Kinn und dachte nach. Er öffnete den Mund und wollte etwas sagen, aber Joan kam ihm zuvor. „Denken Sie nicht einmal dran. Kat würde Ihnen das Teil um die Ohren hauen. Und jetzt an die Arbeit!“

                                John brauchte nur ein paar Minuten, um sich Zugang zu Oksanas Computer zu verschaffen, dann schob er eine Kopie der Datenkarte, die die gestohlenen Daten enthielt, in das Lesegerät und ließ ein Programm laufen, dass die Dateiheader der Kartendaten mit denen auf dem Computer gespeicherten abglich. Das Programm durchsuchte auch versteckte Bereiche und gelöschte Dateien. Nach wenigen Minuten wurde das Programm fündig und meldete hundertprozentige Übereinstimmung.
                                „Und was beweist das jetzt?“, fragte Joan, die hinter dem Corporal auf dem Bett Platz genommen hatte.

                                John drehte sich zu ihr um. „Eigentlich nur, dass meine Rückverfolgung den richtigen Standort gefunden hat. Viel interessanter ist nun die Frage: was wollte Oksana mit den Daten? In welcher Beziehung stand sie zu Nurara? Oder hat sie die Daten für einen Dritten beschaffen müssen? Ist sie dafür gestorben? Noch wichtiger ist zu wissen, wer ihr diese Daten überhaupt zur Verfügung gestellt hat. Es muss jemand aus dem Präsidium gewesen sein. Die Sache stinkt mittlerweile zum Himmel, Joan.“

                                „Haben Sie einen Verdacht?“

                                „Ja, aber Marshall Garnie hat mich zum Schweigen verdonnert. Fragen Sie ihn selbst, Sie sind die Ermittlerin. Ich bin nur der Hacker …“ Er zwinkerte ihr wissentlich zu.

                                Joans Gesicht wurde ernst. „Und damit gehören auch Sie zum Kreise der Verdächtigen, John, ist Ihnen das klar?“

                                John machte eine verneinende Handbewegung. „Aber ich habe für die Zeiträume, in denen die Daten versendet wurden, Alibis. Mein letztes Alibi ist Kat.“

                                Joans Züge entspannten sich wieder. „Ich wollte Sie ein wenig ärgern, John. Ganz ehrlich traue ich Ihnen so etwas nicht zu. Was machen wir jetzt?“

                                John erhob sich und machte sich daran, den Computer von seinen Anschlüssen zu trennen. Es war ein handliches Gerät in der Größe einer kleinen Küchenmaschine und passte bequem in die mitgebrachte Umhängetasche. „Ich beschlagnahme hiermit diesen Computer und nehme ihn zwecks weiterer Auswertungen mit ins Präsidium.“

                                Joan grinste. „Sehr gut, Corporal, Ihre erste Amtshandlung als ermittelnder Beamter! Machen Sie weiter so und Sie sitzen bald auf Marshall Garnie’s Stuhl.“

                                John verzog das Gesicht. „Lieutenant Landor?“, fragte er brummig.

                                „Ja, Corporal?“, gab Joan mit einem unschuldigen Augenklimpern zurück.

                                „Hören Sie auf, mich zu veräppeln, sonst sperre ich Ihren Zugang zum Worldnet im Präsidium.“ Er setzte ein bösartiges Grinsen auf.

                                Joan lachte und hob abwehrend die Hände. „Schon gut, schon gut. Ich halte mich ja schon zurück!“
                                Für mich ist Gleichberechtigung dann erreicht, wenn es genauso viele weibliche wie männliche Idioten gibt.

                                Mission accomplished.

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