Starchild - SciFi-Forum

Ankündigung

Einklappen
Keine Ankündigung bisher.

Starchild

Einklappen
X
 
  • Filter
  • Zeit
  • Anzeigen
Alles löschen
neue Beiträge

    Starchild

    Seit etwa 2 Jahren gehe ich mit einer Geschichte "schwanger" und ich möchte euch gerne den Anfang vorstellen. Es ist eine Geschichte in einer Geschichte, der kursive Teil setzt sich in größeren Abständen fort. Ich hoffe, ihr habt beim Lesen ein wenig Spaß und würde mich sehr freuen, wenn ihr mir eure Meinung dazu sagt.

    Vorspann:

    Gelangweilt warfen die jungen Leute ihre Taschen auf den Boden und ließen sich auf die Sitze fallen. 3 Stunden Politgeschichte warteten auf sie, das mit Abstand langweiligste Fach und schon wieder mit einem Gastdozenten. Beim letzten Mal war das ein alter Mann gewesen, der stundenlang über eine der großen Weltraumschlachten referiert hatte. Das Thema hätte sogar interessant sein können, wenn er darauf verzichtet hätte, zu jedem Schiff die vollständige Geschichte vom Reißbrett bis zur Verschrottung zu erzählen. Dieses Mal waren sie sich einig, sie würden nicht wieder bis zum Schluss bleiben.
    Ihr Dozent hob die Hände und bat um Ruhe. „Meine Damen und Herren, bitte begrüßen Sie mir mir unseren heutigen Gastdozenten, Mr. James Morgan.“ Gelangweilte Blicke flogen zur Tür. Ein alter Mann in einem schwarzen Overall betrat den Raum. Als er die Tür hinter sich schloss, war auf seinem linken Jackenärmel kurz ein Emblem erkennbar. Für einen Moment hörte man Rascheln und Füßescharren, dann wurde es so ruhig, dass sich der Dozent erstaunt umblickte.
    Mit einem leichten Lächeln, das sein Gesicht um Jahre jünger aussehen ließ, erwiderte der Ankömmling den Salut der 50 jungen Soldaten. „Bitte, setzen Sie sich.“ Die Stimme war weder laut noch fordernd, und doch wurde die freundliche Aufforderung so zügig befolgt, dass jeder Ausbilder vor Neid erblasst wäre. Mit einem freundlichen Nicken signalisierte Mr. Morgan dem Dozenten, dass er weiter machen wollte. Strahlend blaue Augen unter schneeweißen Haaren musterten die jungen Männer und Frauen. „Sie sind hier, weil Sie etwas über unsere Geschichte lernen sollen. Ich bin hier, weil man auf der Erde noch immer glaubt, dass Fakten, die von Mensch zu Mensch vermittelt werden, einen größeren Lerneffekt haben, als Fakten allein. Ich könnte Ihnen nun Zahlen und Daten um die Ohren werfen, die Sie sich ohnehin nicht merken werden – falls Sie daran interessiert sind, finden Sie diese Informationen schneller und vollständiger in jedem historischen Exkurs. Statt dessen werde ich Ihnen eine Geschichte erzählen.“ Erstaunte Blicke flogen hin und her. „Es ist die Geschichte der Starchild. Aber keine Sorge, wenn mehr als der Hälfte von Ihnen die Augen zu gefallen sind, höre ich auf.“ Leises Gelächter kam auf. Ein spöttischer Blick traf den Dozenten, der ziemlich erstaunt aussah. „Mister Rogers zweifelt gerade an seiner brillanten Idee, mir bei der Gestaltung des Vortrages freie Hand zu lassen, aber jetzt ist es zu spät, noch etwas zu ändern.“ Wieder brandete Gelächter auf, denn das Gesicht des Dozenten sprach in der Tat Bände.
    Schmunzelnd begann Mr. Morgan zu sprechen.


    Die Erde

    Was zu Beginn des 21. Jahrhunderts noch als Utopie galt, wurde gegen Ende bittere Realität. In den früheren asiatischen Schwellenländer sammelten sich Kapital, Wissen und handwerkliches Können, während die ehemaligen Großmächte Amerika und Europa zu reinen Konsumenten degeneriert waren. In Afrika war es einem charismatischen Anführer gelungen, den zersplitterten und von Bürgerkriegen gebeutelten Kontinent von der Sahara bis zum Kap Horn zu vereinen. Die Chancen standen gut, dass diese Einigung von Dauer sein würde. Die Mittelmeerküste von Marokko bis hinauf zum Bosporus hingegen war nach Jahrzehnten des Glaubenskrieges fast menschenleer und in weiten Teilen auf Jahrhunderte unbewohnbar. Die fanatischen Gegner hatten in ihrem Eifer nicht davor zurück geschreckt, Atom- und Biowaffen einzusetzen. Der Rest der Welt hatte dem Massaker tatenlos zuschauen müssen, jeder Versuch, Frieden zu stiften, hatte eine Terrorwelle durch den jeweiligen Staat fluten lassen. Radioaktiver Fallout und Viren wie mutiertes Ebola wurde vom Wind über die Erde getrieben und sorgte immer wieder für Panik in der Bevölkerung. Ein Großteil der Ölquellen war unbrauchbar geworden. Die Welt hatte sich nach neuen Energiequellen und Rohstoffen umschauen müssen, was Dank der Voraussicht der großen Chemiekonzerne und Raffinerien, die schon seit Jahrzehnten Patente gesammelt hatten, relativ reibungslos voran ging.
    Das Leben ging weiter, aber viele Menschen träumten davon, die Erde hinter sich zu lassen und irgendwo ganz neu anzufangen. Konzepte für Generationsraumschiffe wurden entwickelt und verworfen. Zwar hatte man einige Planeten entdeckt, auf denen Leben theoretisch möglich sein sollte, aber sie waren so weit entfernt, dass ein sicherer Flug nicht garantiert werden konnte. Konzerne wie SonyDaimlerRoyce oder ToshibaMicrosoft steckten Milliarden in die Forschung nach neuen Antriebskonzepten oder Methoden, den langen Flug erträglich zu machen, aber erst eine Zufallsentdeckung des russischen Wissenschaftlers Juri Popanov brachte den Durchbruch. Auf der Suche nach neuen Planeten waren Popanov überall in der Galaxis Strahlungsquellen aufgefallen. Er vertrat die Theorie, es könne sich bei diesen Strahlungsquellen um sogenannte „natürliche Wurmlöcher" handeln. Wäre das der Fall, könnten sie - das richtige Triebwerk vorausgesetzt - eine Direktverbindung in weit entfernte Teile des Universums darstellen. Die Lage war schließlich verzweifelt genug, dass man die Idee nicht als Science Fiction abtat und zu den Akten legte, sondern fähige Wissenschaftler versuchten, sie Wirklichkeit werden zu lassen. Der der Erde am nächsten gelegene „Eingang" war etwa 3 Lichtjahre entfernt. In Amerika lagen Pläne für ein Raumschiff, mit dem man diese Entfernung überwinden konnte. Europa konnte eine fast fertige Sonde stellen, die nur noch durch spezielle Messgeräte und ein Antriebssystem ergänzt werden musste. Asien steuerte Computertechnik und Lebenserhaltungssysteme bei und ein Zusammenschluss aus mehreren Weltkonzernen entwickelte aus einigen halbfertigen Konzepten funktionsfähige Antriebe für Schiff und Sonde. Messsysteme und Inneneinrichtung wurden in Europa hergestellt, während die restlichen Staaten den Bau durch Rohstoffe und Arbeitskräfte unterstützte. Diese weltweite Zusammenarbeit verkürzte die Bauzeit auf 8 Monate, gerade Zeit genug, um die Besatzung auszubilden.

    Während des Fluges wurde die Sonde ausgerüstet und kalibriert. Bei der Ankunft konnten die Tests ohne Wartezeit beginnen und verliefen zufriedenstellend. Die Sonde wurde mehrfach problemlos durch das Wurmloch geschickt und zurückgeholt. Als nächstes wurde ein Hamster als Passagier mitgeschickt. Das Ergebnis war verheerend. Als die Sonde die Passage verließ, hatte der Inhalt des Käfigs keine Ähnlichkeit mehr mit seinem ursprünglichen Inhalt. Man testete verschiedene Isolierungen, aber ohne Erfolg. Lebendes organisches Material schien für diese Passage nicht geeignet zu sein. Auf der Erde löste diese Nachricht große Bestürzung aus. Sollte das erste gemeinsame Projekt wirklich zum Scheitern verurteilt sein? In sämtlichen Labors wurde fieberhaft geforscht. Man fand keine Möglichkeit, die Strahlung zu kompensieren oder abzuschirmen. Allerdings schien sie nur lebendes Gewebe zu unkontrolliertem Wachstum zu stimulieren. In einem nicht digitalisierten Archiv fand man Studien zu einem Kälteschlaf-Verfahren, der sogenannten Kryo-Technik. Das Verfahren war im Zusammenhang mit den Generationsschiffen entwickelt worden. Leider verursachte es schwere Hirnschäden, wenn der Kälteschlaf länger als 3 Tage aufrecht gehalten wurde. Die Passage des Wurmlochs war jedoch nur eine Frage von Stunden. Das Forschungsschiff machte sich erneut auf die Reise. An Bord befanden sich diverse Versuchstiere sowie zwei Freiwillige. Wieder wurde die Sonde auf die Reise geschickt. Alle Tiere überstanden den Flug ohne erkennbare Schäden. Jetzt waren die Testpiloten an der Reihe und auch diese Durchgänge verliefen problemlos. Das Tor zum Universum war geöffnet. Im Zusammenhang mit der Kryo-Forschung hatte man festgestellt, dass die Aufwachzeiten von Gewicht und Größe des Probanden abhingen. Hamster erwachten unmittelbar nach dem ersten Weckimpuls, ein 100-kg-Mann brauchte z.B. einen konstanten Impuls von etwa 5 Minuten Dauer, bevor er wieder ansprechbar war. Diese Erkenntnis wurde zwar dokumentiert, aber von offizieller Seite maß man ihr keine große Bedeutung bei.

    Während die ersten großen Raumschiffe gebaut wurden, schickte man Sonden durch das Wurmloch und suchte im Zielgebiet nach bewohnbaren Planeten. Die Astronomen waren skeptisch, ihre Forschungen hatten zwar Hinweise auf Planeten ergeben, aber nicht in dem Sektor, den man zur Zeit über das 'Tor' erreichen konnte. Um so größer war die Erleichterung, als wenige Monate später die ersten Erfolgsmeldungen eintrafen. Die Anzahl der Welten im Universum war wesentlich größer als erwartet und man hatte ein Sonnensystem gefunden, in dem gleich vier von ihnen in die engere Wahl kamen. Am Vielversprechensten war ein etwa erdgroßer tropischer Urwald, den seine Entdecker im Andenken an ihre Heimat auf den Namen 'Brazilia' tauften.
    Die Folgen der Entdeckung schienen auf den ersten Blick katastrophal. Immer mehr Menschen wollten die Erde verlassen. Fast schien es, als habe ein Exodus eingesetzt, an dessen Ende die Erde so menschenleer sein würde, wie in grauer Vorzeit, bevor die ersten Affen von den Bäumen gestiegen waren. Die Anforderungen waren hoch, schließlich sollte die erste Kolonie doch ein Erfolg werden. Die Auswanderungswilligen mussten ein strenges Auswahlverfahren durchlaufen und nur ein Bruchteil wurde angenommen, um sein Glück auf Brazilia zu versuchen. Doch der Drang, die Erde zu verlassen, blieb ungebrochen. Jeder, der sich die Passage leisten konnte, versuchte es immer und immer wieder. Ganze Städte drohten zu verwaisen, in einigen Bereichen brach die Infrastruktur zusammen. Die Regierungen waren machtlos. Sie konnten nur hoffen, dass irgendwann wieder Ruhe und Normalität einkehren würden. Mit der Zeit bildeten sich in der Nähe der Weltraumbahnhöfe neue Großstädte. Das gemeinsame Ziel ließ die Menschen enger zusammen rücken, als es vorher jemals der Fall gewesen war. Sprache, Hautfarbe oder Nationalität wurden unwichtig, alle wollten nur noch fort.
    Durch ein fehlerhaftes Antriebsaggregat verschlug es ein Forschungsschiff während der Passage durch das Wurmloch in ein anderes Zielgebiet. Nachdem sich Kommandant Gregorius Altair und seine Mannschaft vom ersten Schrecken erholt hatten, erforschten sie die überraschend aufgetauchte Umgebung und entdecktem auch hier einige interessante Planeten. Die Rückkehr zur Erde gelang nach 2 Jahren und unzähligen Versuchen, die abgegebene Energie auf die gleiche Weise zu modulieren, wie bei ihrem unfreiwilligen Herflug. Die Forscher wurden als Helden gefeiert, hatten sie doch eine Möglichkeit geliefert, aus einer Einbahnstraße einen Knotenpunkt zu machen. Drei Jahre später, 37 Jahre nach der Besiedelung von Brazilia wurde Altair als zweite Kolonie gegründet, wenige Jahre später folgte Diarmodes im gleichen Raumsektor. Noch fühlten sich die Menschen dort der Erde zugehörig, doch schon jetzt wurden auf Brazilia erste Stimmen laut, die sich gegen die Bevormundung durch die Erde wehrten und eine Gleichstellung forderten. Entscheidungen dauerten eine Ewigkeit, bis sich endlich alle irdischen Parlamente auf eine einheitliche Vorgehensweise geeinigt hatten, konnten Jahre vergehen. Die Kolonien forderten Abhilfe und drohten, sich andernfalls von der Erde los zusagen und auf eigene Faust zu agieren.
    Zunächst nahmen die Politiker der Erde diese Drohung nicht ernst, aber sie mussten schon bald erkennen, dass sie bildlich gesprochen mit dem Rücken zur Wand standen. Entweder gelang es der Erde, ebenfalls eine einheitliche Regierung zu bilden, oder die Kolonien würden sich von ihnen abwenden. 150 Jahre nach der Entdeckung der Kryo-Sprungtechnik nahm die erste vereinte Erdregierung ihre Arbeit auf. Für die Erde entpuppte sich dieser mutige Schritt als ein Glücksgriff. Bereits während der ersten fünf Jahre gelang es, die Verteilung der vorhandenen Ressourcen zu optimieren und mit jeder Generation wurde das globale Denken selbstverständlicher.

    Im Laufe der nächsten 200 Jahre wurden weitere 8 Kolonien gegründet und es entwickelte sich ein reger Austausch von Handelsgütern. Dies lockte die üblichen zwielichtigen Gestalten an, die schon bald eine optimale Möglichkeit entdeckten, risikolos ihren Schnitt zu machen. Sie platzierten sich in der Nähe eines Wurmloches. Sobald ein Schiff ankam, wurde der Computer durch einen starken EMP-Impuls unterbrochen. Die Besatzung blieb im Kryo-Schlaf und die Piraten leerten das Schiff. Hatte die Besatzung Glück, wurde der Computer wieder in Gang gesetzt, so dass sie doch noch geweckt wurden. Falls nicht, landete das Schiff mit seiner leblosen Fracht früher oder später in der nächsten Sonne. Eher zufällig fand man heraus, dass es trotzdem Überlebende geben konnte.
    Das halb ausgeräumte Wrack der „Golden Star" kreuzte den Weg eines Frachters. An Bord fand man neben den getöteten Besatzungsmitgliedern und Passagieren auch zwei halbverhungerte verängstigte Kinder. Die wenigen Weckimpulse der Automatik hatten für sie ausgereicht, sie hatten Tage alleine im Weltraum verbracht. Es dauerte Monate, bis sie ohne Angst dunkle Räume betreten konnten. Auf massiven Druck der Öffentlichkeit verlangten die Regierungen ein nicht computergestütztes Rettungssystem. Berechnungen ergaben, dass Kinder zwischen drei und maximal sechs Jahren aufgrund ihres Gewichtes und ihrer Körpergröße als erste aus dem Kryo-Schlaf erwachen mussten. Jüngere Kinder konnten nicht betroffen sein, für ihr empfindliches Nervensystem wäre eine Kryonisierung tödlich. Drei Jahre war das Mindestalter, um eine Passage auf einem Raumschiff zu erhalten. Man entwickelte einen Drucksensor, der über eine Zeitschaltuhr eine Rettungskapsel startete, wenn die Mechanik nicht innerhalb von 15 Minuten nach Betreten außer Betrieb gesetzt wurde. Die Kapsel würde ein Notsignal absenden und so auffindbar sein. Zugleich wurden die Raumfahrer verpflichtet, mit den Kindern an Bord Rettungsübungen durchzuführen, damit diese unmittelbar nach dem Erwachen in die präparierte Kapsel liefen und dort auf ihre Abholung warteten. Mit der generellen Einführung dieser Kapseln gab es ein böses Erwachen für die Behörden. Innerhalb von 5 Jahren wurden mehr Notsignale aufgefangen als in den 200 Jahren seit Beginn der Raumfahrt. Hatte man die ersten Kinder noch in Adoptivfamilien untergebracht oder aufwändig Angehörige gesucht, hielt man jetzt eine zentrale Lösung für sinnvoller.
    Das Projekt 'Starchild' wurde ins Leben gerufen. Jedes Kind sollte eine umfassende Förderung erhalten, die alle vorhandenen geistigen und körperlichen Fähigkeiten optimal unterstützte. Im Gegenzug sollte ihm allerdings eine tiefe Loyalität eingepflanzt werden, damit ein Starchild sein Wissen niemals gegen den Verbund der Vereinigten Planeten einsetzen würde. Für beide Anforderungen schien sich eine kostengünstige, neu entwickelte Technik zu eignen: Hypnoseschulungen. Auf der Erde protestierten Eltern und Kinderschutzverbände vehement gegen die ersten Versuche und die Überlegung, diese Schulungsmethoden großflächig einzusetzen, doch ihre Bedenken wurden abgeschmettert. Die schiffbrüchigen Kinder erhielten die generelle Bezeichnung 'Starchild' und eine fortlaufende Nummerierung. Da in der Öffentlichkeit - wenn überhaupt - nur von 'dem Starchild' die Rede war, konnte lange Zeit verschleiert werden, wie hoch ihre Anzahl wirklich war...


    Das Starchild-Center

    Obwohl auf der Erde ins Leben gerufen, hatte man die Starchild-Einrichtungen auf den Planeten Juveno ausgelagert. Juveno war eine noch junge Kolonie, die Behörden wie auch die Bevölkerung hatten genug eigene Probleme und stellte keine Fragen. So konnte ein großes Areal erworben und nach den Vorstellungen der Verantwortlichen eingerichtet werden. Die Lehrmethoden entsprachen den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Unterbringung dem notwendigen Standard. Als die Krise ihren Höhepunkt erreichte, trafen pro Jahr bis zu 200 Kinder im Center ein. Die Gebäude mussten mehrfach großflächig unterirdisch erweitert werden, damit alle Waisen Platz fanden. Schon bald waren die Betreuer hoffnungslos überfordert bei dem Versuch, jedem Kind auch nur annähernd gerecht zu werden. Das Budget des Centers war begrenzt, die Erde und die Kolonien zahlten nur einen Festbetrag pro Kind und berechneten diesen Betrag nach der Anzahl der Starchild am Ende des vorletzten Jahres. Das Geld reichte knapp, um alle mit Kleidung und Lebensmitteln zu versorgen, weiteres oder besser ausgebildetes Personal lag außerhalb der Möglichkeiten. Eine von Kolonie zu Kolonie verschleppte Seuche, die mit Mais, Soja und Weizen die Hauptnahrungsquellen unbrauchbar machte, sorgte für einen weiteren Engpass. Die Zahlungen wurden noch weiter eingeschränkt und die Verantwortlichen mussten sich etwas einfallen lassen.
    Notgedrungen begann man nur vier Jahre nach seiner Einrichtung damit, das Center vollständig neu strukturieren. Das ganze Projekt wurde militärisch straff organisiert und der Tagesablauf vom Wecken um 07.00 Uhr bis zur Nachtruhe zwischen 19:00 Uhr für die jüngsten und 22:00 Uhr für die ältesten Starchild streng reglementiert. Die Kinder wurden in Klassen zusammengefasst und jeweils 50 Kinder einem Betreuer unterstellt, der für die Einhaltung der erforderlichen Disziplin sorgte. Es wurde gespart, wo immer es möglich war. Über die Auswirkungen, die dies auf die Starchild haben würde, war man sich jedoch nicht im Klaren. Erst als man Jahre später die ersten jungen Leute aus ihrer vertrauten Umgebung in das 'normale Leben' entließ, erlebte man eine böse Überraschung. Es gelang ihnen nicht, in einer ungeregelten Umgebung Fuß zu fassen. Sie waren völlig damit überfordert, Freizeit zu haben, ihren Tagesablauf selbst zu gestalten oder sich einen Bekanntenkreis aufzubauen. Auf diese Herausforderungen des täglichen Lebens hatte man sie nicht vorbereitet. Auch das Militär fand keine sinnvolle Verwendung für die neuen Leute. Aufgrund ihrer Ausbildung wären sie für die Offizierslaufbahn prädestiniert gewesen. Sie waren es jedoch nicht gewohnt, anderen Menschen Befehle zu erteilen. Außerdem waren sie aufgrund ihrer Konditionierung bereit, Risiken einzugehen, die weit oberhalb dessen lagen, was einem 'normalen' Soldaten zugemutet werden konnte. Der Erfolg des gesamten Programms stand auf dem Spiel.
    In aller Eile wurde eine Auffanggesellschaft gegründet, die 'Starchild Organisation'. In vertrauten Strukturen wurde den Starchild ein scheinbar normales Leben und Arbeiten ermöglicht. Leider arbeitete das Projekt anfangs nicht Kosten deckend, der Bund der Vereinigten Planeten musste laufend Kapital zuschießen. Martin Taylor, ein junger, ehrgeiziger Manager, wurde zum Leiter beider Bereiche ernannt, um Abhilfe zu schaffen. Während die Zahl der Starchild immer weiter stieg, sorgte er dafür, dass die Fähigkeiten seiner Schützlinge optimal genutzt wurden. Die ehemals humanitär geplante Einrichtung entwickelte sich zu einem gigantischen Wirtschaftskonzern. Riesige Laborkomplexe wurden errichtet und ¾ der Starchild waren in den Bereichen Forschung und Entwicklung aktiv. Eher zufällig entwickelte sich eine hochspezialisierte Einsatztruppe, die überall dort eingesetzt wurde, wo selbst Elitetruppen überfordert waren. Endlich entwickelte sich das Projekt 'Starchild' positiv, zumindest, was den finanziellen Aspekt betraf.

    Ein Manko blieb jedoch: Die Starchild lebten nach eigenen Regeln. Nach den ersten Misserfolgen war der Kontakt zu anderen 'normalen' Menschen so gut wie nicht mehr vorhanden. Bei den seltenen Begegnungen kam es häufig zu Missverständnissen und die Starchild gerieten in den Ruf, arrogant zu sein.

    #2
    Rückblende

    Starchild 3026 - Am Arathor-Sprungtor:
    „Also gut, mein Großer, du weißt jetzt ja schon, wie es geht. Wenn du gleich wieder wach wirst, flitzt du in die Rettungskapsel und ich hole dich da ab. Dann sind wir nur noch ein paar Wochen von unserer neuen Heimat entfernt. Freust du dich schon?“ Der sechsjährige Phillip Morgan sah seinen Vater aufmerksam an und nickte lachend. Lächelnd stupste der ihm auf die Nase. „Und wenn wir uns ein wenig eingelebt haben, bekommst du das Pony, dass Granddad dir versprochen hat. Und ich verspreche dir jetzt schon, du darfst darauf reiten, so oft und so lange du magst – vorausgesetzt, du bist wieder Zuhause, wenn es dunkel wird.“
    Jetzt begannen die blauen Augen des Jungen erst richtig zu strahlen. „Wirklich? Dann freue ich mich noch viel mehr.“ Stürmisch umarmte er seinen Vater.
    „Aber jetzt musst du noch einmal mein großer Junge sein. Achtest du gleich wieder darauf, dass die beiden Mädchen mit dir kommen?“
    „Mach ich, Daddy.“
    Liebevoll strich John Morgan über die hellblonden Haare seines Sohnes. Er wunderte sich noch immer, dass Phillip lieber mit ihm ausgewandert war, statt bei den Großeltern auf der Erde zu bleiben, die sich um ihn gekümmert hatten, nachdem seine Frau vor drei Jahren gestorben war.
    „Es wird Zeit, Sir.“ Die freundliche, aber drängende Stimme des Stewards riss ihn aus seinen Gedanken. Wenige Minuten später warfen die Triebwerke das kleine Passagierschiff durch die Passage und Sekunden später erwachten die drei jüngsten Kinder an Bord aus dem Kälteschlaf. Wie schon nach dem letzten Sprung liefen sie zu der vorbereiteten Rettungskapsel, kuschelten sich auf die Sitze und warteten. Sie bemerkten nicht, dass bei den übrigen Kryokammern die Anzeigen, die den Eingang der Weckimpulse anzeigten, erloschen waren. Als die Rettungskapsel sich mit einem dumpfen Knall vom Schiff löste und dröhnend das Triebwerk ansprang, erschraken die Kinder zwar, glaubten aber noch immer fest daran, dass ihre Eltern sie in den nächsten Minuten abholen würden. Die Zeit verstrich und Phillip wurde klar, dass etwas schief gegangen sein musste. Tapfer versuchte er, diese Erkenntnis vor den beiden jüngeren Mädchen zu verbergen, aber als die kleine dreijährige Maja kurze Zeit später weinend nach ihrer Mama rief, begannen auch bei ihm die Tränen zu fließen. 24 Stunden später wurde die Kapsel von einem vorbei fliegenden Bergungsschiff aufgenommen. Die Kinder saßen apathisch in den großen Sesseln und reagierten kaum auf äußere Reize. Angst und Einsamkeit hatte in ihren Seelen tiefe Wunden hinterlassen. Sie wurden schnellstmöglich zum Starchild-Center gebracht.

    Starchild 3051 – Mantaban City, Lookay

    „Wir sollten wirklich über eine Auswanderung nachdenken, Liebling. In unserem Viertel sind einfach zu viele Jugendbanden. Ich möchte nicht, dass Peter später in eine von ihnen hinein gezogen wird.“
    „Ich weiß nicht, Norma. Woanders ist es doch auch nicht besser.“
    „Aber vielleicht bekommst du auf einem anderen Planeten wieder eine Arbeit, die dir gefällt. Du kannst doch nicht auf Dauer diesen Job machen.“
    „Weißt du, Schatz, mit der Zeit gewöhne ich mich vielleicht daran, für einen Gangster zu arbeiten.“ „Gangster?“
    „Er verdient gutes Geld damit, mich 14 Stunden am Tag in der Gegend herum zu scheuchen, um den Leuten die Schlösser zu öffnen, wenn sie mal wieder ihren Code vergessen haben. Und was bekomme ich dafür? Mein Monatsverdienst reicht ja nicht einmal für die Miete. Vielleicht hast du wirklich Recht und wir sollten uns nach etwas anderem umsehen. Da lief doch neulich dieser Spot im Fernsehen, über die neu zur Besiedelung freigegebenen Planeten. Magst du dich darum kümmern?“
    „Natürlich, gerne.“

    Starchild 3128 - Ein kleiner Bauernhof in der Nähe von Dublin:

    „Wollt ihr Sarah wirklich mitnehmen? Der Flug ist doch viel zu lang für sie und sie ist noch so klein.“ Francis o'Toole sah ihren Sohn flehend an, doch der schüttelte nur den Kopf.
    „Wenn sie uns begleitet, erhalten wir die staatliche Unterstützung für Großfamilien und ohne das Geld können wir uns den Flug nicht leisten. Außerdem könnte ich keines meiner Kinder hier lassen, schon gar nicht unser kleines Engelchen Sarah. Man hat mir versichert, dass auf dem Schiff einige gleichaltrige Kinder sind, mit denen sie spielen kann.“
    „Ich lasse euch alle ungern ziehen, Patrick. Ich habe kein gutes Gefühl bei dieser Reise. Du weißt ja, manchmal habe ich das zweite Gesicht und gerade heute sagt es mir, es wäre besser, wenn ihr einen anderen Flug nehmt.“
    „Das nächste Schiff wird frühestens in zwei Jahren abfliegen. Dann sind die besten Farmplätze schon vergeben und unsere Chancen, uns zu etablieren, würden immer schlechter. Dein zweites Gesicht in allen Ehren, Mutter, aber dieses Mal irrt es sich. Alles wird gut, glaube mir.“

    Starchild 3189 – Altair City
    „Sam, mein Kleiner, was hältst du davon, wenn wir zu deinem Onkel nach Velares ziehen? Rick besitzt dort eine große Ranch und braucht dringend Leute, die ihm helfen. Da gibt es keine Hochhäuser und du kannst so lange draußen spielen, wie du magst.“ Braune Augen unter ebenso braunen Locken strahlte den Vater an. Sam nickte eifrig und klatschte in die Hände. Er war gerne draußen, aber hier auf Altair gab es leider nur wenige Möglichkeiten für Kinder, im Freien zu spielen. Auch Sams Mutter war einverstanden und noch am selben Abend buchte sein Vater die Flüge.

    Starchild 3209 - Vor dem Vanradir-Sprungtor

    Staunend stand der rothaarige Junge vor der Wand, hinter der sich der Bordcomputer der „Freedom“ verbarg. „Was ist das, Mum?“
    „Das, David, ist die Ursache allen Übels. Es ist eine Maschine, die den Menschen das Denken abnimmt. Ich möchte nicht, dass du ihr zu nahe kommst.“ Mit hartem Griff zog die Frau das Kind zur Seite.
    Kopfschüttelnd sah der Computertechniker zu ihr hinüber. Wie konnte man nur so verbohrt sein und glauben, Technik sei etwas Böses. Er hatte für diese Fanatiker kein Verständnis und bedauerte den Jungen zutiefst. Der kleine Rotschopf machte einen aufgeweckten und interessierten Eindruck. Mit einer vernünftigen Ausbildung konnte er es sicherlich weit bringen. „Bitte machen Sie sich für den Kryo-Sprung bereit, Madam. Wir haben nur noch fünf Minuten. Und du, Kleiner, nicht vergessen, sobald du wach wirst, läufst du in die Kapsel, die wir dir gezeigt haben und wartest da, bis deine Eltern dich holen.“
    „Ja, Sir, mache ich.“

    Starchild 3217- Altair Raumhafen:

    Aufgeregt hüpfte ein kleines, dunkelhaariges Mädchen auf und ab. Aus riesengroßen Augen bestaunte es das rege Kommen und Gehen auf Altairs Raumflughafen. Am Liebsten wäre sie los gestürmt, um sich alles aus der Nähe anzuschauen, aber ihr Großvater hielt eisern ihre Hand fest, während er sich von seiner Frau verabschiedete. Dann beugte er sich zu der Kleinen hinunter. „Und du, mein Mäuschen? Bekomme ich von dir denn gar kein Abschiedsküsschen?“
    Ohne den Blick von den vielen interessanten Dingen zu wenden, drückte die Kleine ihm einen Kuss auf die Wange. „Bis nachher, Opi.“
    Er tauschte einen lächelnden Blick mit seiner Frau und nickte. „Ja, mein Schatz. Bis nachher. Ich wünsche euch einen guten Flug. Sei schön brav und ärgere Omi nicht, hörst du?“
    Ernsthaft schüttelte das Mädchen den Kopf, dass die Rattenschwänzchen flogen. „Mach ich nich'.“
    „Dann ab mit euch, ich muss wieder ins Büro. Wir sehen uns in vier Monaten, Liebes.“
    Seine Frau nickte und nahm das Handgepäck. „Komm Angela, gehen wir an Bord.“ Mrs. Andrews führte ihre Enkelin durch die Sicherheitskontrollen an Bord des Transfershuttles. Sie erhielten einen Platz am Panoramafenster zugewiesen und das Kind verfolgte mit strahlenden Augen, wie der Planet unter dem Schiff wegzusacken schien. In den folgenden Wochen hatte sie alle Hände voll zu tun. Die kleine Dreijährige war wie ein Irrwisch und erkundete das Schiff bis in den hintersten Winkel. Nach zwei großen Suchaktionen gewöhnte sich die Besatzung an, die Schotten zu den nicht für Passagiere freigegebenen Bereichen sofort wieder zu schließen und sich vor dem Verlassen jeden Raumes zu vergewissern, dass sich nicht doch ein kleiner Entdecker eingeschlichen hatte. Böse konnte sie dem Mädchen trotz der zusätzlichen Arbeit nicht sein. Mit ihrem freundlichen, charmanten Wesen brachte sie die Herzen der Erwachsenen gleich reihenweise zum Schmelzen. Joanna, das zweite Kind an Bord war schon fünf und für ihr Alter sehr vernünftig. Nach dem Kryo-Sprung, der die „Orion“ in den erdnahen Raum brachte, achtete sie darauf, dass die Kleine wirklich in die Rettungskapsel stieg und dort blieb. Auch diese beiden Mädchen erschraken fast zu Tode, als sich nach Ablauf der Karenzzeit von 15 Minuten das Schott der Kapsel schloss und die Triebwerke zündeten. 28 Stunden mussten sie ausharren, bevor ein Schiff sie an Bord nahm und nach Juveno brachte. Als sie drei Wochen später im Center eintrafen, hatte das kleine Mädchen noch kein einziges Wort gesprochen. Der Schock saß so tief, dass man schon befürchtete, sie habe einen dauerhaften geistigen Schaden erlitten. Erst nach etwas mehr als einem Jahr schien sie langsam das Trauma zu überwinden und auf die Schulungsmethoden des Centers anzusprechen.

    Etwa fünf Jahre später im Center:
    Martin Taylor betrachtete zufrieden die Statistiken. Das Center entwickelte sich prächtig. Natürlich musste man hier und da noch ein wenig an der Kostenschraube drehen, aber das war das kleinste Problem. Es klopfte und im nächsten Moment wurde die Tür aufgerissen. „Verzeihung, Mr. Taylor, wir haben ein Problem.“
    „Ein Problem? Was ist denn los, Mr. Harding? Nun reden Sie doch schon.“ Taylor sah den Mann auffordernd an.
    „3168 ist tot, Sir.“
    „Tot? Wie konnte das passieren?“
    „Wir haben das Team über den Parcours geschickt. Er hat sich nicht ordentlich gesichert und ist abgestürzt. Genickbruch, nichts mehr zu machen.“
    „Das ist ärgerlich, er hatte gute Anlagen. Wie nehmen die anderen es auf?“
    „Sie sind natürlich geschockt und etwas verunsichert. Wir sollten kurzfristig einen Ersatz einfügen.“
    „Haben wir denn noch Alternativen?“
    „3217 ist viel versprechend, 3287 und 3296 kämen auch noch in Frage. Wir könnten notfalls auch auf 3327 zurückgreifen, aber der ist noch sehr jung.“
    „3327 ist noch jünger als 3217. Nein, er scheidet aus, der wirft die Gruppe nur zurück. Was glauben Sie, wer hat die besten Anlagen?“
    „Wenn es uns gelingt, die negativen Tendenzen auszumerzen, wäre das meiner Meinung nach 3217, Sir.“
    „3217 ist renitent.“
    „Das sollte 3026 in den Griff bekommen, Sir. Er kann sehr dominant sein.“
    „Gut. Bekräftigen Sie ihn darin, für Ordnung zu sorgen. Die Eingliederung von 3217 darf die geplante Entwicklung auf keinen Fall beeinträchtigen. Sie wissen, was davon abhängt, dass alles nach Plan verläuft.“
    „Ja, Mr. Taylor, das weiß ich.“
    „Sehr schön. Veranlassen Sie, dass 3217 morgen in das Quartier des Teams gebracht wird. Instruieren Sie 3026 heute schon, damit er weiß, was ihn und den Rest des Teams erwartet. Ich erwarte binnen vier Wochen erste Ergebnisse.“
    „Ja, Sir.“ Harding verließ den Raum und fuhr mit dem Lift 35 Etagen in die Tiefe. Im 5. Sublevel stieg er aus und steuerte auf die Quartiere der 7-10jährigen zu. Zu seinem Ärger waren diese jedoch gerade in der Sporthalle, so dass er das Gebäude doch verlassen musste. Die Kinder absolvierten gerade ihre täglichen Fitnessübungen, als Harding in die Halle platzte. Seine befehlsgewohnte Stimme hallte. „3217?“
    Eine dünne Stimme meldete sich. „Hier, Sir.“
    „Antreten.“ Zögernd setzte sich das Kind in Bewegung, während es überlegte, für was es jetzt eine Bestrafung zu erwarten hatte. „Los, Tempo, schlaf nicht ein.“
    Der für die Gruppe zuständige Betreuer kam zu ihm. „Was ist denn los, Mr. Harding?“
    „3217 wird morgen zu Team drei verlegt. 3168 ist ausgeschieden.“
    „Dann wünsche ich Ihnen viel Glück. 3217 ist nicht leicht zu händeln.“
    Harding lachte, ein kaltes und unbarmherziges Geräusch. „Keine Sorge, das schaffen wir schon. 3217, ich hole dich morgen um 0700 in deinem Quartier ab.“
    „Ja, Sir.“
    „Du kannst weitermachen.“

    Zielstrebig kehrte Thomas Harding in das Quartier des zukünftigen dritten Teams zurück. „3026.“
    Ein blonder, hoch aufgeschossener Junge sprang auf. „Ja, Sir?“
    „Mitkommen.“ Ohne sich weiter um den Jungen zu kümmern, ging er in sein Büro. „Mach die Tür zu.“
    „Ja, Sir.“
    Harding setzte sich hinter seinen Schreibtisch und sah sein Gegenüber an. „Morgen erhält das Team ein neues Mitglied. 3217 ist acht und gilt als renitent. Du wirst keinen Ungehorsam und keine Befehlsverweigerung dulden. Alle weiteren Anwärter wären noch jünger und würden euch unnötig zurück werfen, also sorge dafür, dass du 3217 zur Räson bringst und unter Kontrolle hältst. Du hast alle erforderlichen Vollmachten. Instruiere auch das Team entsprechend.“
    „Ich habe verstanden, Sir.“
    „Gut. Du kannst wegtreten.“ Der Junge drehte sich um.
    „3026.“
    „Ja, Sir?“
    „Lass dir in der Kleiderkammer eine längere Hose geben, diese ist zu kurz.“
    „Ja, Sir. Danke, Sir.“ Fragend sahen die übrigen Teammitglieder ihm entgegen. Er hob die Schultern. „Wir bekommen morgen einen Neuen zugewiesen. 3217 ist acht und soll ziemlich renitent sein. Ich habe die Weisung, nichts durchgehen zu lassen.“
    3209, ein großer rothaariger Junge, fast so alt wie er, aber noch nicht so lange im Center, sah ihn zweifelnd an. „Acht Jahre ist aber sehr jung. Meinst du, das klappt?“
    3026 zuckte mit den Schultern. „Dann wird er sich eben anstrengen müssen. Unsere Ausbildung geht normal weiter, wir können nicht monatelang auf einen Neuling warten.“ Die anderen drei nickten bestätigend. 3128, das einzige Mädchen in der Gruppe, hatte erst vor wenigen Minuten von 3026 einen Anranzer wegen einer fehlgeschlagenen Übung erhalten und wagte nicht, seine Aufmerksamkeit erneut auf sich zu lenken. 3051 und 3189 waren ohnehin sehr schweigsam und sagten kaum etwas, wenn sie nicht ausdrücklich dazu aufgefordert wurde. 3026 führte sein Team zum Essen. Wie üblich blieben sie unter sich und sorgten dafür, dass zwischen ihnen und den anderen Starchild am Tisch mindestens ein freier Stuhl Abstand war.
    „Schaut mal, da drüben sitzt Team eins.“ 3128 hatte die schwarzen Overalls des älteren Teams sofort gesehen. 3026 nickte ihr anerkennend zu. Sie alle bewunderten die sechs Starchild, die bereits im aktiven Einsatz waren und konnten es kaum erwarten, es ihnen gleich zu tun. Immerhin trugen auch sie schon die schwarzen Overalls, während alle anderen Starchild in dunkelgrau gekleidet waren. Nachdenklich ließ 3209 seinen Blick über die einheitlich kurz geschorenen Köpfe gleiten. Wer von denen mochte 3217 sein? Nach dem Abendessen legten er und sein Team eine weitere Trainingseinheit ein, damit Kraft und Ausdauer aufgebaut wurden.

    Am nächsten Morgen, kurz nach sieben Uhr führte Ausbilder Harding ein schmales dunkelhaariges Kind in die Trainingshalle. Neugierig, aber auch ein wenig ängstlich, sah es sich um. Auf Hardings Zeichen unterbrach die Gruppe ihr Aufwärmtraining und versammelte sich bei ihm. „Das ist 3217. Sie ist ab sofort Team drei zugeordnet und dir unterstellt, 3026.“
    Der blonde Junge salutierte. „Ja, Sir.“
    „Weitermachen.“
    Skeptisch musterte 3026 sein neues Teammitglied. So mickrig hatte er sich den Neuzugang nicht vorgestellt. Und dann auch noch ein weiteres Mädchen. 3128 mit ihrer mangelnden Konzentration reichte ihm gerade. Er deutete auf sich und danach auf die übrigen Mitglieder seiner Gruppe. „3026, 3209, 3189, 3051 und 3128. 3209 bringt dich zum Depot, damit du neu eingekleidet wirst. Dann meldest du dich wieder hier. Beeil' dich, los.“ Das Mädchen nickte und folgte dem Jungen. Eine Viertelstunde später stand sie wieder in der Halle und verfolgte staunend ein Nahkampftraining. Das sah ganz schön schwer aus. Im nächsten Moment wurde sie schon angepflaumt, weshalb sie keine Meldung gemacht habe.
    Erschrocken sah sie 3026 an. „Ich – ich wollte euch nicht stören.“ Sie merkte schnell, dass dies nicht die richtige Antwort gewesen war, denn schon setzte er zum nächsten Donnerwetter an. Den Rest des Tages wurde sie erbarmungslos durch sämtliche Trainingseinheiten geschleift. Sie gab ihr Bestes, aber da der Rest der Gruppe ihr zwei Jahre intensives Training voraus hatte, hatte sie keine Chance, den Anforderungen zu entsprechen. Die Tränen standen ihr in den Augen, wenn 3026 sie wieder einmal ausschimpfte, aber sie beherrschte sich eisern. Sie hatte in den letzten Jahren gelernt, dass Tränen es nur schlimmer machten. Mitleid gab es im Center nicht.

    3026 erwies sich als sehr streng. Lob gab es von ihm nie, auch nicht für die anderen vier Teammitglieder. Nach vier Tagen hatte 3217 genug davon, angeschrien zu werden und schlich sich abends, als Bettruhe angeordnet worden war, davon. Geschickt nutzte sie die Belüftungs- und Wartungstunnel, um zu ihrem alten Schlafraum zu gelangen. Sie hatte schon vor Jahren zufällig entdeckt, dass diese Rohre für ein kleines Mädchen ein hervorragendes Versteck abgaben. Die beiden Mädchen, mit denen sie sich im Laufe der Zeit angefreundet hatte, waren begeistert, sie zu sehen. Doch als sie sich umarmten, geschah etwas merkwürdiges. Ihr ganzer Körper verkrampfte sich, schien zu brennen und sie bekam plötzlich keine Luft mehr. Kurze Zeit später wurde die Tür aufgerissen und Ausbilder Harding stürmte in das kleine Zimmer. Wortlos packte er 3217 am Arm und zerrte sie hinter sich her. Erst als sie in der Trainingshalle angekommen waren, brüllte er das Kind an. Nach einer geharnischten Strafpredigt ließ er sie Strafrunden rennen, klettern und springen, bis sie kaum noch laufen konnte. Dann brachte er sie in das Quartier zu den anderen, weckte 3026 und übergab ihm die Übeltäterin. Von 3026 erhielt sie die nächste Strafpredigt, aber mittlerweile war sie so müde, dass sie fast im Stehen einschlief und nur einen Bruchteil mitbekam.
    Der nächste Tag wurde sehr hart. Ohne ausreichend Schlaf und mit vom Straftraining schmerzenden Muskeln quälte sie sich dahin. Ihre Ergebnisse waren noch schlechter als am Vortag und 3026 schrie sie schon wieder an. Keiner der anderen sagte etwas dazu. Als sie später am Nachmittag eine Waffe in die Hand gedrückt bekam und sie zerlegen sollte, war 3217 völlig überfordert. Aus den Augenwinkeln bemerkte sie, wie 3189 seine Aufgabe souverän, fast beiläufig erledigt. Er sah recht nett aus, jedenfalls freundlicher als 3026, wenn sie ihn nach etwas fragte. Also nahm sie ihren ganzen Mut zusammen und sprach den dunkelhaarigen Jungen an. „Kannst du mir bitte zeigen, was ich jetzt machen soll?"
    3189 blickte überrascht auf. „3026 soll dich ausbilden."
    „Aber der schimpft immer und erklärt es mir nicht. Außerdem ist er nicht da und du kannst das ohnehin besser als er. Jedenfalls bist du viel schneller."
    „Also gut. Pass auf, ich zeige es dir einmal ganz langsam."
    3217 nickte. Aufmerksam beobachtete sie, wie sich die Waffe zerlegen und wieder zusammen setzen ließ. Als 3189 fertig war, versuchte sie es selbst. Zweimal musste 3189 eingreifen, als sie empfindliche Bauteile gewaltsam in die falschen Lücken drücken wollte. Danach hatte sie es verstanden. Sie war zwar langsamer als die anderen, aber auch ihre Waffe war hinterher noch voll funktionstüchtig. Zum ersten Mal wurde sie zwar getadelt, weil sie noch zu langsam war, aber nicht ausgeschimpft und angeschrien, weil sie alles falsch gemacht hatte. 3189 fing ihren dankbaren Blick auf und nickte ihr fast unmerklich zu.
    An diesem Abend musste sie ihren verlorenen Schlaf nachholen, aber schon in der nächsten Nacht verschwand sie wieder und besuchte ihre Freundinnen. Wieder war es ihr nicht möglich, sie ohne Schmerzen zu berühren und wieder erschien Harding vor Wut schnaubend, kurz nachdem sie es versucht hatten. Bei ihrem nächsten Besuch stellten sie fest, dass ihr Verschwinden deutlich länger unbemerkt blieb, wenn die Freundinnen sie nicht berührten. Die Strafen für ihr Ausreißen ließ sie ohne ein sichtbares Zeichen der Reue über sich ergehen. Es machte schließlich keinen Unterschied, ob man sie anschrie, weil sie die normalen Aufgaben nicht ordentlich erledigte, oder weil sie beim Straftraining zu langsam und zu ungeschickt war. In den folgenden vier Wochen verging kein Tag, an dem sie sich nicht davon schlich. Sie wollte nicht in dieser Gruppe sein, wo alle älter als sie waren und niemand mit ihr sprach. Die zusätzlichen nächtlichen Unterrichtsstunden machten ihr nichts mehr aus, sie hatte sich schon fast daran gewöhnt. Doch in dieser Nacht sollte sich alles ändern.

    Als Harding sie blass vor Wut in die Trainingshalle schubste, warteten dort bereits die übrigen fünf Teammitglieder. Harding hielt 3217 eisern am Arm und musterte die Gruppe zornig. „Euer Teammitglied hier ist bewusst ungehorsam. Da es sie nicht zu stören scheint, wenn sie eine Strafe bekommt, werden wir jetzt dazu übergehen, EUCH für sie zu bestrafen. Bedankt euch bei ihr, dass ihr jetzt hier seid."
    3217 war wie erstarrt. Das hatte sie nicht gewollt. Am Schlimmsten war, dass sie neben Harding stehen bleiben und zusehen musste, wie ihre fünf Kameraden durch die Halle gescheucht wurden. 3217 war noch immer ganz blass vor Schreck. Sie wusste, die anderen würden böse auf sie sein und dieses Mal hatten sie auch allen Grund dazu. Endlich schickte Harding sie in ihr Quartier zurück. Mit Tränen in den Augen hielt sie den ernsten Blicken der anderen stand. Ihre Stimme war leise und zitterte. „Es tut mir Leid, das habe ich nicht gewollt. Ich wusste nicht, dass sie euch für mich bestrafen. Es kommt nicht wieder vor."
    3026 machte zwei Schritte auf sie zu und hob die Hand um sie zu packen und zu schütteln, wie er es in den letzten Tagen oft getan hatte. 3209, 3189 und 3051 hielten ihn zurück. „Lass sie. Sie hat es wirklich nicht gewusst."
    3026 sah 3209 zornig an. „Wir dürfen es ihr nicht durchgehen lassen, begreifst du das nicht? Sie ist ungehorsam, sie wird es immer wieder machen."
    3209 blickte zu 3217 hinüber und fragte streng: „Gibst du uns dein Wort, dass es nicht wieder passiert?"
    Sie schluckte und nickte dann. „Ich werde nicht wieder zu ihnen gehen. Ich verspreche es."
    3209 nickte. „Ich glaube dir, aber damit ist es nicht getan. Du darfst auch nicht mehr mit ihnen sprechen. Am Besten siehst du sie nicht einmal mehr an. Du bist jetzt Mitglied des dritten Einsatzteams und wir haben keinen Kontakt zu den anderen Starchild." Sie wurde noch blasser, senkte den Kopf und schloss die Augen. Seine Stimme wurde freundlicher. „Ich weiß, es ist nicht einfach, aber es muss sein. Nur so sind wir wirklich effektiv."
    Noch immer hielt sie den Kopf gesenkt und schwieg. Dann atmete sie tief durch, sah die anderen fest an und nickte. „Ich verspreche es."
    3209 drückte freundschaftlich 3026's Arm. Er wusste, wie er mit ihm umgehen musste, immerhin kannten die Beiden sich schon seit mehr als zwei Jahren. „Ich glaube ihr. Gib ihr die Chance, uns zu beweisen, dass sie es ehrlich meint."
    3026 entspannte sich langsam. „Also gut. Aber wehe dir, wenn du uns anlügst."
    Sie erwiderte den Blick offen. „Ich lüge nicht. Ich habe das gerade nicht gewollt und auch nicht gewusst, dass sie so etwas machen. Es kommt nicht wieder vor, ich verspreche es."
    Wenige Minuten später herrschte wieder Ruhe im Quartier des dritten Teams. 3217 lag noch lange wach. Jetzt konnte sie ihre Tränen nicht mehr zurück halten. Der Verlust ihrer Freundinnen tat weh, aber sie wusste, sie hatte keine andere Wahl. Als sie eine Bewegung neben sich ahnte und gleich darauf eine Hand an ihrem Gesicht spürte, erschrak sie.
    3128 flüsterte: „Sei nicht traurig. Du gewöhnst dich daran. 3026 ist nicht so gemein, wie es scheint. Er kann nur Pfusch nicht leiden und will, dass wir alle unser Bestes geben. Wenn das nicht klappt, wird er manchmal etwas ungeduldig. Du lernst schnell, bald wird er dich nicht mehr ständig anschreien. Dann wird es dir bei uns auch besser gefallen. Schlaf jetzt."
    3217 nickte. Sie fühlte sich getröstet, auch wenn sie dem anderen Mädchen nicht ganz glauben konnte. „Danke. Schlaf gut."
    „Du auch."

    Bisher hatte 3217 die Schelte von 3026 schweigend über sich ergehen lassen und sich auf die Zeit mit ihren Freundinnen gefreut. Jetzt, wo sie diesen Ausgleich nicht mehr hatte, beschloss sie, sich zu wehren. Wann immer er sie ausschimpfte, weil sie etwas falsch machte, fauchte sie zurück, er solle es ihr dann doch gefälligst richtig zeigen. 3026 fühlte sich dadurch in seiner Eigenschaft als Teamleiter angegriffen und versuchte, sich mit allen Mitteln Respekt zu verschaffen. Er ahnte nicht, dass alle Versuche, sie mit Gewalt zu brechen, ihren Kampfgeist nur stärkten. 3217 konnte nicht sagen, was sie antrieb, aber seine Ungerechtigkeit war wie ein Dorn, der sie immer wieder anstachelte. Da sie die Lektionen in einer anderen Reihenfolge lernte als der Rest des Teams, kamen ihr manche Abläufe unlogisch vor. Doch wenn sie Verbesserungsvorschläge anbrachte oder nach dem Sinn einer Übung fragte, wurde sie von 3026 mit dem Hinweis auf die Ausbildungsvorschriften einfach nur abgeschmettert.
    Je länger sie im Team war und je mehr sie lernte, um so mehr störte sie sein Verhalten. Die anderen vier Teammitglieder beobachteten die Entwicklung mit Sorge. Sie mussten dem Neuling teilweise Recht geben, ihnen war aber bewusst, dass sie dies keinem der beiden Kampfhähne sagen konnten, ohne die Situation noch weiter eskalieren zu lassen. Aber auch ihr Schweigen brachte nicht den gewünschten Erfolg. Da das Mädchen einfach nicht nachgeben wollte, nutzte 3026 das gemeinsame Nahkampftraining, um ihr zu beweisen, dass er der Stärkere war. Doch sie hatte inzwischen einiges gelernt. Immer öfter gelang es ihr, sich für schmerzhafte Treffer entsprechend zu revanchieren und viele Trainingseinheiten endeten damit, dass sich beide Streithähne blutende Wunden verarzten lassen mussten.

    „Mister Harding, erklären Sie mir bitte, was in Team drei los ist? Die Ergebnisse werden immer schlechter und ständig ist jemand verletzt. Was machen Sie da unten?“
    „Verzeihung, Mr. Taylor, aber 3217 in das Team zu geben, war scheinbar doch nicht die optimale Entscheidung. 3026 ist überfordert, er bekommt sie nicht in den Griff.“
    „Wie bitte? Das ist nicht ihr Ernst, Harding.“
    „Doch, Sir, es ist leider so. Die Kleine ist ständig auf Konfrontationskurs mit 3026 und er ist nicht flexibel genug, um ihr Paroli zu bieten. Ihre Leistungen sind sehr viel besser geworden, aber sie verschwenden ihre Energie in Streitereien.“
    „Dann unterbinden Sie den Streit. Sofort. Wir investieren Unsummen in die Ausbildung dieser Kinder und ich bin nicht bereit, das Geld zu verschwenden. Haben Sie eine Idee, was das Center verdient, wenn wir drei Teams einsetzen können?“
    „Nein, Sir.“
    „Jeder Einsatz eines Teams bringt uns einen sechsstelligen Nettoerlös. Glauben Sie, das lasse ich mir von zwei unerzogenen Starchild kaputt machen? Niemals. Entweder bekommen Sie die Lage in den Griff, oder die Gruppe wird aufgelöst und wir fangen mit einem anderen Ausbilder noch einmal ganz neu an.“
    Harding schluckte. „Ich habe verstanden, Mr. Taylor.“

    Unter dem Eindruck dieses Gespräches knöpfte sich Thomas Harding die beiden Streithammel vor. Danach ließ er die Gruppe antreten und machte noch einmal deutlich, dass er eine Fortsetzung der Situation nicht dulden würde. Mit zornrotem Gesicht musterte er die Teammitglieder. „Damit eines klar ist: Ich dulde keinen Streit. Entweder bekommt ihr die Situation in den Griff, oder das gesamte Team muss mit harten Konsequenzen rechnen. Ist das klar?"
    Sechs Stimmen schmetterten: „Ja, Sir." Im Anschluss an diese offene Drohung sprachen 3026 und 3217 nur noch das Notwendigste miteinander. Vor allem 3217 wollte nicht noch einmal dafür verantwortlich sein, dass das ganze Team eine Strafe erhielten. Streiten durften sie nicht, das hatte Ausbilder Harding verboten, aber ihre gegenseitige Abneigung wurde dadurch auch nicht geringer. Doch auch Schweigen erwies sich nicht als Lösung ihrer Probleme, denn die Stimmung im Team wurde immer schlechter. Jedes Wort musste genau abgewogen werden. 3026 war inzwischen so gereizt, dass er auf jeden Hauch einer Kritik mit offenem Zorn reagierte und seine mühsam unterdrückte Wut auch an den anderen Mitgliedern der Gruppe ausließ. Auch 3217 erinnerte an einen Vulkan kurz vor dem Ausbruch. Sie schwieg eisern, aber die Blicke, die sie mit ihrem Teamleiter tauschte, sprachen Bände.

    Einige Wochen später waren 3189 und 3209 zu einer Routineuntersuchung in der Krankenstation. Sie wollten gerade gehen, als 3209 Ausbilder Harding bemerkte, der mit einem der Psychologen sprach. Leise schlichen die beiden Jungen näher. Was sie hörten, beunruhigte sie sehr.
    „Ich weiß nicht, was ich noch machen soll, Doc. Es war wohl doch ein Fehler, die Kleine in das Team zu integrieren. 3026 bekommt sie einfach nicht in den Griff. Jetzt schlägt das auf die Ergebnisse der ganzen Gruppe durch. Wenn sich die Lage nicht bald bessert, müssen wir dieses Team auflösen und ganz neu anfangen."
    Völlig entsetzt kehrten die beiden in ihr Quartier zurück. 3128 und 3051 waren ebenfalls schon wieder da. Als die beiden Jungen ihnen berichteten, was sie gehört hatten, beschlossen die Vier, nicht mehr länger zu schweigen. Ihrer Ansicht nach könnten sich 3217 und 3026 gut ergänzen, wenn es ihnen gelänge, ihre Streitigkeiten bei zulegen. Also mussten sie dafür sorgen, dass die Beiden nicht mehr aneinander gerieten. Entweder hielten sie freiwillig Frieden, oder sie würden sie dazu zwingen. 3189 und 3128 wurden dazu bestimmt, 3217 zu helfen, ihre restlichen Lücken zu füllen. 3209 und 3051 sollten 3026 in Schach halten, damit er sie nicht mehr anschrie, wenn sie aus Unwissenheit Fehler machte.
    Kurze Zeit später trafen 3217 und 3026 ein. Ausbilder Harding hatte sie noch einmal ins Gebet genommen und darauf hingewiesen, dass es nicht Sinn des Trainings sei, sich ständig zu verletzen. 3026 erstarrte, als 3209 ihm erklärte, was sie beschlossen hatten. Bevor er etwas sagen konnte, hob 3051 die Hand. „Sie werden nicht nur einen von euch aus dem Team nehmen, sondern uns alle auseinander reißen. Wir wollen aber nicht getrennt werden, nur weil ihr euch ständig streiten müsst. Wir haben nur noch diese eine Chance, ihnen zu beweisen, wie gut wir sind. Es gibt keine Alternative: Entweder vertragt ihr euch freiwillig, oder wir bringen euch dazu."
    3026 öffnete wieder den Mund, aber dieses Mal unterbrach 3209 ihn. „Du bist unser Teamleiter, das will auch keiner von uns in Frage stellen. Aber 3217 hat - zwar nicht immer, aber oft - Recht, wenn sie sich gegen die Art wehrt, wie du sie behandelst. Du bist ihr gegenüber ungerecht. Warum? Mit uns gehst du doch auch nicht so um. Ihr werdet vielleicht nie Freunde werden, das ist auch gar nicht notwendig. Aber wenn ihr gegeneinander kämpft, schadet ihr nicht nur euch selbst, sondern uns allen und damit ist jetzt Schluss."
    3026 schluckte. So entschlossen hatte er die anderen noch nie erlebt. Hatten sie denn wirklich recht? „Ausbilder Harding sagte mir..."
    „Ausbilder Harding sagt, wenn sich nichts ändert, wird unser Team aufgelöst. Das allein ist wichtig." 3209 nahm 3026 am Arm und zog ihn beiseite. Leise sagte er: „Lass es uns doch wenigstens versuchen. Wenn es nicht funktioniert, greifen wir ein, aber gib ihr und uns eine Chance."
    3026 schüttelte den Kopf. „Sie wird sich nie anpassen."
    „Vielleicht doch. Weißt du, manchmal sind ihre Ideen gar nicht so schlecht. Vielleicht solltest du sie dir wenigstens anhören und sie nicht sofort ablehnen. Wenn sie das Gefühl hat, du nimmst sie ernst und meckerst nicht nur an ihr herum, wird sie dich auch respektieren."
    Ein zweifelnder Blick traf ihn. „Das kann ich mir nicht vorstellen."
    „Wir schon. Komm, gib uns eine Chance." 3026 nickte zögernd.
    In der Zwischenzeit hatten 3128 und 3189 3217 erklärt, wie es weiterging. „Wenn du Fragen hast, wendest du dich zuerst an uns. Wenn wir nicht weiter wissen, fragen wir ihn."
    3217 nickte ebenso zögernd wie 3026. „Er wird trotzdem nicht aufhören, an mir herum zu meckern. Manchmal habe ich das Gefühl, es macht ihm einfach nur Spaß."
    3128 schüttelte den Kopf. „So ist er nicht. Glaube es mir ruhig, ich kenne ihn länger als du."
    „Aber mit dir schimpft er doch auch ständig."
    „Nur, wenn ich meine Aufgaben schlecht erledige, sonst nicht."
    Sie nickte, aber ihr Gesicht blieb skeptisch. „Wenn du das sagst..."

    Schnell stellten die vier Starchild fest, dass es gar nicht so einfach war, ihre beiden 'Kampfhähne' dauerhaft zu trennen. Immer wieder mussten sie eingreifen und verhindern, dass sie aneinander gerieten. Nach vier nervenaufreibenden Wochen musste jedoch selbst 3026 zugeben, dass die Neue große Fortschritte machte und ihr meistens nur noch die nötige Ausdauer fehlte, um mithalten zu können. Auch wenn es ihn noch immer nervte, dass sie die Gruppe behinderte, bemühte er sich, nicht mehr ungerecht zu werden. Zu seiner großen Überraschung stellte er fest, dass sie seinen Anweisungen dann ohne Protest gehorchte und alles gab, um ihre Aufgabe ordentlich auszuführen. Selbst wenn er sie auf Fehler aufmerksam machte, stritt sie nicht sofort mit ihm herum, sondern suchte nach einer Lösung. Er verstand die plötzliche Wandlung nicht, aber er spürte, wie sich die Stimmung im Team ganz langsam normalisierte.

    Kommentar


      #3
      Die Ausbildung

      Für die Ausbilder war nicht nachvollziehbar, was innerhalb der Gruppe geschehen war. Fest stand jedoch, es floss nicht mehr täglich Blut und die Ergebnisse wurden kontinuierlich besser. Schon nach wenigen Wochen sprach niemand mehr davon, das Team aufzulösen. Nachdem sich die Leistungen von 3217 dauerhaft verbesserten, überlegte Harding, was ihr Spezialgebiet werden könnte. 3209, der große rothaarige Junge, besaß ein großes Talent im Umgang mit Computern. 3128 war ihm fast ebenbürtig, sofern es ihr gelang, nicht nervös zu werden. 3189 besaß eine erstaunliche Sicherheit, wenn es um den Einsatz von Sprengstoffen ging, während 3051 sich hervorragend darauf verstand, Schlösser zu öffnen und eine beeindruckende Trefferquote beim Schießtraining erzielte. Weder der Teamleiter 3026 noch 3217 zeigten besondere Fähigkeiten, die gefördert werden mussten. Beide waren jedoch zäh und behielten meistens die Übersicht. Er beschloss, das Mädchen für die Wartung der Kampfpanzerungen ausbilden zu lassen, die die Teams während der Einsätze trugen. Die Erfahrungen mit dem ersten Team hatten gezeigt, dass es sinnvoll war, für diese Aufgabe einen Spezialisten zu schaffen, der kleinere Probleme vor Ort beseitigen konnte.

      Als Teamleiter erhielt 3026 eine zusätzliche Ausbildung. Er musste lernen, die Leistungen der anderen Mitglieder zu beurteilen und sich Maßnahmen zu überlegen, sie zu fördern und zu Höchstleistungen anzuspornen. Zusätzlich erhielt er regelmäßig taktische Aufgaben, damit er später die Einsatzpläne seines Teams erarbeiten konnte. Die meisten dieser Aufgaben waren logisch aufgebaut und bereiteten ihm keine großen Probleme, aber manchmal grübelte er stundenlang über den Daten, ohne einen Weg zu finden. Je länger das dauerte, um so schlechter wurde seine Laune, bis niemand mehr wagte, ihn anzusprechen. An einem dieser Tage nahm 3217 allen Mut zusammen und fragte leise: „Kann ich dir helfen?“
      Ein überraschter Blick traf sie. Offensichtlich hatten die Anderen ihn das noch nie gefragt. Zögernd hob er die Schultern. Seine Stimme klang skeptisch, aber nicht unfreundlich. „Nein, ich glaube nicht, dass du mir helfen kannst.“
      „Darf ich es trotzdem versuchen?“
      „Gut, warum nicht. Hier sind die Daten.“ Er startete die Ansichten neu und schob ihr das Display zu.
      Sorgfältig las sie die Angaben durch. „Die Aufgabe ist, an der Überwachungsanlage vorbei zu dieser Tür zu gelangen, richtig?“
      „Genau.“
      Das Mädchen legte den Kopf schief und nickte leicht. Dann rief sie eine der Ansichten auf. „Kann man sich nicht einfach über die Decke dorthin hangeln, so, wie wir es gestern geübt haben? Die Überwachung endet hier auf 2 Metern Höhe. Von dort bis zur Decke ist ein halber Meter Platz, das müsste doch reichen, um die Ausrüstung anzusetzen, oder?“
      3026 sah sie überrascht an. Er zog den Display zurück und prüfte die Möglichkeiten der Gruppe. Nach ein paar Minuten nickte er anerkennend. „Das kann wirklich funktionieren. Danke für den Tipp, darauf wäre ich nicht gekommen.“
      Sie strahlte und freute sich sichtlich. „Gerne.“
      Harding war sehr überrascht, als 3026 ihm so schnell eine Lösung präsentierte. Skeptisch überflog er die Angaben, um dann ebenfalls anerkennend zu nicken. „Gute Arbeit. Nicht die Lösung, die ich erwartet habe, aber eine gute Alternative.“

      Einige Tage später sollte die Gruppe am Ende eines anstrengenden Tages eine komplizierte Übung fehlerfrei beenden. Jeder hatte drei Versuche. Wurde die Aufgabe nicht erfüllt, sollte der Teamleiter eine Strafe über das komplette Team verhängen. Die vier Jungen hatten wie immer keine Probleme. 3217 musste einmal neu anfangen, ihr fehlte es noch immer an Kraft und Ausdauer. 3128 trat als Letzte an. Sie wusste, von ihr hing jetzt alles ab. Der Druck, der auf ihr lastete, wurde ihr wieder einmal zum Verhängnis. Ihre Nerven versagten und sie patzte zwei Mal nacheinander an der schwierigsten Stelle. Als sie zum dritten Mal neu ansetzen wollte, sah 3217 ihren Teamleiter bittend an. „Darf sie die Übung morgen früh wiederholen? Dann schafft sie es bestimmt.“
      3026 schüttelte den Kopf. „Das nützt nichts und ist gegen die Anweisung..“
      „Gib ihr die Chance. Bitte. Wir trainieren heute Nacht und falls es morgen früh wirklich nicht klappt, darfst du dir für mich eine Extra-Strafe ausdenken.“
      Der blonde Junge warf dem Mädchen einen überraschten Blick zu. Glaubte sie etwa, es machte ihm Spaß, so hart zu ihnen zu sein? Er versuchte doch nur, das Beste aus der Gruppe heraus zu holen. Sie hielt seinem Blick stand und schließlich nickte er. „Also gut. Morgen früh, gleich nach dem Wecken und ihr trainiert nicht an dem Aufbau.“
      Das Mädchen nickte ernst. Sie wusste, es wäre Selbstbetrug, nur diesen einen Ablauf so lange zu üben, bis man ihn ohne Nachzudenken bewältigen konnte. Gemeinsam ging das Team zum Essen. Danach kehrten die beiden Mädchen alleine in die Trainingshalle zurück und erarbeiteten noch einmal die einzelnen Bewegungsabläufe, die sie benötigten, stellten diese neu zusammen und absolvierten so immer neue Übungen. 3217 hatte viele Ideen und einige davon waren sogar noch anspruchsvoller als die Aufgabe, an der ihre Kameradin zuvor gescheitert war. Sie trainierten fast die ganze Nacht. Erst als sie alle Varianten sicher beherrschten, gönnten sich die beiden Mädchen zwei Stunden Schlaf. Obwohl sie kaum geschlafen hatte und ihr Versagen noch immer eine Strafe für die ganze Gruppe nach sich ziehen würde, absolvierte 3128 am nächsten Morgen die Übung zügig und fehlerfrei und wirkte dabei gelassen und selbstbewusst. Erleichtert nickte 3026 ihr zu. „Gut gemacht.“ Erstaunt sah er, wie das Mädchen zu strahlen begann. Dann wurde ihm klar, wie selten sie ein Lob von ihm erhielt. Meistens musste er wegen ihrer dummen Fehler mit ihr schimpfen.
      3217 legte ihr die Hand auf den Arm. „Siehst du, ich habe dir doch gesagt, du kannst das. Beim nächsten Mal darfst du mir das ruhig glauben.“ Sie wandte sich an ihren Teamleiter und sah ihn fragend an. „Bist du zufrieden?“
      Er lächelte, was selten genug vor kam. „Ich bin sehr zufrieden. Und jetzt beeilt euch und geht duschen, damit ihr nach dem Frühstück noch zwei Stunden schlafen könnt.“
      Strahlend rannten die beiden Mädchen los. Sie verstanden zwar nicht, was mit 3026 los war, aber es sollte nicht an ihnen liegen, dass er seine gute Laune verlor.

      Im Laufe der nächsten Monate veränderte sich die Hierarchie innerhalb des Teams. 3217 wuchs immer mehr in die Rolle des stellvertretenden Teamleiters hinein und 3209, der schlaksige rothaarige Computerspezialist, machte ihr bereitwillig Platz. Er war zwar mit 3026 am Längsten in der Gruppe, aber er legte keinen Wert darauf, mehr Verantwortung zu übernehmen, als für die Bewältigung seiner eigenen Aufgaben notwendig war. Die Ausbilder und Psychologen wurden von der Entwicklung überrascht, beschlossen aber, erst einzugreifen, wenn die Trainingsleistungen des Teams hinter den Erwartungen zurück blieben. Obwohl sie das junge Team mit Argusaugen beobachteten, gab es einige Dinge, die ihrer Aufmerksamkeit entgingen. So bemerkten sie nicht, dass sich die Gruppe das langweilige Ausdauertraining damit versüßte, die frisch erworbenen Schachkenntnisse zu vertieften und sich heiße Gefechte zu liefern. Ganz im Gegenteil, die Ausbilder ahnten nicht einmal, dass außer 3026 auch die übrigen Mitglieder des Teams dieses Spiel beherrschten. Sie hatten es erlernt, als er 3217 die Grundzüge erklärte, damit sie ihm wieder einmal bei einer Taktikaufgabe helfen konnte. Die Kinder wussten, dass sie etwas Verbotenes taten, aber es machte ihnen sehr viel Spaß. Dieses kleine gemeinsame Geheimnis ließ sie die Anforderungen ihrer Ausbildung besser verkraften, als es sonst der Fall gewesen wäre.

      Seine Bewährungsprobe erhielt das junge Team, als sie etwa zwei Jahre später eine der ersten Trainingseinheiten unter Realbedingungen abhalten mussten. Ein mit Giftgas durchfluteter Raum musste in Schutzkleidung auf einem vorher besprochenen Weg durchquert werden. Das Gift war echt und absolut tödlich, bei einer Berührung mit der Haut hatte man nur wenige Minuten Zeit, ein Gegenmittel zu verabreichen, das zumindest einen Teil der toxischen Auswirkungen verhinderte. Für den Fall einer Beschädigung der Anzüge trug 3026 zwei Spritzen dieses Gegenmittels bei sich. 3217 machte den Anfang, 3026 bildete die Nachhut. Als er auf halber Höhe über eine der Sperren kletterte, brach eine Verstrebung. Er versuchte, einen anderen Halt zu finden, doch die Handschuhe der Schutzkleidung waren zu glatt und er stürzte aus drei Metern in die Tiefe.
      „Macht weiter! Beeilt euch!“ Die Stimme des Mädchens gellte in den Kopfhörern und riss die anderen aus ihrer Erstarrung. Ohne auf ihre eigene Sicherheit zu achten, ließ sich 3217 in die Tiefe fallen und erwischte knapp über dem Boden den anvisierten Träger. Sekunden später kniete sie neben ihrem Kameraden. Als sie ihn umdrehte, bemerkte sie den Riss im Ärmel des Anzugs. Sofort setzte sie die erste Spritze. „Macht schnell! Ihr müsst das Gas abpumpen, er stirbt sonst.“ Noch nie hatten die vier eine Aufgabe so schnell erledigt wie heute. Jeder Handgriff, jede Bewegung waren präzise und richtig. Als das Giftgas durch normale Atmosphäre ersetzt wurde, setzte das Mädchen ihrem Teamleiter die zweite Spritze. Dann konnten sie nur noch abwarten, ob sie schnell genug gewesen waren.
      Sekunden später stürmte ein Ärzteteam in den Raum. Unsanft wurde 3217 zur Seite geschoben. Als die Ärzte dem Jungen den Anzug vom Leib schnitten, sah sie, dass seine Haut feuerrot war und Blasen warf, die sich, als sie mit der Luft in Kontakt kamen, schnell schwarz verfärbten. Die Ärzte rannten wortlos mit ihm hinaus. Ausbilder Harding schickte die Gruppe zurück in ihr Quartier, wo sie unruhig auf Informationen warteten.
      Nach einer Stunde sprang 3217 auf. „So geht es nicht weiter. Wenn er hier wäre, würde er zu Recht mit uns schimpfen. Kommt, wir gehen jetzt zum Essen und danach wieder in die Sporthalle. Wir dürfen unser Training nicht vernachlässigen.“ Die anderen nickten zögernd. Keinem von ihnen stand der Sinn nach Training, aber sie wussten, das Mädchen hatte Recht. Es würde ihrem Teamleiter nicht gefallen, wenn sie nicht weitermachten.
      Harding war überrascht und begeistert, als er sah, dass die Gruppe wieder an die Arbeit ging. Schnell setzte er einige Übungen an, damit sie beschäftigt waren. Sechs Stunden vergingen, ohne dass das Team etwas über den Zustand ihres Kameraden erfuhr. Wieder war es 3217, die allen Mut zusammen nahm und versuchte, sich über die zentrale Kommunikationsanlage mit ihrem Ausbilder in Verbindung zu setzen. Harding war nicht im Büro, also mussten sie weiter warten.

      Michael Taylor legte die Finger aneinander und musterte sein Gegenüber mit bösen Blicken. „Wie konnte es zu dieser Panne kommen, Harding?“
      „Ich weiß es nicht, Sir. Eine der Schweißnähte scheint instabil gewesen zu sein, anders kann ich es mir nicht erklären.“
      „Und wie geht es 3026?“
      „Die Ärzte sagen, er hat Glück gehabt, dass 3217 so schnell reagiert hat. Andererseits ist nicht sicher, ob er trotz der Medikamentengabe die Nacht übersteht. Das Gas ist aggressiver, als man es erwartet hatte.“
      „Wenn er ausfällt – wie groß sind unsere Chancen, noch einmal ein neues Mitglied in die Gruppe zu integrieren?“
      Harding schüttelte den Kopf. „Nicht gut, Sir. Der Altersabstand würde zu groß und sie sind mit ihrer Ausbildung schon so weit fortgeschritten, dass ein Neuling kaum noch eine Chance hätte, sich anzupassen.“
      „Soll das etwa heißen, wenn 3026 stirbt, können wir den Rest der Gruppe gleich mit abschreiben?“
      „So sieht es aus, Sir.“
      „Dann sollten Sie dafür sorgen, dass er es schafft – oder eine Lösung finden, die Gruppe so umzustellen, dass sie auch zu fünft funktionieren.“
      „Ja, Sir.“

      Tief in Gedanken versunken kehrte Thomas Harding in sein Büro zurück. Die Medostation hatte die Nachricht hinterlassen, dass 3026 vorerst stabil sei und man mehr sagen konnte, wenn er die Nacht überstand. Erleichtert atmete er auf. Ein leiser Summton informierte ihn, dass jemand ihn sprechen wollte. Harding war sehr erstaunt, als er feststellte, dass es sich bei dem Anrufer um 3217 handelte. 3026 hatte sich nie unaufgefordert mit ihm in Verbindung gesetzt. Entsprechend unwirsch nahm er den Anruf entgegen. „Was willst du?“
      „Verzeihung, Sir, ich möchte wissen, wie es 3026 geht.“
      Überrascht zog er die Augenbrauen hoch. Ganz schön mutig, die Kleine. 3026 hätte abgewartet, bis er die Auskunft erhalten hätte. „Er lebt – noch. Mehr kann man noch nicht sagen.“
      „Danke, Sir. Darf ich die Information an den Rest des Teams weitergeben?“
      „Ja, das darfst du. Ich gebe euch Bescheid, wenn ich mehr weiß.“
      „Vielen Dank, Sir.“
      „Ich habe gesehen, dass ihr weiter trainiert habt. Gut gemacht, das war richtig so.“
      „Ja, Sir.“ Harding nickte und beendete das Gespräch. Im Quartier der Starchild drehte 3217 sich zu ihren Kameraden um. „Er lebt, aber es scheint ihm noch nicht gut zu gehen. Ich gehe zur Medostation und frage, ob ich ihn sehen darf.“
      3209 schüttelte den Kopf. „Das ist keine gute Idee. Wenn wir zu ihm dürften, hätte Ausbilder Harding dich zu ihm gelassen. Bleib lieber hier. Außerdem ist schon Ruhezeit, da dürfen wir das Quartier ohnehin nur im Notfall verlassen.“
      „Wenn dies kein Notfall ist, was dann?“
      „Du weißt genau, dass ein Notfall eine akute Gefährdung darstellen muss.“
      Das Mädchen verzog unwillig das Gesicht und nickte zögernd. „Ja, das weiß ich. Trotzdem werde ich nach ihm sehen.“
      „Warum? Er ist auf der Medostation. Dort kümmert man sich um ihn.“
      „Ich weiß. Aber ich bin auch ganz sicher, dass ich nach dem Rechten sehen sollte.“
      Die übrigen Teammitglieder hatten sich um die beiden versammelt. Als 3209 wieder den Kopf schüttelte, legte 3189 ihm die Hand auf die Schulter. „Lass sie. Sie weiß, was sie tut und wird vorsichtig sein. Richtig?“ Das Mädchen nickte dem sonst so stillen Jungen dankbar zu, wirbelte herum und öffnete die Tür. Vorsichtig verließ sie das gemeinsame Quartier. Dabei achtete sie sorgfältig darauf, nicht in das Blickfeld einer der zahlreichen Kameras zu geraten.

      Das Schott zur Medostation war verschlossen. Ein Hinweisschild erklärte es zu einen Quarantänegebiet, verbot den Zutritt und verwies auf den Nachbartrakt. Das Mädchen zögerte kurz und verwarf die Idee, sich bei einem Arzt zu melden. Zum Glück hatte man ihnen beigebracht, wie man ein Gebiet auf andere Weise betreten konnte. Lautlos und ohne Spuren zu hinterlassen öffnete sie einen Wartungsschacht und folgte den Zuleitungen, bis sie eine Möglichkeit entdeckte, in den Medotrakt einzudringen. Der lange Flur wurde, wie es zur Nachtzeit Vorschrift war, nur von zwei Notlichtern beleuchtet. Alle Räume waren dunkel, nur durch zwei der großen Glasfenster schimmerte Licht auf den Gang. Eines davon gehörte zu dem Büro des Stationsleiters, das wusste sie. Vorsichtig näherte sie sich dem zweiten Fenster und hätte beinahe erschrocken aufgeschrien, als sie die Gestalt in dem weißen Krankenbett sah. Wären die kurzen, auffällig blonden Haare nicht gewesen, hätte sie ihren Kameraden wohl nicht erkannt. Jedes Körperteil war mit feuerroten oder schwarzen Geschwüren übersät. Sein Atem klang schwer und rasselnd, er schien zu schlafen. Entsetzt starrte das Mädchen ihn an. Sie wollte sich schon zurück ziehen, als er den Kopf bewegte. Langsam öffnete er die Augen, sein Blick wirkte hoffnungslos und leer. Er schien sich aufgegeben zu haben. Tapfer schluckte sie die aufgestiegene Übelkeit herunter, näherte sich dem Fenster, klopfte und winkte ihm zu.
      Ungläubig sah er sie an und murmelte: „Was machst du denn hier?“
      „Ich wollte schauen, wie es dir geht.“
      „Warum hast du nicht einfach Ausbilder Harding gefragt?“
      „Das habe ich. Er sagte, du lebst.“
      Wegen der entsetzlichen Geschwüre konnte sie nicht sehen, ob er lächelte, aber wenn sie die Veränderung in seinen Augen richtig deutete, tat er das gerade. Auch seine Stimme klang belustigt. „Und du bist gekommen, um dich selbst davon zu überzeugen.“
      „Genau. Du hast uns ganz schön erschreckt.“
      „Ich weiß. War die Übung denn erfolgreich?“
      „Sie soll gewertet werden, ja.“
      „Das ist gut. Habt ihr weiter trainiert?“
      „Natürlich. Es lief anfangs nicht besonders gut, aber dann haben wir uns alle zusammen gerissen und es ging wieder. Ist aber ziemlich ungewohnt ohne dich.“
      „Das schafft ihr schon.“ Eine halbe Stunde plauderten die beiden, dann fielen dem Jungen fast die Augen zu.
      „Ich muss zurück. Morgen komme ich wieder. Schlaf gut.“
      „Ihr auch. Bis morgen.“ Ebenso unbemerkt, wie sie gegangen war, kehrte sie zu den anderen Kindern zurück. Sie lagen schon in ihren Betten, sahen ihr aber neugierig entgegen. Ohne etwas zu beschönigen, erstattete sie Bericht. „Er will, dass wir weiter machen und daran sollten wir uns halten. Es geht ihm nicht gut, er braucht seine Kraft, um gesund zu werden. Er darf sich um uns keine Sorgen machen.“ Einer nach dem anderen nickte bestätigend.

      Die Ärzte waren erleichtert. Ihr Patient hatte die Nacht wesentlich besser überstanden, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Er wirkte zuversichtlich und ließ geduldig alle Versuche über sich ergehen, die Auswirkungen des Gases gering zu halten. Als das Team sich an diesem Morgen bei seinem Ausbilder meldete, hatte Thomas Harding einen Entschluss gefasst. Ernst musterte er die Kinder. „3026 wird lange Zeit nicht in der Lage sein, die Krankenstation zu verlassen. In dieser Zeit braucht ihr einen neuen Teamleiter. Ich würde sagen, 3209 übernimmt diese Aufgabe.“
      Der rothaarige Junge sah ihn entsetzt an. „Verzeihung, Sir, aber ... das kann ich nicht.“
      Harding runzelte die Stirn. Nachdenklich musterte er die Gruppe. Auch die beiden anderen Jungen und 3128 sahen ihn unbehaglich an. Nur 3217, die Jüngste, war völlig ruhig. Sie war noch immer schwierig und neigte dazu, Anordnungen in Frage zu stellen. Andererseits hatte 3026 sie bereits angelernt und sie sogar einfache Übungen selbst leiten lassen. Aber durfte er das Risiko eingehen, ihr die Verantwortung zu übertragen? Ihm blieb wohl keine andere Wahl, wenn er das Team nicht gleich auflösen wollte. Innerlich seufzend sagte er: „Also gut. 3217, du hast schon mit 3026 gearbeitet. Jetzt kannst du zeigen, was du von ihm gelernt hast. Wenn du Fragen hast oder es Probleme gibt, meldest du dich bei mir. Hier sind eure Trainingspläne. Macht euch an die Arbeit.“
      „Ja, Sir.“ Das Mädchen warf einen Blick auf die Unterlagen. „Sir?“
      „Ja?“
      „Darf ich die Reihenfolge umstellen?“ Harding seufzte. Das fing ja gut an.. „Da du jetzt Teamleiter bist, darfst du die Reihenfolge selbst bestimmen. Wichtig ist, dass am Ende des Tages alle Aufträge erledigt sind.“
      „Verstanden, Sir. Danke.“
      Ein leises Summen sagte Harding, dass Mr. Taylor ihn sprechen wollte. Als er die Halle verließ, hörte er, wie die Kleine hinter ihm die ersten Anweisungen gab.

      Als 3217 sich an diesem Abend in die Medostation schlich, war sie nicht sicher, was 3026 zu der Entwicklung sagen würde. Als sie ihn sah, erschrak sie. Er sah noch schlimmer aus, als gestern. Die vorher blutroten Stellen waren jetzt schwarz überkrustet, während sich die schwarzen Stellen langsam mit einer Art weißem Pelz zu überziehen schienen. Vorsichtig sah sie sich um, dann klopfte sie an das Fenster.
      Schon beim ersten Ton öffnete er die Augen und lächelte, als er sie erkannte. Seine Stimme war noch immer sehr leise. „Hallo."
      „Hallo. Ich bin etwas später als gestern, wir sind gerade erst mit dem Training fertig geworden."
      „Ist etwas passiert?"
      „Nein. Mister Harding will uns wohl beschäftigen, er hat unser Pensum herauf gesetzt."
      „Und wie kommt ihr zurecht?"
      „Es geht, aber du fehlst natürlich. Wir müssen fast jeden Ablauf umstellen." Sie wurde ein wenig rot. „Mister Harding hat mich zum Teamleiter bestimmt, bis du wieder da bist."
      „Dich?"
      „Ja. Die anderen wollten es nicht."
      „Und wie kommst du zurecht?"
      „Ganz gut, aber bei dir wirkte es einfacher."
      „Ich mache es ja auch schon ein paar Jahre."
      „Stimmt. Darf ich dich etwas fragen?"
      „Sicher."
      „Der Trainingsplan, den Mister Harding mir heute früh gegeben hat, sah fast genauso aus wie gestern. Ich finde es langweilig, jeden Tag zur gleichen Zeit die selben Aufgaben zu erledigen, das weißt du ja. Also habe ich gefragt, ob ich den Plan umstellen darf. Er hat mich ganz merkwürdig angesehen, aber zugestimmt. Die Anderen haben es gut aufgenommen. Denkst du, es war richtig?"
      „Habt ihr alle Aufgaben erledigt?"
      „Ja."
      „Dann war es in Ordnung. Wie lief denn das Schießen?"
      „Das hatte ich ganz zuletzt angesetzt. Ich wollte schauen, wie gut wir sind, wenn wir müde werden."
      „Und?"
      „Die Ergebnisse lagen bis zu 1,3 % unter unseren persönlichen Bestmarken. Sie sind aber immer noch innerhalb der Referenzwerte."
      „So eine große Abweichung hat es gegeben?"
      Sie nickte. „3051 wies trotz allem eine Trefferquote von 98,53 auf, war also nur 0,08 Prozent schlechter als üblich. 3128 lag bei 96,46 %, 3209 bei 96,48 % und 3189 bei 97,02 %."
      „Das sind wirklich gewaltige Unterschiede. Und du? Wie war dein Schnitt?"
      Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „98,51 %"
      Er zog überrascht die Augenbrauen hoch und nickte anerkennend. Das war mit Abstand ihr bisher bestes Ergebnis. „Gut gemacht."
      Jetzt wurde sie ein bisschen verlegen. „Danke. Ich habe aber einfach nur in die Richtung gefeuert und gar nicht wirklich gezielt. Wie die ganzen Treffer entstanden sind, weiß ich nicht."
      Seine Stimme klang belustigt. „Das hat 3051 mir auch schon einmal erzählt. Ich weiß nicht, wie ihr das macht, aber solange ihr gut seid, will ich es auch gar nicht wissen." Sie lächelte erleichtert. Sie war sich nicht sicher gewesen, wie er ihr Geständnis aufnehmen würde. Sie berichtete ihm noch ein wenig vom Tagesablauf des Teams, bis ihm nach einer Dreiviertelstunde wieder die Augen zufielen.

      Mit jedem Tag gelang es dem Mädchen besser, die Rolle des Teamleiters auszufüllen. Es machte ihr Spaß, sich immer neue Herausforderungen auszudenken und diese gemeinsam mit ihren Kameraden zu erproben. Wenn sie Probleme hatte, besprach sie sie abends mit 3026, der ihr immer wieder wertvolle Tipps geben konnte. Schon nach zwei Wochen stritt sie sich zum ersten Mal mit Ausbilder Harding, als dieser eine Trainingseinheit einschieben wollte, zu der dem Team noch wichtige Grundlagen fehlten. Staunend verfolgten die anderen vier, wie sich das Mädchen hartnäckig für eine Verschiebung einsetzte. Sie gab nicht einmal nach, als Harding ihr mit persönlichen Konsequenzen drohte, denn sie war überzeugt, dass noch nicht alle Mitglieder dieser Aufgabe gewachsen waren. Die Situation drohte zu eskalieren, als Harding plötzlich in die Medostation bestellt wurde. Mit einem wütenden „Darüber sprechen wir noch" stürmte er hinaus.
      3217 sah ihre Teamkameraden aufatmend an. „Vielleicht haben wir genug Zeit gewonnen, um uns vorzubereiten. Fangen wir an."
      3128 legte ihr die Hand auf den Arm und lächelte. „Danke."
      3217 nickte nur. Als Harding eine halbe Stunde später zurück kehrte, wirbelten die fünf schon wieder hochkonzentriert durch die Halle. Zwei Stunden später meldete 3217 sich bei ihm. „Team drei ist jetzt in der Lage, zu jedem von Ihnen gewünschten Zeitpunkt die Übung erfolgreich zu absolvieren, Sir." Harding sah sie böse an. Sie konnte ihr Unbehagen kaum unterdrücken, erwiderte den Blick aber so ruhig wie möglich.
      „Du hast dich einer klaren Anweisung widersetzt."
      „Ja, Sir."
      „Du hast mir widersprochen."
      „Ja, Sir."
      „Was hast du zu deiner Entlastung vorzubringen?"
      „Das Team war noch nicht so weit. Wir haben uns in den letzten Stunden die notwendigen Abläufe erarbeitet."
      „Das ist keine Entschuldigung für dein Betragen."
      „3026 sagte mir, es sei wichtig für das Team, die Übungen erfolgreich zu absolvieren. Das ist jetzt möglich. Vorher war es das nicht."
      Harding schnaubte schon wieder vor Wut. Warum zeigte das Mädchen keine Unsicherheit. Nahm sie ihn etwa nicht ernst? Dann musste er wohl erst einmal die Fronten klarstellen. „Ihr werdet die Übung nach dem Essen um 14:00 durchlaufen. Ich erwarte einen erfolgreichen Abschluss. DU wirst heute Abend zwei Stunden Sondertraining absolvieren und währenddessen darüber nachdenken, ob dein respektloses Verhalten angemessen war."
      „Ja, Sir."
      „Du kannst gehen."
      Erst als sie den Raum verließ, entspannte sich 3217 ein wenig, riss sich aber sofort wieder zusammen, als sie die vier Augenpaare spürte, die auf sie gerichtet waren. „Die Aufgabe ist für 14:00 angesetzt."
      3051 fragte: „Und, hat er noch eine Strafe angesetzt?"
      Sie nickte. „Heute Abend, 2 Stunden Sondertraining. Aber nur für mich, nicht für euch."

      Die gestellte Aufgabe verlangte ihnen alles ab. Allen war klar, dass sie es nicht geschafft hätten, wenn sie nicht am Morgen noch einmal die Abläufe durchgegangen wären. Als 3217 zu ihrem Sondertraining antrat, forderte Harding den Rest des Teams auf, sich neben ihm an der Längsseite der Halle zu versammeln. Er stellte 3217 eine Reihe schwerer Aufgaben, die sie nacheinander bewältigen musste. Voller Mitgefühl sahen die Freunde ihr zu. Sie wussten, dass sie sich nur widersetzt hatte, um ihnen zu helfen. Als die zwei Stunden vorbei waren, war sie fast am Ende ihrer Kräfte. „Und zu welchem Ergebnis bist du gekommen, 3217?"
      Sie straffte ihren Rücken und sah ihrem Ausbilder fest in die Augen. „Wir haben durch mein Verhalten die Möglichkeit erhalten, uns auf die Aufgabe vorzubereiten und sie erfolgreich zu absolvieren. Wenn es ihnen respektlos erschien, tut es mir Leid, aber es war angemessen."
      Zum ersten Mal seit Jahren verschlug es Ausbilder Harding die Sprache. Dieses kleine Biest besaß die Frechheit, ihm eine solche Aussage entgegen zu setzen. Das durfte er ihr nicht durchgehen lassen - aber was sollte er tun? Er hatte sie schon bestraft. Eine zweite Strafe würde seiner Position schaden, nicht zu reagieren allerdings ebenso. „Ich erwarte, dass du zukünftig deine Ansichten weniger streitlustig vertrittst. Hast du das verstanden?"
      „Ja, Sir."
      „Du kannst gehen."
      An diesem Abend erzählte sie 3026 nicht alles, was vorgefallen war. Sie wollte ihn nicht unnötig aufregen, es ging ihm ohnehin sehr schlecht. Seine Haut war jetzt völlig von einer weißen Substanz bedeckt und sah aus, als würde sie schimmeln. Nur seine Augen waren so hellwach und klar, wie sie es gewohnt war.

      Drei weitere Wochen vergingen. 3026 war auf dem Weg der Besserung. Geduldig ließ er die langwierigen und oft auch schmerzhaften Untersuchungen über sich ergehen. Der Arzt lächelte ihm freundlich zu, bevor er ging. „Bald hast du es überstanden, Junge. Ein paar Tage noch, dann darfst du Besuch bekommen. Darauf freust du dich doch sicher schon, nicht wahr?" 3026 war so überrascht, dass er nur nicken konnte. „Dachte ich es mir doch. Wir müssen aber langsam anfangen, erst nur ein paar Minuten, damit du dich nicht überanstrengst und einen Rückfall bekommst. Aber darüber sprechen wir nächste Woche ganz in Ruhe." Der Arzt bemerkte den verwirrten Blick nicht, den 3026 ihm nachschickte. Seine Gedanken überschlugen sich. Er bekam doch schon die ganze Zeit Besuch und 3217 blieb nicht nur ein paar Minuten. Gestern hatte sie fast zwei Stunden draußen am Fenster gestanden. Sie hatten Schach gespielt und darüber völlig die Zeit vergessen. Ungläubig schüttelte er den Kopf. War sie wirklich so leichtsinnig, sich heimlich auf die Medostation zu schleichen? Er beschloss, sie zur Rede zu stellen. Sie durfte sich nicht selbst in Gefahr bringen. Wenn man sie erwischte, würde Ausbilder Harding voller Freude all die Disziplinarstrafen an ihr ausprobieren, von denen er 3026 erzählt hatte.

      Als 3217 an diesem Abend ans Fenster klopfte, bemerkte sie sofort, das etwas vorgefallen war. 3026 musterte sie ernst und schien verärgert zu sein. „Du hast keine Erlaubnis, hier zu sein, oder?"
      Sie schluckte und wurde blass. Dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, habe ich nicht. Wie hast du es heraus gefunden?"
      „Das ist unwichtig. Ich möchte, das du gehst. Sofort. Es ist viel zu gefährlich. Wenn du erwischt wirst, bekommst du richtig viel Ärger."
      Sie lächelte. „Das ist mir egal."
      „Aber mir nicht. Das Team braucht dich und ich will nicht zusehen, wie man dich fertig macht. Geh jetzt und komm nicht wieder, bevor ihr die Erlaubnis habt."
      Sie schüttelte den Kopf. „Ich lasse mir weder von Ausbilder Harding noch von den Ärzten verbieten, nach dir zu sehen. Und keine Sorge, die erwischen mich nicht, dafür sind sie viel zu langsam."
      „Und wenn jetzt zufällig der Arzt auf den Flur kommt? Oder dich sprechen hört? Nein, das ist viel zu gefährlich. Geh jetzt."
      Sie senkte den Kopf und nickte. „Also gut. Aber ich komme morgen wieder und sehe nach dir. Und übermorgen und über-übermorgen, so lange, bis du wieder bei uns bist. Wenn du nicht mit mir reden willst, ist das deine Entscheidung, aber ich will sehen, das es dir wirklich besser geht. Schlaf gut."
      Er nickte nur und tat so, als würde er sie nicht weiter beachten. Traurig kehrte sie in den gemeinschaftlichen Schlafraum zurück. Sie hatte sich schon auf das Gespräch mit 3026 gefreut und obwohl sie es nicht zugeben wollte, verletzte es sie, dass er sie einfach so fort geschickt hatte. Als sie den anderen erzählte, was vorgefallen war, nickten sie schweigend. 3209 sprach aus, was alle dachten. „Er hat Recht und das weißt du auch. Wenn du erwischt wirst, ist deine geringste Strafe, dich aus dem Team zu nehmen."
      „Sie erwischen mich nicht."
      „Und wenn doch?"
      „Dann bin ich selbst schuld. Und jetzt lasst uns das Thema beenden. Es geht ihm auf jeden Fall schon sehr viel besser, er kann sich wieder mit mir streiten." Obwohl der Tag wieder einmal sehr anstrengend gewesen war, lag sie noch lange wach.
      Sie ahnte nicht, dass auf der Krankenstation 3026 ebenfalls nicht schlafen konnte. Er wusste, seine Entscheidung war richtig. Trotzdem vermisste auch er die Unterhaltung mit 3217. Ihre Besuche hatten ihm viel Mut und Kraft gegeben. Egal, wie schlimm er ausgesehen hatte, sie hatte ihn immer behandelt, als wären diese fürchterlichen Entstellungen gar nicht vorhanden. Das hatte ihm klar gemacht, dass sein Team immer zu ihm halten würde. Sie gaben ihn nicht auf, also durfte er sich selbst auch nicht aufgeben. Der nächste Tag verging quälend langsam. Als es Abend wurde, hingen seine Blicke wie fest geschweißt an der Stelle, wo sie immer auftauchte. Sekunden schienen sich unendlich lange auszudehnen, aber dann war es endlich so weit. Lächelnd winkte sie ihm zu und verschwand dann wieder in der Dunkelheit. Erstaunt spürte er, wie sich ein Lächeln in seine Mundwinkel schlich. Sie hatte ihr Wort gehalten und war gekommen.

      Erleichtert kehrte 3217 zu ihren Kameraden zurück. Er war soweit in Ordnung und es hatte sogar so ausgesehen, als hätte er sich gefreut, sie zu sehen. Sie hätte ihm gerne von der erfolgreichen Übung heute erzählt, aber sie musste respektieren, dass er nicht mit ihr sprechen wollte. Auch am nächsten Abend ließ sie sich kurz am Fenster sehen. Er bemerkte sie sofort, man konnte fast glauben, er habe auf sie gewartet. Für einen Augenblick schien es, als wolle er etwas sagen, aber dann beschränkte er sich auf ein Lächeln und ein knappes Nicken. So lautlos, wie sie gekommen war, zog sie sich wieder zurück. Auch am folgenden Abend wiederholte sich das Ganze. Diese Mal gefiel 3026 ihr gar nicht. Er wirkte angespannt und niedergeschlagen, als würde sich sein Zustand wieder verschlechtern.
      Ausbilder Harding seufzte gereizt, als sie sich am nächsten Morgen nach ihrem Kameraden erkundigte. „Ich habe dir nun schon ein paar Mal gesagt, dass ich euch informiere, wenn sich sein Zustand ändert. Du musst nicht jeden zweiten Tag nach ihm fragen."
      „Verstanden, Sir. Ich bitte um Entschuldigung. Wissen Sie inzwischen schon, wann wir ihn sehen dürfen?"
      „Nein, das steht auch noch nicht fest. Es hängt davon ab, wie schnell er sich erholt."
      Sie sah, dass Harding sich nur noch mühsam beherrschte. Wenn sie jetzt weiter fragte, glaubte er wieder, sie wolle ihn ärgern und würde sich irgendeine Strafe einfallen lassen. Also nickte sie nur und schwieg. An diesem Abend wurde es später als sonst. Sie hatten mit ihrem Schießtraining auf Team eins warten müssen, die eine außerplanmäßige Trainingseinheit eingeschoben hatten. 3026 lag mit geschlossenen Augen da und schien zu schlafen. Er sah schon wieder sehr traurig aus. Leise klopfte sie an die Scheibe. Sie hoffte, dass er aufwachte, sonst musste sie wieder gehen. Doch sofort schlug er die Augen auf und suchte ihren Blick. „Ich dachte schon, du kommst nicht."
      „Ich habe doch versprochen, dich jeden Tag zu besuchen. Wir mussten auf Team eins warten, darum ist es so spät geworden."
      „Bleibst du ein bisschen?"
      „Natürlich. Gerne."
      Er zögerte und gab sich dann einen Ruck. „Es tut mir Leid, ich hätte dich nicht ausschimpfen dürfen. Ich habe unsere Unterhaltungen vermisst."
      Sie lächelte. „Ich auch."
      „Trotzdem gehst du ein sehr großes Risiko ein."
      „Mach dir darüber keine Gedanken. Schließlich ist es MEIN Risiko und ich würde es nicht eingehen, wenn es mir die Sache nicht wert wäre. Ich soll dich von den anderen grüßen. Sie warten schon sehnsüchtig auf die Besuchserlaubnis, aber man lässt uns nicht zu dir, solange du dich nicht weiter erholt hast."
      „Sag ihnen, ich gebe mir Mühe."
      Sie warf ihm einen schelmischen Blick zu. „Um meinen Teamleiter zu zitieren: Du sollst dir keine Mühe geben, sondern den Auftrag ausführen."
      Unwillkürlich musste er lachen, als sie ihm einen seiner häufigsten Aussprüche unter die Nase rieb. Das Mädchen blieb fast zwei Stunden und erzählte ihm, was sie in den letzten Tagen erlebt hatten. Als sie ging, fühlte er sich, als habe man eine Last von ihm genommen. Am nächsten Morgen bemerkten die Ärzte erleichtert, dass er die Depressionen der letzten Tage abgeschüttelt hatte. Sie hatten schon einen Rückfall befürchtet, aber jetzt hatten sich seine Vitalfunktionen endlich weiter stabilisiert. Es schien, als habe er über Nacht neuen Lebensmut gefunden.

      Eine Woche später lächelte der Arzt ihm nach der obligatorischen Untersuchung aufmunternd zu. „Du hast dich sehr gut erholt, darum darfst du heute für 5 Minuten Besuch bekommen. Wen möchtest du denn sehen?" 3026 zögerte kurz. Wen sollte er wählen. „Wie wäre es mit 3209? Mit dem verstehst du dich doch ganz gut."
      Der Junge nickte. „Einverstanden."
      „Gut, dann gebe ich ihm Bescheid. Denk daran, du darfst dich nicht überanstrengen."
      „Ja, Sir." Unwillkürlich dachte 3026 an den letzten Abend und musste lächeln. Er hatte sich mit 3217 ein spannendes Schachspiel geliefert, über das sie wieder einmal beinahe die Zeit vergessen hätten. Sie war fast 3 Stunden bei ihm geblieben. Zufrieden verließ der Arzt den Raum. Der Junge schien sich auf den Besuch zu freuen, es war das erste Mal, dass er ihn lächeln sah. Er informiere Thomas Harding, der versprach, 3209 würde sich gegen Mittag melden. Der rothaarige Junge erschien pünktlich. Aufgeregt schob der Arzt den Besucher in das Krankenzimmer. Wie würde sein Patient die Aufregung verkraften? Hoffentlich war es nicht zu früh und er erlitt einen Rückfall. Doch seine Sorge war unbegründet. 3026 schien es sehr gut zu gehen. 3209 erzählte ein wenig vom Training und 3026 versprach, bald wieder aktiv dabei zu sein.

      In den nächsten Tagen besserte sich sein Zustand immer mehr. Nun durften ihn nacheinander auch die übrigen Teammitglieder besuchen. Oft erzählten sie voller Stolz von gelungenen Übungen oder berichteten, wie 3217 Ausbilder Harding ein Zugeständnis abtrotzen konnte. Mittlerweile hatte sie ihn so weit, dass er ihr einen Drei-Tages-Plan gab und sie selbst entscheiden durfte, welche Aufgaben wann erledigt werden mussten. Je mehr er hörte, um so mehr freute sich 3026 darauf, wieder aktiv dabei zu sein. Nach ein paar Tagen, als er endlich auch offiziell längeren Besuch erhalten durfte, brachte 3217 Einsatzpläne mit und besprach sie mit ihm. Ihre draufgängerische, spontane Natur ließ sie Risiken zwar erkennen, aber oft als unerheblich einschätzen. 3026 neigte eher dazu, zu viele Sicherheitsmaßnahmen zu ergreifen. Während der letzten Wochen hatten sie sich besser kennen gelernt und waren Freunde geworden. Das half ihnen jetzt, in manchmal stundenlangen und mit viel Elan geführten Diskussionen aus ihren gegensätzlichen Einstellungen Kompromisse zu schaffen, die den Einsatzplanungen eine ganz neue Qualität gaben.

      Endlich, mehr als zwei Monate nach dem Unfall, kam der Tag, auf den 3026 ungeduldig wartete. Mit einem erleichterten Lächeln schob der Arzt seinen Stuhl zurück. „Du hast es überstanden, Junge. Die nächsten 3 Wochen darfst du nur leichtes Training absolvieren, danach kommst du noch einmal zur Untersuchung. Wenn dann alles in Ordnung ist, darfst du wieder richtig loslegen.“ Er legte dem blonden Jungen die Hand auf die Schulter. „Du warst ein sehr guter Patient. Ohne deine Mitarbeit wären wir noch nicht so weit. Ich weiß, die Quarantänezeit war sehr hart, aber es ging nicht anders.“
      3026 nickte, ohne etwas zu sagen. Er wusste, ohne die regelmäßigen abendlichen Besuche seiner Kameradin hätte er nicht durchgehalten, aber das durfte er dem Arzt nicht erzählen. Schnell zog er sich um und lief zur Trainingshalle. Das Team war mitten in der Vorbereitung auf eine Übung. 3128 und 3051 arbeiteten an einem gemeinsamen Teilbereich. 3209 versuchte, seinen langen, schlaksigen Körper durch einen engen Parcours zu hangeln, ohne zu oft anzustoßen, während 3189 in einer Ecke mit Zündern und Übungssprengladungen hantierte. 3217 hatte gerade noch mit ihm gesprochen und stürmte jetzt quer durch die Halle, wo sich ihre Computerspezialistin und ihr Waffenexperte fast in die Haare geraden wären. Nur ein paar klärende Worte waren erforderlich, dann herrschte wieder Frieden. Auf dem Rückweg erhielt 3209 ein Lob für seine Anstrengung. Im gleichen Atemzug feuert sie ihn an, es noch einmal zu versuchen. Erst jetzt entdeckte sie 3026, der am Eingang stehen geblieben war. Lächelnd kam sie zu ihm. „Da bist du ja endlich wieder.“
      Er nickte und deutete auf das Team. „Das sieht gut aus.“
      Ihre Augen blitzen vor Stolz und sie nickte begeistert. „Warte, bis du sie in Aktion siehst.“
      „Dazu werde ich in den nächsten Wochen genug Zeit haben. Ich muss langsam anfangen.“
      Bevor sie antworten konnte, erklang der Summer, der den Beginn der Übung signalisierte. Das Tor zur zweiten Halle schwang auf. „Es geht los. Bis nachher.“ Als sich die Gruppe zur letzten Besprechung traf, verriet das Mädchen ihnen, wer zuschauen würde. Gemeinsam beschlossen sie, dafür zu sorgen, dass er stolz auf sie sein konnte und beendeten die Übung fehlerfrei und in Rekordzeit. Am Nachmittag zeigten sie ihrem Teamleiter dann, woran sie gerade arbeiteten. Vor ein paar Tagen war es 3217 nach einem Nahkampftreffer eher zufällig gelungen, auf den Füßen zu landen und sofort wieder anzugreifen. Damit hatte sie 3189 völlig aus dem Konzept gebracht. Das hatte sie auf die Idee gebracht, diesen Zufall gezielt zu reproduzieren und daraus eine Ergänzung ihrer Kampftechniken zu machen. Leider reichte ihre Körperbeherrschung zur Zeit bei weitem nicht für solche Kunststücke aus, aber sie setzten alles daran, das zu ändern. 3026 war fasziniert. Auch ihm war das schon passiert, aber er war nie auf die Idee gekommen, mehr daraus zu machen.

      Die nächsten drei Wochen waren für ihn schwerer, als die lange Quarantänezeit. Je mehr er vom Training sah, um so inständiger wünschte er sich, mitmachen zu dürfen. Statt dessen musste er erst langsam wieder Ausdauer aufbauen und mit Dehn- und Streckübungen seine Muskeln geschmeidig machen. Zu seiner großen Überraschung war er dabei nicht alleine. Abwechselnd leisteten ihm die anderen Teammitglieder Gesellschaft und gaben ihm so das Gefühl, trotz allem zu ihnen zu gehören. Endlich bestätigte der Arzt ihm, wieder völlig gesund zu sein. Erleichtert kehrte er zu den Kameraden in das gemeinsame Quartier zurück. 3217 war nicht da, Ausbilder Harding hatte sie zu sich bestellt. Die vier übrigen Teammitglieder sahen 3026 erstaunt und neugierig an, als er erklärte, er habe etwas mit ihnen zu besprechen. „Ich habe euch in den letzten Wochen beobachtet und mir ist aufgefallen, dass ihr besser seid, als jemals zuvor. Stimmt ihr mir zu?“ Die vier tauschten einen überraschten Blick und nickten dann. „Gut. Was haltet ihr davon, wenn wir 3217 als Teamleiter bestätigen?“
      3051 sah ihn fragend an. „Aber DU bist doch unser Teamleiter.“
      „In den letzten Wochen nicht. In dieser Zeit hat sich einiges hier verändert und vieles davon gefällt mir. Ich finde, sie hat ihre Aufgabe so gut erledigt, dass sie es auch weiterhin machen sollte. Was haltet ihr davon?“ Vier völlig überraschte Augenpaare hingen an ihm. „Was ist? Ist die Idee doch nicht so gut, wie ich dachte?“
      3209 fasste sich als Erster. „Doch, das ist sie. Wir haben nur nicht angenommen, dass du einer solchen Lösung zustimmst – schon gar nicht, dass du sie selbst vorschlägst.“
      Der blonde Junge unterdrückte ein Schmunzeln und nickte nur. „Ich werde Ausbilder Harding informieren.“
      3128 legte ihm die Hand auf den Arm. „Warte bitte noch. Ich möchte ihr Gesicht sehen, wenn sie es erfährt.“
      Jetzt grinste 3026 doch und nickte dem Mädchen zu. „Du hast Recht, ich auch. Also gut, warten wir, bis sie zurück kommt.“
      Wenige Minuten später öffnete sich die Tür und 3217 kam herein. Sie sah 3026 an und lächelte strahlend. „Mister Harding erhielt gerade die Meldung, dass du wieder gesund bist.“ Er nickte schweigend. „Er will dich in 10 Minuten sehen, damit ihr die nächste Übung besprechen könnt.“
      „Ich werde hingehen, aber du kommst mit.“
      „Ich? Warum? Er hat dich bestellt.“
      „Weil wir beschlossen haben, dass du Teamleiter bleibst und nachdem ich ihm das erklärt habe, wird er dich sprechen wollen.“
      Das Mädchen sah ihn aus riesengroßen Augen an. „Ich? Aber – DU bist doch...“
      Er schüttelte den Kopf. „Ich habe in den letzten Wochen erkannt, dass du das sehr viel besser machst, als ich.“
      Fragend und fast Hilfe suchend huschte ihr Blick über die Gesichter der vier Kameraden. Von jedem erhielt sie ein aufmunterndes Lächeln und ein Nicken. „Ich verstehe das nicht. Ist das euer Ernst?“ 3026 nickte energisch. „Aber du hilfst mir doch auch weiterhin, oder?“
      Er lächelte. „Natürlich, wir sind doch ein Team.“
      Ganz langsam huschte ein Lächeln über ihre sonst so ernsten Züge. Ihre Augen begannen vor Freude zu strahlen. Sie fuhr sich mit der Hand durch das dunkle, raspelkurze Haar und lachte leise. „Ich bin gespannt, was die Ausbilder dazu sagen.“
      „Also nimmst du an?“
      Sie nickte fast feierlich. „Ja, ich nehme an und ich werde mich bemühen, euer Vertrauen nicht zu enttäuschen.“
      Thomas Harding versuchte alles, um 3026 von der Idee abzubringen, aber es gelang ihm nicht. Zähneknirschend fand er sich damit ab, dass die 'kleine Nervensäge' jetzt das Sagen hatte. Trotzdem hatte die Bande seiner Meinung nach eine Strafe verdient und er wusste auch schon, womit er sie treffen konnte.

      Als die Gruppe zum nächsten Training antrat, führte Harding eine neue Regel ein. Wann immer einer von ihnen einen Fehler machte, würde er willkürlich ein anderes Mitglied auswählen und dafür bestrafen. Prompt wurde 3128 wieder nervös. Die übrigen Teammitglieder beobachteten sie besorgt. Sie wussten, wie gut das Mädchen war. Aber wie konnten sie sie davon überzeugen, dass sie keine Angst haben musste? Harding ließ sie kurz allein und 3217 legte der Kameradin spontan den Arm um die Schulter und zog sie an sich. „Mach dir keine Sorgen, hörst du? Du schaffst das.“
      „Aber wenn ich wieder einen Fehler mache, wird einer von euch bestraft.“
      „Das ist nicht so schlimm, du machst die Fehler ja nicht absichtlich. Wenn wir etwas falsch machen, kann die Strafe dich genauso treffen.“
      „Wie oft macht ihr etwas falsch? Meistens bin ich es doch.“
      3217 warf ihren Kameraden einen hilfesuchenden Blick zu. Was sollte sie darauf sagen?
      Jetzt endlich reagierte 3026. Auch er legte der verzweifelten Kameradin einen Arm um die Schulter. „Lass dir keine Angst einjagen, hörst du? Wir wissen, was du kannst und wenn du tatsächlich einmal einen Fehler machst, ist das nicht schlimm. Wir machen doch auch Fehler.“ Langsam kamen auch die übrigen drei Jungen näher. Sie waren nicht sicher, was sie von dieser Situation halten sollten. Schweigend streckte 3217 den Arm aus und zog 3189 zu sich heran. Der stille dunkelhaarige Junge ließ es sich verwundert gefallen. Jetzt schlossen sich auch 3209 und 3051 an. Sie alle mussten sich eingestehen, dass ihnen diese ungewohnte Nähe der Freunde sogar gut tat.
      Als auf dem Flur Hardings Schritte näher kamen, sagte 3217 noch einmal leise: „Mach dir keine Sorgen wegen Harding. Soll er sich doch gemeine Aufgaben ausdenken. Wir werden ihm nicht den Gefallen tun und deswegen aufeinander böse sein. Einverstanden?“ Sie spürte, wie ihre Kameraden nickten und endlich wirkte auch 3128 nicht mehr so verzweifelt. Bevor ihr Ausbilder den Raum betrat, trennten sie sich wieder.
      Harding verstand die Welt nicht mehr. Ganz gleich, welche Strafe er sich ausdachte, er erlebte nie, dass dem Verursacher Vorwürfe gemacht wurden. Ganz im Gegenteil, das Team schien immer mehr darauf zu achten, die Schwächen der anderen zu kompensieren und wurde trotzdem immer besser. Seltsam. Diese Entwicklung hatte er nach den Erfahrungen mit den anderen beiden Gruppen nicht erwartet.

      Kommentar


        #4
        Mögt ihr noch ein Stück?

        Namen

        Wieder einmal stand der offizielle Abschluss der Ausbildung für 50 junge Starchild an. Wie in jedem Jahr gab es eine feierliche Abschlusszeremonie, an der auch Vertreter der Regierung und des Militärs teilnahmen. Keiner der Gäste ahnte, dass diese Veranstaltung ausschließlich für sie arrangiert wurde. In diesem Jahr war zum ersten Mal Oberst John Frazier dabei, als Einziger selbst Vater zweier Kinder. Sein Sohn Chris war 16 und brachte gerade sein erstes Jahr an der Raumakademie hinter sich. Seine Tochter Alex war 14 und interessierte sich hauptsächlich für Jungen, Musik und Mode. Oberst Frazier vertrat General Lance, den stellvertretenden Oberkommandierenden der irdischen Raumstreitkräfte, der wegen einer Erkrankung derzeit nicht raumflugtauglich war. Es war Tradition, dass die Gäste am Vorabend der Verabschiedung durch die Anlage geführt wurden, damit sie sich von der Effektivität und Leistungsfähigkeit überzeugen konnten. Voller Stolz präsentierte Martin Taylor sein Werk. „Zur Zeit befinden sich 300 Kinder zwischen 3 und 15 Jahren und 150 Halbwüchsige zwischen 16 und 20 Jahren hier in der Ausbildung. Ich zeige Ihnen jetzt den Aufenthaltsraum und die Räume der Älteren." In einem großen, karg eingerichteten Raum mit hellgrauen glatten Wänden saß eine Reihe junger Leute, schweigend in Bücher vertieft. Hin und wieder wurde halblaut eine Frage gestellt und beantwortet. Auch die Wohnräume sahen nicht wirklich „bewohnt" aus, es fehlten persönliche Gegenstände, Bilder, Pflanzen oder Vorhänge. Alle Türen waren geöffnet, eine Privatsphäre schien es nicht zu geben. Kopfschüttelnd sah Oberst Frazier sich um und stellte sich seine Kinder in dieser Atmosphäre vor. Allein bei dem Gedanken bekam er schon eine Gänsehaut. Als Nächstes wurden die Sporteinrichtungen gezeigt. Auch hier herrschte eine erbarmungslose Disziplin. Oberst Frazier fühlte sich an historische Berichte über Kloster im früheren China erinnert, in denen ähnlich ausgebildet wurde. An einer Seite waren einige Stühle aufgebaut. „Bitte, meine Herren, nehmen Sie Platz. Dort drüben ist unsere derzeit beste Gruppe. Sie werden für Sie ein Kampftraining absolvieren." Neugierig ließ sich Oberst Frazier auf den Stuhl fallen. Die sechs jungen Leute, zwei Mädchen und vier junge Männer, die Meisten nicht älter als 16, warfen einen schnellen Blick auf die Gruppe, nickten und besprachen sich. Sie zeigten einige Übungen und schlossen die Vorführung mit einem Schaukampf, bei dem den Zuschauern Angst und Bange wurde. Jeder Schlag wurde konsequent ausgeführt und musste in atemberaubendem Tempo abgefangen oder ausgewichen werden. Die jungen Leute feuerten sich gegenseitig durch Zurufe an und schienen keine Furcht zu kennen. Am Ende der Präsentation waren alle, Zuschauer wie Akteure, schweißgebadet. Das einhellige Lob der Zuschauer wurde schweigend entgegen genommen. Auch Direktor Taylor strahlte der Stolz förmlich aus den Augen.
        Neugierig fragte Oberst Frazier: „Wer sind diese sechs?"
        „Das ist unser Kapital für die Zukunft. Sie sind noch recht jung, sprechen aber so gut auf die Lehrmethoden an, dass sie bereits auf einem sehr hohen Niveau stehen. Wir arbeiten jetzt daran, ihnen soziale Kontakte näher zu bringen, damit sie später besser integriert werden können. Das Mädchen in der Mitte, 3217, ist die Jüngste. Trotzdem ist sie Teamleiterin. Der junge Mann rechts daneben, 3026, der große Blonde, ist der Älteste und ihr Stellvertreter."
        „Haben sie keine Namen?"
        „Die Kinder erleiden einen schweren traumatischen Schock, wenn sie sich plötzlich alleine in der Kapsel wiederfinden und diese abgestoßen wird. Die Wenigsten erinnern sich an irgendetwas."
        „Und warum geben Sie ihnen keine Namen?"
        „Das ist überflüssig. Sie sind über die Starchild-Nummer jederzeit identifizierbar."
        „Wenn Sie den jungen Leuten 'soziale Kontakte näher bringen' wollen, sollten Sie sie daran gewöhnen, mit Namen angesprochen zu werden, statt mit Nummern."
        „Das ist eine gute Idee, Oberst. Ich werde das mit dem Forschungskomitee absprechen, damit ihnen Namen zugeteilt werden..."
        „Geben Sie ihnen doch die Möglichkeit, sich selbst einen Namen auszusuchen."
        „Das wäre allerdings eine sehr innovative Maßnahme... Und ein interessanter Test... Ich denke darüber nach."

        „Team drei, antreten!" Sechs hellwache Augenpaare sahen ihren Ausbilder aufmerksam entgegen, während sich die jungen Leute aufstellten. Ausbilder Robert Laroche musterte seine Schützlinge mit strengem Blick. „Ab sofort werdet ihr nicht mehr mit euren Starchild-Nummern angesprochen. Ihr erhaltet jetzt die Namen, die für euch aus der Datenbank ermittelt wurden. Ihr habt bis morgen 0-800 Gelegenheit, mir Änderungswünsche mitzuteilen. Noch Fragen?"
        „Nein, Sir."
        „Gut. 3026 'Jonathan', 3209 'Ralf." Der blonde und der rothaarige Junge nickten leicht. „3217 'Hannah', 3128 'Rachel'." Das dunkelhaarige Mädchen verzog leicht das Gesicht, nickte aber. Ihre Kameradin registrierte die neue Bezeichnung ebenfalls mit einem Nicken. „3189 'Joshua', 3051 'Frank'." Die beiden dunkelhaarigen Junge waren ohnehin sehr schweigsam und ruhig. Auch die Namensvergabe entlockte ihnen keine äußerliche Regung. „Gut, das war alles. Und jetzt weitermachen."
        „Ja, Sir." Laroche beobachtete zufrieden, wie die Gruppe ohne Zögern ihr Training wieder aufnahm. Die Psychologen waren sich nicht sicher gewesen, wie die jungen Leute die Neuerung auffassen würden. Starchild wurden schnell instabil, wenn sich ihr Umfeld veränderte. Bei den Teams wurde zwar eine gewisse Flexibilität gefördert, aber manchmal entstanden unvorhergesehene Verknüpfungen. Er würde die Gruppe im Auge behalten, aber zur Zeit sah es durchaus positiv aus.

        Als sie eine Stunde später wieder in ihrem Quartier waren, aktivierte 3217 entschlossen die Abfragekonsole. „Was hast du vor?" 3026 sah sie fragend an.
        „Ich mag den Namen nicht, den man mir gegeben hat. Vielleicht finde ich einen, der mir besser gefällt."
        „Warum? Es ist doch egal."
        „Mir nicht. Wenn sie mich nicht mehr 3217 nennen wollen, gut, damit kann ich umgehen. Aber Hannah?" Sie verzog unwillig das Gesicht. Mehrere lange Kolonnen erschienen auf dem Display.
        3128 warf einen Blick über ihre Schulter. „So viele Namen gibt es?"
        „Das sind nur die mit dem Anfangsbuchstaben 'A'."
        „Aber wie willst du in der Masse etwas finden?"
        „Ich weiß nicht. Ich schaue einfach, was mir gefällt. Wie wäre es mit 'Alice'? Der ist zumindest besser als 'Hannah'." Ohne auf eine Antwort zu warten, sprach sie weiter. „Nein, vergesst es, ich habe gerade meinen Namen gefunden: 'Angela'. Der ist gut, dabei bleibe ich." Zufrieden drehte sie sich zu ihrem Team um. „Wollt ihr auch mal schauen, oder gefallen euch die Namen, die ihr bekommen habt?"
        3128 hob vorsichtig die Schultern. „'Rachel' ist ungewohnt, woher soll ich wissen, ob er mir gefällt?"
        „Bei 'Hannah' hatte ich ein ganz komisches Gefühl, ungewohnt und fremd. Bei 'Angela' habe ich das nicht."
        „Ehrlich?" Als Angela bestätigend nickte, meinte sie zögernd: „Vielleicht sollte ich auch mal schauen."
        Grinsend beobachteten die vier Jungen, wie sich auch das zweite Mädchen des Teams durch die Namenslisten wühlte. Nach einer halben Stunde fragte 3026 leicht genervt: „Bist du immer noch nicht fertig?"
        „Ich bin gerade bei 'R' angefangen. Es waren schon ein paar gute Namen dabei, aber keiner, der sich vertrauter anfühlt als 'Rachel'. Was haltet ihr von 'Rebekka'? Oder 'Ronja' Obwohl, dann kann ich auch bei Rachel bleiben. Naja, vielleicht finde ich ja etwas unter 'S'. Hm, Sabine, Sandra, Sarah... Sarah? Das klingt gut. Der Name gefällt mir, den nehme ich."
        Angela nickte lächelnd. „Und ihr?"
        3026 hob die Schultern. „Ich weiß immer noch nicht, weshalb das wichtig sein soll."
        „Das weiß ich auch nicht, aber wenn man uns unbedingt Namen geben will, hat das sicher einen Grund. Sonst wäre man ja bei den Starchild-Nummern geblieben."
        „Mag sein."
        „Siehst du. Aber wenn ich den Rest meines Lebens diesen Namen tragen sollen, dann will ich einen, der mir gefällt und nicht irgendeinen vom Zufallsgenerator." Zögernd nickte er. Das Argument leuchtete ihm ein. „Also, seid ihr zufrieden, oder wollt ihr doch schauen, ob ihr etwas anderes findet?" Die vier Jungen tauschten einen Blick.
        Seufzend streckte 3026 die Hand aus und rief die Namenslisten auf. Schweigend lasen die vier die angezeigten Namen. Nach ein paar Minuten nickte 3209 zufrieden. „David. Den nehme ich."
        Eine Weile herrschte Schweigen. Sie zuckten zusammen, als 3051 plötzlich auf einen Namen deutete. „Ich nehme Peter."
        Kurze Zeit später lächelte auch 3026 zufrieden. „Ich werde mich Phil nennen."
        Nur 3189 suchte noch weiter. Er wollte schon aufgeben, aber Angela und Phil ermutigten ihn, die restlichen Buchstaben auch noch anzuschauen. Endlich huschte eines der seltenen Lächeln über sein Gesicht und er nickte zufrieden. „Sam."
        Angela sprang auf. „Jeder von uns hat jetzt einen Namen, der ihm gefällt. Ich werde Ausbilder Laroche informieren."
        Phil hielt sie zurück. „Warte. Es ist schon sehr spät, wir sollten schon seit einer Stunde schlafen. Du bekommst nur Ärger, wenn er dich sieht."
        Zögernd nickte sie. „Also gut. Dann erfährt er es eben erst morgen früh."

        Für Ausbilder Laroche war selbstverständlich, dass die Starchild ihre Namen nicht ändern würden. Um so mehr staunte er, als die Teamleiterin Meldung machte. „Team drei vollständig angetreten, Sir. Sie hatten uns gestern die Erlaubnis erteilt, die uns zugeteilten Namen zu ändern. Wir möchten davon Gebrauch machen."
        „Ihr möchtet davon Gebrauch machen?"
        „Ja, Sir. Wir haben uns intensiv mit der Namensgebung beschäftigt und in den Listen welche gefunden, die uns besser gefallen."
        „Ihr habt also eure Ruhezeit damit vergeudet, euch neue Namen auszudenken?" Das Mädchen straffte sich. „Wir haben es so effektiv wie möglich erledigt, Sir."
        „Aha. Und welche Namen habt ihr ausgesucht?"
        Das Mädchen deutete nacheinander auf seine Teammitglieder. „Phil, David, Sarah, Sam, Peter und für mich Angela."
        Laroche nickte leicht. „Ich kann zwar keinen Unterschied zu den euch zugeteilten Namen erkennen, aber da ich euch die Zusage gegeben hatte, werden diese Namen in eure Akten aufgenommen."
        „Vielen Dank, Sir."
        „Entgegen der Weisung habt ihr eure Ruhezeit nicht eingehalten. Als Strafe werdet ihr heute einen besonders schweren Parcours absolvieren. Bereitet eure Ausrüstung vor, ihr startet in einer Stunde."
        Die Sechs salutierten. „Ja, Sir." Kopfschüttelnd sah Laroche ihnen nach. Diese jungen Leute waren wirklich erstaunlich. Wer hatte sie nur auf die Idee gebracht, die im Rechner hinterlegten Namenslisten durchzusehen? Wie schon oft blieben seine Augen an den beiden Mädchen, Sarah und Angela, wie sie sich jetzt nannten, hängen. Die Beiden bekamen trotz der eingeleiteten Veränderungen an ihrem Hormonhaushalt eine ausgesprochen gute Figur, aber trotzdem würde er sich hüten, sie anzufassen. Alle Ausbilder hatten noch deutlich das Schicksal von Thomas Harding vor Augen. Vor etwa einem Jahr hatte er Angela in sein Quartier bestellt. Nach ihrer Aussage hatte er sie aufgefordert, sich auszuziehen und ihn dann zu berühren. Als sie sich weigerte, ihren Overall zu öffnen, hatte er scheinbar für einen Moment vergessen, wen er vor sich hatte und versucht, ihn ihr mit Gewalt abzureißen. Instinktiv hatte sie sich so zur Wehr gesetzt, wie man es dem Team beigebracht hatte, konsequent und endgültig. Den Schlag, der seinen Kehlkopf zerschmetterte, hatte Harding vermutlich nicht einmal kommen sehen. Danach hatte man das allgegenwärtige Hypno-Schulungsprogramm verändert und dafür gesorgt, dass Befehle grundsätzlich ausgeführt wurden. Außerdem sollte es keinem Starchild mehr möglich sein, einem Mitglied der Centerleitung gegenüber aggressiv zu werden. Trotzdem würde er, Laroche, das Risiko nicht eingehen und einem der Mädchen zu Nahe treten. Bei den Teams waren die Reflexe so stark ausgearbeitet, dass die Konditionierung unter Extrembedingungen doch versagen könnte.

        Im nächsten Jahr war Oberst Frazier wieder Teilnehmer der Delegation. Wieder fiel ihm beim Rundgang durch die Gebäude auf, wie ruhig die ganze Anlage war. Niemand rief, lachte, weinte, rannte, spielte, es war erschreckend, wie diszipliniert selbst die kleinsten dieser jungen Leute ihren Pflichten nachgingen. Wieder wurde den Besuchern eine Übung vorgeführt. Diesmal handelte es sich um einen dreidimensionalen Parcours, der so schnell wie möglich überwunden werden sollte. Wieder führte die junge Gruppe sie vor, die er schon bei seinem ersten Besuch gesehen hatte. Die sechs wirbelten über die Hindernisse, als wären sie 30 cm statt bis zu 3 Meter hoch und breit. Nichts konnte sie aufhalten, sie schienen nicht aus Fleisch und Blut, sondern aus Gummi zu bestehen. Direktor Taylor platze fast vor Stolz über den Beifall, denn die Zuschauer spendeten. „Diese sechs jungen Leute sind derzeit unsere Musterschüler. Sie bewegen sich auf einem sehr hohen Level und werden von Tag zu Tag besser."
        Oberst Frazier konnte sich eine Frage nicht verkneifen. „Wie alt sind sie und wie heißen sie?" „Das Mädchen mit den dunklen Haaren ist Starchild 3217, sie ist 15 und hat sich den Namen Angela ausgesucht. Das rothaarige Mädchen, 3128, ist 17 und nennt sich Sarah. Der große Blonde, 3026, ist 19 und wird jetzt Phil genannt. Die beiden dunkelhaarigen, 3051 und 3189 sind 17 und heißen Peter und Sam und der schmale rothaarige ist 3209, 18 Jahre alt und nennt sich David. Sie sehen, Oberst, wir haben ihren Vorschlag vom letzten Jahr umgesetzt."
        „15 - so alt ist meine Tochter auch. Aber sie wäre nicht zu solchen Leistungen fähig. Ich bin beeindruckt. Ich würde mich gerne einmal mit den jungen Leuten unterhalten."
        „Tut mir Leid, Oberst, aber das könnte ihrer Entwicklung schaden. Vielleicht später, wenn sie reifer sind." Sein Gesicht blieb unverändert freundlich, aber wer ihn genauer kannte, konnte aus seinem frostigen Blick schließen, dass dies für lange Zeit die letzte Einladung gewesen war, die Oberst Frazier ins Starchild-Center erhalten hatte.

        Kommentar


          #5
          Da ja doch ein paar Leute hier hinein schauen und zwar keine Reaktionen, aber zumindest auch noch keine Proteste gekommen sind , stelle ich mal noch ein Stück ein.

          Der erste Einsatz

          Zwei Jahre vergingen. Oberst Frazier dachte nur noch selten an das Starchild-Center. Seinen Sohn sah er kaum noch, er stand kurz vor dem Ende seiner Ausbildung und absolvierte zur Vorbereitung einige längere Raumflüge. Seine Tochter machte in diesen Tagen ebenfalls ihren Abschluss. Auf ihrer Abschiedsfeier fielen ihm plötzlich wieder die beiden anderen Feiern ein, die er miterlebt hatte. Hier waren es vergnügte junge Menschen, die während der Abschlussreden nur mit Mühe ruhig blieben. Auf Juveno hatten ernste, schweigende Gestalten in dunklen Overalls ihre Urkunden entgegen genommen, während die große Halle mit ebenso ernsten, schweigenden jungen Menschen gefüllt gewesen war. Erst jetzt wurde ihm bewusst, wie wenig die Kinder aus dem Starchild-Programm mit „normalen" Kindern gemeinsam hatten.

          Sehr kurzfristig bat General Lance ihn um den Gefallen, ihn noch einmal im Starchild Center zu vertreten. Seine Tochter hatte sich entschlossen, zu heiraten und würde es ihrem Vater sehr übel nehmen, wenn er zu diesem Termin nicht anwesend wäre. Michael Taylor war nicht sehr erfreut, als er sah, wer aus dem Shuttle stieg. Hatte dieser Offizier nicht schon für genug Aufregung gesorgt? Zähneknirschend hieß er ihn auf Juveno willkommen und führte die Gäste wieder einmal durch die Anlage. Alles verlief perfekt, besonders die Vorführung des zukünftigen dritten Teams sorgte für Aufsehen. Sie erledigten ihre Aufgaben in furiosem Tempo und fehlerfrei. Oberst Frazier war fasziniert. Diese jungen Leute waren wirklich erstaunlich. Er würde sie wirklich gerne kennen lernen, aber ihm war mittlerweile klar geworden, dass Taylor das nicht zulassen würde. Also heuchelte er Interesse an den weiteren Feierlichkeiten und hing währenddessen seinen eigenen Gedanken nach. In zwei Wochen würde er sich endlich mit seinem Sohn treffen, damit sie gemeinsam ihren Urlaub verbrachten. Schon vor Monaten hatten Oberst Frazier auf dem Urlaubsparadies 'Tramoran zwei' Zimmer gebucht. Er würde von Juveno aus direkt dorthin fliegen und in der Shuttlestation im Orbit auf Chris warten. Alexandra verbrachte die Ferien bei ihrer Tante, der Schwester seiner verstorbenen Frau, die beiden Männer würden also unter sich sein.

          Tramoran zwei war bekannt für seine stabilen und angenehmen klimatischen Verhältnisse. Es gab dort riesige Gebirgszüge, die zum Wandern, Klettern und ganzjährig zum Wintersport einluden. Auch die Liebhaber von Sonne und Wasser kamen auf ihre Kosten. Endlose Sandstrände und leuchtend türkisfarbenes Meer luden zum Baden ein. Für Urlauber war diese Welt ein Paradies, so wie es auch in jeder Reisedokumentation zu sehen war. Die Fraziers verlebten einen herrlichen Urlaub. Erst als sie sich nach vier Wochen wieder auf den Weg zum Raumhafen machen wollten, erkannten sie, dass auch Paradiese ihre Schattenseiten hatten und wie so oft waren es die Menschen, die den Zauber dieses herrlichen Planeten störten. Die Raumflotte der Erde befand sich schon seit vier Wochen in höchster Alarmbereitschaft. Unmittelbar nach der Landung der Fraziers war die Nachricht eingetroffen, sie seien „Gäste" der diktatorischen Regierung Tramorans. Gleichzeitig hatte man einige Forderungen erhalten, auf die man beim besten Willen nicht eingehen konnte. General Lance schaltete sofort die Starchild Organisation ein und bat um Entsendung eines Befreiungskommandos. Dort winkte man zunächst ab. Beide Teams waren bereits im Einsatz und konnten nicht einfach abberufen werden. Die Frist, die man der Erde gesetzt hatte, war schon zur Hälfte verstrichen, als General Lance noch einmal Kontakt zum Starchild Center aufnahm. Unmissverständlich machte er klar, dass er ein großes persönliches Interesse am Leben und der Sicherheit der Fraziers hatte. Er drohte Taylor mit massiven persönlichen Konsequenzen, falls man sich nichts einfallen ließe. Im Center herrschte helle Aufregung, doch dann hatte Taylor endlich die zündende Idee. Zwei Stunden nach dem Gespräch mit General Lance startete eines der beiden Basisschiffe in Richtung Tramoran zwei.

          Sechs vermummte, bis an die Zähne bewaffnete Gestalten duckten sich hinter Steinen und Bäumen. Ihr Ziel war das streng bewachte Lager auf der Lichtung vor ihnen. Ihr Plan war detailiert ausgearbeitet, jeder kannte seine Aufgabe. Auf ein Zeichen verließen sie lautlos ihre Deckung und bewegten sich zügig vorwärts. Sekundenbruchteile hatte der Wald sie wieder verschluckt. Aus der Nähe erkannte man, dass es sich bei dem Lager um einen getarnten Militärstützpunkt handelte. Von oben kaum zu entdecken, waren sämtliche Gebäude halb unterirdisch gebaut und die Dächer dicht bewachsen. Alarmanlagen auf dem neuesten Stand der Technik überwachten jeden Kubikmillimeter der Umgebung, zusätzlich patrouillierten 20 Kampfroboter und 5 Doppelstreifen. Nicht einmal eine Fliege konnte ungesehen eindringen.
          Der Grund für die erhöhte Wachsamkeit saß in einer Gefängniszelle in der Mitte des Lagers. Die beiden Offiziere der irdischen Raumflotte waren vor zwei Wochen auf offener Straße festgenommen worden. Warum man sie verhaftet und in dieses Lager gebracht hatte, wussten sie nicht, aber der Planet, auf dem sie sich befanden, hatte in dieser Beziehung keinen guten Ruf. Spötter meinten, an manchen Tagen sei es ausreichend, durch das falsche Nasenloch Luft geholt zu haben, um spurlos zu verschwinden. Bisher hatte man sich allerdings nie an Angehörigen anderer Planeten vergriffen, aber jetzt schien auch dieses Tabu gebrochen zu sein.
          „Setz' dich hin, Junge, du machst mich wahnsinnig."
          „Wenn ich noch länger still sitze, wachse ich am Stuhl fest, Dad. Wenn ich bloß wüsste, was die von uns wollen."
          „Ich habe keine Ahnung, Chris. Ich vermute, die brauchten ein Druckmittel für irgendetwas und wir waren die Ersten, die ihnen über den Weg gelaufen sind..."
          Chris nickte. „Das könnte sein. Und da sich die Erde nicht erpressen lässt, können wir uns schon mal auf einen längeren Aufenthalt gefasst machen."
          „Das fürchte ich auch."
          Ein leises Schaben aus einer Ecke ließ sie aufhorchen. Sie tauschten einen erstaunten Blick, setzten aber ihr Gespräch fort, als wäre nichts geschehen. Plötzlich erschienen aus dem Nichts zwei dunkel gekleidete Gestalten. „Gut reagiert, meine Herren. Aber keine Sorge, Ihre Gespräche werden nicht abgehört und Ihre Bewacher sehen Sie schon seit ein paar Minuten nicht mehr. Wir sind hier, um sie nach Hause zu bringen. Bitte ziehen Sie das hier an und schließen Sie die Helme." Der Sprecher hielt den überraschten Männern zwei schwarze Bündel hin. „Beeilung bitte, wir haben nur ein begrenztes Zeitfenster. Was auch immer geschieht, halten Sie den Helm geschlossen und folgen Sie uns, bis wir Ihnen etwas anderes sagen." Die beiden Männer hatten inzwischen die Anzüge übergestreift und verschlossen. Der zweite Mann prüfte kurz den korrekten Sitz und nickte zufrieden. Er hatte noch kein Wort gesagt. „Kommen sie jetzt. Er geht voran." Der Sprecher schob einen Teil der Wandverkleidung beiseite und deutete auf seinen Begleiter. Der schlüpfte in einen schmalen Gang, durch den dicke Kabelbündel und Rohre verliefen. Offensichtlich handelte es sich um einen Wartungsschacht. Die beiden Männer folgten ihm, ohne zu Zögern. Hinter sich hörten sie ein leises Zischen, als der zweite Befreier die Wandverkleidung wieder befestigte, damit nicht sofort auffiel, wie die Flucht von Statten gegangen war. Nach ein paar Metern wurde der Gang so schmal, dass man ihn nur noch seitwärts begehen konnte, wenige Schritte weiter war er vollständig unpassierbar. Von oben streckten sich den Männern hilfreiche Hände entgegen. Noch während sie hinauf kletterten, veränderten die Befreier eine Einstellung am Helm. Plötzlich war ein Großteil des Raumes von mehrfarbigen Strahlen erfüllt. Nur wenige Stellen blieben dunkel und auf diesem Weg verließ die kleine Gruppe das Gebäude. Aus dem Nichts tauchten zwei weitere Gestalten auf und gemeinsam schlich man auf dem gleichen Weg aus dem Lager heraus, wie man es betreten hatte. Im Laufschritt überwanden sie eine freie Fläche und verschwanden wie Schatten im Dämmerlicht des Urwalds.

          Etwa eine halbe Stunde später erhielt der Lagerkommandant einen Anruf. „General Tharay, Sir."
          „Stellen Sie durch."
          „Was machen die Gefangenen, Colonel?"
          „Sie langweilen sich und stellen die wildesten Spekulationen an, weshalb sie hier sind, Sir. Auf die Idee, nur ein Lockvogel zu sein, sind sie noch nicht gekommen."
          „Achten Sie gut auf die Beiden. Man wird mit Sicherheit einen Befreiungsversuch starten."
          „Niemand kann hier eindringen, ohne dass er bemerkt wird, Sir. Alle Messgeräte sind in Betrieb und auf höchste Empfindlichkeit eingestellt. Uns entgeht keine Bodenschwingung, kein Geräusch, keine energetische Anomalie, keine Funktätigkeit – wir überwachen sogar den Luftdruck. Jede Besonderheit wird gemeldet und geprüft."
          „Man hat die Starchild Organisation eingeschaltet. Colonel. Damit dürfte klar sein, dass wir es mit Profis zu tun bekommen."
          „Das ist mir bekannt, Sir. Ich habe die Wachen verstärkt und höchste Alarmbereitschaft angeordnet. Ich bin mir der Wichtigkeit unserer Aufgabe durchaus bewusst. Wir werden den Einsatztrupp der Starchild Organisation fassen und dann... Was ist denn los, Soldat?"
          Der junge Mann war ohne anzuklopfen in das Arbeitszimmer geplatzt. „Entschuldigen Sie, Sir. Die Gefangenen sind nicht mehr da."
          „WAS? Das Gebiet abriegeln und durchsuchen. Ich will, dass jeder Grashalm umgedreht wird."
          „Jawohl, Sir." Das Lager erwachte schlagartig zu hektischer Betriebsamkeit.
          „Finden Sie sie, Colonel. Sie persönlich haften dafür, dass sie nicht entkommen werden. Falls doch, packen Sie schon einmal für Tramoran drei..."
          Der Colonel schluckte. Tramoran drei war berüchtigt. Der Planet war extrem lebensfeindlich. Eine Versetzung dorthin kam einem Todesurteil gleich. „Wir finden sie, Sir."

          Etliche Kilometer entfernt legte die Gruppe eine kurze Rast ein. Schwer atmend ließen sich die beiden Offiziere ins Gras fallen. „Lassen Sie die Helme geschlossen. Wir wollen möglichst wenige Spuren hinterlassen. Sie können hier den Außenlautsprecher einschalten."
          Im Gegensatz zur Stimme des Maskierten klang der ältere Mann ziemlich angestrengt. „Vielen Dank für die Befreiung. Wer sind Sie?"
          „Wir kommen von der Starchild Organisation. General Lance hat uns mit Ihrer Rettung beauftragt, Oberst Frazier. Er sagte, er würde nur ungern auf seinen Schachpartner verzichten..."
          Der Oberst lachte leise. „Das sieht ihm ähnlich. Wie haben Sie es geschafft, in das Lager einzudringen?"
          „So, wie wir hinausgekommen sind. Zu Fuß."
          „Das ist mir klar. Aber wie...?"
          „Wir wurden auf Situationen wie diese trainiert, Oberst. Kommen Sie, wir dürfen unser Rendezvous nicht warten lassen. Ihr Verschwinden wird bald bemerkt werden."
          „Wie weit ist es noch bis dahin?"
          „Wenn wir im gleichen Tempo vorankommen, etwa eine halbe Stunde."
          Die beiden Offiziere tauschten einen besorgten Blick. Hoffentlich hielten sie das Tempo so lange durch. Entschlossen stand Oberst Frazier auf. „Wir werden versuchen, Ihnen nicht zur Last zu fallen, aber berücksichtigen Sie bitte, dass wir als Raumfahrer nicht so oft zu Fuß unterwegs sind.“
          Mit einer knappen Geste wurden die beiden Offiziere zum Weiterlaufen aufgefordert. Nach ein paar Schritten meldete sich einer der bisher schweigenden Männer zu Wort. „Der Alarm wurde ausgelöst.“ Der Größere der beiden Männer, der die Fraziers aus ihrer Zelle geholt hatte, nickte bestätigend. „Beeilen wir uns, bevor sie alles dicht machen." Schweigend lief die Gruppe weiter. Nach einer für die Raumfahrer sehr anstrengenden Dreiviertelstunde erreichten sie endlich ein gut getarntes Miniraumschiff.
          Chris Frazier blieb stehen und schüttelte den Kopf. „Damit sollen wir fliegen? Das ist nicht ihr Ernst!"
          „Wenn Sie lieber laufen möchten, tun Sie sich keinen Zwang an, Lieutenant." Der junge Mann betrachtet zweifelnd das Schiffchen. Die Stimme des Mannes ließ keinen Zweifel daran, dass er es ernst meinte. „Sie haben 10 Sekunden, an Bord zu gehen, dann leite ich die Startsequenz ein." Seufzend gab der Offizier nach und kletterte ins Einstiegsluk. Einer der Männer zog ihn auf einen aus der Wand geklappten Sitz und forderte ihn mit einer knappen Handbewegung auf, sich an zuschnallen. Im nächsten Moment brüllten hinter ihm die Motoren auf und das Schiff wurde wie aus einer Kanone abgefeuert in den Himmel katapultiert. Es hatte kaum die Atmosphäre verlassen, als es auch schon im schützenden Hyperraum verschwand.
          Oberst Frazier versuchte, ein Gespräch mit seinem Nebenmann anzufangen, aber außer einem knappen Nicken erhielt er keine Reaktion. Sein Sohn lauschte noch immer besorgt dem urwelthaften Röhren hinter seinem Rücken. Als das Geräusch wenige Minuten später leiser wurde, atmete er erleichtert auf. Aus dem Cockpit hörte man leise Stimmen und ein lautes Klirren verkündete, dass das Schiffchen angedockt hatte. Gleich darauf zeigten die Sensoren eine atembare Atmosphäre und die Luke wurde geöffnet. Das Starchild-Team ließ den Befreiten den Vortritt.
          General Lance erwartete sie persönlich. „Willkommen zurück, meine Herren."
          Die beiden Männer salutierten.
          „Vielen Dank, General."
          „Wo sind Ihre Befreier? Ach, da sind Sie ja. Das war gute Arbeit, vielen Dank." Die sechs Gestalten nickten schweigend. Noch immer trugen sie ihre Masken. „Da Ihr Schiff die Distanz nicht selbst überbrücken kann, bringen wir Sie wie besprochen nach Juveno zurück. Vorher machen wir allerdings noch einen Abstecher durch das Orion-Tor, man hat in der Nähe eine Schmugglerbasis entdeckt. Sie erhalten eine Kabine zugewiesen, betrachten Sie sich als Gäste an Bord."
          „Wenn wir behilflich sein können, stehen wir zur Verfügung, General."
          „Danke, ich werde Ihr Angebot berücksichtigen. Lieutenant Carter zeigt Ihnen Ihr Quartier." Der junge Lieutenant macht eine einladende Geste und ging voraus. Nach den ersten drei Schritten hatten sich die Starchild in zwei Dreiergruppen formiert und folgten dem Lieutenant im Gleichschritt. Auch Chris machte sich auf den Weg in seine Kabine.
          Die beiden Offiziere sahen sich an. General Lance schüttelte den Kopf und hob die Schultern. „Ich weiß nicht, John, irgendwie sind die mir unheimlich. Als hätte man Maschinen vor sich und keine Menschen."
          Oberst Frazier nickte. „Mal schauen, ob wir in den nächsten Wochen ein wenig an der Fassade kratzen können..."

          Das Quartier war eine kleiner Raum mit sechs Schlafplätzen. Lieutenant Carter hob bedauernd die Hände. „Mehr Platz haben wir leider nicht frei. Hier sind die allgemeinen Vorschriften, ein Lageplan und die Anweisungen für den Notfall. Bitte lesen Sie alles gut durch. Ich hole Sie in einer halben Stunde ab und zeige Ihnen den Weg zur Messe und den Aufenthaltsräumen." Er erhielt ein knappes bestätigendes Nicken und ging zögernd hinaus. Die Starchild-Leute standen offensichtlich nicht umsonst in dem Ruf, arrogant zu sein, sie bekamen ja nicht einmal die Zähne auseinander, um sich zu bedanken. Kopfschüttelnd kehrte er an seine Station zurück.
          In der Kabine tauschte das Team einen langen Blick.
          Schließlich fragte Sarah leise: „Und jetzt? Wie soll es weitergehen?"
          „Wir müssen natürlich durchhalten. Wir haben ja ohnehin keine andere Wahl. Wenn wir zusammen bleiben und den Kontakt mit den Raumfahrern weitestgehend vermeiden, wird schon alles gut gehen."
          „Bist du sicher? Und wenn es doch Probleme gibt?"
          Jetzt wurde in Angelas Stimme doch Ungeduld hörbar. „Dann werden wir die auch durchstehen. Reiß dich zusammen, sonst glauben die noch, wir hätten Angst vor ihnen." Phil warf ihr einen langen Blick zu, den sie fast trotzig erwiderte. Natürlich war sie auch unsicher, was sie auf diesem Schiff erwartete, aber Angst hatte sie definitiv nicht.
          Schritte auf dem Gang unterbrachen die leise Diskussion. Oberst Frazier erschien in der Tür, klopfte höflich und wandte sich lächelnd an seine Befreier. „Ich möchte Ihnen danken. Sie haben ihr Leben riskiert, um meinen Sohn und mich zu retten.“ Auch er erhielt ein knappes Nicken. Noch immer lächelnd fuhr er fort: „Ich würde gerne Ihre Gesichter sehen. Oder möchten Sie in den nächsten Wochen dauerhaft die Masken tragen?" Erstaunt registrierte er das fast unmerkliche Zögern, bevor sich die erste Hand hob. Damit schien das Eis gebrochen und einer nach dem anderen nahm den Gesichtsschutz ab und faltete die darunter liegende Kapuze des Overalls nach hinten. Oberst Frazier erstarrte, als er die Gesichter erkannte. „Das darf doch nicht wahr sein! Was fällt der Starchild-Organisation ein, so junge Leute zu schicken?"
          Angelas Stimme war ruhig und sachlich, als sie antwortete. „Wir waren der nächste freie Einsatztrupp, Sir. Wenn Sie lieber auf ein älteres Team warten möchten, bringen wir Sie wieder zurück. Sie werden dann in 3 bis 6 Wochen wieder abgeholt."
          „Wie bitte?" John Frazier holte tief Luft, als ihm aufging, dass die Worte keine Provokation, sondern ein durchaus ernst gemeintes Angebot waren. Entschieden schüttelte er den Kopf. „Nein danke, die Gastfreundschaft dort ist mir zu fesselnd. Vielen Dank für die Befreiung, das war sehr gute Arbeit." Zum ersten Mal huschte der Schatten eines Lächelns über die ruhigen, ernsten Gesichter. Sie schienen sich doch über das Lob zu freuen. Vorsichtig sprach er weiter. „Aber ich bin sehr überrascht. Ich habe euch doch erst vor wenigen Monaten noch in der Ausbildung gesehen. Ist es in Ordnung, wenn ich euch dutze?"
          Angela nickte. Es war für sie und ihr Team völlig unwichtig, wie sie angesprochen wurden. „Wir sind vom Ausbildungsstand gleich auf mit den Kameraden, die bereits aktiv tätig sind. General Lance betonte, die Angelegenheit wäre eilig und die zwei derzeit aktiven Teams sind noch gebunden. Also hat man uns mit der Mission beauftragt."
          „Dann war das sozusagen eure Premiere?"
          „Ja, Sir."
          „Dann nochmal meine Hochachtung.“ Er deutete auf Sarah und Angela und sagte: „Ich werde mit General Lance sprechen, damit man euch eine eigene Kabine zuweist."
          Angela machte eine knappe ablehnende Geste und konnte gerade noch ihre Stimme kontrollieren, bevor der Schreck hörbar wurde, der sie durchzuckte. Sie wollte auf keinen Fall von ihren Kameraden getrennt werden. „Das ist nicht notwendig."
          „Ich finde schon. Ihr könnt doch nicht mit euren Kameraden einen Raum bewohnen."
          „Ein Team wohnt immer gemeinsam in einem Raum."
          „Wirklich?“ Oberst Frazier seufzte. „Also gut. Ich darf euch nicht mit unseren normalen Kadetten vergleichen, auch wenn ihr im selben Alter seid. Ich hoffe nur, es gibt keine Disziplinprobleme deswegen. Falls irgendetwas Ungewöhnliches passiert, meldet ihr euch bei mir, ja?" Die sechs nickten schweigend, während Angela kurz überlegte, ob sie den Oberst bitten sollte, genauer zu definieren, was er als ungewöhnlich einstufte. Für sie und ihr Team war hier alles neu und fremd. Mit einem knappen Salut, den die Starchild ordnungsgemäß erwiderten, verabschiedete sich Oberst Frazier. Er war gespannt, was sein alter Freund Frank Lance zu dieser Entwicklung sagen würde.

          Lieutenant Carter erschien, kurz nachdem der Oberst gegangen war. Als er sah, wie jung die Starchild waren, verlor er auch den letzten Rest Respekt, den er zuvor noch empfunden hatte. Die waren ja nicht älter als die neuen Kadetten, die vor zwei Wochen an Bord gekommen waren. Militärisch knapp forderte er die 'Grünschnäbel' auf, ihm zu folgen und führte sie durch den Hauptkorridor zur Messe. Er war es gewohnt, dass Gäste an Bord Fragen stellten, aber von diesen sechs arroganten Gestalten kam kein Wort. Ob sie überhaupt realisierten, in was für einem technischen Meisterwerk der Ingenieurskunst sie sich gerade aufhielten? Wären sie Zivilisten gewesen, hätte er sich bemüht, ihnen die Besonderheiten des Schiffes zu zeigen. Durch ihr fast militärisches Verhalten nahm er sie jedoch unbewusst als Kadetten oder neue Besatzungsmitglieder wahr und ging davon aus, dass sie über alles Bescheid wussten. Mit einem leisen Zischen öffnete sich das letzte Schott. Der Gang vor der Messe war von Essensgeruch durchzogen. Carter schnupperte genüsslich. „Unser Koch ist einer der Besten der Raumflotte. Heute gibt es Chili con Carne mit extra viel Zwiebeln und Knoblauch." Es roch wirklich verführerisch, ihm lief schon bei dem Gedanken daran das Wasser im Mund zusammen.

          Die Starchild warfen sich einen entsetzten Blick zu. Sie hatten keine Ahnung, was der Mann ihnen damit sagen wollte, aber der Gang stank penetrant nach irgendetwas, das keiner von ihnen wirklich in den Mund nehmen wollte. Es roch verbrannt und etwas Beißendes lag in der Luft. Ihre Augen brannten, ihre Nasen begannen zu laufen, aber da sie hungrig waren, betraten sie mutig die Messe. Der große Raum war fast leer. Trotzdem herrschte ein Geräuschpegel, dass es ihnen in den Ohren hallte. Gesprächsfetzen flogen hin und her, Gelächter brandete auf - so laut war es auf Juveno nicht einmal bei den ganz Kleinen. Ein Besatzungsmitglied kam ihnen mit einem Tablett entgegen. Als Angela die dunkelbraune Masse auf seinem Teller sah, spürte sie einen fast unwiderstehlichen Würgereiz. Ihr Gesicht versteinerte, als sie alle Konzentration darauf richten musste, ihren Mageninhalt an seinen Platz zurück zu befördern. Ein Blick auf ihre Kameraden zeigte ihr, dass es ihnen genauso erging. „Danke, Lieutenant,“ war alles, was sie noch hervor brachte, bevor sie auf dem Absatz kehrt machte und diesen unappetitlichen Ort schnellstmöglich verließ, ohne zu rennen. Der Rest ihres Teams folgte ihr fast synchron. Ehe Lieutenant Carter die Lage erfassen konnte, waren sie schon verschwunden. Zum Glück hatten sie den Lageplan ausgiebig studiert und fanden ohne Probleme zu ihrem Quartier zurück. Dort versorgten sie sich aus den Vorräten an dehydrierten Nahrungskonzentraten, die sie in ihren Taschen vorgefunden hatten. Bei den Raumfahrern waren diese Konzentrate verhasst und wurden nur im äußersten Notfall gegessen. Sie besaßen die Größe eines Streifens Kaugummi, enthielten alles, was der Körper zum Leben benötigte, schmeckten und rochen aber nach nichts. Sie zu essen war so, als würde man ein Stück Papier kauen. Für die Starchild war es ganz normale Nahrung, im Geschmack der gleich, die sie auf Juveno seit mehr als 10 Jahren täglich vorgesetzt bekamen.

          In der Messe machte Lieutenant Carter seinem Herzen Luft und schimpfte ausgiebig über das 'arrogante Starchild-Pack', das sie an Bord genommen hatten. Sämtliche Vorurteile hatten sie bisher bestätigt. Er opferte freiwillig einen Teil seiner Mittagspause, um sie zur Messe zu führen und sie ließen ihn einfach stehen. Das musst er sich doch nicht gefallen lassen, oder? Die umsitzenden Kameraden nickten bestätigend und zeigten Mitgefühl. Es war wirklich eine Frechheit. Einzig Chris Frazier, der eng mit Alan Carter befreundet war und sich die Kabine mit ihm teilte, äußerte sich nicht zu der Lästerei. Er fühlte sich nicht wohl dabei, denn er ahnte, welche Risiken das Team auf sich genommen hatte, um ihn und seinen Vater zu befreien. Deshalb empfand er es als unfair, jetzt über sie her zu ziehen. Außerdem hatte er den Vorfall ohnehin nicht gesehen, er war erst ein paar Minuten später in der Messe eingetroffen. Sein Vorgesetzter hatte ihm erklärt, dass er in den nächsten Tagen die liegen gebliebenen Arbeiten nachzuholen hatte und ihn dafür zu diversen Sonderschichten eingeteilt. Es war schon übel, wenn man der Sohn eines ranghohen Offiziers der Flotte war. Seit dem ersten Tag auf der Akademie wurden von ihm 200 % Einsatz und 250 % Leistung erwartet und daran hatte sich bis heute nichts geändert. Mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, aber manchmal nervte es trotzdem. Ursprünglich hatte er Alan sein Leid klagen wollen, aber der Freund war so aufgebracht, dass er nicht einmal zu Wort kam. Chris beschloss, die Vorgänge hier in der Messe bei nächster Gelegenheit seinem Vater zu melden. Es war bestimmt nicht erwünscht, dass sich eine so ablehnende Atmosphäre gegen die Starchild zusammen braute. In den nächsten Tagen war er jedoch so in seine Pflichten eingespannt, dass er seine guten Vorsätze völlig vergaß. Er verpasste die gemeinsamen Mahlzeiten mit seinen Freunden, fiel abends todmüde ins Bett und schlief wie ein Stein bis zum nächsten Wecken. Erst nach 4 Tagen hatte er wieder etwas Luft und war in der Lage, sich um etwas Anders zu kümmern. Besorgt hörte er, dass sich die Starchild fast völlig ihr Quartier zurückgezogen hatten und es nur noch verließen, um die Sporthalle und die Duschen zu nutzen. Auch dies geschah zu Zeiten, in denen sie kaum Kontakt zur Mannschaft bekamen. Niemand wusste, was sie in der übrigen Zeit taten. Seinen Kameraden war das nur Recht und selbst der Koch, normalerweise ein sehr freundlicher und hilfsbereiter Mann, spuckte Gift und Galle, sobald der Begriff 'Starchild' in seiner Nähe fiel. Wenn dieses arrogante Volk noch einmal die Messe betrat, würde er ihnen schon zeigen, was er davon hielt, wenn jemand sein gutes Essen verschmähte, drohte er. Was war da nur geschehen?

          Nach dem Vorfall mit dem 'Chili' hatten die sechs Starchild noch einen Versuch unternommen, sich in der Messe zu verpflegen. An diesem Tag gab es Schnitzel mit Kartoffelpüree und Gemüse. Mutig hatten sie ihre Portionen entgegen genommen, das dunkle Ekelige und das komisch Bunte von vornherein als 'nicht essbar' aussortiert und nach zwei Bissen Kartoffelbrei festgestellt, dass auch dieser Teil des Essen zwar fast vertraut aussah, aber doch völlig fremd schmeckte. Noch Stunden später brannten ihre Zungen von den ungewohnten Gewürzen. Also wurden sechs kaum angerührte Portionen zurück gegeben, was der Koch wiederum als persönliche Beleidigung seiner Fähigkeiten auffasste. Seitdem hatten sie die Kantine nicht wieder aufgesucht. In ihrem Gepäck hatten sie Lehrmaterial für etwa 6 Monate gefunden und so hatten sie sich inzwischen mit der ungewohnten Situation arrangiert und verbrachten viel Zeit im Hypnoschlaf. Da ihre Trainingseinheiten aufwändig waren und viel Platz in Anspruch nahmen, folgten sie der Empfehlung ihrer Ausbilders, die Halle während der regulären Mittagszeit zu nutzen.

          Chris meldete sich bei seinem Vater, der sich jedoch in einer Besprechung befand und frühestens in drei Stunden Zeit für ihn haben würde. Also beschloss Chris, zunächst sein Sportpensum der letzten Tage nachzuholen, bevor er Ärger mit den Ärzten bekam. Sport war nicht nur wichtig um in Form zu bleiben, sondern auch Stress abzubauen und so Auseinandersetzungen vorzubeugen. Die Einhaltung der persönlichen Trainingseinheiten wurde streng überwacht und er hatte sie in den letzten Tagen sträflich vernachlässigt. Um diese Zeit war in der Sporthalle nie etwas los, also konnte er die Zeit nutzen, um sich zu überlegen, wie man das Problem mit den Starchild in den Griff bekommen könnte. Doch als er den großen Raum betrat, war er zu seiner großen Überraschung nicht allein. Sechs junge Leute, die er noch nie zuvor gesehen hatte, wirbelten durch die Halle. Sicher gehörten sie zu dem Kontingent neuer Anwärter, die während seines Urlaubs von der Erde eingetroffen waren. Das Training galt als Freizeit und solange sie sich in der Sporthalle aufhielten, waren die Soldaten nicht verpflichtet, zu Grüßen oder Meldung zu machen. Deshalb war es für Chris völlig normal, dass sie ihn nicht weiter beachteten und auch er kümmerte sich nicht weiter um die Gruppe. Nach einer kurzen Aufwärmphase begann er sein Krafttraining, als ihn eine freundliche Stimme aus seinen Überlegungen riss.
          „Du wirst dich verletzen." Überrascht sah er auf. Der rothaarige Junge, der gerade noch an einem anderen Gerät trainiert hatte, stand neben ihm.
          „Wie meinst du das?“
          Der Junge deutete auf eine Stelle des Gerätes.„Setze deinen Griff hier an. Das ist effektiver und schont das Gelenk."
          Chris runzelte die Stirn, folgte versuchsweise dem Rat und spürte tatsächlich eine Veränderung. „Stimmt, das ist besser so. Danke." Er erhielt ein kurzes Nicken und der Junge verschwand in die Mitte der Halle, wo sich auch der Rest der Gruppe versammelte. In wechselnden Zweiergruppen begannen sie ein Nahkampftraining, über das Chris seine eigenen Übungen fast vergaß. Immer wieder unterbrach ein lautes „Stopp" den Kampf, dann wurden einzelne Bewegungen langsam nachvollzogen und Abwehrbewegungen erarbeitet, bevor es weiter ging. Fasziniert beobachtete Chris die jungen Leute. Nach etwa einer Stunde schien ihr Training beendet zu sein. Jetzt hielt ihn nichts mehr auf seinem Platz. Lächelnd kam er auf die Kadetten zu. „Das war ja Wahnsinn!" Die Gruppe schien ihn vergessen zu haben, sie wirbelten erschreckt herum. „Sorry, ich wollte euch nicht unterbrechen, aber so etwas habe ich noch nie gesehen." Ein knappes Lächeln und ein leichtes Nicken deutete darauf hin, dass sein Lob angekommen war. „Lasst euch nicht stören, ich muss noch ein paar Runden laufen." Auch die Gruppe setzte sich in Bewegung. Als sei das Kampftraining gerade nur eine Aufwärmübung gewesen, stürmten sie leichtfüßig über die Bahn. Chris versuchte, das Tempo zu halten, aber schon nach vier Runden fehlte ihm die Luft und er musste sich immer wieder ein- und überholen lassen. Schließlich verschwand die Gruppe im Umkleideraum. Obwohl Chris ihnen nur wenige Minuten später folgte, war der Raum schon leer. Im ersten Moment dachte er, sie hätten nicht einmal geduscht, aber da sechs Kabinen gerade automatisch desinfiziert wurden, verwarf er den Gedanken gleich wieder. Verwirrt schüttelte er den Kopf und genoss die sanfte Massage der Ultraschall-Einheit. So ein Tempo kannte er nur aus der Grundausbildung, wenn ein Ausbilder mit der Stoppuhr in der Ecke stand und überraschend zum Antreten rief. Als er in seinem Quartier eintraf, erwartete ihn die Nachricht, dass sein Vater ihr Treffen auf den nächsten Tag verschoben hatte. Aufatmend ließ Chris sich in seine Koje fallen und streckte die malträtierten Muskeln. Schon wenige Minuten später war er fest eingeschlafen.

          Auch am nächsten Tag lag seine Schicht so, dass er versetzt zur normalen Bordzeit lebte. Die reguläre Mittagszeit war sein Feierabend und er hatte noch immer einige Sporteinheiten nachzuholen. Also nutzte er noch einmal die Möglichkeit, ungestört die Sporthalle aufzusuchen. Dieses Mal war sie leer, aber schon nach wenigen Minuten erschienen die jungen Leute von gestern. Er begrüßte sie mit einem „Hi“, das sie mit einem knappen Nicken erwiderten. Danach beachteten sie ihn nicht mehr, sondern begannen ihr Training. Staunend beobachtete Chris, wie sie anstelle einer langsamen Aufwärmphase ein Tempo vorlegten, das bei jedem normalen Sportler sofort zu Verletzungen führen musste. Nach etwa einer halben Stunde besetzte einer von ihnen, dem Aussehen nach etwa gleichaltrig mit Chris, ein Gerät in seiner Nähe. Lächelnd nickte Chris ihm zu, während er die Gewichte in die Höhe brachte. „Hi, ich bin Chris."
          Ein verwunderter Blick traf ihn. „Ich weiß."
          „Und wie heißt du?"
          Wieder kam so ein merkwürdiger Blick. „Phil."
          „Seid ihr öfter um diese Zeit hier, Phil?"
          Der Blonde nickte. „Jeden Tag."
          „Aber so verpasst ihr doch das Essen."
          „Das macht nichts." Eine Weile trainierten die beiden jungen Männer schweigend. Dann fragte Phil plötzlich: „Und warum bist du um diese Zeit hier und verpasst das Essen?" Obwohl das Spiel seiner Muskeln zeigte, dass er einiges an Gewicht bewegte, war seiner Stimme keine Anstrengung anzumerken.
          „Ich habe diese Woche abweichende Schichtzeiten. Meine Essenszeit war schon vor vier Stunden." Chris musste sich eingestehen, dass er seine Übungen nicht so mühelos bewältigte wie der Kamerad. Zumindest hörte man seiner Stimme die Anstrengung deutlich an.
          Der Blonde nickte leicht. „Verstehe."
          „Hast du gestern den Auflauf probiert?"
          „Nein."
          „Der war gut, sage ich dir. Wie war denn die Suppe?"
          „Das weiß ich nicht."
          „Wie? Was gab es denn noch außer Auflauf und Suppe?"
          Ein verständnisloser Blick traf Chris. „Frag den Koch."
          „Isst du nicht in der Kantine?"
          Für einen Moment huschte kaum erkennbare Ablehnung über das Gesicht des jungen Mannes, dann folgte ein kategorisches: „Nein."
          Chris stutzte, aber bevor er seinen Gedanken festhalten konnte, quäkte ein Lautsprecher los und beorderte 'Lieutenant Frazier' umgehend in Raum 318. „Oh, ich muss los. Bye, Phil, schön, dich kennen gelernt zu haben." Der Blonde nickte nur leicht und setzte sein Training fort. Als Chris zu den Duschen ging, bemerkte er plötzlich, dass zwei der Neuen Mädchen waren. Irritiert schüttelte Chris den Kopf. Wie hatte ihm das bisher entgehen können? So viele Mädchen gab es im Flottendienst doch gar nicht und nur wenige wurden auf den großen Raumkreuzern eingesetzt. Während er den Gängen zum Büro seines Vaters folgte, dachte er noch einmal über das Gespräch in der Sporthalle nach. Der junge Mann war sehr wortkarg gewesen, trotzdem hatte Chris nicht den Eindruck gewonnen, Phil habe ihn arrogant abgeschmettert. Es schien eher so, als hätte er kaum Übung in Smalltalk und gar nicht gewusst, was er sagen sollte. Erst jetzt fiel ihm auf, dass auch die anderen jungen Leute sehr still gewesen waren. Schmunzelnd verglich er die beiden Mädchen mit seiner Schwester – sobald Alex ein zweites weibliches Wesen in ihrer Nähe hatte, kam sie aus dem Erzählen und Kichern gar nicht heraus.

          Nachdenklich sah Phil dem jungen Soldaten nach. Wenn er das Gespräch überdachte, hatte es keinen echten Austausch relevanter Informationen gegeben. Weshalb hatte der Raumfahrer ihn also angesprochen? Phil war im Rückblick nicht sicher, ob seine Antworten der Situation angemessen und in sich logisch gewesen waren. Zum ersten Mal spürte er Heimweh nach den vertrauten Strukturen des Centers. In dieser seltsamen Welt hier würde er sich wohl nie zurecht finden. Phil spürte Angelas besorgten Blick und setzte sein Training fort. Sie hatte ein gutes Gespür für die Stimmung im Team und ahnte vermutlich schon, was jetzt in ihm vorging. Aber darüber sollten sie später in ihrer Kabine sprechen, dort hatten Sarah und David dafür gesorgt, dass sie nicht abgehört werden konnten.
          Fünf Minuten nach dem Aufruf betätigte Chris den Summer für Raum 318. Eine befehlsgewohnte Stimme forderte ihn zum Eintreten auf. Ungeduldig sah sein Vater ihn an „Wo bleibst du denn so lange?“
          „Ich war in der Sporthalle und ungeduscht hättest du mich hier nicht haben wollen.“
          John Frazier schmunzelte und nickte leicht, bevor er seinem Sohn die Frage stellte, die ihm unter den Nägeln brannte. „Was hat es mit den wilden Gerüchten über das Starchild-Team auf sich?"
          Chris hob bedauernd die Hände. „Ich war nicht dabei und weiß leider auch nur, was die Gerüchteküche hergibt."
          „Und was sagt Lieutenant Carter? Ihr seid doch befreundet?"
          „Der hält sie für arrogant, weil sie ihn am ersten Tag in der Kantine stehen gelassen haben. Ich sehe ihn zur Zeit zwar kaum, aber ich kann mir nicht vorstellen, dass er danach noch einmal bei ihnen war."
          Der Oberst nickte leicht. „Es war also doch ein Fehler, ihm diese Aufgabe zu übertragen. Dafür ist er nicht flexibel genug. Was hältst du von ihnen?"
          „Keine Ahnung, ich habe sie ja nur während unserer Befreiung gesehen." Erstaunt sah Chris, wie sein Vater den Kopf schüttelte.
          „Du warst gerade eben mit ihnen in der Sporthalle."
          Chris riss die Augen auf. „DAS ist das Starchild-Team? Die sind doch viel zu jung für so etwas! Obwohl – eigentlich hätte ich es mir denken können. Das Kampftraining von gestern war viel zu gut für Kadetten. Das war unglaublich, so etwas habe ich noch nie gesehen."
          Oberst Frazier nickte. „Ich kann es mir vorstellen. Ich habe sie zum ersten Mal vor vier Jahren gesehen und da waren sie schon atemberaubend. Also, was hältst du von ihnen?"
          Chris zögerte und suchte nach den richten Worten. „Sie sind ... sehr ... sehr ruhig. Ich habe vorhin versucht, mit einem von ihnen ein Gespräch anzufangen. Er heißt Phil, so ein großer Blonder, müsste etwa in meinem Alter sein. Ich hatte den Eindruck, er wusste gar nicht, was ich von ihm wollte.“
          „Und?“
          „Naja, er war nett und freundlich, aber ich musste ihm so gut wie alles aus der Nase ziehen. Smalltalk beherrscht er wohl eher nicht..."
          Sein Vater nickte. „Den jungen Leuten fehlt praktisch jede Erfahrung im Umgang mit 'normalen' Menschen. Wenn ich das richtig sehe, haben sie Juveno vorher noch nie verlassen und wir sind ihr erster Kontakt, der nicht zum Starchild-Center gehört.“ Er sah Chris' ungläubigen Blick und ergänzte: „Bis vor drei Jahren besaßen sie nicht einmal Namen, sondern nur ihre Starchild-Nummer."
          „Wie bitte? Das gibt es doch gar nicht.“
          „Es ist zwar kaum vorstellbar, aber es ist so.“
          „Dann wundert mich ja gar nichts mehr. Kannst du dir erklären, warum sie nicht in der Kantine essen wollen?"
          „Ich bin nicht sicher, aber ich vermute, sie kennen kein normales Essen."
          „Wie meinst du das?"
          „Bei meinem letzten Besuch lagen Rechnungen der „Starfood-Company" auf dem Schreibtisch des Direktors. Die stellen hauptsächlich den Synthesebrei her, den wir auch für den absoluten Notfall an Bord haben. Du weißt schon, dieses helle Zeug, das aussieht wie schon einmal gegessen und nach nichts schmeckt."
          „Hör bloß auf, mir wird schon bei dem Gedanken daran ganz anders. Und du meinst, die ESSEN das Zeug? Jeden Tag? Igitt!“ Chris schüttelte sich und spürte, wie sich schon bei dem Gedanken sein Magen zusammen zog. „Aber warte mal, mir fällt gerade etwas ein. Wenn man den Brei etwas länger stehen lässt, fängt er an zu schimmeln und wird dabei dunkelbraun. Das würde zumindest erklären, warum sie Chili und Schnitzel nichts abgewinnen konnten..."
          John Frazier schmunzelte und nickte. „So wird es sein. Gut, dann wäre die Frage der Verpflegung also geklärt."
          Chris sah ihn entsetzt an. „Mister Kramer wird dich steinigen, wenn du von ihm verlangst, das Zeug warm zu machen... Und wenn sie das in der Kantine essen, wird den Anderen reihenweise der Appetit vergehen - mir übrigens auch..."
          „Ich weiß. Da müssen wir uns noch etwas überlegen. Hör zu, Chris, ich möchte, dass du Kontakt zu den Starchild aufnimmst. Ich glaube, du bist zur Zeit der Einzige, der ihnen unvoreingenommen entgegen tritt. Versuche, ob du sie ein wenig unter Menschen bringen kannst - und wenn nicht, dann mach ihnen auf andere Weise deutlich, dass das Leben mehr ist, als das Center ihnen weis machen will. Diese Aufgabe hat Priorität vor deinen anderen Pflichten. Du bist teilweise freigestellt, hast aber die Pflicht, dich auf deiner Station zu melden, wenn du nicht mit ihnen in Kontakt stehst. Nimmst du an?"
          Sein Sohn salutierte. Seine Augen blitzten unternehmungslustig. „Vielen Dank für dein Vertrauen. Die Aufgabe klingt interessant, natürlich nehme ich sie an."



          Eine halbe Stunde später klopfte es am Schott der Starchild-Kabine. Bis auf Sarah lagen schon alle im Hypnoschlaf und wurden in den verschiedensten Bereichen unterrichtet. Gespannt sah sie zur Tür, bis ihr die seltsame Eigenart der Raumfahrer wieder bewusst wurde. Wer auch immer dort draußen stand und etwas von ihnen wollte, er würde nicht herein kommen. Warum waren die Leute hier nur so kompliziert? Im Center wurden die meisten Türen der Quartiere nicht einmal Nachts geschlossen und ihre Ausbilder hatten noch nie darauf gewartet, dass sie zum Eintreten aufgefordert wurden. Zögernd betätigte sie den Öffnungsmechanismus und stoppte das Schott, bevor es ganz aufschwang. Der junge Offizier, den sie von Tramoran zwei geholt hatten, stand draußen und war gerade im Begriff, zu gehen. Lächelnd sah er sie an. „Hey, es ist ja doch jemand da. Ich dachte schon, ihr seid ausgeflogen. Ich bin euer neuer Ansprechpartner und wollte nur kurz 'Hallo' sagen. Habe ich dich geweckt?"
          Sarah schüttelte den Kopf, während sie versuchte, in der Flut von Wörtern die wichtige Information zu finden. „Nein. Ich war noch wach, ich habe mich gerade auf meine Astrophysik-Schulung vorbereitet."
          „Also störe ich. Schon gut, ich komme später wieder. Ist 18:00 Uhr in Ordnung? Oder lieber 18:30?“ Chris bemerkte ihren unsicheren Blick. „19:00 Uhr?"
          Sarah nickte. „19:00 Uhr"
          „Prima. Bis nachher dann."
          Sarah schloss langsam das Schott. Sie war sich nicht sicher, ob sie alles richtig gemacht hatte. Dies war das erste Mal, dass sie mit einem Menschen außerhalb des Centers gesprochen hatte. Aber zumindest hatten sie jetzt erst einmal Ruhe für ihre Lektionen. Ihre Ausbilder hatten ihnen schließlich oft genug erklärt, wie wichtig es war, dass sie ihre Schulungszeiten einhielten.
          Punkt 19:00 Uhr stand der junge Mann wieder in der Tür. Freundlich lächelnd sah er die Starchild an, die auf den ersten Blick wirklich viel Ähnlichkeit mit neuen Kadetten hatten. „Hi, ich bin Chris Frazier. Aber das wisst ihr ja schon. Ich bin euer neuer Ansprechpartner. Wenn es irgendwelche Probleme gibt, oder Unklarheiten, wenn ihr Fragen habt oder etwas vom Schiff sehen möchtet - sagt einfach Bescheid ja?" Sechs ernste Augenpaare musterten ihn, sechs Mal Nicken zeigte ihm, dass man ihn verstanden hatte. Er wartete einen Moment, bis ihm klar wurde, dass sie nicht wussten, worauf er wartete. Wenn sein Vater Recht hatte, war dies alles Neuland für sie. Dagegen waren seine ersten Tage auf der Akademie ein Ferienvergnügen gewesen. Noch immer lächelnd sprach er weiter. „Verratet ihr mir bitte eure Namen? Du heißt Phil, das weiß ich schon. Aber die anderen von euch müsste ich mit 'Hey du' anreden und das fände ich sehr unfreundlich."
          Phil verstand zwar nicht recht, weshalb fehlende Namen für den freundlichen jungen Soldaten ein Problem darstellten, aber in dieser seltsamen Umgebung wunderte ihn ohnehin nichts mehr. Angela warf ihm einen bestätigenden Blick zu, also nickte er leicht und übernahm die Vorstellung. „Angela, Peter, Sam, Sarah, David."
          „Okay. Schön euch kennen zu lernen. Bei euch gibt es keine Nachnamen, nicht wahr? Wenn ich euch mit den Vornamen anreden darf, nennt ihr mich aber auch einfach Chris, einverstanden?“ Wieder erhielt er ein Nicken als Bestätigung. Himmel, waren die ruhig. Er konnte beinahe ebenso gut gleich Selbstgespräche führen. Aber so schnell gab er nicht auf. Er blickte zu dem rothaarigen Jungen hinüber. „Danke nochmal für den Tipp gestern, David.“ Wieder ein Nicken. Wenn er es nicht besser wüsste, könnte man fast glauben, sie wären stumm. Irgendwie musste er sie doch aus der Reserve locken. „Sagt mal, stört es euch, wenn ich in der nächsten Zeit mittags auch in der Halle bin? Ich habe noch einiges an Pensum nachzuholen, bevor der Doc zufrieden ist und alleine trainieren ist langweilig.“ Endlich erhielt er eine Reaktion.
          Das dunkelhaarige Mädchen, Angela, sah ihm ernst in die Augen. „Du hast hier Kameraden, mit denen du trainierst, wenn wir nicht da sind." Das klang beinahe wie eine Ablehnung, aber andererseits war ihre Stimme dafür zu neutral.
          Chris zögerte kurz. Was sollte er darauf antworten? Blitzschnell entschied er sich für die Wahrheit.„Stimmt, aber die sind nicht halb so gut wie ihr und es ist faszinierend, euch zuzuschauen. Ich könnte mich auch auf die Bank setzen, aber ich möchte die Zeit gerne auch für mich sinnvoll nutzen."
          Angela und Phil tauschten einen Blick, dann nickte sie. „Wir sind einverstanden."
          „Ehrlich? Super. Sagt mal, mir ist unser Gespräch von vorhin nicht aus dem Kopf gegangen, Phil. Wovon lebt ihr eigentlich, wenn ihr nicht in der Messe esst? Sagt nicht, ihr habt, seit ihr hier seid, gehungert?"
          „Wir sind versorgt." Er zeigte auf ein Päckchen.
          „Konzentrate? Aber warum? So schlecht ist das Kantinenessen doch gar nicht."
          Phil machte eine knappe ablehnende Geste. „Wir kennen nicht, was ihr hier esst. Es riecht seltsam und schmeckt noch merkwürdiger. Wir bleiben bei dem, was wir kennen."
          „Puh, dieses vernichtende Urteil gebe ich mal lieber nicht in die Küche weiter. Unser Chefkoch könnte das nicht witzig finden. Ich kann versuchen, euch etwas anders zu besorgen."
          Auch Angela machte nun eine ablehnende Geste. „Lass nur, wir sind versorgt."
          „Also gut, ich gebe mich geschlagen. Kann ich sonst etwas für euch tun? Wirklich nicht? Okay, dann lasse ich euch erst einmal wieder alleine. Wir sehen uns dann morgen in der Halle.“ Ein knappes Nicken verabschiedete ihn. Trotzdem hatte er das Gefühl, als habe er eine Basis für die nächsten Kontakte geschaffen.

          Die Starchild tauschten zweifelnde Blicke. Was bezweckten die Raumfahrer mit dieser Aktion? War das normal? Aber weshalb hatten ihre Ausbilder sie dann nicht darauf vorbereitet? Zögernd fragte Angela: „Was haltet ihr davon?“
          Sam, sonst eher ein großer Schweiger, meldete sich als Erster zu Wort: „Er ist nett."
          Sarah nickte schweigend. Phil zog unsicher die Schultern hoch. „Er ist nett, aber was will er erreichen?"
          Auch David meldete sich zu Wort. „Ich weiß es auch nicht, aber ich glaube nicht, das er uns schaden will."
          Peter nickte. Angela hob die Hände. „Es steckt mehr hinter seinen Bemühungen als Freundlichkeit. Aber ich vermute auch, dass es nichts Negatives ist. Seid ihr einverstanden, wenn wir auf uns zu kommen lassen, was geschieht? Ja? Gut.“ Ihre Augen funkelten unternehmungslustig. „Ich gebe zu, ich werde neugierig."
          Phil schmunzelte, verkniff sich aber eine Antwort. Angela wusste auch so, dass sie ihren Kameraden nichts Neues erzählte. Wenn in ihrem Team jemand neugierig war, dann sie. Bis jetzt war es ihren Ausbildern noch nicht gelungen, diesen Charakterzug völlig zu unterbinden.

          Als Chris in die gemeinsame Kabine zurückkehrte, warf sein Freund ihm einen mitleidigen Blick zu. „Stimmt es, dass du dich jetzt mit diesen Starchild herum ärgern musst?“
          Chris nickte. „Ich komme gerade von ihnen.“
          „Na dann viel Spaß. Ich bin froh, dass ich sie von der Backe habe.“
          „Komm, sei nicht so hart zu ihnen. Vielleicht haben sie Gründe für ihr Verhalten, die wir nicht beurteilen können.“
          „Ach ja? Dann sag Bescheid, wenn du welche gefunden hast.“
          Chris zog die Augenbrauen hoch und beschloss, genau das nicht zu tun. Er kannte seinen Freund seit ihrem ersten Tag auf der Akademie und wusste, wenn Alan jemanden nicht mochte, war es kaum möglich, ihn vom Gegenteil zu überzeugen. Egal, was er ihm über die Starchild erzählte, Alan würde immer etwas finden, das seine Vorurteile bestätigte.

          Kommentar


            #6
            Im Laufe der nächsten Tage versuchte Chris immer wieder, den Kontakt zu den Starchild zu halten und nach zwei ansonsten ereignislosen Wochen begrüßten sie ihn zum ersten Mal von sich aus mit einem Nicken und einem knappen Lächeln, als er kurz nach ihnen die Sporthalle betrat. Noch immer waren sie sehr wortkarg, aber manchmal benutzten sie Geräte in seiner Nähe und Angela und Phil ließen sich sogar hin und wieder in ein kleines Gespräch verwickeln. Zwar musste er auch dann noch einen Großteil der Unterhaltung selbst bestreiten, aber zumindest erhielt er verbale Antworten. Eine Woche später erreichte die 'Revenger' den Sprungpunkt, das 'Orion'-Tor, das wie alle Sprungpunkte nach einem der von ihnen verschlungenen Raumschiffe benannt worden war.

            Die üblichen Durchsagen riefen die Männer und Frauen in die beiden großen Trakte, in denen die Kryo-Kammern dicht an dicht nebeneinander und übereinander angebracht waren. Schmale Metallstege bildeten lange Gänge und erinnerten ein wenig an die Containerhäfen längst vergangener Tage. Für die Besatzung waren diese Durchgänge Routine. Innerhalb von 30 Minuten standen alle Systeme auf Automatik und die Kammerplätze waren eingenommen. Als Kontaktoffizier war Chris dafür verantwortlich, dass die Gäste beim Kryo-Sprung nicht vergessen wurden. Jetzt waren nur noch das Starchild-Team, die überwachenden Ärzte und er selbst wach. Besorgt beobachtete er die jungen Leute. So hatte er sie noch nicht erlebt. Die 'Aura der Unerschütterlichkeit', die sie normalerweise umgab, war schon auf dem Weg hierher zerbröckelt. Sie wirkten unsicher, fast schon ängstlich und obwohl sie es versuchten, konnten sie ihre Emotionen nicht unter Kontrolle halten. Als sie ihre Plätze einnahmen und die Sensoren ansprangen, offenbarten die EEG- und EKG-Werte gnadenlos, wie es wirklich in ihnen aussah. Seine Pflicht war getan, aber Chris brachte es nicht übers Herz, die neuen Freunde jetzt alleine zu lassen. Er half ihnen beim Anlegen der Sensoren und versuchte, ihnen durch seine Anwesenheit ein wenig Gelassenheit und Ruhe zu vermitteln.
            Während die Mediziner noch berieten, ob sie ein Beruhigungsmittel verabreichen oder andere, stärkere Maßnahmen ergreifen sollten, platzte Peter, der in Chris' Gegenwart noch nie ein Wort gesagt hatte, plötzlich heraus: „Ich HASSE Kryo-Kammern."
            Einer der Ärzte fragte besorgt: „Möchten Sie ein Beruhigungsmittel?"
            „Ich möchte hier RAUS - also machen Sie schon, damit wir es hinter uns haben..." Seine Stimme vibrierte und zeigte deutlich, wie dicht er davor stand, die Kontrolle zu verlieren.
            Wieder tauschten die Mediziner besorgte Blicke und zögerten. Chris wandte sich an den Dr. N'duka, den Leiter der Medizinischen Abteilung, der sich immer sehr engagiert für das Wohlergehen seiner Patienten einsetzte. „Quälen Sie sie nicht weiter, Doc. Starten Sie einfach den Vorgang, solange sie sich noch einigermaßen im Griff haben.“ Er erwiderte den zweifelnden Blick des freundlichen, älteren Mannes mit einem drängenden Nicken und atmete erleichtert auf, als dieser schließlich die Schaltungen vornahm. Chris sah, wie in den Augen der Starchild noch mehr Panik aufstieg und lächelte ihnen beruhigend zu. Er konnte nachvollziehen, wie sie sich jetzt fühlten. Zwar dauerte die eigentliche Kryogenisierung nur wenige Millisekunden, aber im Vorfeld wurde die Körpertemperatur drei Sekunden lang stark herunter gefahren und dieses Gefühl, zu Eis zu erstarren, empfand auch er immer noch als unangenehm. Es verursachte bei einigen Menschen Panikattacken, deshalb gehörten zum Aufnahmetest der Raumakademie auch vier Kryo-Vorgänge. Wer nach dem dritten Mal noch immer in Panik geriet, dem wurde nahe gelegt, sich auf eine Fachrichtung zu spezialisieren, bei der Kryo-Sprünge nicht erforderlich waren.
            Ein Arzt murmelte besorgt: „Hoffentlich gibt das keine Probleme beim Aufwachen... Sie konnten ihre Erfahrungen verdrängen, scheinen aber keine intensive psychologische Behandlung erhalten zu haben, damit sie über das Trauma hinweg kommen.“
            Dr. Nduka nickte. „Ich schalte die Kammern so, dass wir vor ihnen geweckt werden. Sicher ist sicher."
            Jetzt betraten auch Chris und die Mediziner ihre Kammern und die Automatik zündete die Triebwerke. Der Durchgang verlief ohne böse Überraschungen und wenige Minuten später flutete die Besatzung auf ihre Stationen zurück. Erst danach erhielten die Mitglieder des Starchild-Teams ihre Weckimpulse. Die ersten Minuten verliefen ereignislos, dann schlugen sie fast gleichzeitig die Augen auf. Wieder schnellten alle Werte ins Unendliche, aber ein schneller Rundblick gab ihnen die Sicherheit, nicht alleine zu sein. Gleich darauf hatten sie sich zumindest äußerlich wieder unter Kontrolle.
            Chris begleitete sie zurück in ihr Quartier, bevor er die Frage stellte, die ihm auf der Zunge brannte. „Was war das gerade eben?"
            Angela holte tief Luft. Noch immer fühlten sich ihre Beine an, als bestünden sie aus irgendeiner weichen Masse und wären kaum in der Lage, ihr Gewicht zu halten. Sie war verwirrt. So etwas hatte sie noch nie erlebt. Zögernd suchte sie nach einer Erklärung. „Jeder von uns hat einen Durchgang hinter sich, der nicht erfolgreich war. Dies war danach der erste Kryo-Sprung, den wir bewusst erlebt haben. Auf dem Flug hierher muss man uns Medikamente verabreicht haben, an den Sprung kann ich mich zumindest nicht erinnern. Aber jetzt...“ Sie schüttelte den Kopf und zog schaudernd die Schultern hoch. „Ohne Vorwarnung hatte ich mich nicht mehr unter Kontrolle und egal, was ich auch versuchte, es wurde nur schlimmer..."
            So viel Offenheit hatte Chris nicht erwartet. Er war noch immer ein Außenstehender, aber nach dieser Erfahrung schien der Schutzwall, mit dem sich die Gruppe normalerweise umgab, gefallen zu sein. Leise sagte er: „Ihr solltet euch vor dem nächsten Durchgang ein leichtes Beruhigungsmittel geben lassen. Das sah gerade ganz schön gefährlich aus, wir haben uns Sorgen um euch gemacht."
            Sie machte eine abwehrende Geste. „Ich halte nichts von dem Zeug." Auch die anderen Starchild schüttelten den Kopf. Lieber kämpften sie mit den seltsamen Emotionen, als sich betäubt und wehrlos in die Hände der Raumfahrer zu begeben.
            Chris nickte nachdenklich, ihm kam gerade eine Idee. „Wisst ihr was, ich schaue mal, ob ich uns auf den Schrecken etwas Gutes aus der Küche besorgen kann.“ Er lächelte, als er die skeptischen Gesichter sah. „Lasst euch überraschen. DAS mögt ihr bestimmt." Auf dem Weg zur Messe versuchte er, seinen Vater zu erreichen, aber der befand sich in einem Gespräch mit General Lance und durfte nicht gestört werden. Chris wusste nicht, dass Dr. N'duka gerade Bericht über den erschreckenden Zustand des Starchildteams erstattete, sonst hätte er sein Vorgehen doch mit den beiden Vorgesetzten abgestimmt. Er spürte aber, dass dies vielleicht die einzige Gelegenheit war, einen engeren Kontakt zu den Starchild zu bekommen und diese Chance wollte er um jeden Preis nutzen. Mr. Kramer würde ihm nicht freiwillig helfen, wenn er erfuhr, für wen Chris etwas Leckeres benötigte. Deshalb schlich er sich heimlich in die Kühlkammer und requirierte, was ihm als Erstes in die Hände fiel. Schon nach wenigen Minuten kehrte er mit drei vor Kälte dampfenden Paketen, einigen Schüsseln und Löffeln in die Kabine der Starchild zurück. „Also gut, ihr Lieben, ich hoffe, ihr mögt Eis. Wir müssen alles aufessen, die reißen mir den Kopf ab, wenn ich mich da noch einmal blicken lasse."
            „Was ist das?“ Erstaunt, aber auch neugierig betrachtete Angela die seltsamen Packungen.
            „Das hier ist Eis mit echter Vanille, das hier ist mit Schokolade und dieses hier ist aus Nüssen und Mandeln. Kommt schon, ihr müsst es unbedingt probieren.“ Während Chris sprach, öffnete er die Behälter und drückte jedem Starchild einen Löffel in die Hand.
            Vorsichtig probierte Angela als Erste die hellste dieser seltsamen kalten Massen. Als das Eis in ihrem Mund schmolz, registrierte sie erstaunt die verschiedenen Aromen und Gerüche, die von ihm ausgingen. Fasziniert versuchte sie jetzt auch die beiden anderen Sorten, wobei die dunkelste sie doch einige Überwindung kostete. Sie spürte die besorgten Blicke ihrer Kameraden und ahnte, dass Phil wieder einmal innerlich den Kopf über ihren Leichtsinn schüttelte. Lächelnd nickte sie Chris zu. „Du hast Recht, das schmeckt wirklich gut.“
            Es war schon spät, als Chris zufrieden lächelnd die Kabine wieder verließ. Das Ergebnis seiner spontanen Aktion war den Ärger, den er dafür bekommen würde, mehr als wert. Vor allem schien er endlich das Eis gebrochen zu haben. So locker und fröhlich wie in den letzten drei Stunden hatte vermutlich noch nie jemand ein Starchild erlebt.

            Der Ärger war vorprogrammiert und erreichte ihn zwanzig Minuten später, als Chris das benutzte Geschirr in der Küche ablieferte. Mit vor Wut geballten Fäusten stand Ronald Kramer vor ihm. Das übrige Personal musterte ihn besorgt. So wütend hatten sie den Küchenchef bisher noch nie erlebt. Seine Stimme hallte in der riesigen Küche wieder. „Lieutenant Frazier, wie erklären Sie mir das Verschwinden von sechs Litern Speiseeis aus meinem Kühlraum?"
            Chris nahm Haltung an, salutierte knapp und gab die Antwort, die er sich zuvor zurecht gelegt hatte. „Es wurde zu medizinischen Zwecken benötigt, Sir."
            „Medizinische Zwecke?“ Kramer schnaubte durch die Nase wie ein erkältetes Walross. Seine Stimme wurde höhnisch. „Ich wüsste gerne, wie die ausgesehen haben, damit ich sie in meinem Bericht angeben kann."
            „Bedaure, Sir, aber das fällt unter die medizinische Schweigepflicht, von der mich nur ein vorgesetzter Offizier entbinden kann." Chris klang noch immer sehr ruhig und verbindlich.
            Wieder schnaubte Kramer. „Wir können gerne General Lance aufsuchen, damit Sie ihm persönlich den Verbleib der für sein heutiges Essen vorgesehenen Nachspeise erklären, Lieutenant."
            „Ich werde General Lance umgehend Bericht erstatten, Sir."
            Kramer schüttelte den Kopf und machte eine einladende Geste. „Ich begleite Sie, Lieutenant, damit Sie sich nicht verlaufen..."
            Wenige Minuten später standen beide vor dem General. Noch immer war Kramers Tonfall sehr bissig. „Bitte, Lieutenant, der General wartet auf ihren Bericht."
            Chris salutierte. „General Lance, ich habe vorhin aus medizinischen Gründen eine größere Menge Speiseeis aus der Kühlkammer entnommen."
            „Medizinische Gründe?“ Der General musterte den jungen Soldaten scharf. Er kannte Chris Frazier seit seiner Geburt und wusste, dass er so etwas nicht ohne guten Grund tun würde. „Standen diese Gründe im Zusammenhang mit dem Zustand des Starchild-Teams, von dem Dr. N'duka mir berichtete?"
            „Das ist richtig, Sir."
            „Gut, Lieutenant. Ich erwarte Ihren Bericht in zwei Stunden auf meinem Schreibtisch. Und zukünftig informieren Sie Oberst Frazier oder mich in solchen Fällen vorab. Falls wir in einer Besprechung sein sollten, haben Sie das Recht, zu stören."
            Chris salutierte noch einmal. „Jawohl, Sir." Aus den Augenwinkeln registrierte er das überraschte und empörte Gesicht des `Chefkochs, der es aber nicht wagte, in Gegenwart des Generals einen Kommentar abzugeben.
            Erst nachdem sich das Schott hinter ihnen geschlossen hatte, machte Kramer seinem Unwillen Luft. „Soll das etwa heißen, dass diese arrogante Bande mein gutes Eis verputzt hat? Das ist doch wohl das Letzte! Ich werde sie zur Rede stellen, das wird ein Nachspiel haben..."
            Plötzlich fühlte er sich am Kragen gepackt und in eine Ecke gedrängt. „Jetzt hören Sie mal gut zu, Kramer. Die 'arrogante Bande' sind sechs junge Leute, die bis vor ein paar Stunden noch nicht einmal wussten, was Eis ist und das man es überhaupt essen kann. Von anderen Lebensmitteln rede ich mal gar nicht. Die Starchild – und ich meine alle Starchild - kennen nur Notfall-Synthesebrei und Konzentratstreifen. Also lassen Sie sie in Ruhe, oder Sie bekommen es mit mir zu tun.“ Bevor Kramer etwas darauf erwidern konnte, fuhr Chris fort: „Und wissen Sie was? Es hat ihnen nicht nur geschmeckt, sie fanden es richtig klasse. Wäre mehr Eis da gewesen, hätte ich noch ein Paket geholt, das wäre auch noch verputzt worden."
            Der Mann schluckte, während er das Gehörte langsam verarbeitete. „Sie kennen kein normales Essen? Aber warum haben sie mir das nicht gesagt?"
            „Haben Sie sie denn gefragt?"
            „Nein, das habe ich nicht." Erst jetzt löste Chris seinen harten Griff und trat zwei Schritte zurück. Nachdenklich sah Kramer ihn an, nickte leicht und ging zurück in Richtung Messe. Nach wenigen Schritten drehte er sich um. „Lieutenant Frazier – bevor ich auf die 'Revenger' kam, war ich 'Chef de Cuisine' an Bord des Passagierkreuzers 'Arctica'. Ich muss Ihnen nicht erzählen, was geschah, aber nach der Strandung auf dem Asteroiden hatten wir die Wahl zwischen Notfallnahrung oder Kannibalismus. Ich gehörte zu der Gruppe, die sich mehr als sechs Monate lang von diesem Synthesezeug ernährt hat. Wir waren hinterher in guter körperlicher Verfassung, aber es hat über ein Vierteljahr gedauert, bis meine Geschmacksnerven wieder richtig funktionierten und ich mehr als einen Hauch eines Gewürzes einsetzen konnte." Chris sah den Chefkoch überrascht an und wusste nicht, was er antworten sollte. „Wenn es den Starchild gefallen hat, etwas Neues zu probieren, würde ich ihnen gerne ermöglichen, weitere Erfahrungen zu sammeln. Sie können sich ab morgen täglich gegen Abend bei mir melden und eine Kleinigkeit für Ihre 'Schützlinge' abholen.“ Ohne auf eine Antwort zu warten, ging er weiter, um nach zwei Schritten wieder stehen zu bleiben. „Sie werden vergessen, dass ich drauf und dran war, die Flotte zu blamieren, ich werde vergessen, dass Sie mich bremsen mussten – aber wenn Sie sich noch einmal ungefragt in meinem Kühlraum herum treiben, sollten Sie sich besser nicht mehr in der Messe verpflegen. Haben wir uns verstanden, Lieutenant Frazier?“
            Grinsend salutierte Chris. „Jawohl, Sir.“

            Wenige Stunden später heulte ein Ortungsalarm durch die Gänge und rief die Besatzung auf ihre Kampfstationen. Unmittelbar zuvor hatte ein kleines Frachtschiff das 'Orion'-Tor passiert. In dieser abgelegenen Gegend konnte es sich nur um einen Schmuggler handeln, eine Annahme, die dadurch bestätigt wurde, dass das Schiff nicht auf die Funksprüche der 'Revenger' reagierte, sondern sofort seine Triebwerke zündete und zu fliehen versuchte. Erst zwei Treffer in die Heckpartie, die zufällig den Generator außer Betrieb setzen, entlockte ihnen eine Antwort.
            Empört blickte ein älterer Mann General Lance an. „Ich protestiere auf das Schärfste gegen diese Behandlung. Wenn Sie wirklich ein Schiff der Raumflotte sind, weshalb fallen Sie dann völlig unbegründet über arme, harmlose Handelsfahrer her?“
            General Lance hob die Augenbrauen. „Weil diese harmlosen Handelsfahrer es nicht für nötig hielten, auf meine Aufforderung zu reagieren und ihren Fluchtversuch einzustellen.“
            „Wir haben Sie für Piraten gehalten.“
            „Und ich halte Sie für jemanden, der etwas zu verbergen hat. Öffnen Sie die Schleuse, meine Männer kommen an Bord.“
            „Das ist ein kriegerischer Akt. Ich protestiere gegen diese Behandlung!“
            General Lance nickte gelassen. „Sie werden Gelegenheit erhalten, Ihren Protest vor dem Interplanetaren Gerichtshof auf Altair anzubringen. Und jetzt geben Sie Befehl, die Schleuse zu öffnen, sonst sprengen wir sie auf.“ Er nickte Oberst Frazier zu, der routiniert einen Entertrupp zusammen stellte und überlegte kurz, ob er es wagen sollte, das junge Starchild-Team einzusetzen.
            „Sie können nicht einfach unser Schiff entern. Das ist gegen die Konventionen. Wir haben uns nichts zu Schulden kommen lassen.“
            „Wir werden jeden Widerstand als Anlass nehmen, mit voller Härte gegen Sie vorzugehen. Wenn Sie nichts zu Verbergen haben, lassen Sie meine Leute ohne weitere Kinkerlitzchen an Bord kommen.“ General Lance winkte Chris zu sich heran. „Lieutenant, das Starchild-Team soll sich bereit machen.“
            Bevor Chris antworten konnte, gellte die Stimme des gegnerischen Kommandanten. „Sie haben ein Starchild-Team an Bord? Wir ergeben uns, hören Sie? Mit denen wollen wir nichts zu tun haben. Wir sind anständige Schmuggler und haben noch nie jemandem etwas getan.“
            General Lance warf Oberst Frazier einen erstaunten und amüsierten Blick zu. So bereitwillig hatte man ihnen noch nie ein Schiff angeboten.

            Zwei Stunden später verdampfte ein gleißender Lichtblitz die umher treibenden Trümmer des Schmugglerfrachters. Erstaunlicherweise hatte der Kapitän nicht gegen die Zerstörung protestiert. Er war völlig eingeschüchtert, seitdem er auf der Brücke der 'Revenger' sechs schwarz gekleidete und maskierte Gestalten bemerkt hatte. In seinen Kreisen rankten sich Legenden um die Erbarmungslosigkeit dieser Kampfgruppen. Niemand wusste, wie viele von ihnen es gab, aber wo auch immer sie auftauchten, verbreiteten sie Angst und Schrecken. Um zwei Shuttles und 15 Gefangene reicher setzte die 'Revenger' langsam ihren Flug fort. In spätestens 10 Tagen würden sie das System erreichen, in dem Späher die Piratenbasis entdeckt hatten.
            Niemand erwartete weitere Überraschungen, doch schon drei Tage später wurde die Ruhe des Langstreckenfluges unsanft unterbrochen. Aus dem Ortungsschutz eines Mondes tauchte völlig überraschend ein Raumschiff auf. Die Daten zeigten, dass es sich um einen ernst zu nehmenden Gegner handelte. Das Schiff war einmal ein riesiger Frachter gewesen, fast so groß wie die 'Revenger'. Umfangreiche Umbauten hatten ein Kampfschiff entstehen lassen, das mit ähnlich vielen Waffen eines deutlich schwereren Kalibers ausgestattet war, als die 'Revenger'. Zwar hatte die Mannschaft in gewohnter Schnelligkeit die Kampfstationen besetzt, doch war es für wirkungsvolle Abwehrmaßnahmen schon zu spät. Die Fremden hatten den entscheidenden Vorteil, ihre Waffen waren aktiviert und ihre Zielcomputer auf die 'Revenger' ausgerichtet. Gleich darauf wurde die 'Revenger' gerufen.
            „Achtung Flottenschiff, stoppen Sie ihre Maschinen und deaktivieren Sie die Waffen, sonst werden Sie zerstört.“
            „Hier spricht General Lance, Kommandant des Erdenschiffs 'Revenger'. Identifizieren Sie sich und erklären Sie, warum Sie uns grundlos überfallen.“
            „Hier ist Commander Tygh, Kapitän der 'Elisabeth Cane'. Sie haben einen unserer Transporter angegriffen und zerstört. Wir sind hier, um uns für diese Heldentat zu revanchieren. Sie haben 30 Sekunden, das Schiff zu stoppen.“
            „Und wie soll es danach Ihrer Meinung nach weiter gehen?“
            „Darüber unterhalten wir uns später an Bord MEINES Schiffes, damit Ihre Leute nicht auf dumme Gedanken kommen.“
            General Lance sah aus den Augenwinkeln, wie sich das Schott öffnete und das Starchildteam die Zentrale betrat. Glücklicherweise erfassten sie die Situation sofort und wichen zur Seite, bevor sie in das Sichtfeld der Übertragung gerieten. Oberst Frazier winkte sie in den Sichtschutz der Ortungsstation. Er erklärte ihnen mit leiser Stimme die Situation. „Wir haben keine Möglichkeit, das Schiff von hier aus außer Gefecht zu setzen. Deshalb habe ich euch gerufen. Vielleicht habt ihr eine Idee.“
            Angela nickte leicht, während ihre Augen über die Anzeigen huschten. „Raumschiffe gehören nicht zu unserem Einsatzgebiet. Was ist wirkungsvoller, um sie kampfunfähig zu machen? Die Zentrale außer Funktion zu setzen, die Generatoren zu zerstören oder die Sauerstoffversorgung zu sabotieren?“
            Oberst Frazier und der Offizier an den Kontrollen sahen sie erstaunt an. „Dafür, dass es nicht zu eurem Einsatzgebiet gehört, hast du aber sehr schnell drei der größten Schwachstellen erkannt.“ Angelas Blick war aufmerksam und abwartend. Diese Feststellung war schließlich keine Antwort auf ihre Frage. Ein Raumschiff war nicht viel anders aufgebaut als ein hermetisch verschließbarer Bodenstützpunkt, also war es nur logisch, dass auch die Schwachstellen ähnlich waren. Endlich begriff Oberst Frazier, dass er keine Antwort auf seinen Kommentar erhalten würde und sprach weiter: „Der Schwachpunkt ist von Schiff zu Schiff unterschiedlich. Bei der 'Revenger' würde es schon ausreichen, die Waffentürme auszuschalten, um uns ziemlich verwundbar zu machen. Lieutenant, scannen Sie das feindliche Schiff. Aber achten Sie darauf, dass man es nicht als feindlichen Akt auslegen kann.“
            „Ja, Sir.“ Routiniert nahm der junge Mann einige Schaltungen vor. „Die Waffentürme verfügen über eine eigene Energieversorgung, Sir. Die Zentrale ist ebenfalls an einen Notgenerator angeschlossen.“
            „Verdammt. Es wäre ja auch zu schön gewesen.“
            Sarah hatte die Anzeigen aufmerksam beobachtet. Jetzt legte sie Angela leicht die Hand an den Arm. Als sie den fragenden Blick und das auffordernde Nicken ihrer Teamleiterin bemerkte, sagte sie so ruhig wie möglich: „Das ist nicht korrekt.“ Der Ortungsoffizier musterte sie mit ablehnenden, fast schon feindseligen Blicken. Genauso hatten früher die Ausbilder ausgesehen, wenn sie wieder etwas falsch gemacht hatte. Mühsam unterdrückte sie die aufsteigende Nervosität und sprach weiter. „Die Generatoren bei den Waffentürmen geben nicht genug Energie für Kampfhandlungen. Sie dienen nur zur Aktivierung. Die weitere Leistung muss vom Hauptgenerator geliefert werden.“
            Peter nickte bestätigend.
            „Die Ortungsergebnisse sagen etwas anderes. Seid ihr sicher?“
            Sarah nickte und deutete auf einige schwache Linien. „Man sieht deutlich, woher die Energie für die Warnschüsse geflossen ist.“
            Oberst Frazier warf seinem Offizier einen fragenden Blick zu, der daraufhin die Daten einer zweiten, intensiveren Prüfung unterzog. Schließlich nickte er langsam, fast unwillig. „Sie hat Recht, Sir. Wenn wir den Hauptgenerator ausschalten könnten, wäre das Schiff wehrlos.“
            „Gut zu wissen, nur wie kommen wir an die Generatoren heran? Unsere Waffen sind deaktiviert, bis wir sie hochgefahren haben, sind wir Raumstaub.“
            Im Hintergrund bestätigte General Lance soeben, dass er sich in Kürze mit einem Shuttle an Bord des gegnerischen Schiffes einfinden würde. Angela stieß Sam an und deutete auf einen Reinigungsroboter, der in einer Ecke der Zentrale den Boden säuberte. „Kannst du die benötigte Sprengstoffmenge darin unterbringen?“ Sam überlegte kurz und nickte. „Oberst Frazier, wir benötigen einen Reinigungs- oder besser noch einen Reparaturrobot.“
            John Frazier nickte zögernd. „Den könnt ihr bekommen, aber ich wüsste gerne, was ihr vorhabt.“
            „Wenn General Lance das Schiff betritt, schleusen wir eine mit Explosivstoffen gefüllte Drohne ein, die über die Reparaturschächte zum Generatorraum vordringt. Die anschließende Detonation wird den General nicht gefährden.“ Angela war ein wenig verwirrt. Weshalb sah der Oberst sie so überrascht an?
            „Das ist eine sehr ungewöhnliche Idee, aber gerade deshalb könnte sie funktionieren. Also gut, versuchen wir es. Wir haben nichts zu verlieren. Wie lange braucht ihr?“
            „Etwa 20 Minuten, Sir.“
            Oberst Frazier nickte und gab seinem Sohn, der glücklicherweise gerade in der Zentrale Dienst hatte, ein Zeichen. „Lieutenant Frazier bringt euch zu Major Hersham. Er wird euch die benötigten Dinge aushändigen. Beeilt euch.“
            Chris musste sich sputen, um mit dem Team Schritt zu halten. Erst an der Materialausgabe gab es eine Verzögerung, als der Major Sam ein Display entgegen streckte. „Sie müssen hier quittieren.“ Verständnislos sah Sam ihn an, während er nach den Zündern griff. Was wollte der Fremde von ihm? „Nein, lassen Sie das liegen. Zuerst bekomme ich hier eine Unterschrift.“ Angela warf Chris einen fragenden Blick zu. Auch sie verstand nicht, weshalb sich der Soldat beinahe schützend über die von ihnen benötigten Gegenstände warf. Was sollte das überhaupt sein, diese 'Unterschrift'?
            Chris schaltete zum Glück sehr schnell. „Schon gut, Major, ich erledige das.“ Schnell setzte er seinen Namen unter das Ausgabeformular.
            Major Hersham warf ihm einen unzufriedenen Blick zu und zögerte. „Das entspricht aber nicht den Vorschriften, Lieutenant. Ihnen dürfte ich diese Dinge gar nicht aushändigen, das wissen Sie.“
            „Klären Sie das bitte mit General Lance, Major. Er verlässt sich darauf, dass die Umbauten in weniger als 20 Minuten fertig sind und das Team kann nicht anfangen, wenn Sie die benötigten Teile nicht freigeben.“
            Noch immer murrend zog sich der Major in sein Büro zurück. Peter und Sam zogen flache Universalwerkzeuge aus ihren Taschen und machten sich schweigend an die Arbeit. Während Peter den Roboter zerlegte, bereitete Sam mit geübten Handgriffen die Sprengladungen vor. David und Sarah modifizierten in der Zwischenzeit den Speicher des Roboters und programmierten die neuen Befehle. Fragend sah Chris die übrigen beiden Starchild an. „Wollt ihr ihnen nicht helfen?“
            Angela schüttelte den Kopf. „Wir würden sie nur behindern. Wenn sie Unterstützung benötigen, melden sie sich.“ Sie spürte den skeptischen Blick des jungen Soldaten und wieder einmal meldeten sich ihre Zweifel, dass es wirklich so sinnvoll war, sich auf ein Spezialgebiet zu beschränken. Ihre Ausbilder bestanden zwar darauf, aber sie war immer noch nicht überzeugt, ob das wirklich die optimale Lösung war. Gerade jetzt, wo die Zeit drängte, wäre es bestimmt sinnvoll, wenn sie ihren Kameraden helfen könnten.
            Phil fragte nachdenklich: „Was wollte der Major von Sam?“
            „Er sollte für die Sachen quittieren, die er erhalten hat.“
            „Quittieren?“
            „Ja. Unterschreiben, den Erhalt bestätigen.“
            „Warum? Er weiß doch, dass er Sam die Sachen gegeben hat.“
            „Ja, aber er muss den Verbleib später nachweisen, damit er Ersatz bekommt und dafür braucht er die Quittung. So soll verhindert werden, dass er Bestände auf dem Schwarzmarkt verkauft.“ An den verständnislosen Blicken der beiden Starchild erkannte er, dass sie die Feinheiten der Flottenbürokratie nicht nachvollziehen konnten. Lächelnd versprach er: „Das erkläre ich euch später, ja? Ich fürchte, das würde jetzt zu lange dauern.“
            Sie nickten. Neugierig fragte Phil weiter: „Du hast jetzt für Sam 'quittiert', nicht wahr?“
            „Ja.“
            „Und wie hast du das gemacht?“
            „Ich habe meinen Namen an die vorgesehene Stelle geschrieben.“
            „Aber du hättest doch jeden beliebigen Namen dorthin schreiben können. Was ich gesehen habe, war nicht lesbar. Woher weiß er, dass es wirklich dein Name ist?“
            „Weil ich immer ähnlich unterschreibe und es so nachvollziehbar ist. Wartet, ich zeige es euch.“ Schwungvoll schrieb er ein paar Mal seinen Namen. Verständnislos besahen Angela und Phil sich die Linien und Kringel auf dem Display, doch bevor sie weitere Fragen stellen konnten, stand General Lance plötzlich hinter ihnen.
            Er sah besorgt aus und wandte sich sofort an die Starchild. „Wie weit seid ihr? Wir müssen in 5 Minuten die Fähre starten.“
            Ein schneller Blick bestätigte Angela, dass ihre Kameraden die Zeit halten konnten. „Die Drohne wird rechtzeitig fertig sein, Sir.“
            „Sehr schön.“ Er zögerte kurz, sprach dann aber doch weiter. „Ich kann zwei Personen mit hinüber nehmen, die allerdings, ebenso wie ich, unbewaffnet sein müssen.“
            „Wir stehen Ihnen zur Verfügung, Sir.“
            „Ich muss gestehen, dass ich auf dieses Angebot gehofft habe. Wer würde mich begleiten?“ Angela deutete mit einer knappen Geste auf Phil und sich selbst. Wieder zögerte der General. Es behagte ihm nicht, die junge Frau in eine so gefährliche Situation zu bringen. Andererseits wirkte sie nicht so, als würde sie sich darüber Sorgen machen. Seufzend gab er nach. „Major Hersham, wir benötigen zwei komplette Uniformsätze für diese beiden jungen Leute.“ Mit geübtem Blick bestimmte der Major die erforderlichen Größen und hatte schon Sekunden später zwei Kleiderbündel zusammengestellt und General Lance überreicht. Der deutete auf ein Schott und nickte Angela und Phil auffordernd zu. „Ihr könnt euch dort umziehen.“
            Verständnislos sahen sich die beiden Starchild in dem winzigen Nebenraum an. Warum schickte der General sie hier her? Draußen war doch viel mehr Platz. In den letzten Wochen hatten sie schon oft festgestellt, dass die Menschen seltsam waren und dies gehörte wohl ebenfalls dazu. Schnell zogen sie sich um. Der Uniformstoff fühlte sich seltsam weich und glatt an. Auch die Stiefel waren leichter, als sie es gewohnt waren, aber die Abweichung war nicht so groß, dass ihre Fähigkeiten beeinträchtigt werden konnten.
            General Lance nickte zufrieden, als er die Beiden sah. „Sehr gut, jetzt fehlen nur noch die Rangabzeichen, dann geht ihr als meine Adjutanten durch.“ Während er sprach, heftete er Schulterstücke an Phils Overall und befestigte ein Namensschild. „Ihr seid ab sofort Lieutenant Frazier,“ jetzt drehte er sich zu Angela um „und Lieutenant Hersham. Merkt euch die Namen, damit ihr reagiert, wenn ihr angesprochen werdet. Der echte Lieutenant Frazier gibt euch auf dem Weg zum Hangar noch ein paar Instruktionen.“
            Sam drückte Phil den umgebauten Roboter in die Hand. „Erst aktivieren, wenn das Triebwerk der Fähre ausgeschaltet ist.“ Phil nickte. Der Roboter würde mit einer kurzen Verzögerung die stärksten Energiequelle in seiner Umgebung aufsuchen und detonieren, sobald er sich in Reichweite befand. Ähnliche Szenarien hatten sie im Training mehrfach durchgearbeitet und er konnte sich darauf verlassen, dass die Maschine wie geplant funktionierte. Sams Sprengladungen hatten noch nie versagt.

            Zehn Minuten später landete die Fähre im Hangar des umgebauten Frachters. Mit einem leisen Pfeifen liefen die Triebwerke aus, der Generator schaltete auf Standby. Angela aktivierte den Roboter und folgte Phil und General Lance. Drei schwer bewaffnete Männer erwarteten sie schon. Nachdem man sie auf versteckte Waffen untersucht hatte, wurden sie quer durch das Schiff zur Zentrale gebracht. Niemand achtete auf die leere Fähre, schließlich hatten die Scanner beim Anflug nur drei Lebewesen an Bord gezeigt.
            Der Kommandant erwartete sie schon. Er genoss sichtlich die Situation, als er General Lance mit einer übertrieben höflichen Geste in einen kleinen Besprechungsraum dirigierte. Angela und Phil wurden angewiesen, vor der Tür zu warten. General Lance wusste, sie sollten später als Druckmittel dienen. Den Schmugglern war klar, dass er nachgeben würde, wenn man einem seiner Leute eine Waffe an den Kopf drückte. Schon nach wenigen Augenblicken wurden erste Lästereien über die 'Milchgesichter' von der Flotte laut. Zum Leidwesen der Spötter reagierten die jungen Leute überhaupt nicht auf die Provokationen. Drohend näherten sich von der Seite zwei hünenhafte Männer.

            30 Sekunden nach der Aktivierung hatte der Reparaturroboter der 'Revenger' die stärkste Energiequelle des Schiffes geortet und den optimalen Weg ermittelt. Jetzt aktivierte er das winzige Prallfeld, das ihn dicht über dem Boden schweben ließ und machte sich auf den Weg. Serviceroboter an Bord eines Raumschiffes waren ebenso selbstverständlich wie Gras auf einem Rasen, ständig wuselten sie irgendwo herum. Das erklärte, weshalb niemand dem kleinen Gerät Beachtung schenkte. Wie David vorgegeben hatte, nutzte der Roboter bei nächster Gelegenheit einen offenen Zugang zu den Reparaturschächte, die durch das ganze Schiff führten. Der Techniker, der gerade in der engen Röhre steckte und einen Fehler suchte, den die Roboter nicht scannen konnten, fluchte erbittert, als die Maschine hinter ihm auftauchte und durch Blinksignale zu verstehen gab, dass sie passieren musste. Er wusste, sie würde ihm nun so lange auf die Nerven gehen, bis er freiwillig den Weg frei machte. Schimpfend kroch er rückwärts, bis er endlich nach fast 15 Metern in einen Querschacht ausweichen konnte. Als der Roboter passierte, bemerkte der Techniker erstaunt die grauen und blauen Streifen, die ihn als Eigentum der Raumflotte kennzeichneten. Andererseits war das aber nicht ungewöhnlich, die „Elisabeth Jane“ hatte viele Dinge an Bord, die ursprünglich für andere Empfänger bestimmt gewesen waren. Kopfschüttelnd machte er sich wieder an die Arbeit und hatte den Roboter schon nach wenigen Augenblicken wieder vergessen. Seine Zwangspause war doch nicht so schlecht gewesen, denn jetzt, wo er sich aus einem anderen Blickwinkel näherte, erkannte er sofort das Problem. Mit neuem Elan machte er sich an die Arbeit und konnte schon wenige Minuten später das erste Bauteil entfernen. Mit angehaltenem Atem zog er es vorsichtig aus seiner Halterung. Eine falsche Bewegung und ein Teil dieses Schiffsabschnittes war für Stunden ohne Energie. Plötzlich knallte es laut und es wurde dunkel um ihn herum. Als er erschrocken herum wirbelte, spürte er, wie die künstliche Schwerkraft ausfiel. Hatte er etwa diesen Kurzschluss verursacht?
            Er ahnte noch nicht, dass er sich keine Vorwürfe zu machen brauchte. Der Roboter hatte sein Ziel erreicht und war wie geplant explodiert. Dabei hatte er wesentlich mehr Schaden angerichtet, als Sam berechnet hatte. Durch die Wucht der Sprengung klaffte ein Loch von mehr als fünf Metern Durchmesser in der Außenhaut, groß genug, um einen schweren Lastengleiter passieren zu lassen. Der Maschinenraum bestand zum größten Teil aus einem Gewirr von mehr oder weniger stark zerstörten Metallteilen, die Techniker der Schicht, die nicht von der Explosion getötet worden waren, trieben mit vom Vakuum zerfetzten Adern im Raum. Schlagartig waren das Lebenserhaltungssystem, die künstliche Schwerkraft im hinteren Drittel des Schiffes, die Waffensysteme und ein Großteil der internen Kommunikation außer Betrieb.
            In der Zentrale gaben die meisten Geräte Alarm. Blinkende rote Leuchten und aufheulende Sirenen lenkten die Aufmerksamkeit der Besatzung auf die angezeigten Daten. Erschrocken versuchten sie zu erfassen, was die Anzeigen ihnen sagen wollten. Nein, es war unmöglich. Ihr Schiff konnte sich nicht innerhalb weniger Augenblicke in ein treibendes Wrack verwandeln, ohne dass ein Gegner einen Schuss abgegeben hatte. Jetzt stürzte auch der Kommandant aus dem Nebenraum, in dem er mit General Lance verschwunden war. Ein harter Schlag gegen die Brust stoppte ihn abrupt. Bevor er bewusstlos zusammen brach, spürte er noch, wie seine Waffen aus den Holstern gezogen wurden. Gleich darauf fauchten Schüsse durch den großen Raum. Bis General Lance aufgestanden und um den Tisch herum zum Schott gelaufen war, hatten Phil und Angela die Situation bereits unter Kontrolle. Die wenigen überlebenden Schmuggler standen fast auf Zehenspitzen, um ihre Arme nur ja weit genug nach oben zu recken. In ihren Augen stand blanke Angst, dass die beiden jungen Soldaten auch sie töteten. Einer der Männer stammelte immer wieder: „Nicht schießen! Bitte nicht schießen! Ich ergebe mich, bitte töten Sie mich nicht.“
            Als General Lance im offenen Schott auftauchte, wandten sich ihm alle Augen hoffnungsvoll zu. Mit einem leichten Lächeln nickte er den Starchild zu. „Das war sehr gute Arbeit, vielen Dank.“ Angela nickte knapp, ohne die Gefangenen aus den Augen zu lassen. Jetzt wandte er sich an die Schmuggler. „Rufen Sie die 'Revenger'.“ Mit ängstlichen Blicken auf die Starchild stellte einer der Männer die geforderte Verbindung her. Jetzt ging alles sehr schnell. Zwei Shuttles starteten und brachten schwer bewaffnete Raumsoldaten an Bord. Innerhalb weniger Minuten befand sich die 'Elisabeth Jane' in der Hand der Flotte. General Lance bestimmte 30 Männer, die das Schiff notdürftig reparieren, zum nächsten Stützpunkt fliegen und die Gefangenen abliefern sollten. Er selbst kehrte mit Phil und Angela zum 'Revenger' zurück.
            Als sie im Shuttle saßen, sah er nachdenklich zu ihnen hinüber. „Ihr habt gerade Menschen getötet. Wie geht ihr damit um?"
            Angela sah ihn fragend an. „Was meinen Sie damit, Sir?"
            „Wie fühlt ihr euch? Denkt ihr darüber nach?"
            Die beiden Starchild tauschten einen verwirrten Blick. Welche Antwort erwartete der General von ihnen? Angela schüttelte den Kopf. „Nein, Sir. Sie sind tot, sie stellen keine Gefahr mehr dar."
            General Lance nickte und zwang sich zu einem Lächeln, obwohl es ihm gerade kalt den Rücken hinunter lief. „Danke, das wollte ich nur wissen.“

            Als die Starchild wieder in ihrer Kabine waren, gestand Sam, dass er sich bei der Berechnung des Sprengsatzes geirrt hatte. Er hatte die Stärke der Ladung auf den wesentlich härteren Stahl ausgelegt, der beim Bau von Kampfschiffen verwendet wurde. Da das Schmugglerschiff nur ein umgebauter Frachter war, hätte die Hälfte der Menge ausgereicht, um die Generatoren zu beschädigen.

            Zwei Tage später lieferten wartende Spähsonden die gesammelten Daten über den in der Nähe liegenden Schmugglerstützpunkt. Eine Einsatzbesprechung jagte die Nächste. Das Starchild-Team wurde ebenfalls eingebunden, niemand kannte ihre Möglichkeiten besser als sie selbst. Der Plan, den Phil und Angela entwarfen war einfach, aber - wenn alles klappte - wirkungsvoll. Sie würden voraus fliegen, abseits landen, zum Stützpunkt vordringen, die Abwehr lahmlegen und den nachrückenden Truppen so weit wie möglich das Vordringen erleichtern. Trotz der Bedenken des Generals, ob die junge Truppe der Situation wirklich schon gewachsen sein konnte, wurde der Plan nach kurzer Beratung angenommen und der Abflugtermin für den nächsten Morgen angesetzt.
            Als Chris den Starchild abends seinen üblichen Besuch abstattete, war das Team gerade dabei, die letzten Vorbereitungen zu treffen. Erstaunt sah er sich um. Auf dem Boden und jedem anderen freien Platz der Kabine lagen Waffen und sonstige Ausrüstungsgegenstände herum. Angela, Peter, Sam und Phil bestückten die Anzüge, Sarah und David arbeiteten am Computer. „Hallo. Macht ihr gerade Inventur?"
            Ohne Chris zu beachten, sah Sarah zu David hinüber. „Download Waffensysteme abgeschlossen, Übertragung wird vorbereitet.“
            David nickte leicht. „Karten sind bei 80 %, Computersysteme bei 30 %."
            Angela schüttelte den Kopf. „Nur Vorbereitungen."
            „Das sieht man. Ich glaube, ich gehe wieder, sonst spannt ihr mich noch mit ein."
            „Keine Sorge."
            „Hey, das war ein Scherz. Wenn ich euch helfen kann, mache ich das natürlich gerne."
            „Ein - Scherz?"
            Schlagartig hatte Chris die ungeteilte Aufmerksamkeit aller Starchild. Erst jetzt wurde ihm klar, dass sie diesen Begriff wohl nicht kannten. „Ja. Man sagt etwas, meint aber etwas anderes."
            Irritiert fragte Phil: „Und woher weiß man, ob jemand einen 'Scherz' macht?"
            „Entweder kennt man den Betreffenden gut genug, um die Aussage entsprechend einzuschätzen, oder man merkt es an der Stimme oder der Körpersprache - und wenn man sich absolut nicht sicher ist, muss man nachfragen."
            Angela zog die Augenbrauen hoch. „Das klingt kompliziert."
            „Ist es aber nicht, wenn man erst einmal weiß, worauf man achten muss. Also, wie kann ich euch helfen?"
            „Lass nur, wir kommen zurecht.“
            Fasziniert beobachtete Chris die präzisen Handgriffe des Teams. Binnen einer halben Stunde waren alle Utensilien verstaut.
            David meldete: „Downloads abgeschlossen. Beginnen mit Übertragung." Sarah und er legten sich auf ihre Kojen, schoben einen schmalen, dunklen Metallstreifen wie einen Haarreif auf ihre Stirn und schienen sofort einzuschlafen. Chris sah erstaunt zu ihnen hinüber. „Was machen die beiden da?"
            „Wir wissen nicht genau, was uns dort unten erwartet, also machen sie sich mit den Computersystemen der letzten 100 Jahre vertraut."
            „Und wie?"
            „Wir haben die entsprechenden Daten aus dem Bordcomputer abgerufen und hochgeladen."
            „Das verstehe ich nicht. Hochgeladen? Wohin denn?"
            Angela zeigte auf eine flache Box, in der noch vier weitere dieser Streifen steckten. „Die Daten werden in das Headset hochgeladen und wir nehmen sie auf."
            „Und wie macht ihr das? Etwa im Schlaf?" Chris lächelte über seinen Scherz, aber Phil nickte ernst. „Es ist eine ganz einfache Hypnoselektion. Wegen der Menge der Daten wird die Übertragung ein paar Stunden dauern, aber das ist kein Problem."
            „Ihr lernt per Hypnoseschulung?"
            „Ja, natürlich."
            „Habt ihr auch normalen Unterricht?"
            Phil sah ihn überrascht an. „Das ist normaler Unterricht. Lernt ihr anders?"
            Chris nickte entschieden. „Das kann man so sagen, ja. Wir haben Lehrer und Ausbilder, die uns alles Notwendige erklären und zeigen."
            Angela schüttelte den Kopf. „Aber das ist ineffizient. Informationen können verloren gehen." „Vielleicht ist es weniger effizient, aber dafür hat jeder Schüler die Möglichkeit, sich eine eigene Meinung zu bilden."
            „Wozu braucht man eine Meinung, wenn es um die Übermittlung von Fakten geht?“
            „Weil die Meinungsbildung ein wichtiges Grundrecht in unserer Gesellschaft ist.“
            „Und wenn die Meinung falsch ist?"
            „Dann muss man versuchen, den Betreffenden von seinem Fehler abzubringen."
            Peter schüttelte den Kopf, sagte: „Unpraktisch" und setzte sein Headset auf. Sam und Phil folgten seinem Beispiel. Auch Angela sah nicht überzeugt aus.
            Chris warf einen Blick auf die Uhr. Es war schon spät und das Team brauchte morgen seine ganze Kraft. Er lächelte und nickte Angela zu. „Ich gehe besser wieder. Wir sehen uns morgen früh. Schlaf gut - und seid bitte vorsichtig, was man euch auf diese Weise beibringt."


            So - wenn ihr mehr lesen wollt, bitte ich um Rückmeldung. (Selbstgespräche sind auf Dauer langweilig )

            Kommentar


              #7
              Nach einer unfreiwilligen Zwangspause ( - Technik...) kann es jetzt nochmal weiter gehen:

              Mit einem leichten Ruck löste sich das Schiffchen aus seiner Halterung und gewann Abstand zur „Revenger". Sam zündete die Motoren und bereitete den Sprung zum Planeten vor. „Hoffentlich entwickeln unsere Techniker bald leistungsstärkere Triebwerke. Stellt euch vor, kein Kryo-Schlaf mehr..." Die anderen nickten und legten die Gurte an.
              Phil fragte nachdenklich: „Versteht ihr, warum Chris gestern so seltsam reagiert hat?" Allgemeines Kopfschütteln. „Er sagte, wir sollen aufpassen, was man uns auf diese Weise beibringt. Was meint er damit? Die Hypnoschulung ist wesentlich verlustfreier, als wenn Informationen verbal ausgetauscht werden.“
              Angela hob die Schultern. „Ich weiß es auch nicht, aber er wirkte besorgt. Ich werde ihn um eine Erklärung bitten, wenn wir zurück sind. Jetzt müssen wir uns erst einmal auf unseren Einsatz konzentrieren."
              Wie geplant verließen sie den Hyperraum auf der vom Stützpunkt abgewandten Seite des Planeten. Dicht über dem Boden lenkte Sam das kleine Fluggerät ans Ziel und ließ es im Schutz einiger kleinerer Hügel sanft auf dem Boden aufsetzen. Den Rest der Strecke mussten sie zu Fuß zurück legen, die Gefahr, entdeckt zu werden, wäre sonst zu groß. Schnell stellten sie fest, dass das Gelände tückisch war. Als sie über einen umgestürzten Baumriesen kletterten, löste Phil versehentlich die Freßfalle eines riesigen Insekts aus. Er konnte gerade noch zur Seite werfen, sonst wäre er durch einen Trichter aus großen, ineinander verwobenen Blättern in einen mit einem schillernden Sekret gefüllten Kokon gerutscht. Die Reste von Panzern und Käferbeinen in seinem Inneren zeigten deutlich, dass es sich bei der Flüssigkeit wohl nicht um Wasser handelte.
              Die Sechs gingen noch vorsichtiger weiter und versuchten, jede Veränderung ihrer Umgebung rechtzeitig zu erkennen. Als es hinter ihnen raschelte, wirbelten sie alarmiert herum. Im nächsten Moment spritzten sie auseinander, um der langen Zunge eines riesigen salamanderähnlichen Reptils auszuweichen. Das Tier wäre groß genug, um auf ihm zu reiten und seine Schnauze wies zwei Reihen messerscharf aussehender Zähne auf. Selbst ihre Kampfpanzerungen wären ihnen wohl nicht gewachsen. Der Plan war, unbemerkt zu bleiben. Also schoben sie ihre Laser wieder in die Holster und warteten statt dessen mit gezückten Messern, ob das Ungetüm die Verfolgung aufnahm. Erfreulicherweise schien es bereits ein anderes Opfer gefunden zu haben, denn hinter ihnen blieb alles ruhig.
              Etwas später als vorgesehen, aber noch im Zeitplan erreichten sie ihr Ziel. Lautlos schlichen sie im Schutz von Störgeräten näher, bis sie endlich ein Kamera entdeckten, über die Sarah und David in das System eindringen konnten. Die Technik des Stützpunktes erwies sich als bunter Mix verschiedener Epochen, aber dank ihrer frisch erworbenen umfassenden Kenntnisse lösten die Beiden keinen Alarm aus. Innerhalb weniger Minuten ließen sie das Team für die umliegenden Systeme unsichtbar werden. Nur menschliche Wachposten konnten ihre Annäherung jetzt noch entdecken. Vorsichtig drangen sie weiter vor und fanden ein Versteck in einem abgelegenen Winkel einer Lagerhalle an der Oberfläche. Hier fanden David und Sarah endlich auch Schnittstellen, über die sie auf das gesamte Sicherheits- und Computersystem zugreifen konnten. Ein Lageplan zeigte, dass der Stützpunkt sechs Ebenen tief in den Boden gebaut worden war. Drei große Raumabwehrtürme, jeder stark genug, um auch einem Kampfschiff wie der 'Revenger' gefährlich zu werden, waren zur Verteidigung installiert worden. Routiniert und gelassen, als befänden sie sich auf Juveno in einer ihrer Trainingsumgebungen, trafen die beiden Starchild ihre Vorbereitungen. Sobald die 'Revenger' eintraf, konnten sie mit wenigen Befehlen die Kontrolle über 90 % aller computergesteuerten Geräte übernehmen. Selbstverständlich gehörten auch die drei Abwehrgeschütze dazu. Während abwechselnd einer von ihnen Wache hielt, schliefen die Anderen ein paar Stunden und warteten auf das Signal zum Losschlagen.

              Sirenen heulten und das Areal erwachte schlagartig zum Leben. Augenblicke zuvor hatte sich die 'Revenger' mit dem vereinbarten Funkspruch angemeldet. David und Sarah lösten die vorbereiteten Schaltungen aus und die soeben warm laufenden Abwehrgeschütze stellten ihren Dienst wieder ein. In der Zentrale des Stützpunktes herrschte Verwirrung, als auch der Alarm plötzlich verstummte und sämtliche Geräte auf Standby zurück fuhren. Alle Versuchte, auf den Hauptcomputer zuzugreifen, blieben erfolglos. Fluchend machte sich ein Techniker auf den Weg, wobei er jedoch auf ungeahnte Schwierigkeiten stieß. Jedes Schott musste manuell überbrückt und geöffnet werden, für die vielleicht 20 Meter Luftlinie benötigte er fast eine halbe Stunde. Endlich hatte er auch die letzte Tür aufgestemmt. Mit fliegenden Fingern tippte er seine Befehle direkt in den Speicherkern. Nichts geschah. Er unterbrach die Stromzufuhr. Noch immer keine Reaktion. Was war nur mit der Kiste los? Wütend trat er gegen die Wand, hinter der der Rechner eingebaut war. Dann begann er, die Verkleidung zu lösen. Irgendwo musste es da einen Kurzschluss geben und er würde ihn schon finden.
              Sarah stieß David an und deutete auf ihre Anzeige. Kopfschüttelnd verfolgten die beiden Starchild die Bemühungen des Technikers. Davids Finger flogen über die Tastatur. Im nächsten Augenblick schleuderte ein Blitzschlag den Mann an die gegenüberliegende Wand, wo er mit rauchenden Haaren zu Boden sank und mit seltsam verrenktem Kopf liegen blieb. Die Schutzmaßnahmen des Hauptcomputers hatten reagiert, als David die Option eines zulässigen manuellen Eingriffs aus den Speichern löschte.
              In der Station herrschte mittlerweile helle Aufregung. Alle Außentore waren geöffnet, die Sicherheitsschotts und die Türen zu den Waffenkammern dagegen verriegelt. Mehrere Techniker versuchten verzweifelt, sie aufzuschweißen, doch man hatte bei der Erbauung bestes Material verwendet und entsprechend langsam kamen sie voran. Als die ersten Landetruppen der 'Revenger' eintrafen, schlug ihnen zunächst nur schwaches Abwehrfeuer entgegen, das jedoch von Minute zu Minute stärker wurde. Die Raumsoldaten suchten Deckung und erwiderten das Feuer. Wo blieb das Starchild-Team, das sie unterstützen sollte?
              Im nächsten Moment fielen die Stationstüren ins Schloss und isolierten die Verteidiger. Mit einem leisen Zischen flutete die Luftversorgung die Anlage mit Betäubungsgas. Diese Maßnahme sollte ungebetene Eindringlinge außer Gefecht setzen, erwies sich nun aber als ebenso nützlich, um den Widerstand der Schmuggler im Keim zu ersticken. Als sich die Türen einige Minuten später wieder öffneten, konnten die Raumsoldaten ungehindert eindringen und mussten die Verteidiger nur noch einsammeln.
              Angela, Phil, Sam und Peter befanden sich bereits in der Nähe der Zentrale, die als einziger Raum über eine eigene Luftversorgung verfügte. Ein Teil der Schmuggler hatte sich hierher zurück gezogen. Hinter umgeworfene Pulte und heraus gerissene Schränke geduckt, bereiteten sie den vordringenden Soldaten einen erbitterten Kampf. Sie hatten sich eine hervorragende Deckung geschaffen, es schien unmöglich, zu ihnen vorzudringen. Die Soldaten nutzten jede mögliche Deckung, aber näher als bis auf fünf Meter kamen sie nicht heran. Auch die Starchild konnten ihnen nicht helfen, sie fanden kaum eine Gelegenheit, unvorsichtige Verteidiger mit präzisen Schüssen auszuschalteten.
              Sarah studierte schon seit mehreren Minuten die Lagepläne und zeigte Angela die verschiedenen Alternativen auf. Endlich fanden sie eine vielversprechende Möglichkeit. Von der anderen Seite des Vorraumes, führte eine Wartungsschiene in etwa fünf Metern Höhe in einem weiten Bogen in Richtung der Zentrale, wo sie in einen mit einer Luke verschlossenen Wartungsschacht mündete. Die Schiene lag knapp außerhalb des Sichtfeldes der Schmuggler und bot sich als Zugang an. Allerdings war sie für Roboter konstruiert und wies deshalb keinerlei Sicherung auf. Etwa einen halben Meter über ihr verliefen drei oberschenkeldicke Hochspannungsleiter, die über sie gewartet werden konnten. In unregelmäßigen Abständen entluden sich knisternd einen Teil ihrer Spannung in Form von Überschlagblitzen, die zwischen den einzelnen Leitern hin und her sprangen. Gemäß den Bauplänen war der Wartungsschacht, den man über die Schiene erreichte, die einzige Möglichkeit ungesehen an den umkämpften Bereich heran zu kommen. Angela und Phil besprachen kurz ihr weiteres Vorgehen, dann schlichen sich die Starchild vorsichtig näher an die Schiene heran.

              Lieutenant Carter stieß seinen Freund in die Seite. „Schau mal, Chris, was machen deine Schützlinge denn da? Setzen die sich etwa ab?"
              Chris hob vorsichtig den Kopf. „Ganz bestimmt nicht. Warte mal, wollen sie etwa da hoch? Sind die denn wahnsinnig?"
              Er wollte aufspringen, doch sein Freund hielt ihn zurück. „Bleib liegen. Die werden schon wissen, was sie tun. Und wenn nicht - Pech für sie..." Alan Carter bemerkte den merkwürdigen Blick nicht, den Chris ihm zu warf. Er wandte seine Aufmerksamkeit wieder dem Kampf vor sich zu und beachtete das Team nicht mehr. Chris wollte sich jetzt nicht mit dem Freund streiten, aber er beschloss, ihm später deutlich zu machen, was er von solchen Aussagen hielt. Aufmerksam beobachtete er das Team. Wollten sie etwa wirklich an dieser Schiene entlang hangeln? Das wäre tödlicher Leichtsinn, wenn einer der Überschlagblitze sie traf, waren sie verloren.
              Die vier Starchild hatten jetzt die richtige Position erreicht. Schon wurde eine Gestalt von vier kräftigen Armen in die Höhe geschleudert. Sie erwischte die Schiene, zog sich hoch und kroch schlangengleich in Richtung Luke. An den engsten Stellen war vielleicht eine Handbreit Platz zwischen ihrem Rücken und den Leitungen. Wer mochte das sein? Chris wusste, dass Sarah und David die Computer überwachten. Immer wieder hörte man ihre ruhigen Stimmen im Funkgerät, wenn sie auf Gefahrenstellen hinwiesen oder die Soldaten zu versprengten Schmugglern lotsten, die noch festgesetzt werden mussten. Peter und Phil standen noch unten. Phil war der Größte der Gruppe und Peter hatte als Einziger seine Holster so tief geschnallt, dass die Laser fast auf seinen Oberschenkeln lagen. Da Chris sich beim besten Willen nicht vorstellen konnte, dass jemand Angela eine so gefährliche Aufgabe übertragen würde, musste es sich bei der Gestalt dort oben wohl um Sam handeln. Als er die Luke beinahe erreicht hatte, traf ein verirrter Schuss die Schiene, die mit einem vernehmlichen Krachen brach. Ein Teil von ihr stürzte in die Tiefe, der Rest hing noch an einer Befestigung, drehte sich durch das Gewicht der Person auf ihr und knallte scheppernd gegen die Wand der Zentrale. Sam - wenn er es denn war - geriet zwischen Wand und Schiene und für einen Moment sah es aus, als würde er loslassen.

              Schmerzhaft wurde die Luft aus Angelas Lungen gepresst, als sie sich plötzlich als Puffer zwischen der Wand und der Metallschiene wiederfand. Gnadenlos knallte die Schiene gegen ihre Brust. Es fühlte sich an, als würden Brustbein und Wirbelsäule aufeinander zu prallen. Ihre Augen füllten sich mit Wasser, ihre Kräfte verließen sie, beinahe hätte sie auch noch den Halt verloren. Phils besorgte Stimme schien durch eine dicke Watteschicht zu ihr zu dringen. „Du musst 'runter, die Befestigung bricht. Lass dich fallen, wir kommen zu dir." Angela rang nach Luft, blinzelte die lästigen Tränen weg und warf einen Blick nach oben. Die Luke lag nur etwa zwei Meter über ihr, aber die Befestigung sah wirklich nicht vertrauenerweckend aus. Vorsichtig hob sie den Arm, was neue Schmerzwellen durch ihren Körper jagte. Ihr Rücken brannte wie Feuer und ihre Rippen waren definitiv angeschlagen. Nein, so durfte sie nicht weiter machen, das wäre nicht effektiv. Sie griff an ihren rechten Arm und löste die in der Armschiene verankerte Askorban-Injektion aus. Das Mittel wirkte innerhalb von Sekunden, unterdrückte Schmerzen und stimulierte den Körper. Als Nebenwirkung verlor man allerdings Hemmungen, konnte euphorisch und leichtsinnig werden. Mehr als 3 Injektionen innerhalb von 12 Stunden verkraftete der Körper nicht, der Kreislauf wurde dann so massiv angetrieben, dass das Herz versagte. Maximal 12 Stunden nach der letzten Injektion flaute die Wirkung ab, dann brach man zusammen und war bis zu 48 Stunden nicht ansprechbar. Wärme flutete aus ihrem Arm durch ihren Körper und verdrängte die Schmerzen. Ihr Gehör schärfte sich und ihre Sicht wurde wieder vollkommen klar. Phils Stimme erklang wieder im Lautsprecher „Wir sind unterwegs."
              „Negativ. Bleibt da, ich klettere nach oben." Zum Glück war ihre Stimme schon fast wieder so fest und energisch, wie sie es gewohnt war. „Ich musste so oder so Askorban nehmen, ich könnte mich sonst nicht bewegen."
              „Verstanden, ich aktiviere den Timer. Wir warten auf dein Zeichen."
              Angela spannte ihre Muskeln. Mit einem gewaltigen Satz schnellte sie in die Höhe und erwischte den Verschluss der Luke. Ihr Knie schlug gegen die Schiene, die durch diesen Aufprall den letzten Halt verlor und donnernd in die Tiefe stürzte. Mit letzter Kraft gelang es ihr, die Luke zu öffnen und sich in die vorläufige Sicherheit des Wartungstunnels zu schieben. Einen Moment blieb sie liegen und verschnaufte, dann schob sie sich vorsichtig weiter. Ein spinnenartiger Roboter blockierte den Weg. „David, Wartungsroboter vor mir."
              „Verstanden. Warte."
              Der Roboter verharrte bewegungslos und zog sich dann in eine kleine Nische zurück. Angela schob sich an ihm vorbei und achtete darauf, nicht in die Nähe des Schweißgerätes am rechten vorderen Tentakel zu geraten. Der Tunnel machte einen Knick und fiel gleich darauf senkrecht in die Tiefe. „Ich bin auf dem Weg nach unten.“ Mit den Füßen voraus ließ sie sich in den Schacht fallen und landete beinahe lautlos. Geschickt löste sie die Wandverkleidung. „Startet das Ablenkungsmanöver in 3 - 2 - 1 - Jetzt!" Sie musste nicht dabei sein, um zu Wissen, was draußen geschah. Ihre drei Kameraden drangen, aus jeweils zwei Handwaffen schießend, Schritt für Schritt vor und zwangen die Verteidiger in Deckung. Leere Magazine wurden ausgetauscht, ohne dass eine Feuerpause erkennbar war. Peter beherrschte diese Aktion im Schlaf, seine Schussfrequenz entsprach beinahe der eines Kampfroboters. Wenn es erforderlich war, lag seine Trefferquote selbst bei diesen Aktionen weit über 95 %. Für einen Moment bedauerte sie, nicht dabei zu sein. Es machte ihnen beiden sehr viel Spaß, zu feuern, was die Waffen her gaben und dann zu schauen, wer die meisten Treffer erzielt hatte. Energisch rief sie sich zur Ordnung. Sie waren nicht hier, um Spaß zu haben, sondern um möglichst effektiv einen Auftrag zu Ende zu bringen.

              Als die Starchild plötzlich aus allen Rohren zu feuern begannen, hielt Chris den Atem an. Was ging da vor? Wie festgeklebt hing sein Blick an den drei Teammitgliedern, bis er weiter vorne eine Bewegung erkannte. Etwa zwei Meter neben dem offenen Schott, im toten Winkel der Verteidiger, öffnete sich ein Stück Wandverkleidung. Vorsichtig huschte eine schwarze Gestalt heraus, sorgfältig darauf bedacht, nicht in die Schusslinie zu geraten. Eine schwarz behandschuhte Hand hob sich, das Feuer erstarb so schlagartig, wie es eingesetzt hatte. Gespannt warteten die Raumsoldaten, wie es weiter gehen sollte.
              Neugierig hoben die Verteidiger die Köpfe. Warum war es da draußen plötzlich so ruhig? Was hatte die Flotte vor? Die ersten Waffen wurden gesenkt und fragende Blicke flogen hin und her. Plötzlich sprang eine schwarze Gestalt mitten in ihre Deckung und eröffnete noch im Flug das Feuer. Der Schreck, der den Schmugglern in die Glieder schoss, war unbeschreiblich. Sie hatten ihren Gegner völlig unterschätzt. Das waren keine einfachen Soldaten, sie hatten eine der geheimnisvollen Elitegruppen gegen sich. Sekunden später war der Kampf zu Ende. Statt das Feuer zu erwidern, ließen die Verteidiger ihre Waffen fallen und rissen die Hände in die Höhe. „Nicht schießen, bitte, wir ergeben uns.“
              Wie man es ihnen beigebracht hatte, stellten die Starchild das Feuer ein, ohne jedoch die Waffen sinken zu lassen. Aufmerksam sicherten sie die Umgebung. Ihre Ausbilder hatten sie oft genug mit ähnlichen Situationen konfrontiert, die sich letztlich als Falle entpuppten. Doch die Schmuggler hatten viel zu viel Angst, als dass sie einen Trick wagen würden.
              Als die Streitkräfte die Zentrale besetzten und die Gefangenen übernahmen, stellten sie schnell fest, dass die Anführer nicht unter ihnen waren. In den Bauplänen des Stützpunktes fand sich kein Hinweis auf versteckte Fluchttunnel, aber Peter entdeckte zufällig frische Schleifspuren in einem Nebenraum. Sorgfältig durchsuchten die Starchild den Raum und fanden schließlich den Öffnungsmechanismus einer in der Wand eingelassenen Geheimtür. Sofort nahmen sie die Verfolgung auf, fand jedoch nur einen offenen leeren Hangar weit abseits des Stützpunktes.
              Die 'Revenger' hatte keinen Raumschiffstart beobachtet, die Flüchtlinge sollten sich also noch auf dem Planeten befinden. General Lance, der inzwischen ebenfalls gelandet war, organisierte eine groß angelegte Suchaktion, die von der 'Revenger' aus dem Weltraum unterstützt wurde. In der Zwischenzeit ließ er die übrigen Gefangenen zu den Shuttles bringen. Lächelnd dankte er den Starchild für ihre Hilfe und beorderte sie ebenfalls zur 'Revenger' zurück. Mit den Flüchtlingen würden seine Männer auch ohne ihre Hilfe fertig werden.
              Auf dem Landefeld rief Sam über eine Fernbedienung ihr Schiff aus seinem Versteck. Geschickt ließ er es unmittelbar vor ihnen aufsetzen. Das Schott schwang auf und sie blickten in die überraschten und entsetzten Gesichter der fünf Flüchtlinge. Scheinbar waren diese buchstäblich über das Schiff gestolpert und hatten vermutlich gerade starten wollen, als Sam das Triebwerk zündete und damit die manuelle Steuerung deaktivierte. Wie ein Taschenspieler ließ Sam das Kontrollgerät im Jackenärmel verschwinden und zog seine Waffen. Er hatte das Schiff praktisch vor seine Füße dirigiert und stand jetzt wie ein Kugelfang zwischen den Fronten. Auch der Rest des Teams hielt bereits die aktivierten Waffen in den Händen. Ihre Laservisiere leuchteten auf und malten rote Punkte auf Sams Rücken. Auch diesen Schmugglern war der Schreck in die Glieder gefahren, als sie die schwarzen Overalls erkannten. Einer von ihnen, ein älterer, kahlköpfiger Mann, schrie: „Lasst die Waffen fallen, dann passiert euch nichts! Wir wollen nur das Schiff und eine Geisel für freien Abzug!"
              Angela hörte Sarahs leise Stimme. „General Lance will sie lebend, sie sollen der Flotte weitere Auskünfte geben.“
              Angela nickte leicht. Trotzdem machte sie eine knappe Kopfbewegung zu den Soldaten hinüber und sprach aus, was sie auf der Zunge hatte: „Dafür habt ihr das falsche Schiff gekapert. Die da drüben lassen sich erpressen.“ Phil schloss jetzt bestimmt wieder kurz die Augen und unterdrückte ein Kopfschütteln, wie er es immer tat, wenn sie sich nicht beherrschte. So sehr sie sich auch bemühte, ihre Zunge im Zaum zu halten, manche Sätze sprudelten einfach aus ihr heraus. Das hatte ihr schon einigen Ärger mit den Ausbildern eingehandelt. Mit dem Kinn berührte sie den Kontakt, der ihr Helmvisier schloss. Gleich darauf leuchteten auf dem Display unten links vier winzige grüne Lichter auf. Ihre Kameraden waren kampfbereit. Nur Sams Anzeige fehlte, er hatte den Helm bereits abgenommen, damit er ihn nicht beim Fliegen behinderte. Als der Schmuggler realisierte, was sie ihm damit sagen wollte, weiteten sich seine Augen entsetzt. Er öffnete den Mund, um seine Gefährten zu warnen, doch es war zu spät. Auf Angelas „Go!" explodierten die Starchild förmlich.
              Sam ließ sich fallen. Noch bevor er auf den Boden prallte, fauchten Laserschüsse über ihn hinweg. Aufschreiend ließen die Schmuggler die Waffen fallen, als sie ihnen in den Händen wie Wachs zerliefen. Mit dem Mut der Verzweiflung gingen sie zum Nahkampf über. Bevor Sam reagieren konnte, raste ein Schuh auf sein Gesicht zu. Er erhielt einen brutalen Tritt gegen den Kopf, dann wurde es schwarz um ihn.

              Hinter ihnen auf dem Landefeld wurden Alarmrufe laut. Endlich hatten die Raumsoldaten bemerkt, was am Schiff der Starchild vor sich ging. Sofort stürmten sie in breiter Front heran, aber sie waren zu weit entfernt, um eingreifen zu können.
              Phil stürzte sich wie ein Raubtier auf den Mann, der Sam getreten hatte und schleuderte ihn mit einem wilden Ruck auf das Landefeld. Dort wurde er von Sarah mit einem Kinnhaken empfangen, der ihm fast den Kopf abriss. Ohne einen Laut sank der Schmuggler zu Boden. Währenddessen hatten Phil, Angela und Peter schon die nächsten drei Männer außer Gefecht gesetzt. David nahm sie in Empfang und warf sie ebenfalls aufs Landefeld.
              Der Sprecher von vorhin hatte sich zwei Schritte weit zurückgezogen und stand jetzt mit dem Rücken am Pilotensitz. Fieberhaft nestelte er an seinem Gürtel, bis er endlich fand, was er gesucht hatte. Triumphieren hielt er die Hände in die Höhe und rief: „Hört auf, oder ich sprenge hier alles in die Luft." In jeder Hand hielt er eine kleine Kugel, an der ein kleines rotes Licht hektisch blinkte. „Das sind Druckzünder. Zwei Sekunden, nachdem ich loslasse, knallt es. Und jetzt werdet ihr tun, was ich sage, sonst enden wir alle als undefinierbare Masse an den Innenwänden eures Schiffes."
              Angela hörte Davids Stimme in ihrem Kopfhörer. „Geh beiseite, ich übernehme das.“ Schnell machte sie einen halben Schritt zur Seite.
              Der Schmuggler grinste. „Mach dir keine Hoffnung, die Explosion trifft dich trotzdem und dann...“ Er schrie erschrocken auf, als ihm vom Eingang her eine schwarze Gestalt entgegen flog und blitzschnell seine Hände mit einem Klebeband umwickelte. Dieses Band gehörte zum Reparaturset der Anzüge und verschloss im Notfall blitzschnell kleinere Brüche und Löcher im Material. Bei seiner Verwendung musste man vorsichtig sein, es ging in Sekundenbruchteilen eine fast unlösbare Verbindung mit jeglichem Untergrund ein.
              Mit offenem Mund starrte der Schmuggler auf seine Hände. Mit dieser Reaktion hatte er nicht gerechnet und er war völlig fassungslos. Phil packte ihn am Kragen und schob ihn zur Schleuse, Angela stieß ihn in Richtung der heranstürmenden Soldaten. „Vielleicht lassen die sich von deinen Geschrei beeindrucken."
              Die Hände mit den Sprengkörpern weit von sich gestreckt, taumelte der Mann vorwärts. Er hatte schon viel erlebt, aber das war zu viel für ihn. Als er in die Nähe der Soldaten kam, begann er zu schreien. „Helft mir! Die Wahnsinnigen haben mir Bomben an die Hände geklebt! Nehmt mir die Dinger ab! Hilfe!"
              Ein älterer Soldat untersuchte die Hände und schüttelte den Kopf. „Das wird nicht so schnell gehen, da muss ein Experte 'ran... Hm - Rotes Blinklicht? Also Druckzünder? Ist da etwa eine kleine Erpressung nach hinten losgegangen?" Er erhielt nur ein betretenes Schweigen als Antwort. Die umstehenden Männer konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie hatten voller Staunen die blitzschnellen Reaktionen der jungen Leute verfolgt. Keiner von ihnen hätte sich etwas vergleichbares zugetraut.

              General Lance winkte Chris zu sich. „Lieutenant Frazier, sie begleiten das Starchild-Team und sorgen dafür, dass sie nach ihrer Rückkehr ärztlich untersucht werden. Ich möchte sicher sein, dass wir sie unversehrt wieder auf Juveno abliefern."
              „Jawohl, General." Chris salutierte und beeilte sich, das Starchildschiff zu erreichen. Er sah, wie die letzten beiden Gefangenen an die Soldaten übergeben wurden. „Wartet auf mich! General Lance möchte, dass ich euch begleite." Er sprang in die Schleuse, die sich unmittelbar hinter ihm schloss. Drinnen lag Sam noch immer auf dem Boden. Sarah kniete neben ihm und prüfte seinen Puls. „Was ist passiert?"
              „Sam hat einen Tritt an die Schläfe bekommen. Er ist noch bewusstlos." Zum ersten Mal hörte er etwas wie Sorge in Angelas Stimme. Obwohl diese Reaktion nur natürlich war, war Chris doch ein wenig verwundert. Normalerweise hörte man ihren Stimmen so gut wie nie eine Emotionen an. Sie musste sich wirklich große Sorgen um den Kameraden machen.
              Peter startete währenddessen die Triebwerke und programmierte den Kurs. David unterstützte ihn, während Phil die Waffen überprüfte und leer geschossene Magazine zum Nachladen vorbereitete. Neugierig fragte Chris: „Wer von euch war denn vorhin auf der Schiene unterwegs? Auch Sam?" Angela nahm die Maske ab und schüttele den Kopf. „Nein, das war ich."
              „Das sah übel aus. Wie schlimm bist du verletzt?"
              „Ich weiß nicht, ich hatte noch keine Zeit, mir das anzuschauen."
              „Jetzt hast du Zeit. Die 'Revenger' befindet sich im großen Orbit, der Flug dauert bestimmt zwei Stunden." Sie nickte. Das Argument war logisch. Schweigend legte sie den Brustpanzer ab, Handschuhe und Jacke folgten. Als sie Anstalten machte, den Overall zu öffnen, wurde Chris unruhig. „Warte mal, willst du dich hier ausziehen?'"
              Ein verwunderter Blick traf ihn. „Wo sonst?"
              „Stimmt auch wieder, wo sonst? Viel Platz habt ihr hier ja nicht. Ist es dir nicht unangenehm, wenn ich dabei zusehe?"
              Wieder so ein merkwürdiger Blick. „Nein. Warum sollte es mir unangenehm sein?"
              Resigniert schüttele Chris den Kopf. „Schon gut, war nur eine Frage." Dies war wirklich nicht die richtige Zeit, um einen Vortrag über Schamgefühl zu halten. Phil half ihr, das Oberteil ihres Overalls abzustreifen und untersuchte vorsichtig die Verletzungen. Chris zuckte zusammen, als sie zur Seite trat und er die riesigen Blutergüsse auf Angelas Rücken sah. „Das sieht böse aus. Hast du keine Schmerzen?"
              „Nein, ich habe noch genug Askorban im Blut."
              „WAS?! Du kannst dich doch nicht mit so einem Zeug vollpumpen!"
              Ihr Blick wurde hart und ihre Stimme eiskalt. „Stop! Du hast kein Recht, laut zu werden. Du bist nicht mein Ausbilder."
              Chris spürte, dass er zu weit gegangen war. An den knappen Bewegungen, mit denen sie ihren Overall schloss, erkannte er, dass sie wirklich verärgert war. Bevor die Situation eskalierte, wechselte er lieber das Thema. „Entschuldige bitte, du hast ja Recht. Aber das Zeug ist wirklich gefährlich. Was macht Sarah da?"
              „Sie liest die Daten aus dem Helmcomputern aus und fasst sie zusammen. Daraus erstellen wir unsere Einsatzberichte."
              „Darf ich eine Kopie bekommen"
              Angela nickte. „Sarah gibt sie dir.“
              Mit einem leisen Stöhnen hob Sam den Arm. Sofort kümmerte Phil sich um ihn.

              Im Lazarett der 'Revenger' versorgte der Arzt gerade einen Soldaten, der sich an einem heißen Waffenlauf die Finger verbrannt hatte. Er ging nicht gerade zimperlich mit seinem Patienten um und der junge Soldat stöhnte und jammerte herzergreifend. Erstaunt beobachteten die Starchild die Situation. Warum stellte sich der Mann so an?
              Chris suchte Dr. N'duka und teilte ihm den Wunsch des Generals mit. Der Arzt winkte einen Assistenten herbei und versprach, sich persönlich um Angela und Sam zu kümmern. Auch wenn sie sehr müde waren, ließen die sechs Starchild die Untersuchungen geduldig über sich ergehen. Die Ärzte nahmen ihnen Blut ab, testeten ihre Reflexe und spickten sie mit Nadeln und anderen Sensoren. Bei Angela ergaben die Daten einen zu hohen Blutdruck und Stresssymptome, außerdem Blutergüsse, Prellungen und Quetschungen an Rücken und Brust und ein angeschlagenes Knie. Dr. N'duka schüttelte nachdenklich den Kopf. „Der Blutdruck gefällt mir gar nicht. Die Ursachen müssen wir genauer untersuchen. Ich werde jetzt diese Messgeräte anschließen und dann..." Er brach mitten im Satz ab, als seine Patientin plötzlich aufstand und die Sonden abstreifte.
              Angela spürte, wie die Wirkung des Askorban langsam nachließ. Sie wollte auf keinen Fall hier auf der Krankenstation zusammen brechen, wer weiß, was die neugierigen Ärzte dann mit ihr anstellten. „Schließen Sie die Messgeräte an, wo sie wollen, aber nicht an uns. Wir gehen jetzt schlafen."
              „Aber der General..."
              „Wenn der General weitere Untersuchungen wünscht, darf er sich ihnen gerne dafür zur Verfügung stellen. Wir gehen jetzt."
              Chris konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken, als er dem Team folgte. Die Gesichter der Ärzte waren sehenswert gewesen.

              Pflichtgemäß gab er den Kristall mit dem Einsatzbericht an General Lance weiter. Der war aber mit der Vernehmung der Schmuggler beschäftigt und reichte ihn ungesehen an das Archiv weiter, wo ein gelangweilter Mitarbeiter beim Einlesen zum ersten Mal einen Blick darauf warf. Wenige Minuten später kursierten die ersten Ausschnitte im Schiff. Vor allem die Szene, als dem Anführer der Schmuggler die Hände „bandagiert" wurden, entwickelte sich zum Renner.
              Fast zeitgleich erreichte ein Funkspruch die „Revenger". Ein reguläres Einsatzteam war jetzt frei, ein Schiff würde in 2 Tagen eintreffen und den Austausch vornehmen. Als Chris am nächsten Tag die Starchild informierte, nickte Angela nur. „Das ist das Team, auf das der General nicht warten wollte." „Du meinst, dieses Team hätte uns befreit, wenn ihr nicht verfügbar gewesen wärt?"
              „Richtig."
              Chris lächelte. „Ich bin froh, dass ihr früher gekommen seid. Sagt mal, habt ihr auch von dem Einsatz einen Clip? Ich würde gerne sehen, wie ihr in das Lager gekommen seid."
              Sie blieb ernst und wandte sich ab. „Wenn wir morgen abgeholt werden, müssen wir packen." „Elegant vom Thema abgelenkt, aber schon gut, wenn ihr das nicht herausgeben dürft, will ich euch nicht bedrängen.“

              Am Nachmittag des nächsten Tages meldete sich das Kurierschiff und Team eins kam an Bord. Sie erhielten das gleiche Quartier zugewiesen, wie ihre Vorgänger. Chris hatte es sich nicht nehmen lassen, seine „Schützlinge" zum Hangar zu begleiten. Kurz vor dem Schott blieben die Starchild plötzlich stehen. Angela reichte ihm die Hand. „Wir danken dir für deine Freundlichkeit und die Zeit, die du mit uns verbracht hast. Vor ein paar Tagen hast du uns gewarnt, wir sollten darauf achten, was man uns über die Hypnoschulung beibringt. Wir haben darüber nachgedacht und werden versuchen, es zu beherzigen."
              Chris lächelte. „Macht's gut, Freunde. Passt auf euch auf. Ich hoffe, wir treffen uns wieder."
              Einer nach dem Anderen gab ihm schweigend die Hand, Sarah war die Letzte. Chris spürte einen kleinen Gegenstand in seiner Hand, aber bevor er sie fragen konnte, was es damit auf sich hatte, war sie schon dem Rest des Teams in den Hangar gefolgt. Chris ließ den Gegenstand in der Tasche verschwinden, bevor er ihnen folgte. Ohne jemanden eines weiteren Blickes zu würdigen, betraten die Starchild ihr Schiff und legten ab.
              Als Chris an seinen Arbeitsplatz zurück kehrte, warteten dort eine Menge Aufgaben auf ihn. Erst als er ein paar Tage später seine Uniformjacke in die Reinigung geben wollte, fiel ihm der winzige Kristall wieder in die Hände, den Sarah ihm zugesteckt hatte. Es war der Einsatzbericht seiner Befreiung. Staunend verfolgte Chris, wie das Team vorgegangen war. Am Ende des Berichtes hatte jeder der sechs Starchild einen kurzen Gruß hinterlassen. Chris war sprachlos. Damit hatte er wirklich nicht gerechnet.
              Die sechs Männer des neuen Einsatzteam isolierten sich fast vollständig, akzeptierten nur einen direkten Kontakt mit General Lance und würdigten den Rest der Besatzung keines Blickes.

              Kommentar


                #8
                Team drei

                Als Team drei das Basisschiff betrat, waren sie sehr erstaunt, ihren Ausbilder Robert Laroche dort vorzufinden. Mit den üblichen schroffen Kommandos schickte er sie zu dem winzigen Quartier, das sie sich für den Rückflug teilen würden. Es war etwa halb so groß wie der Raum, den sie auf der 'Revenger' bewohnt hatten und dort hatte sich Chris schon entschuldigt, dass sie so eng zusammen rücken mussten. Zum ersten Mal registrierten die jungen Starchild, wie spartanisch das Schiff eingerichtet war. Auch die Einrichtung der 'Revenger' war zweckmäßig und schlicht, aber dort sah man im Mannschaftsbereich kein blankes Metall oder unverkleidete Rohre noch gab es Quartiere, in denen die schmalen Pritschen hochgeklappt werden mussten, damit sich alle sechs Bewohner gleichzeitig bewegen konnten.
                Martin Taylor hatte Ausbilder Laroche mit dem Basisschiff losgeschickt, damit er seine 'Schützlinge' nach ihrem Abenteuer sofort in Empfang nehmen konnte. Taylor hatte geahnt, dass die vielen neuen Eindrücke nicht ohne Folgen geblieben waren und hielt es für wichtig, den jungen Leute so schnell wie möglich wieder die erforderliche Disziplin zu vermitteln. Obwohl sein Einzelquartier etwa doppelt so groß war wie die Kabinen, die von den Starchild bewohnt wurden, verabscheute Laroche die Enge des Raumschiffes zutiefst und vermisste sein gemütliches Quartier auf Juveno. Sein Bad war größer als der Verschlag, in dem er jetzt hausen musste. Entsprechend schlecht war seine Laune und sie wurde auch nicht besser, als er im Verhalten der jungen Leute winzige Veränderungen registrierte. Mr. Taylor hatte Recht gehabt, hier bahnten sich die auf erste Anzeichen einer Rebellion an. Vor allem Angela schien Probleme damit zu haben, seine Autorität erneut anzuerkennen. Gut, sie war schon immer etwas aufsässig gewesen, aber ihr Aufenthalt bei der Flotte hatte diese Tendenzen sogar noch verstärkt und ihr Team hielt natürlich wie immer zu ihr.
                Er versuchte, sich erneut Respekt zu verschaffen, doch das war schwieriger, als er erwartet hatte. Die zuvor nur rudimentär vorhandenen Persönlichkeiten hatten sich weiter heraus gearbeitet und sie boten ihm einen Widerstand, mit dem Laroche nicht gerechnet hatte. Seine Autorität reichte aber noch aus, um sie stundenlang durch den kleinen Trainingsraum zu scheuchen. Zu seiner großen Begeisterung bewiesen die Testergebnisse, die er mit den begrenzten Mitteln des Basisschiffs ermitteln konnte, dass das Team wie erhofft noch schneller und effektiver arbeitete und in der Lage zu sein schien, die zuvor selbst aufgestellten Bestmarken zu brechen.
                Beide Erkenntnisse meldete er nach Juveno weiter, wo Michael Taylor zutiefst besorgt seinen Expertenstab zusammen rief. Natürlich mussten sie weitere Tests abwarten, aber wenn Laroches Vermutung stimmte, bestand die Gefahr, dass die Starchild versuchen könnten, nach Abschluss ihrer Ausbildung eigene Wege zu gehen. Das war zwar das ursprüngliche Ziel der modifizierten Parameter gewesen, aber doch bitte nicht gerade bei einem der Einsatzteams. Der 'Verleih' der Kampfteams brachte einen guten Gewinn - und man sprach hier wirklich von sehr viel Geld. Geld, das direkt in die Taschen der Anstaltsleitung fließen konnte, ohne dass jene, die ihr Leben dafür riskierten, Ansprüche stellten. Sowohl die Psychologen als auch die übrigen Ausbilder rieten vehement dazu, die Erinnerung der jungen Leute vollständig zu löschen, die Ausbildung abzubrechen und mit einer neuen Gruppe von vorne anzufangen. Die Gefahr, dass die Gruppe außer Kontrolle geriet, war ihrer Ansicht nach viel zu groß. Die Sechs sollten ihrer Meinung nach nur noch für einfache Hilfstätigkeiten eingesetzt werden. Taylor zögerte noch, den Vorschlag umzusetzen. Er wollte zunächst abwarten, wie das dritte Team auf eine erneute Konditionierung ansprach.
                Die junge Leute ahnten nichts von den Diskussionen über ihre Zukunft. Die allgegenwärtige Routine des Centers hatte sie bereits während des Fluges wieder in Beschlag genommen. Auf Taylors Weisung hin wurden ihre Schulungsbänder um eine Komponente ergänzt, die ihre aufmüpfigen Tendenzen unterbinden sollten. Es war ihr Glück, dass sie gut darauf ansprachen und sich langsam wieder in die Abläufe einfügten. Als sie auf Juveno landeten, waren sie schon fast wieder auf dem alten Kurs. Jetzt zogen die Ausbilder alle Register, damit ihr zukünftiges 'Starteam' ihnen nicht noch einmal entglitt. Mit jeder neuen Hypnolektion wurde die Erinnerung an die Zeit auf der 'Revenger' weiter in den Hintergrund gedrängt, bis sie ihnen beinahe so unwirklich erschien wie ein Traum. Vorerst waren sie gerettet, aber damit begannen ihre Probleme erst. Je mehr sie vergaßen, um so schlechter wurden ihre Trainingsergebnisse wieder. Nach einigen Wochen waren sie wieder auf dem selben Stand wie vor ihrem Abenteuer bei den Soldaten und nicht einmal die härtesten und intensivsten Übungen konnten daran etwas ändern. Die Ausbilder waren ratlos.
                Martin Taylor berief eine zweite Konferenz ein. Die Meinungen gingen hin und her. Alle waren sich einig, dass es etwas geschehen musste. Jetzt, wo sie wussten, wie viel Potential noch vorhanden war, wollte man die Gruppe um jeden Preis weiter voran bringen. Schließlich entschloss Taylor sich zu einem waghalsigen Experiment.

                Angela erwachte, als neben ihrem Kopf ein brennendes Trümmerstück zu Boden fiel. Instinktiv rollte sie zur Seite und konnte nur mit einem schnellen Griff an eine freistehende Strebe verhindern, in die Tiefe zu stürzen. Ein genauerer Blick ergab, dass sie in etwa 20 Metern Höhe an einem Ast hing. Was war passiert? Wo war sie? Vorsichtig kletterte sie zurück in den Gleiter. Der Pilotensitz war leer, aber aus dem hinteren Teil des Gefährtes hörte sie ein leises Stöhnen. Als sie sich auf das Geräusch zu bewegen wollte, begann der Gleiter heftig zu schwanken. Misstrauisch fragte sie: „Wer ist da?"
                „Angela? Phil hier."
                Sie lächelte erleichtert. „Siehst du die anderen?"
                „Sie sind alle hier. Was ist geschehen?"
                „Wir sind mit einem Gleiter abgestürzt und hängen in einem Baum. Bewegt euch vorsichtig. Ist jemand verletzt?"
                „Nein, sieht nicht so aus. Wie kommen wir hierher?"
                „Das weiß ich auch nicht." Sie versuchte, den Computer zu erreichen, aber dort, wo einmal das Eingabeelement gewesen war, ragte ein armdicker Ast aus dem Schaltpult. Der Geruch von brennendem Holz ließ sie aufschrecken. „Feuer ist auf den Baum über gesprungen. Wir müssen hier weg."
                „David und Sarah sind noch bewusstlos."
                „Dann ändere das. SOFORT!" Sie hörte Stimmengemurmel, dann tauchten Peter und Sam im Durchgang auf, dicht gefolgt von den übrigen Dreien. Der Gleiter schwankte jetzt Besorgnis erregend. Im letzten Augenblick gelang es ihnen, sich an Ästen festzuklammern, dann stürzte er krachend in die Tiefe. Die Sechs tauschten einen langen Blick und machten sich an den Abstieg. Sie mussten sich beeilen, die Flammen griffen immer weiter um sich. Am Boden angekommen, rannten sie los und hofften, das Feuer abzuhängen. Doch der Wald war trockener, als er aussah, und bot dem Brand jede Menge Nahrung. Als sie nur noch wenige Meter Vorsprung hatten, wurde es zwischen den Bäumen heller. Übergangslos standen sie am Rand eines Abgrunds, vor ihren Füßen ging es mindestens 100 Meter steil abwärts. Ohne zu zögern machten sie sich an den Abstieg. Es wurde unerträglich heiß, brennende Zweige und Bäume stürzten neben ihnen in die Tiefe. Auf einem schmalen Sims legten sie eine kurze Rast ein und schöpften Atem.
                Phil keuchte: „Irgendwie macht das keinen Sinn. Warum haben wir keine Ausrüstung dabei und warum weiß keiner von uns, wohin wir unterwegs waren und was wir dort tun sollten?"
                Angela nickte. „Es ist noch mehr seltsam. Der Gleiter - er ist erst abgestürzt, als wir alle in Sicherheit waren. Der Baum - das Feuer war nie schneller, als wir klettern konnten. Aber als wir auf dem Boden standen, brannte plötzlich der halbe Wald."
                Sarah schaute nachdenklich in die Ferne. „Glaubt ihr, das hier ist nicht real?"
                Angela nickte langsam. Die Erschöpfung überfiel sie unvermittelt und sie schliefen fast gleichzeitig ein.

                „Simulation beendet." Mit einem leisen Surren fuhren sechs Hauben in ihre Grundstellung zurück. Ein Mann in einem weißen Kittel las die Anzeigen ab und nickte zufrieden. „Die Werte sind sehr gut. Sie haben hervorragend darauf angesprochen."
                Eine kalte, harte Stimme erklang aus einem der Lautsprecher. „Sehr gut. Geben sie ihnen ihre Medikamente und wecken sie sie auf."'
                „Sofort, Mr. Taylor.“ Auf einen Knopfdruck injizierten automatische Spritzen geringe Dosen einer schillernden blauen Flüssigkeit in sechs Venen, danach wurde die Gruppe geweckt.
                Wieder meldete Taylor sich. „Ihr habt eure Sache gut gemacht. Geht jetzt in euer Quartier." Ohne sich über die plötzliche Veränderung ihrer Umgebung zu wundern, gehorchten die Starchild.
                Taylor und Laroche tauschten zufriedene Blicke. „Das war wirklich eine hervorragende Idee, Sir. Sie sprechen sehr gut darauf an.“
                Taylor nickte. „Sorgen Sie dafür, dass die Gruppe unter Kontrolle bleibt, aber achten Sie auf Nebenwirkungen. Ich will keine bösen Überraschungen erleben.“

                Sechs Monate vergingen. Immer wieder kontrollierte Martin Taylor persönlich die Fortschritte der Gruppe und hatte allen Grund, zufrieden zu sein. Endlich gab es keine Kompromisse mehr, keine Diskussionen, keine unnötigen Verzögerungen, Befehle wurden sofort und wortgetreu ausgeführt. Team drei war bereit für die Einsätze. Ein einziger Wermutstropfen blieb, aber auch für den hatte er bereits eine passende Lösung parat. In zwei Wochen stand die obligatorische jährliche Abschlussfeier an, dann würde er der Flotte sein drittes Einsatzteam präsentieren. Er freute sich schon auf die erstaunten Gesichter der Gäste. General Lance würde sich alle 10 Finger nach dem jungen Team lecken.

                Zu seinem Glück ahnte Taylor nicht, dass General Lance zur Zeit ganz andere Sorgen hatte, als die langweilige Veranstaltung auf Juveno zu besuchen. Bereits seit Monaten galt seine ganze Aufmerksamkeit der Vorbereitung des anstehenden Prozesses gegen die Schmugglerbande. Also hatte er noch einmal Oberst Frazier losgeschickt, um ihn zu vertreten. John Frazier wusste, dass Chris die Starchild gerne wiedersehen würde und bestimmte ihn deshalb zu seinem Begleiter. Wie jedes Jahr traf das Kurierschiff kurz nach dem letzten Sprungtor auf den Luxuskreuzer, auf dem die Abgeordneten die langweiligen Flugwochen überbrückten. Chris staunte nicht schlecht, als er übergangslos aus der zweckmäßigen und schlichten Flottenumgebung in eine 11-Sterne-Luxusumgebung verfrachtet wurde. Hier gab es auf einem Quadratmeter mehr Plüsch, Glanz und Glamour, als er bisher für möglich gehalten hatte.
                Zwei Wochen später erreichten sie Juveno. Als Michael Taylor den Vertreter der Flotte erkannte, zog er ein Gesicht, als hätte er in eine besonders saure Zitrone gebissen. Trotzdem begrüßte er die Offiziere ebenso höflich wie den Rest der Delegation. Stolz führte er sie durch die Anlage und präsentierte die positiven Veränderungen. Oberst Frazier fiel sofort auf, dass die jungen Menschen nicht mehr ganz so schweigsam wie bei seinen ersten Besuchen waren. Hin und wieder wurde sogar ein wenig gelacht. Eine Gruppe hatte – natürlich auf Taylors Weisung - ein Theaterstück einstudiert, das sie den Gästen vorführten.
                „Wenn man weiß, wie sie lernen, nimmt das der Sache sehr viel Reiz. Sie werden nicht viele Proben gebraucht haben," flüsterte Chris seinem Vater zu. „Ich wüsste zu gerne, wo 'unser' Team geblieben ist." Oberst Frazier nickte schmunzelnd. George Sevele, der Botschafter der Erde, warf ihm einen vorwurfsvollen Blick zu und forderte ihn mit einer knappen Geste auf, seine Aufmerksamkeit auf die Darbietungen zu richten. Chris lächelte entschuldigend und sah wieder zur Bühne hinüber.
                Die Theatergruppe erhielt einen höflichen Applaus und der Direktor erhob sich. „Meine Damen und Herren, ich habe noch eine Kleinigkeit für Sie vorbereitet. Bitte folgen Sie mir." Er führte die Gruppe über den großen Innenhof zwischen den Gebäuden zu zwei riesigen Hallen. Über eine schmale Treppe brachte er sie in einen Raum mit einem riesigen Panoramafenster. „Wie sie wissen, arbeiten zur Zeit zwei hochspezialisierte Einsatzteams für die Starchild-Organisation. Es ist uns gelungen, ein drittes Team auszubilden und wir möchten ihnen einen kleinen Einblick in ihre Fähigkeiten geben. Bitte nehmen sie Platz und genießen Sie die Vorführung."
                Murmelnd und tuschelnd suchten sich die Gäste ihre Plätze. Auf der anderen Seite der Scheibe war es pechschwarz und Taylor löschte nun auch das Licht im Beobachtungsraum. Für einen Moment wurde es dunkel. Die Männer lauschten gespannt und versuchten, etwas in der Finsternis zu erkennen. Ein lauter Knall ließ sie erschrocken zusammen fahren. Sechs winzige rote Lichter blitzten auf, dünne Lichtstrahlen huschten in die Tiefe, dann ahnten die Beobachter die Bewegungen der Kämpfer mehr, als dass sie etwas sahen. Plötzlich zuckten Laserstrahlen durch den Raum und versuchten, die Eindringlinge zu treffen. Fünf Minuten lang tobte ein erbitterter Kampf, bis eine Verteidigungsstation nach der anderen ausgeschaltet wurde. Als der letzte Laser Funken sprühend das Feuer einstellte, schaltete Michael Taylor das Licht ein. Gleichzeitig deaktivierte er den Abwehrschirm, der die riesige Scheibe vor einschlagenden Schüssen geschützt hatte und versenkte das Glas in der Wand. Wo die Laserstrahlen Wände oder andere Hindernisse getroffen hatten, waren schwarze Brandflecken erkennbar. Es roch nach Ozon, schmorendem Kunststoff und Löschmittel. Die Zuschauer realisierten staunend, dass es sich bei den Laserstrahlen offensichtlich um echte Schüsse gehandelt hatte. Wie konnte man nur so ein Risiko eingehen? Chris vermutete, dass es sich bei der großen, breitschultrigen Gestalt, die alle anderen Teammitglieder zu überragen schien, um Phil handeln musste.
                Wieder ergriff Taylor das Wort: „Vermutlich wundern Sie sich über die echten Laser. Unser drittes Team befindet sich auf einem so hohen Niveau, dass wir sie nur noch durch die Konfrontation mit echten Gefahren wirklich fordern können. Die heutige Vorführung ist gleichzeitig der Abschluss ihrer Ausbildung, sie wechseln heute als drittes aktives Einsatzteam zur Starchild-Organisation.“
                Begeistert applaudierten die Zuschauer. Botschafter Sevele bat darum, die Gesichter der jungen Leute sehen zu dürfen. „Natürlich, Sir. Gerne.“ Taylor trat an die Öffnung und sah zu den Starchild hinunter, die sich in der Halle in einer Reihe aufgebaut hatten. „Achtung, Team, Masken abnehmen." Sechs Hände griffen beinahe synchron zum Kopf und zogen den Gesichtsschutz ab, den sie heute anstelle der Helme mit den geschlossenen Visieren trugen, die sie während des Einsatzes auf der 'Revenger' verwendet hatten. Chris nickte leicht. Es war wirklich 'sein' Team, auch wenn sie sich irgendwie verändert hatten. Sie wirkten härter, kälter und abweisender. Für diese Gruppe hätte er wohl niemals Eis aus der Kombüse geklaut.
                Botschafter Sevele kamen Bedenken. „Sind sie nicht noch sehr jung für so gefährliche Einsätze, Mr. Taylor? Das sind doch noch halbe Kinder."
                „Aber nein, Herr Botschafter. Lassen Sie sich nicht von ihrer Jugend täuschen. Am Besten fragen Sie Oberst Frazier, er hat sie bereits in Aktion gesehen."'
                „Oberst?"
                John Frazier nickte säuerlich. Er konnte sich nicht helfen, Michael Taylor war ihm ausgesprochen unsympathisch und er hasste es, ihm Recht geben zu müssen. „Sie waren vor etwa einem halben Jahr an Bord der 'Revenger' und maßgeblich an der erfolgreichen Festnahme der Schmuggler beteiligt, Sir. Sie waren damals schon sehr gut und es sah bei der Vorführung gerade eben nicht so aus, als hätten sie in der Zwischenzeit etwas verlernt."
                Taylor lächelte zufrieden und verbeugte sich leicht. „Dieses Lob aus ihrem Mund freut mich besonders, Oberst.“ Er drehte sich noch einmal zur Halle um. „Team drei, wegtreten.“ Schweigend machten die jungen Leute kehrt und marschierten in Zweierreihen zum Ausgang. Taylor wandte sich wieder an seine Gäste. „Bitte folgen Sie mir, meine Herren. Wir haben in den oberen Räumen ein Buffet für Sie angerichtet. Hier entlang, bitte."
                John Frazier hielt ihn noch einmal zurück. „Verzeihung, Mr. Taylor, ich würde die jungen Leute gerne persönlich begrüßen.“
                „Bedaure, Oberst, aber wir haben einen sehr engen Zeitplan einzuhalten. Das würde sämtliche Abläufe durcheinander werfen.“
                „Das ist wirklich bedauerlich. General Lance bat mich ausdrücklich, seine Grüße zu übermitteln. Er war sehr beeindruckt von ihren Leistungen und bedauerte sehr, dass er ihnen dies bei ihrer Abreise nicht mehr persönlich sagen konnte. Nun gut, dann wird das warten müssen, bis sie auf der 'Revenger' eingesetzt werden.“
                Taylor nickte zuvorkommend, aber sein Blick sprach Bände. Solange sich General Lance und Oberst Frazier an Bord der 'Revenger' befanden, würde er Team drei mit Sicherheit nicht dorthin schicken. Am Ende brachten diese uniformierten Hampelmänner noch seine sorgfältig ausgearbeiteten Pläne durcheinander.
                Chris hatte den Blick aufgefangen und dachte sich seinen Teil. Auf dem Weg zurück ins Hauptgebäude besprach er sich mit seinem Vater. Leider war Oberst Frazier noch strikt dagegen, dass Chris versuchen wollte, Taylor ein Schnippchen zu schlagen.
                Die Feier war für den späten Nachmittag angesetzt. Wie befohlen, versammelten sich die jungen Starchild in der großen Halle. Dieses Mal merkte man den Ältesten von ihnen die Aufregung an. Als Taylor mit den Gästen eintraf, erstarb das leise Gemurmel, mit dem sie sich Luft verschafft hatten. John Frazier nickte zufrieden vor sich hin. Doch sein gutes Gefühl schwand schlagartig, als sein Blick an den sechs dunkel gekleideten Menschen im Hintergrund hängen blieb. Etwas abseits von den übrigen Starchild stand das junge Team da, reglos und völlig unbeteiligt, als habe jemand zufällig eine Handvoll Statuen dort vergessen. Ihr Blick war auf das Rednerpult gerichtet und obwohl die Delegation in ihrem Sichtfeld Platz nahm und sie Chris sehen und erkennen mussten, verzogen sie keine Miene. Selbst als er ihnen lächelnd zunickte, reagierten sie nicht.
                Chris murmelte: „Das gefällt mir nicht, Dad. Sie sehen aus, als würde sie das alles gar nicht betreffen, dabei erwartet sie doch die aufregendste Zukunft, die man sich nur vorstellen kann."
                „So wie sie waren früher alle Starchild, Chris."
                „Aber an Bord der 'Revenger' waren sie doch nicht so. Für mich sieht es fast so aus, als stünden sie unter Drogen und würden ihre Umgebung gar nicht richtig wahrnehmen."
                „Unsinn, Junge. Warum sollte das Center sie unter Drogen setzen?“
                „Ich weiß nicht, aber...“
                Oberst Frazier seufzte. „Also gut, versuche, am Ende der Feier mit ihnen zu sprechen. Aber sei bitte vorsichtig, ich möchte nicht, dass es Ärger gibt."
                Chris atmete auf. Scheinbar hatte er seinen Vater doch überzeugen können. „Ja, Sir."
                Michael Taylor hielt die übliche Abschiedsrede, mit der er die Starchild aus der Obhut des Centers entließ und ihnen Nahe legte, ihre Talente in die Starchild Organisation einzubringen. Wie immer betonte er, dass es selbstverständlich ihre freie Wahl sei, dieses Angebot anzunehmen und wie jedes Jahr war er sicher, dass alle Starchild dem Befehl nachkommen würden.
                Nach einer knappen Stunde löste sich die Versammlung auf. Chris hatte sich schon kurz vorher unauffällig von den Delegierten abgesetzt, doch als er dort ankam, wo noch vor wenigen Sekunden das neue dritte Einsatzteam gestanden hatte, sah er nur noch, wie hinter einem älteren Mann eine Tür ins Schloss fiel.
                Zwanzig Minuten später startete der Shuttle, der die Gäste zu ihrem Schiff zurück brachte. Chris sah, dass gleichzeitig eines der beiden Basisschiffe startete. Obwohl es nicht viel größer als die Fähre war, beschleunigte es fast doppelt so schnell. Ob sich Team drei an Bord befand? Ihr seltsames Verhalten ging ihm nicht aus dem Kopf. Er hatte sie an Bord der 'Revenger' ganz anders kennen gelernt und er konnte sich die drastische Veränderung nicht erklären.
                John Frazier ahnte, was seinem Sohn durch den Kopf ging. Er legte ihm unauffällig die Hand auf die Schulter und murmelte: „Mach dir keine Gedanken. Bestimmt hat man ihnen nur den Kontakt zu uns verboten. Sie werden bestimmt bald auf der 'Revenger' eingesetzt, dann kannst du dich in Ruhe mit ihnen unterhalten.“

                Kommentar


                  #9
                  Mögt ihr noch ein Stück?

                  Die 'Revenger' und ihre beiden baugleichen Schwesterschiffe 'Adventure' und 'Hopeful' waren die größten Truppentransporter der Flotte. Wenn für Aktionen die Mithilfe eines Starchild-Einsatzteams benötigt wurde, dienten sie als Basislager. Die Koordination, welches Team für welche Aufgaben eingesetzt wurde, oblag der Starchild Organisation. Interessanterweise wurde in den Folgemonaten grundsätzlich eine der beiden 'alten' Gruppen für die Einsätze mit der 'Revenger' eingeplant. Team drei landete regelmäßig auf einem der Schwesterschiffe. Anfangs waren die Offiziere dort skeptisch, ob die jungen Leute den Anforderungen stand halten würden, aber das Team erledigte seine Aufträge so kompromisslos und stahlhart, dass sie sich schnell Respekt verschafften. Zwar sah man von ihnen außerhalb der Einsätze noch weniger, als von den anderen beiden Teams und es gab auch einige seltsame Vorgaben, die eingehalten werden mussten, aber solange sie ihre Arbeit zuverlässig und mit durchschlagendem Erfolg erledigten, störte das niemanden. Es war schließlich allseits bekannt, dass Starchild seltsam und mit normalen Maßstäben nicht zu erfassen waren.

                  Seit mehr als einem Jahr arbeitete die Flotte an einem groß angelegten Schlag gegen verschiedene mutmaßliche Stützpunkte von Schmugglern und Raumpiraten. Die 'Adventure' und die 'Hopeful' wurden in Gang gesetzt und übernahmen die beiden älteren Starchild-Teams. Sie hatten ihre Zielgebiete bereits erreicht, als zufällig Hinweise auf einen weiteren großen Stützpunkt bekannt wurden. Nachträglich wurde auch für die 'Revenger' ein Starchild-Team angefordert, und obwohl sich Michael Taylor zunächst vehement sträubte, blieb den Einsatzplanern keine andere Wahl, als den Transport ihres jüngsten und lukrativsten Teams in die Wege zu leiten. Ihnen fiel einfach kein sinnvolles Argument ein, wie sie den Einsatz absagen konnten, ohne der Flotte und damit ihrem größten Kunden vor den Kopf zu stoßen.
                  Zeitgleich mit der Bestätigung der Flotte erhielt die „Revenger" von Juveno neben den Rendezvous-Koordinaten genaue Instruktionen, welche Anforderungen man an das Quartier für das Einsatzteam stellte. Lieutenant Carter, der zu diesem Zeitpunkt in der Funkzentrale eingesetzt war, berichtete seinem Freund beim gemeinsamen Essen kopfschüttelnd davon: „Die auf Juveno flippen jetzt total aus. Ich dachte, wir nehmen ein Einsatzteam an Bord und keine Operndiven.“
                  „Wieso? Was wollen sie denn? Jetzt hör auf, deine Suppe in dich hinein zu schaufeln und erzähl endlich weiter.“ Chris stieß dem Freund ungeduldig den Ellenbogen in die Rippen.
                  „Hey, pass auf, die Uniform habe ich erst heute früh angezogen. Also gut, hör zu: Sie wollen zwei miteinander verbundene Kabinen. Es darf aber nur einen Zugang geben, das zweite Schott muss versiegelt sein. Sie haben feste Zeiten vorgegeben, in denen weder die Sporthalle, noch die Duschen oder der Weg dorthin von einem unserer Leute benutzt werden darf. Jede Kontaktaufnahme der Besatzung zum Team ist strikt untersagt.“ Alan Carter grinste abfällig. „Als ob jemand hier daran interessiert wäre, mit denen Kontakt aufzunehmen.“
                  „War das alles?“
                  „Nein, das Beste kommt noch. Die haben einen Betreuer, der mit dem General oder seinem direkten Stellvertreter die Einsätze abklärt. Ist das nicht rattenscharf? Sie sind sich sogar zu fein, um mit unserem Kommandanten zu sprechen."
                  Chris nickte nachdenklich. Das Ganze bestätigte natürlich Alans Vorurteile und war somit Wasser auf seiner Mühle. Chris spürte den irritierten Blick des Freundes, ignorierte ihn aber großzügig. Seine Gedanken überschlugen sich förmlich. Was hatte das Center zu verbergen, dass sie ihr drittes Team so abschotteten? Ob es eine Möglichkeit gab, die Weisungen zu umgehen? Er würde es auf jeden Fall versuchen.

                  Als der Transporter der Starchild an Bord genommen wurde, wurden sie bereits von Oberst Frazier erwartet. Die jüngsten Lieutenants an Bord waren traditionell für die Gästebetreuung zuständig. Nach diesem Einsatz kam das nächste Kontingent an Bord, aber dieses Mal hatte es wieder Alan Frazier getroffen, der äußerst begeistert auf die 'Ehre' reagierte, sich mit den ungeliebten Starchild abgeben zu müssen. Da er sich jedoch am Vormittag die Hand an einem unsauber installierten Reparaturblech bis auf den Knochen aufgeschnitten hatte, befand er sich noch auf der Krankenstation und Chris wurde an seiner Stelle abkommandiert.
                  Die Schleuse des Schiffchens öffnete sich und ein etwa 40-jähriger Mann betrat den Hangar. Er sah sich um und warf einen mürrischen Blick auf das Empfangskomitee. „Wo ist General Lance?"
                  Oberst Frazier lächelte höflich. „Er ist verhindert. Ich bin sein Stellvertreter, mein..."
                  Der Mann winkte ab. „Schon gut, dafür ist später noch Zeit. Haben Sie das Quartier gemäß der Ihnen übermittelten Instruktionen vorbereitet?"
                  John Frazier unterdrückte seinen Unmut und nickte höflich. Er deutete auf Chris und sagte: „Ja, alles wurde vorbereitet. Lieutenant Frazier wird Ihnen die Räume zeigen. Falls es noch Änderungswünsche geben sollte, können Sie sie ihm mitteilen."
                  „Also gut. Mein Name ist MISTER Jones, ich bin der Betreuer des Starchild-Teams drei. Denken Sie daran, jeglicher Kontakt zum Team erfolgt ausschließlich über mich." Er drehte sich um. Seine Stimme wurde hart und laut. „TEAM DREI! Aussteigen und mitkommen."
                  Sekunden später erschienen Angela und Phil in der Schleuse. Sie trugen ihre normalen schwarzen Overalls und hielten große Taschen in der Händen. Sam, David, Sarah und Peter folgten ihnen. Alle sahen aus, als habe man sie aus dem Tiefschlaf gerissen ohne ihnen Zeit zu geben, vollständig wach zu werden. Das konnten aber noch Nachwirkungen der Beruhigungsmittels sein, die man ihnen vor dem Kryo-Schlaf verabreichte. Sie folgten ihrem „Betreuer", ohne auch nur einen Blick nach rechts oder links zu werfen. Auch Chris schienen sie weder wahrzunehmen, noch zu erkennen. Was war nur mit ihnen los?

                  Für Team drei war schon lange nicht mehr erkennbar, ob das, was sie gerade erlebten, Realität oder Simulation war. Nachdem sich die erste Simulation als voller Erfolg erwiesen hatte, war die Grenze für sie fließend geworden. Die Droge, die man ihnen verabreichte, beeinflusste nicht nur ihren freien Willen und ihre Urteilsfähigkeit, sondern schaltete mit höherer Dosierung auch das Bewusstsein fast vollständig aus. Waren sie für einen Einsatz vorgesehen, wurde die Wirkung des Mittels durch ein zweites Medikament größtenteils neutralisiert. Ein gewisser Bodensatz blieb jedoch immer aktiv, damit sie auch dann nie auf die Idee kamen, ihren Zustand in Frage zu stellen. Schließlich wollte man nicht riskieren, dass sie plötzlich doch eigene Wege gingen. Neben einigen für ihre Arbeit unerheblichen körperlichen Begleiterscheinungen war die einzige Nebenwirkung des Mittels, dass das Team nur auf direkte Ansprache oder laute Befehle reagierte. Also hatte Michael Taylor Brian Jones engagiert, einen ehemaligen Ausbilder der Flotte, der vor einigen Jahren nach diversen Beschwerden seiner Rekruten wegen unverhältnismäßiger Maßnahmen unehrenhaft entlassen worden war.
                  Jones genoss diesen Posten und vor allem die damit verbundene Macht. Egal, in welchem Ton er mit den Flottenoffizieren umsprang, sie mussten freundlich bleiben. Er war das Bindeglied zu den Starchild und wenn er nicht kooperierte, konnten sie den Einsatz abblasen. Am Besten gefiel ihm jedoch, dass jede seine Anordnungen vom Team widerspruchslos erfüllt wurde. Wenn doch einmal jemand aufmuckte, so wie die schwarzhaarige junge Frau es schon zwei Mal versucht hatte, wurde einfach die tägliche Dosis ihres Präparates herauf gesetzt, dann spurten sie wieder. Er musste sich nicht einmal bemühen, höflich oder freundlich zu sein, sondern konnte sich nach Herzenslust auslassen. Bedauerlicherweise waren die beiden weiblichen Starchild nicht nach seinem Geschmack, er bevorzugte üppige, langhaarige Frauen, nicht diese fast nur aus Muskeln bestehenden Gestelle mit der 10-mm-Frisur. Schon nach 24 Stunden war Jones der mit Abstand unbeliebteste Mann an Bord der 'Revenger'. Jedem Besatzungsmitglied, dass ihn erlebt hatte, taten die Starchild Leid, die seinem Wüten den ganzen Tag ausgesetzt waren. Aber solange die erwachsenen jungen Leute nicht protestierten, gab es leider keinen Grund, einzugreifen und Jones das Mundwerk zu stopfen.

                  Über ein wenig Resonanz würde ich mich schon freuen.

                  Kommentar

                  Lädt...
                  X