Seit etwa 2 Jahren gehe ich mit einer Geschichte "schwanger" und ich möchte euch gerne den Anfang vorstellen. Es ist eine Geschichte in einer Geschichte, der kursive Teil setzt sich in größeren Abständen fort. Ich hoffe, ihr habt beim Lesen ein wenig Spaß und würde mich sehr freuen, wenn ihr mir eure Meinung dazu sagt.
Vorspann:
Gelangweilt warfen die jungen Leute ihre Taschen auf den Boden und ließen sich auf die Sitze fallen. 3 Stunden Politgeschichte warteten auf sie, das mit Abstand langweiligste Fach und schon wieder mit einem Gastdozenten. Beim letzten Mal war das ein alter Mann gewesen, der stundenlang über eine der großen Weltraumschlachten referiert hatte. Das Thema hätte sogar interessant sein können, wenn er darauf verzichtet hätte, zu jedem Schiff die vollständige Geschichte vom Reißbrett bis zur Verschrottung zu erzählen. Dieses Mal waren sie sich einig, sie würden nicht wieder bis zum Schluss bleiben.
Ihr Dozent hob die Hände und bat um Ruhe. „Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mir mir unseren heutigen Gastdozenten, Mr. James Morgan.“ Gelangweilte Blicke flogen zur Tür. Ein alter Mann in einem schwarzen Overall betrat den Raum. Als er die Tür hinter sich schloss, war auf seinem linken Jackenärmel kurz ein Emblem erkennbar. Für einen Moment hörte man Rascheln und Füßescharren, dann wurde es so ruhig, dass sich der Dozent erstaunt umblickte.
Mit einem leichten Lächeln, das sein Gesicht um Jahre jünger aussehen ließ, erwiderte der Ankömmling den Salut der 50 jungen Soldaten. „Bitte, setzen Sie sich.“ Die Stimme war weder laut noch fordernd, und doch wurde die freundliche Aufforderung so zügig befolgt, dass jeder Ausbilder vor Neid erblasst wäre. Mit einem freundlichen Nicken signalisierte Mr. Morgan dem Dozenten, dass er weiter machen wollte. Strahlend blaue Augen unter schneeweißen Haaren musterten die jungen Männer und Frauen. „Sie sind hier, weil Sie etwas über unsere Geschichte lernen sollen. Ich bin hier, weil man auf der Erde noch immer glaubt, dass Fakten, die von Mensch zu Mensch vermittelt werden, einen größeren Lerneffekt haben, als Fakten allein. Ich könnte Ihnen nun Zahlen und Daten um die Ohren werfen, die Sie sich ohnehin nicht merken werden – falls Sie daran interessiert sind, finden Sie diese Informationen schneller und vollständiger in jedem historischen Exkurs. Statt dessen werde ich Ihnen eine Geschichte erzählen.“ Erstaunte Blicke flogen hin und her. „Es ist die Geschichte der Starchild. Aber keine Sorge, wenn mehr als der Hälfte von Ihnen die Augen zu gefallen sind, höre ich auf.“ Leises Gelächter kam auf. Ein spöttischer Blick traf den Dozenten, der ziemlich erstaunt aussah. „Mister Rogers zweifelt gerade an seiner brillanten Idee, mir bei der Gestaltung des Vortrages freie Hand zu lassen, aber jetzt ist es zu spät, noch etwas zu ändern.“ Wieder brandete Gelächter auf, denn das Gesicht des Dozenten sprach in der Tat Bände.
Schmunzelnd begann Mr. Morgan zu sprechen.
Die Erde
Was zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch als Utopie galt, wurde gegen Ende bittere Realität. In den früheren asiatischen Schwellenländer sammelten sich Kapital, Wissen und handwerkliches Können, während die ehemaligen Großmächte Amerika und Europa zu reinen Konsumenten degeneriert waren. In Afrika war es einem charismatischen Anführer gelungen, den zersplitterten und von Bürgerkriegen gebeutelten Kontinent von der Sahara bis zum Kap Horn zu vereinen. Die Chancen standen gut, dass diese Einigung von Dauer sein würde. Die Mittelmeerküste von Marokko bis hinauf zum Bosporus hingegen war nach Jahrzehnten des Glaubenskrieges fast menschenleer und in weiten Teilen auf Jahrhunderte unbewohnbar. Die fanatischen Gegner hatten in ihrem Eifer nicht davor zurück geschreckt, Atom- und Biowaffen einzusetzen. Der Rest der Welt hatte dem Massaker tatenlos zuschauen müssen, jeder Versuch, Frieden zu stiften, hatte eine Terrorwelle durch den jeweiligen Staat fluten lassen. Radioaktiver Fallout und Viren wie mutiertes Ebola wurde vom Wind über die Erde getrieben und sorgte immer wieder für Panik in der Bevölkerung. Ein Großteil der Ölquellen war unbrauchbar geworden. Die Welt hatte sich nach neuen Energiequellen und Rohstoffen umschauen müssen, was Dank der Voraussicht der großen Chemiekonzerne und Raffinerien, die schon seit Jahrzehnten Patente gesammelt hatten, relativ reibungslos voran ging.
Das Leben ging weiter, aber viele Menschen träumten davon, die Erde hinter sich zu lassen und irgendwo ganz neu anzufangen. Konzepte für Generationsraumschiffe wurden entwickelt und verworfen. Zwar hatte man einige Planeten entdeckt, auf denen Leben theoretisch möglich sein sollte, aber sie waren so weit entfernt, dass ein sicherer Flug nicht garantiert werden konnte. Konzerne wie SonyDaimlerRoyce oder ToshibaMicrosoft steckten Milliarden in die Forschung nach neuen Antriebskonzepten oder Methoden, den langen Flug erträglich zu machen, aber erst eine Zufallsentdeckung des russischen Wissenschaftlers Juri Popanov brachte den Durchbruch. Auf der Suche nach neuen Planeten waren Popanov überall in der Galaxis Strahlungsquellen aufgefallen. Er vertrat die Theorie, es könne sich bei diesen Strahlungsquellen um sogenannte „natürliche Wurmlöcher" handeln. Wäre das der Fall, könnten sie - das richtige Triebwerk vorausgesetzt - eine Direktverbindung in weit entfernte Teile des Universums darstellen. Die Lage war schließlich verzweifelt genug, dass man die Idee nicht als Science Fiction abtat und zu den Akten legte, sondern fähige Wissenschaftler versuchten, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Der der Erde am nächsten gelegene „Eingang" war etwa 3 Lichtjahre entfernt. In Amerika lagen Pläne für ein Raumschiff, mit dem man diese Entfernung überwinden konnte. Europa konnte eine fast fertige Sonde stellen, die nur noch durch spezielle Messgeräte und ein Antriebssystem ergänzt werden musste. Asien steuerte Computertechnik und Lebenserhaltungssysteme bei und ein Zusammenschluss aus mehreren Weltkonzernen entwickelte aus einigen halbfertigen Konzepten funktionsfähige Antriebe für Schiff und Sonde. Messsysteme und Inneneinrichtung wurden in Europa hergestellt, während die restlichen Staaten den Bau durch Rohstoffe und Arbeitskräfte unterstützte. Diese weltweite Zusammenarbeit verkürzte die Bauzeit auf 8 Monate, gerade Zeit genug, um die Besatzung auszubilden.
Während des Fluges wurde die Sonde ausgerüstet und kalibriert. Bei der Ankunft konnten die Tests ohne Wartezeit beginnen und verliefen zufriedenstellend. Die Sonde wurde mehrfach problemlos durch das Wurmloch geschickt und zurückgeholt. Als nächstes wurde ein Hamster als Passagier mitgeschickt. Das Ergebnis war verheerend. Als die Sonde die Passage verließ, hatte der Inhalt des Käfigs keine Ähnlichkeit mehr mit seinem ursprünglichen Inhalt. Man testete verschiedene Isolierungen, aber ohne Erfolg. Lebendes organisches Material schien für diese Passage nicht geeignet zu sein. Auf der Erde löste diese Nachricht große Bestürzung aus. Sollte das erste gemeinsame Projekt wirklich zum Scheitern verurteilt sein? In sämtlichen Labors wurde fieberhaft geforscht. Man fand keine Möglichkeit, die Strahlung zu kompensieren oder abzuschirmen. Allerdings schien sie nur lebendes Gewebe zu unkontrolliertem Wachstum zu stimulieren. In einem nicht digitalisierten Archiv fand man Studien zu einem Kälteschlaf-Verfahren, der sogenannten Kryo-Technik. Das Verfahren war im Zusammenhang mit den Generationsschiffen entwickelt worden. Leider verursachte es schwere Hirnschäden, wenn der Kälteschlaf länger als 3 Tage aufrecht gehalten wurde. Die Passage des Wurmlochs war jedoch nur eine Frage von Stunden. Das Forschungsschiff machte sich erneut auf die Reise. An Bord befanden sich diverse Versuchstiere sowie zwei Freiwillige. Wieder wurde die Sonde auf die Reise geschickt. Alle Tiere überstanden den Flug ohne erkennbare Schäden. Jetzt waren die Testpiloten an der Reihe und auch diese Durchgänge verliefen problemlos. Das Tor zum Universum war geöffnet. Im Zusammenhang mit der Kryo-Forschung hatte man festgestellt, dass die Aufwachzeiten von Gewicht und Größe des Probanden abhingen. Hamster erwachten unmittelbar nach dem ersten Weckimpuls, ein 100-kg-Mann brauchte z.B. einen konstanten Impuls von etwa 5 Minuten Dauer, bevor er wieder ansprechbar war. Diese Erkenntnis wurde zwar dokumentiert, aber von offizieller Seite maß man ihr keine große Bedeutung bei.
Während die ersten großen Raumschiffe gebaut wurden, schickte man Sonden durch das Wurmloch und suchte im Zielgebiet nach bewohnbaren Planeten. Die Astronomen waren skeptisch, ihre Forschungen hatten zwar Hinweise auf Planeten ergeben, aber nicht in dem Sektor, den man zur Zeit über das 'Tor' erreichen konnte. Um so größer war die Erleichterung, als wenige Monate später die ersten Erfolgsmeldungen eintrafen. Die Anzahl der Welten im Universum war wesentlich größer als erwartet und man hatte ein Sonnensystem gefunden, in dem gleich vier von ihnen in die engere Wahl kamen. Am Vielversprechensten war ein etwa erdgroßer tropischer Urwald, den seine Entdecker im Andenken an ihre Heimat auf den Namen 'Brazilia' tauften.
Die Folgen der Entdeckung schienen auf den ersten Blick katastrophal. Immer mehr Menschen wollten die Erde verlassen. Fast schien es, als habe ein Exodus eingesetzt, an dessen Ende die Erde so menschenleer sein würde, wie in grauer Vorzeit, bevor die ersten Affen von den Bäumen gestiegen waren. Die Anforderungen waren hoch, schließlich sollte die erste Kolonie doch ein Erfolg werden. Die Auswanderungswilligen mussten ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen und nur ein Bruchteil wurde angenommen, um sein Glück auf Brazilia zu versuchen. Doch der Drang, die Erde zu verlassen, blieb ungebrochen. Jeder, der sich die Passage leisten konnte, versuchte es immer und immer wieder. Ganze Städte drohten zu verwaisen, in einigen Bereichen brach die Infrastruktur zusammen. Die Regierungen waren machtlos. Sie konnten nur hoffen, dass irgendwann wieder Ruhe und Normalität einkehren würden. Mit der Zeit bildeten sich in der Nähe der Weltraumbahnhöfe neue Großstädte. Das gemeinsame Ziel ließ die Menschen enger zusammen rücken, als es vorher jemals der Fall gewesen war. Sprache, Hautfarbe oder Nationalität wurden unwichtig, alle wollten nur noch fort.
Durch ein fehlerhaftes Antriebsaggregat verschlug es ein Forschungsschiff während der Passage durch das Wurmloch in ein anderes Zielgebiet. Nachdem sich Kommandant Gregorius Altair und seine Mannschaft vom ersten Schrecken erholt hatten, erforschten sie die überraschend aufgetauchte Umgebung und entdecktem auch hier einige interessante Planeten. Die Rückkehr zur Erde gelang nach 2 Jahren und unzähligen Versuchen, die abgegebene Energie auf die gleiche Weise zu modulieren, wie bei ihrem unfreiwilligen Herflug. Die Forscher wurden als Helden gefeiert, hatten sie doch eine Möglichkeit geliefert, aus einer Einbahnstraße einen Knotenpunkt zu machen. Drei Jahre später, 37 Jahre nach der Besiedelung von Brazilia wurde Altair als zweite Kolonie gegründet, wenige Jahre später folgte Diarmodes im gleichen Raumsektor. Noch fühlten sich die Menschen dort der Erde zugehörig, doch schon jetzt wurden auf Brazilia erste Stimmen laut, die sich gegen die Bevormundung durch die Erde wehrten und eine Gleichstellung forderten. Entscheidungen dauerten eine Ewigkeit, bis sich endlich alle irdischen Parlamente auf eine einheitliche Vorgehensweise geeinigt hatten, konnten Jahre vergehen. Die Kolonien forderten Abhilfe und drohten, sich andernfalls von der Erde los zusagen und auf eigene Faust zu agieren.
Zunächst nahmen die Politiker der Erde diese Drohung nicht ernst, aber sie mussten schon bald erkennen, dass sie bildlich gesprochen mit dem Rücken zur Wand standen. Entweder gelang es der Erde, ebenfalls eine einheitliche Regierung zu bilden, oder die Kolonien würden sich von ihnen abwenden. 150 Jahre nach der Entdeckung der Kryo-Sprungtechnik nahm die erste vereinte Erdregierung ihre Arbeit auf. Für die Erde entpuppte sich dieser mutige Schritt als ein Glücksgriff. Bereits während der ersten fünf Jahre gelang es, die Verteilung der vorhandenen Ressourcen zu optimieren und mit jeder Generation wurde das globale Denken selbstverständlicher.
Im Laufe der nächsten 200 Jahre wurden weitere 8 Kolonien gegründet und es entwickelte sich ein reger Austausch von Handelsgütern. Dies lockte die üblichen zwielichtigen Gestalten an, die schon bald eine optimale Möglichkeit entdeckten, risikolos ihren Schnitt zu machen. Sie platzierten sich in der Nähe eines Wurmloches. Sobald ein Schiff ankam, wurde der Computer durch einen starken EMP-Impuls unterbrochen. Die Besatzung blieb im Kryo-Schlaf und die Piraten leerten das Schiff. Hatte die Besatzung Glück, wurde der Computer wieder in Gang gesetzt, so dass sie doch noch geweckt wurden. Falls nicht, landete das Schiff mit seiner leblosen Fracht früher oder später in der nächsten Sonne. Eher zufällig fand man heraus, dass es trotzdem Überlebende geben konnte.
Das halb ausgeräumte Wrack der „Golden Star" kreuzte den Weg eines Frachters. An Bord fand man neben den getöteten Besatzungsmitgliedern und Passagieren auch zwei halbverhungerte verängstigte Kinder. Die wenigen Weckimpulse der Automatik hatten für sie ausgereicht, sie hatten Tage alleine im Weltraum verbracht. Es dauerte Monate, bis sie ohne Angst dunkle Räume betreten konnten. Auf massiven Druck der Öffentlichkeit verlangten die Regierungen ein nicht computergestütztes Rettungssystem. Berechnungen ergaben, dass Kinder zwischen drei und maximal sechs Jahren aufgrund ihres Gewichtes und ihrer Körpergröße als erste aus dem Kryo-Schlaf erwachen mussten. Jüngere Kinder konnten nicht betroffen sein, für ihr empfindliches Nervensystem wäre eine Kryonisierung tödlich. Drei Jahre war das Mindestalter, um eine Passage auf einem Raumschiff zu erhalten. Man entwickelte einen Drucksensor, der über eine Zeitschaltuhr eine Rettungskapsel startete, wenn die Mechanik nicht innerhalb von 15 Minuten nach Betreten außer Betrieb gesetzt wurde. Die Kapsel würde ein Notsignal absenden und so auffindbar sein. Zugleich wurden die Raumfahrer verpflichtet, mit den Kindern an Bord Rettungsübungen durchzuführen, damit diese unmittelbar nach dem Erwachen in die präparierte Kapsel liefen und dort auf ihre Abholung warteten. Mit der generellen Einführung dieser Kapseln gab es ein böses Erwachen für die Behörden. Innerhalb von 5 Jahren wurden mehr Notsignale aufgefangen als in den 200 Jahren seit Beginn der Raumfahrt. Hatte man die ersten Kinder noch in Adoptivfamilien untergebracht oder aufwändig Angehörige gesucht, hielt man jetzt eine zentrale Lösung für sinnvoller.
Das Projekt 'Starchild' wurde ins Leben gerufen. Jedes Kind sollte eine umfassende Förderung erhalten, die alle vorhandenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten optimal unterstützte. Im Gegenzug sollte ihm allerdings eine tiefe Loyalität eingepflanzt werden, damit ein Starchild sein Wissen niemals gegen den Verbund der Vereinigten Planeten einsetzen würde. Für beide Anforderungen schien sich eine kostengünstige, neu entwickelte Technik zu eignen: Hypnoseschulungen. Auf der Erde protestierten Eltern und Kinderschutzverbände vehement gegen die ersten Versuche und die Überlegung, diese Schulungsmethoden großflächig einzusetzen, doch ihre Bedenken wurden abgeschmettert. Die schiffbrüchigen Kinder erhielten die generelle Bezeichnung 'Starchild' und eine fortlaufende Nummerierung. Da in der Öffentlichkeit - wenn überhaupt - nur von 'dem Starchild' die Rede war, konnte lange Zeit verschleiert werden, wie hoch ihre Anzahl wirklich war...
Das Starchild-Center
Obwohl auf der Erde ins Leben gerufen, hatte man die Starchild-Einrichtungen auf den Planeten Juveno ausgelagert. Juveno war eine noch junge Kolonie, die Behörden wie auch die Bevölkerung hatten genug eigene Probleme und stellte keine Fragen. So konnte ein großes Areal erworben und nach den Vorstellungen der Verantwortlichen eingerichtet werden. Die Lehrmethoden entsprachen den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Unterbringung dem notwendigen Standard. Als die Krise ihren Höhepunkt erreichte, trafen pro Jahr bis zu 200 Kinder im Center ein. Die Gebäude mussten mehrfach großflächig unterirdisch erweitert werden, damit alle Waisen Platz fanden. Schon bald waren die Betreuer hoffnungslos überfordert bei dem Versuch, jedem Kind auch nur annähernd gerecht zu werden. Das Budget des Centers war begrenzt, die Erde und die Kolonien zahlten nur einen Festbetrag pro Kind und berechneten diesen Betrag nach der Anzahl der Starchild am Ende des vorletzten Jahres. Das Geld reichte knapp, um alle mit Kleidung und Lebensmitteln zu versorgen, weiteres oder besser ausgebildetes Personal lag außerhalb der Möglichkeiten. Eine von Kolonie zu Kolonie verschleppte Seuche, die mit Mais, Soja und Weizen die Hauptnahrungsquellen unbrauchbar machte, sorgte für einen weiteren Engpass. Die Zahlungen wurden noch weiter eingeschränkt und die Verantwortlichen mussten sich etwas einfallen lassen.
Notgedrungen begann man nur vier Jahre nach seiner Einrichtung damit, das Center vollständig neu strukturieren. Das ganze Projekt wurde militärisch straff organisiert und der Tagesablauf vom Wecken um 07.00 Uhr bis zur Nachtruhe zwischen 19:00 Uhr für die jüngsten und 22:00 Uhr für die ältesten Starchild streng reglementiert. Die Kinder wurden in Klassen zusammengefasst und jeweils 50 Kinder einem Betreuer unterstellt, der für die Einhaltung der erforderlichen Disziplin sorgte. Es wurde gespart, wo immer es möglich war. Über die Auswirkungen, die dies auf die Starchild haben würde, war man sich jedoch nicht im Klaren. Erst als man Jahre später die ersten jungen Leute aus ihrer vertrauten Umgebung in das 'normale Leben' entließ, erlebte man eine böse Überraschung. Es gelang ihnen nicht, in einer ungeregelten Umgebung Fuß zu fassen. Sie waren völlig damit überfordert, Freizeit zu haben, ihren Tagesablauf selbst zu gestalten oder sich einen Bekanntenkreis aufzubauen. Auf diese Herausforderungen des täglichen Lebens hatte man sie nicht vorbereitet. Auch das Militär fand keine sinnvolle Verwendung für die neuen Leute. Aufgrund ihrer Ausbildung wären sie für die Offizierslaufbahn prädestiniert gewesen. Sie waren es jedoch nicht gewohnt, anderen Menschen Befehle zu erteilen. Außerdem waren sie aufgrund ihrer Konditionierung bereit, Risiken einzugehen, die weit oberhalb dessen lagen, was einem 'normalen' Soldaten zugemutet werden konnte. Der Erfolg des gesamten Programms stand auf dem Spiel.
In aller Eile wurde eine Auffanggesellschaft gegründet, die 'Starchild Organisation'. In vertrauten Strukturen wurde den Starchild ein scheinbar normales Leben und Arbeiten ermöglicht. Leider arbeitete das Projekt anfangs nicht Kosten deckend, der Bund der Vereinigten Planeten musste laufend Kapital zuschießen. Martin Taylor, ein junger, ehrgeiziger Manager, wurde zum Leiter beider Bereiche ernannt, um Abhilfe zu schaffen. Während die Zahl der Starchild immer weiter stieg, sorgte er dafür, dass die Fähigkeiten seiner Schützlinge optimal genutzt wurden. Die ehemals humanitär geplante Einrichtung entwickelte sich zu einem gigantischen Wirtschaftskonzern. Riesige Laborkomplexe wurden errichtet und ¾ der Starchild waren in den Bereichen Forschung und Entwicklung aktiv. Eher zufällig entwickelte sich eine hochspezialisierte Einsatztruppe, die überall dort eingesetzt wurde, wo selbst Elitetruppen überfordert waren. Endlich entwickelte sich das Projekt 'Starchild' positiv, zumindest, was den finanziellen Aspekt betraf.
Ein Manko blieb jedoch: Die Starchild lebten nach eigenen Regeln. Nach den ersten Misserfolgen war der Kontakt zu anderen 'normalen' Menschen so gut wie nicht mehr vorhanden. Bei den seltenen Begegnungen kam es häufig zu Missverständnissen und die Starchild gerieten in den Ruf, arrogant zu sein.
Vorspann:
Gelangweilt warfen die jungen Leute ihre Taschen auf den Boden und ließen sich auf die Sitze fallen. 3 Stunden Politgeschichte warteten auf sie, das mit Abstand langweiligste Fach und schon wieder mit einem Gastdozenten. Beim letzten Mal war das ein alter Mann gewesen, der stundenlang über eine der großen Weltraumschlachten referiert hatte. Das Thema hätte sogar interessant sein können, wenn er darauf verzichtet hätte, zu jedem Schiff die vollständige Geschichte vom Reißbrett bis zur Verschrottung zu erzählen. Dieses Mal waren sie sich einig, sie würden nicht wieder bis zum Schluss bleiben.
Ihr Dozent hob die Hände und bat um Ruhe. „Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mir mir unseren heutigen Gastdozenten, Mr. James Morgan.“ Gelangweilte Blicke flogen zur Tür. Ein alter Mann in einem schwarzen Overall betrat den Raum. Als er die Tür hinter sich schloss, war auf seinem linken Jackenärmel kurz ein Emblem erkennbar. Für einen Moment hörte man Rascheln und Füßescharren, dann wurde es so ruhig, dass sich der Dozent erstaunt umblickte.
Mit einem leichten Lächeln, das sein Gesicht um Jahre jünger aussehen ließ, erwiderte der Ankömmling den Salut der 50 jungen Soldaten. „Bitte, setzen Sie sich.“ Die Stimme war weder laut noch fordernd, und doch wurde die freundliche Aufforderung so zügig befolgt, dass jeder Ausbilder vor Neid erblasst wäre. Mit einem freundlichen Nicken signalisierte Mr. Morgan dem Dozenten, dass er weiter machen wollte. Strahlend blaue Augen unter schneeweißen Haaren musterten die jungen Männer und Frauen. „Sie sind hier, weil Sie etwas über unsere Geschichte lernen sollen. Ich bin hier, weil man auf der Erde noch immer glaubt, dass Fakten, die von Mensch zu Mensch vermittelt werden, einen größeren Lerneffekt haben, als Fakten allein. Ich könnte Ihnen nun Zahlen und Daten um die Ohren werfen, die Sie sich ohnehin nicht merken werden – falls Sie daran interessiert sind, finden Sie diese Informationen schneller und vollständiger in jedem historischen Exkurs. Statt dessen werde ich Ihnen eine Geschichte erzählen.“ Erstaunte Blicke flogen hin und her. „Es ist die Geschichte der Starchild. Aber keine Sorge, wenn mehr als der Hälfte von Ihnen die Augen zu gefallen sind, höre ich auf.“ Leises Gelächter kam auf. Ein spöttischer Blick traf den Dozenten, der ziemlich erstaunt aussah. „Mister Rogers zweifelt gerade an seiner brillanten Idee, mir bei der Gestaltung des Vortrages freie Hand zu lassen, aber jetzt ist es zu spät, noch etwas zu ändern.“ Wieder brandete Gelächter auf, denn das Gesicht des Dozenten sprach in der Tat Bände.
Schmunzelnd begann Mr. Morgan zu sprechen.
Die Erde
Was zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch als Utopie galt, wurde gegen Ende bittere Realität. In den früheren asiatischen Schwellenländer sammelten sich Kapital, Wissen und handwerkliches Können, während die ehemaligen Großmächte Amerika und Europa zu reinen Konsumenten degeneriert waren. In Afrika war es einem charismatischen Anführer gelungen, den zersplitterten und von Bürgerkriegen gebeutelten Kontinent von der Sahara bis zum Kap Horn zu vereinen. Die Chancen standen gut, dass diese Einigung von Dauer sein würde. Die Mittelmeerküste von Marokko bis hinauf zum Bosporus hingegen war nach Jahrzehnten des Glaubenskrieges fast menschenleer und in weiten Teilen auf Jahrhunderte unbewohnbar. Die fanatischen Gegner hatten in ihrem Eifer nicht davor zurück geschreckt, Atom- und Biowaffen einzusetzen. Der Rest der Welt hatte dem Massaker tatenlos zuschauen müssen, jeder Versuch, Frieden zu stiften, hatte eine Terrorwelle durch den jeweiligen Staat fluten lassen. Radioaktiver Fallout und Viren wie mutiertes Ebola wurde vom Wind über die Erde getrieben und sorgte immer wieder für Panik in der Bevölkerung. Ein Großteil der Ölquellen war unbrauchbar geworden. Die Welt hatte sich nach neuen Energiequellen und Rohstoffen umschauen müssen, was Dank der Voraussicht der großen Chemiekonzerne und Raffinerien, die schon seit Jahrzehnten Patente gesammelt hatten, relativ reibungslos voran ging.
Das Leben ging weiter, aber viele Menschen träumten davon, die Erde hinter sich zu lassen und irgendwo ganz neu anzufangen. Konzepte für Generationsraumschiffe wurden entwickelt und verworfen. Zwar hatte man einige Planeten entdeckt, auf denen Leben theoretisch möglich sein sollte, aber sie waren so weit entfernt, dass ein sicherer Flug nicht garantiert werden konnte. Konzerne wie SonyDaimlerRoyce oder ToshibaMicrosoft steckten Milliarden in die Forschung nach neuen Antriebskonzepten oder Methoden, den langen Flug erträglich zu machen, aber erst eine Zufallsentdeckung des russischen Wissenschaftlers Juri Popanov brachte den Durchbruch. Auf der Suche nach neuen Planeten waren Popanov überall in der Galaxis Strahlungsquellen aufgefallen. Er vertrat die Theorie, es könne sich bei diesen Strahlungsquellen um sogenannte „natürliche Wurmlöcher" handeln. Wäre das der Fall, könnten sie - das richtige Triebwerk vorausgesetzt - eine Direktverbindung in weit entfernte Teile des Universums darstellen. Die Lage war schließlich verzweifelt genug, dass man die Idee nicht als Science Fiction abtat und zu den Akten legte, sondern fähige Wissenschaftler versuchten, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Der der Erde am nächsten gelegene „Eingang" war etwa 3 Lichtjahre entfernt. In Amerika lagen Pläne für ein Raumschiff, mit dem man diese Entfernung überwinden konnte. Europa konnte eine fast fertige Sonde stellen, die nur noch durch spezielle Messgeräte und ein Antriebssystem ergänzt werden musste. Asien steuerte Computertechnik und Lebenserhaltungssysteme bei und ein Zusammenschluss aus mehreren Weltkonzernen entwickelte aus einigen halbfertigen Konzepten funktionsfähige Antriebe für Schiff und Sonde. Messsysteme und Inneneinrichtung wurden in Europa hergestellt, während die restlichen Staaten den Bau durch Rohstoffe und Arbeitskräfte unterstützte. Diese weltweite Zusammenarbeit verkürzte die Bauzeit auf 8 Monate, gerade Zeit genug, um die Besatzung auszubilden.
Während des Fluges wurde die Sonde ausgerüstet und kalibriert. Bei der Ankunft konnten die Tests ohne Wartezeit beginnen und verliefen zufriedenstellend. Die Sonde wurde mehrfach problemlos durch das Wurmloch geschickt und zurückgeholt. Als nächstes wurde ein Hamster als Passagier mitgeschickt. Das Ergebnis war verheerend. Als die Sonde die Passage verließ, hatte der Inhalt des Käfigs keine Ähnlichkeit mehr mit seinem ursprünglichen Inhalt. Man testete verschiedene Isolierungen, aber ohne Erfolg. Lebendes organisches Material schien für diese Passage nicht geeignet zu sein. Auf der Erde löste diese Nachricht große Bestürzung aus. Sollte das erste gemeinsame Projekt wirklich zum Scheitern verurteilt sein? In sämtlichen Labors wurde fieberhaft geforscht. Man fand keine Möglichkeit, die Strahlung zu kompensieren oder abzuschirmen. Allerdings schien sie nur lebendes Gewebe zu unkontrolliertem Wachstum zu stimulieren. In einem nicht digitalisierten Archiv fand man Studien zu einem Kälteschlaf-Verfahren, der sogenannten Kryo-Technik. Das Verfahren war im Zusammenhang mit den Generationsschiffen entwickelt worden. Leider verursachte es schwere Hirnschäden, wenn der Kälteschlaf länger als 3 Tage aufrecht gehalten wurde. Die Passage des Wurmlochs war jedoch nur eine Frage von Stunden. Das Forschungsschiff machte sich erneut auf die Reise. An Bord befanden sich diverse Versuchstiere sowie zwei Freiwillige. Wieder wurde die Sonde auf die Reise geschickt. Alle Tiere überstanden den Flug ohne erkennbare Schäden. Jetzt waren die Testpiloten an der Reihe und auch diese Durchgänge verliefen problemlos. Das Tor zum Universum war geöffnet. Im Zusammenhang mit der Kryo-Forschung hatte man festgestellt, dass die Aufwachzeiten von Gewicht und Größe des Probanden abhingen. Hamster erwachten unmittelbar nach dem ersten Weckimpuls, ein 100-kg-Mann brauchte z.B. einen konstanten Impuls von etwa 5 Minuten Dauer, bevor er wieder ansprechbar war. Diese Erkenntnis wurde zwar dokumentiert, aber von offizieller Seite maß man ihr keine große Bedeutung bei.
Während die ersten großen Raumschiffe gebaut wurden, schickte man Sonden durch das Wurmloch und suchte im Zielgebiet nach bewohnbaren Planeten. Die Astronomen waren skeptisch, ihre Forschungen hatten zwar Hinweise auf Planeten ergeben, aber nicht in dem Sektor, den man zur Zeit über das 'Tor' erreichen konnte. Um so größer war die Erleichterung, als wenige Monate später die ersten Erfolgsmeldungen eintrafen. Die Anzahl der Welten im Universum war wesentlich größer als erwartet und man hatte ein Sonnensystem gefunden, in dem gleich vier von ihnen in die engere Wahl kamen. Am Vielversprechensten war ein etwa erdgroßer tropischer Urwald, den seine Entdecker im Andenken an ihre Heimat auf den Namen 'Brazilia' tauften.
Die Folgen der Entdeckung schienen auf den ersten Blick katastrophal. Immer mehr Menschen wollten die Erde verlassen. Fast schien es, als habe ein Exodus eingesetzt, an dessen Ende die Erde so menschenleer sein würde, wie in grauer Vorzeit, bevor die ersten Affen von den Bäumen gestiegen waren. Die Anforderungen waren hoch, schließlich sollte die erste Kolonie doch ein Erfolg werden. Die Auswanderungswilligen mussten ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen und nur ein Bruchteil wurde angenommen, um sein Glück auf Brazilia zu versuchen. Doch der Drang, die Erde zu verlassen, blieb ungebrochen. Jeder, der sich die Passage leisten konnte, versuchte es immer und immer wieder. Ganze Städte drohten zu verwaisen, in einigen Bereichen brach die Infrastruktur zusammen. Die Regierungen waren machtlos. Sie konnten nur hoffen, dass irgendwann wieder Ruhe und Normalität einkehren würden. Mit der Zeit bildeten sich in der Nähe der Weltraumbahnhöfe neue Großstädte. Das gemeinsame Ziel ließ die Menschen enger zusammen rücken, als es vorher jemals der Fall gewesen war. Sprache, Hautfarbe oder Nationalität wurden unwichtig, alle wollten nur noch fort.
Durch ein fehlerhaftes Antriebsaggregat verschlug es ein Forschungsschiff während der Passage durch das Wurmloch in ein anderes Zielgebiet. Nachdem sich Kommandant Gregorius Altair und seine Mannschaft vom ersten Schrecken erholt hatten, erforschten sie die überraschend aufgetauchte Umgebung und entdecktem auch hier einige interessante Planeten. Die Rückkehr zur Erde gelang nach 2 Jahren und unzähligen Versuchen, die abgegebene Energie auf die gleiche Weise zu modulieren, wie bei ihrem unfreiwilligen Herflug. Die Forscher wurden als Helden gefeiert, hatten sie doch eine Möglichkeit geliefert, aus einer Einbahnstraße einen Knotenpunkt zu machen. Drei Jahre später, 37 Jahre nach der Besiedelung von Brazilia wurde Altair als zweite Kolonie gegründet, wenige Jahre später folgte Diarmodes im gleichen Raumsektor. Noch fühlten sich die Menschen dort der Erde zugehörig, doch schon jetzt wurden auf Brazilia erste Stimmen laut, die sich gegen die Bevormundung durch die Erde wehrten und eine Gleichstellung forderten. Entscheidungen dauerten eine Ewigkeit, bis sich endlich alle irdischen Parlamente auf eine einheitliche Vorgehensweise geeinigt hatten, konnten Jahre vergehen. Die Kolonien forderten Abhilfe und drohten, sich andernfalls von der Erde los zusagen und auf eigene Faust zu agieren.
Zunächst nahmen die Politiker der Erde diese Drohung nicht ernst, aber sie mussten schon bald erkennen, dass sie bildlich gesprochen mit dem Rücken zur Wand standen. Entweder gelang es der Erde, ebenfalls eine einheitliche Regierung zu bilden, oder die Kolonien würden sich von ihnen abwenden. 150 Jahre nach der Entdeckung der Kryo-Sprungtechnik nahm die erste vereinte Erdregierung ihre Arbeit auf. Für die Erde entpuppte sich dieser mutige Schritt als ein Glücksgriff. Bereits während der ersten fünf Jahre gelang es, die Verteilung der vorhandenen Ressourcen zu optimieren und mit jeder Generation wurde das globale Denken selbstverständlicher.
Im Laufe der nächsten 200 Jahre wurden weitere 8 Kolonien gegründet und es entwickelte sich ein reger Austausch von Handelsgütern. Dies lockte die üblichen zwielichtigen Gestalten an, die schon bald eine optimale Möglichkeit entdeckten, risikolos ihren Schnitt zu machen. Sie platzierten sich in der Nähe eines Wurmloches. Sobald ein Schiff ankam, wurde der Computer durch einen starken EMP-Impuls unterbrochen. Die Besatzung blieb im Kryo-Schlaf und die Piraten leerten das Schiff. Hatte die Besatzung Glück, wurde der Computer wieder in Gang gesetzt, so dass sie doch noch geweckt wurden. Falls nicht, landete das Schiff mit seiner leblosen Fracht früher oder später in der nächsten Sonne. Eher zufällig fand man heraus, dass es trotzdem Überlebende geben konnte.
Das halb ausgeräumte Wrack der „Golden Star" kreuzte den Weg eines Frachters. An Bord fand man neben den getöteten Besatzungsmitgliedern und Passagieren auch zwei halbverhungerte verängstigte Kinder. Die wenigen Weckimpulse der Automatik hatten für sie ausgereicht, sie hatten Tage alleine im Weltraum verbracht. Es dauerte Monate, bis sie ohne Angst dunkle Räume betreten konnten. Auf massiven Druck der Öffentlichkeit verlangten die Regierungen ein nicht computergestütztes Rettungssystem. Berechnungen ergaben, dass Kinder zwischen drei und maximal sechs Jahren aufgrund ihres Gewichtes und ihrer Körpergröße als erste aus dem Kryo-Schlaf erwachen mussten. Jüngere Kinder konnten nicht betroffen sein, für ihr empfindliches Nervensystem wäre eine Kryonisierung tödlich. Drei Jahre war das Mindestalter, um eine Passage auf einem Raumschiff zu erhalten. Man entwickelte einen Drucksensor, der über eine Zeitschaltuhr eine Rettungskapsel startete, wenn die Mechanik nicht innerhalb von 15 Minuten nach Betreten außer Betrieb gesetzt wurde. Die Kapsel würde ein Notsignal absenden und so auffindbar sein. Zugleich wurden die Raumfahrer verpflichtet, mit den Kindern an Bord Rettungsübungen durchzuführen, damit diese unmittelbar nach dem Erwachen in die präparierte Kapsel liefen und dort auf ihre Abholung warteten. Mit der generellen Einführung dieser Kapseln gab es ein böses Erwachen für die Behörden. Innerhalb von 5 Jahren wurden mehr Notsignale aufgefangen als in den 200 Jahren seit Beginn der Raumfahrt. Hatte man die ersten Kinder noch in Adoptivfamilien untergebracht oder aufwändig Angehörige gesucht, hielt man jetzt eine zentrale Lösung für sinnvoller.
Das Projekt 'Starchild' wurde ins Leben gerufen. Jedes Kind sollte eine umfassende Förderung erhalten, die alle vorhandenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten optimal unterstützte. Im Gegenzug sollte ihm allerdings eine tiefe Loyalität eingepflanzt werden, damit ein Starchild sein Wissen niemals gegen den Verbund der Vereinigten Planeten einsetzen würde. Für beide Anforderungen schien sich eine kostengünstige, neu entwickelte Technik zu eignen: Hypnoseschulungen. Auf der Erde protestierten Eltern und Kinderschutzverbände vehement gegen die ersten Versuche und die Überlegung, diese Schulungsmethoden großflächig einzusetzen, doch ihre Bedenken wurden abgeschmettert. Die schiffbrüchigen Kinder erhielten die generelle Bezeichnung 'Starchild' und eine fortlaufende Nummerierung. Da in der Öffentlichkeit - wenn überhaupt - nur von 'dem Starchild' die Rede war, konnte lange Zeit verschleiert werden, wie hoch ihre Anzahl wirklich war...
Das Starchild-Center
Obwohl auf der Erde ins Leben gerufen, hatte man die Starchild-Einrichtungen auf den Planeten Juveno ausgelagert. Juveno war eine noch junge Kolonie, die Behörden wie auch die Bevölkerung hatten genug eigene Probleme und stellte keine Fragen. So konnte ein großes Areal erworben und nach den Vorstellungen der Verantwortlichen eingerichtet werden. Die Lehrmethoden entsprachen den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Unterbringung dem notwendigen Standard. Als die Krise ihren Höhepunkt erreichte, trafen pro Jahr bis zu 200 Kinder im Center ein. Die Gebäude mussten mehrfach großflächig unterirdisch erweitert werden, damit alle Waisen Platz fanden. Schon bald waren die Betreuer hoffnungslos überfordert bei dem Versuch, jedem Kind auch nur annähernd gerecht zu werden. Das Budget des Centers war begrenzt, die Erde und die Kolonien zahlten nur einen Festbetrag pro Kind und berechneten diesen Betrag nach der Anzahl der Starchild am Ende des vorletzten Jahres. Das Geld reichte knapp, um alle mit Kleidung und Lebensmitteln zu versorgen, weiteres oder besser ausgebildetes Personal lag außerhalb der Möglichkeiten. Eine von Kolonie zu Kolonie verschleppte Seuche, die mit Mais, Soja und Weizen die Hauptnahrungsquellen unbrauchbar machte, sorgte für einen weiteren Engpass. Die Zahlungen wurden noch weiter eingeschränkt und die Verantwortlichen mussten sich etwas einfallen lassen.
Notgedrungen begann man nur vier Jahre nach seiner Einrichtung damit, das Center vollständig neu strukturieren. Das ganze Projekt wurde militärisch straff organisiert und der Tagesablauf vom Wecken um 07.00 Uhr bis zur Nachtruhe zwischen 19:00 Uhr für die jüngsten und 22:00 Uhr für die ältesten Starchild streng reglementiert. Die Kinder wurden in Klassen zusammengefasst und jeweils 50 Kinder einem Betreuer unterstellt, der für die Einhaltung der erforderlichen Disziplin sorgte. Es wurde gespart, wo immer es möglich war. Über die Auswirkungen, die dies auf die Starchild haben würde, war man sich jedoch nicht im Klaren. Erst als man Jahre später die ersten jungen Leute aus ihrer vertrauten Umgebung in das 'normale Leben' entließ, erlebte man eine böse Überraschung. Es gelang ihnen nicht, in einer ungeregelten Umgebung Fuß zu fassen. Sie waren völlig damit überfordert, Freizeit zu haben, ihren Tagesablauf selbst zu gestalten oder sich einen Bekanntenkreis aufzubauen. Auf diese Herausforderungen des täglichen Lebens hatte man sie nicht vorbereitet. Auch das Militär fand keine sinnvolle Verwendung für die neuen Leute. Aufgrund ihrer Ausbildung wären sie für die Offizierslaufbahn prädestiniert gewesen. Sie waren es jedoch nicht gewohnt, anderen Menschen Befehle zu erteilen. Außerdem waren sie aufgrund ihrer Konditionierung bereit, Risiken einzugehen, die weit oberhalb dessen lagen, was einem 'normalen' Soldaten zugemutet werden konnte. Der Erfolg des gesamten Programms stand auf dem Spiel.
In aller Eile wurde eine Auffanggesellschaft gegründet, die 'Starchild Organisation'. In vertrauten Strukturen wurde den Starchild ein scheinbar normales Leben und Arbeiten ermöglicht. Leider arbeitete das Projekt anfangs nicht Kosten deckend, der Bund der Vereinigten Planeten musste laufend Kapital zuschießen. Martin Taylor, ein junger, ehrgeiziger Manager, wurde zum Leiter beider Bereiche ernannt, um Abhilfe zu schaffen. Während die Zahl der Starchild immer weiter stieg, sorgte er dafür, dass die Fähigkeiten seiner Schützlinge optimal genutzt wurden. Die ehemals humanitär geplante Einrichtung entwickelte sich zu einem gigantischen Wirtschaftskonzern. Riesige Laborkomplexe wurden errichtet und ¾ der Starchild waren in den Bereichen Forschung und Entwicklung aktiv. Eher zufällig entwickelte sich eine hochspezialisierte Einsatztruppe, die überall dort eingesetzt wurde, wo selbst Elitetruppen überfordert waren. Endlich entwickelte sich das Projekt 'Starchild' positiv, zumindest, was den finanziellen Aspekt betraf.
Ein Manko blieb jedoch: Die Starchild lebten nach eigenen Regeln. Nach den ersten Misserfolgen war der Kontakt zu anderen 'normalen' Menschen so gut wie nicht mehr vorhanden. Bei den seltenen Begegnungen kam es häufig zu Missverständnissen und die Starchild gerieten in den Ruf, arrogant zu sein.
Kommentar