Nach einer kurzen Diskussion im Voyager-Unterforum entstand diese Geschichte, die u.a. einige der offenen Enden nach Endgame abschließen soll.
Viel Spaß damit und haltet euch mit Kommentaren nicht zurück.
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Kapitel 1
Sternzeit 57132.1
Kathryn Janeway unterdrückte ein Seufzen nur knapp. Hätte sie damals, vor ein paar Monaten gewusst, wie langweilig ihr Leben als Admiral werden würde, hätte sie den „Platz in der Mitte“ mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Doch jetzt half es nichts mehr, also war sie hier, in einem der Büros in den oberen Etagen des Sternenflottenhauptquartiers in San Francisco und diskutierte seit geschlagenen drei Stunden über dasselbe Thema. Vermutlich das einzige Thema, dass sie je wieder diskutieren würde:
Die Borg.
„Bei allem Respekt, Admiral, aber ich halte ihre Einschätzung bezüglich des Virus, den sie den Borg anhängen konnten für zu optimistisch“, warf Captain Jonathan Carpenter zum wiederholten Mal ein. Und wie es mit seinen Kommentaren des öfteren der Fall war wurde auch dieser nicht besser, wenn man ihn wiederholte. Carpenter war Kommandant der USS Hawk, einem Akira-Klasse Schiff und hatte vor Jahren bei Wolf 359 seine Familie verloren. Janeway hatte ihn zuvor nicht kennengelernt, aber sie vermutete, dass dieses Trauma ihn entscheidend verändert hatte. Carpenter war genial, aber sein Charakter war ständigen Stimmungsschwankungen unterworfen, was ihn hundertprozentig unberechenbar machte. Seit Wolf 359 und später Typhon hatte er sich zu einem von Starfleets Top-Experten in Sachen Borg entwickelt. Dennoch war sein Name nicht so bekannt wie die der anderen Anwesenden:
Da waren die Captains Picard und Shelby, ersterer mittlerweile ein guter Bekannter von Janeway, letztere eine der ehrgeizigsten Frauen denen die Admiralin je begegnet war. Der Rest der Anwesenden Borg-Experten waren Admiräle. Janeway kannte Owen Paris, Toms Vater, doch die meisten anderen waren ihr unbekannt. Ein paar Zivilisten in der Ecke wirkten auf den ersten Blick deplaziert, aber Janeway hatte zwei gesichter von ihnen erkannt. Eine gemurmelte Frage an Owen Paris hatte die Namen „Dulmer“ und „Lucsley“ zutage gefördert – und ein weiteres temporales Paradoxon. Janeway plante, den beiden nach Ende dieser Diskussion einige Fragen in Bezug auf einen gewissen Henry Starling zu stellen. Sie war sich sicher, exakt diese beiden Gesichter vor über fünf Jahren bei einer Zeitreise in das 20. Jahrhundert gesehen zu haben.
„Captain, ich bin mir sicher dass sie ihre Gründe für diese Annahme haben, aber es gibt angesichts der Daten, die der Admiral uns geliefert hat, keinen Zweifel daran dass das Kollektiv schwere Verluste erlitt. Mit etwas Glück sind die Schäden sogar irreperabel“, entgegnete Paris.
Picard räusperte sich.
„Wir sollten mit solchen Annahmen lieber nicht zu voreilig sein, Admiral. Die Borg werden sich anpassen, früher oder später kommen sie zurück und zu diesem Zeitpunkt müssen die zentralen Machtblöcke im Alpha-Quadranten wieder stabil sein.“
Romulus, dachte Janeway. Sie hatte mit Entsetzen vom Ergebnis dieser Mission der Enterprise gehört und Captain Picard sofort kontaktiert um ihm ihr aufrichtiges Beileid zu bekunden. Sie hatte nur kurz nach ihrer Rückkehr für kurze Zeit mit dem Androiden gearbeitet. Und sie hatte sich verantwortlich gefühlt für seinen Tod, genau wie Picard selbst. Warum man ihn ausgerechnet jetzt zu einer Planung der weiteren Strategie gegen das Kollektiv heranzog war Janeway ein völliges Rätsel.
„Momentan verzeichnet keiner unserer Außenposten am Rand des Föderationsraumes irgendeine Art von Aktivität, selbst die Langstreckensensoren können nicht die kleinste Spur eines Schiffes erfassen. Für mich sieht dass so aus, als hätten wir den Borg eine blutige Nase verpasst“, warf einer der anwesenden Admirals ein.
„Eine treffende Analogie, Admiral. Ein Gegner mit einer blutigen Nase hat zwei Arme mit denen er zurückschlagen kann“, schoss Shelby zurück.
Janeway seufzte kaum hörbar. Also nochmal von vorn...
„Captain Shelby, wir haben die Königin erwischt. Wir haben dem Kollektiv ein tödliches Virus verpasst. Wir haben gesehen, wie der Unikomplex, zusammen mit einem Transwarpnetzwerk in die Luft flog. Welche Beweise brauchen sie denn noch?“
Shelby legte den Kopf leicht schief und blickte Janeway völlig starr in die Augen. Diese Frau besaß ein enormes Talent, sich und ihre Meinung zu präsentieren.
„Sie haben eine Königin vernichtet? Haben sie aus der Verschwörung von Brenda Covington nichts gelernt, Admiral? Eine Königin zu töten ändert nichts. Die Zerstörung des Netzwerks lässt den Borg nach Aussagen von Captain Picard und Miss Hanson noch fünf weitere, die die gesamte Galaxis problemlos abdecken können. Und was das Virus anbelangt: Die Borg haben schon bei anderen Gelegenheiten bewiesen, dass sie sich anpassen können. An jeden wiedrigen Umstand.“
Janeway widerstand dem Reflex, ihre Augen zu verdrehen, griff stattdessen nach ihrer Kaffeetasse und nahm einen tiefen Schluck. Und dann bereitete sie sich darauf vor, die gesamten Fakten nochmal auszubreiten. Und noch einmal. Und immer wieder, solange es nötig war...
Lieutenant Harker hatte vor zwei Monaten seinen Wachdienst auf der USS Voyager angetreten und hatte den entsprechenden Befehl anfangs für einen Witz gehalten. Immerhin lag die Voyager seit ihrer wundersamen Rückkehr auf unbestimmte Zeit im Dock und wurde von den Technikern des Projekts „Geschlossener Kreis“ auseinander genommen. Ein Geisterschiff zu bewachen schien ihm wohl kaum eine karrierefördernde Tätigkeit zu sein. Doch mit der Zeit hatte er sich daran gewöhnt, hier eine ruhige Kugel schieben zu können. Das Schiff lag inmitten eines der größten Dockareale der Föderation, tief in ihrem Zentrum. Hier würde es quasi niemals einen Bruch der Sicherheit geben. Dennoch wollte Harker um nichts im Universum in der Haut seines Vorgängers stecken, der hier Dienst getan hatte, als Admiral Janeway kurz nach ihrer Rückkehr ihr altes Schiff übernommen hatte.
Dieser Gedankengang war schon fast seltsam in Anbetracht der Tatsache, wer da gerade vor ihm materialisierte. Als die Konturen der Person sich gefestigt hatten, trat er von den Transporterkontrollen zurück und salutierte.
„Willkommen an Bord der Voyager, Admiral.“
Kathryn Janeway lächelte und streckte die Hand nach dem jungen Offizier aus.
„Stehen sie bequem, Lieutenant.“
Nach kurzem Zögern ergriff Harker die dargebotene Hand und schüttelte sie. In seiner gesamten Karriere war ihm ein Admiral in Janeways Stil nie untergekommen. Diese Frau strahlte einfach eine mütterliche Atmosphäre aus, wo er die meisten weiblichen Admiräle nicht mal als Schwiegermütter hätte haben wollen. Nicht dass die männlichen Vertreter dieses Dienstgrades in irgendeiner Weise besser wären.
„Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen?“, fragte Janeway grinsend.
„Mit Vergnügen erteilt, Sir.“
Janeway hob protestierend eine Hand.
„Lassen sie das 'Sir', Lieutenant. 'Admiral' oder 'Ma'am' ist mir lieber.“
„Jawohl, Admiral. Was kann ich für sie tun?“
Janeway marschierte in Richtung Tür, ohne auf den Lieutenant zu warten. Harker hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten und holte sie schließlich auf dem Flur ein.
„Ich habe gerade etwas Freiraum und dachte, ich sehe mich auf meinem alten Schiff etwas um. Ich bekomme zwar regelmäßige Updates über den Fortschritt der Arbeiten, aber es ist einfach nicht dasselbe, verstehen sie?“
Harker war von ihrem Verhalten völlig überrascht und wusste einen Moment nicht recht, was er jetzt tun sollte. Dann besann er sich wieder auf seine Ausbildung und den Drill, der auf den anderen Schiffen geherrscht hatte, auf denen er gedent hatte. Er ergriff Janeway vorsichtig am Arm, um sie zu stoppen. Die Admiralin wirbelte herum und für einen Moment blitzte eine instinktive aggressive Reaktion in ihren Augen auf, doch dann schien sie sich zu besinnen und zog nur ihren Arm aus seinem Griff. Sie machte keine Anstalten weiterzugehen.
„Ähhhm, entschuldigen sie, Admiral, aber ich muss ihre Anwesenheit erst mit der Dockkontrolle abgleichen. Eine Standardprozedur.“
Janeway lächelte wieder.
„Natürlich, aber die dürften nicht über meine Anwesenheit hier informiert sein. Ehrlich gesagt ist das hier mehr ein Überraschungsbesuch.“
Harker war zu einem Terminal getreten und hatte damit begonnen, die Verbindung zur Dockkontrolle herzustellen, doch jetzt war er völlig aus dem Konzept gebracht. Ein solcher „Überachungsbesuch“ widersprach dem kompletten Sicherheitsprotokoll. Andererseits war Janeway eine lebende Legende, Ex-Kommandantin dieses Schiffes und ein Admiral zugleich. Konnte er es wagen, ihr diesen Wunsch abzuschlagen? Im Grunde konnte sie ihm einfach befehlen, ihr eine Tour zu geben und er hätte sich vor seinen eigenen Vorgesetzten herausreden können, dass Befehl nun mal Befehl sei. Er drehte sich um – und blickte in die Mündung eines Handphasers.
„Überraschung!“, sagte Janeway, bevor sie abdrückte.
Noch bevor der tote Körper den Boden berührte, heulte der automatische Alarm als Reaktion der internen Sensoren auf den nicht autorisierten Phaserschuss. Doch für den Moment war das der falschen Admiralin egal. Sie aktivierte ihren Kommunikator.
„Janeway an alle Teams: Wie besprochen fortfahren.“
Neben ihr materialisierten drei Personen in Zivilkleidung und mit bajoranischen Phasergewehren in der Hand. Sie wusste, dass an anderen wichtigen Stellen des Schiffes gerade dasselbe passierte. Sie ergriff das Gewehr, dass ihr einer der Männer hinhielt und schob den Phaser in ihr Halfter zurück.
„Hier lang“, befahl sie und steuerte auf einen Turbolift zu. Fast gleichzeitig piepte ihr Kommunikator erneut.
„Hier Janeway, sprechen sie.“
Eine vertraute Stimme antwortete ihr.
„Hanson hier. Das Schiff gehört uns.“
Für den Moment jedenfalls, fügte sie in Gedanken hinzu. Jetzt würde sich ihr Plan entscheiden, ob sie das Schiff zerstören mussten oder es ihnen gehören würde. Sie trat in den Turbolift und befahl dem Computer, sie zur Brücke zu bringen. Ihre Sprachkommandos wurden ohne Probleme akzeptiert.
„Und Computer“, fügte sie hinzu, „schalte diesen Alarm ab!“
Als die Alarmsirenen verstummten, hätte sie kaum zufriedener sein können.
Die echte Kate Janeway war zu diesem Zeitpunkt beinahe verzweifelt ob der Sturheit der anderen Anwesenden. Wieso wollten sie die Fakten einfach nicht einsehen? Mittlerweile hielt sie sich aus dem Streit und den Diskussionen zurück und ließ ihre Gedanken schweifen. Sie beobachtete eine ähnliche Reaktion auf die Diskutiererei bei Captain Picard. Shelby und Carpenter dagegen waren immer noch mit Feuereifer bei der Sache, was sie in keinster Weise verwunderte. Als sie sich zu Admiral Paris umdrehte, sah sie ihn nach seinem Insignienkommunikator greifen und eine leise Unterhaltung führen. Plötzlich jedoch sprang er auf.
„WAS?“, entfuhr es ihm entsetzt.
Plötzlich ruhten alle Augen auf ihm, doch er kümmerte sich nicht darum, sondern ergriff Janeway am Oberarm, zog sie aus dem Stuhl und nach außen.
„Owen, zum Teufel, was ist los?“, fragte sie, schockiert über seine Direktheit.
Er starrte sie an und sondierte ihr Gesicht nach jeder noch so kleinen Reaktion, als er fortfuhr.
„Die Voyager wurde soeben geentert. Sie hat bereits die Startprozeduren eingeleitet, die Sicherheitsteams kommen nicht an Bord und die Dockkontrolle kann sie auch nicht aufhalten.“
Sie hob abwehrend die Hände und setzte ein unschuldiges Grinsen auf.
„Hey, diesmal bin ich unschuldig.“
Paris lachte nicht. Er trat zu einer Wandkonsole und rief eine Datei auf.
„Die hier sagt etwas anderes, Kathryn.“
Und dann hörte Admiral Janeway eine Wiedergabe ihrer eigenen Stimme, wie sie den Enterteams befahl, nach Plan fortzufahren.
„Aber das ist völlig unmöglich!“, rief sie. „Ich war mit ihnen da drin!“ Sie zeigte auf den Besprechungsraum.
„Ich weiß“, beruhigte Paris sie. „Das lässt drei Möglichkeiten: Erstens: Eine ältere Version von ihnen, so wie die Janeway die ihnen beim Erreichen des Alpha-Quadranten half.“
Sie schüttelte energisch den Kopf.
„Ducane würde mich umbringen, wenn ich noch einmal auf seinen Sensoren auftauche. Abgesehen davon sehe ich keinen Grund dafür, in die Vergangenheit zu reisen, um dann ein Schiff zu stehlen. Wofür sollte das gut sein?“
„Ich habe auch keine Ahnung, aber wir müssen alle Möglichkeiten beachten. Zweitens: Ein Klon von ihnen.“
Sie dachte einen Moment nach und schauderte bei dem Gedanken an eine Shinzon-artige Version von ihr. Hatten die Romulaner vielleicht auch von anderen Sternenflotten-Captains Klone erstellt, nur für den Fall der Fälle? Aber sie konnte sich keinen Grund einfallen lassen, warum die Romulaner einen solchen Klon dann ausgerechnet jetzt dafür vergeudeten, ein Schiff zu stehlen, wenn sie diesen Klon dafür benutzen könnten, weit größeren Schaden anzurichten. Vor allem da Janeway jetzt offiziell die Aktivitäten der Sternenflotte entlang der Neutralen Zone koordinierte.
„Das schließe ich auch aus. Das ist der falsche Zeitpunkt und für eine solche Aktion würden die Romulaner den Klon nicht verschwenden.“
Paris schien kurz darüber nachzudenken, ob er sie darauf hinweisen sollte, dass die Romulaner nicht die einzige Rasse mit der ausreichenden Kloning-Technologie waren um solch eine Kopie herzustellen, doch dann gab er sich mit ihrer Antwort zufrieden. Also war Punkt drei der, auf den er eigentlich hinauswollte. Doch er schwieg.
„Was ist Punkt drei?“, hakte sie nach.
„Punkt drei ist... Ein Äquivalent aus dem Spiegeluniversum.“
Das machte sie für einen Moment sprachlos. Sie hatte natürlich von den wenigen Begegnungen mit solchen Äquivalenten gelesen, doch nie einen Gedanken daran verschwendet, dass auch sie solch ein Gegenstück „hinter dem Spiegel“ haben könnte.
„Das macht Sinn, auch wenn ich es nicht wirklich glauben kann.“
„Glauben sie's, Kate. Wir hatten schon mit solchen Aktionen zu tun, damals ging es aber nicht um das Schiff selbst, sondern nur um die Pläne.“
„Wenn diese Aktion dasselbe Ziel hat“, ertönte eine Stimme hinter ihnen, „dann müssen wir die Voyager unbedingt aufhalten.“
Janeway und Paris drehten sich um und fanden sich Captain Picard gegenüber. Der Captain der Enterprise musste ihnen aus dem Raum gefolgt sein, um den Grund für den Aufruhr festzustellen.
„Und dafür brauchen sie alle verfügbaren Schiffe.“
Janeway brauchte einen Moment, um die Andeutung in Picards Stimme zu verstehen. Dann lächelte sie und trat auf ihn zu.
„Die Enterprise hat gerade eine Aufrüstung hinter sich und ist eines unserer modernsten Schiffe. Wenn ein Schiff die Voyager aufhalten kann, dann sie.“
Picard erwiderte das Lächeln.
„Sie gehört ihnen, Admiral.“
Sie wandte sich wieder an Paris und betrachtete ihn eindringlich.
„Owen, das ist mein Schiff. Lassen sie mich die Verfolgung aufnehmen, bevor sie die anderen Bluthunde loslassen. Vielleicht kann ich das Schiff retten. Wir brauchen diese Technologie und können uns diesen Verlust nicht leisten.“
Paris seufzte und verdrehte die Augen.
„Was hab ich mir bloß damit gedacht, sie zu einer Beförderung vorzuschlagen? Auf der Brücke eines Raumschiffes wären sie besser aufgehoben. Also schön, ich gebe ihnen vier Stunden. Nicht länger. Dann greifen wir die Voyager an.“
„Ich danke ihnen!“, sagte Janeway erleichtert und trat wieder zu Picard, der seinen Kommunikator berührte.
„Picard an Enterprise. Zwei Personen hochbeamen. Commander Madden soll Startvorberei-tungen treffen. Wir fliegen schnellstmöglich ab.“
Als die beiden sich im blauen Funkeln eines Transporterstrahls auflösten, war sich Owen Paris vollkommen sicher, gerade einen großen Fehler begangen zu haben. Er fragte sich, wie Janeway aus dieser Angelegenheit heil herauskommen wollte.
Tief Luft holend trat er in den Besprechungsraum zurück und erwartete einen Sturm von Fragen, Behauptungen und Anschuldigungen. Er wurde nicht enttäuscht.
Viel Spaß damit und haltet euch mit Kommentaren nicht zurück.
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Kapitel 1
Sternzeit 57132.1
Kathryn Janeway unterdrückte ein Seufzen nur knapp. Hätte sie damals, vor ein paar Monaten gewusst, wie langweilig ihr Leben als Admiral werden würde, hätte sie den „Platz in der Mitte“ mit Zähnen und Klauen verteidigt.
Doch jetzt half es nichts mehr, also war sie hier, in einem der Büros in den oberen Etagen des Sternenflottenhauptquartiers in San Francisco und diskutierte seit geschlagenen drei Stunden über dasselbe Thema. Vermutlich das einzige Thema, dass sie je wieder diskutieren würde:
Die Borg.
„Bei allem Respekt, Admiral, aber ich halte ihre Einschätzung bezüglich des Virus, den sie den Borg anhängen konnten für zu optimistisch“, warf Captain Jonathan Carpenter zum wiederholten Mal ein. Und wie es mit seinen Kommentaren des öfteren der Fall war wurde auch dieser nicht besser, wenn man ihn wiederholte. Carpenter war Kommandant der USS Hawk, einem Akira-Klasse Schiff und hatte vor Jahren bei Wolf 359 seine Familie verloren. Janeway hatte ihn zuvor nicht kennengelernt, aber sie vermutete, dass dieses Trauma ihn entscheidend verändert hatte. Carpenter war genial, aber sein Charakter war ständigen Stimmungsschwankungen unterworfen, was ihn hundertprozentig unberechenbar machte. Seit Wolf 359 und später Typhon hatte er sich zu einem von Starfleets Top-Experten in Sachen Borg entwickelt. Dennoch war sein Name nicht so bekannt wie die der anderen Anwesenden:
Da waren die Captains Picard und Shelby, ersterer mittlerweile ein guter Bekannter von Janeway, letztere eine der ehrgeizigsten Frauen denen die Admiralin je begegnet war. Der Rest der Anwesenden Borg-Experten waren Admiräle. Janeway kannte Owen Paris, Toms Vater, doch die meisten anderen waren ihr unbekannt. Ein paar Zivilisten in der Ecke wirkten auf den ersten Blick deplaziert, aber Janeway hatte zwei gesichter von ihnen erkannt. Eine gemurmelte Frage an Owen Paris hatte die Namen „Dulmer“ und „Lucsley“ zutage gefördert – und ein weiteres temporales Paradoxon. Janeway plante, den beiden nach Ende dieser Diskussion einige Fragen in Bezug auf einen gewissen Henry Starling zu stellen. Sie war sich sicher, exakt diese beiden Gesichter vor über fünf Jahren bei einer Zeitreise in das 20. Jahrhundert gesehen zu haben.
„Captain, ich bin mir sicher dass sie ihre Gründe für diese Annahme haben, aber es gibt angesichts der Daten, die der Admiral uns geliefert hat, keinen Zweifel daran dass das Kollektiv schwere Verluste erlitt. Mit etwas Glück sind die Schäden sogar irreperabel“, entgegnete Paris.
Picard räusperte sich.
„Wir sollten mit solchen Annahmen lieber nicht zu voreilig sein, Admiral. Die Borg werden sich anpassen, früher oder später kommen sie zurück und zu diesem Zeitpunkt müssen die zentralen Machtblöcke im Alpha-Quadranten wieder stabil sein.“
Romulus, dachte Janeway. Sie hatte mit Entsetzen vom Ergebnis dieser Mission der Enterprise gehört und Captain Picard sofort kontaktiert um ihm ihr aufrichtiges Beileid zu bekunden. Sie hatte nur kurz nach ihrer Rückkehr für kurze Zeit mit dem Androiden gearbeitet. Und sie hatte sich verantwortlich gefühlt für seinen Tod, genau wie Picard selbst. Warum man ihn ausgerechnet jetzt zu einer Planung der weiteren Strategie gegen das Kollektiv heranzog war Janeway ein völliges Rätsel.
„Momentan verzeichnet keiner unserer Außenposten am Rand des Föderationsraumes irgendeine Art von Aktivität, selbst die Langstreckensensoren können nicht die kleinste Spur eines Schiffes erfassen. Für mich sieht dass so aus, als hätten wir den Borg eine blutige Nase verpasst“, warf einer der anwesenden Admirals ein.
„Eine treffende Analogie, Admiral. Ein Gegner mit einer blutigen Nase hat zwei Arme mit denen er zurückschlagen kann“, schoss Shelby zurück.
Janeway seufzte kaum hörbar. Also nochmal von vorn...
„Captain Shelby, wir haben die Königin erwischt. Wir haben dem Kollektiv ein tödliches Virus verpasst. Wir haben gesehen, wie der Unikomplex, zusammen mit einem Transwarpnetzwerk in die Luft flog. Welche Beweise brauchen sie denn noch?“
Shelby legte den Kopf leicht schief und blickte Janeway völlig starr in die Augen. Diese Frau besaß ein enormes Talent, sich und ihre Meinung zu präsentieren.
„Sie haben eine Königin vernichtet? Haben sie aus der Verschwörung von Brenda Covington nichts gelernt, Admiral? Eine Königin zu töten ändert nichts. Die Zerstörung des Netzwerks lässt den Borg nach Aussagen von Captain Picard und Miss Hanson noch fünf weitere, die die gesamte Galaxis problemlos abdecken können. Und was das Virus anbelangt: Die Borg haben schon bei anderen Gelegenheiten bewiesen, dass sie sich anpassen können. An jeden wiedrigen Umstand.“
Janeway widerstand dem Reflex, ihre Augen zu verdrehen, griff stattdessen nach ihrer Kaffeetasse und nahm einen tiefen Schluck. Und dann bereitete sie sich darauf vor, die gesamten Fakten nochmal auszubreiten. Und noch einmal. Und immer wieder, solange es nötig war...
Lieutenant Harker hatte vor zwei Monaten seinen Wachdienst auf der USS Voyager angetreten und hatte den entsprechenden Befehl anfangs für einen Witz gehalten. Immerhin lag die Voyager seit ihrer wundersamen Rückkehr auf unbestimmte Zeit im Dock und wurde von den Technikern des Projekts „Geschlossener Kreis“ auseinander genommen. Ein Geisterschiff zu bewachen schien ihm wohl kaum eine karrierefördernde Tätigkeit zu sein. Doch mit der Zeit hatte er sich daran gewöhnt, hier eine ruhige Kugel schieben zu können. Das Schiff lag inmitten eines der größten Dockareale der Föderation, tief in ihrem Zentrum. Hier würde es quasi niemals einen Bruch der Sicherheit geben. Dennoch wollte Harker um nichts im Universum in der Haut seines Vorgängers stecken, der hier Dienst getan hatte, als Admiral Janeway kurz nach ihrer Rückkehr ihr altes Schiff übernommen hatte.
Dieser Gedankengang war schon fast seltsam in Anbetracht der Tatsache, wer da gerade vor ihm materialisierte. Als die Konturen der Person sich gefestigt hatten, trat er von den Transporterkontrollen zurück und salutierte.
„Willkommen an Bord der Voyager, Admiral.“
Kathryn Janeway lächelte und streckte die Hand nach dem jungen Offizier aus.
„Stehen sie bequem, Lieutenant.“
Nach kurzem Zögern ergriff Harker die dargebotene Hand und schüttelte sie. In seiner gesamten Karriere war ihm ein Admiral in Janeways Stil nie untergekommen. Diese Frau strahlte einfach eine mütterliche Atmosphäre aus, wo er die meisten weiblichen Admiräle nicht mal als Schwiegermütter hätte haben wollen. Nicht dass die männlichen Vertreter dieses Dienstgrades in irgendeiner Weise besser wären.
„Erlaubnis an Bord kommen zu dürfen?“, fragte Janeway grinsend.
„Mit Vergnügen erteilt, Sir.“
Janeway hob protestierend eine Hand.
„Lassen sie das 'Sir', Lieutenant. 'Admiral' oder 'Ma'am' ist mir lieber.“
„Jawohl, Admiral. Was kann ich für sie tun?“
Janeway marschierte in Richtung Tür, ohne auf den Lieutenant zu warten. Harker hatte Mühe, mit ihr Schritt zu halten und holte sie schließlich auf dem Flur ein.
„Ich habe gerade etwas Freiraum und dachte, ich sehe mich auf meinem alten Schiff etwas um. Ich bekomme zwar regelmäßige Updates über den Fortschritt der Arbeiten, aber es ist einfach nicht dasselbe, verstehen sie?“
Harker war von ihrem Verhalten völlig überrascht und wusste einen Moment nicht recht, was er jetzt tun sollte. Dann besann er sich wieder auf seine Ausbildung und den Drill, der auf den anderen Schiffen geherrscht hatte, auf denen er gedent hatte. Er ergriff Janeway vorsichtig am Arm, um sie zu stoppen. Die Admiralin wirbelte herum und für einen Moment blitzte eine instinktive aggressive Reaktion in ihren Augen auf, doch dann schien sie sich zu besinnen und zog nur ihren Arm aus seinem Griff. Sie machte keine Anstalten weiterzugehen.
„Ähhhm, entschuldigen sie, Admiral, aber ich muss ihre Anwesenheit erst mit der Dockkontrolle abgleichen. Eine Standardprozedur.“
Janeway lächelte wieder.
„Natürlich, aber die dürften nicht über meine Anwesenheit hier informiert sein. Ehrlich gesagt ist das hier mehr ein Überraschungsbesuch.“
Harker war zu einem Terminal getreten und hatte damit begonnen, die Verbindung zur Dockkontrolle herzustellen, doch jetzt war er völlig aus dem Konzept gebracht. Ein solcher „Überachungsbesuch“ widersprach dem kompletten Sicherheitsprotokoll. Andererseits war Janeway eine lebende Legende, Ex-Kommandantin dieses Schiffes und ein Admiral zugleich. Konnte er es wagen, ihr diesen Wunsch abzuschlagen? Im Grunde konnte sie ihm einfach befehlen, ihr eine Tour zu geben und er hätte sich vor seinen eigenen Vorgesetzten herausreden können, dass Befehl nun mal Befehl sei. Er drehte sich um – und blickte in die Mündung eines Handphasers.
„Überraschung!“, sagte Janeway, bevor sie abdrückte.
Noch bevor der tote Körper den Boden berührte, heulte der automatische Alarm als Reaktion der internen Sensoren auf den nicht autorisierten Phaserschuss. Doch für den Moment war das der falschen Admiralin egal. Sie aktivierte ihren Kommunikator.
„Janeway an alle Teams: Wie besprochen fortfahren.“
Neben ihr materialisierten drei Personen in Zivilkleidung und mit bajoranischen Phasergewehren in der Hand. Sie wusste, dass an anderen wichtigen Stellen des Schiffes gerade dasselbe passierte. Sie ergriff das Gewehr, dass ihr einer der Männer hinhielt und schob den Phaser in ihr Halfter zurück.
„Hier lang“, befahl sie und steuerte auf einen Turbolift zu. Fast gleichzeitig piepte ihr Kommunikator erneut.
„Hier Janeway, sprechen sie.“
Eine vertraute Stimme antwortete ihr.
„Hanson hier. Das Schiff gehört uns.“
Für den Moment jedenfalls, fügte sie in Gedanken hinzu. Jetzt würde sich ihr Plan entscheiden, ob sie das Schiff zerstören mussten oder es ihnen gehören würde. Sie trat in den Turbolift und befahl dem Computer, sie zur Brücke zu bringen. Ihre Sprachkommandos wurden ohne Probleme akzeptiert.
„Und Computer“, fügte sie hinzu, „schalte diesen Alarm ab!“
Als die Alarmsirenen verstummten, hätte sie kaum zufriedener sein können.
Die echte Kate Janeway war zu diesem Zeitpunkt beinahe verzweifelt ob der Sturheit der anderen Anwesenden. Wieso wollten sie die Fakten einfach nicht einsehen? Mittlerweile hielt sie sich aus dem Streit und den Diskussionen zurück und ließ ihre Gedanken schweifen. Sie beobachtete eine ähnliche Reaktion auf die Diskutiererei bei Captain Picard. Shelby und Carpenter dagegen waren immer noch mit Feuereifer bei der Sache, was sie in keinster Weise verwunderte. Als sie sich zu Admiral Paris umdrehte, sah sie ihn nach seinem Insignienkommunikator greifen und eine leise Unterhaltung führen. Plötzlich jedoch sprang er auf.
„WAS?“, entfuhr es ihm entsetzt.
Plötzlich ruhten alle Augen auf ihm, doch er kümmerte sich nicht darum, sondern ergriff Janeway am Oberarm, zog sie aus dem Stuhl und nach außen.
„Owen, zum Teufel, was ist los?“, fragte sie, schockiert über seine Direktheit.
Er starrte sie an und sondierte ihr Gesicht nach jeder noch so kleinen Reaktion, als er fortfuhr.
„Die Voyager wurde soeben geentert. Sie hat bereits die Startprozeduren eingeleitet, die Sicherheitsteams kommen nicht an Bord und die Dockkontrolle kann sie auch nicht aufhalten.“
Sie hob abwehrend die Hände und setzte ein unschuldiges Grinsen auf.
„Hey, diesmal bin ich unschuldig.“
Paris lachte nicht. Er trat zu einer Wandkonsole und rief eine Datei auf.
„Die hier sagt etwas anderes, Kathryn.“
Und dann hörte Admiral Janeway eine Wiedergabe ihrer eigenen Stimme, wie sie den Enterteams befahl, nach Plan fortzufahren.
„Aber das ist völlig unmöglich!“, rief sie. „Ich war mit ihnen da drin!“ Sie zeigte auf den Besprechungsraum.
„Ich weiß“, beruhigte Paris sie. „Das lässt drei Möglichkeiten: Erstens: Eine ältere Version von ihnen, so wie die Janeway die ihnen beim Erreichen des Alpha-Quadranten half.“
Sie schüttelte energisch den Kopf.
„Ducane würde mich umbringen, wenn ich noch einmal auf seinen Sensoren auftauche. Abgesehen davon sehe ich keinen Grund dafür, in die Vergangenheit zu reisen, um dann ein Schiff zu stehlen. Wofür sollte das gut sein?“
„Ich habe auch keine Ahnung, aber wir müssen alle Möglichkeiten beachten. Zweitens: Ein Klon von ihnen.“
Sie dachte einen Moment nach und schauderte bei dem Gedanken an eine Shinzon-artige Version von ihr. Hatten die Romulaner vielleicht auch von anderen Sternenflotten-Captains Klone erstellt, nur für den Fall der Fälle? Aber sie konnte sich keinen Grund einfallen lassen, warum die Romulaner einen solchen Klon dann ausgerechnet jetzt dafür vergeudeten, ein Schiff zu stehlen, wenn sie diesen Klon dafür benutzen könnten, weit größeren Schaden anzurichten. Vor allem da Janeway jetzt offiziell die Aktivitäten der Sternenflotte entlang der Neutralen Zone koordinierte.
„Das schließe ich auch aus. Das ist der falsche Zeitpunkt und für eine solche Aktion würden die Romulaner den Klon nicht verschwenden.“
Paris schien kurz darüber nachzudenken, ob er sie darauf hinweisen sollte, dass die Romulaner nicht die einzige Rasse mit der ausreichenden Kloning-Technologie waren um solch eine Kopie herzustellen, doch dann gab er sich mit ihrer Antwort zufrieden. Also war Punkt drei der, auf den er eigentlich hinauswollte. Doch er schwieg.
„Was ist Punkt drei?“, hakte sie nach.
„Punkt drei ist... Ein Äquivalent aus dem Spiegeluniversum.“
Das machte sie für einen Moment sprachlos. Sie hatte natürlich von den wenigen Begegnungen mit solchen Äquivalenten gelesen, doch nie einen Gedanken daran verschwendet, dass auch sie solch ein Gegenstück „hinter dem Spiegel“ haben könnte.
„Das macht Sinn, auch wenn ich es nicht wirklich glauben kann.“
„Glauben sie's, Kate. Wir hatten schon mit solchen Aktionen zu tun, damals ging es aber nicht um das Schiff selbst, sondern nur um die Pläne.“
„Wenn diese Aktion dasselbe Ziel hat“, ertönte eine Stimme hinter ihnen, „dann müssen wir die Voyager unbedingt aufhalten.“
Janeway und Paris drehten sich um und fanden sich Captain Picard gegenüber. Der Captain der Enterprise musste ihnen aus dem Raum gefolgt sein, um den Grund für den Aufruhr festzustellen.
„Und dafür brauchen sie alle verfügbaren Schiffe.“
Janeway brauchte einen Moment, um die Andeutung in Picards Stimme zu verstehen. Dann lächelte sie und trat auf ihn zu.
„Die Enterprise hat gerade eine Aufrüstung hinter sich und ist eines unserer modernsten Schiffe. Wenn ein Schiff die Voyager aufhalten kann, dann sie.“
Picard erwiderte das Lächeln.
„Sie gehört ihnen, Admiral.“
Sie wandte sich wieder an Paris und betrachtete ihn eindringlich.
„Owen, das ist mein Schiff. Lassen sie mich die Verfolgung aufnehmen, bevor sie die anderen Bluthunde loslassen. Vielleicht kann ich das Schiff retten. Wir brauchen diese Technologie und können uns diesen Verlust nicht leisten.“
Paris seufzte und verdrehte die Augen.
„Was hab ich mir bloß damit gedacht, sie zu einer Beförderung vorzuschlagen? Auf der Brücke eines Raumschiffes wären sie besser aufgehoben. Also schön, ich gebe ihnen vier Stunden. Nicht länger. Dann greifen wir die Voyager an.“
„Ich danke ihnen!“, sagte Janeway erleichtert und trat wieder zu Picard, der seinen Kommunikator berührte.
„Picard an Enterprise. Zwei Personen hochbeamen. Commander Madden soll Startvorberei-tungen treffen. Wir fliegen schnellstmöglich ab.“
Als die beiden sich im blauen Funkeln eines Transporterstrahls auflösten, war sich Owen Paris vollkommen sicher, gerade einen großen Fehler begangen zu haben. Er fragte sich, wie Janeway aus dieser Angelegenheit heil herauskommen wollte.
Tief Luft holend trat er in den Besprechungsraum zurück und erwartete einen Sturm von Fragen, Behauptungen und Anschuldigungen. Er wurde nicht enttäuscht.
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