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Blitz, Donner und Regen
#1
Beim Planetaren Wetterdienst von Terra gab es ein Schichtsystem. Rund um die Uhr war die Überwachungsstation besetzt. Ein Netz aus Wettersatelliten umkreiste den Planeten. Auf der Oberfläche gab es ein Netz aus Bodenstationen. Der Wetterdienst verfügte über ein Frühwarnsystem, um das die Flotte die Behörde beneidete.
Dabei, so Kayja Argument, war ein Frühwarnsystem zur Überwachung des Wetters weitaus billiger und einfache konstruiert als ein vergleichbares System für die weitläufige Grenze der Vereinten Terra-Gvan Union.
Kayja arbeitete aufgrund des Rotationsprinzips wieder Mal in der Nachtschicht. Sie begann ab Null Uhr Dreißig und endete laut Dienstplan um Neun Uhr. Die Ersten aus der Frühschicht traten ihren Dienst um Acht Uhr an. Alle anderen aus der Schicht kamen um Neun Uhr Dreißig. Die Abendschicht kam um Sechzehn Uhr, bzw. Siebzehn Uhr Dreißig.
Gegen die Nachtschicht hatte Kayja nichts. Die Arbeit lief ruhiger ab. Man konnte einige Sachen erledigen, die während der Frühschicht auf der Strecke blieben. Zurzeit arbeiteten Vier weitere Personen in der Überwachungsstation.
Die Mischlingsfrau nahm einen Schluck ihres Kaffees. Sie brauchte ihn nicht um wach zubleiben, sondern weil es ein Ritual von ihr war. Bei jedem Schichtbeginn trank sie einen Kaffee.
„Jerome. Wie geht’s den Zwillingen?“, fragte Kayja ihren menschlichen Kollegen.
Jerome war Vierundzwanzig, seit gut Zehn Monaten beim Wetterdienst und bereits Vater von Zwillingen. Sie waren vor einer Woche zur Welt gekommen. Bevor die Geburt soweit war, konnte er einfach nicht stillsitzen. Er war total nervös, checkte minütlich seinen Pager, sein ComPhone und seine Mailbox. Außerdem checkte Jerome seine Benachrichtigungsdienste nach jedem Check.
Als dann der Anruf kam, drohte Jerome vollends Zusammenzubrechen. Er schaffte es dennoch rechtzeitig ins Krankenhaus um bei der Geburt dabei zu sein. Zwillinge hatten weder seine Frau noch er erwartet. Da sie es von vornherein abgelehnt hatten zu wissen ob es ein Mädchen oder Junge wurde.
Anscheinend hielten die Neugeborenen ihren Vater ganz schön auf Trab, denn man sah ihm den fehlenden Schlaf deutlich an. Gestern war er an seiner Terminalstation eingeschlafen. Keiner der Kollegen störte sich daran. Schließlich war er mit Zwei Mädchen schon gestraft genug.
„Bestens.“, sagte er und gähnte. Danach schüttelte er sich, um den Schlaf zu vertreiben.
„Wenn du willst übernehme ich deine Station und du legst dich in Alberts Büro hin.“, schlug Kayja vor.
„Ich kann Schlafen wenn ich Tod bin.“, zitierte er ein altes menschliches Sprichwort und gähnte erneut.
„Ich übernehme deine Schicht. Du brauchst Ruhe und Schlaf. Andernfalls wirst du uns hier zusammenbrechen. Das gefällt der Berufgenossenschaft mit Sicherheit nicht.“
Sein Widerspruch ging in einem langen Gähnen unter.
Kayja ging zum Getränkespender, bestellte einen gvanischen Tee und sah wie Jerome tief und fest auf der Couch im Büro ihres Chefs schlief. Der Arme Jerome musste reichlich Schlaf nachholen.
Sie kehrte zu ihrer Station zurück, nahm das Pad und las den Roman weiter. Gerade als die beiden Polizisten dabei waren den Hauptverdächtigen in die Mangel zunehmen, ertönte der Unterwetter Frühwarnalarm und lenkte ihre Aufmerksamkeit auf sich.
Kayja legte das Pad beiseite, stellte die Tasse ab, sah sich die Daten auf dem Bildschirm an und gab etwas über das Touchscreenfeld ein. Ein neuer Strom von Daten erschien. Zwei dunkle Wolkenfelder vereinten sich. Ein Wirbel in der Mitte entstand. Das sanfte Grau verfärbte sich augenblicklich ins dunkle Grau. Keine Minute später wurde das dunkle Grau um den Wirbel herum pechschwarz.
Sie gab weitere Anfragen ein. Die Unwetterprognose stieg um Zwei Alarmstufen. „He, Klaus. Kannst du mir einen Kurs für diese Unwetterfront berechnen.“
„Kein Problem.“, meinte Klaus Länder.
Auf der Großen Karte von Terra wurde der Sektor herangezoomt. Sie saßen ein Echtzeitbild der Unwetterfront. „Meiner Berechnung nach“, sagte Klaus während sich das Bild leicht veränderte. Es wurde ein wenig herausgezoomt. Dadurch vergrößerte sich das Sichtfeld. „wird sich die Unwetterfront bei momentaner Wetterlage hier entlang bewegen.“ Zur Untermalung erschien eine Orangelinie. Sie verfärbte sich an einer Stelle Rot.
„Zoom den Roten Bereich heran.“, meinte Kayja trocken.
Wie gewünscht wurde der entsprechende Abschnitt vergrößert. Eine Inselgruppe erschien auf dem Bildschirm. Um was für eine Inselgruppe es sich handelte war allen klar. Wer es vergessen hatte wurde durch den eingeblendeten Namen der Hauptinsel erinnert; Greenberg Island.
Der Alarm ließ Kayja auf ihren Bildschirm schauen. Soeben wurde die Unwetterfront vom Computer zur C-Kategorie erklärt. Denn Richtlinien vom Wetterdienst folgend hatte das eine Unwetterwarnung für die betreffende Region zur Folge.
Der Schichtleiter musste sie bestätigen und weiterleiten. Ihr Schichtleiter war gerade auf einer Tagung auf JoJo Home.
***
Greenberg Island, benannt nach Jason Greenberg, war die Hauptinsel der Inselgruppe Greenberg Keys. Die Inselgruppe lag vor der Ostküste des Ersten Kontinents von Terra. Auf ihr hatten sich die Streitkräfte angesiedelt. Alle wichtigen Gebäude, Institutionen und Behörden des Militärs waren auf den Greenberg Keys vertreten. In der Hauptstadt von Terra wiederum befanden sich die militärischen Ministerien.An der Westküste vom Kontinent, dem einzigen auf Terra wohlgemerkt, lag eine weitere Inselgruppe. Die Ramirez Inseln, nach einem Marine benannt, befanden sich ebenfalls unter militärischer Verwaltung und dienten als Trainingsgelände der Teilstreitkräfte. Dort fand der praktische Teil der Grund-, und Spezialausbildung statt. Während auf Greenberg Island das Ausbildungs-, und Schulungszentrum mit dazugehörigen Campus lag.
Leiter der Militär Schule, in der die Rekruten und Kadetten sowie die angehenden Offiziere aller Teilstreitkräfte unterrichtet wurden, war Dreisterne General Stefan Alexander. Alle Fünfjahre wurde vom Generalstabschef ein neuer oder alter Leiter der Militärschule ernannt. Welcher wiederum von der Präsidentin oder dem Präsidenten bestätigt werden musste.
Leiter der Militärschule konnte jeder aus den Teilstreitkräften werden. Seit knapp Dreizehn Jahren hatte mal wieder jemand vom Marine Corps das sagen. Unter seiner Leitung hatte sich jedoch nichts groß verändert. Die Lehrpläne waren überarbeitet worden, ebenso die Vorschriften zur Simulierung eines Gefechts auf den Ramirez Inseln. Ein neuer Speiseplan wurde erstellt. Die Ausrüstungsbeschaffung verbessert. Alles im allem hatte es keiner gravierenden Veränderungen im Alltag der Militärschule gegeben.
„Sir. Der Wetterdienst hat die Unwetterwarnung B herausgegeben.“, unterrichtete Senior Chief Ma’rques.
Wenn Alexander aus dem Fenster seines Büros sah konnte er keinen Unterschied erkennen. Der Himmel war nahezu finster. Blitz. Donner. Regen. Auf dem Vorplatz konnte man sehen wie sich die stabilen Fahnenmasten im Wind neigten. Die Flaggen der Teilstreitkräfte und der Union flatterten umher. Sie reinzuholen kam gar nicht in Frage.
„Wann geht der letzte Flieger?“, fragte der General gelassen.
Der Betrieb der Wasserfähren zwischen den Inseln und der Unterwasserzüge war vor Stunden eingestellt worden. Die Verbindungen mussten wegen des hohen Wellengangs eingestellt werden. Einzig und allein die Flugfähren und Transporter die zur Evakuierung eingesetzt wurden flogen noch.
Durch die zunehmende Windstärke und der schlechter werdenden Wetterbedingungen war es nur eine Frage der Zeit bis der Flugbetrieb eingestellt wurde. Wer bis dahin Greenberg Island und die anderen Inseln nicht verlassen hatte saß fest und musste das Unwetter aussitzen.
Einer jener Leute saß in einem der beiden Kaminsessel. General Alexander sah die Person an. „Und sie sind sicher, Sir?“, fragte er noch mal nach.
Auf dem Gesicht des Mannes erschien ein lächeln. Obwohl er längst nicht mehr im Corp diente gehörte er für die Angehörigen vom Vereinten Terra-Gvan Marine Corp immer noch dazu.
„Meine Tochter ist im Jonas System. Sobald ich dort eintreffe müsste ich zurück. Da lohnt sich das verlängerte Wochenende nicht.“, meinte Max Boletti.
General Alexander verstand seinen ehemaligen Befehlshaber. Wegen der Feiertage stieg das Verkehrsaufkommen. So das die Wartezeit an dem Wurmlochknoten auf geschätzte Fünf Stunden stieg. Auch die Hauptverkehrsrouten von und nach Terra + Gvan würden voll werden. Zudem gab es nur noch wenige freie Transittickets. Welche sich wiederum nur die gutbetuchten Leute leisten konnten.
„Sie hätten sich bereits Anfang der Woche auf den Weg machen können.“, entgegnete General Alexander.
„Dann hätte ich meine Pflichten vernachlässigt, General. Ich soll für die Rekruten und Kadetten doch ein Beispiel sein!“
Alexander lachte. „Ich glaube das hätten die Rekruten und Kadetten schon verkraftet. Schließlich haben sie das Privileg von einer Legende des Corps unterrichtet zu werden.“
Die beiden Männer lachten. „Mein Angebot steht immer noch.“
„Ich will nicht das Fünfte Rad am Wagen ihres Familienfestes sein, General. Trotzdem Danke für ihr Angebot.“, lehnte Boletti erneut ab.
Major Ma’rques betrat erneut das Büro. „Sir. Das Air Marine Corps stellt seine Flüge ein.“
Die Nachricht überraschte weder den General noch Boletti. Es war nur eine Frage der Zeit gewesen.
„Wann trifft die letzte Fähre ein?“
„In Fünf Minuten.“
„Gut, Ma’rques die nehmen wir. Haben sie gepackt?“
„Ja, Sir.“, antwortete der Gvaner mit einem lächeln.
„Wie viele Rekruten und Kadetten bleiben hier?“, wollte Alexander wissen.
„Vier Rekruten. Drei Kadetten.“
Die meisten Rekruten und Kadetten der Militärschule hatten den Campus nach der letzten Unterrichtsstunde verlassen. Sie wollten so schnell wie möglich zu ihren Familien um mit ihnen die kommenden Feiertage zu verbringen. Woran nichts falsch war. Andere hatten sich zusammengetan und verbrachten auf den Paradies Inseln, auf der anderen Halbkugel von Terra die Feiertage.
„Glauben Sie sie kommen mit dem Nachwuchs klar, Sir?“, fragte Alexander seinen im Ruhestand befindlichen Befehlshaber.
„Ich habe sie überlebt, General, die crjanische Gefangenschaft und da werden die kommenden Tage keine Ausnahme sein.“
Wieder lachten die Männer. Früher waren sie Befehlshaber und Untergebender gewesen. Heute besaßen sie eine Freundschaft wie sie unter Kameraden nicht unüblich war.
***
Geologen hatten herausgefunden das Greenberg Island eigentlich ein Unterwasservulkan gewesen war. Was Jahre später Bohrungen in das Gestein bestätigten. Knapp Hundert Meter unter der heutigen Oberfläche befand sich ein Labyrinth aus Schächten, die durch das Magma entstanden waren. Vor mehr als Zehntausend Jahren sprengte eine gewaltige Eruption die Spitze des Vulkans ab und mehrere Tonnenliter Magma flossen in den Ozean. Zudem platzten unterirdische Magma Adern auf. Dadurch sank der Meeresspiegel. Wodurch das ganze ausgelöst wurde, konnte keiner genau sagen. Das Adernetz um Greenberg Island herum und der Vulkan selbst waren Tod. Die Eruption, so Experten, musste die Zufuhr zum Erdinneren verschlossen haben.Insgesamt gab es Fünf als aktive klassifizierte Vulkane auf Terra. Ein Vulkan lag auf einer unbewohnten Paradies Insel auf der anderen Halbkugel. Vor Zwanzig Jahren brach der Vulkan Saint Paradies zum letzten Mal aus. Das Schauspiel konnte von der Hauptinsel Paradies Central Island beobachtet werden. Die beiden Nebeninsel von Saint Paradies Island, auch Vulkan Paradies genannt, waren für Besucher gesperrt worden.
Die Schächte nutzte man bei der Verbauung der Insel. Sie wurden in die Bunkeranlage integriert. Da der Wetterdienst die näher kommende Unwetterfront inzwischen zur B+ Kategorie erklärt hatte, waren alle verbliebenen Personen aufgefordert worden sich in die Bunkeranlage zurückzuziehen. Jedes Gebäude besaß einen Zugang der U1 Ebene. Von dort aus gelangte man in die weitläufige Bunkeranlage mit ihren unterschiedlichen Sektionen.
„Achtung.“, schrie ein übereifriger Kadett der Mittelstufe, als Max Boletti auf seinem Gehstock humpelnd in den Wohnraum vom Campus Hauptbunker schritt.
Sofort nahmen alle Anwesenden Personen Haltung an. Sie ließen alles stehen und liegen. Boletti trat vor dem Kadett, sah ihn mit festem Blick an. „Sind sie Blind, Kadett?“, erkundigte sich Boletti barsch.
„Nein, Sir.“
„Wollen sie vor ein Militärgericht?“
„Nein, Sir.“, kam es verzögernd von dem Kadett.
„Anscheinend schon. Ich bin Zivilist. Das Strammstehen vor Zivilisten ohne einen Begleiter vom Militär ist verboten und wird mit bis zu Fünf Jahren Haft auf Alcatraz geahndet.“, informierte Boletti den Kadetten mit fester autoritärer Stimme.
Der Kadett schluckte sichtbar. Auf seiner Stirn tauchten Schweißperlen auf.
„Möchten sie nach Alcatraz, Kadett?“
Dem Kadett fehlten die Worte. „…Nein, Sir.“
„Dann lassen sie gefälligst diesen Scheiß. Dazu gehört auch das Sir. Haben das Alle verstanden?“
„Jawohl, Sir.“, antworteten die anwesenden Rekruten und Kadetten.
Boletti humpelte zum Sessel der im Wohnraum des Bunkers stand.
Keiner der Anwesenden wusste so recht was sie jetzt tun sollten. Sie wollten sich keinen Anschiss von einer lebenden Legende abholen.
Da betrat ein Rekrut den Wohnraum. „Hey, Leute. Hab ich was verpasst?“ Er sah die anderen an. Deren Blicke gingen zum sitzenden Boletti.
Olivier Dafoe klatsche dem Kadetten auf den Oberarm. „Entspann dich, Max. Der Brigadier mag es nicht wenn man vor ihm stramm steht oder salutiert.“ Vollkommen ungezwungen ging Dafoe am eingeschüchterten Kadett Max Ibrahim vorbei.
***
Irgendwie wurmte es Boletti schon das er die Feiertage nicht bei seiner Tochter verbringen konnte. Sie verbrachten nicht viel Zeit miteinander. Was unter anderem daran gelegen hatte das Boletti im Marine Corp diente. Da konnte man nicht so einfach Urlaub machen. Einmal im Monat schickten sie sich Holobriefe. Zwar war Boletti jetzt nicht mehr im Corp, dafür war er inzwischen Gastdozent an der Militärschule. Das hatte er General Alexander zu verdanken. Nach dem er das Corp nach mehr als Sechsunddreißig Dienstjahren verlassen hatte war er auf seine Heimatwelt zurückkehrt.Im Queens System lag sein Heimatplanet, Cattle Planet. Sein Vater war Rinderfarmer. Das Queens System war für seine Viehzucht bekannt. Auf allen Drei bewohnten Planeten wurde Viehzucht betrieben. Auf Cattle Planet, Rinderzucht. Sheep Planet, Schafzucht. Pig Planet, Schweinezucht.
Der Traum seines Vaters war es das sein einziger Sohn die Rinderfarm übernahm und fortsetzte. Herbert Boletti’s Traum wurde nie Wirklichkeit. Als sein Vater starb befand sich sein Sohn in Kriegsgefangenschaft.
Natürlich erbte er die Rinderfarm. Für ihn kam es jedoch nicht in Frage das Corp zu verlassen. Also verkaufte er die Zuchtlizenz, einige Hektar des Weidelandes an die Umliegenden Farmer und all die Rinder. Die Angestellten seines Vaters erhielten neue Jobs bei anderen Farmern. Was Max Boletti nicht verkaufte war sein Elternhaus. Dort war er geboren worden und aufgewachsen. Es kam gar nicht in Frage das Haus seiner Eltern zu verkaufen. Bis heute hatte sich daran nichts geändert.
„Sir.“, sprach ihn eine Rekrutin an.
Sie hieß Magdalena Stromberg, war ein Mischling und besaß Potential es im Corp ganz weit zubringen. Ihre schulischen Leistungen waren ebenso gut wie ihre praktischen. Die Beurteilungen aus beiden Schulbereichen waren ebenfalls gut.
„Boletti reicht, Rekrutin Stromberg.“, meinte er und fasste sich ans rechte Bein. Dieser Griff kam ganz automatisch.
„Der Nahrungsspender funktioniert.“, sagte sie und hielt ihm ein geschweißtes Blatt Papier hin. „Das ist die Speisekarte.“
Boletti nahm sie entgegen. Sofort klapperte Rekrutin Stromberg die anderen Personen ab und reichte ihnen die Speisekarte. Als er am dritten Gericht ankam, musste er schmunzeln. Queens Cattle Steak. Wie klein die Galaxie doch war.
***
Nach dem Abendessen humpelte Boletti zu seinem Sessel. Wie unzählige Male am Tag ging seine Hand, als er saß, zu seinem rechten Bein. Wie oft am Tag das Bein schmerzte hatte er längst aufgehört zu zählen.„Sir…Boletti. Darf ich sie was fragen?“, wollte Rekrutin Stromberg wissen und setzte sich auf die Couch. Sie aß nebenbei ihren Nachtisch.
Boletti nickte.
„Ihr rechtes Bein.“
Er verzog sein Gesicht zu einem schmunzeln. „Ein andenken meiner crjanischen Freunde.“
„Ist das geschehen als sie in Gefangenschaft waren und man ihnen den Prozess machte?“, fragte Kadett Romai und setzte sich zu ihnen.
Wieder nickte er.
„Sie wurden gefoltert?“, fragte Kadettin Tara Lynn erschüttert.
„Nein. Um Gefoltert zu werden muss man befragt werden.“
„Wieso haben die Crjaner ihnen das dann angetan?“
„Rache, Kadett Romai.“
Eine kurze Ruhe entstand. Naivität war stets das erste was die Kadetten und Rekruten verloren. Meistens geschah das beim ersten Einsatz im Gefecht. Dort erlebten sie das die Kriegsspiele auf der Militärschule nichts mit dem gemeinsam hatten was sich in der Realität abspielte.
„Gibt es keine Therapie für das was die Crjaner gemacht haben?“, fragte Rekrutin Stromberg nach der Pause.
„Um die Nervenstränge der Muskeln wieder vollständig zu regenerieren gibt es nur eine Therapie. Amputation und genetische Klontherapie.“
Als der Arzt ihm damals sagte das wäre die einzige Möglichkeit sei die Nervensträngen in seinem Bein wieder funktionsfähig zumachen, hatte sich Boletti geweigert sein Bein Amputieren zulassen. Unter Androhung von Gewalt hatte er dem Arzt klar gemacht wohin er sich seinen Vorschlag stecken konnte. Boletti hatte nichts gegen die genetische Klontherapie, schließlich war sein rechter Arm ein Retortenprodukt dieser regenerativen Behandlungs-methode. Ebenso sein linker Daumen, Zeige- und Mittelfinger. Seine linke Kniescheibe und das rechte Schultergelenk.
Sie wurden durch sein genetisches Material geklont und eingesetzt. Nach der anschließenden Physiotherapie war man dann wieder volleinsatzfähig. Je nach Verletzungsgrad konnte man bis zu einem Jahr in der Genetischen Klontherapie verbringen.
„Die Crjaner hatten sie zum Tode verurteilt. Dennoch wurden sie frei gelassen. Wie kam es dazu?“, fragte ihn Stromberg neugierig. Zu diesem Fall gab es nämlich keine offizielle Stellungnahme. Außerdem blieb die Rückkehr des legendären Helden nahezu unbemerkt.
„Der Prozess war doch nur Show!“; entgegnete Rekrut Dafoe.
„Die Crjaner sind nicht dumm.“, sagte Boletti vollkommen ruhig. „Ihnen war von Anfang klar wer ich bin. Sie wussten auch das ich mehr wert bin wenn ich lebe. Das Todesurteil war nur PR. Ich war Teil eines Austauschhandels.“
Die Gefangenschaft hatte er gut in Erinnerung. Als das Todesurteil vollstreckt werden sollte, holte man ihn aus seinem Verließ, brachte ihn in eine Fähre und flog ihn auf ein Raumschiff. Siebenundzwanzig Stunden später schritt er auf einem Damm, auf irgendeinem Planeten in der Neutralen Schutzzone, entlang. Drei Crjaner kamen ihm entgegen. Einer von ihnen war gerade mal Zwanzig.
„Gegen wen?“, fragte Kadett Ibrahim.
Boletti war im Militärkrankenhaus auf Kiew gewesen, als man ihm sagte wer die Drei Crjaner gewesen waren. Für ihn spielte es im Endeffekt keiner Rolle. Er war am Leben.
„Ich wollte und will es nicht wissen.“, sagte Boletti. Hätte er es den Rekruten und Kadetten gesagt, verstieße er damit gegen die Geheimhaltung. Was einem einen Gefängnisaufenthalt auf Alcatraz bescheren konnte. Und Boletti hegte nicht die Absicht dahin zurückzukehren.
„Manche Dinge sollte man besser nicht wissen.“, meinte er und sah jeden kurz aber entschlossen an. Alle verstanden denn Blick.
Etwas schwerfällig erhob sich Boletti aus dem Sessel. „Ich gehe jetzt schlafen.“ Er humpelte aus dem Wohnraum, ging denn Gang entlang, bis er zu den Schlafräumen kam. Keiner der Kadetten und Rekruten hatte sich eins der Offizierszimmer genommen. Die waren weitaus komfortabler und größer als die Zimmer für einfache Soldaten.
Anscheinend hatte sein kleiner Ausbruch bei Kadett Ibrahim den Leuten eine gewisse Furcht vor ihm eingeflösst. Im Grunde war es ihm egal ob sich die Kadetten und Rekruten ein Offizierszimmer nahmen.
Mit einem lächeln reservierte sich Boletti den Schlafraum von einem Ranghohen Offizier.
#2
Am Morgen frühstückten die Rekruten und Kadetten miteinander. Sie waren alle relativ früh auf den Beinen. Der Sturm tobte noch immer über ihnen. Wovon man im Bunker nichts wahrnahm.
Boletti humpelte in den Frühstücksraum, nahm sich Kaffee und Rühreier mit Speck auf Toast. Er aß in aller Ruhe. Zwischen Sechs Uhr und Sieben Uhr trafen im Frühstücksraum in der Militärschule die Rekruten und Kadetten ein. Die letzten Nachzügler kamen um Fünf vor Sieben. Pünktlich um Sieben machte die Küche dicht.
Er erinnerte sich sehr gut an diese Zeit. In den Anfangswochen der Grundausbildung wurde der Drill zur täglichen Routine. Die Feldausbilder sorgten schon dafür.
„Ihr werdet mich hassen.“ – war der Standardspruch eines jeden Feldausbilders.
Nach dem Frühstück gingen die Rekruten und Kadetten verschiedenen Betätigungen nach. Manche verschwanden im Fitness- und Trainingsraum. Andere zogen sich in eine stille Ecke zurück und lernten Theorie. Der Rest nutzte den Holoraum. Keiner verplemperte die Zeit.
Vielleicht weil Boletti anwesend war. Dabei war es ihm egal wie die Leute ihre Zeit verbrachten. Er war nicht ihr Aufpasser. Sie waren Erwachsene mehr oder weniger. In Sechs Wochen war der Tag der Entscheidung. Wer die beiden Prüfungsteile nicht bestand bekam kein Abzeichen. Wiederholen konnte man die Abschlussprüfung nicht. Neunzig Prozent eines Jahrgangs bestand in der Regel die Prüfung.
Boletti erledigte Papierkram, der liegen geblieben war. Danach machte er seine tägliche Trainingsstunde. Nach seinem Ausscheiden aus dem Corp hatte er nach Drei Monaten festgestellt, das er beleibter geworden war. Früher, vor der Gastfreundschaft der Crjaner, war er täglich joggen gegangen. Selbst im Feldeinsatz. Zu Kriegszeiten. Mitten in der Gefechts-zone, nur in einer Feuerpause.
Anfangs hatte er versucht an dem Ritual festzuhalten, doch die Schmerzen danach waren zu stark. Zudem schädigte das tägliche Joggen das Bein. Da er sein Bein nicht amputieren lassen wollte, hörte er damit auf. Also verlegte er sich auf tägliche Trainingsstunden. Bei der er eine erhöhte Belastung des Beines vermied.
So hielt sich seine körperliche Fülle in Grenzen. Für sein Alter wirkte er dadurch seht fit. Was nicht verkehrt sein konnte. Manch einem Hohen Tier würde das Trainingsprogramm in der Drillzeit während der Grundausbildung sichtlich gut tun.
Am Vormittag sah sich Boletti im ComNet die Nachrichten an. Anschließend kam eine Talkshow, bei der es um das neue Modernisierungsprogramm der amtierenden Regierung für die Streitkräfte ging. Die Debatte griff die Pro und Kontras auf.
Wegen der elektromagnetischen Störungen die der Sturm über ihnen verursachte, fiel manchmal die Übertragung aus. Boletti las am Ende der Show, die er regelmäßig sah, ein Buch das vor kurzen verfilmt worden war.
Zum Mittagessen kamen die Rekruten und Kadetten zusammen. Sie unterhielten sich was sie getrieben hatten. Zwar waren sie in ihrem Bewegungsraum eingeschränkt, wussten sich jedoch zu beschäftigen. Gegen Siebzehn Uhr trafen sie nach und nach im Wohnraum ein.
Sie unterhielten sich, verglichen die Computer generierten Prüfungsfragen, spielten eine Partie Stratego gegeneinander oder schauten Sendungen im ComNet.
Inzwischen war das Sturmzentrum über ihnen. Hin und wieder glaubte man eine Erschütterung über den Boden zuspüren. Über ihnen blitzte, donnerte und regnete es. Irgendwann fiel die ComNet Übertragung völlig aus.
Jemand hatte im Kamin Feuer gemacht. Die Stimmung unter den Leuten war entspannt. Einigen merkte man jedoch an das sie lieber bei ihren Familien oder auf Paradies Central Island wären als indem Bunker. Was zu verstehen war.
„Warum sind sie ins Corp gegangen?“, fragte Lara Flynn.
Boletti sah ins Kaminfeuer. „Ich wollte am Ende meines Grunddienstes studieren. Da macht es sich auf dem Bewerbungsbogen besser wenn man bei den Streitkräften gedient hat.“, antwortete er.
„Sie wollten sich gar nicht verpflichten!“, sagte Rekrut T’yler erstaunt. Damit sprach der Gvaner das aus was alle dachten. Manch einer schien sogar erschüttert darüber zu sein, das ein Held wie er nicht von Anfang an vor hatte sich zu verpflichten.
„Was wollten sie studieren?“, fragte Magdalena Stromberg neugierig. Sie schien weniger schockiert als die anderen. Vermutlich weil sie sich für den Reservedienst eingetragen hatte.
Boletti musste grinsen. Damals wie heute war sich nicht im klaren darüber gewesen. Ihm schwebten Zwei Dinge vor. „Ökonomie oder städtische Architektur.“
„Warum haben sie sich dann anders entschieden?“ – Rekrutin Lynn.
Die Antwort war einfach. „Der Krieg.“, flüsterte er vor sich hin. „Kameraden von mir sind gestorben. Ich konnte einfach nicht ausscheiden und zur Uni gehen. Außerdem war die politische Situation alles andere als Stabil. So bin ich im Corp geblieben.“ Er fügte noch was hinzu. „Einmal ein Marine, immer ein Marine.“
Die Rekruten lächelten bei dem Leitsatz. Während seiner Grundausbildung hätte er nie gedacht das dieser Satz auch mal auf ihn zutreffen würde. Boletti hatte sich nie vorstellen können Sechsunddreißig Jahre im Vereinten Terra-Gvan Marine Corps zudienen. Bereut hatte er seine Entscheidung nie. Anfänglich hatte er Zweifel gehabt ob er sich richtig entschieden hatte. Inzwischen wusste er die Antwort; Ja.
„Jetzt sind sie ein Held.“, warf Dafoe ein.
Boletti sah ihn an. „Ich wollte nie ein Held sein, Mister Dafoe.“, entgegnete er eine Spur zu scharf. Diese Heldenverehrung hatte ihm nie gepasst. Er sah sich nie als Held.
„Bei allem Respekt, Sir. Das sind sie aber. Sie sind der am höchsten dekorierte Marine aller Zeiten.“, erwiderte Stromberg.
„Was macht mich zu einem Helden und die anderen nicht?“, wollte Boletti wissen. Er sah einen nach dem anderen an.
„Ihre Taten.“, antwortete Romai.
„Hätten sie damals nicht die Hauptenergie der Pasadena wiederhergestellt, wäre die 3. Flotte überrannt und Außenposten Delta E vernichtet worden.“, fügte Kadett Ibrahim hinzu.
„Ich habe nur das getan was jeder in meiner Situation getan hätte.“, widersprach Boletti.
„Bei allem Respekt. Sie sind in den verseuchten Hauptmaschinenraum, haben die Hauptenergie wiederhergestellt und haben Tausenden das Leben gerettet. Sie hätten dabei sterben können.“ – Romai.
„Die Schlacht um Travis Point.“, warf Stromberg zur Untermauerung ein. Nickend erhielt ihr Einwand Zuspruch. „Hätten sie den Osulanern damals nicht standgehalten, wären sie über die Nebanier hergefallen wie auf Zylon.“
Das Massaker von Zylon. Die Osulaner hatten die nebanische Zivilbevölkerung der kleinen Kolonie massakriert. Die nebanische Garde auf Zylon, war den hochgerüsteten Osulanern nicht gewachsen. Als die Verstärkung der Union und Nebaner eintraf, hatten die Osulaner Zylon bereits verlassen.
„Außerdem glitt die Schlacht um Travis Point als Wendepunkt indem Vier Völker Krieg.“, gab T’yler zu bedenken.
Zum Glück hatte Boletti damals nicht gesehen was auf Zylon geschehen war. Alleine die Berichte reichten aus um einen Albträume zu bescheren.
„Glauben sie ich habe die Osulaner alleine zurückgeschlagen. Sie mit Blitzen aus meinem Arsch besiegt! Jeder der in einem Schützgraben gewesen ist, ist ein Held.“
Zu viele Marines mit denen er gekämpft und später befehligt hatte waren gestorben. Sie alle waren Helden. Wurden sie verehrt? Nein. Diese Leute waren nur Namen in der Ruhmeshalle der Streitkräfte. Einige von ihnen waren Ausgezeichnet worden. Was brachte ihnen der Orden! Sie waren schließlich Tod.
„Sie sollten eins bedenken. Ihre momentanen Leistungen werden mit erhalt der Abzeichen keinerlei Bedeutung mehr haben. Egal wie gut oder schlecht ihre Beurteilungen und Ergebnisse sind. Einzig und allein der Moment im Schützgraben oder in einem Raumgefecht zeigt aus welchem Holz sie geschnitzt sind. Keiner kann sagen wie man sich unter realen Gefechtsbedingungen verhält.“, erklärte Boletti ihnen. Zumindest versuchte er es.
„Wenn der Feind kommt werde ich kämpfen und nicht davon laufen.“, erklärte Dafoe selbstbewusst.
Boletti lachte bedrückend. „Das haben schon viele gesagt.“, murmelte er vor sich hin. „Am Ende lagen sie im Graben, zusammengerollt wie ein Baby und schrieen nach ihrer Mutter.“ Was nur menschlich war. Auch wenn unter diesen Leuten auch Gvaner oder andere Volksrassen waren. In dieser Hinsicht unterschieden sich die Völker kein Stück. „Darunter gehörten auch einige der besten Absolventen.“ Er sah wieder jeden an. Sein Blick blieb auf Dafoe haften.
„Ich werde nicht zu denen gehören.“, versicherte Dafoe selbstbewusst.
Daran mangelte es ihm nicht. Ein zu großes Selbstbewusstsein brachte einen manchmal schneller zu Fall, als man dachte. Boletti hatte genügend Beispiele in seiner Karriere gesehen und erlebt. Erst ein Gefecht zeigt einem aus welchem Holz man geschnitzt war.
Boletti erhob sich schwerfällig, stützte sich auf seinen Gehstock, sah die Rekruten und Kadetten an. „Versuchen sie kein Held zu werden.“ Das richtete er an Dafoe. „Niemand wird zum Helden geboren. Andere machen Helden. Tun sie ihre Pflicht. Nehmen sie das was man ihnen hier beigebracht hat als Grundlage. Letztenendes entscheiden sie nicht wie ein Gefecht ausgeht, sondern diejenigen mit denen sie Seite an Seite kämpfen.“ Er blickte noch mal alle an. Dann humpelte er aus dem Wohnraum.
***
Magdalena Stromberg konnte nicht schlafen. Der Grund war nicht der Sturm. Im Gegenteil, bei Unwetter schlief sie in der Regel besser als in einer ruhigen Nacht. Sie machte sich so ihre Gedanken.Ingewisserweise hatte Boletti recht und unrecht zugleich. Sicher konnte keine einzige Person eine heranstürmende Division aufhalten, zurückschlagen oder besiegen. Es gab jedoch Personen die dazu in der Lage waren ihre Mitmenschen mitzureißen. Ihnen ein Vorbild sein. Alleine die Anwesenheit trieb einen zu Höchstleistungen. So jemand war Max Boletti. Auch wenn er es nicht einsehen wollte.
Ein ehemaliger Soldat, der mal unter ihm diente, hatte mal gesagt das die Anwesenheit von Max Boletti und der 91. Division die verfeindeten Clans auf Untaj Home dazu veranlasste an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Der Ruf der 91. Division, welche Colonel Boletti damals befehligte, und sein eigener Ruf eilten ihnen voraus.
An der Militärschule waren die Plätze in seinen Vorlesungen heiß begehrt. Was sicherlich mit seinem Heldenstatus zutun hatte, das konnte Stromberg nicht ausschließen. Wenn man die Chance bekam an einer Vorlesung teilzunehmen, die von jemanden wie ihm geleitet wurde, musste man sie ergreifen.
Sie nahm einen Schluck von ihrem laufwarmen Kakao. Er hatte recht was die Sache mit dem Heldenstatus anging. Niemand wurde als Held geboren. Anders als Boletti glaubte sie jedoch das der Charakter einer Person darüber entschied ob man ein Held war oder nicht.
Ihrer Meinung nach waren jene Leute die Morgens aufstehen zur Arbeit gingen, eine Familie ernährten, oder für das eigene Überleben sorgten genauso Helden wie Polizisten, Feuerwehrleute, Ärzte, Sanitäter und viele andere Berufsgruppen. Jene Leute verdienten die Heldenverehrung sogar mehr als Soldaten. Ob nun Flottenangehörige oder Marines.
Wie lautete ein Zitat: Jeder Krieg hat seine Helden. Max Boletti war so jemand. Seine Taten im Krieg hatten ihn zu einem Helden gemacht, wie es ihn nirgendwo sonst gab.
„Können sie nicht schlafen, Stromberg?“, fragte Max Boletti und humpelte zum Getränkespender.
Da ein Bunker keine Fenster, Balkone, Terrassen oder Aussichtsplattformen besaß, hatte sie auf dem Bildschirm eine Art Bildschirmschoner aktiviert. Es zeigte einen Strand und das Meer.
„Nein. Und sie, Sir?“
Boletti verlagerte sein Gewicht auf das gesunde Bein. „Mich haben meine Dämonen heimgesucht.“, gestand er ihr.
Im Kamin brannte das Feuer. Die Wandleuchte beim Sitzbereich war auf Dämmern geschaltet. Der restliche Wohnraum lag im dunkeln. Dazu kam das Licht vom Bildschirm.
„Darf ich sie was fragen?“, wollte Stromberg wissen.
Boletti nickte.
„Haben sie Familie?“
„Eine Tochter. Sie lebt im Jonas System und arbeitete für das galaktische Flüchtlingswerk.“, antwortete er ruhig. „Ich habe ihre Mutter während einer Evakuierung kennen gelernt. Sie war eine so stolze Frau.“ Er konnte sich noch gut an den Augenblick erinnern, wo er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Ihre Augen hatten ihn fasziniert. Einen solchen Stolz hatte er fortan nur noch sehr selten gesehen. „Ihre Mutter war eine Jal’Jalnerin. Wir evakuierten damals das Flüchtlingsauffanglager. Auf Emir Prime kamen wir uns näher. Fünf Tage später wurden wir verlegt. Das war das letzte Mal das ich sie gesehen habe.“, erzählte er ohne scheu.
Eigentlich sprach selten über sein Privatleben oder Dinge aus seiner Vergangenheit. Machte ihn der Bunkeraufenthalt weich! Oder das unterrichten!
„Ein Jahr später erfuhr ich, dass ich Vater einer Tochter bin. Ihre Mutter starb kurz nach der Geburt. Ich habe die Vaterschaft angenommen, dafür gesorgt das sie in eine Pflegefamilie kam und mich bemüht ein Vater zu sein.“ Das Verhältnis zu seiner Tochter könnte auf alle Fälle besser sein. Dessen war er sich bewusst. Damals herrschten jedoch andere Geografische und Politische Verhältnisse.
Diese Offenheit überraschte Stromberg. Kaum jemand wusste etwas über die persönliche Vergangenheit von Boletti. In seinem Unterricht erzählte meist von seinen Erlebnissen im Feld. Jedoch nie privates.
„Wollten sie je eine Familie?“
„Vor meiner Zeit als Marine, ja. Währenddessen, nein. Und jetzt ist es zu spät.“, gestand er. So kitschig sich das auch anhörte, das Corp war seine Familie. Hier hatte er Freunde gefunden mit denen Seite an Seite gekämpft hatte. So was schweißte einen mehr zusammen als alles andere.
Das piepen einer eingehenden Com Nachricht ertönte. Sie ging zum Terminal, öffnete die Textnachricht, wegen dem Sturm waren keine visuellen Mitteilungen möglich. Danach kehrte sie auf ihren alten Platz zurück.
„Das Sturmzentrum ist über uns hinweg gezogen.“, teilte sie ihm mit.
Kommentarlos nahm er es hin.
„Haben sie es je bereut ins Corp eingetreten zu sein?“
Boletti sah sie an. „Nein. Man trifft Entscheidungen und muss mit ihnen leben, ob man nun will oder nicht.“
Nach dem Boletti gegangen war, traf sie eine Entscheidung.
#3
Sechs Wochen später fand auf dem Campusgelände die alljährliche Vereidigungszeremonie der frisch gebackenen Flottencrew und Marines statt. Die Absolventen in ihrer schneeweißen Paradeuniform standen unterteilt in ihren jeweiligen Teilstreitkräften in Reih und Glied. Am Kragen, an den Streifen am Ärmel und Hosenbeinen sah man die Farben der Teilstreitkräfte.
Grauschwarz war die Flotte. Grünschwarz war das Marine Corp. Braunschwarz das Air Marine Corp.
An der rechten Brust, direkt unter dem Namen befanden sich die jeweiligen Abzeichen der Teilstreitkräfte. Auf den Tribünen saßen Freunde, Verwandte und Familienangehörige der Absolventen. Seitlich versetzt gab es eine kleine Bühne, auf der die Ausbilder, Lehrer und Leiter der Militärschule saßen. Am Pult stand Dreisterne General Stefan Alexander. Er beglückwünschte die Absolventen und hielt eine Rede.
Zum Abschluss seiner Rede, flog eine Staffel des Air Marine Corps über sie hinweg. Danach entließ er die jungen Frauen und Männer.
Die ehemaligen Kadetten und Rekruten fielen sich vor Glück in die Arme, lachten und weinten. Man umarmte praktisch jeden. Die Zuschauer strömten von der Tribune herunter. Der Ablauf einer Vereidigungszeremonie hatte sich in all den Jahren wenig verändert. Am Abend gab es eine Abschlussfeier. Wo ausgelassen gefeiert wurde. Es gab eine Liveband. Ein Buffet. Eine Bar. Während der Feier versammelten sich die Sieben ehemaligen Kadetten und Rekruten die das Unwetter im Bunker verbracht hatten.
Am Vormittag war der Sturm über Greenberg Island hinweg gezogen. Er hatte einige Schäden angerichtet. Jedoch nichts schwerwiegendes. Die Aufräumarbeiten dauerten einen Tag. Nach den Feiertagen kehrte der Alltag in die Militärschule zurück.
Schweigend sahen sich die Sieben an. Allen war klar, das sie möglicherweise niemals wieder so zusammen kommen würden. Darum erhoben sie ihre Gläser und stießen gemeinsam an. In den kommenden Tagen würden die Absolventen erwahren wohin sie geschickt werden. Nur der Jahrgangsbeste durfte sich aussuchen wo stationiert werden wollte.
Stromberg war die Jahrgangsbeste. Sie hatte sich entschieden ihren Grunddienst nicht in der Reserve abzuleisten, sondern bei der Schnellen Eingreifgruppe der galaktischen Streitkräfte. Was nach ihrem Grunddienst geschah konnte keiner sagen. Darum kümmerte sie sich erst wenn es soweit war. Bis dahin würde Sie das tun, was sie tun musste. Die Union vor Gefahren von Innen und Außen zu verteidigen. Notfalls sogar mit ihrem Leben.
Nach dem Heldenruhm strebte keiner von ihnen. Wie Boletti richtig gesagt hatte, Helden werden nicht geboren sondern von anderen gemacht. Man sollte zudem nie ins Corp oder die Flotte eintreten um ein Held zu werden. Darum ging es keinem der Sieben. Sie würden ihren Eid erfüllen. Auch wenn das ihren Tod bedeutete.
Ende
03.04.2007
© by Alexander Döbber