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Dass dadurch echte Kreativität, die noch in vergangenen Jahrzehnten immer wieder bunte und ungewöhnliche Blüten treiben konnte, weitgehend auf der Strecke bleibt ist aber leider ein Nebeneffekt, den ich als Gefahr für das Kino, das mir am Herzen liegt, betrachte und dementsprechend alles andere als gut heiße. Und auch wenn das derzeitige Finanzierungsmodell überall vorherrscht, ist es dennoch nicht das einzig mögliche.
Das Problem ist einfach, dass eine generelle, schablonenhafte Ausrichtung am vermeintlichen Massengeschmack letztendlich eine überaus kulturfeindliche Wirkung zeigt. Für mich persönlich hat das bereits dazu geführt, dass ich sowohl am Radio als auch am Fernsehn mittlerweile nahezu kein Interesse mehr habe und wenn ich bedenke, dass ich noch in den 1990ern mindestens zweimal im Monat ins Kino gegangen bin, sehe ich, dass sich das inzwischen auf maximal 3-4 mal im Jahr reduziert hat. Ich frage mich, wie vielen Filmfans alter Schule es wohl genauso geht.
Ein weiterer Umstand, der mit dieser Entwicklung einher geht ist, dass sich das Publikum an die verminderte inhaltliche und kreative Qualität gewöhnt hat und die Nachfrage nach besseren Filmen schwindet. Das ist nicht allein dem Publikum anzulasten, das ja teilweise gar nichts anderes mehr kennt, weil das Alternativangebot minimal bis gar nicht vorhanden ist.
Multiplex-Kinos treiben auch noch das letzte Programmkino in die Pleite, wo man neben Independent-Filmen auch hin und wieder einige Filmklassiker sehen konnte. In Göttingen, das einmal für seine vielen Programmkinos in der Innenstadt bekannt war, hat beispielsweise letzten Monat gerade erst das letzte seiner Art dicht machen müssen.
Das Problem an Programmkinos ist aber auch oft, dass diese ein gern anderes Extrem bedienen, nämlich extrem schwer zugängliche, zähe und schlichtweg langweilige Filme zeigen. Etwas zwischen Kommerz und Hochkultur existiert kaum noch. Selten kommt ein großer Film ins Kino, der die Schnittstelle zwischen beidem findet. In Avatar sehe ich so einen Film.
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Ein Film, der den Kunstanspruch völlig zurückweist und mehr Nähe zum Zirkus als zum Theater aufweist, nutzt die Möglichkeiten des Mediums in meinen Augen ziemlich schlecht und ist als Literaturform einfach unbrauchbar.
Einen solchen Film kann ich nicht mit anderen Filmen, die sehr wohl besagten Anspruch mitbringen, vergleichen. Insofern kann ich den neuen Star Trek-Film im Grunde den alten Trek-Filmen gar nicht gegenüberstellen. Letztere bringen alle wenigstens noch einen Funken literarischer Bedeutung mit sich. Den neuen Film kann man dann höchstens mit einer Show von David Copperfield oder einem Besuch im Zirkus vergleichen. Dann braucht man aber auch nicht behaupten, er wäre der Beste aller Star Trek - Filme, wie es manche praktizieren, denn das kann dann so gesehen nicht stimmen.
Als Attraktionsshow mag der Film seine Lobeshymnen, die allerorten auf ihn gesungen werden, verdient haben, als Filmkunstwerk auf gar keinen Fall.
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Gerade in Sullys Figur und der Avatar-Technologie zeigt sich beispielsweise, wie Cameron den alten Mythos vom seiner Natur entfremdeten Menschen, der zu seinen eigenen Wurzeln zurück findet und als Auserwählter ein neues Zeitalter einläutet auf moderne Lebensumstände überträgt und ausbaut.
Sullys Lähmung steht dabei sinnbildlich für eine "verkrüppelte" Zivilisation, die ohne ihre Technik nicht mehr imstande ist, zu laufen. Sully steht für den sich selbst entfremdeten Menschen. Der Mensch hat sich so weit von seinen Ursprüngen entfernt, dass er entweder selbst zur Maschine wird und maschinell funktioniert, wie etwa die dargestellten Militärs oder er fühlt eine tiefe Unzufriedenheit, weil ihm Naturverbundenheit und Spiritualität abhanden gekommen sind.
Die Avatar - Technologie baut ihm eine Brücke, sich neu zu definieren. Das lässt sich durchaus auch als Anspielung darauf betrachten - zumal der Begriff Avatar sowohl der religiösen Sprache als auch dem Internetjargon entlehnt ist und die Na'vi komplett Computeranimiert sind - dass sich das Leben heutiger Menschen immer mehr im virtuellen Raum abspielt, weil man dort versucht, Dinge zu finden, die im "wahren" Leben längst abhanden gekommen sind.
Wenn jetzt also ausgerechnet Sully zum neuen Anführer der Na'vi wird, kann man das auf symbolischer Ebene durchaus auch so verstehen, dass der moderne, zivilisierte, hochtechnologisierte Mensch, würde er innerhalb seiner neuen Lebensumstände wieder zu einem ursprünglichen Daseinsbewusstsein gelangen, weit über sich hinaus wachsen könnte.
Es geht in meinen Augen nämlich gerade nicht darum, die Na'vi als die besseren Menschen darzustellen und die romantische Vorstellung vom "edlen Wilden" auf sich beruhen zu lassen, sondern eher darum, dass der heutige Mensch gefahr läuft seinen Daseinszweck, seine Bedeutsamkeit für sich selbt, seine Spiritualität, seine Verbindung zu essentiellen Lebensfragen aus den Augen zu verlieren und dass er sich bei aller Moderne immer wieder seiner Wurzeln erinnern sollte, wenn er nicht Sklave der Maschinerie werden will, die er selbst entworfen hat.
Cameron stellt zu diesem Zweck zwei Extreme gegenüber.
Einmal die pragmatische, kapitalorientierte, rein wirtschaftlich-maschinell und dabei wenig menschlich funktionierende Geisteshaltung der Globalisierung und des Neoliberalismus, symbolisiert durch Quaritch, der sozusagen dem Zuschauer die hässliche Fratze des imperialistischen Ausbeutertums überdeutlich in all ihrer Unmenschlichkeit und Borniertheit vor Augen führt.
Auf der anderen Seite die idealisierte Vorstellung des naturalistischen, mit sich und seiner Umwelt im Einklang lebenden, friedliebenden Menschen, der einem unschuldigen Kind gleicht. Die Na'vi sind auch nicht nur zum Spaß in Blau gehalten, denn sie symbolisieren im Grunde das Ideal natürlicher Urspünglichkeit der Romantik - Novalis' "blaue Blume".
Natürlich sind das Überspitzungen in beide Richtungen, schon fast Karrikaturen und meinetwegen kann man sie auch ruhig als Klischees betrachten. Diese sind allerdings bewusst gewählt, um etwas nachhaltig zu verdeutlichen. Das ist typisch für eine mythologische Sprach- und Symbolwelt, die Verdichtung des Wesentlichen auf ein griffiges Bild und die damit einher gehende Übertreibung.
Das verbindende Element ist aber Sully, der für die Mischung beider Welten steht. Wenn man den Film auf eine simple Botschaft reduzieren will, dann weniger auf seine selbstverständlich ebenfalls präsente ökologische Dimension oder sein politisches Statement, sondern besser auf den Satz: "Mensch, bewahre dir, was dich ausmacht - deine Menschlichkeit."
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Aber zur Sache. Ein paar Sichtweisen habe ich ja gerade erläutert, aber es gibt da durchaus noch etwas mehr. Ich gehe gleich darauf ein.
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Wie bereits erwähnt bezieht der Film einen Großteil seiner Symbolik aus der Epoche der Romantik. Für die Romantik ist Natur aber ein Symbol für Urspünglichkeit und steht nicht nur für sich allein. So sehe ich das auch in Avatar. Die ins Extreme - durchaus bin ins Kitschige - übersteigerte Schönheit der Natur Pandoras - im Gegensatz zur tristen Erde - verstärkt auf der Ebene der Ortsbeschreibung das Thema der Entfremdung des modernen Menschen von seinen Ursprüngen.
Das ist z.B. einer der Momente wo Bildebene und Handlungsebene direkt ineinander greifen und sich gegenseitig verstärken. Genau diese Mehrschichtigkeit sehe ich als das Kunstvolle an diesem Film an.
Ich würde auch das mit der New-Age-Religion z.B. gar nicht so konkret betrachten, sondern auch diesen Teil der Geschichte eher als etwas Übertragenes sehen, das zu einer bestimmten Aussage führt.
In meinen Augen geht es um Folgendes: Cameron liegt offenbar sehr viel daran, mit allen Mitteln Empathie für die Unterdrückten und Ausgebeuteten zu erzeugen.
Für viele Naturvölker stellt ihr unmittelbarer Lebensraum etwas Heiliges dar. Bestimmte religiöse Vorstellungen und Riten sind an bestimmte Orte und Lebensumstände geknüpft, die die Identität dieser Völker bestimmen und ihre eigenständige Kultur ausmachen. All das nimmt man ihnen - man zerstört ihre Identität - indem man sie aus ihrem Lebensraum vertreibt, um an diverse Rohstoffe zu gelangen.
In unseren westlichen Zivilisationen ist ein solches Denken wenig präsent und erst recht nicht unbedingt verständlich. Indem Cameron die Religion der Na'vi als etwas real Existierendes darstellt, verdeutlicht er gleichzeitig, welchen immensen Schaden unsere Konzerne z.B. in diversen Gebieten des Regenwaldes unter den dort ansässigen Stämmen anrichten, der weit darüber hinaus geht, den Leuten ihr Land zu nehmen. Für die Inianderstämme Südamerikas oder diverse afrikanische Stämme etc.. sind diese spirituellen Dinge, die an ihren Lebensraum geknüpft sind, real - so real wie eben für die Na'vi ihr Lebensbaum. Das hat wenig mit New Age zu tun, sondern will in meinen Augen eher darauf hinweisen, dass wir, die wir uns für so zivilisiert halten, dort ganze Kulturen zerstören.
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Gerade durch den 3D-Effekt ist es gewissermaßen der Zuschauer selbst, der durch die Augen eines Avatars die Welt von Pandora erkundet und ironischerweise über die größtmögliche Künstlichkeit ein Gefühl von Natur erfährt. Dieses Paradoxon allein wäre bereits eine eigene Analyse wert.
Immerhin besitzen Kunst und Phantasie in der Romantik einen unglaublich hohen Stellenwert. Besteht vielleicht die eigentliche Natur des Menschen darin, Träume zu erschaffen, Phantasie hervor zu bringen, zwischen Kreativität und Realität eine Brücke zu schlagen und das Leben vielfältiger zu machen?
Der Film bietet in meinen Augen unglaublich viele Denkanstöße, sofern man sich darauf einlassen möchte. Dabei ist auch völlig egal, ob Cameron das alles intendiert hat. Wichtig ist nur, dass alles zu miteinander verwoben ist, dass unterschiedlichste Deutungen möglich sind und man sich mit dem Symbolgehalt des Films unendlich lange beschäftigen kann.
Schließlich beinhaltet der Film ja auch noch einige weitere Referenzen, wie die griechische Mythologie, biblische Stoffe, die Pocahontas-Legende. Besonders bei letzterem Bezug finde ich immer interessant, wie Cameron die Parallelen zum Vorwurf gemacht werden, obwohl sie gerade beabsichtigt sein dürften, um seine Aussagen zu verstärken. Schließlich zieht der Film dadurch eine Parallele zwischen der unrühmlichen amerikanischen Historie und der heutigen Ausbeutung diverser Naturvölker. Es ist gewissermaßen das selbe Lied, das gespielt wird und solange sich daran nichts ändert, muss man es auch immer wieder zur Sprache bringen.
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Nur möchte ich es auch nicht so stehen lassen, als würde ich nicht wissen, wovon ich spreche. Also, ich hoffe, meine Ausführungen sind in der Lage, ein wenig den Blick dafür zu öffnen, wovon ich die ganze Zeit spreche. Das heißt ja nicht, dass man es ebenso sehen muss, aber was mir an dem Film gefällt ist, dass man es kann. Bei Star Trek bleibt so etwas jedenfalls völlig außen vor.
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