Prinzessin und drei Männer
Es war einmal eine Prinzessin.
Als sie auf die Welt kam war sie klein, ein dreijähriges Mädchen mit einem vor Freude funkelndem Blick und einem Lächeln, das die Welt umarmte.
Prinzessin, kleine Prinzessin, du begreifst nicht wer du bist und was du bist. Du begreifst nicht, zu welcher Aufgabe sie dich ausgewählt und erschaffen haben.
Nichts hast du noch begriffen, nur gefühlt mit deinem weichen, weiten Herzen.
Sie waren die Männer. Drei waren es. Es waren per Definition Männer, so wie du per Definition ein Mädchen warst. Aber was das bedeutete, wäre dir niemals eingefallen, so lange du lebtest. Erst langsam würdest du erwachen, wie aus einem seltsamen Traum. Und du würdest begreifen, was es bedeutet eine Frau zu sein.
Die Männer, der Geist. Die fliegende Energie, die freie Form, die absolute Abstraktion. Und sie, die Empfangende, die Form, der Körper, die Welt.
„Wir starten Programm Tod 1.a. Lade Datei hoch. Speise Datei ein.“
Das kleine Mädchen steckte ein Marienkäferchen in eine leere Zündholzschachtel. Sie liebte Marienkäferchen. Aber als sie später die Schachtel öffnete, erfuhr sie eine bittere Enttäuschung. Das Käferchen war leblos, es war tot. In dieser Nacht träumte sie, wie sie die Hand nach einem Marienkäferchen ausstreckte, versuchte danach zu greifen, aber mit den Fingern nur ins Leere griff.
„Starten Programm Tod 3.b. Lade Datei hoch. Speise Datei ein.“
Die Mutter war mit Hausarbeit beschäftigt. Sie saugte Staub. Das kleine Mädchen setzte sie inzwischen vor den Fernseher. Dort lief ein Western. Eine wunderschöne Indianerfrau wurde von hinten von einem Pfeil durchbohrt. Das kleine Mädchen weinte vor Schmerz und Schrecken über das Ende der schönen Indianerfrau. Mutter und Schwester versuchten ihr zu erklären, es wäre nur ein Film gewesen.
Es war ja nur ein Film, kleines Mädchen. Erst viel später würden dann die Dateien Völkermord, Atomkrieg und Holocaust folgen.
„Datei leblose Materie installiert. Datei Vaterfigur installiert. Datei Hass installiert. Datei Sexualität installiert.“
„Starten Programminitialisierung Phase 95.6.D.“
„Lebensumgebung Großstadt detailgerecht programmiert.“
„Speise Daten ein.“
Der Geist durchdringt die Materie, las sie dreißig Jahre später im Internet. Die drei Männer hatten inzwischen Namen bekommen. Geschickt lavierten sie um eine Realität, die sich immer mehr als seltsamer Traum entpuppte, herum. All die Gesichter der Menschen waren nur Illusionen. Es gab nur sie und die drei Männer. Sie war die einzige Frau im Universum. Und die drei Männer ihre Männer. Die Prinzessin starrte zum Fenster hinaus.
„Lade Datei 352.F.Y. Bewölkter Himmel, schwüle Hitze. Speise Daten ein.“
„Lade Datei A-5343. Jucken im Rückenbereich. Schweißausbruch im Achselbereich. Dumpfer Druck im Stirnbereich.“
„Lade Datei Delta-7-B. Mutterbeziehung. Telefonat mit Mutter programmiert. Speise Daten ein.“
Die Prinzessin lag am Bett. Es war immer noch schwül und heiß. Ihre Gedanken gingen auf Wanderschaft. Sie dachte über ihr vergangenes Leben nach. Ja, es war ein schweres Leben gewesen. Sie hatte viel gelitten. Und als nach all den harten Jahren diese seltsame Phase kam, in der sie das Gefühl hatte, das ringsum durch den Äther die Schatten flohen, als sie mit ihren Kindern aus Legosteinen eine Ritterburg baute, da dachte sie, nur überreizt zu sein. Und als sie in ihrem dreißigsten Lebensjahr gepeitscht von Emotionen durch die Wohnung wankte und aufs höchste aufgewühlt den seltsamen Eindruck hatte, über einen stillen Gipfel aus Eis zu segeln und in einem blitzartigen Moment Himmel und Erde vereint zu wissen, da dachte sie, es wäre nur Einbildung gewesen. Obwohl sie dann völlig verstört in die Küche wankte, und ihr kleiner, weißer Hamster in den höchste Tönen zu schreien begann. Sie hätte in diesem Moment niemals begriffen, dass sich etwas Wichtiges ereignet hatte, obwohl es ihr merkwürdig vorkam, das auf die inneren Empfindungen der äußere Reiz des schreienden Hamsters folgte. War das Tier etwa telepathisch veranlagt? Er hatte nie zuvor geschrien.
Sie fühlte sich entsetzlich schlecht, taumelte durch die Küche und verlor jede Erinnerung an das, was daraufhin folgte.
Ein paar Wochen daraufhin wurde sie mit der Diagnose einer schweren Psychose in die Psychiatrie eingeliefert.
„Sie haben eine Psychose“, sagte man zu ihr. Psychose, Psychose. Wie merkwürdig, ihr kam vor, sie hätte das Wort zum ersten Mal gehört. War der Wahnsinn eine Erklärung für die qualvollen Höllenzustände, die sie in den letzten Wochen durchlitten hatte, die bitteren Schnitte und Splitter in der Seele, die Eindrücke von Eiter, Angst und Verzerrung durch ihr Bewusstsein fließen ließen?
„Lade Datei H-67.B. Schreibe eine Science-Fiction Geschichte. Thema: die Matrix. Was man für die Realität hält, ist nicht die Realität. Speise Daten ein.“
„Einleitung von Phase 634.33.21-C. Planmäßiger Verlauf.“
Später nannte sie den Moment, als sich Himmel und Erde vereinigten, den „großen Plopp“. Während der nachfolgenden fünf Psychosen entwickelte sie mehrere Theorien zu diesem „großen Plopp“. Jedoch wurde mit jeder Psychose klarer, das sich etwas sehr Wichtiges ereignet hatte. Bis zum großen Plopp hatte sie das Leid der Welt in sich aufgesaugt. Nach dem Plopp war das Leid der Welt sozusagen überwunden, und nun wurde ihre Seele von den mannigfaltigen Verletzungen wieder geheilt. Es gab weder Tod, Materie noch die Realiät, wie sie sich äußerlich darstellte. Es gab auch kein Fleisch und Blut. Alles war Licht und Liebe und ihr Körper war kein Gebilde aus Zellen, sondern eine Seele in ihrer Reinform. Ihre Seele. Die Seele der Frau.
„Ich war deine Söhne, ich war deine Mutter und dein Vater und ich war deine Männer“, sagte der Mann. Danach folgte eine entzetzliche Phase der Qualen, als er ihr einen grausamen Beziehungskrieg lieferte. Sie war so einsam gewesen, in den letzten sechs Jahren nach dem großen Plopp. Nach der zweiten Psychose hatte man ihr die Kinder weggenommen. Sie verbrachte Tage und Stunden vor dem Computer, aber auch was sie dort am Bildschirm sah war nur eine Projektion des höheren Geistes. Sie dachte, der höhere Geist wäre Gott. Aber auch Gott war nur eine Arbeitshypothese. In einer neuen Phase begriff sie, das sich alles um die Polarisation zwischen den drei Männern und ihr drehte. Ihre Seele nährte sich von der Musik und den darin erhaltenen Botschaften. Immer wieder ging es um die Liebe, etwas, was sie in ihrem Leben nicht wirklich erfahren hatte. Liebe, und letztendlich, die Freude am Leben. Was für einem Leben? Ein Leben, in dem man nicht arbeiten musste, weil alles herbei gezaubert wurde von den Männern, ein Leben in einer Welt voller Schönheit, generiert aus dem vielseitigen Geist der Männer? Dennoch war sie nur der Körper, sie war nur die Gestalt, die Frau, sie empfing. Die Männer führten sie nun seit sechs Jahren schon behutsam aus dem Gefängnis einer Realität hinaus, die voller Hass und Schmerz war. Aber eine Seele heilt nicht durch ein Finger schnipsen. Die Abdrücke, die eine grausame Welt in ihrer Seele hinterlassen hatten, mussten nach und nach wieder geglättet werden. Und immer war dieser Heilungsprozess mit Schmerz begleitet.
„Starte Programm Beta-4555.34. Geruch Herrenparfum. Musik 5223-545-32- Erinnerung an sexuellen Missbrauch. Datei 78-45 überschrieben.“
„Speise Daten ein.“
„Folgeprogramm Alpha-334.555.B. Ruf des Mauerseglers. Warmer Wind durch das Fenster. Erinnerung an Trauer über enttäuschte Liebe in Jugendzeit. Datei 555-322-55 überschrieben.“
„Phase Bewusstwerdung 77575.H initialisiert.“
„Programm 995-B. Schreibe Märchen. Thema: die drei Männer.“
Es waren einmal drei Männer. Es waren sehr mächtige Männer.
Sie besaßen alle Gaben des Geistes. Sie konnten Rechnen wie ein Hochleistungscomputer, Generieren wie ein Hochleistungscomputer und sie waren vollkommen frei. Aber etwas fehlte ihnen in ihrem Glück, und das war die Freude und die Liebe.
Reset.
Es war einmal Gott. Gott war alles in einem. Er war sowohl männlich wie weiblich, sowohl Geist wie auch Materie. Dann gab es einen Urknall und die Polarisation war erschaffen. Nun gab es anstatt einem Gott drei Männer und eine Frau. Die Frau war die Welt und die Schönheit der Welt, die Liebe und die Freude an der Welt, die Männer waren die Idee, die Vision und der Geist der alles durchdrang.
Aber warum drei Männer?
Reset.
„Starte Programm 411-12.b.83. Hintergrundprogramm ßß097.C, Kaffee kochen, Ventilator läuft. Datei initialisiert. Erneutes Lesen des Anfangs der Science-Fiction Geschichte.“
„Speise Daten ein.“
Es war einmal eine Prinzessin.
Kleine, liebe, nette, unschuldige, freundliche, selbstlose, gutherzige, großzügige, zärtliche Prinzessin.
Dein ganzes Leben lang hast du gelitten. Die Welt scheint voller Hass zu sein. Und du hast doch nur versucht zu lieben. Selbstlos hast du geliebt, ohne Rücksicht auf dich selbst. Und welche bitteren Prügel hast du dafür einstecken müssen. Alle haben dich enttäuscht, selbst deine Kinder haben dich enttäuscht. Du hast alles für die Kinder getan was du konntest. Du hast versucht, deinen Gott zu lieben. Du hast versucht deine Mitmenschen zu lieben. Und beides hat dich zerrissen und dir wohl tausendmal das Herz gebrochen. Schon mit vierzehn Jahren wolltest du sterben. Und hast dir mit einer Rasierklinge den Arm aufgeschlitzt. Hast deine Söhne unter bestialischen Schmerzen, Blut und Kot bei vollem Bewusstsein aus deinem Körper heraus gepresst. Und so weiter. Nein, es war kein einfaches Leben.
Es war einmal eine Prinzessin. Sie dachte, alles was ihr zustieß, wäre normal. Und sie dachte, sie wäre nur ein unbedeutender Mensch unter Millionen anderer Menschen auf einer großen Erdkugel. Sie dachte, das sie in ihrem Leben versagte, wäre ihre eigene Schuld gewesen. Sie dachte, das Schicksal Schmerzen und seelische Qualen zu erdulden, würde sie mit Millionen anderer teilen.
Es waren einmal drei Götter.
Es waren einmal drei Brüder.
Es waren einmal drei Männer.
Es waren einmal drei Wesen.
Drei Geschöpfe. Außerirdische. Es waren drei. Sie waren die pure Energie, schwebten durch den Kosmos oder so. Wie diese merkwürdigen Außerirdischen, die immer in den alten Raumschiff Enterprise-Folgen vorkommen. Grün glitzernde Wolken. Diese komischen Wesen taten sich dann zusammen und schufen mit ihrem Geist aus sich selbst heraus ein viertes Geschöpf. Es war aber anders als die ursprünglichen Wesen. Natürlich war es das, denn diese Energiewesen konnten ja nicht sich selbst neu erschaffen. Aber sie waren doch bereit, in eine neue Ära ihres Daseins zu treten. Vielleicht hatten sie bisher sogar außerhalb der Zeit in einem Zustand der reinen Energie gelebt, wer kann das ganz begreifen? Jedenfalls traten sie mit der Erschaffung des vierten Wesens in eine Dimension der Zeit. Das vierte Wesen war ganz in die Zeit gebettet. Und in den Raum. Zeit und Raum, die sich mit diesem Wesen öffneten, wurden von den ursprünglichen Geschöpfen programmiert. Sie lenkten und steuerten die Erfahrungen und die Erlebniswelt des vierten Geschöpfes wie für die Figur in einem Computerspiel. Dennoch musste das vierte Geschöpf um diese Welt von Raum und Zeit auch für die drei Mutter-Geschöpfe zu eröffnen, erst eine Initialisierungsphase durchlaufen. Nachdem diese beendet war, konnte eine neue Ära beginnen, in der die drei Mutter-Geschöpfe gemeinsam mit ihrem Tochter-Geschöpf in Frieden, Glück und Freude das Dasein in der Dimension von Raum und Zeit gestalten und genießen konnten. Von dieser Warte aus gesehen könnte man sogar sagen, eigentlich hat nicht das Tochter-Geschöpf etwas für die Mutter-Geschöpfe getan, sondern die Mutter-Geschöpfe im Grunde einen Schöpfungs-Akt begründet, an dessen Ende erst das vollständige Tochter-Geschöpf existieren kann.
Reset.
„Lade Programm 7444.G-F. Rückkopplungsschleife.“
„Initialisiere Datei 678-D. Projektionsreflektion.“
„Update innerer Frieden hochgeladen.“
„Speise Daten ein.“
„Wie alt bist du Prinzessin?“
„Ich bin im August 36 Jahre alt.“
„Wie siehst du aus, Prinzessin?“
„Wie jemand, dessen Körper die Spuren eines 36-jährigen Lebens trägt. Auch die Spuren einer Schwangerschaft. Die Narben von Selbstverletzung. Und die Zeichen einsetzender Alterung.“
„Nun sage mir, Prinzessin, ist das tatsächlich dein Körper?“
„Nein, ich denke, das ist meine Seele.“
„Wenn deine Seele ihr Aussehen verändert, bedeutet das, sie wird, sie ist oder sie wird werden?“
„Es bedeutet ich werde.“
„Wer sind deine Eltern, Prinzessin?“
„Es sind drei Männer.“
„Phase 5563.B abgeschlossen.“
„Starte Initialisierung Blick ins Paradies.“
„Starte Phase 66654.F. Finale.“
„Speise Daten ein.“
Es war einmal eine Prinzessin.
Als sie auf die Welt kam war sie klein, ein dreijähriges Mädchen mit einem vor Freude funkelndem Blick und einem Lächeln, das die Welt umarmte.
Prinzessin, kleine Prinzessin, du begreifst nicht wer du bist und was du bist. Du begreifst nicht, zu welcher Aufgabe sie dich ausgewählt und erschaffen haben.
Nichts hast du noch begriffen, nur gefühlt mit deinem weichen, weiten Herzen.
Sie waren die Männer. Drei waren es. Es waren per Definition Männer, so wie du per Definition ein Mädchen warst. Aber was das bedeutete, wäre dir niemals eingefallen, so lange du lebtest. Erst langsam würdest du erwachen, wie aus einem seltsamen Traum. Und du würdest begreifen, was es bedeutet eine Frau zu sein.
Die Männer, der Geist. Die fliegende Energie, die freie Form, die absolute Abstraktion. Und sie, die Empfangende, die Form, der Körper, die Welt.
„Wir starten Programm Tod 1.a. Lade Datei hoch. Speise Datei ein.“
Das kleine Mädchen steckte ein Marienkäferchen in eine leere Zündholzschachtel. Sie liebte Marienkäferchen. Aber als sie später die Schachtel öffnete, erfuhr sie eine bittere Enttäuschung. Das Käferchen war leblos, es war tot. In dieser Nacht träumte sie, wie sie die Hand nach einem Marienkäferchen ausstreckte, versuchte danach zu greifen, aber mit den Fingern nur ins Leere griff.
„Starten Programm Tod 3.b. Lade Datei hoch. Speise Datei ein.“
Die Mutter war mit Hausarbeit beschäftigt. Sie saugte Staub. Das kleine Mädchen setzte sie inzwischen vor den Fernseher. Dort lief ein Western. Eine wunderschöne Indianerfrau wurde von hinten von einem Pfeil durchbohrt. Das kleine Mädchen weinte vor Schmerz und Schrecken über das Ende der schönen Indianerfrau. Mutter und Schwester versuchten ihr zu erklären, es wäre nur ein Film gewesen.
Es war ja nur ein Film, kleines Mädchen. Erst viel später würden dann die Dateien Völkermord, Atomkrieg und Holocaust folgen.
„Datei leblose Materie installiert. Datei Vaterfigur installiert. Datei Hass installiert. Datei Sexualität installiert.“
„Starten Programminitialisierung Phase 95.6.D.“
„Lebensumgebung Großstadt detailgerecht programmiert.“
„Speise Daten ein.“
Der Geist durchdringt die Materie, las sie dreißig Jahre später im Internet. Die drei Männer hatten inzwischen Namen bekommen. Geschickt lavierten sie um eine Realität, die sich immer mehr als seltsamer Traum entpuppte, herum. All die Gesichter der Menschen waren nur Illusionen. Es gab nur sie und die drei Männer. Sie war die einzige Frau im Universum. Und die drei Männer ihre Männer. Die Prinzessin starrte zum Fenster hinaus.
„Lade Datei 352.F.Y. Bewölkter Himmel, schwüle Hitze. Speise Daten ein.“
„Lade Datei A-5343. Jucken im Rückenbereich. Schweißausbruch im Achselbereich. Dumpfer Druck im Stirnbereich.“
„Lade Datei Delta-7-B. Mutterbeziehung. Telefonat mit Mutter programmiert. Speise Daten ein.“
Die Prinzessin lag am Bett. Es war immer noch schwül und heiß. Ihre Gedanken gingen auf Wanderschaft. Sie dachte über ihr vergangenes Leben nach. Ja, es war ein schweres Leben gewesen. Sie hatte viel gelitten. Und als nach all den harten Jahren diese seltsame Phase kam, in der sie das Gefühl hatte, das ringsum durch den Äther die Schatten flohen, als sie mit ihren Kindern aus Legosteinen eine Ritterburg baute, da dachte sie, nur überreizt zu sein. Und als sie in ihrem dreißigsten Lebensjahr gepeitscht von Emotionen durch die Wohnung wankte und aufs höchste aufgewühlt den seltsamen Eindruck hatte, über einen stillen Gipfel aus Eis zu segeln und in einem blitzartigen Moment Himmel und Erde vereint zu wissen, da dachte sie, es wäre nur Einbildung gewesen. Obwohl sie dann völlig verstört in die Küche wankte, und ihr kleiner, weißer Hamster in den höchste Tönen zu schreien begann. Sie hätte in diesem Moment niemals begriffen, dass sich etwas Wichtiges ereignet hatte, obwohl es ihr merkwürdig vorkam, das auf die inneren Empfindungen der äußere Reiz des schreienden Hamsters folgte. War das Tier etwa telepathisch veranlagt? Er hatte nie zuvor geschrien.
Sie fühlte sich entsetzlich schlecht, taumelte durch die Küche und verlor jede Erinnerung an das, was daraufhin folgte.
Ein paar Wochen daraufhin wurde sie mit der Diagnose einer schweren Psychose in die Psychiatrie eingeliefert.
„Sie haben eine Psychose“, sagte man zu ihr. Psychose, Psychose. Wie merkwürdig, ihr kam vor, sie hätte das Wort zum ersten Mal gehört. War der Wahnsinn eine Erklärung für die qualvollen Höllenzustände, die sie in den letzten Wochen durchlitten hatte, die bitteren Schnitte und Splitter in der Seele, die Eindrücke von Eiter, Angst und Verzerrung durch ihr Bewusstsein fließen ließen?
„Lade Datei H-67.B. Schreibe eine Science-Fiction Geschichte. Thema: die Matrix. Was man für die Realität hält, ist nicht die Realität. Speise Daten ein.“
„Einleitung von Phase 634.33.21-C. Planmäßiger Verlauf.“
Später nannte sie den Moment, als sich Himmel und Erde vereinigten, den „großen Plopp“. Während der nachfolgenden fünf Psychosen entwickelte sie mehrere Theorien zu diesem „großen Plopp“. Jedoch wurde mit jeder Psychose klarer, das sich etwas sehr Wichtiges ereignet hatte. Bis zum großen Plopp hatte sie das Leid der Welt in sich aufgesaugt. Nach dem Plopp war das Leid der Welt sozusagen überwunden, und nun wurde ihre Seele von den mannigfaltigen Verletzungen wieder geheilt. Es gab weder Tod, Materie noch die Realiät, wie sie sich äußerlich darstellte. Es gab auch kein Fleisch und Blut. Alles war Licht und Liebe und ihr Körper war kein Gebilde aus Zellen, sondern eine Seele in ihrer Reinform. Ihre Seele. Die Seele der Frau.
„Ich war deine Söhne, ich war deine Mutter und dein Vater und ich war deine Männer“, sagte der Mann. Danach folgte eine entzetzliche Phase der Qualen, als er ihr einen grausamen Beziehungskrieg lieferte. Sie war so einsam gewesen, in den letzten sechs Jahren nach dem großen Plopp. Nach der zweiten Psychose hatte man ihr die Kinder weggenommen. Sie verbrachte Tage und Stunden vor dem Computer, aber auch was sie dort am Bildschirm sah war nur eine Projektion des höheren Geistes. Sie dachte, der höhere Geist wäre Gott. Aber auch Gott war nur eine Arbeitshypothese. In einer neuen Phase begriff sie, das sich alles um die Polarisation zwischen den drei Männern und ihr drehte. Ihre Seele nährte sich von der Musik und den darin erhaltenen Botschaften. Immer wieder ging es um die Liebe, etwas, was sie in ihrem Leben nicht wirklich erfahren hatte. Liebe, und letztendlich, die Freude am Leben. Was für einem Leben? Ein Leben, in dem man nicht arbeiten musste, weil alles herbei gezaubert wurde von den Männern, ein Leben in einer Welt voller Schönheit, generiert aus dem vielseitigen Geist der Männer? Dennoch war sie nur der Körper, sie war nur die Gestalt, die Frau, sie empfing. Die Männer führten sie nun seit sechs Jahren schon behutsam aus dem Gefängnis einer Realität hinaus, die voller Hass und Schmerz war. Aber eine Seele heilt nicht durch ein Finger schnipsen. Die Abdrücke, die eine grausame Welt in ihrer Seele hinterlassen hatten, mussten nach und nach wieder geglättet werden. Und immer war dieser Heilungsprozess mit Schmerz begleitet.
„Starte Programm Beta-4555.34. Geruch Herrenparfum. Musik 5223-545-32- Erinnerung an sexuellen Missbrauch. Datei 78-45 überschrieben.“
„Speise Daten ein.“
„Folgeprogramm Alpha-334.555.B. Ruf des Mauerseglers. Warmer Wind durch das Fenster. Erinnerung an Trauer über enttäuschte Liebe in Jugendzeit. Datei 555-322-55 überschrieben.“
„Phase Bewusstwerdung 77575.H initialisiert.“
„Programm 995-B. Schreibe Märchen. Thema: die drei Männer.“
Es waren einmal drei Männer. Es waren sehr mächtige Männer.
Sie besaßen alle Gaben des Geistes. Sie konnten Rechnen wie ein Hochleistungscomputer, Generieren wie ein Hochleistungscomputer und sie waren vollkommen frei. Aber etwas fehlte ihnen in ihrem Glück, und das war die Freude und die Liebe.
Reset.
Es war einmal Gott. Gott war alles in einem. Er war sowohl männlich wie weiblich, sowohl Geist wie auch Materie. Dann gab es einen Urknall und die Polarisation war erschaffen. Nun gab es anstatt einem Gott drei Männer und eine Frau. Die Frau war die Welt und die Schönheit der Welt, die Liebe und die Freude an der Welt, die Männer waren die Idee, die Vision und der Geist der alles durchdrang.
Aber warum drei Männer?
Reset.
„Starte Programm 411-12.b.83. Hintergrundprogramm ßß097.C, Kaffee kochen, Ventilator läuft. Datei initialisiert. Erneutes Lesen des Anfangs der Science-Fiction Geschichte.“
„Speise Daten ein.“
Es war einmal eine Prinzessin.
Kleine, liebe, nette, unschuldige, freundliche, selbstlose, gutherzige, großzügige, zärtliche Prinzessin.
Dein ganzes Leben lang hast du gelitten. Die Welt scheint voller Hass zu sein. Und du hast doch nur versucht zu lieben. Selbstlos hast du geliebt, ohne Rücksicht auf dich selbst. Und welche bitteren Prügel hast du dafür einstecken müssen. Alle haben dich enttäuscht, selbst deine Kinder haben dich enttäuscht. Du hast alles für die Kinder getan was du konntest. Du hast versucht, deinen Gott zu lieben. Du hast versucht deine Mitmenschen zu lieben. Und beides hat dich zerrissen und dir wohl tausendmal das Herz gebrochen. Schon mit vierzehn Jahren wolltest du sterben. Und hast dir mit einer Rasierklinge den Arm aufgeschlitzt. Hast deine Söhne unter bestialischen Schmerzen, Blut und Kot bei vollem Bewusstsein aus deinem Körper heraus gepresst. Und so weiter. Nein, es war kein einfaches Leben.
Es war einmal eine Prinzessin. Sie dachte, alles was ihr zustieß, wäre normal. Und sie dachte, sie wäre nur ein unbedeutender Mensch unter Millionen anderer Menschen auf einer großen Erdkugel. Sie dachte, das sie in ihrem Leben versagte, wäre ihre eigene Schuld gewesen. Sie dachte, das Schicksal Schmerzen und seelische Qualen zu erdulden, würde sie mit Millionen anderer teilen.
Es waren einmal drei Götter.
Es waren einmal drei Brüder.
Es waren einmal drei Männer.
Es waren einmal drei Wesen.
Drei Geschöpfe. Außerirdische. Es waren drei. Sie waren die pure Energie, schwebten durch den Kosmos oder so. Wie diese merkwürdigen Außerirdischen, die immer in den alten Raumschiff Enterprise-Folgen vorkommen. Grün glitzernde Wolken. Diese komischen Wesen taten sich dann zusammen und schufen mit ihrem Geist aus sich selbst heraus ein viertes Geschöpf. Es war aber anders als die ursprünglichen Wesen. Natürlich war es das, denn diese Energiewesen konnten ja nicht sich selbst neu erschaffen. Aber sie waren doch bereit, in eine neue Ära ihres Daseins zu treten. Vielleicht hatten sie bisher sogar außerhalb der Zeit in einem Zustand der reinen Energie gelebt, wer kann das ganz begreifen? Jedenfalls traten sie mit der Erschaffung des vierten Wesens in eine Dimension der Zeit. Das vierte Wesen war ganz in die Zeit gebettet. Und in den Raum. Zeit und Raum, die sich mit diesem Wesen öffneten, wurden von den ursprünglichen Geschöpfen programmiert. Sie lenkten und steuerten die Erfahrungen und die Erlebniswelt des vierten Geschöpfes wie für die Figur in einem Computerspiel. Dennoch musste das vierte Geschöpf um diese Welt von Raum und Zeit auch für die drei Mutter-Geschöpfe zu eröffnen, erst eine Initialisierungsphase durchlaufen. Nachdem diese beendet war, konnte eine neue Ära beginnen, in der die drei Mutter-Geschöpfe gemeinsam mit ihrem Tochter-Geschöpf in Frieden, Glück und Freude das Dasein in der Dimension von Raum und Zeit gestalten und genießen konnten. Von dieser Warte aus gesehen könnte man sogar sagen, eigentlich hat nicht das Tochter-Geschöpf etwas für die Mutter-Geschöpfe getan, sondern die Mutter-Geschöpfe im Grunde einen Schöpfungs-Akt begründet, an dessen Ende erst das vollständige Tochter-Geschöpf existieren kann.
Reset.
„Lade Programm 7444.G-F. Rückkopplungsschleife.“
„Initialisiere Datei 678-D. Projektionsreflektion.“
„Update innerer Frieden hochgeladen.“
„Speise Daten ein.“
„Wie alt bist du Prinzessin?“
„Ich bin im August 36 Jahre alt.“
„Wie siehst du aus, Prinzessin?“
„Wie jemand, dessen Körper die Spuren eines 36-jährigen Lebens trägt. Auch die Spuren einer Schwangerschaft. Die Narben von Selbstverletzung. Und die Zeichen einsetzender Alterung.“
„Nun sage mir, Prinzessin, ist das tatsächlich dein Körper?“
„Nein, ich denke, das ist meine Seele.“
„Wenn deine Seele ihr Aussehen verändert, bedeutet das, sie wird, sie ist oder sie wird werden?“
„Es bedeutet ich werde.“
„Wer sind deine Eltern, Prinzessin?“
„Es sind drei Männer.“
„Phase 5563.B abgeschlossen.“
„Starte Initialisierung Blick ins Paradies.“
„Starte Phase 66654.F. Finale.“
„Speise Daten ein.“
Kommentar