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    [Fantasy-Abenteuer] Der Löwenmann

    In meiner Freizeit betätige ich mich häufig als eine Art Hobby-Autor. Hab schon einige mehr oder weniger Kurzgeschichten (von rund 100 bis 200 Seiten) geschrieben. Meine neueste Geschichte, "Der Löwenmann", ist nun fast fertig. Würde mich sehr über eure Meinung freuen.

    Es geht um einen Mann, welcher fünf Jahre lang bei einem Löwenrudel in der Massai-Mara gelebt hat und nun in seine Heimat, England, zurückkehrt. Die Geschichte spielt auf zwei Ebenen. Zum einen (als Erzählung in der Ich-Form) John Maddox' Erlebnisse in Afrika und wie es ihn dorthin verschlug, zum anderen (aus der Sicht des Erzählers) was danach passierte und wie er sich wieder in die Zivilisation eingliederte.

    Eigentlich ist es eine Mischung aus Fantasy, Drama, Liebesgeschichte und einem klassischen Abenteuerroman.

    Hier der Prolog:




    Denkst du ich hatte jemals vor ein Löwe zu werden? Ich war stolz und zufrieden mit meinem bisherigen Leben. Doch solch Streiche kann einem das Schicksal spielen. Mein Name ist John Maddox, doch die Massai nannten mich „Manui bundugar“ – der Löwenmann. Und das ist meine Geschichte.

    Der Löwenmann

    PROLOG


    Die Sonne verschwand hinter der lang gestreckten Savanne und tauchte den Berg Bundu in ein atemberaubendes Rot.
    Die dort oben lebenden Massai hatten soeben ihre Rinder zusammen getrieben und machten sich für die Nachtruhe und ein gemütliches Zusammensitzen bereit. Die Frauen molken die Kühe, die Alten schürten das Feuer und die Krieger kamen von ihrer Erkundungstour zurück.
    „Was gibt es Neues, Hassan?“, fragte der Älteste. „Habt ihr die Spur gefunden?“
    „Leider nicht“, erwiderte Hassan. „Es sieht ganz so aus als wäre der Löwenmann weiter gezogen.“
    „Das ist gut. Dann sind unsere Rinder in Zukunft sicher vor ihm.“
    „Aber er wird zurückkommen.“
    „Das glaube ich nicht“, mischte sich ein anderer Krieger ein und warf einen Löwenkadaver zur Erde.
    „Sinkar“, stammelte der Älteste. „Der Fürst der Löwen ist tot. Wenn das kein schlechtes Omen ist.“
    „Sinkar hat in den letzten Jahren dreiundfünfzig unserer Rinder erlegt. Fast so viele wie der Löwenmann.“
    „Die Bisswunden deuten auf einen Zweikampf mit einem anderen Löwen hin“, meinte der Krieger. „Kein Rudel wird den Weißen mehr bei sich aufnehmen. Er ist ein Geächteter. Ihm wird gar nichts anderes übrig bleiben als entweder zu seinesgleichen zurückzukehren oder zu sterben.“
    „Die Tage des Löwenmann sind vorüber“, jubelte Hassan.
    „Und was, wenn er doch ein Gott gewesen ist?“, warf der Älteste ein. „Wir werden beim Abendessen darüber beraten.“

    Einstweilen war der Großwildjäger Kinsley mit seinen beiden Partnern und drei englische Lords auf einer Safari durch die Savanne.
    Eigentlich hasste Kingsley diese vornehme Gesellschaft, doch die „feinen Herren“, wie er sie nannte, waren für das Vergnügen einen Elefanten oder ähnliches zu schießen bereit ordentlich zu zahlen. Eigentlich verdingte sich Kingsley sein Leben mit dem Verkauf von Fellen, Stoßzähnen und anderen Trophäen, allerdings so ein Geschäft ließ er sich natürlich auch nicht entgehen.
    Zwei Tage waren sie schon in der Wildnis unterwegs und die Reichen wurden allmählich ungeduldig. Die Hitze war kaum zu ertragen und noch immer ist kein Tier das größer als eine Feldratte war vor deren Lauf geraten.
    Sie machten soeben unter einem Schatten spendenden Baum Rast, als plötzlich Cooper, Kingsleys bester Vertrauter etwas zu bemerken schien.
    „Da, seht!“, rief er und deutete mit seiner bereits geöffneten Wasserflasche in eine Richtung.
    „Ein wildes Tier?“, fragte Lord Hamstone begeistert und wollte schon nach seiner Flinte greifen.
    „Sieht aus wie ein Mensch“, meinte Kingsley. „Er ist vielleicht zwei, drei Meilen von uns entfernt und kommt in unsere Richtung“.
    „Ein Wilder?“
    „Das kann ich noch nicht sagen. Niggerstämme treiben sich hier in der Gegend rum. Wir sind nicht weit vom Gebiet der Massai.“
    „Die Massai? Sind sie freundlich?“, fragte Hamstone.
    „Die Massai wollen am liebsten ihre Ruhe“, erklärte Kingsley. „Hauptsächlich nomadische Bauern die dann und wann in die Dörfer zu kommen um dort zu handeln.“
    „Das ist kein Schwarzer“, sagte Cooper. „Sieht eher nach einem Weißen aus … und er scheint verletzt zu sein.“
    „Was macht ein Weißer alleine mitten in der Savanne?“, wollte Kingsley wissen.
    „Auf jeden Fall schau ich mir das mal genauer an“, meinte Cooper, schulterte Rucksack und Gewehr und erhob sich.
    „Nein, machen wir erst noch Pause. Ich hab schon Blasen auf den Füßen und das Gras hier ist auch verdorrt und stachelig“, jammerte Lord Stanton.
    Am liebsten hätte Kingsley dem Mann sofort eine Ohrfeige gegeben, doch dann fing er sich wieder (immerhin sind solche Leute wie Stanton sein tägliches Brot) und sagte: „Hevlock, bleib bei den drein. Cooper und ich sehen uns das mal genauer an.“
    „Geht in Ordnung“, sagte Hevlock, obwohl auch er nicht sonderlich begeistert darüber schien bei den ständig nörgelnden englischen Adeligen verweilen zu müssen, während sich Cooper und Kingsley in ein neues Abenteuer stürzten.

    Die beiden bogen nordwärts ab und verließen die Schatten spendenden Riesenbäume.
    Eine kleine Steigung machte der Boden. Zwar waren Kingsleys Kräfte durch die Anstrengungen der letzten Tage gezerrt, doch seine Neugierde war stärker als die Müdigkeit.
    „Herrlich diese Ruhe ohne das reiche Pack“, meinte Cooper. Der Schweiß stand ihm auf der Stirn.
    „Gewöhn dich nur nicht daran. Noch drei weitere Tage müssen wir uns ihnen widmen.“
    „Ich finde die Engländer sollen dort bleiben wo sie hingehören, in England. Sie sind nicht geschaffen für den schwarzen Kontinent.“
    „Und doch brauchen wir sie. Nur noch drei Tage, das schaffen wir.“
    „Wer glaubst du ist eigentlich dieser Mann, dem wir hinterher jagen?“
    „Ich nehme mal stark an so einer wie unsere drei Freunde. Vielleicht der letzte Überlebende einer Expedition.“
    „Oder es gibt noch andere Verletzte.“
    „Um das herauszufinden sind wir hier.
    Doch still jetzt. In dieser Gegend treiben sich wilde Löwen und anderes Getier umher. Wir müssen auf der Hut sein und dürfen nicht zu viel Aufmerksamkeit auf uns lenken.“
    Die beiden kamen nur langsam voran. Nur wenige Bäume standen auf deren Weg, der Rest verdorrtes Grasland.
    Nun konnten sie schon einen genaueren Blick auf den Fremden werfen. Er war zwar ein Weißer aber braungebrannt, muskulös, im Alter um die dreißig. Auch er schien die beiden bemerkt zu haben und humpelte auf sie zu. Gekleidet war er einzig mit einer zerfetzten Hose und einem Hemd wo ein Ärmel fehlte. Das weiße Gewand war überall blutbesudelt.
    Irgendwann jedoch schienen ihm die Hitze und die Anstrengung zu viel zu werden und er fiel zu Boden. Regungslos blieb er dort liegen.
    Endlich kamen Kingsley und Cooper bei ihm an. Sofort fühlte Cooper seinen Puls. „Sehr schwach“, meinte er. „Außerdem scheint der Ärmste an einem starken Flüssigkeitsmangel zu leiden. Gibt mir mal deine Flasche.“
    Kingsley reichte sie ihm, worauf Cooper die Lippen des Fremden mit dem letzten Wasser befeuchtete. Dann riss er dessen Gewand weiter auf um die Wunden zu begutachten. Er hatte zwei starke Kratzwunden am linken Arm und Oberschenkel sowie einige ältere Narben. Wie es aussah hatte sich der Fremde schon notdürftig selbst verarztet und die Verletzungen abgebunden.
    „Wie ich es mir gedacht habe“, sagte Kingsley. „Löwenkrallen.“
    „Hallo!“, rief Cooper und klopfte dem Verwundeten auf die Wange. „Können Sie mich verstehen? Wie ist das passiert? Gibt es noch andere Verletzte?“
    Keine Reaktion, nur das Rauschen des Windes war zu hören.
    „Nein, nein es gibt keine Anderen“, durchbrauch der Fremde plötzlich die Mauer des Schweigens.
    „Gott sei dank“, rief Kingsley.
    „Der Mann braucht so schnell wie möglich einen Arzt“, sagte Cooper. „Aber ich denke er wird durchkommen.“
    „Sie haben wirklich Glück, dass wir auf sie gestoßen sind“, meinte Kingsley. „Wie heißen Sie überhaupt?“
    „John, John Maddox“, stammelte der Verwundete.
    „Sie haben einen unglaublichen Überlebenswillen und Kampfgeist, John Maddox. Wie lange sind Sie schon alleine hier draußen in der Prärie?“
    Der Fremde gab ein leises Seufzen von sich. Sein Blick war ins Leere gerichtet. Seine Gedanken schienen eine Ewigkeit entfernt zu sein.
    „Fünf“, sagte er schließlich. „Fünf lange Jahre.“

    #2
    Wie soll man sein bisheriges Leben wieder aufnehmen, wenn man sich zu weit davon entfernt hat? Wie soll man in eine Existenz zurückfinden, die nicht mehr die seine ist? Ich bin kein Mensch, ich bin kein Tier – also was bin ich?

    1. KAPITEL


    Der Mann der mit den Löwen gelebt hat kehrt zurück!
    Das war DAS Stadtgespräch in London. Jede Zeitung riss sich nur so um die Story.
    Nach über sieben Jahren würde John Maddox in seine Heimat zurückkehren.
    Schon als das Schiff in den Hafen eingelaufen war, war dieser von Hunderten von Schaulustigen überflutet und nun in London war es nicht anders.
    „Wo werden Sie wohnen?“
    „Wie war es in der Wildnis?“
    „Werden Sie ihre Geschichte veröffentlichen?“
    Im Hintergrund wurde jedoch auch getuschelt ob der Mann wohl gefährlich wäre, er es mit Löwen getrieben habe und ob man ihn nicht besser einsperren sollte.
    Maddox selbst schien sich ebenfalls alles andere als wohl bei der Sache zu fühlen, sein Blick glitt ängstlich und nervös durch die Menge, als wolle er sich am liebsten irgendwo in ein stilles Eck verkriechen. Berührungen mit anderen versuchte er so gut es ging zu vermeiden.
    „Bitte lassen Sie uns durch, ich bitte Sie“, sagte ein Mann im schwarz-blauen Frack, weißem Bart und einem Zylinder am Kopf. Er schien Maddox’ Reisebegleiter zu sein.
    Er bahnte Maddox den Weg frei durch die Menge zu dessen Absteige, welche wider erwarten ein einfaches Gasthaus Londons war.
    Erleichtert atmete dieser auf, als die Tür hinter ihm ins Schloss fiel.
    „Wie konnte sich die Nachricht über mich und meine Ankunft nur so schnell verbreiten?“, fragte Maddox.
    „Nun Ihr kennt doch die Menschen. Sie und Ihre Familie gehörten zur vornehmsten Gesellschaft Londons. Da lässt sich so etwas nicht leicht verheimlichen.“
    „Die Journalisten sind wie Aasgeier.“
    „Das mag schon stimmen, aber diese werden Ihnen wohl kaum erspart bleiben, zumindest nicht bis zum nächsten Skandal. Ich meine immer noch, dass das Beste für Sie ein Exklusivinterview in der Times wäre um die Gerüchte zu minimieren. Auch sollten Sie sich öfters in der Gesellschaft blicken lassen.“
    „Aber …“, sagte Maddox, während sie die Wirtin zu ihrem Zimmer im Obergeschoss führte. Die Treppe knarrte unter ihren Schritten und es lag ein modriger Gestank in der Luft.
    „Sie haben schwer verletzt die halbe Savanne durchquert, da sollte wohl so etwas Banales wie ein Interview ja kein Problem für Sie darstellen.“
    Da blieb plötzlich die stämmige Frau stehen und öffnete mit einem Quietschen die Tür. Das Zimmer schien weder sonderlich groß noch hygienisch zu sein. In der Mitte war ein kleiner aus Eichenholz geschnitzter Tisch, rechts und links zwei Betten mit jeweils einem Nachtkästchen und schließlich noch ein Kasten.
    „Also ich bin immer noch der Meinung, dass wir uns ein vornehmes Zimmer hätten nehmen sollen“, meinte der Graubärtige, worauf ihm die Wirtin einen wütenden Blick zuwarf. „… ohne Sie natürlich beleidigen zu wollen“, setzte dieser schnell nach.
    „Wenn Sie noch etwas benötigen rufen Sie nur“, murrte die Frau und verschwand.
    Maddox öffnete die rot/weiß-karierten Vorhänge. Dahinter zeigte sich London von seiner schönsten Seite. Die morgendliche Sonne spiegelte sich in der nahe gelegenen Themse und färbte sie smaragdfarben. Rechts und links davon erstreckte sich ein riesiges Häusermeer. Die Menschenmenge unten war deutlich weniger geworden.
    „Ich weiß“, sagte der Bärtige. „Merkwürdig wieder hier zu sein.“
    „Ja“, sagte Maddox nachdenklich. „Es kommt mir so vor als wäre ich erst gestern hier gewesen und doch scheint es schon eine Ewigkeit entfernt.
    Wie soll ich nur jemals wieder in mein altes Leben zurückfinden, Bernhard? Ich bin so lange davor geflohen.“
    „Das verlangt auch niemand von Ihnen. Sie haben alle Zeit der Welt. Lord Hamstone wird in zwei Tagen von Dover zurück sein, wenn Sie bis dahin nicht noch nicht bereit sind …“
    „Dein Herr hat mich als seinen Gast eingeladen. Es wäre unhöflich abzulehnen nach allem was er für mich getan hat.“
    „Aber warum sind Sie dann nicht gleich in sein Haus gezogen. Er hat seiner Frau doch telegraphiert …“
    „Das hatten wir doch schon mindestens tausend mal. Aus dem selben Grund warum ich mit deinem Herrn nicht noch zu seinen Geschäftspartnern mitwollte oder in eine vornehmere Absteige als diese hier. Ich hatte in den letzten sieben Jahren kaum Kontakt zu anderen Menschen, geschweige denn mit den Reichen Englands. Ich will es erstmals ruhig angehen. Ich will …“.
    Maddox Stimme erhob und seine Augen verfinsterten sich, eine Mischung aus Zorn und unterdrückter Furcht war darin zu lesen.
    „Ich verstehe“, sagte Bernhart ruhig. „Es tut mir leid, ich wollte Sie nicht damit behelligen. Ich weiß wie hart es für Sie sein muss nach allem was passiert ist.“
    „Nein“, meinte Maddox. Seine Miene entspannte sich. „Mir tut es leid, dass ich wütend geworden bin. Ich bin es nur nicht gewöhnt Angst vor irgendetwas zu haben.“
    „Ich verstehe. Aber manchmal ist es keine Schande Schwäche zu zeigen und sich von anderen helfen zu lassen.“
    „Danke Bernhart, ich komme schon klar. Und wenn dir diese Absteige tatsächlich so zuwider ist, habe ich kein Problem damit, wenn du nach Hause zu deiner Herrin zurückkehrst.“
    „Ja, ich möchte zurück, aber ich habe meinem Herrn versprochen auf Sie aufzupassen. Und an diesem Schwur halte ich, nicht nur aus Treue zu meinem Herrn, sondern auch aus Freundschaft zu Ihnen.“
    Aufmunternd lächelte Bernhart in seinen Bart hinein. Maddox legte ihm die Hand auf die Schulter. „Du bist ein guter Freund“, sagte er und sah wieder zu der ruhig und verschlafen wirkenden Themse.
    „Ich bin zurück“, dachte er. „Irgendwie kommt mir das alles wie ein Traum vor.“

    Das selbe morgendliche Licht das auch die Themse so schön aufblitzen ließ, erhellte soeben das Schlafzimmer von Elizabeth Hamstone, der Tochter des Lords. Sie saß gemeinsam mit ihrem Verlobten Adward Ashcroft auf ihrem Bett.
    Zärtlich nahm Ashcroft ihre Hände in die seinigen. „Mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, dass so … so ein Verrückter in euer Haus einzieht. Ich meine was hat sich dein Vater nur dabei gedacht? Die Zeitungen sind voll von diesem Maddox. Der kann doch nicht ganz richtig im Kopf sein.“
    „Mein Vater weiß schon was er tut, er würde mich und meine Mutter niemals wissentlich einer Gefahr aussetzen“, entgegnete Elizabeth. „Und außerdem gehörte Maddox einst zur vornehmsten Gesellschaft Londons. Sein Vater war ein reicher Aktionär.“
    „Die ganze Afrika-Sache steht mir zum Hals!“, fauchte Ashcroft. „Wie kann sich nur ein normaler Mensch auf so eine Sache einlassen und dann dieses, dieses Tier mitbringen.“
    Elizabeths Augen verfinsterten sich. „Ich, ich erlaube nicht, dass du so über meinen Vater sprichst!“ Ihre Stimme überschlug sich beinahe.
    „Schon gut, schon gut. Es tut mir leid“, versuchte Ashcroft sie zu besänftigen. Zärtlich strich er ihr durchs Haar. „Ich wollte weder dich noch deine Familie beleidigen. Ich habe nur Angst um die Frau die ich liebe.“
    Seine Lippen suchten die ihren. Willig gab Elizabeth ihren Mund seiner forschenden Zunge preis. Seine Hand wanderte tiefer, ihre Schulter hinunter bis zu ihren sich hebend und senkenden Brüsten. Dort verweilte sie, umschloss sie wie einen unendlich kostbaren Schatz, spielte mit ihren empfindsamen Knospen.
    Die zweite Hand wanderte ihre Schenkel hinauf, über ihren flachen Bauch bis hin zu ihrem Geschlecht.
    In dem Moment stieß ihn Elizabeth plötzlich zur Seite. Sofort ließ Ashcroft von ihr ab, starrte sie ganz entgeistert an.
    „Es tut mir leid“, sagte er ruhig.
    „Du weißt doch, dass wir bis zur Hochzeit damit warten wollen“, erwiderte Elizabeth bestimmt.
    „Schon gut.“ Adward sah ihr tief in die Augen. „Es ist nur …“
    Einen Moment lang hielt er inne. „Jeden Augenblick meines Lebens sehne ich mich nach dir. Mein Verlangen nach dir ist unersättlich. Es ist als würde man von mir verlangen zu leben ohne atmen zu dürfen. Ich liebe dich, Elizabeth.“
    Erneut ergriff seine Hand die ihre. Elizabeth riss sich von seinen Blicken los und sah hinab auf den Boden ihres Gemachs. „Ich denke wir sollten jetzt besser nach unten gehen“, schluckte sie.
    „In Ordnung“, sagte Adward ruhig und half ihr hoch. Elizabeth öffnete die Tür und folgte gemeinsam mit Adward dem Korridor. Stumm gingen sie die lange Treppe hinab. Die Wände des gesamten Anwesens der Hamstones waren weiß, ohne Wandteppiche, nur ein paar kleine Gemälde. Selbst das Himmelbett in ihrem Gemach war weiß, nur der Teppich der über der Treppe lag und sich über den ganzen Boden des Anwesens erstreckte wies kunstvolle Farbnuancen auf.
    Schweigsam streifte Elizabeths Blick über die Muster. Sie gestattete Adward zwar wiederum sie an der Hand zu halten, sprach aber kein Wort. #
    Ihre Mutter Sophia saß soeben auf einem Stuhl am großen braunen Tisch des Salons. „Oh, kommt ihr auch einmal nach unten?“, fragte sie und lächelte aufmunternd.
    Elizabeth ließ auf dem riesigen grünen Polsterstuhl gegenüber des Tisches nieder. Adward bezog neben ihr stehend Platz.
    „Warum wart ihr nicht bei dem riesigen Menschenauflauf draußen in den Straßen dabei? Immerhin ist Maddox ja Gast deines Vaters“, löcherte sie Sophia weiter mit Fragen. „Wolltet wohl lieber alleine zu zweit sein. Nun, ich kann das verstehen. Auf jeden Fall bin ich froh, wenn George endlich von Dover zurück ist. Was das wohl wieder für Geschäfte sein mögen, dass er nach seiner zweimonatigen Reise nicht mal nach Hause kommen kann.“
    „Er ist halt sehr beschäftigt“, verteidigte Elizabeth ihren Vater.
    „Ja natürlich. Außerdem ist er ja bald wieder zurück. Trotzdem aber hätte ich mich gefreut ihn wieder zu sehen. Wie immer komme ich erst an zweiter Stelle nach seiner Arbeit, so ist es nun einmal. Ich hoffe bei Ihnen wird einmal Elizabeth an erster Stelle stehen, Lord Ashcroft.“
    „Wovon Sie überzeugt sein können“, meinte dieser. „Und ich hoffe Elizabeth bald zu meiner Frau nehmen zu können.“
    „Nun, dies kann nur noch eine Frage der Zeit sein“, lächelte Sophia. „Wollen Sie noch etwas trinken Lord Ashcroft? Tee vielleicht?“
    „Nein danke“, meinte dieser und ließ Elizabeths Hand los. „Ich muss jetzt wirklich gehen. Auch auf mich warten Geschäfte.“
    „Ihr Männer und eure ewigen Geschäfte.
    Nein, nein, nur ein kleiner Scherz“, winkte Sophia ab. „Ich weiß wie viel Ihnen Elizabeth bedeutet. Und ich würde mich glücklich schätzen Sie als Schwiegersohn zu haben.“
    Adward gab Elizabeth noch einen kurzen Abschiedkuss, „Auf Widersehen“, und ließ sich vom Butler zur Tür begleiten.
    „Er ist ja so ein netter Mann“, sagte Sophia zu ihrer Tochter sobald Ashcroft verschwunden war. „Du kannst dich wirklich glücklich schätzen.“
    „Ich hoffe nur, dass er nicht unser Geld und mein Aussehen der einzige Grund für seine Zuneigung ist“, meinte Elizabeth.
    „Ach was, papperlapp. Ich weiß zwar, dass die Ashcrofts verschuldet sind, Sie sind trotzdem aber hoch angesehen. Adward könnte wenn er wollte jede Frau haben, nicht nur wegen seiner Attraktivität, er ist auch noch ein Kriegsheld im Dienste Ihrer Majestät. Er und sein Regiment haben schon viele Siege davongetragen.“
    „Natürlich, Mutter und ich mag ihn auch wirklich sehr gerne. Vielleicht habe ich ja auch nur Angst vor einer zu festen Bindung. Immerhin bin ich erst neunzehn Jahre alt. Mein ganzen Leben liegt noch vor mir.“
    „Ach Schätzchen“, lächelte Sophia und erhob sich. „Ich kenne diese Gefühle. Du bist im Begriff eine Frau zu werden.“ Sie ging auf ihre Tochter zu und legte ihr zärtlich die Hand auf die Schulter. „Doch spätestens bei der Hochzeit mit deinem Vater waren alle Zweifel von mir gewichen. Und so wird es bei dir auch sein. Glaube mir, Lord Ashcroft wird dir ein wunderbares Leben bieten und unserer Familie alle Ehre machen. Alle Welt wird dich beneiden.
    Und nun komm …“. Sie nahm ihre Tochter in den Arm. „… lass uns von etwas anderem sprechen.
    Was hältst du davon, wenn wir Bernhart und diesen Maddox morgen zum Tee einladen? Immerhin sollte er sein neues Zuhause einmal kennen lernen.“
    „Vorübergehendes Zuhause“, verbesserte sie Elizabeth.
    „Natürlich, vorübergehend bis er etwas anderes gefunden hat. Aber stell dir vor, unsere Familie ist dann DAS Stadtgespräch. Jetzt schon redet alle Welt über, den Löwenmann’.
    Wie er wohl ist? Was er zu erzählen hat?
    George hat in seinem Telegramm nur geschrieben, dass sie ihn verletzt in der Savanne gefunden haben und dass er von Jahre lang mit dem Löwen mitgezogen ist. Eine äußerst aufregende Geschichte.“

    Plötzlich schreckte Maddox aus seinem Schlaf hoch. Sein Atem überschlug sich. In den Händen hielt er das Messer von dem er sich seit über sieben Jahren keinen Augenblick getrennt hatte.
    „Es tut mir leid“, sagte Bernhard. „Ich wollte Sie nicht erschrecken.“
    Kurz nach deren Ankunft in der Absteige hatte sich Maddox aufs Ohr gelegt um die Anstrengungen der Reise und die vielen neuen Eindrücke zu verdauen. John ließ das Messer sinken. „Schon gut“, sagte er. „Ich bin es einfach gewohnt bei jedem noch so leisen Geräusch aufzuschrecken und mich zu verteidigen. In der Wildnis war das oft lebensnotwendig.“
    „Ich verstehe“, sagte Bernhard ruhig. „Aber Sie sind hier in Sicherheit. Niemand wird Ihnen hier etwas tun.“
    „Sicher?“ Maddox lachte. „In London? Oh nein. Es gibt keinen gefährlicheren Ort als die Großstadt. In der Wildnis kannte ich die Gefahren, wusste wer meine Feinde sind. Doch in London? In London warten sie hinterrücks, warten darauf zuzuschlagen und dich zu vernichten. Ich habe gelernt London zu hassen.“ Seine Stimme hatte so etwas Verbittertes als spreche er aus Erfahrung, aus tiefem Schmerz der Vergangenheit.
    „Und doch sind Sie hierher zurückgekehrt. Wieso?“, fragte Bernhard und setzte sich zu ihm. „Was hat man Ihnen angetan, dass Sie der Menschheit den Rücken zugekehrt haben?“
    Maddox’ Blick war ins Leere gerichtet, sein Geist schien sich Jahre in der Vergangenheit zu befinden. „Ich habe der Menschheit nie den Rücken zugekehrt“, sagte er langsam.
    „Denkst du ich hatte jemals vor ein Löwe zu werden. Ich war stolz und zufrieden mit einem bisherigen Leben. Doch solch Streiche kann einem das Schicksal spielen und dies ist meine Geschichte …“

    Kommentar


      #3
      2. KAPITEL


      Ich wurde im April des Jahres 1843 nicht weit von hier geboren. Mein Vater war Robert Maddox, ein reicher Firmeninhaber, und meine Mutter Batricia hatte sogar Kontakte zum Königshaus, leider jedoch ist sie bei meiner Geburt gestorben.
      Mein Vater sorgte gut für mich und bescherte mir eine ruhige und fröhliche Kindheit. Geheiratet hat er allerdings nie wieder und so versuchte er Vater und Mutter zugleich in meinem Leben zu sein, was aber nicht heißen soll, dass ich keinen Kontakt zu Frauen hatte. Im Gegenteil, jede meiner Tanten und Großmütter kümmerte sich rührend um mich.
      So bekam ich auch von einer von ihnen – ich glaube es war Anica, eine Tante mütterlicherseits – zu meinem zwölften Geburtstag ein Buch über Afrika geschenkt. In diesem waren Bilder von Tieren die ich nie zuvor in meinem Leben gesehen hatte, Löwen, Tiger, Elefanten. Von diesem Moment an hatte mich der Schwarze Kontinent in seinen Bann gezogen. Ich träumte nur noch von Afrika, von wilden Geparden, Nashörnern und so weiter. Ich hatte mich verliebt in dieses Land.
      Doch noch hatte ich keine Zeit mich wirklich meiner Passion zu widmen.
      Mein Vater schickte mich auf die St.-Francis-Universität, wo ich lernen sollte ein wahrer Maddox zu werden, sodass ich eines Tages die Firma übernehmen könnte und wie er Aktien kaufen, verkaufen, Geld und Länderein umschachteln, wo es nur ginge.
      LUFT – im Grunde ging es dabei einzig und allein um Luft und Papier.
      Doch was soll’s, dachte ich mir. Ich wollte meinen Vater – der so viel für mich getan hatte – stolz auf mich machen und konzentrierte mich voll auf meine Studien.
      Nachts, vor dem Einschlafen blätterte ich jedoch immer in dem Buch meiner Tante und verpulverte mein ganzes Geld in andere Bücher und Bilder über Afrika. So verging meine Jugend eigentlich recht schnell, ich wurde ein stattlicher junger Mann, der gerne mit seinen Freunden über die Stränge schlug, der Kapitän des Sportteams und auch bei den Frauen war ich nicht gerade unbeliebt.
      Sprich ich führte genau das Leben, das mein Vater immer für mich geplant hatte und ich war glücklich damit. Mein ganzes Leben schien schon jetzt vorherbestimmt zu sein: Inhaber der Maddox-Kompanie zu werden, heiraten, Kinder kriegen und meinen Platz in der vornehmen Gesellschaft Londons einnehmen.
      Und so wäre es wohl auch gekommen, gäbe es nicht diesen schicksalhaften Tag im Juni. Ich war 23 Jahre alt und hatte meinen Abschluss an der Universität als bester meines Jahrganges gemacht.
      Welch Zufall, dass ich gerade an DIESEM Tag der Frau begegnen sollte, die mein Leben für immer veränderte: ANNA CARRINGTON.
      Früh am Morgen wurde ich von unserem Dienstmädchen Susan geweckt. Sie wusch mich, kleidete mich an und suchte meine Studentenkappe heraus.
      Im Salon wartete bereits mein Vater auf mich. Er nahm mich in den Arm, was er seit meinem zehnten Geburtstag nicht mehr getan hatte, und sagte: „Ich bin ja so stolz auf dich. Wenn dich nur deine Mutter heute sehen könnte. Aber ich bin sicher, sie wird da sein und auf uns hinunterschauen.“
      „Natürlich, Vater“, sagte ich um schnell das Thema zu wechseln. Über meine tote Mutter wollte ich nie sprechen, nicht einmal als kleines Kind. Vielleicht weil ich mich für ihren Tod ein klein wenig verantwortlich fühlte.
      Laut meinem Vater war sie wunderschön. Immer wenn er von ihr sprach, merkte ich an seiner Stimme, wie traurig er dabei wurde. Er musste wirklich sie sehr geliebt haben. Ich denke er sah in mir einen Teil dessen, was er verloren hatte. Und doch hatte er mir nie Vorwürfe wegen ihres Todes gemacht.
      „Ich möchte dir etwas schenken“, sprach er und drückte mir eine metallene Platte in die Hand. Sie war klein und rundlich, darin war das Wappen unserer Familie eingraviert. „Das gab mir seinerzeit mein Vater als auch ich dort stand, wo du heute stehen wirst. Ich möchte es dir schenken, mein Sohn.“
      In seinem Lächeln war soviel Güte und Wärme. Irgendwie spürte ich, dass ich das nicht verdiente, aber dieses Geschenk abzulehnen hätte zurecht seinen Zorn auf mich gezogen.
      „Danke“, nickte ich. „Das ist eine große Ehre, Vater.“
      „Mit dem heutigen Tag wird der Name John direkt neben meinem an der Firmentafel stehen. Alles was mir gehört, mag auch dir gehören.“ Mit diesen Worten führte er mich ins Atrium, wo bereits meine ganzen Tanten und Onkeln auf uns warteten.
      Sie alle strahlten als sie mich sahen, man beglückwünschte mich und „hieß mich im Leben willkommen“. Ihr Stolz schien keine Grenzen zu kennen, doch in meinem Innersten schnürte sich alles zusammen. Alles schien so endgültig. Niemand fragte was ICH eigentlich wollte. Zum Glück waren alle so erheitert, dass niemand meine Trübsal bemerkte.
      Wir bestiegen die Kutschen. Mein Vater und ich teilten uns die Familienkutsche.
      Ich weiß noch, es war so ein strahlender Morgen wie heute, und die Stadt zeigte sich uns von ihrer schönsten Seite. Wir fuhren die Themse entlang bis zu St. Francis.
      Der Hof der Universität war bei unserer Ankunft schon prall gefüllt. Dutzende Studenten mit ihren Familien, alle schienen stolz und erheitert.
      Dort, neben dem großen Springbrunnen entdeckte ich meinen besten Freund, Adward, und den Rest unserer „Männer-Gruppe“. Als ich ausstieg und zu ihnen hinüberging waren sämtliche meiner schlechten Gedanken und Zukunftsängste mit einem Mal wie weggespült. Ich war nur noch der stolze Junge, der sich mit seinen ebenso stolzen Freunden unterhielt.
      „He John! Hallo, auch ENDLICH gekommen?“
      Nett wurde ich von allen begrüßt.
      „Mein Vater wollte sich noch mit mir unterhalten“, erklärte ich. „Scheint mächtig stolz zu sein.“
      „So ergeht es uns doch allen“, erwiderte Adward. „Unsere Familien tun so als wären wir jetzt erst richtig geboren worden.“
      „Irgendwie schade, dass die Zeit nun vorbei sein soll“, meinte Tony.
      „Genieße es mein Lieber“, sagte Adward. „Nie wieder Prüfungsstress. „Wisst ihr schon was ihr nach der Schule machen wollt?“
      „Mein Vater will, dass ich den Firmensitz mit ihm übernehme“, sagte ich.
      „Wow … ich meine, ist das nicht fantastisch? Nun kannst du endlich allen zeigen was in dir steckt“, rief Tony.
      „Ich bin mir noch nicht so sicher, ob das überhaupt das Richtige für mich ist“, erwiderte ich.
      „Nun mach mach’ halblang. Bist du verrückt? Vice-Chef des Maddox-Unternehmen?! Dein Vater musste warten bis dein Großvater starb um so weit zu kommen“, meinte Adward.
      „Das stimmt schon, aber … ich weiß auch nicht.“
      „John!“, Adward klopfte mir liebevoll die Schulter. „Heute ist der Tag auf den wir seit über vier Jahren warten. Lass uns feiern. Nachdenken kannst du dann immer noch.“
      „Stimmt“, nickte ich und versuchte ein Lächeln aufzusetzen.
      „Darf ich dir meine Cousine Anna vorstellen? Sie ist extra aus Edinburgh angereist um unserem Abschluss beizuwohnen?“ Adward führte mich durch die Menge zu einem weiß gekleideten Mädchen. Sie stand gemeinsam mit ihrer Familie bei Adwards Eltern, den Ashcrofts, langeingesessenen Adeligen Londons.
      „Darf ich vorstellen? Anna Carrington. John Maddox, der Sohn von Robert Maddox, dem Vorsitzenden des Maddox-Konzerns.“
      „Hocherfreut“, sagte ich, ergriff ihre in einem weißen Handschuh steckende Hand und küsste sie.
      Anna war das hübscheste Mädchen, das ich jemals gesehen habe. Schwarzes, leicht gelocktes Haar, volle Lippen, die einem zum Küssen verleiteten, strahlend weiße Zähne. Ihr Kleid betonte ihre weiblichen Rundungen, dazu noch ihr weißer Hut mit einer blauen Schleife … alles schien perfekt zusammenzuspielen. Ich war vom ersten Moment an vernarrt in sie.
      „Gleichfalls“, lächelte Anna, worauf mir ein kalter Schauer über den Rücken lief.
      „He Moment mal“, meinte Adward und entriss Annas Hand meiner Umklammerung. „Ich warne dich“, sagte er zu seiner Cousine. „Hüte dich vor John. Er ist DER Herzensbrecher unseres Jahrgangs und ein unglaublicher Charmeur.“
      „Ich werde mich zu verteidigen wissen“, meinte diese, als plötzlich der Oberste Professor der Universität in die Mitte trat und mit einer Ansprache begann.
      Adward und ich kehrten zu unseren Freunden zurück. Einer nach dem anderen wurden wir aufgerufen, bekamen eine Urkunde in die Hände gedrückt und wurden anschließend von allen Anwesenden beklatscht und bejubelt.
      Schließlich kam auch ich an die Reihe. Selbstbewusst trat ich nach draußen. Mein Vater stand mit den Übrigen meiner Familie in erster Reihe. Er applaudierte am meisten, doch ich beobachtete ihn kaum. Mein Blick suchte nur nach Anna Carrington. Endlich hatte ich sie gefunden. Auch sie klatschte. Und als sie mir dann auch noch zuzwinkerte, glaubte ich mein Herz würde stehen bleiben.
      Der restliche Verlauf des Tages schien nur an mir vorüber zu fliegen. Wir alle wurden noch porträtiert, ich verabschiedete mich von meinen Freunden und dann ging es nach Hause, wo unsere Dienstboten schon alles fürs Festmahl vorbereitet hatten.
      Anna hatte ich an diesem Tag leider nicht wieder gesehen. Die Gespräche und Glückwünsche meiner Verwandten verfolgte ich nur mit einem halben Ohr, meine Gedanken waren ausschließlich bei ihr.
      Die nächsten Tage wanderte ich auf Wolken. Mein Vater gewährte mir dieses letzte bisschen Jugend, ehe ich mich ins Geschäftsleben stürzen sollte.
      Ich beschloss mit Adward, wie jeden Mittwoch, auf den Schießstand zu gehen. Auch wenn ich beim Laufen und Ringen immer stärker war als er, beim Schießen war Adward unübertroffen. Lag wohl im Blut seiner Familie.
      Doch das war im Moment nicht wichtig. Ich wollte mit ihm über Anna sprechen.
      „Anna? Nun …“, sagte er, zielte, schoss und traf direkt ins Schwarze. „Sie ist die Tochter des Bruders meiner Mutter. Eigentlich wohnt sie in Edinburgh. Sie kommt aber so oft sie kann nach London. Wer kann es ihr verdenken, nicht in Schottland leben zu wollen?“
      „Das ist ja schön und gut“, meinte ich und ging an die Linie. „Aber wie lange bleibt sie?“
      „Noch eine Woche, vielleicht zwei“, antwortete Adward.
      Mein Schuss traf gerade einmal die Scheibe.
      „Sie gefällt dir, hab ich nicht recht?“ Adward lächelte.
      „Nun, sie ist sehr attraktiv“, sagte ich.
      „Das gleiche sagt sie übrigens auch über dich.“
      Wieder traf Adward ins Schwarze
      „Sie hat über mich gesprochen?!“, rief ich begeistert. Das war die beste Nachricht, die ich seit Wochen gehört hatte.
      „Du gefällst ihr“, sagte Adward trocken. „Dein Charme hat sie mal wieder gefesselt.“
      Ich konnte es nicht glauben. Dabei hatte ich gerade mal zwei Blicke mit ihr gewechselt. „Ach wirklich?“
      Ich ging an die Ziellinie, doch Adward hielt mich zurück. „Was ist?“, fragte ich verdutzt.
      „Du bist wirklich nicht bei der Sache“, lachte Adward. „Ich hab bereits gewonnen.“
      Er schulterte sein Gewehr und verließ den Schießstand.
      „Willst du noch eine Runde fechten?“, fragte ich ihn.
      „Vergiss es“, sagte Adward. „Mit dir ist heute nichts anzufangen. Anna scheint dir ja ganz schön den Kopf verdreht zu haben.“
      Er öffnete seinen Spinnt.
      „Und wann kann ich sie dann wieder sehen?“
      Endlich wendete sich Adward wieder mir zu. „Du meinst es wirklich ernst?“, fragte er eindringlich.
      „Ja“, sagte ich bestimmt.
      „Nun gut. Dann komm doch morgen zum Nachmittagstee zu uns.“
      „Danke“, lächelte ich und wollte mich schon umdrehen, doch Adward hielt mich zurück. „Wage es nicht ihr weh zu tun“, sagte er. „Denn dann schwöre ich dir, ist es nicht nur mit unserer Freundschaft vorbei.“

      Es war nicht das erste Mal, dass ich mich mit einer Frau treffen sollte, im Grunde hatte ich jede Woche eine andere Verabredung, trotzdem aber war ich diesmal seltsam aufgeregt. Den ganzen Tag über wanderte ich ziellos umher. In der Nacht tat ich kein Auge zu. Noch schlimmer wurde es jedoch am nächsten Morgen – sogar mein Vater tadelte mich schon.
      Und dann war endlich der Moment gekommen, wo ich mir meinen schicksten Anzug anzog, das Haus verließ und in Richtung der Ashcrofts ging.
      Auf mein Bimmeln öffnete Mary, deren altes Hausmädchen, welches schon seit Adwards Kindheit für die Familie arbeitete. Sie führte mich in den Salon, wo bereits die ganzen Ashcrofts beim Tee saßen. Und da war sie, Anna, meine Schönheit.
      War ich im ersten Moment noch verlegen, wurde ich schon bald vom Jagdtrieb übermannt.
      „Hallo, Mister Maddox, schön Sie wieder zu sehen“, begrüßte sie mich, als mir Adward „rein zufällig“ den Platz neben ihr anbot.
      „Sagen Sie doch einfach John zu mir“, sagte ich.
      Anna wurde ein klein wenig rot. „Ich glaube kaum, dass sich das ziemen würde“, meinte sie.
      „Wer sagt denn, dass wir uns immer geziemt benehmen müssen“, erwiderte ich.
      Die ganze Zeit über sah ich ihr in die Augen, ihr Blick hielt mich gefangen.
      „Nun gut … John …“, ihr Lächeln entblößte ihre weißen Zähne, „…dann müsst Ihr aber auch Anna zu mir sagen.“
      „Anna ist ein wunderschöner Name. Fast so schön wie die Frau, die ihn trägt.“
      Erneut lächelte sie. „Sagt Ihr das zu jedem Mädchen?“
      „Nur zu denen die ganz besonders sind. Wichtig ist, dass die Worte auch ernst sind.“
      „Ich nehmt mich wohl auf den Arm, MISTER Maddox.“
      Jetzt konnte ich nicht anders. Diesmal musste ich lachen. „Schon gut, schon gut“, sagte ich.
      „Mein Vetter hat mich vor Euch gewarnt. Es heißt Sie wären der größte Frauenheld auf St. Francis gewesen“, meinte Anna.
      „Das ist nun wirklich übertrieben. Aber was soll’s. Erzählen Sie mir doch lieber von Schottland, Anna. Ich bin noch nie dort gewesen.“
      Sofort stieg Anna darauf ein. „Nun, da habt Ihr nicht sonderlich viel verpasst. Im Grunde ist Schottland nur ein Fleck großer Landweile. Und die Highlander dann erst. Kaum auszuhalten diese ständigen Unruhen. Oft traut man sich nicht einmal mehr nachts das Haus zu verlassen. Dies ist wohl auch der Grund, warum ich am liebsten jede freie Minute in London verbringen würde. Aber meine Eltern hängen nun mal an Edinburgh und an den Highlands.“
      „London ist aber auch nicht immer das Gelbe vom Ei“, sagte ich. „Wie kommt es, dass Adward bis jetzt noch nie von Ihnen gesprochen hat?“
      „Ich weiß nicht. Dafür hat er mir von Ihnen erzählt. Es heißt Sie beide wären wie Brüder.“
      „Das mag wohl stimmen.“
      „Adward ist ein wunderbarer Mensch und ich glaube er mag Sie wirklich sehr. Ich hoffe eure Freundschaft endet nicht mit dem Abschluss von St. Francis.“
      „Das bestimmt nicht.“
      „Sie müssen bestimmt stolz auf sich sein. St. Francis ist nicht gerade für seine Einfachheit bekannt. Was haben Sie nun vor, wo die Schule zu Ende ist?“
      „Mein Vater will, dass ich sein stellvertretender Geschäftsführer beim Familienunternehmen werde.“
      “Ach wirklich?“ Anna lächelte. „Das ist ja wunderbar. Ich meine …“
      „Ich weiß nicht ob es das ist, was ich wirklich will. All das erscheint mir so endgültig.“
      „Man muss die Jugend hinter sich lassen.“
      „Ich weiß. Aber … seit ich ein Kind bin habe ich einen Traum, einen Traum der sich wohl nie verwirklichen wird. Afrika! Dieses raue Land, seine wilde ungezähmte Natur und seine atemberaubende Schönheit.“
      Ich redete und redete. Noch nie hatte ich so offen mit einem Menschen über meine Ängste sowie Träume gesprochen. Und Anna hörte zu. Sie war eine sehr gute Zuhörerin. Wir sprachen über Schottland, ihre Familie, das Eingesperrt sein und das eigene Dasein.
      Dann und wann musste ich mich am Tischgespräch beteiligen, wechselte mit Adward ein paar Worte, doch hauptsächlich sprach ich ihr. Zwischen uns beiden herrschte eine Verbundenheit, wie sich sie noch nie gefühlt hatte, eine Verbundenheit die weit über pures Verlangen hinausging.
      Als es schließlich Abend wurde und es für mich Zeit wurde zu gehen, begleitete sie mich zur Tür. „Gute Nacht“, lächelte sie. Ich beugte mich zu ihr hinab und küsste ihre Wange. Ein sonderbarer Schauer jagte mir dabei über den Rücken. „Ich hoffe, wir haben uns heute nicht zum letzten mal gesehen, John“, sagte sie.
      Die Tür fiel hinter mir ins Schloss. Überglücklich lief ich durch die Straßen Londons. Ich sprang in die Höhe, griff nach den Sternen.
      „Ich habe dich schon lange nicht mehr so glücklich gesehen“, sagte mein Vater als ich zu Hause ankam. Und er hatte Recht, ich WAR überglücklich.

      Am nächsten Tag ging ich noch vor dem Mittagessen zu dem Stadthaus der Ashcrofts. „Ist Anna hier?“, fragte ich Mary.
      „Natürlich“, sagte sie und setzte einen verständnisvoll lächelnden Blick auf. „Ich werde sie sogleich holen.“
      Zehn Sekunden später stand Anna vor mir. Sie trug ein hübsches vornehmes Sommerkleid. „Willst du nicht auf einen Spaziergang gehen?“, fragte ich.
      Ihr Gesicht strahlte eine solche Freude aus, noch heller als der Sonnenschein. „Natürlich“, lächelte sie.
      Von da an holte ich sie jeden Tag zu einem Spaziergang im Stadtpark ab.
      Die Vögel zwitscherten, die Sonne schien, das Gras duftete. Meine Hand schloss sich um die ihre. So unsagbar zart fühlte sie sich an. Wir führten stundenlange Gespräche. Man kann sagen das waren die schönsten zwei Wochen meines Lebens.
      Und dann war der Moment des Abschieds gekommen. Annas Familie fuhr zurück nach Schottland.
      Als würde selbst der Himmel weinen, regnete es an diesem Tag. Sie brachte mich an die Tür, genauso wie damals an unserem ersten Abend. Ihre Hand schloss sich um die meine. In ihren Augen konnte ich Tränen entdecken.
      „Weine nicht“, versuchte ich sie zu trösten. „Ich verspreche, ich werde dir jeden Tag schreiben.“
      „Und ich dir. Oh John …“, sie umarmte mich, presste ihren Körper an den meinen. Ich fühlte die zarten Rundungen ihrer Brüste. Dann lockerte sie ihre Umklammerung und ich sah ihr tief in die Augen. Mein Mund glitt auf den ihren hinab. Meine Zunge liebkoste ihre Lippen, bis sie ihr Einlass gewährten und sie den Kuss erwiderte. Unendlich lange schien der Moment der Verschmelzung anzudauern.
      Nur widerwillig ließ ich von ihr ab. Ohne sie auch nur ein einziges mal mehr anzusehen verließ ich das Haus der Ashcrofts. Und zum ersten mal seit meiner Kindheit weinte ich.

      Mit Annas Abreise war es auch mit meiner Jugend vorbei. Die Schonzeit die mein Vater mir gegeben hatte war nun vorüber. Fortan begann meine Arbeit in der Firma.
      Schon während ich in St. Francis zur Schule ging hatte ich ihm dann und wann geholfen. Auch die Leute im Betrieb kannte ich schon, ich war gewisser weise bei ihnen aufgewachsen. Trotzdem aber war es jetzt etwas anderes. Und ich brauchte Wochen um mich wirklich einzugewöhnen und dem gemütlichen Studentenleben abzusagen.
      Natürlich traf ich mich noch weiterhin mit meinen Freunden, ging jeden Mittwoch mit Adward an den Schießstand, aber der Ernst des Lebens hatte jetzt sozusagen begonnen. Eine Routine, die sich bis zu meinem Tod wohl nicht ändern würde.
      Die fast täglichen Briefe Annas wurden zu meinem Höhepunkt. Und auch ich schrieb ihr. Die Vorgänge in der Firma schienen sie sehr zu interessieren, welche Aktien gerade stiegen und welche fielen, wann wir kauften und verkauften. Bereitwillig gab ich ihr jede Information des Unternehmens, nichts ahnend in welchen Teufelskreislauf ich mich damit begab.

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        #4
        3. KAPITEL


        Fast ein Jahr war vergangen und dann erhielt ich die freudige Nachricht: Anna Carrington und ihre Familie waren auf dem Weg hierher. Und diesmal würden sie sogar ein Monat lang in London bleiben. Wohnen würden sie wiederum bei den Ashcrofts. Ich glaube Adwards Familie war darüber nicht sonderlich begeistert, aber sie haben nie etwas gesagt.
        Gleich am Tag der Ankunft der Carringtons machte ich mich auf den Weg zu deren Haus, ich fühlte mich so aufgeregt wie ein kleiner Junge.
        Diesmal war es nicht Mary, die mir die Tür öffnete, es war Anna. Überglücklich fiel sie mir um den Hals und küsste mich. „Ich hab dich ja so vermisst“, flüsterte sie. Zärtlich strich ich ihr durchs Haar. „Ich weiß“, sagte ich. „Ich habe dich ja auch vermisst.“
        Sie konnte die Tränen nicht mehr unterdrücken. „Willst du hineinkommen?“, fragte Anna.
        „Nein, danke“, lehnte ich ab. „Aber was würdest du von einem unserer kleinen Spaziergänge halten?“
        „Das wäre einfach traumhaft.“
        Wir gingen dieselbe Runde wie immer. Wie immer hielt ich sie an den Händen.
        „Weißt du was ich mir überlegt habe, Anna?“, fragte ich. „Deiner Familie wird unsere Zuneigung für einander wohl kaum entgangen sein. Warum sonst waren sie zuvor Jahre nicht in London und nun gleich zweimal innerhalb eines Jahres. Ich liebe dich, Anna. Und ich möchte um deine Hand anhalten.“
        Sie drehte sich zu mir um.
        „Na, was meinst du?“
        In ihrem Blick war mehr Bestürzung als Freude zu sehen.
        „Willst du mich denn nicht heiraten?“
        „Doch, aber …“
        „Aber was?“
        „Mein Vater. Er würde es nie zulassen, dass ich einen Nicht-Adeligen heirate. Selbst wenn er so reich ist wie eure Familie.“
        Ich glaubte meine Welt zerbräche in Scherben.
        „Aber Anna …“
        „Er ist in dieser Hinsicht eben altmodisch.“
        „Heißt das, dass unsere Liebe nie eine Zukunft haben wird?“
        Meine Stimme überschlug sich fast.
        Annas Blick war so unsagbar traurig.
        „Fliehen wir“, sagte ich schließlich.
        „Was?“
        „Gehen wir nach Afrika, da kann uns keiner finden.“
        „John …“
        „Wenn du mich liebst, dann fliest du mit mir. Wenn aber nicht, so sag es jetzt und ich werde dich nicht mehr länger belästigen.“
        Schweigen. Sekunden, die mir wie Minuten vorkamen.
        „Ich liebe dich“, sagte sie schließlich, umarmte mich, presste ihre Lippen wie eine Ertrinkende an die meinen.
        „Liebe mich“, flüsterte sie in meinen Mund.
        „Was?“, lächelte ich. „Im Park?“
        „Hinten, in diesen abgelegenen Hecken, dort drüben sieht uns kein Mensch. Und selbst wenn, Londons Klatschweiber können uns ja fortan egal sein. Liebe mich. Ich will vor Gott deine Frau sein, selbst wenn wir es vor dem Gesetz schon nicht sein können.“
        Da hob ich sie hoch und trug sie hinüber ins Gebüsch. Ich handelte wie in Trance. Küsste sie, streichelte sie, legte sie sanft zu Boden. Langsam streifte ich ihr das Kleid hinunter, öffnete das Korsette, ohne von ihrem Mund abzulassen.
        Noch nie hatte mich der nackte Körper einer Frau so sehr erregt wie der ihre. Meine Hände liebkosten sanft ihre Brüste, spielten mit ihren empfindsamen Knospen, die sich mir lustvoll entgegenreckten.
        Dann glitt meine Hand tiefer bis hin zu ihrem Geschlecht. Dort verweilte sie, spielte mir ihr, folterte sie, bis sie lustvoll aufstöhnte.
        Sie spreizte ihre Beine. Da riss ich mir die Hose hinunter und drang in ihr Inneres ein. Kurz zuckte sie zusammen. Heißt und feucht fühlte es sich da drinnen an.
        Sie riss mir die Jacke hinunter, ebenso das Hemd, ihre Finger glitten über meine harten Muskeln, während ihr Mund mein Ohrläppchen fand.
        Rhythmisch bewegten sich ihre Stöße erst mit dann gegen die meinen. Unsere Welt verschwamm in einem Taumel aus Lust, Leidenschaft und Gefühl.
        Sie schrie, schrie aus purer Lust an mir und ich erstickte ihre Schreie mit meinem Mund. Ein letztes Mal bäumte sie sich mir entgegen.
        Explosionsartig entleerte sich mein Penis. Und dann war alles vorbei. Nicht einmal das Singen der Vögel vernahmen wir mehr. Nackt wie von Gott geschaffen lagen wir eng umschlungen regungslos dar. Es war als gäbe es nur noch uns beide, als wäre alles andere bedeutungslos geworden.
        Wir blieben den ganzen Abend und die ganze Nacht so liegen. Ich weiß nicht, ob man uns gesehen hat, ich sollte es auch niemals erfahren. Andere, wichtigere Dinge sollten die Stadt bald erschüttern und mein Leben für immer verändern.

        Die Vögel begrüßten die ersten Sonnenstrahlen.
        „Man ist bestimmt schon auf der Suche nach mir“, sagte Anna, während sie sich langsam anzog.
        „Bleib versteckt hier im Park“, sagte ich. „Ich muss noch nach Hause ein paar Sachen holen: Geld, Proviant. Mein Vater ist um diese Zeit sicher schon in der Firma und spielt mit seinen Zahlen.“ Ich knöpfte meine Hose zu, zog Hemd und Jacke wieder an.
        Zärtlich küsste ich sie auf den Mund. „Ich bin bald wieder da“, versprach ich und ging.
        Welch jugendlicher Leichtsinn mich dazu bewogen haben muss ausgerechnet zu fliehen. Aber wer hat mit 20 keine Leitsinnigkeiten der Liebe willen begangen?
        Schnellen Schrittes ging ich nach Hause. Als ich jedoch eintrat, sah ich widererwarten Licht im Arbeitszimmer meines Vaters.
        Ich versuchte leise zu sein, doch dann vernahm ich plötzlich schluchzende Geräusche. Ich hatte meinen Vater noch nie weinen gesehen, nicht einmal wenn er über den Tod meiner Mutter sprach. Was also war passiert?
        Wäre ich jetzt gegangen, niemand hätte es wohl bemerkt. Doch ich konnte nicht. Leise ging ich zu ihm. Robert Maddox’ Kopf lag über den Schreibtisch gebeugt und er heulte wie ein Baby.
        „Vater?“, fragte ich zaghaft. „Was ist passiert?“ Langsam richtete er sich auf. Seine Augen waren geschwollen, seine nach mir ausgestreckte Hand zitterte. „Mein Sohn, mein Sohn.“
        Ich ging zu ihm und nahm ihn in die Arme. „Sag mir bitte was los ist“, flehte ich.
        „Carrington. Andrew Carrington.“
        Ich glaubte mein Herz würde stehen bleiben. Dieser Name traf mich wie ein Schlag ins Gesicht.
        „Carrington?“, fragte ich zitternd. War unser Liebesakt im Park oder gar unser Plan zu fliehen etwa schon aufgeflogen? Wie konnten wir an einem öffentlichen Ort auch nur so leichtsinnig sein?
        „Er, er war heute Morgen da, gemeinsam mit seinem Anwalt und einem Vertreter der Bank. Er hat unser Unternehmen gekauft.“
        „Was?!“, entfuhr es mir.
        „Deshalb sind sie aus Schottland gekommen.“
        „Aber wie konnte das geschehen?“ All das kam mir wie ein Traum vor.
        „Ich versuchte es vor dir zu verheimlichen. Aber in letzter Zeit sind viele meiner Investitionen den Bach runter gegangen. Irgendwoher wusste Carrington immer wann er kaufen und verkaufen musste. Er kannte intime Details unserer Firma uns spielte sie gegen uns aus.“
        „Was?!“, entfuhr es mir.
        „Es scheint als hätten sie Insiderinformationen gehabt. Irgendwo muss es eine Sicherheitslücke gegeben haben.“
        Meine Knie waren weich wie Butter. Nein, das konnte nicht wahr sein, nicht Anna. Das war ein Traum, bald würde ich aufwachen und alles ist wie zuvor.
        „Kannst du mir verzeihen, mein Sohn“, heulte Vater.
        „Das war nicht deine Schuld“, sagte ich, war jedoch nicht sicher ob auch nur ein Ton aus meinem Mund kam.
        „Ich muss gehen“, sagte ich schließlich und erhob mich. Mein Vater schien das gar nicht zu bemerken. „Wir haben alles verloren“, weinte er wie in Trance.
        Ich lief, verließ das Haus, wollte nur weg von hier. Beinahe wäre ich dabei in den Tisch gerannt.
        Ich schlug die Tür hinter mir zu und lief in Richtung Park. Noch immer hatte ich das Gefühl als würde ich träumen. Als würde ich bald in meinem Bett aufwachen und alles wäre vorbei.
        Ich fand Anna noch immer in unserem Versteck kauernd.
        „Was ist?“, fragte sie mich. „Du siehst aus als hättest du einen Geist gesehen.“
        Ich konnte ihr nicht in die Augen sehen.
        „Wurdest du entdeckt?“, fragte Anna weiter.
        „Nicht ich“, sagte ich schließlich. „DU bist aufgeflogen.“
        Skeptisch blickte mich Anna an. „Was meinst du damit?“, fragte sie.
        „Andrew Carrington hat heute das Unternehmen meines Vaters gekauft. Und ich dachte schon du wärest meinetwegen gekommen. Wenigstens weiß ich jetzt WARUM du immer so interessiert an meiner Arbeit warst.“ Meine Stimme klang hart und ruhig. Es schien als würde ich mich selbst beobachten.
        Tränen traten in Annas Augen.
        „Wieso dieses Theater? Du hättest alles von mir haben können. Ich hätte mein ganzes Vermögen mit dir geteilt.“
        „Denkst du ich wollte, dass es soweit kommt?!“, schrie Anna und begann bitterlich zu weinen. „Das war nicht meine Idee. Alles schien so einfach. Mein Vater stand kurz vor dem Bankrott. Deshalb und nicht wegen dem Abschluss meines Vetters waren wir damals nach London gekommen. Doch dann merkte Adward dein Interesse an mir. Er erzählte davon meinem Vater und ich sollte dich aushorchen. Ich konnte doch nicht ahnen, dass es soweit kommt. Genauso wenig wie ich ahnen konnte, mich in dich zu verlieben.“
        Ich musste mich setzen. „Nein“, seufzte ich. „Nicht Adward. Nicht er. Er hätte mir so etwas nie getan.“
        „Du kennst ihn nicht“, sagte Anna hart. „Die Ashcrofts sind genauso wenig reich wie wir.“
        „Wenn Adward Geld gebraucht hat, er hätte doch nur zu mir kommen müssen.“
        Zärtlich berührte Anna meine Schulter. „Es ist noch nicht zu spät. Wir können noch immer fliehen.“
        “Fliehen? Fliehen!“, lachte ich. „Das wäre wohl das einfachste, nicht war?“
        Ich zog ihre Hand weg und erhob mich. „Ich werde den Kopf nicht in den Sand stecken“, sagte ich bestimmt. „Mein Vater hat durch meine Dummheit alles verloren, nur weil ich einer Frau mein Vertrauen schenkte, die es nicht verdiente.“
        Erneut begann Anna zu weinen.
        „Ich werde es ihm zurückholen, koste es was es wolle.“ Ich drehte mich weg, doch da konnte auch ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. „Warum, warum Anna?“, fragte ich. „Du machst die Beine breit und kriegst dafür das Vermögen meines Vaters.“
        „Ich war niemals deine Hure!“, schrie sie. „Ich habe dich geliebt. Ich liebe dich immer noch.“
        „Ich verzichte auf deine so genannte Liebe!“
        Diese Worte trafen sie wie ein Schlag ins Gesicht. Und mit ihnen ließ ich sie auch allein.
        Ruhig, gefährlich ruhig ging ich in Richtung des Hauses der Ashcrofts.
        „Darf ich dir meine Cousine Anna vorstellen?“
        „Sagen Sie doch einfach John zu mir.“
        „Dann müsst Ihr aber auch Anna zu mir sagen.“
        „Sagt Ihr das zu jedem Mädchen?“
        „Lass uns fliehen.“
        Mich narrten Stimmen aus der Vergangenheit. Von einem Moment zum anderen war mein Leben völlig aus den Bahnen geraten.
        Ohne zu klopfen riss ich die Tür auf. „Adward!“, schrie ich in den leeren Vorraum. „Zeig dich, wenn du ein Mann bist!“
        Ich wartete.
        Dann endlich erschien seine Visage. Ich hatte alle Mühe nicht gleich über ihn herzufallen.
        Sein Blick war so furchtbar ausdruckslos. „Ja?“ fragte er als wäre nichts geschehen.
        „Du weißt genau weshalb ich hier bin. Anna hat mir alles gebeichtet.“ Meine Stimme überschlug sich beinahe.
        „Ach du weißt wo sie ist. Gott sei Dank, mein Onkel und meine Tante hatten sich schon Sorgen gemacht.“
        Seine verfluchte Ruhe brachte mich nur noch mehr in Rage.
        „Ach ja?“, ätzte ich. „Waren sie nicht zu beschäftigt damit das Leben meines Vaters zu ruinieren?“
        „Was regst du dich so auf?“, fragte Adward lässig. „Hast du nicht selbst gesagt, dass Geschäftsführer zu sein nichts für dich sei, da dann dein Leben dir so endgültig erschiene? Waren das nicht deine genauen Worte?“
        „Das war DEINE Idee. Gib’s zu, DEINE verfluchte Idee.“
        „Bei Gott, JA“, sagte Adward. „Ihr habt genug Geld. Ihr werdet auch so nicht auf der Straße landen. Aber wir hatten bis auf unseren Titel nichts. Du bist ja der ewige Gewinner. John Maddox der Frauenheld. John Maddox der Jahrgangsbeste. John Maddox der Sportkapitän. Und nun auch John Maddox der Vize-Chef. Und ich, was war ich? Aber das ist nun vorbei. Diesmal habe ICH gewonnen. Und du bist ganz alleine schuld daran. DU hast meiner Cousine nachgestellt, DU allein hast ihr Insiderinformationen über das Unternehmen deines preisgegeben. ICH war bei alledem nicht beteiligt. Also gib nicht mir die Schuld daran. Und selbst wenn. Sieh es mal so, nichts hält dich mehr in London. Dein Traum, Afrika, steht für dich offen. Du solltest mir dankbar sein.“
        Egal wie man es drehte und wendete, Adward sagte die Wahrheit. ICH war an allem schuld. Und diese Tatsache ließ mich schier verzweifeln.
        „Aber mach dir nichts draus. Du bist nicht Annas erstes Opfer. Im Grunde ist sie dir gar nicht so unähnlich. Ihr beide seid Gewinnertypen. Ihr beide geht über gebrochene Herzen. Nur das sie dich besiegt hat. Du warst mit Sicherheit ihr interessantester Liebhaber bisher. Vielleicht ausgenommen von mir.“
        Unsere Blicke trafen sich. Hass war in beider Augen zu lesen. „Ich werde mich an dir rächen“, fauchte ich.
        „Das wird schwierig sein“, lächelte Adward. „Dafür wirst du mich schon töten müssen. Denn nächste Woche fahre ich nach Jordanien um mir mit dem Geld deines Vaters meine Offizierslaufbahn zu finanzieren und in die Fußstapfen meiner Familie zu treten.“
        „Du meinst derselbe Versager wie dein Vater zu werden? Ich denke das wird keine große Schwierigkeit für dich darstellen. Ich will dich nie mehr wieder sehen.“ Mit diesen Worten verließ ich das Haus meines ehemaligen besten Freundes.
        „So Gott will, John, so Gott will“, rief er mir hinterher.

        Ziellos wanderte ich durch die Straßen Londons. Ich weiß nicht wie lange. Es war auf jeden Fall schon Nacht als ich endlich nach Hause kam.
        Das Haus schien so ruhig, als würde es schlafen. Keiner unserer fünf Dienstboten schien mehr auf den Beinen zu sein. Von meinem Vater keine Spur.
        Ich wusste, dass er in seinem Arbeitszimmer ein paar Flaschen Cognac aufbewahrte. Und genau in diesem wollte ich jetzt meine Sorgen ertränken als ich den Raum betrat. Doch widererwarten fand ich sämtliche Flaschen geleert vor. Noch nie zuvor hatte ich meinen Vater mehr als ein Glas trinken sehen.
        Ich zündete eine Kerze an um nachzusehen wo er sich befand und ob er meine Hilfe brauchte.
        Erst jetzt bemerkte ich die leblos baumelnde Gestalt im Raum. Unter ihr lag ein zu Boden getretener Stuhl.
        Sofort durchschnitt ich das Seil mit dem sich mein Vater erhängt hatte, doch es war bereits zu spät.
        Er hatte alle Dienstboten nach Hause geschickt, sich anschließend betrunken und dann DAS getan. Und als ich so seinen leblosen Körper in den Armen hielt, weinend, sah ich wie meine ganze Welt in tausend Scherben zerbrach. Ich hatte alles verloren.
        Adward hatte recht, nichts könnte mich fortan mehr hier in London halten. Ich war fertig mit dieser Welt. Vielleicht war es ein Fehler jetzt zu ihr zurückzukehren, mich wieder daran erinnern zu müssen. Ich habe mich zu sehr von meinem früheren Leben entfernt. Der Mann der ich einst war ist mit meinem Vater gestorben.
        Die nächsten Tage bereitete ich alles für die Beerdigung vor, musste mir hunderte Beleidbekurkundungen von meinen Onkeln und Tanten anhören oder auch, dass sie mir Geld anboten falls ich es benötigen sollte.
        In Wirklichkeit bereitete ich jedoch nur noch meine Abreise vor. Ich verkaufte unser Haus, löste die restlichen Bankkonten auf und buchte eine Überfahrt von Dover nach Algier über den ganzen Kontinent bis nach Mombasa.
        Kenia, Afrika, dort sollte fortan meine Heimat sein. Und sie wurde es, sie wurde es.

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          #5
          4. KAPITEL


          „Haben Sie Adward Ashcroft jemals wieder gesehen? Oder Anna Carrington?“, fragte Bernhard zaghaft.
          „Nein“, seufzte Maddox. Sein Blick neigte sich traurig zu Boden.
          „Doch“, sagte er schließlich. „Anna war beim Begräbnis meines Vaters. Als einzige Vertreterin ihrer Familie. Wir haben jedoch kein Wort miteinander gesprochen. Ich denke es war auch besser so. Ich weiß nicht, was aus ihr geworden ist. Vermutlich hat sie einen reichen schottischen Adeligen geheiratet, genau wie ihr Vater das wollte.“
          „Das tut mir leid“, schluckte Bernhard. „Das habe ich nicht gewusst. Ich kannte Ihre Geschichte nicht. Ich stamme genauso wie die Familie meines Herrn aus Birmingham. Von den Maddox habe ich bis man Sie verletzt in der Savanne gefunden hat nie etwas gehört.“
          „Jedoch wissen Sie nun, dass ich nicht reich bin. Nicht mehr. ich habe leider kein Geld.“
          „Ein Grund mehr, dass die Presse Ihre Geschichte veröffentlicht.“
          „Wieso? Carrington hat nichts Unrechtes getan. Feindliche Firmenübernahmen gibt es jeden Tag. Und wer dabei auf der Strecke bleibt interessiert niemanden.“
          “Darum geht es doch nicht. Ihre Gesichte ist genau das, was die Leute Londons hören wollen.“
          „Warum?“, lachte Maddox. „Damit die alten Klatschbasen noch mehr zum Herumerzählen haben? Nein danke!“
          „Nein, um sie zu verkaufen. Ich bin sicher Lord Hamstone wird einen guten Verleger für Sie finden. Wenn Sie aus dem Geld dann noch Kapital schlagen …“
          Traurig sah ihn Maddox an.
          „Verzeihen Sie“, seufzte Bernhard. „Da ist wohl wieder meine Begeisterungsfähigkeit mit mir durchgegangen.“
          Plötzlich klopfte es an der Tür. „Wer kann das wohl sein?“, fragte Bernhard überrascht und öffnete. Draußen stand die Wirtin. Auf ihrer Schürze befanden sich noch Reste vom Zubereiten des heutigen Frühstücks.
          „Tut mir leid die Störung“, sagte sie. „Ich hoffe ich habe Sie nicht geweckt.“
          „Wie spät ist es denn?“, meinte Bernhard.
          „Kurz vor zehn.“
          „Was?! Schon so spät? Die Zeit ist ja wie im Fluge vergangen. Wenn Sie wegen des Frühstücks kommen …“
          „Nein, nein“, unterbrach ihn die Wirtin. „Das ist kein Problem. Ihre Herrin hat jedoch das für Sie abgeben lassen.“
          Sie überreichte ihm ein kleines Schriftstück.
          „Einen Moment bitte.“ Bernhard setzte seine Brille auf um es lesen zu können.
          „Wir sehen uns dann unten beim Frühstück, oder soll ich was rauf bringen lassen?“, fragte die Wirtin und machte kehrt in Richtung Tür.
          „Nein, nein, wir kommen schon“, sagte Bernhard, immer noch ganz in die Nachricht vertieft.
          „Was steht denn da?“, wollte Maddox wissen und erhob sich vom Bett.
          „Lady Hamstone hat uns, oder besser gesagt Sie, heute zum Nachmittagstee eingeladen.“
          „Will Sie mich schon jetzt als Ausstellungsstück präsentieren? ‚Der Löwenmann’, der neueste Bestseller aus London“, fauchte Maddox.
          „Nein, nein“, versuchte ihn Bernhard zu beruhigen. „Nur Sie, Lady Hamstone, ihre Tochter Elizabeth und deren … deren Verlobter.“
          Bernhard setzte einen beunruhigten Blick auf.
          „Was ist?“, fragte Maddox. „Wer ist ihr Verlobter?“
          „Es tut mir leid. Wir sollten nun wirklich nicht darüber sprechen“, versuchte Bernhard abzulenken.
          „Doch ich denke wir sollten JETZT darüber sprechen, wenn ich diese Leute heute kennen lernen soll.“
          „Es ist jetzt zu früh um voreilige Schlüsse zu ziehen. Vielleicht …“
          „Vielleicht was?“ Maddox wurde ungeduldig.
          „Vielleicht sollten wir den Besuch absagen. Ich glaube Sie sind noch nicht so weit.“
          „Sagen Sie mir endlich wer dieser Verlobte ist!“
          Bernhard wartete einen kurzen Augenblick. „Na schön“, seufzte er. „Sein Name ist Ashcroft. Adward Ashcroft.“
          Maddox’ Augen weiteten sich. Eine Mischung aus Verwunderung und Zorn war darin zu lesen. „Was?“, fragte er ungläubig.
          „Wir haben nie von diesen krummen Machenschaften gehört. Ashcrofts Familie ist sehr angesehen und er selbst als schneidiger Kriegsheld bekannt.“
          „Nein“, sagte Maddox. „Das kann nicht wahr sein.“
          „Wie gesagt, wir müssen dort heute nicht hin. Ich könnte …“
          „Nein“, fauchte Maddox. „Ich habe vor sieben Jahren Rache geschworen. Anscheinend ist der Moment nun gekommen.“
          „Das wäre unklug“, versuchte Bernhard ihn zu beruhigen. „Würden Sie ihn töten hätten Sie vor Gericht keine Chance. Es gibt jetzt schon Leute, die Sie lieber im Irrenhaus sehen würden anstelle auf einem gesellschaftlichen Empfang.“
          „Ich habe nichts zu verlieren.“
          „Doch, das haben Sie. Sie können Ashcroft anders vernichten. Gehen Sie mit Ihrer Geschichte an die Presse. Ashcroft hat zwar nichts Gesetzeswidriges getan, es würde jedoch seinem tadellosen Ruf schaden. Vielleicht wird die Verlobung danach auch annulliert. Wie auch immer, jeder hat einen schwarzen Fleck auf seiner Jacke. Vor allem in den Kreisen in denen Ashcroft verkehrt und wenn man wie er ständig von Geldnöten geplagt ist. Stochern Sie darin herum. Machen Sie ihm das Leben zur Hölle, sowie er Ihnen.“
          Stumm schaute Maddox zu Boden. Wie konnte all das nur passieren? Warum konnte man die Vergangenheit nicht einfach ruhen lassen, noch einmal von vorne anfangen? Doch das Schicksal spielte ihm einen Streich nach dem anderen. Warum war er nur zurückgekehrt?
          „Na schön“, sagte Maddox. „Ich werde ihn nicht töten. Noch nicht. Wie soll man sein bisheriges Leben wieder aufnehmen, wenn man sich zu weit davon entfernt hat? Wie soll man in eine Existenz zurückfinden, die nicht mehr die seine ist. Ich bin kein Mensch, ich bin kein Tier – also was bin ich?“
          Bernhard sah ihm tief in seine suchenden Augen. „Ihr seid John Maddox“, sagte er schließlich. „Und niemand sonst. John Maddox ist ein guter Mann. Er könnte niemals einen Mord begehen.“
          „Ich WERDE mich an Adward rächen. Ich werde ihn den Tag verfluchen lassen an dem er mich hintergangen hat. Aber noch nicht heute. Bald wird seine Zeit gekommen sein, sehr bald.“
          „Ihr solltet euch jedoch eines bewusst sein, mein Herr“, sagte Bernhard eindringlich. „Wenn Adward Ashcroft in Ihr Leben zurückgekehrt ist, was ist dann mit Anna Carrington?“

          Anna Carrington. Wie viele Jahre hatte Maddox an diesen Namen nicht mehr gedacht? Nicht einmal im Traum hätte er annehmen können sie oder Adward Ashcroft jemals wieder zu sehen. Welch grausamen Spiel spielte man mit ihm? Vor noch keinem halben Jahr glaubte er sein Leben lang in Afrika zu bleiben und dort seinen Frieden gefunden zu haben und nun? Er hatte seine Familie verloren nur um hier in London vor dieselben Tatsachen gestellt zu werden vor denen er endlich zu entfliehen geglaubt hatte. Wie konnte es nur solch Zufälle geben, wie ihn die Vergangenheit nun einholte. Erneut musste er Adward in die Augen sehen. Wie sollte er sich dabei nur beherrschen können und sich nicht sogleich auf ihn stürzen? Das Leben in der Wildnis war ja um so vieles einfacher.
          Kurz nach dem eher mageren Mittagessen – Bernhard aß nicht einen Bissen davon – kam die Kutsche der Hamstones um die Beiden abzuholen.
          Bernhard öffnete die Tür und ließ Adward eintreten.
          Die Fahrt durch die Straßen Londons kam Maddox wie ein weit entfernter Traum vor. Als wäre es nicht real. Und doch konnte sie nicht lange genug andauern. Er hatte Angst vor dieser Begegnung. Angst sich vor Ashcroft nicht beherrschen zu können.
          Die Kutsche hielt vor einem prunkvollen Stadthaus. Anscheinend hatten die Hamstones tatsächlich Geld wie Heu. Deshalb wollte Ashcroft wohl in ihre Familie aufgenommen werden.
          Bernhard öffnete die Kutsche. Draußen warteten schon einige Dienstboten. Freundlich begrüßten sie die Beiden und führten sie ins Haus.
          Das Innere war genauso luxuriös und wunderschön wie das Äußere des Gebäudes. Durch das viele Weiß an den Wänden und teilweise an den Möbeln schien das Haus zu leuchten, als befände man sich im Inneren eines Diamanten.
          Irgendwie kam Maddox alles so vertraut und doch fremd vor. Nur zwei Straßen weiter war er einmal zu Hause gewesen.
          „Folgen Sie mir bitte in den Salon“, sagte Trudy, das Hausmädchen der Hamstones. „Natürlich“, schluckte Maddox.
          Der Salon war nicht weniger prunkvoll als der Vorraum. Auch hier hatte man das Gefühl als leuchtete der Raum.
          An einem großen Tisch saßen eine Frau so um die Mitte vierzig – vermutlich Lady Hamstone –, ihre Tochter Elizabeth, die wie Maddox feststellte wunderschön war – blondes langes Haar, rote Lippen, weibliche Konturen und ihr samtiges Kleid betonte ihre süßen Rundungen. Irgendwie erinnerte sie Maddox im Aussehen und in den Gesichtszügen an Anna. Er fühlte sich als würde er wieder mit den Augen der Jugend sehen. Als wäre er wieder der Junge, welcher zu seinem besten Freund zum Nachmittagstee ging um dessen Cousine zu erobern, die schließlich ihn eroberte. Direkt neben Elisabeth saß ein Mann, den jemals wieder zu sehen er nicht geglaubt hatte. Niemand geringeres als sein guter alter Freund, Adward Ashcroft.
          Diese verhasste Fratze, er hatte sich kaum verändert. Er sah noch immer gleich aus als an jenem Tag an dem ihre Freundschaft zerbrach, einzig einen Schnurrbart hatte er sich seitdem wachsen lassen.
          John konnte ihm nicht ins Gesicht sehen. Er musste sich zusammennehmen um sich nicht sogleich auf ihn zu stürzen oder den Raum zu verlassen. Das Herz schlug ihm bis zum Hals, als stünde er kurz vor einem Kampf. Und Ashcroft schien es genauso zu gehen. Keiner von ihnen sagte auch nur ein Wort. Es herrschte eine bedrohliche Stille.
          „Herzlich willkommen in unserem Haus. Fühlen Sie sich hier ruhig wie zu Hause“, durchbrach schließlich Sophia die Mauer des Schweigens und erhob sich.
          „Danke“, versuchte Maddox zu lächeln.
          „Nehmen Sie doch bitte Platz“, sagte Sophia freundlich und deutete auf einen Stuhl, welchen eines der Hausmädchen hinauszog, direkt gegenüber Ashcroft.
          Eher widerwillig nahm Maddox Platz. Er fühlte sich total fehl, als würde er dort nicht hingehören. Viel lieber wäre er jetzt in seiner Absteige oder noch besser unter freiem Himmel in Afrika.
          „Bernhard wird nicht mit uns speisen?“, fragte John als er sah, dass der Diener sich entfernte, der einzige Mensch, dem er hier vertraute.
          „Nun“, meinte Sophia. „Mister Bernhard hat im Moment wohl andere Sorgen. Er hat seine Frau schon fast ein halbes Jahr nicht mehr gesehen.“
          „Seine Frau?“, fragte Maddox überrascht. Er hatte nicht gewusst, dass Bernhard verheiratet war. Und obwohl er seine Frau sicher vermisste, war er mit ihm in diese kleine Absteige eingezogen, einzig aus Treue zu seinem Herrn und aus Freundschaft zu ihm.
          „Trudy“, erklärte Sophia. „Eines unserer Hausmädchen. Die beiden waren schon bevor wir überhaupt nach London zogen ein Paar.“
          „Und zuvor lebten Sie in Birmingham?“
          Eigentlich waren Maddox’ Gedanken gar nicht bei dem was er sagte. Sein Blick traf Elizabeth. Tief sahen die Beiden einander in die Augen. Ein Moment der Verbundenheit, als würden sie sich schon ewig kennen, Verwandte im Geiste, genauso wie es einst auch mit Anna Carrington war.
          Doch dann als sein Blick nach unten wanderte, sah er, wie ihre Hand in der von Adward lag. Ein Schlag ins Gesicht, der ihn augenblicklich in die Realität zurückholte.
          „Ja, früher lebten wir in Birmingham. Doch die Geschäfte haben meinen Mann nach London gebracht. Sie kennen ja George. Ich für meinen Teil wäre wohl lieber in Birmingham beblieben, was wohl auch das Beste für unsere Tochter gewesen wäre, wenn Sie dann auch nicht diesen vortrefflichen Verlobten gefunden hätte.“
          Vortrefflicher Verlobter! In Maddox zog sich alles zusammen. Und wieder musste er sich zusammenreißen nicht sogleich zu explodieren.
          „Mutter, bitte langweile unseren Gast nicht zu Tode mit unserer Familiengeschichte. Ich glaube kaum, dass Mister Maddox …“, warf Elizabeth ein.
          „Ganz Recht“, unterbrach sie Adward. Diese Stimme!
          „Erzählen Sie uns doch von Ihren Abenteuern in Afrika … Mister Maddox.“ Es lag etwas Verwerfliches in seiner Stimme. Und doch tat er so als würde er John nicht kennen.
          Wie sich Adward wohl gefühlt haben musste, als er in allen Zeitungen las, dass er, Maddox, zurückkehren würde und dann erst in das Haus seiner Verlobten. War es Schicksal, dass sich ihre Wege erneut kreuzten?
          „Da gibt es nicht viel zu erzählen“, sagte Maddox knapp, als eines der Dienstmädchen den Tee auf einem silbernen Tablett vor ihm hinstellte, ebenso eine Tasse für die anderen und ein Körbchen voll süß dufteten Gebäck, für jedermann greifbar in die Mitte.
          „Halt“, sagte als seine Tasse halb voll war und das Dienstmädchen ließ mit der Kanne ab.
          „Ich bitte Sie“, sagte Sophia. „Sie sind DAS Stadtgespräch, wie Sie wohl gestern an der Menschenmenge bei Ihrer Ankunft festgestellt haben. Da muss es doch etwas Spannendes zu erzählen geben. Oder haben Sie vor noch etwas zu warten und dann Ihre Geschichten zu veröffentlichen?“
          „Genau das ist es“, schluckte Maddox.
          „Aber ein, zwei kurze Episoden werden Sie doch erzählen dürfen“, ließ Sophia nicht locker.
          „Mutter!“, fuhr sie daraufhin Elizabeth an und wollte sich schon erheben.
          „Nein, nein, Ihre Mutter hat Recht“, sagte Maddox ruhig. „Der Tag wird kommen an dem ich ALL meine Geschichten veröffentlichen werde“, finster sah er Adward an, „doch dieser Tag ist nicht heute. Und an DIESEM Tag wird es wohl auch so manche Überraschung geben, das garantiere ich, nicht wahr, Mister Ashcroft?“
          Wenn Blicke töten könnten, würden Beide auf der Stelle tot umfallen.
          „Ach, Sie kennen sich?“, fragte Sophia überrascht.
          „Flüchtig“, fauchte Ashcroft.
          „Wir sind alte Bekannte“, verbesserte ihn Maddox.
          „Ach wirklich? Warum hast du mir nie etwas davon erzählt?“ Neugierig sah Elizabeth ihren Verlobten an.
          „Ich hielt es nicht für so wichtig“, meinte Adward. Er sah aus als würde er am liebsten den Saal verlassen. „Wir gingen gemeinsam auf die Universität.“
          „Also waren Sie auch auf St. Francis?“, wandte sich Sophia erneut an Maddox. „Tja, diese Universität bringt wohl die besten Männer hervor. Sie können wahrhaft stolz auf Ihren Freund sein, Mister Maddox.“
          „Glauben Sie mir, das bin ich“, meinte John. „Aus ihm ist ein fabelhafter ,Geschäftsmann’ geworden.“
          „Und ein Kriegsheld noch dazu“, sagte Sophia stolz.
          „Also haben Sie es endlich geschafft, IN DIE FUSSSTAPFEN IHRES VATERS ZU TRETEN?“
          Ein weiterer vernichtender Blick.
          „Das kann man so sagen“, meinte Adward bemüht freundlich.
          „Sie haben wirklich Glück mit Ihrem Verlobten, Miss Elizabeth“, lächelte Adward und sah ihr dabei erneut tief in die Augen. Sie erwiderte das Lächeln. „Wann soll die Hochzeit denn stattfinden?“
          Diese Frage war wohl das Stichwort für Sophia. Voll in ihrem Element begann sie über Hochzeiten, die Gäste und all das zu philosophieren. Sowohl John als auch Adward schienen glücklich, dass die gespannte Atmosphäre etwas gelockert wurde und sie im Grunde nur noch nicken und ein paar kurze Einwürfe machen mussten.
          Als die Uhr schließlich 19h schlug erhob sich Maddox und meinte, dass es Zeit wäre sich langsam zu verabschieden.
          „Wollen Sie es sich nicht doch noch anders überlegen und bei uns nächtigen?“, fragte Sophia.
          „Nein, danke“, sagte John. „Aber Lord Hamstone kommt doch schon in ein paar Tagen aus Dover zurück. Bis dahin habe ich dann noch etwas Zeit mich wieder in London einzuleben.“
          „Wie Sie wünschen. Trudy bringt Sie zur Tür. Dort dürfte dann auch schon Bernhard auf Sie warten.“
          „Vielen Dank, Misses. Und danke für Ihre Gastfreundschaft“, lächelte Maddox und machte schon kehrt, doch da hielt ihn plötzlich Ashcroft noch einmal zurück. „Wartet“, sagte er. „Ich möchte Euch gerne zur Tür begleiten. Dann haben wir noch etwas Gelegenheit über …. alte Zeiten zu reden.“
          „Selbstverständlich“, meinte Sophia. „Gute Nacht, Mister Maddox.“
          „Gute Nacht“, lächelte auch Elizabeth, während John gemeinsam mit Adward den Salon verließ.
          „Gute Nacht“, sagte er noch schnell, doch da zwängte ihn auch schon Ashcroft in eine dunkle Ecke wo er sich ungestört mit ihm fühlte.
          „An deiner Stelle würde ich schleunigst in dein verfluchtes Afrika zurückkehren und weiter Löwinnen den Arsch ficken“, fauchte er.
          „Was ist los?“, lächelte Maddox. „Diese frivole Art kennen die Hamstones aber ganz sicher nicht an dir. Angst, dass ich etwas ausplaudern könnte und dir so die Hochzeit vermiese, großer Kriegsheld? Was hast du in Jordanien getan um zu Ruhm und Ehre zu gelangen? Wen hast du diesmal verraten?“
          „Ich lasse mir von dir nicht mein Leben zerstören.“ Ashcroft war nur ein wenig davon entfernt sich sofort auf ihn zu stürzen und ihn zu erwürgen.
          Belustigt klopfte ihm Maddox auf die Schulter. „Ach ja?“, lächelte er. „Darin bist DU doch der Spezialist. Frag doch mal meinen Vater was du mit SEINEM Leben gemacht hast.“
          „An dem Tod deines Vaters bist du ganz allein schuld. Ich habe es dir schon einmal gesagt, ihr war es nicht, der dieser verlogenen Schlampe es ermöglicht hat das Maddox-Unternehmen zu zerstören.“
          „Wir werden sehen ob deine Verlobte genauso darüber denkt.“
          Brutal packte ihn Ashcroft am Sakko. „Ich warne dich“, fauchte er. „Wenn du ihr auch nur ein Wort sagst, dann mache ich dir das Leben zur Hölle. Ich rate dir nochmals, als dein Freund, kehre nach Afrika zurück, oder ich schöre bei Gott, ich werde dich umlegen.“
          „Hast du denn auch den Mut dazu?“, fragte Maddox. „Du hast doch dein ganzes Leben lang Angst gehabt. Aber keine Sorge, ich behalte dein kleines Geheimnis für mich. Jedenfalls für den Moment noch. Irgendwann aber wird der Tag kommen an dem du verfluchen wirst unsere Freundschaft verraten zu haben.“
          Mit diesen Worten riss Maddox Adwards Hand weg und ließ ihn alleine.
          An der Tür wartete bereits Bernhard auf ihn. „Alles in Ordnung?“, fragte ihn der Diener. „Ja, alles in Ordnung“, erwiderte dieser und stieg mit ihm in die Kutsche, welche sie zurück zu deren Absteige bringen sollte.
          „Wie war es Ashcroft wieder zu sehen?“, meinte Bernhard.
          „Es war nicht gerade einfach. Aber er hat Angst, Angst, dass ich Elizabeth etwas von seinen Machenschaften erzählen könnte.“
          „Und werden Sie?“
          „Noch nicht. Noch hat Adward nichts Gesetzloses getan. Er soll meinen in Sicherheit zu sein, während ich weitersuche.“
          „Dann werde ICH es Elizabeth sagen. Ich kann nicht zulassen, dass meine Herrin …“
          „Ich bitte dich, Bernhard. Du hast doch selbst gesagt ich soll mich in Geduld üben. Ich werde diese Hochzeit nie und nimmer zulassen, aber jetzt ist noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen. Ich will, dass er genauso leidet wie ich.“
          „Na schön. Dann werde ich jedoch meine Herrin bitten vorsichtig zu sein.“
          Maddox nickte. „Das kann nie schaden.“
          „Ich hoffe Sie sind sich über den Risikofaktor im Klaren“, meinte Bernhard. „Ashcroft hat sehr mächtige Freunde. Er könnte Sie töten lassen, bevor Sie ihre Geschichte veröffentlichen. Sie sollten sich nicht zu viel Zeit damit lassen.“
          „Ich weiß, er hat er mir heute schon gedroht mich ,umzulegen’. Aber ich habe über vier Jahre bei einem Löwenrudel gelebt. Ich werde mich von ihm nicht einschüchtern lassen. Im Übrigen, warum hast du mir nie erzählt, dass du verheiratet bist?“
          Bernhard lächelte. „Nun, ich bin einfach noch nicht dazu gekommen.“
          „Hör mal, wenn du willst kannst du gerne wieder zurück in das Haus der Hamstones. Ich komme gut alleine zurecht.“
          „Das hatten wir doch gestern schon. Ich habe meinem Herrn versprochen auf Sie aufzupassen und ich will Sie auch nicht alleine lassen. Schon gar nicht jetzt, wo Sie Ashcroft zum Feind haben.“
          „Ich hätte nie geglaubt, dass der Wiedereintritt in die Zivilisation so schwer werden wird. Zeig mir ein wildes Tier und ich erlege es. Doch gegen diese Intrigen und Ränkespinnerein bin ich machtlos. Vielleicht ist es doch zu spät für mich wieder zurückzukehren.“

          Elizabeth war zutiefst beunruhigt. „Was war zwischen dir und diesem Maddox?“, fragte sie ihren Verlobten, als sie sich mit ihm in ihr Gemach zurückzog.
          „Nichts“, zuckte Adward mit den Schultern und setzte eine Unschuldsmine auf. „Was soll denn gewesen sein?“
          „Erstens spricht die Stadt seit fast einem Monat nur noch über ihn und du hältst es nicht einmal für erwähnenswert mir zu erzählen, dass ihr früher alte Freunde wart.“
          „Wir gingen lediglich zur gleichen Schule.“
          „Und zweitens sah ich wie ihr Beide euch angesehen habt, als würde ein tiefer Hass zwischen euch liegen.“
          Tief sah ihm Elizabeth in die Augen. „Wenn ich deine Frau werden soll, möchte ich, dass es keine Geheimnisse zwischen uns Beiden gibt“, sagte sie eindringlich.
          „Da gibt es keine Geheimnisse zwischen uns.“ Noch immer tat Adward so, als wüsste er nicht wovon sie sprach.
          „Maddox ist ein flüchtiger Bekannter von mir und sonst nichts.“
          „Na schön“, sagte Elizabeth zornig und erhob sich. „Ich bin keine von deinen Dirnen, du kannst mich nicht für dumm verkaufen!“
          Da stand auch Ashcroft auf und nahm sie zärtlich in den Arm. „Elizabeth“, flüsterte er ihr ins Ohr, doch sie ließ sich nicht von ihm erweichen.
          „Da ist die Tür!“, sagte sie entschlossen. „Es ist besser du gehst für heute.“
          „Warum denn? Deine Mutter hat doch gesagt …“
          „Was sie gesagt hat oder nicht, das ist mir zweierlei. ICH will, dass du jetzt gehst.“
          „Na schön, Elizabeth“, sagte Adward und ließ sie los. „Wenn du es so wünscht, werde ich selbstverständlich gehen. Doch du solltest wissen, dass da wirklich nichts zwischen mir und diesem Maddox läuft. Klar bin ich nicht begeistert, wenn ein anderer Mann in das Haus meiner Verlobten einzieht, vor allem wenn es John Maddox ist, der in ganz St. Francis für seine Lügen und Intrigen bekannt war, aber deshalb habe ich doch keinen persönlichen Hass auf ihn. Meine ganze Sorge gilt nur dir. Ich habe Angst, dass Maddox in Afrika zu einem gewalttätigen wilden Tier geworden ist.“
          Langsam begann sich Elizabeth wieder zu beruhigen. „Auf mich machte er heute einen recht ansehnlichen Eindruck“, meinte sie.
          „Ja, im Moment noch. Aber was ist wenn seine wilde Natur wieder zuschlägt. Maddox war schon immer eine labile Persönlichkeit, nicht nur wegen seiner vielen Lügen mit denen er die Frauen umgarnte. Ich habe Angst, Elizabeth. Und das ist wohl verständlich. Ich will dich nicht verlieren.“
          Erneut ergriff er ihre Hand. „Ich möchte dich beschützen, verstehst du das denn nicht? Ich will mein ganzes Leben für dich da sein. Deine Mutter hatte heute Nachmittag Recht. Auch ich möchte, dass unsere Hochzeit so schnell wie möglich über die Bühne geht. Sobald dein Vater aus Dover zurückkommt.“
          Seine Lippen suchten die ihren. Erst verschloss sich Elizabeth ihm, doch dann ließ sie seiner forschenden Zunge Einlass.
          „Was sagst du dazu?“, fragte Adward als er wieder von ihr abließ.
          Schon wollte Elizabeth mit ihren üblichen Bedenken anfangen, doch dann erinnerte sie sich daran, was ihre Mutter gestern zu ihr gesagt hatte und nickte.
          „Ja, ich will deine Frau werden.“

          Auch diese Nacht schlief Maddox nicht gut, sondern wälzte sich von einer Seite zur anderen. Schließlich war es ihm genug und er breitete sich – wie schon so oft – auf dem mehr oder weniger gemütlichen Boden aus.
          Am nächsten Morgen beschloss er nach dem Frühstück einen Spaziergang durch die Stadt zu machen.
          „Soll ich nicht doch lieber mitgehen?“, fragte Bernhard besorgt.
          „Nein, danke, ich bin schon seit meinem sechsten Lebensjahr alleine durch London gezogen. Ich will sehen was sich in den letzten Jahren verändert hat und vielleicht auch wieder einen Bezug zu meiner ehemaligen Heimat herstellen“, meinte Maddox.
          „Aber Lord Ashcroft …“
          „Du kannst doch die Zeit nützen und dich um deine Frau kümmern“, unterbrach er ihn. „Ich WILL alleine sein.“
          Plötzlich klopfte es an der Tür. „Wer mag das nur sein?“, fragte Bernhard genervt und öffnete.
          Er konnte seinen Augen nicht trauen, wer da vor ihm stand. „Lady Elizabeth?“, flüsterte er und stand auf einmal stocksteif da. „Ist etwas geschehen?“
          „Nein, nein“, lächelte diese. „Ist Lord Maddox hier?“
          „Ich bin kein Lord“, sagte auf einmal John und trat neben den Diener. „Guten Tag My Lady“, meinte er und reichte ihr freundlich die Hand.
          Verlegen machte diese einen Knicks. „Guten Tag.“ Täuschte sich Maddox oder wurde sie tatsächlich ein klein wenig rot?
          „Was kann ich für Sie tun?“
          „Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht vielleicht etwas Zeit für ein Gespräch hätten. Ich weiß, dass muss sich jetzt furchtbar albern für Sie anhören, aber …“
          „Nein, ganz und gar nicht“, unterbrach er sie. „Wie es der Zufall so will, wollte ich sowieso gerade einen kleinen Spaziergang machen. Ich hätte nichts gegen eine Führerin, welche mir zeigt, was sich in meiner Abwesenheit denn alles so verändert hat. Das heißt, falls Sie nichts anderes vorhaben.“
          „Ich dachte Sie WOLLTEN alleine gehen“, raunte ihm Bernhard kaum hörbar zu.
          „Ganz im Gegenteil. Ich freue mich. Ich denke halb London beneidet mich darum dem Löwenmann die Stadt zu zeigen.“
          „Ich denke Sie werden mich den weiteren Vormittag nicht mehr benötigen“, sagte Bernhard, fast unverschämt lächelnd, ehe alle drei das Zimmer und die Absteige verließen.
          Genauso wie am dem Tag ihrer Ankunft präsentierte sich auch heute London von seiner schönsten Seite. Gemütlich schlenderten John und Elizabeth die Themse entlang. Direkt sprach sie niemand an, doch so manches Getuschel war hinter ihnen zu hören.
          Maddox wunderte sich sowieso, dass ihn noch kein Verleger oder Journalist besucht hatte, doch vermutlich hielt sie Bernhard von ihm fern.
          Irgendwie erinnerte ihn die ganze Situation an seine Spaziergänge mit Anna Carrington.
          Elizabeth erwies sich als äußert geschickte Führerin. Sie brachte ihn in Sachen Politik, Klatsch und Tratsch auf den neuesten Stand, zeigte ihm die neu errichteten Gebäude. Trotz allem jedoch hatte sich London kaum verändert und das berührte Maddox mehr als erwartet. Als wären die letzten sieben Jahre nur ein langer Traum gewesen. Und doch spürte er diese gewisse Distanz zwischen ihm, den Menschen und der Stadt. Als gehörte er nicht mehr dort hin.
          „Es muss komisch sein wieder hier zu sein“, sagte Elizabeth.
          „Das kann man wohl sagen“, meinte Maddox. „Ich denke wir haben aber nun genug über mich gesprochen. Ich danke Ihnen für Ihre geduldige Führung, aber wollten Sie nicht mit mir etwas besprechen?“
          Einen kurzen Moment sah ihm Elizabeth in die Augen. Ihr Blick hatte so etwas eindringliches, besorgtes. Als wüsste sie nicht womit sie anfangen sollte.
          „Es geht um meinen Verlobten“, sagte sie schließlich.
          „Um Adward?!“, fragte Maddox erstaunt. Er konnte es nicht fassen. Was wollte sie bloß mit ihm über ihn sprechen. Wusste sie etwa schon davon, was damals zwischen den Beiden passiert war?
          „Wie gut kannten Sie ihn damals wirklich? Und was hatten diese ganzen Anspielungen gestern zu bedeuten? Irgendetwas ist zwischen Ihnen vorgefallen, ich will wissen was.“
          Elizabeth wusste nicht warum sie diesem Fremden vertraute. Warum sie ihn mit ihren Sorgen behelligte, warum sie gerade von ihm eine Antwort erwartete. Sie hatte doch keinen Grund diesem Mann, besser gesagt diesem Wilden, zu trauen. Und doch war sie heute Morgen zu ihm gegangen, spazierte mit ihm durch die Straßen.
          Maddox wartete einen kurzen Augenblick. Er hätte ihr jetzt alles erzählen können. Aber er tat es nicht.
          „Was das anbelangt fragen Sie am besten Ihren Verlobten. Ich bin da der falsche Ansprechpartner“, sagte er. „Aber der Moment wird kommen an dem alle Masken fallen werden. Es ist nur eine Frage der Zeit.“
          „Was meinen Sie damit?“, unwissend sah ihm Elizabeth in die Augen.
          „Ach nichts“, lächelte Maddox. „Wissen Sie, Miss Hamstone, wenn man so lange alleine lebt bekommt man die ein oder andere Angewohnheit. Meine ist es zu oft quasi mit mir selbst zu sprechen. Wir alle haben unsere kleinen Geheimnisse, Sie, ich, sogar Ihr Verlobter. Und wir alle haben eine Vergangenheit. Zu gerne würden wir des öfteren die Zeit zurückdrehen, unsere Fehler beseitigen. Dabei sind es gerade diese, die uns ausmachen. MEINE Vergangenheit liegt in Afrika. In meinen Träumen streife ich durch die Savanne, die Sonne scheint mir ins Gesicht. Alles, wirklich alles scheint dort bedeutungslos. Es gibt andere Dinge, die zählen, Miss Hamstone. Vielleicht hat der Mensch einfach nur vergessen zu leben. Immerzu begehren wir neue Dinge, streben nach Reichtum, nach Macht. Doch das ist nebensächlich. Was zählt ist die Freundschaft, die Liebe. Die wichtigste Frage, die Sie sich stellen sollten ist, lieben Sie Adward. Alles andere ist unwichtig.“
          Elizabeth blieb stehen. Diese Frage hatte sie sich noch nie gestellt. Maddox’ Worte waren weise. Sie passten nicht in das Bild dieses gefährlichen Wilden, das die Stadt von ihm hatte. Schon gar nicht in das des verrückten Lügners, das Adward ihr weismachen wollte. Vielmehr hatte sie das Gefühl in Maddox einen Seelenverwandten gefunden zu haben.
          „Natürlich liebe ich ihn“, schluckte sie, wagte es jedoch nicht ihm dabei in die Augen zu sehen. „Und doch habe ich Angst, dass er in Wahrheit nicht der ist, der er vorgibt zu sein. Und dann auch noch meine Mutter. Sie haben es doch gestern selbst gesehen. Sie will mein ganzes Leben für mich vorausplanen. Ich bin noch jung, aber irgendwie habe ich das Gefühl als wäre mein ganzes Leben schon vorbei ehe es überhaupt begonnen hat.“
          Elizabeth konnte es nicht fassen. Die Worte sprudelten nur so aus ihr heraus, dabei kannte sie diesen Mann überhaupt nicht. Was wenn Adward doch recht hatte, oder die anderen?
          Trotzdem aber fühlte sie sich irgendwie befreit. Als würde eine schwere Bürde von ihr abfallen. Sie kam sich auf einmal nicht mehr so eingeengt vor.
          Maddox lächelte. Seine weißen Zähne strahlten sie an. Da errötete Elizabeth leicht. Sie kam sich vor wie ein getadeltes Kind. „Das muss sich alles ungeheuer albern für Sie anhören“, sagte sie.
          „Nein, ganz im Gegenteil“, meinte Maddox. „Sie haben mich nur eben an jemanden erinnert. Ich selbst stellte mir dieselben Fragen als es hieß ich solle die Firma meines Vaters übernehmen. Ich fragte mich, ist das alles, ist da sonst nichts mehr, das also soll mein Leben werden.“
          „Was haben Sie getan?“, fragte Elizabeth neugierig.
          „Was ich getan habe? Nun, leider kam ich nicht mehr dazu viel zu tun. Mein Vater starb, unser Vermögen verschwand, ehe ich die Gelegenheit bekam im Unternehmen richtig Fuß zu fassen.“
          „Und dann gingen Sie nach Afrika?“
          „Ja, ich …“
          Plötzlich stockte Maddox.
          Es war da. Genauso wie er es verlassen hatte. Der Garten, das Haus. Die Sonne spiegelte sich im Glas der Fenster. Als würde er wieder mit den Augen der Kindheit sehen, als würde sein Vater ihn bald zum Essen rufen.
          Langsam setzte Maddox einen Fuß vor den anderen. Sein Blick war ins Leere gerichtet. Seine Hände und Beine zitterten. Sein Atem überschlug sich.
          Er war zu Hause.
          „Hier wohnt jetzt die Familie Wilkinson, schon seit über fünf Jahren. Thomes Wilkinson gehört die größte Bank hier in England.“
          Maddox ging in die Knie. Er hatte mit den Tränen zu kämpfen.
          Verständnisvoll setzte sich Elizabeth zu ihm.
          Gedanken seiner Jugend und Kindheit durchströmten seinen Kopf. Und schließlich das Bild seines toten Vaters, wie er ihn da hängen sah. Und das Bild Ashcrofts. War er gestern beim Tee noch ruhig und besonnen gewesen, war er jetzt voller Trauer und Zorn. Er hatte in Afrika zu vergessen gelernt. Doch nun kamen die Erinnerungen unaufhaltsam ans Tageslicht.
          Und dann begann er zu sprechen. Er wusste nicht wieso und weshalb. Aber genauso wie ihm Elizabeth von ihren Sorgen berichtete, so sprach er nun von seiner Vergangenheit.
          Von seiner Vergangenheit in Afrika …

          Kommentar


            #6
            5. KAPITEL


            Bei meiner Ankunft in Mombassa fühlte ich mich als wäre dies eine völlig neue Welt. Als läge meine Vergangenheit nun endgültig hinter mir. Zwar gehörte Mombassa seit dem zehnten Jahrhundert zu den bedeutendsten Handelsplätzen Ostafrikas, hatte es doch seinen ursprünglichen Flair behalten.
            Bisher kannte ich Kenia nur aus Büchern, doch nun war ich selbst dort. Am Ziel meiner Träume. Und es war noch schöner als ich zu hoffen gewagt hatte.
            Am Hafen tummelten sich die Leute. Die Ankunft eines Schiffes voller europäischer Passagiere war ein Ereignis. Sie wussten nicht, dass wir nur Verderben über sie bringen sollten.
            Die meisten Europäer waren Missionare, Großwildjäger oder jene die wie Ihr Vater das Abenteuer suchten. Nur wenige kamen so wie ich einfach des Landes wegen, ohne einen Gedanken an die Heimreise zu verschwenden. Ich stand einfach nur so da, mein spärliches Gepäck in einem Jutesack verstaut.
            „Mister Maddox?“, wandte sich plötzlich ein kleiner schwarzer Junge in gebrochenem Englisch an mich.
            „Der bin ich.“
            „Mich schickt Colonel Simmens. Man sagte mir ich solle Sie zum Fort Jesus bringen.“
            „Ja, danke“, nickte ich und ließ mich von dem Jungen in eine große Hütte, etwas außerhalb des Stadtzentrums führen.
            Der britische – ursprünglich von den Portugiesen im Jahre 1593 erbaute – Außenposten, dort beginnt für alle das Abenteuer Afrika – oder endet es auch.
            In einer Halle zeige mir der Junge einen samtigen Polsterstuhl, wo ich mich zum Warten niederließ. Ich beobachtete die Leute, hauptsächlich Schwarze, die geschäftig auf und ab liefen.
            Die Hitze wurde allmählich fast unerträglich, so dass ich meine Krawatte lockern musste. Ich hatte zwar gelesen, dass fünfzig Grad im Schatten hier keine Seltenheit wären, wirklich vorbereiten kann man sich als Engländer darauf jedoch trotzdem nicht.
            Nach rund einer Stunde ließ mich Colonel Simmens endlich zu sich rufen. Es war ein recht ansehliches Büro. Ein großer Schreibtisch, ein paar Kästen und direkt über Simmens ein riesiger kältespendender Ventilator.
            Simmens machte einen recht gepflegten Eindruck. Er trugt einen schwarzen Anzug, sein brünettes Haar war sorgfältig gekämmt und an seinem Schnurrbart ließen sich keinerlei Essensreste feststellen.
            „Bitte setzen Sie sich doch“, sagte er freundlich. „Tut mir leid, dass Sie so lange warten mussten, Mister Maddox. Aber wir haben im Moment einiges am Hals.“
            „Kein Problem“, erwiderte ich, worauf er mir einen Stapel Papiere reichte. „Wenn Sie das hier bitte unterschreiben würden?“
            „Natürlich.“
            „Das erste mal in Ostafrika?“, fragte Simmens während ich mich durch den Papierkrieg wühlte. „Ganz recht“, erwiderte ich.
            „Zukunftsträchtiges Land hier. Immer mehr Großgrundbesitzer nützen diese Chance.“
            „Ich bin kein Großgrundbesitzer.“
            „Leider hat man den Sklavenhandel in die Neue Welt abgeschafft. Meiner Meinung nach absolut unnötig. Diese ,Tiere’ verstehen nur eine Sprache. Trotzdem kommt langsam alles in Rollen. Wussten Sie, dass vor zwei Jahren von zwei Deutschen einer der bisher größten Berge Afrikas hier entdeckt wurde, der Kilimandscharo? Warten Sie nur ab. In ein paar Jahren wird das Empire richtig aufgeräumt haben und Sie und ich sind reiche Männer.“
            Hier war ich also. Da reiste ich um die halbe Welt um dieses Paradies zu finden und dann wollten es die Weißen also genauso zerstören wie ihre Heimat. Ich dachte an die freundlichen Menschen am Hafen und in den Straßen, an den kleinen Jungen, der mich vom Schiff hier hergeführt hatte und mir mitzuteilen versucht hatte, dass sein Ziel es war einmal Elefantenführer zu werden. Und nun versuchte man sie genauso auszubeuten wie meinen Vater, ihnen unsere Vorstellung von Zivilisation aufzuzwängen, unseren Glauben.
            „Mein Ziel ist es nicht reich zu werden“, sagte ich schließlich. „Ich will das Land kennen lernen.“
            „Nun ja, jeder wie er meint“, sagte Simmens sichtlich enttäuscht.
            „Ich bin ein Mitglied der Expedition von Doktor Cliffton. Ich dachte er hätte sich mit Ihnen bereits in Verbindung gesetzt“, half ich seinem Gedächtnis auf die Sprünge.
            „Natürlich, hat er“, murmelte Simmens. „Sie wollen hinüber in die Massai Mara. Verfluchtes Land.“
            „Cliffton sollte mich hier erwarten. Ich bin verwundert, ihn noch nicht angetroffen zu haben.“
            „Soweit ich weiß ist er noch in deren Basislager. Ich würde sagen schlafen Sie heute Nacht im Fort. Und morgen Früh lasse ich Sie dann zu ihm bringen. Einverstanden?“
            „Natürlich, danke.“ Ich stand auf, bereit das Büro zu verlassen, als mich Simmens ein letztes mal zurückhielt. „Ich kannte Ihren Vater“, sagte er mitfühlend. „War ein guter Mann. Ich hoffe Sie werden hier Ihren Frieden finden, John Maddox.“
            Dankend lächelte ich ihm zu und ging ohne auch nur ein weiteres Wort zu sagen. Draußen wartete wieder der Junge auf mich. „Folgen Sie mir bitte“, sagte er.
            „Wie heißt du eigentlich, mein Kleiner?“, fragte ich ihn während er mich durchs halbe Fort führte. „Martika“, antwortete er, genau in dem Moment als wir bei meinem „Quartier“ ankamen.
            „Weck mich morgen Früh, am Besten noch vor Sonnenaufgang“, bat ich ihn und hielt ihm einen 5-Dollar-Schein unter die Nase. Die Augen des Kleinen weiteten sich. Sofort griff er danach, rief mir etwas auf Suaheli zu und war auf und davon, bevor ich es mir noch anders überlegen konnte.
            Was mich im Inneren meiner Unterkunft erwartete übertraf meine kühnsten Erwartungen. Meine Absteige hier in London kann man zwar nicht gerade als „piekfein“ betrachten, ist jedoch gegen mein Zimmer im Fort Jesus ein Luxushotel.
            Ich nahm zwei Kakerlaken vom Bett und legte mich anschließend hinein. Es dauerte keine zwei Minuten und ich war eingeschlafen. Es zwar nicht meine erste Nacht in Afrika, aber meine erste Nacht auf afrikanischem Festland. Noch nie in meinem Leben hatte ich so gut geschlafen, noch nie war ich jemals so glücklich gewesen – auch wenn die Moskitos nicht hätten lästiger sein können.
            Wie versprochen weckte mich am nächsten Morgen Martika und brachte mich in den Frühstücksraum. Vom Essen nahm ich nur ein paar kleine Bissen aus Angst Durchfall davon zu bekommen. Dafür nutzte ich die Gelegenheit ein paar Worte mit den Soldaten zu wechseln, welche Mombassa anscheinend als „Hölle auf Erden“ empfanden und meinen Entschluss in Afrika bleiben zu wollen absolut nicht nachvollziehen konnten.
            Noch ehe ich mit dem Frühstück fertig war wurde ich von einem Mann in nichtmilitärischer Kleidung abgeholt.
            „Mein Name ist Jago Mora. Colonel Simmens sagte mir Sie wollen nach Tsavo, Mister Maddox?“
            „So ist es“, erwiderte ich.
            „Gut“, sagte der Mann. „Der Zug geht in einer Stunde. Halten Sie sich nur an mich. Ich muss etwas Elfenbein verladen.“
            Jago Mora, der berühmte Elfenbeinjäger. Selbst in England hatte ich von ihm gehört. Seit seiner Kindheit lebte er in Afrika. Die meisten Eingeborenen sahen in ihm eine Art Heiligen, für die Massai war er aber der leibhaftige Teufel. Es war mir eine Ehre von ihm während der Fahrt begleitet zu werden.
            Nach dem Frühstück ließ ich mir von Martika den Weg zum „Bahnhof“ zeigen, wo sowohl Simmens als auch Mora den Negern beim Aufladen des Elfenbeins zusahen.
            „Ah, Mister Maddox!“, rief Simmens. „Ich hoffe die Unterbringung für die Nacht war zufrieden stellend für Sie.“
            Ich wollte schon „mehr oder weniger“ sagen, hielt mich jedoch im letzten Augenblick zurück und nickte nur.
            „Sie können mir vertrauen, Sie sind bei Mister Mora in den allerbesten Händen. Er hat geschäftlich in Tsavo zu tun und wird Sie bis Mzima begleiten. Von da aus geht es einfach sechs Stunden zu Fuß weiter.“
            „Vielen Dank“, sagte ich, erleichtert, dass sowohl Mora als auch ich mit einem guten Gewehr und noch dazu zwei Revolvern ausgestattet waren.
            Wenn auch nicht ganz pünktlich, aber früher als erwartet, setzte sich die Eisenbahn in Bewegung. Sie war voll und die Hitze gestaltete sich als schier unerträglich.
            Trotzdem aber genoss ich jede Minute der Fahrt durch die endlose Savanne. Wir sahen Antilopen, Zebras – an einer Stelle sogar Flusspferde. Seit ich ein kleiner Schuljunge war fühlte ich mich nicht mehr so übermütig.
            Immer wieder versuchte ich mit Mora ins Gespräch zu kommen, doch dieser schien nicht gerade der große Redner zu sein und so wurde es eine recht einseitige Unterhaltung.
            Mzima war nicht gerade groß zu nennen, eher eine kleine Oase inmitten der Steppe und Savanne, ein Ausgangspunkt vieler Safaris und beliebter Handelsposten für die Eingeborenen. Außerdem DAS Zentrum für den Elfenbeinhandel im Osten Kenias, weshalb Mora vermutlich auch dort war.
            Trupps von Grünen Meerkatzen und viele interessante Vögel bevölkern die Bäume um Mzima herum. Dies ist einer der wenigen Orte in Kenia, wo man Schlangenhalsvögel sehen kann.
            Das Ausladen dauerte wiederum fast eine Stunde, ich nutzte die Zeit um mich endlich etwas zu bewegen und um Kräfte für den bald anzutretenden Fußmarsch zu sammeln.
            Mora traf sich hier mit zwei weiteren Männern. Sie beredeten etwas, teilweise auf Englisch, teilweise auf Suaheli, so dass ich der Unterhaltung kaum folgen konnte. Ich hörte jedoch heraus, dass es um mich ging und um ein Rudel Löwen, welches sich hier irgendwo herumtreiben sollte. Die anderen Männer schienen besorgt zu sein, doch am Ende setzte sich Mora durch.
            In meinem Kopf begann es zu arbeiten. Simmens schien mit Mora irgendwie am Elfenbeinhandel involviert zu sein, deshalb war Mora auch im Fort in Mombassa gewesen. Er selbst sagte doch zu mir, dass dies ein Land voller ungeahnter Möglichkeiten sei. Die zwei anderen gehörten wohl zu Mora, welcher heute mit ihnen anscheinend auf die Jagt gehen wollte, diese jedoch Angst vor den Löwen hatten.
            „Los geht’s“, riss mich plötzlich Mora aus meinen Schlussfolgerungen. „Ich hoffe Ihr macht in der Savanne nicht schlapp, MISTER Maddox.“
            „Keine Sorge“, sagte ich mit dem gleichen sarkastischen Tonfall wie er.
            Doch das Lachen sollte mir schon bald vergehen. Ich hielt mich immer für überdurchschnittlich gut konditioniert, aber gegen diesen Marsch in der sengenden Hitze war die stickige Zugfahrt am Morgen eine Wohltat gewesen. Hatte ich zu Beginn noch jeden Baum, ja jeden Grashalm sogar bewundert, nahm ich bald außer dem Schmerz in meinen Beinen, dem Durst und der brennenden Sonne nichts mehr wahr.
            „Da, seht!“, sagte plötzlich einer der Begleiter. Ich drehte mich zu ihm hin. „Löwen.“
            Tatsächlich. Zwei wunderschöne Weibchen standen auf einem Hügel rund 500 Meter von uns entfernt. Deren goldenes Fell glänzte in der Sonne. Ihre blauen Augen waren auf uns gerichtet.
            „Keine Sorge“, lache Mora als er meinen besorgten Gesichtsausdruck sah. „Wir stehen gegen den Wind, sie können uns nicht wittern.“
            „An Ihrer Stelle würde ich mich an deren Gesellschaft gewöhnen“, meinte auch ein anderer. „In der Massai Mara wimmelt es nur so von den Viechern.“
            Doch meine Angst war bereits verflogen. Im Gegenteil, ich hatte noch nie etwas Schöneres gesehen.
            „Los, weiter!“, rief Mora, behielt dabei die Tiere jedoch in den Augen.
            Meine zuvor schwindenden Kräfte waren auf einmal wieder da. Nicht einmal meine blutenden Füße bemerkte ich mehr. Denn der Traum meiner Jugend war heute Wirklichkeit geworden. Ich hatte Löwen in freier Wildbahn gesehen.
            Langsam begann die Sonne unterzugehen und färbte die Savanne in glühendes Rot. „Wie weit es noch?“, wagte ich zu fragen. „Keine Sorge“, meinte Mora. „Nur noch ein paar Schritte.“
            Und tatsächlich, schon bald konnte ich einen kleinen Punkt in der Ferne ausmachen. Von der Neugier gepackt wurden meine Schritte immer schneller. Ich konnte das Lager sehen. Eine kleine Ansammlung von Zelten und Ausrüstungsgegenständen. Um sich vor den Löwen zu schützen alles perfekt umzäunt.
            Ein kleines Begrüßungskomitee wartete bereits auf uns. Zwei Schwarze bemühten sich das Tor hinter uns zu schließen, während ein Mann, so um die fünfzig, gut gekleidet auf uns zuging.
            „Willkommen im Lager“, sagte Doktor Cliffton. „Wir haben uns bereits Sorgen gemacht.“
            „Wir waren nicht sicher, ob wir heute überhaupt zu Ihnen stoßen sollten“, erwiderte einer der Begleiter. „Ein Rudel Löwen macht uns Sorgen. Normalerweise fallen sie Menschen nicht an, aber in Dürreperioden wie dieser weiß man ja nie.“
            „Wir würden gerne heute Nacht hier bleiben und morgen dann unsere Jagt fortsetzen“, kam Mora sogleich zur Sache. „Das heißt, wenn es nicht allzu große Umstände macht.“
            „Natürlich nicht“, sagte Cliffton. „Geschäftspartnern von Colonel Simmens tu ich ja gerne einen Gefallen. Kommen Sie doch mit uns ins Zelt. Sie müssen ja bärenhungrig sein.“
            Erst jetzt bemerkte ich, dass ich seit dem Frühstück nichts mehr gegessen hatte. Bei all der Anstrengung und den vielen neuen Eindrücken war es mir gar nicht aufgefallen.
            Dankend nahmen Mora und seine Männer das Angebot an. Es war zwar nicht gerade ein Festtagsmenü, aber immer noch besser als das Essen im Fort. Als reicher Engländer hatte Cliffton seinen persönlichen Koch mitkommen lassen.
            „Gut, dass Sie endlich gekommen sind, Mister Maddox. Morgen früh wollen wir sogleich in die Mara aufbrechen. Ein weiter, mehrere Tage dauernder Marsch steht uns da bevor. Wenn Sie wollen, können Sie uns ein Stück begleiten, Mister Mora. Vor uns liegt Elefantengebiet. Und Sie haben ja selbst gesagt, mit den Löwen ist um diese Jahreszeit nicht zu spaßen.“
            „Ich nehme Ihr Angebot gerne an“, meinte Mora, obwohl ich den Eindruck hatte, dass er dies eher tat um seine beiden Begleiter zu beruhigen. Mora selbst war wohl eher ein Mann der Probleme allein meisterte.
            „Colonel Simmens erzählte mir, Sie sind auf der Suche nach einem besonderen Stamm der Massai“, sagte er.
            „Nun, das stimmt“, antwortete Cliffton. „Wir suchen den Bundu’hima-Stamm.“
            „Bundu’hima?“, fragte einer der Begleiter. „Von denen habe ich noch nie gehört.“
            „Das hätte mich wohl auch gewundert“, lächelte Cliffton. „Das ist ein sehr verschrobenes Volk, welches den Kontakt selbst zu den anderen Stämmen meidet. Tatsächlich existiert er bis dahin nur in Legenden. Doch ich bin sicher wir werden ihn finden.“
            „Und was macht Sie da so sicher?“, wollte Mora wissen.
            Cliffton setzte einen geheimnisvollen Blick auf. „Nun, weil ich diese Karte habe“, lächelte er, griff in seine Tasche und zog ein Stück Stoff heraus. „Ein alter Massai gab sie mir. Sie zeigt angeblich den Weg zum geheimen Berg Bundu worauf der Stamm lebt.“
            „Der Berg Bundu ist in Wahrheit ein vom Himmel herabgefallener Asteroid. Die Bundu’hima verehren ihn. Sie glauben, dass durch ihn das Leben auf die Erde gekommen ist. Ihre Heiligen Erzählungen gehen bis weit in die Zeit vor Christi zurück. Was aber noch wichtiger ist, im Inneren des Bundu soll es eine Höhle aus purem Gold geben. Diesen Berg, diesen Stamm zu finden, wäre so als würden wir den verlorenen Kontinent Atlantis entdecken“, erklärte ich.
            Mora lachte. „Sie sind also eher ein Schatzsucher, als Forscher, Doktor Cliffton?“
            „Nun“, meinte dieser. „Ich würde sagen das eine schließt das andere nicht aus.“
            Schon bald nach dem Essen legten wir uns aufs Ohr. Der Tag war sehr anstrengend gewesen und morgen sollten wir schließlich in Richtung Massai Mara aufbrechen.
            Es dauerte keine zehn Minuten und ich war eingeschlafen. Jedoch sollte meine Ruhe nur von kurzer Dauer sein. Mora und seine beiden Begleiter mit denen ich mir ein Zelt teilte beschlossen die Nacht zu nutzen um über ihre weiteren Pläne zu diskutieren.
            „Was meine Sie?“, fragte einer der Beiden. „Ist etwas dran an ihrer Geschichte. Haben Sie wirklich eine Karte zum geheimen Berg?“
            „Cliffton macht auf mich einen eher seriösen Eindruck. Ich glaube kaum, dass er einer dieser verlorenen Abenteuersucher ist“, sagte Mora.
            „Denken Sie nur daran, wenn wir die Goldhöhle finden, können wir mehr damit verdienen als mit tausend Kilogramm Elfenbein. Sumner braucht doch nichts davon erfahren.“
            „Ich bin der Meinung wir sollten sie begleiten. Wenn wir morgen aufbrechen, sind wir in spätestens drei bis vier Wochen wieder in Mzima. Und wenn wir auf dem Rückweg noch ein, zwei Elefanten schießen, haben wir im Grunde kaum Zeit verloren. Zumal wir dieses lästige Rudel dann ein für allemal los sind.“
            „Also abgemacht? Wir begleiten die Expedition zum Berg Bundu.“

            Doktor Cliffton war natürlich hoch erfreut darüber, gleich drei fähige Großwildjäger auf seiner Expedition dabei zu haben.
            Wir brachen noch vor Sonnenaufgang auf. Rund zwanzig Träger, vier Kaffernbüffel, die fürs Gepäck zuständig waren, ich, Cliffton, Mora und sein Team sowie an die zehn weitere Wissenschaftler, Anthropologen und so weiter – einzig der Koch blieb im Basislager. Eine richtige Karawane, Wildtiere würden sich wohl davor hüten uns anzugreifen. Trotzdem aber blickte Mora immer wieder in alle Richtungen, nur um sicherzugehen, dass wir nicht beobachtet wurden.
            Die Reise war im Grunde genauso anstrengend wie der Weg hier her. Zumal meine Begeisterung für Afrika immer mehr nachließ. Wir sahen kaum Wildtiere und die Landschaft sah im Grunde auch immer gleich aus.
            Schon bald meldeten sich wieder meine Blasen an den Füßen. Trotzdem aber sagte ich kein Wort. Ich bezweifle, dass es den anderen (mit Ausnahme der Jäger und der Träger natürlich) anders ginge.
            Die Tage vergingen und wir durchquerten das wilde Land Tsavo. Tsavo bedeutet übersetzt „Ort der Finsternis und des Todes.“ Und das war er auch. Überall Dornen, Gebüsch und ausgetrocknete Kadaver.
            Trotzdem aber war es wunderschön. Wir sahen Kudus, Löwen, Leoparden, Geparden, Massai-Giraffen, Elefantantilopen, Büschelohr- Spießböcke, Büffel, Steppenzebra, Steppenpaviane, Coke's- Kuhantilopen und Grant-Gazellen.
            Am häufigsten aber sahen wir Flusspferde im kühlen Wasser liegen. Neben diesen hielten sich meistens auch etliche Fische, überwiegend Barbenarten, auf.
            Zu den interessantesten Plätzen, auf welche wir im Laufe unserer Reise stießen, zählten wohl die "Roaring Rocks", die ihren Namen von dem Wind erhielten, der durch sie hindurchheult. Vom 98 Meter hohen Felsen hatten wir einen wunderbaren Ausblick auf den Tsavo.
            Wir bestiegen den vulkanische Chaimu-Krater, nicht einmal 100 Jahre alt und aus schwarzem Koks bestehend. Dies war ein guter Platz, um nach dem Klippspringer Ausschau zu halten, eine kleine Antilope, die so agil ist wie ihr Suaheli-Name "mbuzi mawe" besagt: "Bergziege".
            So verging meine erste Woche in Afrika. Meine Ausdauer und Kondition steigerte sich immer mehr, und auch die Hitze belangte mich bei Weitem nicht mehr so wie an dem Tag meiner Ankunft.
            Schon bald ließen wir Tsavo hinter uns und kamen nach Nairobi, der Hauptstadt von Kenia. Im Grunde war sie Mombassa nicht unähnlich. Nur, dass das Treiben hier noch geschäftiger war. Auch ist Mombassa weitaus islamischer angehaucht als Nairobi. Man sah man kaum irgendwo verschleierte Frauen.
            Obwohl ich Städte eigentlich nicht gerne mag, freute ich mich schon darauf in einem wirklichen Bett – und sei es noch so unhygienisch – schlafen zu können.
            In Nairobi füllten wir unsere Vorräte sowie unsere Kräfte wieder auf. Wir lagen bereits hinter unserem Zeitplan zurück, trotzdem aber blieben wir noch einen ganzen Tag in der Stadt. Danach setzten wir unsere Reise fort.
            Rings um Nairobi herum hatten sich viele Bauern angesiedelt. Man pflanzte Mais, Kaffee, Tee, Bananen, Hirse an.
            Je näher wir nach Norden kamen umso mehr wechselten die Dornsavannen in eine trostlose Wüstengegend. In der Massai Mara gibt es nur zwei Regenzeiten – im Frühjahr und im Spätherbst. Die restliche Zeit herrscht eine tödliche Trockenheit.
            Es ist ein Graslandmosaik, dominiert von Avena byzantina, kleinen Buschhügeln und Uferwald entlang des Mara River und seinen Zuflüssen zum Viktoriasee. Mara bedeutet auf Massai „gefleckt“ – und der Name war völlig richtig gewählt, denn man konnte die Gegend tatsächlich mit dem gefleckten Fell eines der her oftmals anzutreffenden Geparden vergleichen.
            Wir befanden uns nun schon zwei Tage in der Massai Mara und fünfzehn waren seit unserem Aufbruch vom Basislager vergangen.
            „Wo sind wir auf der Karte?“, wollte Mora von Cliffton wissen. „Nun“, meinte dieser und nahm sie heraus. „Wir dürften jetzt genau HIER sein, das da drüben sind diese Berghänge. Wenn wir der Karte also Glauben schenken dürfen, müssten wir morgen beim Berg Bundu ankommen.“
            Plötzlich entdeckte ich eine Gruppe Menschen in der Ferne. Vermutlich ein Jagdtrupp eines der Eingeborenenstämme hier. „Da, seht!“, sagte ich und deutete in ihre Richtung.
            „Massai“, fauchte Mora. „Sie beobachten uns schon seit Tagen.“
            „Vielleicht die Bundu’hima“, meinte Cliffton freudig.
            „Nein, das hier sind einfache Hirten. Vermutlich gehören sie zu den Samburu“, sagte Mora. „Mir gefällt diese Gegend nicht. Hier treiben sich überall vereinzelte Stämme herum. Die Massai betrachten sich selbst als die ,Hirten Gottes’ und als diese haben sie das Recht jedes Vieh zu stehlen, das ihnen in die Hände kommt.“
            „Bei uns werden sie es schon nicht wagen. Und selbst wenn doch, dann machen sie halt Gesellschaft mit Ihrem Gewehr.“
            „Trotzdem will ich nicht, dass es soweit kommt. Wir sind gerade mal zwanzig Mann. Bei einem nächtlichen Angriff wären wir ihnen zahlenmäßíg weit unterlegen.“
            Mit diesen Worten setzte sich der Trupp erneut in Bewegung, trotzdem aber ließ Mora die Massai keine einzige Sekunde lang aus den Augen.
            In der darauf folgenden Nacht konnte ich kaum schlafen. Nicht, dass ich Angst von den Massai hatte, es war vielmehr die Aufregung, morgen vielleicht schon an unserem Ziel angekommen zu sein.
            Am nächsten Tag gab es keine Spur mehr von irgendwelchen Massai. Wir setzten unseren Weg der Karte nach fort. Noch immer war kein Berg zu sehen und Mora wurde sichtlich ungeduldig. Hatte er den weiten Weg gar umsonst zurückgelegt?
            „Da seht!“, rief auf einmal einer der Träger. Tatsächlich. Ein kleiner Punkt war am Horizont zu erkennen.
            „Ist das, ist das der geheime Berg?“, wagte einer der Forscher zu fragen.
            „Ich denke er ist es“, lachte Cliffton. „Wir haben es geschafft!“
            Das war kein Berg, das war ein riesiger Felsbrocken. Anscheinend stimmten die Gerüchte, dass der Bundu nicht von dieser Welt stammte.
            Die Sonne ging langsam unter, als wir endlich in dessen Nähe gelangten. Durch die Eisenoxydverbindungen zeigte sich der Berg uns in den verschiedensten Rottönen. Ein unbeschreibliches Naturschauspiel.
            „Wie hoch, denken Sie, ist er?“, fragte Cliffton.
            „Nun, ich würde sagen, das sind so um die 700 Meter“, antwortete Mora.
            „Dann übernachten wir hier. Morgen früh versuchen wir einen Pfad hinauf zu finden.“
            „Und wenn nicht?“
            „Tja, dann werden Sie wohl Ihre Kletterkünste unter Beweis stellen müssen, Mister Mora, was für eine lebende Afrika-Legende wie Sie wohl kein Problem sein kann.“
            „Ich bin Jäger, kein Bergsteiger“, fauchte dieser kaum hörbar.
            Auch wenn ich kein Wort sagte, dachte ich im Grunde genauso wie Mora.
            Wir bauten unser Nachtlager auf. Erneut versuchte ich vergebens zu schlafen. Hatten wir es tatsächlich geschafft? Noch wagte es keiner zu feiern. Doch insgeheim sahen wir uns alle schon in die Geschichte eingehen. Die Entdecker der Bundu’hima. Ruhm und Reichtum erwartete uns. Mit dem Geld könnte ich mir eine Plantage hier irgendwo in Afrika kaufen.
            Im Lager war es totenstill. Ich weiß nicht ob die anderen schlafen konnten, doch vermutlich ging es ihnen ähnlich wie mir. Da hörte ich plötzlich einen Grashalm umknicken. Ein wildes Tier vielleicht?
            Da war es bereits zu spät. Man hatte uns während wir schliefen umzingelt. In ihrer Tracht sahen die Bundu’hima ganz anders aus als die Massai die uns gestern beobachtet hatten. Sie waren nackt, ihre Körper jedoch mit rätselhaften Formen tätowiert. Wie den anderen hielt man auch mir einen Speer unter die Nase. Mora hatte nicht einmal Gelegenheit nach seinem Gewehr zu greifen.
            Da trat ihr Anführer auf uns zu uns sagte irgendetwas in einer fremdländischen Sprache. Das Herz schlug mir bis zum Hals. Was würden diese blutrünstigen Wilden denn nun mit uns machen?
            Schließlich zwang man mich aufzustehen. Zwei kräftige Männer verschränkten mir die Arme hinter dem Rücken und banden sie mit einem festen Strick zusammen. Dann trieben sie uns vorwärts, einen Pfad den Berg hinauf.
            „Tja, wenigstens haben wir die Bundu’hima nun gefunden“, wollte Cliffton sagen, doch man brachte ihn mit einem harten Schlag auf den Hinterkopf zum Schweigen.
            Moras Gedanken schienen zu arbeiten. Wie hatten sie uns nur so schnell umzingeln können? Ehrlich gesagt war mir das im Moment jedoch ziemlich egal. Ich fragte mich nur noch, wie wir hier rauskommen sollten.
            Sie trieben uns die ganze Nacht den Berg hinauf. Wenn einer von uns schlapp machte, wurde er brutal zum Weitergehen gezwungen.
            Oben angekommen stockte es mir den Atem. Ein solches Dorf hatte ich noch nie zuvor in meinem Leben gesehen. Nahezu alles, selbst die einfachsten Manyatta-Hütten (welche eigentlich aus Kuhdreck angefertigt werden), waren aus purem Gold gefertigt. Etwas abseits des Dorfes erkannte ich einen – ebenfalls goldenen – Zaun mit eingesperrten Rindern darin. Widerkäuernd starrte mich eine der Kühe an, während sie aus ihrem Trog fraß.
            Ich musste die Augen schließen, so sehr blendete mich die Eindrücke. Auch die anderen schienen vor Ehrfurcht erstarrt. Einzig Mora sah sich selbst schon als reichen Eroberer dieses Schatzes, vorausgesetzt natürlich, wir kämen jemals wieder lebend von diesem Berg herunter.
            Sofort war das halbe Dorf auf den Beinen und die Menschen umkreisten uns. Die meisten schienen noch nie zuvor einen Weißen gesehen zu haben. „Mzima!“, brüllten sie. „Mzima!“.
            Der Anführer des Trupps der uns gefangen genommen hatte verschwand in einer der Manyattas. Diese hob sich von den anderen Gebäuden irgendwie ab. Sie schien größer und prächtiger zu sein. Oberhalb des Eingangs war eine Art Totem befestigt: Das riesige Gesicht eines Mannes, der die Zunge hinausstreckte.
            Schon bald darauf kam er mit einem anderen Mann, noch prunkvoller tätowiert als er selbst wieder heraus. Vermutlich handelte es sich bei dem Zweiten um den Häuptling des Stammes. Ungläubig starrte dieser uns an. Er wechselte ein paar unverständliche Worte mit seinem Untergebenen. Dann rief er nach einer dritten Person, worauf ein eher schmächtig wirkender Junge erschien. Der Häuptling sagte etwas zu ihm, worauf der Junge übersetzte. Mora antwortete ihm.
            „Verstehen Sie etwa Ihre Sprache?“, wollte Cliffton wissen. „Ja“, sagte Mora. „Zumindest die Sprache des Jungen. Das ist Massai. Er wollte wissen, wie wir den geheimen Berg gefunden haben und was wir hier tun.“
            „Sagen Sie ihm, dass wir nichts Böses im Schilde führen. Wir wollen ihn und seinen Stamm nur kennen lernen.“
            Mora übersetzte. Da wandte sich der Häuptling erneut an den Jungen.
            „Er sagt, weiße Eroberer stellen sich gerne als Freunde vor. Doch in Wahrheit sind sie nur daran interessiert zu morden und zu stehlen. Deshalb wurde das Geheimnis ihres Stammes seit über fünfhundert Generationen bewahrt. Er fragt uns noch einmal wie wir den geheimen Berg gefunden haben“, erklärte Mora.
            „Wir hatten eine Karte. Ich weiß nicht woher die Person, die sie angefertigt hat den Weg kennt“, sagte Cliffton, zog sie hinaus und reichte sie dem Häuptling.
            „Was tun Sie denn da?!“, fuhr ihn Mora an.
            „Ich weiß schon was ich tue“, erwiderte Cliffton.
            Sorgfältig studierte der Häuptling die Karte, dann gab er sie einem seiner Krieger, welcher eine Fackel nahm und die Karte in Brand steckte.
            Wieder sprach der Junge im Namen des Häuptlings. „Ihr dürft diesen Ort nicht mehr verlassen. Es stehen zu viele Leben auf dem Spiel.“
            „Sagen Sie ihm, wenn wir nicht wieder heimkommen wird man sicherlich nach uns suchen. Dann kommen nur noch mehr Menschen hierher. Wenn er uns jedoch gehen lässt, verspreche ich ihm, dass wir niemals wieder ein Wort von seinem Stamm verlieren werden.“
            „Er meint, das Wort eines weißen Mannes wäre nichts wert. Wir würden ganz sicher wiederkommen um ihnen ihr Gold zu stehlen und den heiligen Berg zu entweihen.“
            „Fragen Sie, was wir tun können, damit er uns vertraut. Und sagen Sie, wenn wir tatsächlich vorgehabt hätten ihn zu bestehlen, hätte ich ihm wohl kaum die Karte gegeben.“
            Diese Worte Clifftons schienen den Häuptling stutzig gemacht zu haben. Erstmals sprach er wieder mit dem Anführer des Trupps. Es schien als würde der Häuptling langsam Vertrauen zu schöpfen, der Krieger jedoch wolle uns lieber tot sehen.
            „Also mir gefällt die ganze Sache hier nicht!“, fluchte einer der beiden Begleiter Moras. „Still!“, fauchte ihn Cliffton an.
            Endlich schienen die Eingeborenen zu einem Urteil gekommen zu sein. Erneut übersetzte der Junge.
            „Der Häuptling glaubt uns, dass wir nicht auf Plünderung aus sind. Deshalb wird uns das Leben geschenkt. Trotzdem aber wäre es zu gefährlich uns frei zu lassen. Vielmehr sollen wir den Rest unseres Lebens hier bleiben.“
            „Diese verfluchten Bastarde …“
            „Sagen Sie ihm, dass sei inakzeptabel“, unterbrach Cliffton den Jäger. „Im Fort weiß man, dass wir hier sind. Sie werden uns suchen wenn wir nicht zurückkommen und ganz sicher finden. Die einzige Möglichkeit das Geheimnis seines Stammes zu bewahren IST uns freizulassen.“
            Wieder ein kurzes Gespräch zwischen Häuptling und Krieger. „Und welche Sicherheit hat er, dass wir Wort halten und niemandem von ihnen erzählen?“
            „Mich“, sagte schließlich Cliffton. Ein kurzer Moment des Schweigens. „ICH werde bei ihnen bleiben.“
            „Nein!“, entfuhr es mir. „Des können Sie doch nicht machen.“
            Tief sah mir Cliffton in die Augen. „Ich bin Anthropologe. Ich bin hergekommen um die Bundu’hima zu erforschen. Ich WILL es so. IHRE Aufgabe ist es den Trupp sicher wieder nach Hause zu bringen.“
            Alles kam mir irgendwie nicht real vor. Erst die Freude den Berg endlich entdeckt zu haben, dann unsere Gefangennahme und nun das. Träumte ich?
            „Der Häuptling ist einverstanden“, übersetzte Mora. Erleichtert atmeten die übrigen Forscher auf. Der Krieger zuckte sein Messer, ging zu uns hin und durchschnitt die Fesseln.
            Sobald er wieder frei war wandte sich Cliffton an den Häuptling. „Danke“, sagte er und reichte ihm die Hand. Etwas unwissend, was das wohl zu bedeuten hatte ergriff dieser sie und sagte etwas in einer fremdländischen Sprache, was wohl soviel wie „gern geschehen“ zu bedeuten hatte.
            „Wir werden Sie hier rausholen“, versprach Mora, doch Cliffton schüttelte nur den Kopf. „Das wird nicht nötig sein.“
            Ein letztes mal drehte ich mich noch zu ihm um, dann verband man uns die Augen (vermutlich nahmen sie in der Nacht an wir würden sowieso nichts sehen können) und führte uns den Pfad wieder hinab.
            Diesmal waren die Krieger weit freundlicher und weniger rau mit uns. Sie brachten uns wieder zu unserem Nachtlager, deuteten uns zu setzen und verschwanden. Als ich endlich meine Augenbinde wieder abnahm war keine Spur mehr von ihnen zu entdecken.
            So schnell wie sie gekommen waren, sind sie wieder verschwunden.

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              #7
              Tut mir leid, dass es so lange keine Fortsetzung gab. Hatte im Moment kaum Zeit zum Tippen - und das aktuelle Kapitel benötigte auch einige Korrekturen. Schätze mal es geht in den nächsten paar Tagen (vielleicht sogar schon heute) online.

              Wenn es bereits Meinungen, Kritiken, Verbesserungsvorschläge für meine Geschichte gibt, wäre ich auf alle Fälle dankbar.

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                #8
                Doch früher als erwaret fertig geworden:

                6. KAPITEL


                Plötzlich endete Maddox mit seiner Erzählung. Aufmerksam hatte Elizabeth ihm zugehört. „Tja“, sagte er und erhob sich. „Wer hätte gedacht, als ich noch hier in diesem Haus wohnte, wohin mich mein Weg eines Tages führen wird.“
                „Wenn Sie wollen können wir gerne hineinsehen“, meinte Elizabeth. „Ich bin sicher, Mister Wilkinson …“
                „Nein“, sagte Maddox. „Dieser Teil meines Lebens liegt nun hinter mir. Kommen Sie, Miss, es ist schon fast Mittag. Ihre Mutter wird sich gewiss schon Sorgen um Sie machen.“
                Die Beiden gingen zurück in Richtung des Hauses der Hamstones. „Weiß mein Vater, dass Sie die Bundu’hima gefunden haben?“, fragte Elizabeth auf dem Weg dorthin.
                „Ja. Ich schätze mal das ist der wahre Grund für seine Reise nach Dover. Er möchte dort einen alten Freund von ihm treffen, einen gewissen Mister Hamilton.“
                „Haben Sie ihm etwa den Weg zum geheimen Berg gezeigt?“
                „Nein, nein“, lächelte Maddox. „Ich habe mein Versprechen gehalten und werde es auch weiterhin tun
                „Aber warum haben Sie erst meinem Vater und nun mir davon erzählt?“
                „Ich habe Ihrem Vater nichts von den Bundu’hima gesagt. Er selbst hat es herausgefunden. Kingsley, der Mann der mich in der Savanne gefunden hat, wusste von unserer Expedition. Und als er meinen Namen erfuhr, erzählten er und Cooper Ihrem Vater davon. Ich habe IHNEN die Wahrheit gesagt, Miss Elizabeth, weil ich denke, dass Sie eine ehrliche Person sind. Versuchen Sie Ihren Vater von seinem Vorhaben abzubringen. Selbst wenn er die Bundu’hima findet – was ohne Karte fast unmöglich ist – so würde er deren Paradies nur zerstören.“
                Wütend sah mich Elizabeth an. „Mein Vater ist ein guter Mann“, fauchte sie.
                „Das weiß ich“, versuchte Maddox sie zu beruhigen. „Ich verdanke ihm so viel. Deshalb versuche ich ihn auch nur zu schützen. Ich denke nicht, dass ER dem Stamm etwas zu leide tun würde. Aber es gibt genügend Menschen denen ich da nicht so vertraue. Kingsley zum Beispiel. Oder Colonel Simmens, falls er noch Kommandant des Fort Jesus ist. Eine Expedition ins Herz der Massai Mara ist gefährlich.“
                „Dann beschützen Sie meinen Vater. Immerhin haben Sie ganze fünf Jahre dort alleine überlebt.“
                „Elizabeth“, sagte Maddox eindringlich. „Haben Sie mir nicht zugehört? Das Geheimnis der Bundu’hima muss auf jeden Fall geschützt werden. Diese Menschen haben uns vertraut und ich habe ihnen mein Wort gegeben. Reden Sie mit Ihrem Vater. Sie alleine können ihn vielleicht umstimmen.“
                „Na schön“, meinte diese. „Ich kann es zumindest versuchen.“
                „Danke.“ Endlich waren sie bei deren Haus angekommen. Maddox küsste ihr die Hand. „Und danke für die freundliche Führung.“
                „Ich hoffe wir sehen uns bald wieder, Mister Maddox“, erwiderte diese, lächelte und verschwand durch die Tür.
                Drinnen sah sie ihre Mutter soeben mit Bernhard reden. „Ah da bist du ja endlich!“, rief Sophia, als sie ihre Tochter erblickte. „Wo bist du denn den ganzen Vormittag über gewesen?“
                „Spazieren“, antwortete diese. „Ich habe Mister Maddox die Stadt gezeigt.“
                „Nun, äh, gut“, sagte Sophia und wandte sich erneut an Bernhard: „Das wäre dann wohl alles.“
                „My Lady“, sagte dieser freundlich, verbeugte sich und verließ das Haus.
                „Warum zum Teufel gehst du mutterseelen alleine mit einem wildfremden Mann durch London?!“, fuhr Sophia ihre Tochter an, sobald Bernhard die Tür hinter sich geschlossen hatte.
                „Ich dachte du würdest dich freuen, wenn ich ihm die Stadt zeige. Immerhin ist er doch unser Gast“, versuchte sich Elizabeth zu verteidigen.
                „Du weiß ganz genau, was ich meine. Die Verbindung zu Lord Ashcroft ist fabelhaft. Das Letzte was wir jetzt noch brauchen können ist irgendein dummes Gerede.“
                Um einen Streit zu vermeiden nickte Elizabeth. „Du hast Recht“, sagte sie. „Es tut mir leid.“
                „Schon gut, schon gut“, lächelte Sophia. „Ich habe gute Neuigkeiten. Dein Vater kommt heute Abend nach Hause.“

                „Warten Sie bitte, Sir!“ Schon bald hatte Bernhard Maddox eingeholt. Zu Fuß setzten die Beiden ihren Weg in die Absteige fort.
                „Und wie war Ihr ,Spaziergang’?“, fragte der Diener mit einem Grinsen.
                „Nun, er war … interessant“, meinte Maddox. „Und du hast mit Sophia über Ashcroft gesprochen?“
                „Ja. Aber sie wollte nicht wirklich etwas davon hören. Ihr geht es mehr darum der Mittelpunkt des Geschehens zu sein und eine gute Partie für ihre Tochter gefunden zu haben.“ Plötzlich stockte er. „Entschuldig“, sagte Bernhard. „Es war ungebührlich so über seine Herrschaft zu sprechen.“
                „Keine Sorge“, lächelte Maddox. „Von mir werden sie es bestimmt nicht erfahren.“
                „Das freut mich zu hören. Im Übrigen hat mir Sophia erzählt, dass Lord Hamstone heute Abend aus Dover zurückkehrt. Das heißt …“
                „Ja, ich werde morgen Früh in deren Haus einziehen. Zumindest bis ich etwas Eigenes gefunden habe. Dann kannst auch wieder deine Frau öfter sehen. Ich habe euch beide lange genug von einander getrennt.“
                „Danke, Sir. Sie müssen das aber wirklich nicht nur für mich tun. Ashcroft wird oft bei meiner Herrschaft zugegen sein und ich weiß, dass eine Begegnung zwischen Ihnen beiden nicht gerade erfreulich für Sie wäre.“
                „Ich kann ihm nicht ewig aus dem Weg gehen. Schon gar nicht, wenn ich meine Pläne umsetzen will. Trotzdem aber hätte ich ein weiteres Anliegen an dich. Versuch bitte ein Haus für mich zu finden. Irgendetwas, keine Ahnung. Sobald es die Etikette erlaubt möchte ich gerne auf eigenen Füßen stehen.“
                „Natürlich, Mister Maddox.“
                Plötzlich blieb Maddox stehen und ergriff Bernhards Arm. „Du hast mich lange genug so genannt“, meinte er. „Sag doch einfach John zu mir. Zumindest wenn wir Beide alleine sind.“
                „Das …“ Bernhard stockte. „… ich weiß nicht ob ich mich daran gewöhnen kann.“
                Maddox lächelte. „Ich bin sicher du schaffst das.“
                Als Maddox diesen Abend in seinem Zimmer schlief durchströmten viele Gedanken seinen Kopf. Elizabeth verwirrte ihn irgendwie. Einerseits erinnerte sie ihn sehr an sich selbst in jungen Jahren, andererseits jedoch hatte er gelernt niemandem in London leichtfertig zu vertrauen. Er hatte ihr von den Bundu’hima erzählt. Nun lag es an ihr wie sie damit umgehen würde. Hoffentlich war sie nur nicht eine zweite Anna Carrington.

                Sophia blieb die ganze Nacht wach. Schon längst hätte ihr Mann ankommen sollen. Da hörte sie endlich, wie eine Kutsche vor deren Haus stehen blieb. Sofort sprang sie aus den Federn und lief die Treppe nach unten. Da Trudy schon schlafen gegangen war, öffnete der Kutscher selbst die Tür.
                Draußen regnete es fürchterlich und George war klitschnass, als er einen Fuß über die Schwelle setzte. Sofort fiel ihm Sophia in den Arm. „Endlich bist du wieder da!“, rief sie überglücklich und küsste ihn.
                „Ruhig, ruhig“, lächelte George. „Du machst dich ja noch ganz nass.“
                „Versprich mir, dass du mich nie wieder so lange allein lässt.“
                „Ich verspreche es.“ Wirklich überzeugend klang ihr Mann dabei jedoch nicht.
                „Ja, ja, deine ewigen Geschäfte.“
                „Und du bist auch nicht böse, dass ich Maddox bei uns ein Quartier angeboten habe?“
                Sophias Augen leuchteten. „Natürlich nicht. Das war doch eine gute Idee. Ich meine … er braucht jede Hilfe die er kriegen kann um in London wieder auf eigenen Füßen zu stehen.“
                „Natürlich“, sagte George, wohl wissend, was seine Frau in Wahrheit meinte, und dass sie sich bereits eine große Gesellschaft geben sah in der sie ,den Löwenmann’ allen präsentierte.
                „Soll ich Elizabeth sagen, dass ihr Vater zu Hause ist?“, wollte Sophia das Thema wechseln.
                „Nein, nein“, winkte George ab, ging in den Salon und goss sich ein Glas Brandy ein. „Lass sie ruhig schlafen. Wir sehen uns dann morgen Früh.“
                „Kannst du ein Geheimnis für dich behalten?“, fragte er seine Frau, als diese sich zu ihm setzte. „Ein Geheimnis?“, meine Sophia plötzlich hellhörig geworden.
                „Ja, der wahre Grund warum ich gleich nach meiner Ankunft nach Dover musste und warum wir den Löwenmann bei uns ein Quartier geben …“, begann Hamstone.

                Nachdem die beiden Jäger Cooper und Kingsley den verletzten Mann mitten in der Savanne aufgelesen hatten, brachten wir ihn nach Maralal. Im Lazarett von Wamba sollte ihm geholfen werden. Eigentlich war ich mir ziemlich sicher, dass er keinerlei Überlebenschancen hätte. „Verblutet er nicht, stirbt er ganz sicher an Wundbrand“, dachte ich mir. Im Moment ging es Stanton, Clystock und mir eher darum, dass unsere Jagt frühzeitig unterbrochen wurde.
                Also machte ich mich auf die Suche nach Kingsley um mit ihm über eine Preisminderung zu sprechen. Man sagte mir, dass ich ihn vor Maddox’ Krankenzimmer finden würde.
                „Auch wenn es pietätlos klingen mag, aber Geschäft ist Geschäft“, versuchte ich soeben gedanklich die richtigen Worte zu finden, als ich plötzlich Cooper und Kingsley reden hörte. Etwas an ihrem Tonfall verriet mir, dass sie soeben über etwas sehr Wichtiges sprachen. Ich wollte sie nicht unterbrechen, also versteckte ich mich hinter einer Ecke und belauschte sie.
                „Fünf Jahre, das könnte hinkommen“, meinte Cooper. „Meinst du es ist DER Maddox?“
                „Wie viele John Maddox sollen denn noch durch die Savanne humpeln? Natürlich ist er es“, fauchte Kingsley.
                „Niemand ist von dieser Expedition je zurückgekommen. Denkst du sie haben den geheimen Berg gefunden?“
                „Wo sollte er sich sonst die ganze Zeit über aufgehalten haben? Vermutlich wurde er von den Bundu’hima gefangen genommen.“
                Das war meine Chance. Mit einem Räuspern unterbrach ich die Beiden. „Tut mir leid“, sagte ich, „aber wovon sprechen Sie hier.“
                Entgeistert sah mich Kingsley an. „Ach nichts“, zuckte er mit den Schultern. „Warum sind Sie nicht mit den anderen beim Dinner?“
                „Nun, äh, ich wollte fragen wie es dem Verletzten geht“, versuchte ich mich hinauszureden. Wer weiß, wie die Beiden reagieren würden, wenn sie wüssten, dass ich jedes Wort ihrer Unterhaltung mitgehört hatte.
                „Nun, der Arzt meint er habe gute Chancen. Auf alle Fälle kam es zu keinem Wundbrand.“
                „Das freut mich zu hören“, sagte ich, drehte mich schnell um und wollte so schnell wie möglich verschwinden. Wie konnte ich nur so dämlich sein, zu glauben die zwei würden mich in ihr Geheimnis einweihen?
                „Ach warten Sie!“, rief plötzlich Cooper.
                „Das war’s“, dachte ich nur. Jetzt bringen sie mich sicherlich um.
                „Was zum Teufel machst du hier?“, raunte ihm Kingsley kaum hörbar zu.
                „Er kann uns von Nutzen sein“, erwiderte Cooper.
                „Wovon kann ich von Nutzen sein?“, fragte ich unverfänglich.
                „Haben Sie schon einmal von den Bundu’hima und dem geheimen Berg Bundu gehört?“, meinte Kingsley.
                Einen kurzen Moment lang studierte ich. „Äh, nein“, meinte ich schließlich.
                „Das ist eine uralte Massai-Legende. Eines Tages soll der Berg Bundu vom Himmel gefallen und mit ihm das Leben auf Erden auf die Erde gekommen sein. In seinem Inneren befindet sich eine Höhle aus purem Gold. Die Bundu’hima – eine Gruppe Massai – fanden den Berg und ließen sich dort oben nieder. Leider hat sie seitdem niemand mehr gesehen … bis heute.“
                Ich konnte es nicht fassen. Eine Höhle aus purem Gold. Ein verlorener Stamm. Das alles klang wie ein Märchen. Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass mein Abenteuer Afrika gerade erst so richtig begann.
                „Und Sie denken dieser Maddox hat diese Bundu’hima gefunden?“, fragte ich.
                „Er war Teil einer Expedition die vor fünf Jahren in der Massai Mara nach dem Stamm gesucht hat und war seitdem in der Savanne verschollen. Und ja, wir halten es für möglich, dass sie den geheimen Berg gefunden haben“, erklärte Cooper.
                „Und wie kann ICH Ihnen hierbei helfen?“, fragte ich.
                „Sie beide sind Engländer. Vermutlich können Sie eher zu ihm durchdringen als wir. Fragen Sie ihn ob er den Weg zum Bundu kennt. Und wenn ja, bräuchten wir natürlich Geld für eine weitere Expedition. Wenn wir uns den Gewinn zu dritt teilen, ist das noch immer ein unglaubliches Vermögen für einen jeden von uns.“
                „Ich verstehe“, nickte ich. „Danke für Ihr Vertrauen. Ich kann es ja mal versuchen.“
                „Sehr gut“, meinte Kingsley. „Sagen Sie den anderen Beiden aber kein Wort davon. Das bleibt unser kleines Geheimnis“. Sein Lächeln flößte mir beinahe Angst ein.
                Natürlich sagte ich den anderen kein Wort davon. Als ich zu unserem Tisch zurückkam und sie mich fragten, wie es mit Kingsley und Cooper gelaufen sei, meinte ich nur, dass ich nicht dazugekommen wäre, mit ihnen über das Thema zu sprechen.
                Gleich am nächsten Tag sah ich nach Maddox. Er war kaum ansprechbar und in dem Zimmer, dass er sich mit fünf weiteren Eingeborenen teilte stank es bestialisch.
                „Maddox!“, rief ich. „Maddox, hören Sie mich. Es ist sehr wichtig.“
                Keine Reaktion.
                „Maddox, ich weiß sie haben viel durchgemacht und es ist ein Wunder, dass sie noch leben, trotzdem bräuchte ich Informationen von ihnen.“
                Noch immer nichts.
                Doch als ich das Zimmer schon verlassen wollte, hörte ich ihn plötzlich etwas Unverständliches murmeln.
                „Ja?“, fragte ich ihn. „Wollen Sie mir irgendetwas sagen.“
                Wieder murmelte er etwas kaum Hörbares. Das einzige was ich verstand waren die Worte „zum Teufel“. Das „scheren Sie sich“ konnte ich mir jedoch leicht zusammenreimen.
                Entmutigt verließ ich das Krankenzimmer. Draußen warteten bereits Cooper und Kingsley auf mich. Ich hatte beim Hereingehen gar nicht bemerkt, dass sie mich beobachteten.
                „Und?“, fragte Kingsley. „Hat der Engländer etwas gesagt?“
                „Unglücklicherweise nicht“, antwortete ich. „Noch nicht“, setzte ich schleunigst nach als ich in deren finstere Augen blickte. „Hören Sie, dieser Maddox hat unglaublich viel durchgemacht. Und die Rückkehr in die Zivilisation wird für ihn auch nicht gerade einfach werden – sofern er das überhaupt möchte. Geben Sie mir einfach noch etwas Zeit. Ich werde versuchen sein Vertrauen zu gewinnen.“
                „Sie haben zwei Wochen“, sagte Cooper. „Danach werden wir ihn uns mit Gewalt vorknöpfen.“

                „Wie konntest du dich nur zu einem Handel mit solch finsteren Personen einlassen?!“, fragte Sophia empört und musste sich erstmals setzen.
                „Schätzchen“, meinte George. „Keine Sorge. Ich habe alles unter Kontrolle.“
                „Das sieht mir nicht so aus. Hat dieser Maddox dir inzwischen wenigstens erzählt, was du wissen wolltest?“
                „Nein. Deshalb hab ich ihn ja auch hierher gebracht. Ich bin sicher mit der Zeit wird er reden. So eine Expedition vorzubereiten dauert lange, verdammt lange. Einstweilen wird er sprechen, das versichere ich dir. Ich muss ihm nur noch begreiflich machen, welches Vermögen für uns beide auf dem Spiel steht. Mister Hamilton organisiert einstweilen alles in Dover.“
                „Und was ist mit Kingsley und Cooper?“, wollte Sophia wissen.
                „Nun…“, lächelte George. „Das ist eine ganz lustige Geschichte ...“

                Die nächsten Tage war ich fast ausschließlich in Maddox’ Zimmer. Ich kümmerte mich wie eine Krankenschwester um ihn. Brachte ihm das Essen, wusch ihn. hörte ihm zu.
                Zu allem Überdruss fing sich sein ohnehin schon geschwächter Körper dann auch noch eine Malaria-Infektion ein. Tag und Nacht wusste er nicht ob er zuerst erbrechen muss oder es doch lieber in die Hose geht. Stanton und Clystock nannten mich bereits „Schwester Barmherzig“.
                Tatsächlich sah es lange Zeit danach aus als würde Maddox es nicht schaffen. Aber die Jahre in der Wildnis scheinen ihn abgehärtet zu haben. Und immer wieder überraschte er den Arzt und seine beiden Krankenschwestern aufs Neue.
                Trotzdem wurden Kingsley und Cooper von Tag zu Tag ungeduldiger und wollten Resultate von mir sehen. Ich denke Kingsley bereute es schon, dass Cooper mich eingeweiht hatte. Die zwei Wochen waren schon so gut wie vorbei. Ich wusste, dass ich Maddox hier irgendwie rausschaffen musste.
                Also ging ich eines Morgens zu ihm und fragte ihn wie er sich fühle. „Sehr gut“, antwortete dieser stolz, obwohl ich wusste, dass dies gelogen war.
                „Hören Sie“; sagte ich. „Sie erinnern sich ja noch daran was ich am ersten Tag zu Ihnen gesagt habe. Ich sagte, dass ich Informationen von Ihnen bräuchte und das ist die Wahrheit.“
                „Und ich sagte sie sollen sich zum Teufel scheren“, antwortete Maddox schwach.
                „Das würde ich ja gerne“, erwiderte ich. „Allerdings hieße das auch, dass ich Sie zwei wirklich üblen Gesellen überlasse. Cooper und Kingsley, die beiden Jäger die Sie in der Savanne gefunden haben, wollen Ihnen etwas zu Leide tun. Sie sagen Sie wüssten etwas über den geheimen Berg Bundu und wo sich dieser befindet. Sie sind bereit Ihnen sogar Gewalt anzutun, wenn Sie nicht reden.“
                „Ich weiß nichts von irgend einem Berg“, sagte Maddox. „Wir waren auf einer anthropologischen Expedition.“
                „Wie auch immer. Die beiden sind zu allem bereit. Und wenn Sie ihnen nicht sagen, was Sie von ihnen wollen, werden sie Sie töten. Ich bitte Sie Maddox, Sie sind doch ein gebildeter Mann. Wenn Sie nicht reden wollen, müssen Sie wenigstens umgehend aus Afrika verschwinden.“
                „Wie wollen Sie das veranlassen? Sie sehen doch wie schwach ich bin. Außerdem bewachen die Beiden mein Zimmer rund um die Uhr.“
                Stimmt. Doch ich hatte auch schon eine Idee, wie wir das anstellen konnten.
                Noch am nächsten Tag reiste ich zurück nach Maralal. Es ist ein sehr kleiner Ort, doch der einzige von wo aus man zurück nach Nairobi und schließlich Mombasa kommen konnte. Ich suchte den Britischen Außenposten auf – ein heruntergekommener Ort, noch schäbiger als das Fort Jesus.
                „Wie kann ich Ihnen helfen, Lord Hamstone?“, fragte mich nach ein ziemlich fetter Colonel, ein Stück Kaat, eine Art afrikanischen Tabak, kauend.
                „Es tut mir wirklich leid, Sir“, antwortete ich. „Aber ich habe ein ziemliches Problem. Ich und meine beiden Begleiter Lord Stanton und Lord Clystock sind an zwei wirklich üble Kerle geraten.“
                „Sie meinen doch nicht etwa die beiden Großwildjäger, die mit Ihnen drein unterwegs sind. Kingsley und Cooper genießen hier in der Massai Mara den allerbesten Ruf.“
                „Ich fürchte genau die meine ich“, antwortete ich. „Mitten in der Savanne drohten sie uns, uns nicht wieder nach Hause zu bringen, wenn wir ihnen nicht all unser Geld überlassen.“
                Erstaunt sah mit der Colonel an. Es schien als hätte er sein Kaat plötzlich verschluckt. „Was sagen Sie da?“, brachte er mühevoll heraus.
                „Ich sagte die Beiden wollten uns tatsächlich in der Massai Mara verrotten lassen. Ich weiß nicht wie Sie das sehen, aber ich für meinen Teil möchte nur noch weg von hier.“
                „Verständlich“, murmelte der Colonel nervös. Immerhin hatte er selbst uns die Beiden empfohlen.
                „Hören Sie“, sagte ich. „Ich möchte Ihnen keine Probleme bereiten. Ich weiß, dass Sie ein ehrenwerter Mann sind, Mister Hamilton hat Sie mir wärmstens empfohlen. Deshalb wäre es wohl das Beste, wenn Sie diesen Vorfall für sich behalten. Wenn Sie mir noch heute Nachmittag eine Karawane nach Nairobi garantieren können, für mich, meine beiden Begleiter und einen Verwundeten Mann, den wir in der Massai Mara gefunden haben, verspreche ich, dass es keinerlei Konsequenzen für die Armee Ihrer Majestät geben wird.“
                „Natürlich, My Lord. Ich werde mich persönlich darum kümmern.“

                Schon wieder war Sophia sprachlos – was bei ihrem Temperament doch etwas Seltenes war. „Mein Gott“, hauchte sie. „Du hast allen Ernstes die britische Armee belogen.“
                „Aber nur in den besten Absichten“, meinte George. „Was hätte ich sonst tun sollen. Zulassen dass diese beide Halunken Maddox töten? Ein ehemals angesehenes Mitglied der londoner Gesellschaft? Nein, Sophia, das war die einzige Möglichkeit. Also ging ich sofort zu meinen beiden Begleitern …“

                „Wo warst du? Schon wieder Krankenschwester gespielt?“, fragte mich Stanton zur Begrüßung.
                „Nicht wirklich“, erwiderte ich. „Ich war beim Außenposten in Maralal und habe unser Anliegen dort vorgebracht. Ihr wisst, dass sich Kingsley und Cooper nicht an die Vereinbarung gehalten haben.“
                „Und?“, fragte Cooper erwartungsvoll. „Bekommen wir unser Geld zurück? Oder sogar das Recht auf eine weitere Expedition um einen Elefanten zu erschießen?“
                „Leider nicht. Aber zumindest kriegen wir die Heimreise umsonst. Und unsere beiden Führer werden die vollste Härte des Gesetzes zu spüren bekommen.“
                „Wie bitte?!“, Clystock konnte es nicht glauben. „Sie haben doch nichts verbrochen.“
                „Nun, Verträge nehmen sie hier am Schwarzen Kontinent sehr ernst. Da seht …“, lächelte ich und deutete auf zwei Soldaten, welche soeben das Lazarett betraten. Offensichtlich fragten sie den Arzt, wo sich Cooper und Kingsley aufhielten. Der Arzt wies ihnen den Weg zu Maddox’ Krankenzimmer.
                Es dauerte nicht lange und sie wurden wutschnaubend abgeführt. „Wehren Sie sich nicht“, sagte einer der Soldaten. „Das alles hat doch überhaupt keinen Sinn.“
                „Hamstone!“, schrie Kingsley. „Ich schwöre Ihnen, das wird ein Nachspiel haben!“
                „Der Colonel erwartet Sie in zwei Stunden in Maralal“, raunte mir der zweite Soldat zu, während der erste die zwei Großwildjäger aus dem Lazarett zerrte.
                „Ist denn das die Möglichkeit?!“, fuhr mich Stanton an. „Wir wollten einen Elefanten schießen und nicht vorzeitig heimreisen. Ich wusste nicht, dass sich Eure Familie zu solchen Schnorrern entwickelt hat.“
                „Beruhigen Sie sich“, antwortete ich. „Es wird sich bald alles aufklären. Und ich verspreche Ihnen, Sie werden etwas viel besseres bekommen als einen erlegten Elefanten.“
                „Wo?“, fragte Clystock. „In England? Ihretwegen können wir ja noch heute abreisen.“
                „Genau. Was glauben Sie, was sich Simmens und Co denken werden. Nicht nur, dass wir von unserer Expedition früher als erwartet zurückkehren mussten. Nein, unsere beiden Führer wurden auch noch verhaftet und wir mussten nach Mombasa zurückkehren. Die im Fort Jesus kennen unseren Einfluss. Sie werden uns auf eine weitere Expedition gratis mitnehmen. Und nicht nur das. Wir werden dabei alles schießen dürfen was wir wollen und die Expedition wird weitaus länger und größer werden als das was wir so versäumt haben. Zu Hause wird man uns darum beneiden.“
                Je länger ich redete umso größer wurden die Augen der beiden. Ich wusste, ich hatte sie um meinen Finger gewickelt.
                „Also packt schnell eure Sachen zusammen. In 30 Minuten reisen wir nach Maralal.“ Sofort sprangen die Beiden auf und ich begab mich in Maddox’ Zimmer.
                „Maddox, Maddox!“, weckte ich ihn auf. „Ich habe es geschafft. Ich bringe Sie zurück nach England. Aber Sie müssen jetzt sofort aufbrechen.“
                Zaghaft versuchte dieser sich aus dem Bett zu heben. „Ich verstehe“, murmelte er.
                „Na los, beeilen Sie sich.“
                Es dauerte eine Weile bis er sich angezogen hatte. Sein Körper war von seinen Verletzungen und den Nachwirkungen der Malaria immer noch sehr geschwächt.
                Nachdem ich ihm beim Ankleiden geholfen hatte, schaffte ich ihn nach draußen. Ich wusste, der Weg nach Maralal würde mit ihm doppelt so lange und beschwerlich werden.
                Endlich kamen wir beim Außenposten an, wo mich der Colonel sofort begrüßte. „Ich danke Ihnen nochmals für Ihre Diskretion, Lord Hamilton“, sagte er. „Natürlich streiten die Beiden jede Tat ab, aber wir werden mit Kingsley schon fertig werden.“
                „Da habe ich keine Zweifel“, antwortete ich. „Aber erst möchte ich noch kurz mit ihnen alleine sprechen.“
                „Halten Sie das wirklich für eine gute Idee.“
                „Jawohl, Colonel. Ich fürchte es muss sein.“
                „Wie Sie wünschen, My Lord.“
                „Kümmert euch bitte einstweilen um meinen Freund hier. Ich fürchte er ist noch sehr schwach“, sagte ich und deutete auf Maddox. „Selbstverständlich.“
                Man führte mich in eine Art Baracke. Sobald Kingsley und Cooper mich sahen, dachte ich sie würden sich sofort auf mich stürzen.
                „Hamilton! Sie verdammter Hurensohn!“, schrie Cooper.
                „Immer mit der Ruhe“, sagte ich. „Das war die einzige Möglichkeit, die Informationen doch noch aus Maddox herauszubekommen. Die zwei Wochen die ihr mir gegeben habt sind einfach zu wenig. Ich brauche noch mehr Zeit. Sobald er sich in England eingewöhnt hat, wird er mir schon alles erzählen, keine Sorge. Außerdem muss ich sowieso nach Hause um eine weitere Expedition finanzieren zu können.“
                „Und deshalb lassen Sie uns einbuchten!“, fauchte Kingsley. „Netter Geschäftspartner sind Sie.“
                „Ich fürchtete mit Worten werde ich Sie nicht überzeugen können. Trotzdem steht unser Deal noch. Er musste nur etwas modifiziert werden. Hören Sie, ich werde dem Colonel sagen, dass alles nur ein großes Missverständnis meinerseits war, wir aber trotzdem abzureisen gedenken.“
                „Und woher wissen wir, dass Sie uns nicht wieder reinlegen wollen? Sie könnten doch auch alleine zum Bundu reisen.“
                „Sie Beide stehen unter Vertrag beim Ford Jesus. Glauben Sie allen Ernstes, dass ich ohne Simmens eine Expedition in die Massai Mara starten kann? Ich bin auf Sie genauso sehr angewiesen wie Sie auf mich. Sobald ich in England bin werde ich mich mit Mister Hamilton in Dover treffen. Er wird alles Weitere arrangieren. Ich bin sicher in zwei, drei Monaten kehren wir nach Afrika zurück. Mit den gewünschten Informationen.“
                „Und was ist, wenn Maddox nicht redet?“
                „Nun, da gibt es in England wohl weitaus subtilere und zielführendere Methoden als Ihre Gewalt hier in Afrika. Lassen Sie mich nur machen, meine Herren. In einem Jahr werden wir drei reich sein.“

                „Du siehst also“, endete George seine Erzählung. „Es gibt überhaupt keinen Grund zur Sorge. Der Colonel war froh, als ich ihm mitteilte, dass alles nur ein Missverständnis ist. Stanton und Clystock freuen sich auf eine weitere, noch größere Jagd. Und ich werde mit den beiden Großwildjägern bald den Schatz der Bundu’hima heben.
                Einstweilen sind wir beide wohl DAS Stadtgespräch. Der Löwenmann in unserem Haus, dazu noch die Hochzeit unserer Tochter mit Lord Ashcroft. Was willst du mehr? Wir haben alles unter Kontrolle.“
                Anscheinend hatte es George tatsächlich geschafft Sophia auf seine Seite zu ziehen. Auf jeden Fall setzte ihr Gesicht wieder ein Lächeln auf.
                „Das heißt wir werden bald die reichsten Leute Londons sein?“, fragte sie.
                „Natürlich“, lächelte George und ergriff ihre Hand. „Alle werden uns beneiden. Sogar die Königin.“

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                  #9
                  Im ZDF läuft gerade der 2011 gedrehte TV Film "Die Lõwin". Mit der grossen Ausnahme, dass der Film in der Gegenwart spielt und es in meiner Geschichte um eine britischen Mann anstelle einer deutschen Frau.geht, gibt es etliche Gemeinsamkeiten.

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                    #10
                    Ich werde mir die Geschichte innerhalb der nächsten zehn Tage mal in Ruhe durchlesen.
                    Feedback erfolgt danach.
                    Ich mag Menschen... wenn es nicht zu viele sind. Laut dürfen sie auch nicht sein. Kleine Friedhöfe sind schön.

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                    Kommentar


                      #11
                      Dankeschön. Würde mich seeehr freuen. Wobei ich gleich sage, viel mehr als halbwegs unterhaltsam finde ich sie heute nicht mehr. War eher vor 15 Jahren meine Anfangszeit als Autor (finde ich "Koma" oder "Osmas Fluch" weitaus gelungener, welche ich zwischen dem Löwenmann und meinem Mammut-Projekt, "Die Jesus Erinnerungen", gschrieben habe, weit besser). Ausserdem habe ich die Geschichte anscheinend auch mangels Interesse nichtbfertig gepostet. Kann ich gerne bei Bedarf nachliefern. Fehlen noch ca. 2/3.
                      Zuletzt geändert von HanSolo; 13.05.2021, 11:45.

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                        #12
                        Zitat von HanSolo Beitrag anzeigen
                        Dankeschön. Würde mich seeehr freuen. Wobei ich gleich sage, wirklich mehr als halbwegs unterhaltsam finde ich die nicht wirklich. War eher vor 15 Jahren meine Anfangszeit als Autor (finde ich "Koma" oder "Osmas Fluch" weitaus gelungener, welche ich zwischen dem Löwenmann und meinem Mammut-Projekt, "Die Jesu Erinnerungen" gschrieben habe, weit besser). Ausserdem hab ich die Geschichte insgesamt anscheinend auch nicht mangels Interesse fertig gepostet. Kann ich gene per Bedarf nachliefern. Fehlen noch ca. 2/3.
                        "Wat dem een siin Uhl, is dem annern siin Nachtigall", heißt et opp Plattdüütsch..
                        Ich lese was da ist und sage dann Bescheid, ob ich den Rest brauche.

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                          #13
                          Ich muss zugeben, dass ich irgendwann den Faden verlor und gemerkt habe: Das ist nicht meins.
                          Das hat nichts mit der Qualität der Geschichte zu tun, sondern ausschließlich damit, dass das Thema dann am Ende doch nicht meinen Geschmack getroffen hat. Sorry
                          Darum kann ich dazu jetzt auch wenig Sinnvolles anmerken. Außer, dass mir die Art der Dialoge gefiel.
                          Ich mag Menschen... wenn es nicht zu viele sind. Laut dürfen sie auch nicht sein. Kleine Friedhöfe sind schön.

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                            #14
                            Kein Problem, trotzdem danke für den Versuch.

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