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Das Buch der Träume

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    Das Buch der Träume

    Eine Kleine Geschichte von mir, entstanden vor etwa 5 Jahren. Nicht unbedingt Hard-Sci-Fi, aber doch genug, um mir hier passend zu erscheinen.
    Sie ist etwas länger, ich hoffe sich macht aber trotz aller Mängel ein wenig Spaß.

    LG

    Phelan Delft

    2050 A.D.

    1 Der Himmel lag wie ein bleiernes Tuch über Stadt, wie ein Spiegelbild der Menschen und ihrer Gefühle. Das Summen von Elektrowagen schwirrte durch die Schluchten der Wohnblocks. Matschige Schneereste sammelten sich am Straßenrand und die Passanten eilten mit hochgeschlagenen Kragen durch die Kälte, darum bemüht schnellstmöglich ins Warme zu kommen. Grelle Neonreklamen versuchten das diffuse Halblicht des Winters zu durchdringen. Überdimensionale Gesichter blickten von Bildschirmen an den Häuserwänden auf die Hektik der Stadt und schrille Stimmen, die aus verborgenen Lautsprechern in irrwitziger Geschwindigkeit die unterschiedlichsten Waren anpriesen, wetteiferten um einen kleinen Moment Aufmerksamkeit. In diesem Gewühl aus Körpern und Rastlosigkeit wirkte der kleine Laden an der Ecke, wie eine Insel aus einer längst verlorenen Zeit.
    Ein blauer Fleck erschien vor seinem einzigen Fenster. Eine behandschuhte Hand wischte ein Guckloch frei und das Gesicht eines Jungen blickte in das warme Halbdunkel hinter den Scheiben. Seine Augen begannen zu strahlen. Es brannte Licht, also war ER da. Der Junge eilte zur Tür und eine Glocke bimmelte verhalten. Ein nostalgischer Laut, den man heutzutage beim Betreten eines Geschäfts nicht mehr zu hören bekam. Direkt hinter der Tür zum Laden lag eine Matte. Peter wusste was sich gehörte und trampelte sich den Schnee von den Schuhen. Herr König war zwar ein netter, älterer Mann, aber er konnte ziemlich ungehalten werden, wenn man gewisse gute Manieren in seinem Laden vergaß. Während in seine Füße langsam wieder Gefühl kam, zog Peter seine dicken Handschuhe aus und genoss die geheimnisvolle Atmosphäre des Ladens.
    Warmes und nicht zu grelles Licht schmeichelte hohen Regalen aus dunklem Holz. Sie reichten bis unter die Decke und waren mit allerlei seltsamen Dingen belagert. Schnitzereien die alte Götter darstellten, Waffen aus der Antike, Teekessel aus Urgroßmutters Zeiten und vor allem … Bücher.
    Reihe um Reihe, Rücken neben Rücken, standen sie in den Regalen aufgereiht. Stumme Soldaten aus längst vergessenen Zeiten, angetreten zu einer schweigsamen Parade. Ein Universum voller Träume, geschaffen von Männern und Frauen, die sich mehr als einmal gegen jede gesellschaftliche Regel gestellt hatten. Die meisten hatten sich zeit ihres Lebens gegen so manche Anfeindung erwehren müssen, aber niemals aufgegeben ihre eigenen kleinen Welten zu erschaffen. Manche dieser Welten waren schön, andere schrecklich. Einige grausam und wieder andere voller Liebe. Und jetzt waren sie hier, warteten nur auf einen Entdecker, der diese Träume aus ihrem tausendjährigen Schlaf erweckte. Peter war dieser Entdecker, dieser wagemutige Abenteurer, der es mit allen Gefahren aufnehmen würde, egal was seine Kameraden und seine Lehrer von ihm dachten.
    Lange Zeit war Peters Welt genauso grau und trist gewesen, wie der Himmel über dem Multiplex. Dann, eines Tages, fand er auf dem Heimweg diesen merkwürdigen Laden hier und etwas begann in ihm aufzublühen. Etwas, das er gut verstecken musste, damit ihn die Fürsorger seiner Schule nicht in eine der Sonderbehandlungsklassen, oder schlimmer noch, in eine Denkformungsanstalt, schickten. Fantasie. Bunte und lebendige Bilder, die durch seinen Geist schwirrten und ihm den Tag verschönerten. Nachts, wenn seine Eltern schliefen, schrieb er selber in ein kleines Buch aus echtem Papier, seine eigenen Träume auf. Herr König hatte ihm diesen Schatz geschenkt, der ihm auf dem grauen Markt mindestens einen Wochenlohn seines Vaters eingebracht hätte. Das Notizbuch und einen Stift, den der alte Mann als Kugelschreiber bezeichnet hatte.
    Peter fragte sich wie jedes Mal, wenn er den Laden betrat, warum Herr König den Reichtum seines Geschäfts so offensichtlich präsentierte. Papier, echtes Papier und nicht die dünnen Kunststofffolien, auf denen einige Wenige heutzutage schrieben, war beinahe so wertvoll wie Öl geworden. Peter hatte hier noch nie einen Safe oder vielleicht sogar einen Wachmann gesehen, der die Waren und sogar teuer gekleidete Kunden in seinem eisigen Blick hielt, wie es in den Multimärkten üblich war.
    „Oh Hallo! Da ist ja wieder mein bester und treuester Kunde.“ Herr König trat aus seinem Hinterzimmer. Ein strahlendes Lächeln in den Augen, die immer ein wenig verwundert hinter den dicken Gläsern einer altmodischen Brille in die Welt schauten. „Was kann ich denn heute für dich tun?“
    Peter ließ unschlüssig seinen Schlüsselbund am Ring um den Zeigefinger kreisen. „Ich weiß nicht so genau.“
    Nachdenklich blickte Herr König auf den Jungen. Draußen herrschte eine arktische Kälte und der Junge hatte seinen Schulranzen noch auf dem Rücken. Ein Blick auf die Uhr verriet ihm das Peter schon seit mindestens zwei Stunden durch die Stadt gelaufen sein musste.
    „Sag mal … warst du schon daheim?“ fragte er den Jungen. Peter nickte und wurde sofort purpurrot im Gesicht. Wäre Lügen ein Schulfach, Peter würde darin grundsätzlich eine sechs bekommen. Herr König schaute Peter tief in die Augen und schließlich schüttelte der Junge den Kopf.
    „Nein.“
    „Aha. Deine Mutter?“
    Peter nickte. Das reichte, denn im Wohnblock 73a war es ein offenes Geheimnis, das Peters Mutter ein Alkoholproblem hatte.
    „Dann komm mal mit Junge“, sagte Herr König und legte Peter eine Hand auf die Schulter. Gemeinsam betraten sie das private Hinterzimmer des Ladens. Ein Teekessel begann gerade sein Lied zu pfeifen. Herr König holte aus dem alten Holzschrank über dem Herd eine zweite Tasse samt Teebeutel hervor. Peter zog den Ranzen und seinen Mantel aus und schaute sich um. Hier, in Herrn Königs privaten Räumen war er schon öfter gewesen. Wenn schon vorne im Laden die Luft vor Geheimnissen und unterdrückter Spannung nur so knisterte, dann fühlte Peter sich hier erst recht wie in einer anderen Welt.
    Die Schränke und der Tisch waren aus Holz, statt aus Plastolit wie daheim. Der Boden knarzte bei jedem Schritt seine eigene Geschichte unter dem abgewetzten Teppich hervor. Im Zimmer stand eine Luft die nach Alter roch. Nicht unangenehm, aber so ganz anders als die gefilterte Luft in der Wohnung von Peters Eltern. Plötzlich entdeckte Peter auf dem Tisch ein Buch, das er bisher noch nicht im Laden gesehen hatte. Es war ein sehr kleines Buch, mit einem silbernen Einband, der sehr viel dünner aussah als die Deckel der anderen Bücher, die er bisher im Laden gesehen hatte. Der schwache Umriss eines Gesichts, das ihm vage bekannt vorkam, lächelte halb in die Welt und darüber stand ein Titel, der Peter bis ins Mark elektrisierte.
    Das Leben und das Schreiben.
    Herr König kam mit den Tassen dampfenden Tees an den Tisch und setzte sich. Er bemerkte den Blick des Jungen, sagte aber nichts und rührte gelassen in seiner Tasse. Schließlich blickte er auf.
    „Und? Wie geht es deinem Vater?“
    Peter schrak auf und war im ersten Moment verwirrt.
    „Häh? Äh … Entschuldigung, ich meine wie bitte?“
    „Ich fragte, wie es deinem Vater geht. Ist er immer noch Buchhalter bei General Ford Elektrik?“
    Peter nickte.
    „Ja. Und ehrlich gesagt, er glaubt das ich eines Tages seine Stelle übernehmen werde. Nur weil ich in Mathe so gute Noten habe. Und dieser Tag rückt unaufhaltsam näher. Noch zwei Schuljahre, und dann ...“
    Peter schüttelte angewidert den Kopf und Herr König grinste.
    „Ja ja. Das glaube ich dir gerne.“
    Behagliches Schweigen legte sich zwischen die beiden. Es war so ganz anders als daheim, wo vom Aufstehen bis zum Zubettgehen der Fernseher plärrte, obwohl doch sowieso niemand richtig hinhörte oder hinschaute. Seine Mutter lag meistens schon im Bett, wenn Vater von der Arbeit kam. Peter wärmte dann etwas Essen in der Multiwelle auf. Anschließend kauten die beiden lustlos auf irgendeinem Fertiggericht, das nach allem Möglichen schmeckte, nur nicht nach dem Bild auf der Verpackung. Manchmal fragte Peters Vater dann nach der Schule und ab und zu erzählte er auch von seiner Arbeit. Aber die meiste Zeit herrschte Stille zwischen Vater und Sohn. Schwere und drückende Stille, die vor all den unausgesprochenen Fragen und Träumen nur so vibrierte.
    „Wusstest du eigentlich, das dein Vater früher auch sehr oft zu mir gekommen ist und das er immer Schriftsteller werden wollte?“, fragte Herr König. Peter hob erstaunt den Blick von dem silbernen Buch, das seine Aufmerksamkeit wie ein Magnet angezogen hatte.
    „Schriftsteller? Mein Vater?“, echote Peter. Herr König nickte.
    „Oh ja. Dein Vater. Er hatte sogar richtiges Talent. Ich wollte ihm helfen, aber leider hatte er kein Durchhaltevermögen.“
    Peter versuchte das Gehörte mit dem Bild das er jeden Tag vor Augen hatte in Einklang zu bringen. Aber er schaffte es einfach nicht.
    Vor einigen Jahren durfte Peter mit seinem Vater auf die Arbeit. Er hatte Ferien, Mama hatte wieder eine schwere Zeit gehabt, wie das daheim genannt wurde und für eine staatliche Ferienfahrt hatte das Geld gefehlt. Stundenlang hatte Peters Vater vor einem Trividschirm gesessen und lange Zahlenkollonen vom linken auf den mittleren und von dort auf den rechten Schirm verschoben. Glücklich sah er dabei nicht aus. Aber im Gegensatz zu den vielen Eltern der anderen Kinder aus Peters Klasse hatte er einen Job. Und dieser Mann, mit den leicht ergrauten Haaren und dem erloschenen Blick, sollte Geschichten geschrieben haben? Peter schüttelte den Kopf.
    „Doch, doch, mein Junge. Er schrieb sogar verdammt gute Geschichten. Damals gab es noch Papier. Und es gab Rechner, die waren so groß wie dein Ranzen.“
    „Und warum hat er aufgehört?“
    „Die Zeit, mein Junge. Die Zeit hat ihn eingeholt.“
    Peter war verwirrt.
    „Wie kann einen die Zeit einholen?“
    Herr König legte seine knochige Hand auf das silberne Buch und beugte sich vor.
    „Die Antwort liegt hier in diesem Buch. Es ist ein magisches Buch, durch das du mit den Träumen desjenigen verbunden wirst, der es einst geschrieben hat. Es verspricht dir eine gewisse Unsterblichkeit. Doch der Preis für dieses Geschenk ist hoch. Du musst dich dieser einen Sache voll und ganz widmen, dich ihr mit Leib und Seele verschreiben. Dein Großvater hat es gelesen, dein Vater hat es gelesen … und nun bist du an der Reihe.“
    Peter war verwirrt. Was hatten Zeit und Unsterblichkeit mit einem Buch zu tun? Wie sollte ein Buch eine Verbindung zu jemanden herstellen können, der schon längst als Humus unter der Erde lag? Herr König sah die Frage in Peters Augen und schob ihm das Buch über den Tisch.
    „Carpe Diem, Peter. Pflücke den Tag.“

    2 Aus dem Wohnzimmer der kleinen Wohnung klangen die Takte irgendeines tumben Lieds, das sich in den letzten Wochen in den Charts festgesetzt hatte. Peters Mutter lag auf der Couch und schnarchte vor sich hin. Die wenigen Hausaufgaben waren erledigt und sein Vater würde erst in einer Stunde kommen. Jetzt konnte er sich dem geheimnisvollen Buch widmen, das ihm Herr König mitgegeben hatte.
    Fasziniert blickte Peter auf den Einband. So sah also ein Taschenbuch aus? So etwas gab es heute nicht mehr. Heute steckte man einen Chip in einen Lesestick, drückte einen Knopf und die Buchstaben der Zeitung flimmerten vor einem in der Luft.
    Für erfundene Geschichten interessierte sich heute niemand mehr. Den Mitgliedern des Kombinatsrates war das gleichgültig. Wer keine Bücher las, der hatte mehr Zeit zum Arbeiten. Und wer keine Arbeit hatte, dem knurrte der Magen viel zu sehr, als das er sich für Bücher, die man sowieso nicht essen konnte, begeistern würde. Das Lesen eines Buches war zwar nicht gesetzlich verboten, gelegentlich wurden sogar noch welche geschrieben und auf dem grauen Markt verkauft. Aber wenn man dabei erwischt wurde ein Buch zu lesen oder zu verkaufen, waren schräge Blicke das Mindeste, was man zu erwarten hatte. Ein Bürger des Kombinats hatte in erster Linie dem Allgemeinwohl zu dienen und seine Zeit nicht mit Träumen zu verschwenden. Das konnte man daheim, in der knappen Freizeit machen, sofern einem nach 12 Stunden Arbeit noch der Sinn danach stand. Und sein Vater sollte auch so ein Träumer gewesen sein? Jemand der seine Träume in Geschichten bannte?
    Bei aller Fantasie, das konnte Peter sich nicht vorstellen. Obwohl …
    Beherzt schob er alle Gedanken an seinen Vater und den Lauf der Welt zur Seite und schlug das Buch auf. Er wollte das Geheimnis dieses merkwürdigen Buches entschlüsseln.

    3 Eine schwere Hand legte sich auf Peters Schulter und er erschrak heftig. Sein Vater war gekommen ohne das er ihn bemerkt hatte. Sein traurig leerer Blick erschrak Peter fast noch mehr, als die Tatsache, das er das Essen noch nicht vorbereitet hatte.
    „Was hast du denn da?“
    Die Stimme seines Vaters, tonlos wie immer, kam Peter plötzlich sehr fremd vor. Ein Gefühl warnte ihn davor, seinem Vater die Wahrheit zu sagen. Doch gleichzeitig tanzte eine irre Freude durch sein Denken. Die Stille beim Essen würde ihren Worten weichen und die Trostlosigkeit müsste vor den Farben ihrer Träume verblassen. Endlich hatte er etwas gefunden das er mit seinem Vater teilen, worüber sie sich unterhalten konnten.
    Ein großes Geheimnis.
    Das Buch.
    Das Schreiben.
    Mit strahlenden Augen klappte er es zu und zeigte ihm den Einband. Sein Vater wurde blass. Die Leere in seinem Blick wich etwas, was Peter als Wut interpretierte. Mit zitternden Lippen versuchte sein Vater etwas zu sagen, aber es blieb bei dem Versuch.
    „Herr König, vom Kramladen an der Ecke, sagte mir, das du und vor dir schon Opa, dieses Buch gelesen hätten. Er sagte mir auch das du früher selber Geschichten ge-“
    Peters Wange brannte unvermittelt wie Feuer. Ein vages Echo der Ohrfeige rauschte in Wellen durch den Schock, der von seinem Denken Besitz ergriffen hatte. Sein Vater hatte ihn noch NIE geschlagen. Tränen schossen in Peters Augen. Fassungslos blickte er seinem Vater in das Gesicht und hatte das Gefühl, einen Fremden zu sehen, der sich nur eine verdammt gute Maske übergestülpt hatte.
    „Kramladen? König? Kenne ich nicht. Erst recht nicht hier, in diesem Wohnblock. Egal wo du dich rumgetrieben hast, Morgen gehst du nach der Schule zum letzten Mal zu diesem König und bringst ihm das Buch zurück. Danach will ich dich nie mehr in seinem Laden sehen. Wo immer das auch sein soll. Klar?“
    „Aber … er …“
    „Nichts aber“, fuhr Peters Vater dazwischen. „Ich will, das dieses Buch aus unserer Wohnung verschwindet. Es bringt nichts Gutes. Ich verbiete dir es zu lesen.“
    „Ich wollte doch nur lernen Geschichten zu schreiben.“
    Schmerz?
    War das Schmerz, in den Augen seines Vaters?
    „Ich habe nie in meinem Leben Geschichten geschrieben. Ich wollte immer, wie es in unserer Familie üblich ist, den Beruf meines Vaters ergreifen und seine Stelle in der Firma übernehmen. Deine Schule ist wichtiger, als irgendwelche hanebüchenen Träume von Dingen, mit denen du sowieso nichts erreichen kannst. Noch mal Junger Herr, damit du es dir auch hinter die Ohren schreibst, ich verbiete dir dieses Buch zu lesen. Lerne lieber Mathematik, damit du nach der Schule bei mir in der Firma lernen und meine Stelle übernehmen kannst. Oder willst du auch so ein nutzloser Prolo werden, der nur von den Almosen des Staates lebt?“
    Eine stille Träne rann über Peters Wange.
    „Du weißt was passiert, wenn dich die falschen Leute mit einem echten Buch in der Hand sehen?“
    Peter nickte und schluckte. In seinem Hals brannte etwas, das irgendwie sauer und schrecklich heiß war. Nie mehr in den Laden von Herrn König? Nie wieder dort ein echtes Buch lesen?
    Mit überraschender Klarheit sah Peter plötzlich seine Zukunft vor sich. Ein Job bei General Ford Elektrik, eine Frau die lieber dem billigen Branntwein als dem Haushalt zugetan war und ein Sohn, der sich redlich bemühte in seine Fußstapfen zu treten um die Familientradition fortzuführen und ein guter, produktiver Bürger des Kombinats zu werden. Der Blick seines Vaters verlor zusehends an Feuer und seine Stimme senkte sich wieder in diese tonlosen Tiefen hinab, mit denen Peter groß geworden war. Die Stimme seines Vaters holte ihn aus diesem Albtraum.
    „Oder willst du vielleicht sogar ein Taugenichts werden? Ein Schriftsteller? Jemand der sowieso niemals in der Lage sein wird, seine Familie zu ernähren? Heutzutage liest kein Mensch mehr. Erst recht keine Geschichten.“
    Peter versuchet etwas zu sagen, aber seine Worte schafften es nicht über die Schwelle zwischen Kehlkopf und Lippen. Er schüttelte nur den Kopf. Es war das erste mal, das er lügen konnte ohne rot zu werden.
    „Bringst du diese Sache selber in Ordnung, oder soll ich das in die Hand nehmen?“
    Peter seufzte leise.
    „Nein Vater. Ich bin Manns genug das selber zu tun.“
    „Gut. Dann mach jetzt das Essen fertig. Ich bin in Wohnzimmer.“

    4 Peter stand mit hängenden Schultern vor Herrn Königs Laden. Oder zumindest an der Stelle, wo er gestern den Laden noch gesehen hatte. Dort, wo er stundenlang mit Herrn König Tee getrunken und in alten Büchern auf Drachenjagd gegangen war, oder die Geheimnisse eines Spukhotels entschlüsselt hatte. Dort wo er im alten Licht des Ladens, die Magie der Bücher geatmet hatte. Gestern, vorgestern und all die Wochen und Monate zuvor.
    Heute fand Peter hier nur eine große Grube, in der Männer mit schweren Geräten wie Ameisen herumwuselten. Ein Eisenzaun hinderte ihn daran versehentlich in die Grube zu fallen. Unschlüssig stand er einsam und verloren da, während seine Füße langsam zu Eisklumpen wurden. Einer der Arbeiter sah ihn schließlich.
    „He Kumpel. Langeweile?“, rief der Mann über den Lärm der Maschinen hinweg.
    „Nein. Aber vielleicht können sie mir helfen?“
    „Willst du hier arbeiten? Sind deine Alten arbeitslos?“
    „Nein, das nicht. Aber hier war doch gestern noch ein Haus mir einem Laden! Wissen sie was passiert ist?“
    Der Arbeiter schob sich seinen gelben Helm in den Nacken und starrte Peter fassungslos ins Gesicht.
    „Häh? Laden? Hier steht schon lange kein Laden mehr.“
    Verzweiflung nahm Peter in ihre klamme Umarmung. Er streckte seine Hand hoch und deutete mit den Fingern der anderen auf das silberne Buch in seiner Hand.
    „Aber … ich war gestern doch hier im Laden und habe von Herrn König dieses Buch bekommen. Mein Vater will das ich es ihm zurückgebe. Wenn ich es wieder mitbringe bekomme ich einen Riesenärger.“
    Der Arbeiter schüttelte den Kopf und eilte eine Leiter am Rand der Grube hoch. Oben angekommen schaute er Peter ernst ins Gesicht.
    „Junge. Wir arbeiten hier schon seit fast acht Monaten. Hier gibt es keinen Laden. Und was dein Buch da betrifft …“, ein schwieliger Zeigefinger deutete durch die Maschen des Zauns auf Peters Hand. „Das würde ich nicht so rumzeigen. Es ist aus Papier. Du weißt wie teuer heutzutage solche Bücher sind?“
    Peter nickte wie eine Marionette.
    „Gut. Ein Rat von einem einfachen Arbeiter mein Junge. Steck es deinem Vater zurück in den Schrank, bevor er dich grün und blau schlägt.“
    Ein heißes Brennen stieg Peter in den Hals und belegte seine Stimme. Tränen schossen ihm in die Augen.
    „Aber … mein Vater hat gar kein Bücher. Ich habe es wirklich erst gestern hier von Herrn König bekommen.“
    Der Arbeiter nickte.
    „Wie auch immer, mein Junge, dann gehört es dir. Manche Bücher suchen sich ihre Besitzer aus. Halt es fest. Versteck es gut.“
    Peter wandte sich ab damit der Arbeiter seine Tränen nicht zu sehen bekam. Er war bereits einige Schritte weg, als ihn die Stimme des Mannes einholte.
    „Carpe Diem, mein Junge. Pflücke den Tag.“

    2090 A.D.

    1 Peter lehnt sich in seinem Stuhl zurück und taucht aus den Bildern seiner Vergangenheit wieder auf. Kinderlachen dringt aus dem großen Garten durch die breite Fensterfront. Die Sonne scheint mit aller Kraft auf das kräftige Grün des Rasens, während seine Frau und seine beiden Töchter mit dem Wasserstrahl des Rasensprengers Fangen spielt. Die Stimme seines ältesten Sohnes erklingt in seinem Rücken.
    „Papa? Darf ich dich mal was fragen?“
    „Ja. Was denn Richard?“
    Richard deutet mit einer Hand auf die große Vitrine aus Panzerglas, in der auf einem roten Samtkissen ein kleines silbernes Buch liegt.
    „Paps, was hat es eigentlich mit diesem Buch auf sich? Wir sollen für die Schule einen Aufsatz über Geheimnisse schreiben. Und das da …“ Richard nickt mit dem Kopf in Richtung Vitrine. „Das da ist für mich ein großes Geheimnis. Du hast so viele alte Bücher, schreibst selber welche... warum ist ausgerechnet dieses so geschützt?“
    Peter lehnt sich in seinem Stuhl zurück, lächelt und sieht seinen Sohn an. Sein Zeigefinger findet blind die Taste zum Speichern, auf einem antiken Computer.
    „Weißt du Richi, das ist eine lange Geschichte. Dieses Buch war mal ein verbotenes Buch.“
    Richards Augen werden groß.
    „Verboten? Ein Buch?“
    Peter nickt.
    „Ja, verboten. Willst du seine Geschichte hören?“
    Richard nickt eifrig und zieht sich einen Stuhl an den Schreibtisch, an dem sein Vater an einem neuen Roman arbeitet. Peter holt tief Luft.
    „Also, es war an einem ziemlich verschneiten Wintertag. Ich war gerade mal dreizehn Jahre alt. Da gab es an der Ecke der Strasse, wo ich mit Oma und Opa wohnte, einen Laden. Der hieß Königs Traumladen. Sein Besitzer starb leider in dem Winter.“ Peter stockt, und sein Blick gleitet in eine weite Ferne. „Das glaube ich zumindest. Doch vorher … “

    2 Die Sonne kämpft sich durch den dichten Smog einer Großstadt. Elektrowagen sausen über die Strasse und die Passanten eilen, ein Eis in der Hand, so schnell sie können irgendeinem Gebäude mit Klimaanlage entgegen. Dem Schaufenster des kleinen Ladens schenken sie keine Beachtung. Nur ein kleines Mädchen drückt sich an seiner altmodischen Scheibe die Nase platt. Im warmen Halbdunkel des Ladens sieht es Bücher. Endlose Reihen echter Bücher, aus echtem Papier und keine Schuber mit dünnen Plastikfolien. Die kennt sie eigentlich nur von den Besuchen im Museum, wenn ihre Schule mal wieder eine Klassenfahrt zum Thema Postatomares Zeitalter veranstaltet. Und dort sind sie auch noch hinter zentimeterdickem Glas versteckt. Aber hier … direkt vor ihr, im altmodischen Schaufenster des Ladens, blinzelt ihr ein besonders schönes Buch entgegen. Sein silberner Einband, auf dem ein vager Schatten wohl ein Gesicht darstellen soll, lockt sie mit funkelndem Blick.
    Ob sie dieses hier mal anfassen … oder sogar darin lesen dürfte? Vorsichtig nähert sie sich der Türe des Ladens und öffnet sie. Eine altmodische Glocke bimmelt am Rahmen. Hinter der Theke des Ladens steht ein alter Mann mit einem wissenden Lächeln im Gesicht. Seine Augen schauen ein wenig erstaunt hinter den dicken Gläsern einer altmodischen Brille hinaus in die Welt.
    „Bonjour Mademoiselle. Mein Name ist Stephen du Roi. Willkommen in meinem Laden der Träume. Was kann ich für sie tun?“

    Ende?
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