Hallo,
ich habe mich in letzter Zeit hobbymäßig ein bisschen als Autor versucht und würde euch hier gerne das erste Kapitel meines (werdenden) Buches "Mooncity" präsentieren. Falls es euch gefällt, besucht mich doch mal auf Mooncity-Online.de, dort werde ich wöchentlich ein neues Kapitel veröffentlichen. Über Kritik - positive wie negative - freue ich mich immer . Jetzt aber zur Geschichte:
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- 1 -
Ebene 0, Außenbezirk C, Die Kuppel
Zwei Dinge gelten im Leben des durchschnittlichen Mondbewohners als Luxus: natürliche Lebensmittel und echtes Sonnenlicht. Bevor Sie jetzt ratlos mit den Schultern zucken, lassen Sie mich das erläutern. Während beides auf der Erde wahrscheinlich nicht weiter erwähnenswert ist, stehen sie auf dem Mond, genauer gesagt in Mooncity, nur der dünn gesäten Oberschicht zur Verfügung. Wie sollte es in einer unterirdischen Stadt ohne eigene Agrarwirtschaft (wenn man mal von der Algenproduktion absieht) auch anders sein?
Wahrscheinlich haben Sie jetzt messerscharf kombiniert und sind zu dem Schluss gekommen, dass ich zur besagten Oberschicht gehöre. Glauben Sie mir, ich wünschte, Sie hätten recht damit. Leider bin ich von der Oberschicht aber in etwa so weit entfernt wie der Mond von der Sonne. Zugegeben, ich kenne die genaue Entfernung zwar nicht, aber es hört sich verdammt weit an.
Trotzdem war heute ein guter Tag, denn ich hatte gerade ein ausgedehntes Frühstück (bestehend und hergestellt aus garantiert natürlichen, von der Erde importierten Lebensmitteln) hinter mir und blinzelte nun, übrigens zum ersten Mal in meinem Leben, zufrieden in das Licht der Sonne. Natürlich wurde letzteres durch die Kuppel des Armstrong Parks gefiltert, aber die Wärme echter Sonnenstrahlen auf der Haut war trotzdem unvergleichlich.
Leider ist dieses Gefühl nur den wenigsten Mondbewohnern vorbehalten, denn der Armstrong Park, aus nahe liegenden Gründen meistens einfach nur “die Kuppel“ genannt, ist der einzige an der Oberfläche liegende Außenbezirk Mooncitys, zu dem Zivilisten Zutritt haben.
Mit über einem Kilometer Durchmesser überdeckt sie nicht nur den Ort der Mondoberfläche, an dem Menschen vor unzähligen Jahren erstmals den Mond betraten, sondern ist gleichzeitig auch das einzige echte Prestigeobjekt des Mondes. Exquisite Cafés und Restaurants wechseln sich mit repräsentativen Niederlassungen der größten Konzerne – fast alle von der Erde – ab. Eingefasst wird das ganze in einer begrünten Parklandschaft. Ja, richtig, grün. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann mich nicht daran erinnern, irgendwo sonst in der Stadt mal eine echte Pflanze gesehen zu haben (außer natürlich Algen, in praktische Lebensmittelimitationen zusammengepresst). Ich nehme an, die meisten Pflanzen hier sind großzügige Spenden der ansässigen Konzerne.
Jetzt kommt der Haken an diesem kleinen Garten Eden: Natürlich ist der scheinbar freie Zutritt an diverse Voraussetzungen und Regeln gebunden. Das klingt vielleicht kompliziert, aber im Wesentlichen heißt das, dass man für einen Besuch der Kuppel entweder über Beziehungen oder das notwendige Kleingeld verfügen muss. Wie Sie jetzt mittlerweile erraten haben werden: Richtig, mir fehlt grundsätzlich beides.
Die üblichen Besucher der Kuppel lassen sich in zwei Kategorien unterscheiden: Wohlhabende Touristen von der Erde, die den Besuch des Mondes als eine Art Abenteuerurlaub ansehen, und wichtige Geschäftsleute, die sich in der luxuriösen Umgebung der Kuppel mit anderen wichtigen Leuten zu ihren wichtigen Meetings treffen. Kurzum: Menschen wie mich sieht man hier selten oder gar nicht. Das ich hier nicht erwünscht war, wurde mir gleich auch deutlich vermittelt: Die meisten Leute starrten mich entweder an oder versuchten mich im Gegenteil zu ignorieren. Kennen Sie dieses missbilligende Stirnrunzeln von Leuten, die sich grundsätzlich für etwas Besseres halten? Wenn ich heute für jedes dieser Stirnrunzeln ein paar Creds bekommen hätte, würde ich tatsächlich hierher gehören.
Davon unbeeindruckt saß ich seit gut einer halben Stunde auf einer Bank nahe des Zentrums der Kuppel, genoss die angenehme Abwechslung vom Alltag, sog die ungewohnte Atmosphäre regelrecht in mich auf und war ansonsten vollauf damit zufrieden, das reichhaltige Frühstück zu verdauen.
Mein selbstzufriedener Blick wanderte dabei von einer fettleibigen, lautstark mit einem Souvenirhändler streitenden, Touristenfamilie über die begrünte Promenade zur direkt vor mir liegenden “Hauptattraktion“ des Parks: Ein kleines Areal angeblich unberührter Mondoberfläche. In der Mitte des von dickem Panzerglas eingeschlossenen Bereiches steckte eine rotgestreifte Flagge in der grauen Asche. Ich dachte kurz nach, konnte mich aber nicht an die Namen der Astronauten, denen vor unzähligen Jahren angeblich genau an diesem Ort die erste Mondlandung glückte, nicht erinnern. Ich zuckte leicht mit den Schultern. Wäre ich nicht so desinteressiert gewesen, hätten die in regelmäßigen Abständen an der Promenade stehenden Informationsterminals meiner Erinnerung auch auf die Sprünge helfen können.
Sie werden es sich mittlerweile gedacht haben: So wenig ich auch für die ausnahmslos wohlhabenden Besucher um mich herum übrig hatte, ich genoss meinen Aufenthalt in der Kuppel. Licht, frische Luft (frisch im Sinne von funktionierenden Klimaanlagen), konstante Schwerkraft, Sauberkeit. An diesen Luxus hätte ich mich fast gewöhnen können. Aber eben nur fast, denn leider war ich aus beruflichen Gründen hier. Einer meiner aktuellen Klienten hatte für eine Übergabe ein Treffen in der Kuppel arrangiert. Als ich die entsprechende Nachricht erhielt, war ich ziemlich erstaunt gewesen. Meine Klienten (oder deren Mittelsmänner) sind normalerweise nicht wohlhabend genug für einen derart exklusiven Treffpunkt – wenn Sie sich überhaupt persönlich mit mir treffen wollen.
Das trifft natürlich auch auf mich zu. Mein Erscheinungsbild, Durchschnittstyp in den späten Dreißigern mit ständigem Dreitagebart und abgetragenem Mantel, verdeutlich jedem meine Zugehörigkeit zu den unteren Ebenen der Stadt. Zwar bin ich mit meinem halbwegs regelmäßigen Einkommen als mittelklassiger Privatschnüffler immer noch besser dran als viele andere Mondbewohner, aber von der versnobten Kuppelgesellschaft eben noch Lichtjahre entfernt. Ich musste unwillkürlich grinsen, als mir die Analogie zwischen den ersten Raumfahrern auf dem Mond und mir selbst auffiel. Beide waren genau an diesem Ort in einer eher feindlichen Atmosphäre gelandet. Der damalige Feind war das Vakuum, meiner war der offen zur Schau gestellte Wohlstand.
Während mein Grinsen langsam verblasste, lies ich den heutigen Morgen noch einmal Revue passieren. Ich war bereits seit einigen Stunden hier und hatte mir zunächst ein ebenso exquisites wie überteuertes Frühstück in einem der Cafés am Rande der Kuppel gegönnt. Ein Platz direkt an der transparenten Wand mit Aussicht auf die unberührte Mondoberfläche außerhalb der Kuppel war zwar nicht drin gewesen, aber dennoch war mein Geschmack durch das hervorragende Frühstück – mit echtem Kaffee – und den kurzen Blick in den üppigen Ausschnitt der niedlichen Bedienung in mehrerlei Hinsicht wohl auf Wochen versaut worden (die Erinnerung an letzteres frischte mein dämliches Grinsen kurzzeitig wieder auf).
Seit dem Frühstück lünmmelte ich nun auf meiner Bank, lies mir die ungewohnte Sonne durch das transparente Kuppeldach ins Gesicht scheinen und wartete gemütlich auf meine Kontaktperson. Es wurmte mich ein bisschen, dass ich so wenig über diese Person wusste und damit keine Ahnung hatte, wen ich zu erwarten hatte. Der Klient hatte nur verdeutlicht, dass ich einfach auf dieser Bank warten solle, da mich sein Kontakt schon erkennen würde. Gedanklich zuckte ich erneut mit den Schultern. Nichts leichter als das. Trotzdem ärgerte ich mich etwas über diese Klassifizierung meiner selbst. Mein Klient hatte mich bisher ebenso wenig persönlich getroffen wie ich ihn. Daher konnte er also auch nicht wissen, wie ich aussah. Er musste einfach angenommen haben, dass jemand wie ich in der Kuppel auffallen würde. Die Tatsache, dass er damit recht hatte, machte es für mich auch nicht besser.
„Rick Montgomery?“ Eine weibliche Stimme riss mich aus meinen Tagträumen. Überrascht und verärgert über mich selbst blickte ich auf und kniff misstrauisch die Augen zusammen. Ich hatte mich von der ungewohnten Umgebung einlullen lassen.
Bevor man mir meine Überraschung ansehen konnte, stellte ich eine knappe Gegenfrage.
„Wer fragt?“ Erst dann nahm ich mir die Zeit, mein Gegenüber gründlicher zu mustern. Vor mir stand eine äußerst attraktive Brünette, etwa Anfang dreißig. Mit streng hochgestecktem Haar war sie, soweit ich das beurteilen konnte, ganz nach der aktuellen Geschäftsmode gekleidet. Ihrem reservierten Ausdruck nach zu urteilen war ihr mein in ihren Augen heruntergekommenes Äußeres eher unangenehm. Was für eine Überraschung.
Verärgert über ihre Arroganz beschloss ich, ihr im weiteren Gespräch auch gleich einen Grund für ihre offensichtlichen Vorurteile gegen die Menschen der unteren Ebenen zu bieten.
„Mein Name tut nichts zur Sache.“ Der Satz kam etwas hastig, als wäre er einstudiert. Falls sie hierauf eine Bemerkung meinerseits erwartete, wartete sie vergebens. Stattdessen zog ich wortlos und bedächtig die Augenbrauen hoch, während sie sich geheimnistuerisch umsah und dabei unbewusst auf ihrer Lippe kaute.
Schließlich schien Sie zu dem Entschluss zu kommen, dass ich derjenige war, den sie suchte. „Ich bin hier, weil sie etwas für mich haben.“ Jetzt lies ich mich endlich zu einer Reaktion hinreißen, indem ich ihr langsam zunickte und mit einer einladenden Geste auf den freien Platz neben mir wies.
„Setzen sie sich einen Augenblick.“ Nachdenklich sah Sie sich um, offensichtlich verunsichert, ob sie meiner Aufforderung folgen sollte. Aber der Anblick einer Moonsecstreife, welche in einiger Entfernung über die Promenade schlenderte, schien sie ausreichend zu beruhigen. Sie setzte sich an das andere Ende der Bank. Obwohl ich ihr Unbehagen beinah körperlich spüren konnte, setzte ich ein falsches Lächeln auf.
„Sehen sie, vielleicht möchte ich tatsächlich etwas loswerden...“ Sie blickte mich erwartungsvoll an. „...aber woher weiß ich, dass sie auch die Person sind, auf die ich warte?“ Der ratlose Ausdruck in ihren überaus hübschen Augen war bares Geld wert. Offensichtlich war dies ihr erstes Treffen mit einer Person wie mir – einem aus ihrer Sicht sicher schäbigen Schnüffler aus den unteren Ebenen der Stadt. Einen kurzen Moment lang genoss ich den Augenblick und war versucht, weitere verbale Klischees anzubringen, doch dann setzte sich meine Professionalität durch. Natürlich war sie die richtige Person. Ich war Realist genug um zu wissen, dass eine Frau wie sie mich in einer solchen Umbebung sonst nie angesprochen hätte.
„Schon gut.“ beruhigte ich sie, holte einen handgroßen Umschlag aus der Innentasche meines Mantels und legte ihn auf die Mitte der Bank, ohne ihn dabei los zu lassen.
„Ich denke, Ihr Boss wartet auf das hier.“ Als sie danach greifen wollte, zog ich meine Hand mit dem Umschlag noch einmal zurück. Sie blickte mich verständnislos an, verstand dann aber.
„Ich soll ihnen ausrichten, dass der Rest ihrer Bezahlung unterwegs ist.“
Geht doch. Ich nickte zufrieden und schob ihr den Umschlag rüber, den sie, ohne seinen Inhalt zu überprüfen, in Ihrer Handtasche verstaute. Erst danach erwiderte sie mein Nicken zögerlich, stand auf, murmelte eilig einen Abschiedsgruß und strebte mit hastigen Schritten davon. Während ich auf ihr perfekt geformtes, aber leider immer kleiner werdendes, Hinterteil starrte, zückte ich mein Handcom um mir die Zahlung bestätigen zu lassen.
Nachdem ich mir zufrieden meinen neuen Kontostand angesehen hatte machte ich mich ebenfalls auf, die Kuppel zu verlassen. Schade eigentlich, aber ein längerer Aufenthalt hier war einfach nicht zu bezahlen.
Ich schlenderte zu den am Rande der Kuppel gelegenen Aufzügen (richtige Aufzüge, mit Kabinen. Nicht die einfachen Antigravschächte, die die Ebenen der restlichen Stadt miteinander verbinden) und fuhr zum unterirdischen Teil des Außenbezirkes hinunter. Ich versuchte gar nicht erst, mich unterwegs noch einmal nach der Frau umzusehen. Diskretion war eine der wenigen Sicherheiten, auf die sich meine Klienten verlassen konnten.
Als ich nach kurzer Fahrt aus dem Aufzug ausstieg stand ich auch schon direkt an der Bahnstation dieses Bezirkes. Sowohl Station als auch Aufzüge waren ähnlich gut gesichert wie der Raumhafen der Stadt. Bewaffnete Moonsecs standen an den Aufzügen und Treppen und versuchten, mit ihren Blicken die Leute zu vertreiben, die ihrer Ansicht nach nichts in der über ihnen liegenden Kuppel zu suchen hatten – Leute wie mich.
In diesem Augenblick hatte mich einer der gelangweilten Moonsecs auch gleich als potenziellen Gefahrenherd ausgemacht und starrte mich feindselig an, während er eine Hand lässig auf Elektroschlagstock an seiner Hüfte legte. Der Idiot hatte wohl nicht bemerkt, dass ich die Kuppel gerade erst verlassen hatte. Obwohl ich eigentlich nichts zu befürchten hatte, beschleunigte ich meine Schritte Richtung Bahn, denn langsam nagte die offene Feindseligkeit an meinen Nerven.
Überraschenderweise war die Bahnstation nicht besonders voll, obwohl sie die einzige Verbindung zum Rest der Stadt darstellt. Andererseits gibt es hier im Außenbezirk C bis auf die Kuppel, ein paar sehr exklusiven Wohnungen und jede Menge nicht weniger exklusiven Bürokomplexen nichts, was einen Besuch des durchschnittlichen Mondbewohners wert wäre. Da ich für den Rest des Tages nichts mehr vor hatte und meiner versnobten Umgebung zusehends überdrüssig wurde, stieg ich, von den aufmerksamen Augen einer weiteren Moonsecstreife verfolgt, in die nächste Bahn Richtung Stadt.
ich habe mich in letzter Zeit hobbymäßig ein bisschen als Autor versucht und würde euch hier gerne das erste Kapitel meines (werdenden) Buches "Mooncity" präsentieren. Falls es euch gefällt, besucht mich doch mal auf Mooncity-Online.de, dort werde ich wöchentlich ein neues Kapitel veröffentlichen. Über Kritik - positive wie negative - freue ich mich immer . Jetzt aber zur Geschichte:
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Ebene 0, Außenbezirk C, Die Kuppel
Zwei Dinge gelten im Leben des durchschnittlichen Mondbewohners als Luxus: natürliche Lebensmittel und echtes Sonnenlicht. Bevor Sie jetzt ratlos mit den Schultern zucken, lassen Sie mich das erläutern. Während beides auf der Erde wahrscheinlich nicht weiter erwähnenswert ist, stehen sie auf dem Mond, genauer gesagt in Mooncity, nur der dünn gesäten Oberschicht zur Verfügung. Wie sollte es in einer unterirdischen Stadt ohne eigene Agrarwirtschaft (wenn man mal von der Algenproduktion absieht) auch anders sein?
Wahrscheinlich haben Sie jetzt messerscharf kombiniert und sind zu dem Schluss gekommen, dass ich zur besagten Oberschicht gehöre. Glauben Sie mir, ich wünschte, Sie hätten recht damit. Leider bin ich von der Oberschicht aber in etwa so weit entfernt wie der Mond von der Sonne. Zugegeben, ich kenne die genaue Entfernung zwar nicht, aber es hört sich verdammt weit an.
Trotzdem war heute ein guter Tag, denn ich hatte gerade ein ausgedehntes Frühstück (bestehend und hergestellt aus garantiert natürlichen, von der Erde importierten Lebensmitteln) hinter mir und blinzelte nun, übrigens zum ersten Mal in meinem Leben, zufrieden in das Licht der Sonne. Natürlich wurde letzteres durch die Kuppel des Armstrong Parks gefiltert, aber die Wärme echter Sonnenstrahlen auf der Haut war trotzdem unvergleichlich.
Leider ist dieses Gefühl nur den wenigsten Mondbewohnern vorbehalten, denn der Armstrong Park, aus nahe liegenden Gründen meistens einfach nur “die Kuppel“ genannt, ist der einzige an der Oberfläche liegende Außenbezirk Mooncitys, zu dem Zivilisten Zutritt haben.
Mit über einem Kilometer Durchmesser überdeckt sie nicht nur den Ort der Mondoberfläche, an dem Menschen vor unzähligen Jahren erstmals den Mond betraten, sondern ist gleichzeitig auch das einzige echte Prestigeobjekt des Mondes. Exquisite Cafés und Restaurants wechseln sich mit repräsentativen Niederlassungen der größten Konzerne – fast alle von der Erde – ab. Eingefasst wird das ganze in einer begrünten Parklandschaft. Ja, richtig, grün. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht, aber ich kann mich nicht daran erinnern, irgendwo sonst in der Stadt mal eine echte Pflanze gesehen zu haben (außer natürlich Algen, in praktische Lebensmittelimitationen zusammengepresst). Ich nehme an, die meisten Pflanzen hier sind großzügige Spenden der ansässigen Konzerne.
Jetzt kommt der Haken an diesem kleinen Garten Eden: Natürlich ist der scheinbar freie Zutritt an diverse Voraussetzungen und Regeln gebunden. Das klingt vielleicht kompliziert, aber im Wesentlichen heißt das, dass man für einen Besuch der Kuppel entweder über Beziehungen oder das notwendige Kleingeld verfügen muss. Wie Sie jetzt mittlerweile erraten haben werden: Richtig, mir fehlt grundsätzlich beides.
Die üblichen Besucher der Kuppel lassen sich in zwei Kategorien unterscheiden: Wohlhabende Touristen von der Erde, die den Besuch des Mondes als eine Art Abenteuerurlaub ansehen, und wichtige Geschäftsleute, die sich in der luxuriösen Umgebung der Kuppel mit anderen wichtigen Leuten zu ihren wichtigen Meetings treffen. Kurzum: Menschen wie mich sieht man hier selten oder gar nicht. Das ich hier nicht erwünscht war, wurde mir gleich auch deutlich vermittelt: Die meisten Leute starrten mich entweder an oder versuchten mich im Gegenteil zu ignorieren. Kennen Sie dieses missbilligende Stirnrunzeln von Leuten, die sich grundsätzlich für etwas Besseres halten? Wenn ich heute für jedes dieser Stirnrunzeln ein paar Creds bekommen hätte, würde ich tatsächlich hierher gehören.
Davon unbeeindruckt saß ich seit gut einer halben Stunde auf einer Bank nahe des Zentrums der Kuppel, genoss die angenehme Abwechslung vom Alltag, sog die ungewohnte Atmosphäre regelrecht in mich auf und war ansonsten vollauf damit zufrieden, das reichhaltige Frühstück zu verdauen.
Mein selbstzufriedener Blick wanderte dabei von einer fettleibigen, lautstark mit einem Souvenirhändler streitenden, Touristenfamilie über die begrünte Promenade zur direkt vor mir liegenden “Hauptattraktion“ des Parks: Ein kleines Areal angeblich unberührter Mondoberfläche. In der Mitte des von dickem Panzerglas eingeschlossenen Bereiches steckte eine rotgestreifte Flagge in der grauen Asche. Ich dachte kurz nach, konnte mich aber nicht an die Namen der Astronauten, denen vor unzähligen Jahren angeblich genau an diesem Ort die erste Mondlandung glückte, nicht erinnern. Ich zuckte leicht mit den Schultern. Wäre ich nicht so desinteressiert gewesen, hätten die in regelmäßigen Abständen an der Promenade stehenden Informationsterminals meiner Erinnerung auch auf die Sprünge helfen können.
Sie werden es sich mittlerweile gedacht haben: So wenig ich auch für die ausnahmslos wohlhabenden Besucher um mich herum übrig hatte, ich genoss meinen Aufenthalt in der Kuppel. Licht, frische Luft (frisch im Sinne von funktionierenden Klimaanlagen), konstante Schwerkraft, Sauberkeit. An diesen Luxus hätte ich mich fast gewöhnen können. Aber eben nur fast, denn leider war ich aus beruflichen Gründen hier. Einer meiner aktuellen Klienten hatte für eine Übergabe ein Treffen in der Kuppel arrangiert. Als ich die entsprechende Nachricht erhielt, war ich ziemlich erstaunt gewesen. Meine Klienten (oder deren Mittelsmänner) sind normalerweise nicht wohlhabend genug für einen derart exklusiven Treffpunkt – wenn Sie sich überhaupt persönlich mit mir treffen wollen.
Das trifft natürlich auch auf mich zu. Mein Erscheinungsbild, Durchschnittstyp in den späten Dreißigern mit ständigem Dreitagebart und abgetragenem Mantel, verdeutlich jedem meine Zugehörigkeit zu den unteren Ebenen der Stadt. Zwar bin ich mit meinem halbwegs regelmäßigen Einkommen als mittelklassiger Privatschnüffler immer noch besser dran als viele andere Mondbewohner, aber von der versnobten Kuppelgesellschaft eben noch Lichtjahre entfernt. Ich musste unwillkürlich grinsen, als mir die Analogie zwischen den ersten Raumfahrern auf dem Mond und mir selbst auffiel. Beide waren genau an diesem Ort in einer eher feindlichen Atmosphäre gelandet. Der damalige Feind war das Vakuum, meiner war der offen zur Schau gestellte Wohlstand.
Während mein Grinsen langsam verblasste, lies ich den heutigen Morgen noch einmal Revue passieren. Ich war bereits seit einigen Stunden hier und hatte mir zunächst ein ebenso exquisites wie überteuertes Frühstück in einem der Cafés am Rande der Kuppel gegönnt. Ein Platz direkt an der transparenten Wand mit Aussicht auf die unberührte Mondoberfläche außerhalb der Kuppel war zwar nicht drin gewesen, aber dennoch war mein Geschmack durch das hervorragende Frühstück – mit echtem Kaffee – und den kurzen Blick in den üppigen Ausschnitt der niedlichen Bedienung in mehrerlei Hinsicht wohl auf Wochen versaut worden (die Erinnerung an letzteres frischte mein dämliches Grinsen kurzzeitig wieder auf).
Seit dem Frühstück lünmmelte ich nun auf meiner Bank, lies mir die ungewohnte Sonne durch das transparente Kuppeldach ins Gesicht scheinen und wartete gemütlich auf meine Kontaktperson. Es wurmte mich ein bisschen, dass ich so wenig über diese Person wusste und damit keine Ahnung hatte, wen ich zu erwarten hatte. Der Klient hatte nur verdeutlicht, dass ich einfach auf dieser Bank warten solle, da mich sein Kontakt schon erkennen würde. Gedanklich zuckte ich erneut mit den Schultern. Nichts leichter als das. Trotzdem ärgerte ich mich etwas über diese Klassifizierung meiner selbst. Mein Klient hatte mich bisher ebenso wenig persönlich getroffen wie ich ihn. Daher konnte er also auch nicht wissen, wie ich aussah. Er musste einfach angenommen haben, dass jemand wie ich in der Kuppel auffallen würde. Die Tatsache, dass er damit recht hatte, machte es für mich auch nicht besser.
„Rick Montgomery?“ Eine weibliche Stimme riss mich aus meinen Tagträumen. Überrascht und verärgert über mich selbst blickte ich auf und kniff misstrauisch die Augen zusammen. Ich hatte mich von der ungewohnten Umgebung einlullen lassen.
Bevor man mir meine Überraschung ansehen konnte, stellte ich eine knappe Gegenfrage.
„Wer fragt?“ Erst dann nahm ich mir die Zeit, mein Gegenüber gründlicher zu mustern. Vor mir stand eine äußerst attraktive Brünette, etwa Anfang dreißig. Mit streng hochgestecktem Haar war sie, soweit ich das beurteilen konnte, ganz nach der aktuellen Geschäftsmode gekleidet. Ihrem reservierten Ausdruck nach zu urteilen war ihr mein in ihren Augen heruntergekommenes Äußeres eher unangenehm. Was für eine Überraschung.
Verärgert über ihre Arroganz beschloss ich, ihr im weiteren Gespräch auch gleich einen Grund für ihre offensichtlichen Vorurteile gegen die Menschen der unteren Ebenen zu bieten.
„Mein Name tut nichts zur Sache.“ Der Satz kam etwas hastig, als wäre er einstudiert. Falls sie hierauf eine Bemerkung meinerseits erwartete, wartete sie vergebens. Stattdessen zog ich wortlos und bedächtig die Augenbrauen hoch, während sie sich geheimnistuerisch umsah und dabei unbewusst auf ihrer Lippe kaute.
Schließlich schien Sie zu dem Entschluss zu kommen, dass ich derjenige war, den sie suchte. „Ich bin hier, weil sie etwas für mich haben.“ Jetzt lies ich mich endlich zu einer Reaktion hinreißen, indem ich ihr langsam zunickte und mit einer einladenden Geste auf den freien Platz neben mir wies.
„Setzen sie sich einen Augenblick.“ Nachdenklich sah Sie sich um, offensichtlich verunsichert, ob sie meiner Aufforderung folgen sollte. Aber der Anblick einer Moonsecstreife, welche in einiger Entfernung über die Promenade schlenderte, schien sie ausreichend zu beruhigen. Sie setzte sich an das andere Ende der Bank. Obwohl ich ihr Unbehagen beinah körperlich spüren konnte, setzte ich ein falsches Lächeln auf.
„Sehen sie, vielleicht möchte ich tatsächlich etwas loswerden...“ Sie blickte mich erwartungsvoll an. „...aber woher weiß ich, dass sie auch die Person sind, auf die ich warte?“ Der ratlose Ausdruck in ihren überaus hübschen Augen war bares Geld wert. Offensichtlich war dies ihr erstes Treffen mit einer Person wie mir – einem aus ihrer Sicht sicher schäbigen Schnüffler aus den unteren Ebenen der Stadt. Einen kurzen Moment lang genoss ich den Augenblick und war versucht, weitere verbale Klischees anzubringen, doch dann setzte sich meine Professionalität durch. Natürlich war sie die richtige Person. Ich war Realist genug um zu wissen, dass eine Frau wie sie mich in einer solchen Umbebung sonst nie angesprochen hätte.
„Schon gut.“ beruhigte ich sie, holte einen handgroßen Umschlag aus der Innentasche meines Mantels und legte ihn auf die Mitte der Bank, ohne ihn dabei los zu lassen.
„Ich denke, Ihr Boss wartet auf das hier.“ Als sie danach greifen wollte, zog ich meine Hand mit dem Umschlag noch einmal zurück. Sie blickte mich verständnislos an, verstand dann aber.
„Ich soll ihnen ausrichten, dass der Rest ihrer Bezahlung unterwegs ist.“
Geht doch. Ich nickte zufrieden und schob ihr den Umschlag rüber, den sie, ohne seinen Inhalt zu überprüfen, in Ihrer Handtasche verstaute. Erst danach erwiderte sie mein Nicken zögerlich, stand auf, murmelte eilig einen Abschiedsgruß und strebte mit hastigen Schritten davon. Während ich auf ihr perfekt geformtes, aber leider immer kleiner werdendes, Hinterteil starrte, zückte ich mein Handcom um mir die Zahlung bestätigen zu lassen.
Nachdem ich mir zufrieden meinen neuen Kontostand angesehen hatte machte ich mich ebenfalls auf, die Kuppel zu verlassen. Schade eigentlich, aber ein längerer Aufenthalt hier war einfach nicht zu bezahlen.
Ich schlenderte zu den am Rande der Kuppel gelegenen Aufzügen (richtige Aufzüge, mit Kabinen. Nicht die einfachen Antigravschächte, die die Ebenen der restlichen Stadt miteinander verbinden) und fuhr zum unterirdischen Teil des Außenbezirkes hinunter. Ich versuchte gar nicht erst, mich unterwegs noch einmal nach der Frau umzusehen. Diskretion war eine der wenigen Sicherheiten, auf die sich meine Klienten verlassen konnten.
Als ich nach kurzer Fahrt aus dem Aufzug ausstieg stand ich auch schon direkt an der Bahnstation dieses Bezirkes. Sowohl Station als auch Aufzüge waren ähnlich gut gesichert wie der Raumhafen der Stadt. Bewaffnete Moonsecs standen an den Aufzügen und Treppen und versuchten, mit ihren Blicken die Leute zu vertreiben, die ihrer Ansicht nach nichts in der über ihnen liegenden Kuppel zu suchen hatten – Leute wie mich.
In diesem Augenblick hatte mich einer der gelangweilten Moonsecs auch gleich als potenziellen Gefahrenherd ausgemacht und starrte mich feindselig an, während er eine Hand lässig auf Elektroschlagstock an seiner Hüfte legte. Der Idiot hatte wohl nicht bemerkt, dass ich die Kuppel gerade erst verlassen hatte. Obwohl ich eigentlich nichts zu befürchten hatte, beschleunigte ich meine Schritte Richtung Bahn, denn langsam nagte die offene Feindseligkeit an meinen Nerven.
Überraschenderweise war die Bahnstation nicht besonders voll, obwohl sie die einzige Verbindung zum Rest der Stadt darstellt. Andererseits gibt es hier im Außenbezirk C bis auf die Kuppel, ein paar sehr exklusiven Wohnungen und jede Menge nicht weniger exklusiven Bürokomplexen nichts, was einen Besuch des durchschnittlichen Mondbewohners wert wäre. Da ich für den Rest des Tages nichts mehr vor hatte und meiner versnobten Umgebung zusehends überdrüssig wurde, stieg ich, von den aufmerksamen Augen einer weiteren Moonsecstreife verfolgt, in die nächste Bahn Richtung Stadt.