Wer hat außer mir noch das Privileg genossen "Die Verwandlung" zu lesen ? Falls es solche Leute gibt mögen sie hier ihr Meinung zu diesem großen literarischen Machwerk kund tun. Folgend nun eine Interpretation des Textes von Marius Lübbe aka molily , aus meiner ehemaligen Jahrgangsstfe, welche auch in der Schulzeitung erschien:
"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt."
Schon mit dem ersten Satz, mit dem Franz Kafka den Leser seiner Erzählung ins Geschehen wirft, leitet er diese phantastische Abscheulichkeit, die aber nur das einzig Imaginäre bleiben soll, ein, denn es scheint so, als wäre die restliche Geschichte nur die Schilderung der Folgen für den Verwandelten sowie seine Umwelt.
Gregor Samsa, dessen Verwandlung wie die Manifestation eines enthüllenden Auflehnungs- und Befreiungstraums scheint, muss seit dem Zusammenbruch des Geschäftes seiner Eltern als Handelsreisender das kleinbürgerliche Leben seiner Familie, seinem stark autoritär-patriarchalischen Vater, seiner Mutter und seiner jungen Schwester finanzieren, wobei diese unmenschliche, ausbeutende Arbeit zur Ernährung der nicht arbeitenden Familie und Schuldentilgung Gregors einzige Funktion, die Funktion seiner Existenz, ist.
Dieser "unheilvolle Zauber", das anscheinende ungerechte Schicksal, von dem Gregor schuldlos getroffen wird, tritt jedoch zweischneidig auf, teils als die Befreiung seines Körpers aus der ins Kritische vorangeschrittenen Selbstentfremdung - oder das innere Fremde wird zum Herr -, teils als die durch die Verwandlung resultierende Unmöglichkeit der Fortführung seines alltäglichen Lebens, was die Frage zulässt, in wie weit dies eine Flucht, also ein möglicher Ausweg, oder nur ein weiterer Schritt des Zugrundegehens ist.
So erwacht Gregor diesen Morgen nun als Insekt, als Mistkäfer, als Ungeziefer. Doch das Verwunderliche ist, wie scheinbar alltäglich er zunächst mit dieser verzerrten neuen Wirklichkeit, dem unfassbaren Zustand seiner neuen Körperlichkeit, umzugehen versucht - denn es ist "kein Traum", auch wenn er zuerst annimmt, es sei nur Einbildung. Er ist durch die Unbeherrschbarkeit seines schabenartigen Körpers unfähig, aus dem Bett zu steigen, seine Familie bemerkt Gregors Verspätung und Vater, Mutter und Schwester klopfen wie wild an die Türen seines Zimmers, ihn darauf aufmerksam machend, dass er den Zug zur Arbeit verpasst habe und besorgt um ihn und darüber, dass er die der Familie überlebenswichtige Arbeitsstelle verlieren könnte. Mit großer Anstrengung schleppt sich Gregor zur Zimmertür, denn mittlerweile ist sogar der Prokurist, ein hoher Vorgesetzter, gekommen, um ihn durch die Tür von der Verhängnishaftigkeit seines Starrsinns und seines scheinbar beabsichtigten Fehlens bei der Arbeit zu unterrichten. Alsbald öffnet Gregor mit Hilfe seiner Insektenkiefer die Tür und erschreckt seine Familie und den sofort sich verängstigt und schockiert davonschleichenden Prokuristen mit seinem Anblick, versuchend, seinen guten Willen zu erklären, doch sofort zeigt sich die schicksalhafte Kommunikationsunfähigkeit, denn man nimmt sein Reden nur als Tierlaute wahr. Gregors Vater treibt ihn vorerst mit aggressiven Gesten zurück in sein Zimmer, als ob er nicht realisieren will, dass dieses abscheuliche Käferwesen der verwandelte Sohn ist.
Von nun an wird das Zimmer Gregors Domizil, der Ort seiner Gefangenschaft. Alleinig durch seine mitfühlende Schwester mit Nahrung versorgt, denn seine Eltern scheuen seinen von Ekel erfüllten Anblick, wird Gregor eine nutzlose Belastung der Familie, sowohl finanziell als auch emotional. Vater, Mutter und auch Gregors erst 17-jährige Schwester müssen nun Arbeiten annehmen. Doch bei der Entfernung der Möbel aus seinem Zimmer, von der sich Schwester und Mutter eine größere Freiheit für Gregor zum Kriechen über Wände und Decke erhoffen, kommt es zu einem ungewolltem Ausbruch Gregors, und der heimkehrende Vater geht diesmal durch das Werfen von Äpfeln gegen Gregor vor, wovon ihn einer schwer verletzt, bevor er sich wieder in sein Zimmer retten kann.
So nimmt nun auch in der darauffolgenden Zeit die Fürsorge seiner Schwester ab, man nutzt Gregors Zimmer als Speicher für Abfall und Unrat, die Familie muss zudem mehr Nachteile hinnehmen, die aus Gregors Lohnwegfall resultieren, ein Zimmer muss untervermietet werden. Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit steigen, er isst nun gar nichts mehr, wird immer schwächer, der tief im Fleisch sitzende Apfel peinigt ihn mehr und mehr.
Als dann Gregors geliebte Schwester zur Unterhaltung der von Gregors Existenz unwissenden Untermieter auf ihrer Violine vorspielt, verlässt er, gleichgültig was die anderen denken mögen, sein Zimmer, um ihrem Spiel, seiner sehnsüchtiger Nahrung, zu lauschen. Daraufhin, durch diese erneute Flucht, die von seinen Eltern erneut als Boshaftigkeit gedeutet wird, verliert auch seine Schwester jegliches Verständnis, so ist es nun sie, die nüchtern, die Menschlichkeit Gregors leugnend, feststellt: "Wir müssen es loszuwerden suchen", "weg muß es".
Während die Familie noch von der Ausweglosigkeit benommen ist, kriecht Gregor resignierend zurück in sein Zimmer. Fast gefasst, beruhigt und schmerzlos, jedoch ohne Anschein einer finalen (Selbst-)erkenntnis, stirbt er einen geradezu erlösenden Tod, in verschiedener Hinsicht.
Als dann am nächsten Morgen sein regloser Leichnam entdeckt wird - "es ist krepiert" -, fühlt sich seine Familie erleichtert und plant einen Neuanfang, sofort ist der Blick wieder optimistisch in die Zukunft gerichtet.
Es ist über elf Jahre her, als im Enterich das letzte Mal über Franz Kafkas Werke berichtet wurde. In einem offenen Brief an den natürlich schon verstorbenen Kafka wurde unter dem vielsagenden Titel "Ein Bericht für einen psychopathen Schriftsteller" des Autors Unverständnis bezüglich Kafkas Erzählung "Das Urteil" ausgedrückt. Sicherlich wäre es auch für das Verständnis der "Verwandlung" hilfreich, Kafka als schlichtweg verrückt und krankhaft irre zu bezeichnen, jedoch wäre das eine recht unangemessene Art, mit diesem einzigartigen Anti-Märchen umzugehen, auch wenn es auf den Leser anfangs äußerst befremdlich wirken mag.
Denn bei der "Verwandlung" muss man das Schreckliche als Erscheinungsform der Ästhetik annehmen, Kafka notierte in den Briefen an seine Verlobte Felice Bauer: "Ein wenig fürchterlich" und "ekelhaft ist [die Verwandlung] grenzenlos". Ohne die Erzählung näher zu kennen, mag die Beschreibung des sich in ein Insekt verwandelnden Gregor Samsa durchaus Abscheu verursachen, oder besser gesagt, überzogen phantastisch und widersinnig. Man muss bedenken, dass gerade durch die Unfähigkeit der Familie, mit Gregors neuer Gestalt umzugehen und durch die Verleugnung seines Menschseins Gregor den Tod finden muss, wenn auch möglicherweise selbstgewählt, da er das Unvermögen der Toleranz seiner Mitmenschen erkannt hat.
Doch interessant wird es dadurch, dass das Groteske als alltäglich angenommen wird, der Leser ist hin- und hergeworfen im dem absurden Wechselspiel von Komik und Tragik, es mag sogar Momente beim Lesen geben, in denen man ein lautes Lachen ausstoßen möchte.
Denn trotz dem Fehlen jeglicher gewöhnlicher und gewohnter Gefühlssprache wirkt der Text ungemein gefühlsvoll, was für mich persönlich die stärkste Faszination ausmacht. Gerade diese spezielle Emotionalität, vermittelt durch extrem sachlich-nüchterne Erzählweise, stellt einen bittersten Ausdruck der Traurigkeit und Ausweglosigkeit dar. Das Schicksal des Verwandelten löst nicht zuletzt beim Leser Mitleid und Ekel zugleich aus.
Der metamorphe Charakter der Verwandlung wirft zudem dringende Fragen auf. Der Auslöser der Verwandlung mag ein unbewusster Wunsch gewesen sein, den zuvor verdrängten Qualen des Alltags zu entgehen, der Körper versucht sich der Entfremdung zu entledigen. Desintegriert in seine Umwelt, woraus die Isolation bedingt ist, lebte der nun Verwandelte in einer Knechtschaft und in einer Unterordnung gegenüber Autoritäten. Menschliche Wärme fehlte, rücksichtslos gegenüber sich selbst folgte er sich opfernd einer falschen, ihm fremden Pflicht. Das sich in Fremdherrschaft befindende Individuum findet durch diesen sonderbaren Zufall oder gar verhängnisvolle Schicksal zwar eine Art Erkenntnis, aber ein Ausweg oder gar eine Lösung offenbart sich ihm nicht. Eine Rückverwandlung bleibt aus, die Unterwerfung siegt schließlich und nur der Tod durch Selbstaufgabe bietet eine Flucht, denn auch die Verwandlung ist so quälend wie die Realität, der sich der Verwandelte zu entziehen versuchte. Sie stellte nur eine weitere Gefangenschaft dar, diesmal weil die Umwelt keine Rückbesinnung auf das Ich zulässt: man erkennt die durch die Verwandlung freigelegte Problematik seiner Existenz nicht. Erkennt der Leser sie?
Für jeden, der sich möglicherweise nach Zerstreuung sehnt, mag dieses Buch genau das richtige sein. Es ist zu empfehlen, die Erzählung in einer Nacht durchzulesen, natürlich isoliert, denn so versetzt man sich in die gleiche Lage, in der Franz Kafka das Werk verfasst hat, denn die Wirkung des Textes wird durch assoziationsreiche Halbschlafphasen, wie sie auch möglicherweise Kafka erlebte, bedeutend intensiviert. Angst und Verwirrung stellen sich ein und das hoffnungslose Ende wirkt ebenso beklemmend und entmutigend, dennoch sollte man sich diesem Erlebnis nicht verschließen. Denn nach dem anschließenden möglicherweise unruhigen Schlaf kann man erleichtert mit der Gewissheit aufwachen, die Welt am Morgen unverwandelt vorzufinden. Mit der festen Gewissheit, dass Kafkas "Verwandlung" nur ein albernes Hirngespinst ist, seine Mahnungen unbegründet und Verwandlungen nur Phantasmen eines Psychopathen sind und weder passieren noch von Nöten sind, kann man sich wieder mit den nützlichen Dingen beschäftigen. Wie Gregor Samsas Laubsägearbeiten.
Marius Lübbe
"Als Gregor Samsa eines Morgens aus unruhigen Träumen erwachte, fand er sich in seinem Bett zu einem ungeheuren Ungeziefer verwandelt."
Schon mit dem ersten Satz, mit dem Franz Kafka den Leser seiner Erzählung ins Geschehen wirft, leitet er diese phantastische Abscheulichkeit, die aber nur das einzig Imaginäre bleiben soll, ein, denn es scheint so, als wäre die restliche Geschichte nur die Schilderung der Folgen für den Verwandelten sowie seine Umwelt.
Gregor Samsa, dessen Verwandlung wie die Manifestation eines enthüllenden Auflehnungs- und Befreiungstraums scheint, muss seit dem Zusammenbruch des Geschäftes seiner Eltern als Handelsreisender das kleinbürgerliche Leben seiner Familie, seinem stark autoritär-patriarchalischen Vater, seiner Mutter und seiner jungen Schwester finanzieren, wobei diese unmenschliche, ausbeutende Arbeit zur Ernährung der nicht arbeitenden Familie und Schuldentilgung Gregors einzige Funktion, die Funktion seiner Existenz, ist.
Dieser "unheilvolle Zauber", das anscheinende ungerechte Schicksal, von dem Gregor schuldlos getroffen wird, tritt jedoch zweischneidig auf, teils als die Befreiung seines Körpers aus der ins Kritische vorangeschrittenen Selbstentfremdung - oder das innere Fremde wird zum Herr -, teils als die durch die Verwandlung resultierende Unmöglichkeit der Fortführung seines alltäglichen Lebens, was die Frage zulässt, in wie weit dies eine Flucht, also ein möglicher Ausweg, oder nur ein weiterer Schritt des Zugrundegehens ist.
So erwacht Gregor diesen Morgen nun als Insekt, als Mistkäfer, als Ungeziefer. Doch das Verwunderliche ist, wie scheinbar alltäglich er zunächst mit dieser verzerrten neuen Wirklichkeit, dem unfassbaren Zustand seiner neuen Körperlichkeit, umzugehen versucht - denn es ist "kein Traum", auch wenn er zuerst annimmt, es sei nur Einbildung. Er ist durch die Unbeherrschbarkeit seines schabenartigen Körpers unfähig, aus dem Bett zu steigen, seine Familie bemerkt Gregors Verspätung und Vater, Mutter und Schwester klopfen wie wild an die Türen seines Zimmers, ihn darauf aufmerksam machend, dass er den Zug zur Arbeit verpasst habe und besorgt um ihn und darüber, dass er die der Familie überlebenswichtige Arbeitsstelle verlieren könnte. Mit großer Anstrengung schleppt sich Gregor zur Zimmertür, denn mittlerweile ist sogar der Prokurist, ein hoher Vorgesetzter, gekommen, um ihn durch die Tür von der Verhängnishaftigkeit seines Starrsinns und seines scheinbar beabsichtigten Fehlens bei der Arbeit zu unterrichten. Alsbald öffnet Gregor mit Hilfe seiner Insektenkiefer die Tür und erschreckt seine Familie und den sofort sich verängstigt und schockiert davonschleichenden Prokuristen mit seinem Anblick, versuchend, seinen guten Willen zu erklären, doch sofort zeigt sich die schicksalhafte Kommunikationsunfähigkeit, denn man nimmt sein Reden nur als Tierlaute wahr. Gregors Vater treibt ihn vorerst mit aggressiven Gesten zurück in sein Zimmer, als ob er nicht realisieren will, dass dieses abscheuliche Käferwesen der verwandelte Sohn ist.
Von nun an wird das Zimmer Gregors Domizil, der Ort seiner Gefangenschaft. Alleinig durch seine mitfühlende Schwester mit Nahrung versorgt, denn seine Eltern scheuen seinen von Ekel erfüllten Anblick, wird Gregor eine nutzlose Belastung der Familie, sowohl finanziell als auch emotional. Vater, Mutter und auch Gregors erst 17-jährige Schwester müssen nun Arbeiten annehmen. Doch bei der Entfernung der Möbel aus seinem Zimmer, von der sich Schwester und Mutter eine größere Freiheit für Gregor zum Kriechen über Wände und Decke erhoffen, kommt es zu einem ungewolltem Ausbruch Gregors, und der heimkehrende Vater geht diesmal durch das Werfen von Äpfeln gegen Gregor vor, wovon ihn einer schwer verletzt, bevor er sich wieder in sein Zimmer retten kann.
So nimmt nun auch in der darauffolgenden Zeit die Fürsorge seiner Schwester ab, man nutzt Gregors Zimmer als Speicher für Abfall und Unrat, die Familie muss zudem mehr Nachteile hinnehmen, die aus Gregors Lohnwegfall resultieren, ein Zimmer muss untervermietet werden. Trostlosigkeit und Hoffnungslosigkeit steigen, er isst nun gar nichts mehr, wird immer schwächer, der tief im Fleisch sitzende Apfel peinigt ihn mehr und mehr.
Als dann Gregors geliebte Schwester zur Unterhaltung der von Gregors Existenz unwissenden Untermieter auf ihrer Violine vorspielt, verlässt er, gleichgültig was die anderen denken mögen, sein Zimmer, um ihrem Spiel, seiner sehnsüchtiger Nahrung, zu lauschen. Daraufhin, durch diese erneute Flucht, die von seinen Eltern erneut als Boshaftigkeit gedeutet wird, verliert auch seine Schwester jegliches Verständnis, so ist es nun sie, die nüchtern, die Menschlichkeit Gregors leugnend, feststellt: "Wir müssen es loszuwerden suchen", "weg muß es".
Während die Familie noch von der Ausweglosigkeit benommen ist, kriecht Gregor resignierend zurück in sein Zimmer. Fast gefasst, beruhigt und schmerzlos, jedoch ohne Anschein einer finalen (Selbst-)erkenntnis, stirbt er einen geradezu erlösenden Tod, in verschiedener Hinsicht.
Als dann am nächsten Morgen sein regloser Leichnam entdeckt wird - "es ist krepiert" -, fühlt sich seine Familie erleichtert und plant einen Neuanfang, sofort ist der Blick wieder optimistisch in die Zukunft gerichtet.
Es ist über elf Jahre her, als im Enterich das letzte Mal über Franz Kafkas Werke berichtet wurde. In einem offenen Brief an den natürlich schon verstorbenen Kafka wurde unter dem vielsagenden Titel "Ein Bericht für einen psychopathen Schriftsteller" des Autors Unverständnis bezüglich Kafkas Erzählung "Das Urteil" ausgedrückt. Sicherlich wäre es auch für das Verständnis der "Verwandlung" hilfreich, Kafka als schlichtweg verrückt und krankhaft irre zu bezeichnen, jedoch wäre das eine recht unangemessene Art, mit diesem einzigartigen Anti-Märchen umzugehen, auch wenn es auf den Leser anfangs äußerst befremdlich wirken mag.
Denn bei der "Verwandlung" muss man das Schreckliche als Erscheinungsform der Ästhetik annehmen, Kafka notierte in den Briefen an seine Verlobte Felice Bauer: "Ein wenig fürchterlich" und "ekelhaft ist [die Verwandlung] grenzenlos". Ohne die Erzählung näher zu kennen, mag die Beschreibung des sich in ein Insekt verwandelnden Gregor Samsa durchaus Abscheu verursachen, oder besser gesagt, überzogen phantastisch und widersinnig. Man muss bedenken, dass gerade durch die Unfähigkeit der Familie, mit Gregors neuer Gestalt umzugehen und durch die Verleugnung seines Menschseins Gregor den Tod finden muss, wenn auch möglicherweise selbstgewählt, da er das Unvermögen der Toleranz seiner Mitmenschen erkannt hat.
Doch interessant wird es dadurch, dass das Groteske als alltäglich angenommen wird, der Leser ist hin- und hergeworfen im dem absurden Wechselspiel von Komik und Tragik, es mag sogar Momente beim Lesen geben, in denen man ein lautes Lachen ausstoßen möchte.
Denn trotz dem Fehlen jeglicher gewöhnlicher und gewohnter Gefühlssprache wirkt der Text ungemein gefühlsvoll, was für mich persönlich die stärkste Faszination ausmacht. Gerade diese spezielle Emotionalität, vermittelt durch extrem sachlich-nüchterne Erzählweise, stellt einen bittersten Ausdruck der Traurigkeit und Ausweglosigkeit dar. Das Schicksal des Verwandelten löst nicht zuletzt beim Leser Mitleid und Ekel zugleich aus.
Der metamorphe Charakter der Verwandlung wirft zudem dringende Fragen auf. Der Auslöser der Verwandlung mag ein unbewusster Wunsch gewesen sein, den zuvor verdrängten Qualen des Alltags zu entgehen, der Körper versucht sich der Entfremdung zu entledigen. Desintegriert in seine Umwelt, woraus die Isolation bedingt ist, lebte der nun Verwandelte in einer Knechtschaft und in einer Unterordnung gegenüber Autoritäten. Menschliche Wärme fehlte, rücksichtslos gegenüber sich selbst folgte er sich opfernd einer falschen, ihm fremden Pflicht. Das sich in Fremdherrschaft befindende Individuum findet durch diesen sonderbaren Zufall oder gar verhängnisvolle Schicksal zwar eine Art Erkenntnis, aber ein Ausweg oder gar eine Lösung offenbart sich ihm nicht. Eine Rückverwandlung bleibt aus, die Unterwerfung siegt schließlich und nur der Tod durch Selbstaufgabe bietet eine Flucht, denn auch die Verwandlung ist so quälend wie die Realität, der sich der Verwandelte zu entziehen versuchte. Sie stellte nur eine weitere Gefangenschaft dar, diesmal weil die Umwelt keine Rückbesinnung auf das Ich zulässt: man erkennt die durch die Verwandlung freigelegte Problematik seiner Existenz nicht. Erkennt der Leser sie?
Für jeden, der sich möglicherweise nach Zerstreuung sehnt, mag dieses Buch genau das richtige sein. Es ist zu empfehlen, die Erzählung in einer Nacht durchzulesen, natürlich isoliert, denn so versetzt man sich in die gleiche Lage, in der Franz Kafka das Werk verfasst hat, denn die Wirkung des Textes wird durch assoziationsreiche Halbschlafphasen, wie sie auch möglicherweise Kafka erlebte, bedeutend intensiviert. Angst und Verwirrung stellen sich ein und das hoffnungslose Ende wirkt ebenso beklemmend und entmutigend, dennoch sollte man sich diesem Erlebnis nicht verschließen. Denn nach dem anschließenden möglicherweise unruhigen Schlaf kann man erleichtert mit der Gewissheit aufwachen, die Welt am Morgen unverwandelt vorzufinden. Mit der festen Gewissheit, dass Kafkas "Verwandlung" nur ein albernes Hirngespinst ist, seine Mahnungen unbegründet und Verwandlungen nur Phantasmen eines Psychopathen sind und weder passieren noch von Nöten sind, kann man sich wieder mit den nützlichen Dingen beschäftigen. Wie Gregor Samsas Laubsägearbeiten.
Marius Lübbe
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